FREILICH Ausgabe 11

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POLITIK

Interview: MilitĂ€rhistoriker Martin van Creveld ĂŒber Terrorismus, soldatische Tradition und Frieden. S. 10 WIRTSCHAFT

Geld machen: Wie Bitcoin und andere KryptowÀhrungen funktionieren. Und warum sie jetzt so boomen. S. 62 K U LT U R

Smart City: Die intelligente Stadt ist ein digitales Projekt. Freie Stadtluft trifft auf perfekte Überwachung. S. 76

DAS MAGA ZIN FÜR SELBSTDENKER Ausgabe No 11 / 2021

freilich-magazin.at / Ö & DE: € 13,00 / CHF 13,00

FEBRUAR 2021

SCHWERPUNKT

Schlecht gerĂŒstet Der Soldat allein ist lĂ€ngst kein freier Mann mehr. Und um den Zustand der heimischen Armeen steht es schlecht. Dabei drohen immer mehr Gefahren. Wie schaut die Zukunft des Krieges aus?

Alles Fasching – Narren und Verkleidete machen die Welt, wie sie ihnen gefĂ€llt. S. 66


Der Lockdown vernichtet deine Zukunft! Test- und Impfchaos beenden Grund- und Freiheitsrechte wieder herstellen Keine Bestrafung von Menschen ohne Impfung Impfplan ĂŒberarbeiten Die tĂŒrkis-grĂŒne Bundesregie Bundesregierung von Sebastian Kurz und Rudolf Anschober ist unfĂ€hig, Österreich durch die CoronaKrise zu fĂŒhren. Unser Land musste den grĂ¶ĂŸten WirtWirt schaftseinbruch aller EUStaaten hinnehmen. 535.000 Österreicher sind arbeitslos. Das alles zeigt: Der Lockdown ist keine Lösung!

Ing. Norbert Hofer FPÖ-Bundesparteiobmann FPÖ-Bundesparteiob

www.fpoe.at


EDITORIAL

Werte Leser! E

s war anlĂ€sslich des Jahreswechsels wenig Wandel zu spĂŒren. Unverdrossene, die ein Zeichen wider regierungsseitige Eingriffe in vertraute BrĂ€uche setzen wollten, jagten Raketen in die Luft und zĂŒndeten ihre Böller. Eigentlich diesmal ein Genuss, dachte ich mir bei meiner Neujahrszigarre nachts auf dem Balkon, und ein paar NachzĂŒgler stiegen bestĂ€tigend in den schwarzen Himmel, um bunt zu verglĂŒhen. Doch die bösen Geister ließen sich mit den Feuerwerken nicht in die Vergangenheit verabschieden, sie blieben breit und schwer auf den allgemeinen LebensumstĂ€nden aller liegen, wie bedrohlich dunkle WolkenbĂ€nke: Österreich, Deutschland und andere LĂ€nder ĂŒben sich im chaotischem Corona-Krisenmanagement, die verordneten EinschrĂ€nkungen fĂŒr Alltag und Wirtschaft nehmen groteske, willkĂŒrliche Ausmaße an, werden nie anstĂ€ndig kommuniziert und hĂ€ufig unanstĂ€ndig exekutiert.

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ie Sentenz „Uns ist das Ding entglitten“ der lediglich machtpolitisch befĂ€higten „Kanzlerin der nordafrikanischen Herzen“ klingt einem im Ohr, wenn man den österreichischen „Wunderwuzzi“ und seine erbĂ€rmliche Entourage sieht. Die inszenierte HĂŒlle scheint stimmig, der klĂ€gliche Inhalt macht jedoch nur schwarz-grĂŒn-rote Profiteure des unsinnig begrĂŒndeten Ausnahmezustandes selig. Die deutsch-österreichischen Skandale um „kriegsgewinnlerische“ Auftragsvergaben, ergaunerte akademische Weihen und die höchst zweifelhaften Machenschaften politisch Verantwortlicher rund um das Ibiza-Thema erhalten allerdings aktuell nicht das ihnen zustehende Gewicht. Grund: Die ĂŒber Corona-Hilfen gekaufte Presse deutscher Zunge beißt nicht die Hand, die sie fĂŒttert, und das Wahlvolk dies- wie jenseits der österreichisch-deutschen Grenze ist zwangslĂ€ufig mit sich selbst beschĂ€ftigt. Werden sich die Leute an die ungerechtfertigte, massive Beraubung ihrer Grundrechte, an die genannten Machenschaften und die

Meine Leseempfehlungen:

U LR ICH NOVA K Chefredak teur

komplette UnfĂ€higkeit der schwarz-grĂŒnen, der schwarzroten Regierung am Wahltag erinnern? Es bleibt zu hoffen. Eine diesmal sinnvolle Erinnerungsarbeit wird ein freiheitliches Muss in den kommenden WahlkĂ€mpfen sein.

S

chon SPD-Kanzler Helmut Schmidt wusste, dass sich vor allem „Politiker und Journalisten [
] das traurige Schicksal [teilen], dass sie oft heute schon ĂŒber Dinge reden, die sie erst morgen ganz verstehen“. Oder gar nicht. Ergebnis dieses momentanen Zustandes ist einerseits das unglaubliche Chaos rund um Produktion, Zulassung und Verteilung von wenig vertrauenerweckenden Vakzinen und andererseits eine hitzige Impfdiskussion, in der nur selten, auch von den Gegnern des drohenden Impfzwanges, klargestellt wird, dass Impfen grundsĂ€tzlich gut ist – denn die Immunisierung von Bevölkerungen gegen Seuchen ist eine wichtige zivilisatorische Errungenschaft. Hilfreich wĂ€re es heute, wenn in der Öffentlichkeit auch offenkundige ArgumentationslĂŒcken, statistische LĂŒgen und verschwiegene Zahlen der beeinflusst und gekauft wirkenden ImpfstoffbefĂŒrworter mit belastbaren Fakten aus der Forschung zu COVID-19 ehrlich diskutiert wĂŒrden. Labormediziner, impfende Ärzte könnten dadurch die WertschĂ€tzung ihrer FĂ€higkeiten und Absichten deutlich erhöhen. Dem schleichenden, von Schwarz-GrĂŒn vorangetriebenen Totalisierungsprozess wĂ€re schnell ein Ende bereitet. Denn totalitĂ€re Systeme ohne die Schrecken echter Tyrannis sind nicht langlebig. „Mit ihrem LĂŒgengewebe und ihrer Inszenierung einer ScheinrealitĂ€t scheitern sie frĂŒher oder spĂ€ter an den alltagspraktischen Evidenzen, anders gesagt: an der Macht des Faktischen“ (Eva Rex).

Seite 10 / INTERVIEW / Martin van Creveld

Friede neigt dazu, langweilig zu sein Seite 54 / ESSAY / GĂŒnter Scholdt

Wir Covidioten N ° / 11 / FE B R UA R 2021

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N ° 11ïżœ F E B R U A R 2 0 2 1

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Martin van Creveld zu Terror und Krieg.

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Die Bundeswehr krankt. Zu klein, zu alte AusrĂŒstung und die falsche Politik.

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Editorial

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Inhalt

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Impressum

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Ansichtssache: Kurz muss weg Corona kann ganz schön nerven. Großdemonstrationen in Wien sind voll mit normalen Leuten, die gegen die Regierung sind.

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Kurz & bĂŒndig: aktuelle Neuigkeiten Politikon 1: „Das Lob der Grenze“ – Neue Politische Studie ĂŒber den Kampfbegriff „Islamofaschismus“ – Die „Tagesstimme“ wurde rundum erneuert und startet voll durch.

Hausverwaltung

STROHMEIER

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Ihr Narren

I N T E RV I E W

R E P O R TAG E

10 „Der Friede neigt dazu, langweilig zu sein“ Was bringt der Terror in Europa? Wie wandelt sich der Krieg? FREILICH hat mit MilitĂ€rhistoriker Martin van Creveld gesprochen.

38 Die grĂŒne Feuerwehr Das Österreichische Bundesheer kĂ€mpft um Anerkennung und Geld.

R E P O R TAG E

22 Der verfahrene Karren Immer weniger in der Bevölkerung verankert, von der Politik ungeliebt: die Bundeswehr als Problemkind. I N FO G R A F I K

36 Die Weltkrieger Wo ĂŒberall auf der Welt deutsche und österreichische Soldaten heute aktiv sind.

KO M M E N TA R

48 Die Sicherheitssimulation Heinrich Sickl ĂŒber ein kurzes Schauspiel in TĂŒrkis. S T R AT E G I E

50 Die neue KriegsfĂŒhrung Die Zukunft des Krieges ist hybrid. E S S AY

54 Wir Covidioten Massensterben oder Massentests? Und die Wirtschaft ? Zeit fĂŒr eine Pandemie-Zwischenbilanz.

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FR E I L I CH


F O R M AT

AU S DE R R E DA K TI ON

Presseförderung und Abos

76

Smart City ist eine Zukunftsvision fĂŒr die Stadt.

WIRTSCHAFT

LESESTÜCK

62 Vom Kerbholz zur Blockchain Sind Bitcoin und andere KryptowÀhrungen die Zukunft des Geldes?

92 „Unser galliges Lachen“ Monika Maron und Jörg Bernig ĂŒber Repression im Westen.

FOTO S T R E C K E

98 Der Freiheit ein Haus Susanne Dagen und ihr BuchHaus Loschwitz als freie Insel.

66 Alles Fasching Warum das nĂ€rrische Treiben so viel Spaß und Freiheit bringt.

BÜCHER K U LT U R

76 Smart City Was kann die Digitalisierung des Stadtlebens? Über Freiheit, Goldrausch und Überwachung.

100 BĂŒcher Nationalismus als Tugend – Was tun? – Enklave – Zwischen LĂŒgenpresse und Fake News – Selbstzerstörung

I N T E RV I E W

DA S L E T Z T E (11)

86 „Kein Naturschutz fĂŒr MĂ€nner und Frauen“ Bettina Gruber ĂŒber das neue Geschlechterregime.

103 Demonstrieren Unterwegs mit einer Corona-Demonstration gegen die Regierung.

IMPRESSUM: Freilich – Das Magazin fĂŒr Selbstdenker. Erscheinungsort: Graz. Medieninhaber und Herausgeber: Freilich Medien Ges.m.b.H., Chefredakteur: Ulrich Novak, Redaktion & Verlag: Mandellstraße 7, A-8010 Graz, Österreich. Bankverbindungen: SteiermĂ€rkische Graz, IBAN: AT38 2081 5000 0009 8004, BIC: STSPAT2G; Postbank MĂŒnchen, IBAN: DE44 7001 0080 0120 1628 06. Abonnement-Preise: Österreich € 76,–, Deutschland € 85,–, Schweiz SFR 96,–. Tel.: +43(0)316/32 70 09, Internet: freilich-magazin.at, E-Mail: redaktion@freilich-magazin.at

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Kaum tanzt Schnee vor den Fenstern, ist mit Gramschi, unserem freigetesteten Redaktionskater, Sie erinnern sich, schlecht auszukommen. Grund? Vielleicht hat das Katzenhotel „Roomer“ in Lyon wegen Coronavirus dichtgemacht. Denn fĂŒr unsere geplante Redaktionsweinreise ins Bordeaux schenkten wir Gramschi einen Gutschein fĂŒr einen Aufenthalt. Willkommen im „Roomer“ sind Katzen, um die man sich zeitweise nicht kĂŒmmern kann. HoteliĂšre Audrey Marrocco bietet Behaglichkeit in 24 Zimmern. Da stehen den Logierenden komfortable SchlafplĂ€tze, Futter- und Wasserspender, Katzentoiletten und Kratzbretter zur VerfĂŒgung. Claim der Luxusherberge: „Le chat est roi“. Die Freude Gramschis hielt sich allerdings in Grenzen, vielleicht, weil er nicht lesen kann. Maaike, unsere aus Zeeland stammende neue Praktikantin, ĂŒberlegt, ob Gramschi mal im frĂŒheren Leben eine Eremitage-Palastkatze war, als samtpfotiger WĂ€chter wertvolle SchĂ€tze des Museums bewachte und sich jetzt nach friedvollen PalĂ€sten sehnt. Jungredakteur Bennie, der, wie wir feststellen mussten, zu Recht behauptete, HollĂ€nderinnen hĂ€tten stets ĂŒbergroße FĂŒĂŸe, sprach sich fĂŒr ein Abo von „CATStoday“ oder „Geliebte Katze“ aus. Zerstreuung sei jetzt fĂŒr Gramschi alles, outet er sich als von des Katers LesefĂ€higkeiten Überzeugter. „Wir kriegen das Abo sicher billiger, wenn die auch Presseförderungen bekommen haben“, wirft Bennie in die Waagschale. Jedenfalls allemal billiger als ein Wellness-Wochenende im „Roomer“ mit Katzenkeks, Schampus und französischen Straßenkatzen. redaktion@freilich-magazin.at freilich-magazin.at

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Foto: Michael ScharfmĂŒller

Foto: Alois Endl Foto

Foto: Alois Endl Foto

Foto: Michael ScharfmĂŒller

Foto: Michael ScharfmĂŒller Foto: Stefan Magnet

Foto: Eveline Dissauer

Foto: Stefan Magnet

Foto: Stefan Magnet

ANSICHTSSACHE

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FR E I L I CH


Foto: imago / photonews.at Foto: imago / photonews.at

Foto: Michael ScharfmĂŒller

Foto: Archiv

Foto: Alois Endl Foto

ANSICHTSSACHE

Kreativer, mutiger Widerstand in ganz Österreich Der Staat untersagte am Wochenende 31. JĂ€nner alle Corona- und Antiregierungsdemonstrationen. Zehntausende waren ungehorsam und sind trotzdem nach Wien gekommen. Zu einer machtvollen Demonstration, die viele aufgerĂŒttelt hat. Denn sowohl die Eskalationswilligkeit der Polizei, wie auch die Provokationen der extremen Linken haben bei den BĂŒrgern, die dabei waren, mehr als nur KopfschĂŒtteln ausgelöst. Heimische Medien sind noch immer nicht sehr willig, besonders objektiv zu berichten. Hier also eine kleine Schau auf Plakate, Banner und Demo-SprĂŒche aus ganz Österreich.

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8020 Gra raß e 7, Mandellst GmbH / Medien

KURZ MUSS WEG

Volk!

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Foto: Michael ScharfmĂŒller

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Dem Kurz eine kleben!

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Foto: imago / photonews.at

Demo-Sticker ĂŒber https://bit.ly/3aLyErX

Die FREILICH Demo-Sticker sind in drei demokratiefördernden VerpackungsgrĂ¶ĂŸen erhĂ€ltlich: 10 StĂŒck fĂŒr den Freizeitdemonstranten 20 StĂŒck fĂŒr den wahren Corona-Rebellen 50 StĂŒck fĂŒr den mutigen DemokratiewĂ€chter

TICKER

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Aktueller Demokalender auf wochenblick.at

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UND DER AUCH !

Friede ! Freih eit! Keine Diktatu r! Friede

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AKTUELL

Die GrĂŒnen

FREILICH-GeschĂ€ftsfĂŒhrer Heinrich Sickl warnt in seinem neuen Buch vor den Gefahren der Globalisierung und zeigt Alternativen auf.

Politikon

„Corona“ hat gezeigt, wie die moderne Grenzenlosigkeit zur Bedrohung wird. Nicht nur durch die Krankheit, sondern auch in Folge als ganz zentral wirtschaftliches und politisches Thema. Im globalen Markt ist China der Produzent, wir sind die KĂ€ufer. Alles ist ausgelagert. Die Grenzen haben sich verschoben. Heinrich Sickl macht in seinem neuen Buch „Das Lob der Grenze“ darauf aufmerksam, wie wichtig Grenzen wieder sind. Grenzen, so Sickl, helfen uns dabei, IdentitĂ€t zu bewahren und Sicherheit zu garantieren. Aktuelle Herausforderungen wie „Corona“ und illegale Migration machen klar, dass es Zeit ist, fĂŒr Freiheit und Frieden Grenzen zu setzen und auch zu verteidigen.

FREILICH hat die „Die GrĂŒnen“ mit einer Politischen Studie dokumentiert und zeichnet die „Konturen einer linksextremen Gruppe“ nach. Die GrĂŒnen waren in den 1980ern ein Sammelbecken fĂŒr Kommunisten, Maoisten, und andere Linksradikale. Das sind sie bis heute geblieben. Der Umweltschutz war und ist nur der Hebel fĂŒr den angestrebten Systemwandel. Die neue Studie dokumentiert, wie die Umweltbewegung von Kommunisten unterwandert wurde, wie sich die Öko-Tarn-Bewegung zur einer Klientelpartei fĂŒr das linke, vom Staat alimentierte, urbane Milieu entwickelte. Die Studie analysiert, dass der Klimakampf immer nur Klassenkampf war und ist, wie schlampig das VerhĂ€ltnis der grĂŒnen Partei zu linker Gewalt, linkem Terrorismus und Linksextremismus ist. Sie zeichnet nach, dass alle politischen Strategien und LösungsansĂ€tze der GrĂŒnen in eine Richtung gehen: mehr Staat, mehr Regelungen, mehr Kontrolle und weniger Freiheit. Wie die GrĂŒnen seit vielen Jahren systematisch an der Zerstörung von Nationalstaat, Familie und bĂŒrgerlichen Werten arbeiten.

Die neue FREILICH Politische Studie 7 „Die GrĂŒnen“ gratis herunterladen: freilich-magazin.at/studien

Das Buch im FREILICH-Buchladen: bit.ly/3iRx9fm

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AKTUELL

So fit wie die Großen und eine großartige Reichweite: Die „Tagesstimme“ dreht auf.

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Jetzt neu: Die „Tagesstimme“ tets nĂŒchtern, immer sachlich. Nachrichten mit Fakten, und mittlerweile durch starke und pointierte Meinungen von FREILICH-Autoren ergĂ€nzt. Mit mehr Politik, Kultur und Meinung ist die „Tagesstimme“ nach dem Relaunch eine vollwertige digitale Nachrichtenzeitung, die nicht nur zuverlĂ€ssige Informationen und kritischen Journalismus bietet, sondern auch wichtige Debatten fĂŒhrt und tagesaktuelle Ereignisse aus konservativrechter Perspektive einordnet. Wichtig ist der unabhĂ€ngigen Redaktion dabei, möglichst breite Teile des rechten Spektrums abzubilden. Neben der inhaltlichen Weiterentwicklung hat der Verlag aber auch an der Aufmachung der Seite gearbeitet und kann den Lesern nun eine professionelle Homepage auf modernster technischer Basis prĂ€sentieren. Bei dem Design, das einfach und ĂŒbersichtlich gehalten ist, wurde in erster Linie auf Nutzer- und Lesefreundlichkeit geachtet. Leserkommentare, Umfragen und Reaktionsmög-

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lichkeiten sollen die Kommunikation auf der „Tagesstimme“ stĂ€rken. Seit knapp einem Jahr gehört die Online-Nachrichtenseite „Tagesstimme“ zur FREILICH Medien GmbH. WĂ€hrend im zweimonatlich erscheinenden FREILICH-Printmagazin Reportagen und intellektuelle Reflexion Platz haben, kĂŒmmert sich die junge „Tagesstimme“Redaktion rund um Chefredakteur Stefan Juritz mit Julian Schernthaner, Monika Ć imić und anderen bereits seit drei Jahren tĂ€glich um aktuelle Berichterstattung und Interviews aus den Bereichen Politik, Gesellschaft, Welt, Wirtschaft, Kultur und Technik. Gerade in Zeiten von Mainstream, Fake News und Hetze im Internet ist eine kritische, vernĂŒnftige und rechte Stimme wichtiger denn je. Die „Tagesstimme“ ist das wichtige Gegengewicht zu den „alternativlosen“ Leitmedien in Deutschland und Österreich.

TĂ€glich Fakten, alternative Meinungen, und das technisch am letzten Stand: Die „Tagesstimme“ ist neu gestartet und wĂ€chst konsequent.

Die Tagesstimme tagesstimme.com FREILICH Medien freilich-magazin.at

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INTERVIEW

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Foto: LAVAK

Klug, vielseitig und streitsam – es lohnt sich, Martin van Creveld zuzuhören.

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INTERVIEW

„Der Friede neigt dazu, langweilig zu sein“ Was bringt der Terror in Europa? Wie wandelt sich der Krieg? FREILICH hat mit dem MilitĂ€rhistoriker Martin van Creveld ĂŒber globale Konflikte und den deutschen Kampf gegen militĂ€rische Traditionen gesprochen. ÜBERSETZUNG: MONIKA Ć IMIĆ

FREILICH: Herr van Creveld, Anfang Oktober ist Wien von einem islamistischen Terroranschlag erschĂŒttert worden. Ein junger albanischstĂ€mmiger Mann hat mehrere Menschen getötet, viele verletzt und ist von der Polizei neutralisiert worden. Wie lange werden wir solche Bilder in Europa noch sehen?

Martin van Creveld: Ich bin Historiker, also lassen Sie mich diese Frage mit einer Geschichte beantworten. Israel hatte einst einen Mossad-Agenten. Sein Name war Rafi Eitan, und 1961 leitete er jene Truppe, die Adolf Eichmann aufgespĂŒrt und nach Israel gebracht hat. Jahre spĂ€ter diente er dem damaligen Premierminister Yitzhak Rabin (1974–1977) als Antiterrorberater. Irgendwann stellte ihm ein Journalist die Frage, wie lange der palĂ€stinensische Terror, der zu dieser Zeit hauptsĂ€chlich aus dem Libanon kam, denn noch andauern wĂŒrde. Er zitierte einen Bibelvers und antwortete: „40 Jahre.“ Daraufhin N ° / 11 / FE B R UA R 2021

wurde ihm gesagt, dass er, auch wenn er Terrorismusexperte sei, wohl nichts ĂŒber Öffentlichkeitsarbeit wisse und besser den Mund halten solle. Seither sind mehr als 40 Jahre vergangen, doch der Terror ist immer noch sehr prĂ€sent und wird allem Anschein nach auch nicht so bald verschwinden. Sie haben sich intensiv mit Guerillakrieg beschĂ€ftigt. Kann man Attentate, wie sie in Europa inzwischen recht regelmĂ€ĂŸig zu sehen sind und die mit immer einfacheren Mitteln – Messer oder Fahrzeug – umgesetzt werden, militĂ€risch begreifen und beschreiben? Ist das noch eine Form von Krieg?

Das hĂ€ngt ganz davon ab, wie man Krieg definiert. Cicero etwa – und nach ihm auch Personen wie Hugo Grotius und Thomas Hobbes – sah Krieg als einen Rechtszustand, in dem gewisse Dinge erlaubt sind, die in Zeiten des Friedens nicht erlaubt sind. Wenn man

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diese Definition akzeptiert, so ist Terrorismus als etwas Illegales kein Krieg, sondern eine Form von Verbrechen. Man könnte es allerdings auch mit Clausewitz sagen, fĂŒr den Krieg ein von der Politik inspirierter Akt der Gewalt ist, um Ziele zu erreichen, die andere als rein persönliche sind. Geht man nach dieser Definition, so lautet die Antwort ganz klar Ja. Wie dem auch sei, die Art der eingesetzten Waffen hat damit nichts zu tun. Man kann Kriege mit Panzern, mit Messern oder mit beidem fĂŒhren. FĂŒr den Einsatz beider Waffenarten hat sich neuerdings sogar eine eigene Bezeichnung etabliert, die hybride KriegsfĂŒhrung. Es gibt bei uns die vielfach geĂ€ußerte – wie wir meinen: beschwichtigende – Meinung, dass der Islamismus oder auch der extremistische Dschihadismus, wie man in ihn in Irak und Syrien sehen konnte, „nichts mit dem Islam zu tun“ habe. Stimmt das?

Der Islam ist – wie alle anderen Religionen auch – das, was die GlĂ€ubigen daraus machen. In anderen Worten: Es gibt nicht „den“ Islam. Was es aber schon gibt, sind verschiedene Gruppen. Manche von ihnen sind grĂ¶ĂŸer und manche kleiner, manche haben mehr Einfluss und manche weniger. Jede von

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Foto: CBW / Alamy Stock Foto

Foto: PCN Photography / Alamy Stock Foto

INTERVIEW

„Warum einen Vorschlaghammer nehmen, wenn man mit einem Bulldozer kommen kann“, so Osama bin Laden ĂŒber „9/11“.

Der weltweite Krieg gegen den Terror ist ein Kampf des Westens gegen den islamischen Dschihadismus. Ein Krieg, der aber auch den Islamismus in den betroffenen LĂ€ndern mobilsiert hat.

ihnen interpretiert den betreffenden Glauben anders. Nehmen wir zum Beispiel den Dschihad. FĂŒr einige Moslems ist der Kampf gegen UnglĂ€ubige und der Sieg ĂŒber sie das allerwichtigste Gebot. Andere wiederum behaupten, dass dieser Begriff sich nicht auf physische KriegsfĂŒhrung mittels Panzer und/oder Messer beziehe, sondern auf den inneren Kampf gegen die SĂŒnde, den jeder Menschen mit sich selbst austragen muss. Sowohl der Koran als auch die Sammlung der Aussagen Mohammeds stĂŒtzen diese zwei Interpretationen in gewisser Weise. Ähnliches lĂ€sst sich auch ĂŒber jede andere Religion (und Ideologie), die existiert oder jemals existiert hat, sagen. Nehmen wir zum Beispiel das moderne Christentum. Es fußt angeblich auf Liebe, Toleranz und Vergebung: „Wenn dich einer auf die rechte Wange schlĂ€gt, dann halte ihm auch die andere hin“, sagte Jesus. Doch er sagte auch: „Denkt nicht, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“ Wenn man sich mit der Geschichte des Christentums beschĂ€ftigt, wird schnell deutlich, dass es Zeiten gab, in denen es eine Ă€ußerst kriegerische Religion war. Und zwar so sehr, dass sich beliebig viele ihrer AnhĂ€nger an kriegerischen Handlun-

gen beteiligten, die wir die KreuzzĂŒge nennen, und sie seit Kolumbus eine entscheidende Rolle bei der Eroberung ganzer Kontinente durch Europa und der Ausrottung von Millionen ihrer Bewohner gespielt hat. Und so sehr, dass sich Christen zwischen 1566 und 1598 – in den Hugenottenkriegen – und zwischen 1618 und 1648 – im DreißigjĂ€hrigen Krieg – dazu aufmachten, sich gegenseitig in großer Zahl zu töten. Noch sind wir aber auch nicht ĂŒber den Berg. Ein Freund und britischer General im Ruhestand meinte einst zu mir, dass die Motive fĂŒr den NordirlandKonflikt keine sozialen oder wirtschaftlichen, sondern religiöse seien – so schlicht und einfach. Als Jugoslawien im Jahr 1991 zu zerfallen begann, spielte das serbisch-orthodoxe Christentum eine Ă€ußerst entscheidende Rolle. Und was sollen wir ĂŒber jenen jĂŒdischen Siedler sagen, der davon ĂŒberzeugt ist, dass die Eroberung des Westjordanlandes ein gottgegebenes Gebot sei? Um auf den Islam zurĂŒckzukommen: Es hĂ€ngt alles davon ab, welche Gruppe von Moslems diesen wann, unter welchen UmstĂ€nden und zu welchem Zweck interpretiert. Israel und Europa scheinen immer mehr gemeinsam zu haben, so auch, dass es muslimische Minderheiten oder lokal auch Mehrheiten FR E I L I CH


Foto: US Air Force Photo / Alamy Stock Foto

INTERVIEW

„Der Islam ist – wie alle anderen Religionen auch – das, was die GlĂ€ubigen daraus machen.“

Der Westen neigt dazu, mit LuftĂŒberlegenheit, Bomben und High-Tech wett zu machen, was er am Boden zu schwach ist.

gibt, mit denen man zusammenlebt. Was kann Europa von Israel lernen?

Israel hat so oft allein dagestanden, also freut es mich zu hören, dass so mancher EuropĂ€er allmĂ€hlich der Meinung ist, unsere Probleme seien auch seine Probleme. Was die zweite HĂ€lfte der Frage betrifft: Versuchen wir, uns nicht in jener Art von Details zu verlieren, die lediglich fĂŒr AnwĂ€lte auf der einen Seite und fĂŒr Antiterrorberater auf der anderen Seite von Interesse sind. Es genĂŒgt, zu sagen, dass die effiziente Form von TerrorismusbekĂ€mpfung bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung einer mehr oder weniger demokratischen, gesetzestreuen und offenen Gesellschaft die wichtigste Lektion ist, die Europa von Israel lernen kann.

Wenn Terrorismus eine neue Form des Krieges ist, eine erste Stufe der Eskalation, was wird Ihrer Meinung nach noch auf Europa zukommen?

Mehr Terrorismus. Er wird teils von religiösem Fanatismus, teils von realen sozialen MissstĂ€nden und teils von einer Kombination aus beidem getragen werden. Das wiederum wird zur TerrorismusbekĂ€mpfung sowohl von offizieller Seite als auch von inoffizieller Seite fĂŒhren. Von offizieller Seite durch den Staat, also mithilfe der Polizei, der Geheimdienste usw., und von inoffiN ° / 11 / FE B R UA R 2021

zieller Seite durch Einheimische und örtliche Organisationen, die die Sache aus Verzweiflung ĂŒber die UnfĂ€higkeit oder den Unwillen des Staates, ihnen jenen Schutz zu gewĂ€hren, der ihnen ihrer Meinung nach zusteht, selbst in die Hand nehmen werden. Bis sie ihre volle Wirkung entfalten können, benötigen solche Prozesse ihre Zeit. Doch das Ergebnis kann – wenn ich erneut die Hugenottenkriege als Analogie, die meiner Meinung nach am ehesten hierauf zutrifft, heranziehe – ein Zustand der sozialen Desintegration und des Chaos sein. Ein Zustand, der in politischer WillkĂŒr enden wird, sollte die betreffende Gesellschaft GlĂŒck haben. Oder aber ein Zustand, der nie ein Ende finden wird, sollte die betreffende Gesellschaft kein GlĂŒck haben. Der Islamische Staat (IS), der sich im Irak und in Syrien territorial ausgebreitet hatte, ist als FlĂ€che verschwunden. Er ist aber nicht weg. Gleichzeitig gibt es von Afrika bis Afghanistan KĂ€mpfe gegen die Dschihadisten. Wie sehen Sie die Geschichte dieser militanten religiösen Bewegung? Ist sie ĂŒber ihren Zenit?

WIR WEICHEIER

Der Terror ist in Europa angekommen, und unsere Regierungen scheinen hilflos dagegen. Nicht einmal die primĂ€re staatliche Aufgabe der Grenzsicherung gelingt der EU. Könnte sich Europa heute ĂŒberhaupt noch militĂ€risch verteidigen? Der Autor ist skeptisch und bezieht die ganze westliche Welt in seine Analyse ein. Martin van Creveld: Wir Weicheier Ares Verlag, 2. Aufl. Graz 2017. ISBN 978-3-902732-67-5 A € 19,90 / D € 19,90

Der IS scheint, wenngleich nicht zur GĂ€nze besiegt, zumindest weit in eine Ecke zurĂŒckgedrĂ€ngt worden zu

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INTERVIEW

Foto: Kees Metselaar / Alamy Stock Foto

„In Kriegen niedriger IntensitĂ€t haben die westlichen Armeen – wenn man die Bilanz der letzten 75 Jahre betrachtet – keine besonders gute Figur gemacht.“

In Afghanistan sind die Taliban letztendlich nie besiegt worden. Sie kÀmpfen weiter.

sein, aus der er nicht mehr so einfach herauszukommen scheint. Wie Sie aber schon selbst sagen, sind der IS und der islamistische Terror nicht dasselbe. Denn letzterer existierte schon lange, bevor es den IS gab, und er wird zweifellos auch noch lange nach dem Verschwinden des IS existieren. Sie haben einmal in einem Interview gesagt: „Die Guerillas sind besser.“ Was macht sie so viel besser als die hochtechnisierten Armeen des Westens?

Diese Phrase stammt nicht von mir. TatsĂ€chlich handelt es sich dabei um ein Zitat eines amerikanischen Soldaten, der in Afghanistan kĂ€mpfte und mit seinen Kameraden ĂŒber die „Haji“, so nannten sie den Feind, sprach. Wie Sie wissen, habe ich ein ganzes Buch („Wir Weicheier“) ĂŒber die westlichen StreitkrĂ€fte und ihre heutigen SchwĂ€chen geschrieben. An dieser Stelle möchte ich nur die wichtigsten Punkte herausstreichen. NĂ€mlich: a) wie Kinder in westlichen Gesellschaften absichtlich und bewusst bevormundet werden, um zu verhindern, dass sie zu mĂŒndigen

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Erwachsenen werden; b) die Tatsache, dass Befehlshaber westlicher Truppen aufgrund der vorherrschenden Personalpolitik tendenziell Ă€lter sind – und je fortgeschrittener das Alter, desto problematischer die Situation; c) der Umgang der betreffenden StreitkrĂ€fte mit ihren Soldaten, als seien sie Kinder; d) dass das gegenseitige Vertrauen unter den Soldaten durch eine große Anzahl von Gesetzen und AnwĂ€lten ersetzt wurde; e) die Feminisierung der StreitkrĂ€fte, die – neben der Unterminierung von Disziplin und Zusammenhalt – den Großteil der Ausbildung in einen schlechten Witz verwandelt hat; f) die Art und Weise, wie in der Truppe mit PTSD umgegangen, ja diese gar gefördert wird; g) die Art und Weise, wie westliche Gesellschaften Krieg delegitimieren, indem sie sich weigern, zuzugeben, dass dieser manchmal absolut notwendig ist. Anstatt jene zu belohnen, die geschworen haben, ihr Volk zu verteidigen, werden diese allzu oft als „Militaristen“ diffamiert. Das alles könnte man in nur drei Worten zusammenfassen: Motivation, Motivation, Motivation. Oder, um es mit Napoleon zu sagen: „Im Krieg

ĂŒberwiegt der Kampfgeist die WaffenstĂ€rke im VerhĂ€ltnis von drei zu eins.“ Seit Osama bin Laden seine Flugzeuge in die zwei TĂŒrme in New York geschickt hat, gibt es einen globalen „War on Terror“, der nicht nur von den USA gefĂŒhrt wird. Wie ist die Bilanz dieses Krieges? Hat er nicht mehr geschadet als genutzt?

Das zu beurteilen ist eher schwierig. Ich wĂŒrde aber keinesfalls sagen, dass der weltweite Kampf gegen den Terror kontraproduktiv gewesen ist. Ohne diesen hĂ€tten sich Organisationen wie al-Qaida und der IS – meiner Ansicht nach – noch viel weiter ausgebreitet und einen noch grĂ¶ĂŸeren Schaden angerichtet, als sie es ohnehin schon taten. Möglicherweise hĂ€tten wir dann jĂ€hrlich irgendwo auf der Welt so etwas wie den 11. September erlebt. Andererseits kann ich auch nicht sagen, dass wir dabei sind, diesen Krieg zu gewinnen. Wir scheinen uns in einem Patt zu befinden, das noch lĂ€nger andauern könnte. Oder aber das Patt wird jeden Moment gesprengt. Meiner EinschĂ€tzung nach wĂŒrde solch eine Sprengung eher von Terroristen als von zwei wichFR E I L I CH


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INTERVIEW

Den langen Krieg in Afghanistan versucht der Westen mit VerbĂŒndeten im Land zu gewinnen. Dabei sind die Fronten nicht immer klar.

tigen, gegeneinander Krieg fĂŒhrenden LĂ€ndern herbeigefĂŒhrt werden. Wie in vielen Kriegen sieht man auch hier neue Technologien auftauchen. Das Symbol fĂŒr den Krieg gegen den Terror ist wohl die Drohne geworden, die, von einem anderen Kontinent aus gesteuert, irgendwo jemand VerdĂ€chtigen mit einer Rakete tötet. Und das in nicht kleiner Zahl. Wie bewerten Sie den Drohnenkrieg? Ist er effizient?

Drohnen spielen im Kampf gegen den Terrorismus zweifellos eine wichtige Rolle, sie sind aber mit Sicherheit nicht alles. Andernfalls hĂ€tten wir den Terror schon lĂ€ngst besiegt, oder? Zumal Drohnen, die relativ gĂŒnstig und einfach zu beschaffen sind, nicht nur gegen Terroristen, sondern auch von den Terroristen selbst eingesetzt werden. Von einem breiteren Standpunkt aus betrachtet, wĂŒrde ich sagen, dass Drohnen, aber auch die Technologie ganz allgemein, eine herausgehobene Rolle im Krieg einnehmen. Im Grunde könnte man aber sagen, dass viel von der KriegsfĂŒhrung nach 1945 – wenn nicht sogar die gesamte – ein einziger N ° / 11 / FE B R UA R 2021

Beweis dafĂŒr ist, dass technologische Überlegenheit eben nicht der ausschlaggebende Faktor ist. Organisationen wie die Hamas, die Hisbollah, die Taliban, die Nationale Front fĂŒr die Befreiung SĂŒdvietnams (Vietcong), die Nationale Befreiungsfront (FLN), die Việt Minh und so weiter, bis zurĂŒck zu jenen jĂŒdischen Organisationen vor 1948, wie der Irgun Zwai Leumi (ETZEL), hĂ€tten sonst nie auch nur eine Chance gehabt, zu ĂŒberleben oder gar zu gewinnen. Sie haben viel MilitĂ€r persönlich gesehen: Was sind die Vorteile der westlichen Art, Krieg zu fĂŒhren, was ihre Nachteile?

Es herrscht die Meinung vor, dass westliche Armeen – trotz all ihrer UnzulĂ€nglichkeiten – sehr gut darin seien, gegen andere Armeen gleicher Art zu kĂ€mpfen. Vielleicht ist das so. Was im Falle eines ernsthaften Zusammenstoßes zwischen amerikanischen und russischen oder chinesischen StreitkrĂ€ften passieren wĂŒrde, kann man aber nur vermuten. Das „Problem“ ist, dass Kriege, in denen sich regulĂ€re staatliche StreitkrĂ€fte auf ernsthafte Art und Weise gegenĂŒberstehen, aufgrund der

Verbreitung von Atomwaffen und der Angst davor, sie könnten zum Einsatz kommen, ziemlich selten geworden sind. Wie ich in meinem 1991 erschienenen Buch „Die Zukunft des Krieges“ erörtert habe, werden diese in Zukunft wahrscheinlich noch seltener werden. Was bleibt, sind Terrorismus, Guerillakriege, Kriege von niedriger IntensitĂ€t, oder wie auch immer man die besagten Konflikte nennen will. Alles Kriege, in denen die westlichen Armeen – wenn man etwa die Bilanz der letzten 75 Jahre betrachtet – keine besonders gute Figur gemacht haben. Der trinitarische Krieg, wie ihn Clausewitz beschrieben hat, setzt den Unterschied zwischen Armee, Bevölkerung und Staat voraus. Sie haben ebenfalls die Geschichte des Nationalstaates untersucht. Ist er ihrer Meinung nach obsolet oder ein brauchbares Modell?

Ich denke, dass der Nationalstaat aus GrĂŒnden, die ich bereits in „Aufstieg und Niedergang des Staates“ erlĂ€utert habe, immer mehr an Relevanz verliert. Der Politikwissenschaftler Hans Morgenthau hat im Jahr 1948 sein bekanntes

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INTERVIEW

Drohnen sind ein relativ neues Wirkmittel fĂŒr die westlichen StreitkrĂ€fte. Vom Himmel aus werden Feinde beobachtet und durch SchlĂ€ge neutralisiert.

Werk „Macht und Frieden“ („Politics Among Nations“) veröffentlicht. In dem gesamten Werk, das vermutlich das komplette internationale Leben abdeckt und bis etwa 1970 ein Standardlehrbuch bleiben sollte, werden Organisationen, die nicht in die Kategorie „Staat“ fallen, nicht einmal erwĂ€hnt. Wenn aber – wie heutzutage – weltweit agierende Konzerne mĂ€chtiger sind als die große Mehrheit der Staaten und unzĂ€hlige nichtstaatliche Organisationen, gute wie schlechte, funktioniert ein derartiger Ansatz nicht mehr. Welche Meinung haben Sie vom deutschen MilitĂ€r? Wie sehen Sie die Bundeswehr heutzutage?

Um ehrlich zu sein, kann man die Bundeswehr momentan kaum als die wichtigste Armee der Welt bezeichnen, oder? Basierend auf dem, was ich gelesen und gehört habe, scheint die Situation – gelinde gesagt – problematisch zu sein. Die Bundeswehr hat ohne Zweifel mit allen von mir zuvor genannten Schwierigkeiten zu kĂ€mpfen. Dazu kommen aber noch weitere Herausforderungen, mit denen sich andere Armeen nicht konfrontiert sehen. Ich beziehe mich an dieser Stelle natĂŒrlich auf die NS-Vergangenheit. Mir ist durchaus bewusst, dass heute kein einziger ehemaliger Wehrmachtssoldat

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mehr in der Bundeswehr dient. Ich weiß auch um die BemĂŒhungen der Bundesregierung und des Oberkommandos der Bundeswehr, eine grĂ¶ĂŸtmögliche Distanz zwischen den beiden Armeen zu schaffen. Und doch ist es genau diese Vergangenheit, die es der Bundeswehr unmöglich macht, eine eigene MilitĂ€rkultur und -tradition zu entwickeln. Ohne eine solche Kultur und Tradition aber ist eine Armee – wie ich in meinem Buch „Kriegs-Kultur“ dargelegt habe – nichts wert. Sie haben sich intensiv mit der deutschen MilitĂ€rgeschichte auseinandergesetzt. Ihre – man muss sagen: legendĂ€re – Studie „Kampfkraft“ wurde gerade neu aufgelegt. Was kann man von der Wehrmacht lernen? Wo hat sie versagt?

Die Wehrmacht hat zweifellos ausgezeichnet operiert – und zwar auf allen Ebenen, also vom Gefreiten bis hin zum Armeebefehlshaber. Sogar Stalin, der nach einer ErklĂ€rung dafĂŒr suchte, warum die Wehrmacht selbst nach der herben Niederlage 1943/44 nicht zerfallen ist, hat das zugegeben. Allerdings gibt es drei Punkte, die uns daran hindern, von der Wehrmacht zu lernen. Erstens verlor die groß angelegte konventionelle KriegsfĂŒhrung, die zu den StĂ€rken der Wehrmacht zĂ€hlte,

durch die Verbreitung von Atomwaffen immer mehr an Bedeutung. Zweitens kam der verbreitete Einsatz von Computer- und Kommunikationstechnologien in allen modernen Armeen hinzu. Das Problem dabei ist, dass solche Technologien geradezu nach so etwas wie Mikromanagement verlangen, wodurch eine Auftragstaktik dann aber fast schon verunmöglicht wird. Drittens kommt noch die Tatsache hinzu, dass die Wehrmacht letzten Endes Teil eines der mörderischsten Regime der Geschichte war. Zwar war sie nicht der HaupttĂ€ter, doch sie war bis zu einem gewissen Grad an den Verbrechen beteiligt. Welche Auswirkungen hat ihre „Kampfkraft“-Studie gehabt? Wer hat wirklich etwas daraus gelernt?

An dieser Stelle wĂŒrde ich gerne wieder mit einer Geschichte antworten. Vor Jahren behandelte ich mit einer Gruppe von Studenten den großen britischen Ökonomen Thomas Malthus. Einer der Studenten sollte Malthus den anderen nĂ€her vorstellen. Dabei betonte er immer wieder, wie einflussreich Malthus gewesen sei, was sich darin gezeigt habe, dass er von diesem und jenem Prinzen, diesem und jenem Premierminister usw. gelesen wurde. Als ich dann wieder am Wort war, erzĂ€hlte ich den FR E I L I CH


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FĂŒr wirklich große LĂ€nder bleibt globale Seemacht wichtig.

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INTERVIEW

„Eine Armee ohne eine Tradition, von der sie getragen wird, kann weder existieren noch kĂ€mpfen.“

Studenten, dass Malthus – allein schon der Anzahl der Suchtreffer bei Google nach zu urteilen – weitaus bekannter ist als all jene, die ihn angeblich gelesen haben. Und warum ist das so? Nicht etwa, weil zu dieser Zeit jemand seinen Rat befolgt hĂ€tte, der lautete, Hungersnöte zu verhindern, indem man Arme davon abhielt, Kinder zu bekommen (das kam erst spĂ€ter), sondern weil er Generationen von Lesern dazu brachte, ĂŒber Überbevölkerung und ihre Ursachen, ihre Auswirkungen, und mögliche Mittel dagegen nachzudenken. Ich behaupte nicht, Malthus zu sein. Genauso wenig ist „Kampfkraft“ mit seinem Werk „Das Bevölkerungsgesetz“ („Essay on the Principle of Population“) gleichzusetzen. Nichtsdestotrotz wurde mein Buch – neben dem englischen Original – in mehreren Sprachen veröffentlicht, nĂ€mlich in Arabisch, Deutsch, Chinesisch, Japanisch und Polnisch. Eine koreanische Fassung ist außerdem in Arbeit. Es wird immer wieder nachgedruckt, sogar noch vier Jahrzehnte, nachdem ich es geschrieben habe. Offensichtlich regt es Menschen also zum Nachdenken darĂŒber an, was genau eigentlich „Kampfkraft“ ist und wie Armeen aufgebaut sein mĂŒssten, um diese zu erlangen und aufrechtzuerhalten. Die Bundeswehr, aufgebaut von Wehrmachtssoldaten, hat sich immer schwergetan mit ihrer eigenen, deutschen Tradition. Wie sollte eine moderne deutsche Armee damit umgehen? Wie wichtig ist ĂŒberhaupt Tradition fĂŒr Armeen?

Wie Sie wissen, bin ich Jude und Israeli. Meine Eltern und Verwandten haben den Holocaust in ihrer Heimat,

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den Niederlanden, selbst durchgemacht. Einige von ihnen wurden nach Auschwitz gebracht und sind nie mehr zurĂŒckgekehrt. Sie werden mir also verzeihen mĂŒssen, wenn ich sage, dass die Versuche der Bundeswehr, ihre Vergangenheit zu bewĂ€ltigen, indem sie sich von der Wehrmacht distanziert, ein wichtiger Punkt fĂŒr mich sind, der auch fĂŒr sie spricht. Andernfalls hĂ€tte ich mich nie so mit ihr beschĂ€ftigen können, wie ich es getan habe. BezĂŒglich Ihrer zweiten Frage kann ich nur wiederholen, was ich bereits in „Kriegs-Kultur“ gesagt habe, und zwar, dass die Tradition fĂŒr jede Armee der Inbegriff dessen ist, wofĂŒr sie kĂ€mpfen und notfalls auch sterben soll. Folglich kann eine Armee ohne eine Tradition, von der sie getragen wird, weder existieren noch kĂ€mpfen. Nicht die Stammestruppe, deren Waffen Speere, Bögen und Pfeile sind. Nicht die moderne Truppe, die mit der F-15, F-22, F-35 oder weiß Gott noch welchen Arten von Fs ausgestattet ist. Denn nimmt man die Tradition weg, so bleibt entweder ein reiner Mob oder eine seelenlose Maschinerie ĂŒbrig, die lediglich aus Robotern besteht. Wir reden hier ĂŒbrigens die ganze Zeit nur ĂŒber die Bundeswehr, aber was ist eigentlich mit dem österreichischen Bundesheer? Denken Sie nicht, dass auch das mit einigen der genannten Probleme zu kĂ€mpfen hat oder es zumindest sollte? Das deutsche Kommando SpezialkrĂ€fte wĂ€re zuletzt fast wegen RechtsextremismusvorwĂŒrfen aufgelöst worden. Politisch korrekte Maßnahme oder Fail? Wie sollte ein moderner Staat seine Spezial-

krĂ€fte fĂŒhren? Welche Funktion haben diese im modernen Krieg?

Das Problem mit der politischen Korrektheit ist keines, das sich rein auf Rechtsextremismus, die SpezialkrĂ€fte der Bundeswehr oder auf die Bundeswehr als Ganzes beschrĂ€nkt. Auch nicht auf viele der modernen Armeen im Allgemeinen. Es ist ein GeschwĂŒr, das die grundlegendsten Werte des Westens angreift und seinen Kollaps herbeifĂŒhren wird, sollte es nicht zerstört werden können. Zur Rolle der SpezialkrĂ€fte habe ich noch eine weitere Geschichte. In Israel erlebten wir 1973 – also vor fast einem halben Jahrhundert – den Oktoberkrieg zwischen Ägypten und Syrien. Als der Krieg vorbei war, entbrannte eine hitzige Debatte darĂŒber, wie sich die israelischen StreitkrĂ€fte reformieren sollten. Ein wichtiger Teilnehmer der Debatte war der damalige stellvertretende Generalstabschef und General des Panzerkorps, Israel Tal. Er betonte, dass die Menschen damals nicht wissen wollten, wie viele Truppen Israel im Sinai und auf dem Golan hatte, als der Krieg ausbrach. Was sie wissen wollten – und das auch zu Recht –, war, wie viele Panzer an jedem dieser SchauplĂ€tze eingesetzt werden konnten. Doch das war 1973. Die regulĂ€re KriegsfĂŒhrung ist, wie wir inzwischen festgestellt haben, weitestgehend durch Terrorismus und Guerillakriege ersetzt worden. Und um damit fertigzuwerden, sind vor allem SpezialkrĂ€fte nötig. Sie sind bekannt dafĂŒr, dass Sie Frauen beim MilitĂ€r nicht wirklich eine Rolle zuerkennen. Widerspricht Ihnen da nicht faktisch die große Zahl an Frauen, die dienen? FR E I L I CH


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INTERVIEW

HĂŒbsche MĂ€dchen, schöne Bilder: Frauen in den Israeli Defense Forces. Martin van Creveld hĂ€lt davon nichts.

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INTERVIEW

„Um mit Terrorismus und Guerillakrieg fertigzuwerden, sind vor allem SpezialkrĂ€fte nötig.“

Und war es nicht gerade der moderne Krieg, der die Emanzipation der Frauen vorangetrieben hat?

An dieser Stelle muss ich Sie leider korrigieren: Ich bin dafĂŒr nicht bekannt, sondern berĂŒchtigt. Und zwar so sehr, dass es sogar Menschen gibt, die ihren Job verloren haben, nur weil sie mich zu diesem Thema zitiert haben. Frauen mögen zwar im MilitĂ€r dienen, doch die Tatsache, dass im Irak – proportional gesehen – siebenmal so viele mĂ€nnliche amerikanische Soldaten wie weibliche getötet wurden, zeigt klar, dass Frauen nicht kĂ€mpfen. Alles, was sie tun, ist, Schwierigkeiten zu bereiten und sich zu beklagen. Und zwar ĂŒber sexuelle BelĂ€stigung, ein Thema, bei dem man es schon so weit getrieben hat, dass mĂ€nnliche Soldaten ihre weiblichen „Kameraden“ mittlerweile mehr fĂŒrchten als den Feind. DarĂŒber, dass sie gleichbehandelt werden – etwa, wenn sie, wie ihre mĂ€nnlichen Kollegen, an den anstrengenden Trainingseinheiten teilnehmen mĂŒssen. DarĂŒber, dass sie nicht gleichbehandelt werden – etwa, wenn sie versuchen, Einheiten beizutreten, fĂŒr die sie körperlich nicht geeignet sind. DarĂŒber, dass Faktoren wie Menstruation, Schwangerschaft, Geburt usw. unzureichende Anerkennung und BerĂŒcksichtigung finden. Und noch ĂŒber hundert andere, oft widersprĂŒchliche Dinge. Ich erzĂ€hle Ihnen noch eine letzte Geschichte. Vor einigen Jahren war ich Gast in einer Fernsehsendung, die sich mit Frauen im israelischen MilitĂ€r beschĂ€ftigte. Mein GegenĂŒber war ein weiblicher Oberst im Ruhestand. Da sie im Beraterstab fĂŒr Frauen des Generalstabschefs – einer Position, die natĂŒrlich nur mit einer Frau besetzt werden kann – gedient hatte, war sie mit dem

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Thema sehr gut vertraut. Ich begann, indem ich sagte, dass ich – entgegen meines Rufs, ein mĂ€nnlicher Chauvinist zu sein – froh wĂ€re, wenn es mehr Frauen in den Kampftruppen gĂ€be. Warum? Weil Krieg eine tödliche Angelegenheit ist. Wenn Frauen kĂ€mpfen und dabei getötet wĂŒrden, könnte das Leben von jungen MĂ€nnern – wie etwa meinem Enkel – verschont bleiben. Als Oberst muss sie etwa 25 Jahre im MilitĂ€rdienst verbracht haben. Und doch schien ihr die Vorstellung davon, dass Krieg tödlich ist, neu zu sein. Vor lauter Fassungslosigkeit begann sie zu stottern. SpĂ€ter verweigerte sie mir noch den Handschlag. Ist die Zuneigung vieler MĂ€nner zum MilitĂ€r nicht eine nostalgische Erinnerung an mĂ€nnliche Werte? Hat diese Form der MĂ€nnlichkeit eine Zukunft in unseren westlichen Gesellschaften?

Die Frage, ob mĂ€nnliche Werte in der westlichen Gesellschaft noch eine Zukunft haben, kann ich Ihnen nicht beantworten. Was ich Ihnen aber sagen kann, ist, dass eine Gesellschaft, die keine solche Werte hat, oder, anders gesagt, die im Verteidigungsfall keine Bereitschaft zu sterben zeigt, am Ende von einer Gesellschaft geköpft werden wird, die diese Bereitschaft – anders als sie – sehr wohl zeigt. Wenn wir den Bogen vielleicht zum GesprĂ€chsbeginn zurĂŒckfĂŒhren: Was sind fĂŒr Sie die grĂ¶ĂŸten militĂ€rischen Herausforderungen des kommenden Jahrhunderts?

Der Umgang mit Terrorismus, Guerillataktiken oder der „4. Generation der KriegsfĂŒhrung“ – ein Begriff, der von meinem amerikanischen

Freund Bill Lind geprĂ€gt wurde –, oder der nicht trinitarischen KriegsfĂŒhrung, oder wie auch immer man das nennen mag. Herr van Creveld, Sie haben sich ihr ganzes Leben mit MilitĂ€r und Krieg beschĂ€ftigt. Was halten Sie vom Frieden?

Das stimmt so nicht ganz. Gott sei Dank habe ich auch noch ein Leben abseits der MilitĂ€rforschung. Ich habe eine Frau, Kinder, Enkelkinder, Freunde usw. Ich liebe es, zu schwimmen, besonders in den Seen von Potsdam. Wenn Sie sich meinen Lebenslauf ansehen, werden Sie außerdem feststellen, dass ich noch ĂŒber viele andere Themen geschrieben habe. Ein Grund dafĂŒr ist, dass MilitĂ€rgeschichte nicht fĂŒr sich allein stehen kann. Wie ich meinen Studenten immer zu sagen pflegte, hat es nie einen guten MilitĂ€rhistoriker gegeben, der ausschließlich MilitĂ€rhistoriker war. Was die zweite HĂ€lfte Ihrer Frage betrifft, so weiß ich, dass der ehemalige israelische Premierminister Menachem Begin in Europa keinen besonders guten Ruf genießt. Dennoch wĂŒrde ich gern eine seiner Reden zitieren. Sie wurde 1978 gehalten, als ihm der Friedensnobelpreis verliehen wurde: „Das Wundervolle am Leben ist der Friede. Er ist Sonnenschein. Er ist das LĂ€cheln eines Kindes, die Liebe einer Mutter, die Freude eines Vaters, das gemeinsame Miteinander einer Familie. Es ist die Weiterentwicklung des Menschen, der Sieg der gerechten Sache, der Triumph der Wahrheit. Der Friede steckt in all diesen Dingen – und in vielen mehr.“ Das hat er schön gesagt, finden Sie nicht auch? Leider neigt der Friede aber dazu, langweilig zu sein. Deshalb wird er – um es mit Pascal zu sagen – auf Dauer unertrĂ€glich. FR E I L I CH


Foto: Archiv

INTERVIEW

Zur Person

Krieg und Frieden

MilitĂ€rgeschichte ist vielleicht nicht jedermanns Sache. Martin van Crevelds Analysen ĂŒber MilitĂ€r und Gesellschaft muss man dennoch gelesen haben.

In seiner Branche gilt Martin van Creveld allemal als fĂŒhrend. Er wurde 1946 in Rotterdam in den

Niederlanden geboren; sein Onkel und weitere Verwandte sind im Holocaust ermordet worden. 1950 ĂŒbersiedelte die Familie nach Israel, wo Creveld von 1964 bis 1969 an der HebrĂ€ischen K AMPFKRAFT

Das Standardwerk vergleicht Struktur und Leistung der deutschen und amerikanischen Truppen im Zweiten Weltkrieg. Martin van Creveld: Kampfkraft Ares Verlag, 6., erg. Aufl. Graz 2021. ISBN 978-3-99081-068-2 A € 19,90 / D € 19,90

UniversitÀt Jerusalem Geschichte studierte. Das Doktoratsstudium folgte bis 1971 an der London School of Economics. Seine Dissertation wurde auch zu seinem ersten Buch, das 1973 erschien:

„Hitler’s Strategy 1940–1941. The Balkan Clue“. Am militĂ€rischen Gebiet bringt er es in der Folge zur Meisterschaft. Selbst war er 1964 aus gesundheitlichen GrĂŒnden ausgemustert worden und musste daher in Israel nie Wehrdienst leisten.

Auf geistigem Gebiet bringt Creveld dagegen militÀrische Höchstleistungen. Er ist der Autor von

16 Werken zum Thema MilitĂ€rgeschichte und -strategie, von denen „Supplying War. Logistics from Wallenstein to Patton“ (1977), „Command in War“ (1985), „The Transformation of War“ (1991), „The

Sword and the Olive“ (1998) – zur Geschichte der Israelischen VerteidigungsstreitkrĂ€fte – und „The Rise and Decline of the State“ (1999) zu den bekanntesten gehören. Dazu kommen ungezĂ€hlte

VortrĂ€ge und zahlreiche AufsĂ€tze. Crevelds BĂŒcher (insgesamt bisher 26) wurden in zahlreiche Sprachen ĂŒbersetzt.

Im deutschsprachigen Raum wurde Martin van Creveld mit seiner Studie „Kampfkraft“ (1989) be a

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mit den Lesern gemein habe, die seine Darstellung als Entlastung der Wehrmacht hinsichtlich ihrer

Beteiligung an Kriegsverbrechen missverstehen. Das bereits klassische Standardwerk ist vielmehr ein in der Praxis wirkmÀchtiges Buch, denn es vergleicht die deutsche und die US-Armee im Zweiten

Weltkrieg. Daraus haben die Amerikaner praktische SchlĂŒsse fĂŒr die Aufstellung ihrer Truppen ge oge , e

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weil Soldaten aus gleichen Regionen kommen und immer in der Einheit bleiben. „Die Zukunft des WARUM WIR K ÄMPFEN

Das vorliegende Buch behandelt die Grundprobleme des Krieges in allen Zeitaltern: Wer fĂŒhrt Krieg? Worum geht es im Krieg? Wie wird Krieg gefĂŒhrt und warum? Martin van Creveld: Kriegs-Kultur Ares Verlag, Graz 2011. ISBN 978-3-902475-97-8 A € 34,90 / D € 34,90

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Martin van Creveld ist aber nicht nur ein Geschichtsschreiber. Er besticht auch durch seine aktuellen

Analysen. Die „Zukunft des Krieges“ sieht er in der Ablösung der Clausewitzschen Vorstellung

vom Krieg: „Ich habe vor 30 Jahren den Terminus des ‚dreifĂ€ltigen Kriegs‘ erfunden. FĂŒr den zwischenstaatlichen Krieg war ein klarer Unterschied zwischen Regierung, StreitkrĂ€ften und Zivilisten charakteristisch, wie Carl von Clausewitz (1780–1831) herausgestellt hat. Ab der zweiten

HĂ€lfte des 17. Jahrhunderts hat man so in Europa und spĂ€ter woanders Krieg gefĂŒhrt. Wenn man sich nicht daran gehalten hat, galt das als Kriegsverbrechen. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist diese Arbeitsteilung zusammengebrochen.“ Daraus ergibt sich auch das Scheitern regulĂ€rer Armeen im

Kampf gegen Partisanen, AufstĂ€ndische und Terroristen. Es entsteht eine Asymmetrie, die fĂŒr die Armeen des Westens nicht mehr bewĂ€ltigbar ist. Die Erfahrungen der Amerikaner in Afghanistan und Irak belegen diese Prognose.

Gegen Frauen in Armeen spricht sich Martin von Creveld strikt aus. „Das bevorzugte Geschlecht“

Alle BĂŒcher sind im FREILICH-Buchladen erhĂ€ltlich. freilich-magazin.at/shop

ist auch jenes seiner BĂŒcher, das vermutlich am meisten Ablehnung erfahren hat. Mit „Pussycats“

(„Wir Weicheier“) legte Creveld nach: Detailliert beleuchtet der MilitĂ€rexperte, wie den StreitkrĂ€ften Schritt fĂŒr Schritt die ZĂ€hne gezogen wurden, sodass sie heute kaum noch funktionsfĂ€hig sind.

LĂ€ngst emeritiert, bleibt Creveld ein streitbarer und kritischer Historiker, dessen BĂŒcher man mit grĂ¶ĂŸtem Gewinn liest.

Die Homepage von Martin von Creveld: martin-van-creveld.com N ° / 11 / FE B R UA R 2021

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Foto: imago / EST&OST

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Der „Dingo“ der 3. Task Force steckt bei Nawabad westlich von Kunduz im Fluss fest. Trotzdem wissen die deutschen Soldaten: „Wir schaffen das.“

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Der verfahrene

Karren

Falsche PrioritÀten, verfehlte Verteidigungspolitik. Die Bundeswehr hat gerade ihren schwÀchsten Moment. VON KEVIN DOROW UND HAGEN EICHBERGER

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ie Bundeswehr droht zu implodieren“, warnt der Chef des Bundeswehrverbandes, Oberstleutnant AndrĂ© WĂŒstner, im Interview mit der „Rheinischen Post“. Die Truppe sei einer permanenten Überlastung ausgesetzt, der politische Anspruch an die Aufgaben der Bundeswehr decke sich in keinster Weise mit der tatsĂ€chlichen Personal- und Materialausstattung. „Eine zu kleine Truppe hat zu viele Aufgaben zu bewĂ€ltigen.“ WĂŒstner malt gar das Szenario eines „Shutdown“ der deutschen Armee an die Wand, wohlweislich, um den Herren und vor allem Damen im Verteidigungsministerium auf die FĂŒĂŸe zu treten. Handlungsbedarf sieht der Verbandschef vor allem bei den teils maroden Waffensystemen, den nicht einsatzfĂ€higen Fahr- und Flugzeugen, in StĂŒtzpunkten dĂŒmpelnden MarineverbĂ€nden sowie sonstigen reparaturbedĂŒrftigen GerĂ€tschaften. Vor allem die desaströse Einsatzbereitschaftslage der Hauptwaffensysteme und der immense Modernisierungsstau lassen den Einsatz aus SicherheitsgrĂŒnden oftmals gar nicht mehr zu. Doch statt sich dieser Problemfelder anzunehmen, werden der Bundeswehr zusĂ€tzlich zu den bereits laufenden Missionen neue Aufgaben „im Krisen- und Konfliktmanagement oder im BĂŒndnis“ aufgebĂŒrdet. Die wenigen im realen Kampfeinsatz stehenden Soldaten werden nach ihrer RĂŒckkehr sofort an anderer Stelle gebraucht und dorthin beordert. „Wenn die Zeit dafĂŒr fehlt, weil die Menschen aus Afghanistan oder Mali zurĂŒckkommen, dann ins Baltikum oder auf die nĂ€chste Übung mĂŒssen, dann ist diese Art der Überreizung ein Fehler im System“, so WĂŒstner, der daraus folgert: „Die Bundeswehr soll wieder wachsen“ – personell, materiell und finanziell. Doch woher nehmen, wenn nicht stehlen? Der Verteidigungshaushalt steigt seit Jahren zwar stetig an – im Jahr 2021 auf 46,93 Milliarden Euro –, doch die verheißungsvoll angekĂŒndigte „Trendwende Finanzen“ ist weit davon entfernt, die NATO-Vorgabe von 2 % des Bruttoinlandsproduktes zu erfĂŒllen. Das Finanzministerium hat zwar bereits angekĂŒndigt, ĂŒber das verabschiedete Corona-Konjunkturpaket auch die Bundeswehr mit ins Boot zu holen. Doch IT-Projekte,

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Lkw-Beschaffung oder Munitionskauf mögen zwar helfen, die Konjunktur anzukurbeln – den Gefechtswert einzelner Einheiten oder gar die Kampfkraft der gesamten Truppe vermögen sie nicht zu steigern. Werfen wir einen Blick auf den Zustand der Bundeswehr im Jahr 2021, so sehen wir eine Armee, die hoch professionelle Spezialeinheiten und Kommandosoldaten mit international hohem Ansehen vorweisen kann. Dies ist jedoch dem Umstand geschuldet, dass an der „Heimatfront“ die Masse der Einheiten vor sich hindĂŒmpelt und eigene AusrĂŒstung sowie Fahrzeugund Ersatzteile oftmals an die im Auslandseinsatz befindlichen Einheiten abgeben mĂŒssen. Die Ausrichtung auf diese Missionen fernab der Heimat hat zwar das weltweite Bild der Bundeswehr aufpoliert, jedoch lauert hinter der Fassade der erfolgreichen Einsatzarmee eine einsturzgefĂ€hrdete Bauruine.

Deutsche AuslandseinsĂ€tze Der erste internationale Einsatz sollte die junge Bundeswehr nach Nordafrika fĂŒhren: Im November 1959 unterstĂŒtzte die deutsche Luftwaffe Marokko humanitĂ€r durch Medikamentenlieferungen – ebenso folgte der erste große Einsatz nach dem massiven Erdbeben von Agadir im darauffolgenden Jahr als UnterstĂŒtzungsmission. Bis in das Jahr 1991 folgten weitere 133 EinsĂ€tze; jeder war humanitĂ€r strukturiert. Doch mit dem Wendejahr sollte sich diese Ausrichtung Ă€ndern. Die Konzeption der Bundeswehr als Verteidigungsarmee war im VerstĂ€ndnis der Bundesrepublik seit ihrer GrĂŒndung fest verankert, doch der Wandel in der Einsatzwirklichkeit schritt voran. Die Bundeswehr wurde nach 1990 im Rahmen „friedenserhaltender“ und „friedenssichernder“ Maßnahmen verstĂ€rkt außerhalb Deutschlands eingesetzt, der Zweite Golfkrieg (1990/91) beteiligte deutsche Soldaten erstmals seit 1945 – wenn auch indirekt – an einem bewaffneten Konflikt. Neben einer Vielzahl kleinerer EinsĂ€tze wurden insbesondere die BundeswehreinsĂ€tze auf dem Balkan und in Afghanistan zu einem Wendepunkt in der deutschen Sicherheitspolitik. Bei aller berechtigten – politischen – Skepsis gegenĂŒber den KampfeinsĂ€tzen der Truppe im AusFR E I L I CH


Foto: Bundeswehr / Robert Habermann

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Die Eroberer sind da. Im Einsatz erobert die Bundeswehr die Herzen der Kinder der Welt.

land hat gerade die Gefechtspraxis deutscher Soldaten in Afghanistan dazu beigetragen, kampferfahrene und fronttaugliche Einheiten herauszubilden. Waren diese „Lehrjahre“ fĂŒr die kĂ€mpfende Truppe von enormer Wichtigkeit, sind die wehrpolitischen Konsequenzen aus dem Afghanistaneinsatz ambivalent. 54 deutsche Soldaten hat dieser Einsatz das Leben gekostet. Der unter der Vorherrschaft des in der NATO dominierenden VerbĂŒndeten USA vorangetriebene „Krieg am Hindukusch“ brachte dem Mittleren Osten vor allem eines: InstabilitĂ€t. 1,2 Millionen Menschen innerhalb Afghanistans sind heute auf der Flucht. Die Zahl ziviler Opfer wird auf mehrere Hunderttausend geschĂ€tzt. Die EinsĂ€tze und Operationen („Resolute Support“, „International Security Assistance Force“ u. a.) sollten die zum damaligen Zeitpunkt herrschenden Taliban sowie das al-Qaida-Netzwerk dezimieren. Doch entgegen der erhofften Wirkung wurden die Taliban nur anfĂ€nglich geschwĂ€cht, heute sind sie wieder bestimmender Faktor in der afghanischen Politik und Gesellschaft. Nach Afghanistan ist Mali der aktuell gefĂ€hrlichste Einsatz. Seit nunmehr ĂŒber sieben Jahren ist die deutsche Armee hier in Westafrika im Einsatz. Der eigentliche Auftrag lautet: Frieden schaffen. Das Ergebnis sieht mitnichten besser aus als in Afghanistan. HansGeorg Ehrhart vom Hamburger Institut fĂŒr Friedensforschung und Sicherheitspolitik hĂ€lt fest, die internaN ° / 11 / FE B R UA R 2021

tionale Gemeinschaft und mit ihr die Bundeswehr seien „vom Ziel, dort fĂŒr StabilitĂ€t zu sorgen [
], nach wie vor weit entfernt“. In der Hauptstadt des Landes, Bamako, bildet die Bundeswehr im Rahmen einer EU-Mission einheimische Soldaten aus, um die dortige Regierung zu stĂ€rken und so fĂŒr ein stabiles Staatskonstrukt zu sorgen. Des Weiteren organisiert die Bundesrepublik im Norden des Landes fĂŒr den UN-Einsatz „MINUSMA“ ein Lager zur Feindbeobachtung. Beide EinsĂ€tze wurden mit der Mehrheit des Deutschen Bundestages im FrĂŒhjahr 2019 zunĂ€chst bis Mai 2020 fĂŒr weitere 350 Millionen Euro verlĂ€ngert. Ein Ende ist auch weiterhin nicht in Sicht. Die nĂ€chste VerlĂ€ngerung wurde am 29. Mai 2020 beschloßen. Der Einsatz soll nun bis zum 21. Mai dieses Jahres fortgesetzt werden. Die personelle Obergrenze wurde derweil von 350 auf bis zu 450 deutsche Soldaten erhöht. Die Zukunft der Bundeswehr auf dem internationalen Parkett gestaltet sich seit Jahren als eine Art „Hilfsarmee“ innerhalb geostrategischer Projekte von NATO, EU sowie UN, die zuweilen von den eigennĂŒtzigen Interessen der BĂŒndnispartner abhĂ€ngig sind. Ein Beispiel: Sowohl im Norden Malis als auch im benachbarten Niger existieren Uranvorkommen, die französische Unternehmen fĂŒr Kernkraft werke abbauen, von denen die Stromversorgung Frankreichs in hohem Maße abhĂ€ngig ist. Der Nutzen fĂŒr deutsche Interessen ist nicht erkenntlich, auch das immer wieder im Kontext des Af-

AU S L A N D S E I N S ÄT Z E DER BUNDESWEHR

Die Bundeswehr befindet sich zum derzeitigen Zeitpunkt in zwölf AuslandseinsĂ€tzen auf drei Kontinenten. Von Afghanistan bis in die Westsahara sind dafĂŒr fast 3000 Soldaten stationiert. Nach Angaben der Bundeswehr sind seit 1992 114 Soldaten von AuslandseinsĂ€tzen nicht nach Hause zurĂŒckgekehrt. Bis Ende 2018 sind fĂŒr AuslandseinsĂ€tze etwa 21,6 Milliarden Euro an einsatzbedingten Zusatzausgaben angefallen.

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Die meiste Zeit seines Lebens wartet der Soldat vergebens. Gute Ausstattung im Einsatz hilft.

ghanistan-Krieges vorgebrachte Argument, die „FreiEs fehlen heit Deutschlands“ werde „am Hindukusch verteidigt“, Schutzwesten, ist auf den Kriegsschauplatz Mali nicht anzuwenden. Stiefel, moderDoch dies trifft auf das Gros der weltweiten EinsĂ€tze zu. Nach der Antwort auf eine Kleine Anfrage des Bunne Helme und destagsabgeordneten Andrej Hunko vom 28. Oktober Nachtsicht2018 hatte die Bundesrepublik Deutschland zu diesem gerĂ€te, um alle Zeitpunkt 424.000 Soldaten in insgesamt 52 AuslandseinsĂ€tze entsandt und kumulativ mehr als 21,6 Mrd. Soldaten ausEuro ausgegeben. 114 Bundeswehrsoldaten sind seit zurĂŒsten. Der 1990 nicht mehr in ihre Heimat zurĂŒckgekehrt (Stand: Zustand der Ge- 2021). bĂ€ude ist teils Probleme mit Material und RĂŒstung kritisch – von Die Problematik der falschen PrioritĂ€tensetzung und Duschkopf bis mangelnden Finanzwirtschaft im Rahmen einer von Hallendach. ÜberbĂŒrokratisierung und Fehlkalkulationen geplagten Bundeswehr ist ein in den vergangenen Jahren immer lauter vorgebrachter Missstand. Derzeit laufen bei der Bundeswehr rund 2300 RĂŒstungsvorhaben. Doch die grĂ¶ĂŸten RĂŒstungsprojekte im aktuellen Beschaffungshaushalt sind seit vielen Jahren mit Problemen behaftet: Der in die Jahre gekommene Eurofighter, die Fregattenklasse F125, der SchĂŒtzenpanzer „Puma“, das Transportflugzeug A400M, der „Tiger“ und der NH90. Die RĂŒstungsprojekte, die von Unternehmensberatern rund um die Gruppe KPGM nach Auftrag der frĂŒheren Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen unmittelbar nach ihrem Amtsantritt einer Bestandsaufnahme und Risikoanalyse unterzogen worden sind, waren von massiver Misswirtschaft geplagt. Das Urteil der Berater ist bezeichnend fĂŒr den seit

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Jahren desolaten Zustand in der Auftragserteilung. Die Auslieferung von Waffensystemen verzögert sich regelmĂ€ĂŸig, und viele RĂŒstungsprojekte sind weitaus teurer als vertraglich ausgehandelt und geplant. Wenn sie dann endlich ausgeliefert werden, sind sie zumeist nur teilfunktionabel, weisen in signifikantem Maße erhebliche MĂ€ngel auf. Beispiel Eurofighter: Als im Jahre 1987 das RĂŒstungsprojekt begann, wurden die Entwicklungs- und Beschaffungskosten des Eurofighter auf umgerechnet rund 14 Mrd. Euro geschĂ€tzt – die Bewaffnung war hierbei nicht einmal miteinberechnet. Inzwischen muss von einem Gesamtvolumen von 26 Mrd. Euro ausgegangen werden, obwohl die Anzahl der bestellten Flugzeuge sogar von 250 auf 143 reduziert worden ist. Der StĂŒckpreis stieg damit von 56 auf 181,8 Millionen Euro. Laut dem frĂŒheren Wehrbeauftragten Bartels waren im Jahr 2018 weniger als die HĂ€lfte der Eurofighter und „Tornados“ flugfĂ€hig. Diese UmstĂ€nde ziehen sich durch eine Vielzahl der RĂŒstungs- und Materialbeschaffungsprojekte, die die Bundeswehr seit Jahrzehnten begleiten. So landete am 19. Dezember 2014 der erste von den deutschen StreitkrĂ€ften ĂŒbernommene Airbus A400M auf dem niedersĂ€chsischen LuftwaffenstĂŒtzpunkt Wunstorf. Die eigentliche Auslieferungstermin war auf September 2010 terminiert. Am Tag der Übernahme sprach die damalige Verteidigungsministerin von der Leyen von einem „Tag der gemischten GefĂŒhle“. Der Airbus konnte mehrere Jahre lang weder Waffen, Material noch Soldaten aus der Luft absetzen. Eigenschutzsysteme fĂŒr EinsĂ€tze in Kampfzonen? Fehlanzeige. Auslieferungen weiterer Projekte verzögerten sich ĂŒber FR E I L I CH


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AufklĂ€rungsdrohnen sind okay. Bewaffnete Systeme mĂŒssen erst moralisch diskutiert werden.

Jahre hinweg. Der SchĂŒtzenpanzer „Puma“ wie auch der „German Deal“, der die ursprĂŒngliche Lieferung von 80 „Tigern“ beinhaltete, waren eine organisatorische Katastrophe. Abseits von Problemen bei RĂŒstungsprojekten zeigen sich allerdings auch Materialanschaff ung und Zustand der Bundeswehreinrichtungen in einem mangelhaften Licht: Es fehlen Schutzwesten, Stiefel, moderne Helme und NachtsichtgerĂ€te, um alle Soldaten auszurĂŒsten. Der Zustand der GebĂ€ude ist teilweise kritisch – angefangen vom Duschkopf bis zum Hallendach. Die Situation fĂŒhre laut dem ehemaligen Wehrbeauftragten Bartels dazu, dass die Bundeswehr gerade bei AuslandseinsĂ€tzen in Afghanistan und Mali auf zivile, ungeschĂŒtzte Transportmöglichkeiten ausweichen muss. Panzergrenadiere mĂŒssten auch mal „so tun als ob“ und mit einem VW-„Bulli“ ĂŒben statt mit einem SchĂŒtzenpanzer, da es schlicht an funktionsfĂ€higen Fahrzeugen fehlt. 2017 schloss das Verteidigungsministerium fĂŒr rund 21 Millionen Euro VertrĂ€ge mit dem ADAC ĂŒber 6500 Flugstunden fĂŒr Soldaten der Luft waffe ab, da es an „Tigern“ und NH90 mangelte. Die Marine steht keinen Deut besser da: 2017 waren alle sechs U-Boote ĂŒber einen lĂ€ngeren Zeitraum nicht einsatzbereit. Technische SchĂ€den an Batterien und Antriebspropellern waren die Ursache. Um Kosten einzusparen, waren diese Kleinteile nicht bei den Werften auf Vorrat bestellt worden. Sie mussten also eigens angefordert werden – das fĂŒhrte zu monatelangen Verzögerungen. Die erste der vier geplanten Fregatten des Typs F125, die „Baden-WĂŒrttemberg“, sollte bereits im Sommer 2017 an die Marine ĂŒbergeben werden. Wegen erster MĂ€ngel verschob sich der N ° / 11 / FE B R UA R 2021

EUROFIGHTER

Zu Projektbeginn 1987 wurden die Entwicklungs- und Beschaff ungskosten des Eurofighters ohne Bewaff nung auf umgerechnet rund 14 Mrd. Euro geschĂ€tzt. Heute sind hierfĂŒr rund 26 Mrd. Euro veranschlagt, obgleich die Anzahl der bestellten Flugzeuge von 250 auf 143 reduziert wurde. Der StĂŒckpreis stieg damit von 56 auf 181,8 Mio. Euro. Im Oktober 1997 beschloss die Bundesregierung die Beschaff ung von 180 Eurofightern in drei Tranchen. Als 2009 die Teiltranche 3A bestellt wurde, stellte sich heraus, dass durch Kostensteigerungen die bewilligten Haushaltsgelder praktisch aufgebraucht waren. In der Folge erklĂ€rte das Verteidigungsministerium im Herbst 2011, die ausstehenden 37 Flugzeuge nicht mehr zu ordern. Ende Oktober 2013 waren 103 Eurofighter an die Truppe ausgeliefert. In den Folgejahren sollten acht bis zehn Maschinen pro Jahr ausgeliefert werden. Zeitweise war davon die Rede, dass nur die HĂ€lfte der Eurofighter bei der Luftwaffe einsatzbereit sei.

M I L I TÄ R T R A N S P O R T E R A I R B U S A 4 0 0 M

Am 19. Dezember 2014 landete der erste von der Bundeswehr ĂŒbernommene MilitĂ€r-Airbus auf dem niedersĂ€chsischen LuftwaffenstĂŒtzpunkt Wunstorf. UrsprĂŒnglich war die Auslieferung bereits fĂŒr September 2010 geplant. Der erste A400M war jedoch lediglich zur Ausbildung gedacht. Und er hatte zu diesem Zeitpunkt trotz Verzögerungen betrĂ€chtliche MĂ€ngel. Der Airbus konnte mehrere Jahre lang weder Waffen und Material noch Soldaten aus der Luft absetzen. Es fehlte sogar ein Selbstschutzsystem fĂŒr EinsĂ€tze in Kampfzonen. Alle geforderten militĂ€rischen FĂ€higkeiten konnte der Transporter erst im vergangenen Jahr vorweisen. Auch die Auslieferung verzögerte sich weiter. Statt der geplanten fĂŒnf zusĂ€tzlichen Maschinen bekam die Bundeswehr 2015 lediglich zwei. Wegen der ausufernden Kosten wurden die Beschaff ungsplĂ€ne von 60 StĂŒck auf 53 reduziert. 40 sollen in der Bundeswehr genutzt und 13 weiterverkauft werden.

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Und da fÀllt er um: Die Aussetzung der Wehrpflicht in Deutschland ist ein Teil des Personalproblems.

DEUTSCHE KRIEGER

Ein Leutnant des Kaiserreiches, ein Offizier der Wehrmacht und ein ZugfĂŒhrer der Task Force Kunduz des Jahres 2010 haben mehr gemeinsam, als wir glauben. Zu diesem ĂŒberraschenden Schluss kommt Sönke Neitzel, der die deutsche „Kriegerkultur“ in all ihren Facetten untersucht. Sönke Neitzel: Deutsche Krieger. Vom Kaiserreich zur Berliner Republik PropylĂ€en Verlag, Berlin 2020, 816 Seiten. ISBN 978-3-54907-647-7 A € 36,00 / D € 35,00

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Termin. Nach Reparaturen befand sich das Schiff zuletzt seit Wochen auf Probefahrten in der Nordsee, vor Norwegen und vor Kiel. Ergebnis: Hardware und Software funktionieren nicht zuverlĂ€ssig. Die Probleme nehmen kein Ende. Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels, hat Ende Januar 2020 seinen damaligen Bericht zur Situation der StreitkrĂ€fte vorgestellt. Bartels beklagt darin insbesondere den Personal- und Materialmangel. Stattliche 21.000 Dienststellen „oberhalb der Laufbahn der Mannschaften“ seien im Dezember 2019 nicht besetzt gewesen. Zudem beschwerten sich Vorgesetzte hĂ€ufig ĂŒber den Zustand der Rekruten. „Bei Truppenbesuchen wird nicht selten von Vorgesetzten, Kompaniefeldwebeln oder Ausbildern bemĂ€ngelt, die ‚QualitĂ€t‘ der Soldaten sei schlechter geworden.“ Geeignetes Personal fehle vor allem bei der Luftwaffe, im Gesundheitswesen sowie den technischen Berufen. Bartels musste auch einrĂ€umen, dass die angekĂŒndigte „Trendwende Material“ weiterhin ausgeblieben sei. Auf diesem Gebiet gebe es seit Jahren keine wesentlichen Verbesserungen. „Danach soll 2019 zum Beispiel von 284 eingekauften neuen SchĂŒtzenpanzern ‚Puma‘ nur ein Viertel einsatzbereit gewesen sein.“ Ersatzteile fĂŒr Panzer wĂŒrden hĂ€ufig aus anderen Modellen geholt. Bei der Luftwaffe sehe es Ă€hnlich aus – nur ein Bruchteil der „Tiger“-Hubschrauber und „Tornado“-Kampfflugzeuge sei einsatzbereit. Aber es geht noch skurriler: Von angeblich 15 grĂ¶ĂŸeren Kriegsschiffen seien in Wirklichkeit nur neun vorhanden, rĂ€umt Bartels in seinem Bericht ein. Blamabel ist dem Papier zufolge auch die AusrĂŒstung der Soldaten – nicht zuletzt im Vergleich zur frĂŒ-

heren Situation. Wörtlich heißt es im Bericht: „In den 1980er Jahren rĂŒstete die Bundeswehr 1,3 Millionen Soldaten fĂŒr den Mobilmachungsfall aus. Das musste damals funktionieren. DarĂŒber können die heute gut 180.000 aktiven Soldatinnen und Soldaten nur staunen.“ Bei Truppenbesuchen trĂŒgen Soldaten „immer wieder die gleichen Sorgen vor: zu wenig Material, zu wenig Personal, zu viel BĂŒrokratie“. Das wirke sich auch auf die Einsatzbereitschaft aus: „Die Bundeswehr als Ganzes wĂ€re heute nicht ausgerĂŒstet und aufgestellt fĂŒr kollektive Verteidigung.“ Dieses vernichtende Urteil aus Bartels „MĂ€ngelbericht“ zeigt eines offenkundig: das Versagen der politischen FĂŒhrung im Bundesverteidigungsministerium. Die seit nunmehr 15 Jahren unionsgefĂŒhrte Behörde beschĂ€ftigt sich zwar ausufernd mit dem ministeriellen „Klein-Klein“ und Detailfragen aus dem Beschaffungswesen, doch die Kampfkraft und vor allem -fĂ€higkeit der Truppe blieb und bleibt dabei auf der Strecke. Und so ist das ResĂŒmee des Wehrberichtes ein Fanal des politischen Versagens: „Mit der verbliebenen StĂ€rke kann die Bundeswehr jedoch die fortdauernden Verpflichtungen in den AuslandseinsĂ€tzen und den wieder auflebenden Auftrag zur Teilhabe an der kollektiven Verteidigung in Europa personell nicht bewĂ€ltigen.“ Schauen wir uns zwei signifikante Problemfelder im Bereich RĂŒstung und Beschaffung an.

Abstrus: Nachfolge Sturmgewehr G36 Am 22. April 2015 entschied die damalige Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen, dass das bewĂ€hrte und mit rund 170.000 StĂŒck in Verwendung befindliche Sturmgewehr G36 in seiner jetzigen FR E I L I CH


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S C H Ü T Z E N PA N Z E R „ P U M A“

Martialische SprĂŒche am Helm sind nicht gefragt, machen junge Soldaten auch schnell „verdĂ€chtig“.

Form keine Zukunft in der Bundeswehr habe. Das Bundesverteidigungsministerium erteilte 2014 einen Stopp fĂŒr weitere Anschaff ungen des G36, als Grund wurden vorgebliche Ungenauigkeiten nach schneller Schussfolge angefĂŒhrt. Die Waffe wĂŒrde zur Überhitzung neigen und die BekĂ€mpfung von Zielen ĂŒber 100 Metern Entfernung erschweren. Ein Vorwurf, der sowohl von Waffentechnikern als auch von der kĂ€mpfenden Truppe in Abrede gestellt wurde. Am 10. Juni 2015 meldete das Beschaff ungsamt der Bundeswehr eine MĂ€ngelrĂŒge wegen GewĂ€hrleistungsforderungen und ungenĂŒgender Treffsicherheit an. Dagegen richtete sich Anfang Juli 2015 die Klage des Herstellers Heckler & Koch beim Landgericht Koblenz mit dem Antrag, festzustellen, „dass die behaupteten SachmĂ€ngel nicht bestehen“. Der Klage wurde im September 2016 stattgegeben. Zuvor hatte eine vom frĂŒheren Wehrbeauftragten Hellmut Königshaus und dem GrĂŒnen-Verteidigungsexperten Winfried Nachtwei geleitete Befragung von rund 200 Soldaten ergeben, dass PrĂ€zisionsmĂ€ngel beim G36 im Einsatz nie wahrgenommen worden waren. In ĂŒber zehn Jahren Kampfeinsatz der Bundeswehr in Afghanistan sei auch Heckler & Koch keine einzige Beschwerde der kĂ€mpfenden Truppe in Bezug auf die Treffsicherheit des Gewehres G36 im heißgeschossenen Zustand bekannt gewesen. „Nach Kenntnis von Heckler & Koch sind auch innerhalb der Bundeswehr diesbezĂŒglich keine Beschwerden der kĂ€mpfenden Truppe bekannt geworden.“ Nachtwei erlĂ€uterte in dem Bericht, das Laborszenario sei ein Extremfall, der in tatsĂ€chlichen Gefechtssituationen nicht vorkomme. Eine im Kampfeinsatz bewĂ€hrte Waffe wurde aufgrund realitĂ€tsferN ° / 11 / FE B R UA R 2021

Entwicklung und Auslieferung des „Puma“ verzögerten sich aufgrund technischer Probleme immer wieder. Trotz offensichtlicher MĂ€ngel und Bedenken des Bundesrechnungshofes genehmigte der Haushaltsausschuss des Bundestages 2009 die Beschaff ung von 405 Panzern zum Preis von 3,1 Mrd. Euro. SpĂ€ter sollten nur noch 350 SchĂŒtzenpanzer abgenommen werden. Der Preis ist dennoch weiter angestiegen – der „Puma“ gilt inzwischen als der teuerste SchĂŒtzenpanzer der Welt. Die „FAZ“ fasste im Oktober 2014 zusammen: „Der neue SchĂŒtzenpanzer Puma kostet zusĂ€tzlich 666 Millionen Euro. [
] Die Bundeswehr hat 350 Puma bestellt, die den SchĂŒtzenpanzer Marder ersetzen sollen. Die Gesamtkosten summieren sich laut Experten nunmehr auf rund 3,7 Milliarden Euro. Das Vorzeigeprojekt ist wegen gravierender technischer Probleme mehrere Jahre im Verzug. So konnte der Puma nach Hersteller-Angaben mit dem Mells-System zwei Jahre verspĂ€tet erst ab 2018 ausgestattet werden.“

„ G E R M A N D E A L“ M I T H U B S C H R AU B E R N

UrsprĂŒnglich vereinbart war die Lieferung von 80 „Tigern“ fĂŒr die Bundeswehr. Wegen technischer Probleme verzögerten sich vereinbarte Liefertermine immer wieder, wĂ€hrend die Kosten explodierten. Im FrĂŒhjahr 2013 haben der damalige Verteidigungsminister Thomas de MaiziĂšre und sein StaatssekretĂ€r StĂ©phane Beemelmans deshalb mit der Herstellerfirma Eurocopter den „German Deal“ ausgehandelt: Die Bundeswehr sollte statt 80 „Tigern“ nur noch 57 abnehmen. Zwischendurch hat man sich wieder auf 68 „Tiger“ geeinigt. 45 Exemplare sollen bei der Truppe eingesetzt werden und 23 lediglich als „Ersatzteillager“ dienen. Verquickt wird der Deal mit dem zweiten Hubschrauberprojekt, dem NH90. Von ursprĂŒnglich vereinbarten 122 Exemplaren will die Bundeswehr allerdings lediglich noch 82 abnehmen. Weitere 22 NH90 bleiben aber optional. Weitere „Ausgleichsmaßnahme“: Die Bundeswehr gibt 18 Hubschrauber einer Marineversion des NH90 in Auftrag. Beim NH90 sollten bei der Bestellung im Jahr 1999 die 134 StĂŒck 2,4 Mrd. Euro kosten. Heute wird mit 4,4 Mrd. Euro gerechnet – bei wesentlich kleinerer StĂŒckzahl.

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Dass die Bundeswehr einmal mehr mit technisch veralteten Waffensystemen operieren muss und die Soldaten im Kampfeinsatz einer realen GefÀhrdung ausgesetzt werden, interessiert nur wenig.

ner Kritikpunkte ausgesondert. Aus der Bundeswehr hagelte es weiter Kritik an der politischen Vorgabe, die aber nichts an der Entscheidung Ă€ndern konnte. Statt einer zunĂ€chst angedachten Kampfwertsteigerung entschieden sich die Verantwortlichen auf der Hardthöhe fĂŒr die Ausschreibung eines neuen Sturmgewehres. Nach den damaligen Planungen wurde ein Neuanschaffungszeitraum von zehn Jahren festgesetzt. Innerhalb dieses Rahmens seien 120.000 Sturmgewehre fĂŒr mindestens 375 Millionen Euro neu zu akquirieren. Das Vergabeverfahren wurde begonnen. Im Jahr 2017 stieg SIG Sauer aus dem Vergabeverfahren fĂŒr einen Nachfolger des G36 aus. Im Februar 2018 gab Rheinmetall bekannt, aus betriebswirtschaftlichen GrĂŒnden kein Angebot abzugeben. Eine Entscheidung fĂŒr einen Lieferanten sollte ursprĂŒnglich frĂŒhestens Ende 2018 fallen; eine Auslieferung war ab 2020 geplant. Keine der beiden Terminvorgaben konnte eingehalten werden. Einen Monat, nachdem im September 2020 bekanntgegeben worden war, dass der Konkurrenzentwurf Haenel MK 556 den HKModellen HK416 und HK433 bei der Auftragsvergabe fĂŒr den G36-Nachfolger vorgezogen wĂŒrde, wurde die Auftragsvergabe wegen eines Formfehlers beim Vergabeverfahren erneut zurĂŒckgezogen. Auf welches Sturmgewehr die Bundeswehr in Zukunft setzen wird und wann die ersten Exemplare bei der Truppe eintreffen werden, ist derzeit offen.

Darf ich? Bewaffnete Drohnen 2012 wurde in deutschen MilitĂ€rkreisen erstmals der Kauf von Kampfdrohnen diskutiert. Dabei wurde erwogen, die amerikanischen Drohnen des Typs „Reaper“ fĂŒr die deutsche Bundeswehr anzuschaffen. Das Verteidigungsministerium holte ein Angebot fĂŒr die Beschaffung ein. Die Drohne sollte eventuell die geleasten „Heron 1“ ersetzen. Sowohl der „Reaper“ als auch die Beschaffungsalternative, das „Heron“-Nachfolgemodell „Heron TP“, können mit Luft-BodenRaketen ausgerĂŒstet werden. Im Januar 2013 kĂŒndigte der damalige Verteidigungsminister Thomas de MaiziĂšre an, dass die Bundeswehr Kampfdrohnen anschaffen werde. Das Projekt kam ins Stocken. Im Koalitionsvertrag von CDU und SPD aus dem Jahr 2018 ist auch der Einsatz von bewaffneten Drohnen Thema. Die SPD hatte als Bedingung fĂŒr eine Zustimmung eine ausfĂŒhrliche und breite Debatte gefordert. Diese wurde vor allem unter Experten und Verteidi-

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gungspolitikern beider Parteien, aber auch im Bundestag gefĂŒhrt. Unter anderem als Livestream am 11. Mai 2020 und unter dem Twitter-Hashtag #DrohnenDebatte2020. Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD, Fritz Felgentreu, hatte der Anschaffung der Drohnen und der Empfehlung des Verteidigungsausschusses im Vorfeld positiv gegenĂŒbergestanden. Doch ĂŒberraschend erteilten SPD-Fraktionschef Rolf MĂŒtzenich und Parteichef Norbert Walter-Borjans den bewaffneten Drohnen eine Absage, angeblich, weil die Debatte darĂŒber nicht entsprechend dem Koalitionsvertrag gefĂŒhrt worden sei. Kramp-Karrenbauer forderte im Dezember 2020 Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) auf, die zur Beschaffung der Munition fĂŒr die Kampfdrohnen notwendige 25-Millionen-Euro-Vorlage freizugeben. Diese liegt allerdings noch immer unbearbeitet auf dem Schreibtisch des Ministers. Die nunmehr achtjĂ€hrige Debatte ĂŒber die Drohnenthematik wurde innerhalb kĂŒrzester Zeit verworfen. Es wurden EinsatzgrundsĂ€tze formuliert, die festlegen, dass bewaffnete Dohnen vonseiten der Bundeswehr nur defensiv eingesetzt werden dĂŒrfen. Die SPD legt den Fokus nun allerdings lieber auf eine mögliche rot-rot-grĂŒne Koalition auf Bundesebene und spielt auf Zeit, bis zur bevorstehenden Bundestagswahl im Herbst 2021. Ein nur hinter vorgehaltener Hand ausgesprochener Grund fĂŒr die Behinderung der Drohnenanschaffung sind ethische Bedenken in den Reihen der SPD, aber auch bei GrĂŒnen und Linken. Mit der Anschaffung und dem Einsatz bewaffneter Drohnen werde die BĂŒchse der Pandora fĂŒr eine enthemmte KriegsfĂŒhrung geöffnet. Dass Deutschland immer mehr ins rĂŒstungspolitische Hintertreffen gerĂ€t, die Bundeswehr einmal mehr mit technisch veralteten Waffensystemen operieren muss und die Soldaten im Kampfeinsatz einer realen GefĂ€hrdung ausgesetzt werden, interessiert die „hohe Politik“ nur wenig.

Der ewige Kampf gegen „rechts“ Ein weiteres internes „Gefechtsfeld“ stellt die PersonalstĂ€rke dar, die derzeit bei rund 184.000 Soldaten liegt. Die seit dem Jahr 2011 ausgesetzte Wehrpflicht hat – abgesehen von dem Nebeneffekt, die in Deutschland ohnehin hohe Diskrepanz zwischen Zivilisten und Soldaten forciert zu haben – zu einem strukturellen Personalmangel gefĂŒhrt. Bei der Zahl der Bewerbungen gab es im Jahr 2019 das zweitschlechteste Ergebnis seit der FR E I L I CH


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Fehlende MannstÀrke ist ein Problem: Die Bundeswehr ist dabei die kleinste deutsche Armee seit Langem.

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Die lĂ€ngst pazifistische Gesellschaft steht der Bundeswehr fremd gegenĂŒber. Als Berufsarmee ist sie der Bevölkerung noch stĂ€rker entfremdet.

Spiel und Spaß beim Bund, auch fĂŒr mĂ€nnlich/ weiblich/divers. Gleichzeitig hat sich die Bundeswehr zur Einsatzarmee gewandelt, mit allen Risiken fĂŒr ihre Soldaten.

DIE RUINE

Josef Kraus, Richard Drexl: Nicht einmal bedingt abwehrbereit. Die Bundeswehr zwischen Elitetruppe und Reformruine FinanzBuch Verlag, MĂŒnchen 2019, 240 Seiten. ISBN 978-3-95972-180-6 A € 23,70 / D € 22,99

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Aussetzung der Wehrpflicht. Entsprechend werden die Anforderungen heruntergeschraubt: Ausbilder klagen seit Jahren ĂŒber die FĂ€higkeiten kĂŒnftiger Soldaten. Die „QualitĂ€t“ der Rekruten sei schlechter geworden. Um die Worte des ehemaligen Wehrbeauftragten Bartels zu verwenden: Die angehenden Soldaten seien „dicker, schwĂ€cher und dĂŒmmer“ geworden. Jeder fĂŒnfte OffizieranwĂ€rter quittiert in den ersten sechs Monaten den Dienst. Weitere 24 % brechen ihr Studium an einer BundeswehruniversitĂ€t ab. Viele SchulabgĂ€nger seien nach EinschĂ€tzungen der Bundeswehr nicht einmal fĂŒr den Dienst geeignet: Es wird davon ausgegangen, dass 2020 lediglich die HĂ€lfte der 760.000 SchulabgĂ€nger körperlich und/oder psychisch geeignet gewesen sei. Innerhalb der Bundeswehr existieren rund 25.000 offene Stellen oberhalb der Mannschaftsebene, jede siebte Stelle ist nicht besetzt. Einige Beispiele aus der Praxis verdeutlichen dieses Problem: Aufgrund mangelnder Mannschaften hatte die Bundesmarine fĂŒr sechs UBoote zeitweise nur zwei komplette Mannschaften zur VerfĂŒgung. Um Kosten zu sparen, sollen Fregatten der Bundeswehr bei EinsĂ€tzen nicht mehr in den Heimathafen Wilhelmshaven zurĂŒckkehren, sondern nur noch die Besatzungen ausgetauscht werden. DafĂŒr sind aber bei vier Schiffen insgesamt acht Besatzungen erforderlich. Um die bestehenden Zweitbesatzungen dennoch entsprechend zu beschĂ€ftigen, sollten diese an Land in einem Zentrum mit Simulatoren fĂŒr die SchiffsfĂŒhrung und den Waffeneinsatz ausgebildet werden. Das Amt verfĂŒgte aber ĂŒber nur einen Mitarbeiter – statt der benötigten elf Stellen – fĂŒr das Projektteam. Auch nachdem zwei externe Berater und zwei Mitarbeiter von der

Marine hinzugezogen wurden, konnte das Projekt nicht fristgerecht fertiggestellt werden. Auch um den fĂŒr die „Kriege der Zukunft“ absolut notwendigen Cyber-Hub ist es personalpolitisch schlecht bestellt. 2015 lag die Bedarfsdeckung bei Feldwebeln im informationstechnischen Bereich „bei lediglich rund 38 %“. Zeitgleich wurden im Jahr 2014 etwa 71 Millionen „unberechtigte oder schadhafte Zugriffsversuche“ erfasst. Besserung ist kaum in Sicht. Ebenso betroffen ist die Luftwaffe: Aufgrund des Personalmangels können beispielsweise Eurofighter-Piloten zum Teil keinen Urlaub nehmen. Die Bundeswehr altert. Berufssoldaten bleiben meist lĂ€nger im Dienst. Das Durchschnittsalter der Soldaten in der Bundeswehr liegt inzwischen bei beachtlichen 31,85 Jahren (2019). Im Vergleich: Das Durchschnittsalter eines Soldaten des US-amerikanischen MilitĂ€rs liegt bei knapp ĂŒber 27 Jahren. GegenĂŒber dem österreichischen Bundesheer mit einem Durchschnittsalter von 42,8 Jahren steht die Bundeswehr allerdings zumindest in diesem Belang etwas besser da als der sĂŒdliche Nachbar.

Interne SĂ€uberungswelle Neben QualitĂ€t und QuantitĂ€t trat in den vergangenen zwei Jahren verstĂ€rkt eine interne SĂ€uberungswelle gegen Soldaten mit politisch ungenehmer Haltung. Verfehlungen Einzelner wurden zum Anlass genommen, dienstrechtliche Verfahren teils gegen ganze Einheiten in die Wege zu leiten. Insbesondere die Eliteeinheit „Kommando SpezialkrĂ€fte“ (KSK) geriet in das Visier der politischen FĂŒhrung. „Wenn Sie Ihr KSK behalten wollen, mĂŒssen Sie es besser machen“, verlautbarte FR E I L I CH


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183.777 Soldatinnen und Soldaten leisten Dienst bei der Bundeswehr

PersonalgrĂ¶ĂŸe nach Waffengattung

Heer

Marine

Luftwaffe

Sonstige *

62.932

16.446

27.566

76.833

(Stand: Dezember 2020) Zusammensetzung nach DienstverhÀltnis

* Zentraler SanitĂ€tsdienst / unmittelbar nachgeordnete Stellen / StreitkrĂ€ftebasis / BMVI / Cyber- und Informationsraum / Bereich Infrastruktur, Umweltschutz, Dienstleistungen / Bereich AusrĂŒstung, Informationstechnik, Nutzung / Bereich Personal

122.210 53.316 8.251 Zeitsoldaten

Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer Anfang Juli 2020. Die Wortwahl war entlarvend. Die Ministerin stellte sich nicht schĂŒtzend vor die Truppe. Die CDU-Politikerin nutzte das distanzierende „Sie“, um sich bewusst vom Kommando abzugrenzen und die Eliteeinheit unter einen perfiden Generalverdacht zu stellen. Rechtsextreme EinzelfĂ€lle werden aufgebauscht, um eine politisch motivierte Hexenjagd gegen jedwede Äußerung rechts der Mitte zu starten. Die Politik steht nicht mehr hinter dem KSK. Dabei stand und steht seit nunmehr ĂŒber 20 Jahren das Kommando SpezialkrĂ€fte in Kampf- und KriegseinsĂ€tzen. Bei Freunden geachtet und von Feinden gefĂŒrchtet, haben sich die deutschen Kommandosoldaten einen exzellenten internationalen Ruf erarbeitet. Dieser Ruf fußt auch auf dem Korpsgeist dieser Truppe. Einer ihrer frĂŒheren Kommandeure, Brigadegeneral a. D. Reinhard GĂŒnzel, hat dies in dem Buch „Geheime Krieger“ mit Blick auf die erste Verleihung des Sonderabzeichens „Kommandosoldat“ im April 2001 pointiert beschrieben: „Das Abzeichen wird immer nur von sehr wenigen Soldaten unseres Landes getragen werden, weil nur sehr wenige in der Lage und willens sind, diese extremen Anforderungen zu bestehen. Eine Truppe, die mehr kann als andere, die so zuverlĂ€ssig ist, dass jeder, der sie fĂŒhrt, sich blind auf sie verlassen kann, die auch im Zustand der Erschöpfung noch fĂ€hig ist, zu kĂ€mpfen, und die niemanden in ihren Reihen duldet, der ihre hohen AnsprĂŒche an Gesinnung und Anstand, an Kameradschaft und Selbstlosigkeit nicht erfĂŒllt – eine solche Truppe darf man guten Gewissens als Elite beN ° / 11 / FE B R UA R 2021

Berufssoldaten

Freiwillig Wehrdienstleistende

zeichnen.“ Diese Elite der deutschen Armee ist ein verschworener Haufen, der von einem besonderen Ehrenkodex zusammengehalten wird. Jeder dieser Soldaten wĂŒrde fĂŒr seine Kameraden durchs Feuer gehen. Hier, in seiner Stammeinheit, weiß er seine letzte Bastion, die ihm Zusammenhalt, Kameradschaft, Orientierung und auch Schutz unter seinesgleichen bietet. Doch damit war im Sommer 2020 Schluss. Bis Oktober verordnete Kramp-Karrenbauer dem KSK BewĂ€hrung, bis dahin sollten die im Bendlerblock fabulierten „Reset-Maßnahmen“ umgesetzt sein – sonst drohte die Auflösung. Diese Maßnahmen sahen vor: Die 2. Kompanie wurde bereits im Juli 2020 vollstĂ€ndig aufgelöst, die Ausbildungshoheit wurde dem KSK abgenommen, zukĂŒnftige Offiziere sollen sich außerhalb des KSK in anderen Einheiten spezialisieren, die Dienstaufsicht wird verstĂ€rkt. Der Gipfel der ministeriellen Dreistigkeit: Manöver- und ÜbungstĂ€tigkeiten wurden mit sofortiger Wirkung eingestellt, internationale Kooperationen und die Beteiligung an aktiven Operationen ebenso. Auch sollen den KSK-Soldaten mehr Unterrichtseinheiten in politischer und ethischer Bildung abverlangt werden, das SicherheitsĂŒberprĂŒfungsgesetz soll verschĂ€rft und die Truppe grundsĂ€tzlich „transparenter“ werden. Außerdem legt der MilitĂ€rische Abschirmdienst (MAD) seinen Fokus noch intensiver auf das KSK. Das Ziel scheint im Falle des KSK, aber auch anderer Meinungsabweichler klar. In einem Rundumschlag sollen nicht nur tatsĂ€chlich rechtsextreme EinzelfĂ€lle ausgesondert werden, sondern am Ende soll eine Reinigung von jedweden nonkonformen Stimmen stehen. Bereits

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Foto: Bundeswehr / Torsten Kraatz

R E P O R TAG E

Selektive Wahrnehmung beim Gedenken: Die MĂ€nner des 20. Juli waren eigentlich alle „rechts“.

DEUTSCHE MILITÄRZEITSCHRIFT

Die „Deutsche MilitĂ€rzeitschrift“ (DMZ) berichtet alle zwei Monate ĂŒber Sicherheitspolitik, Krisenherde weltweit, StreitkrĂ€fte aller Welt, MilitĂ€rgeschichte und Wehrwissenschaft. Interviews mit Sicherheitspolitikern und MilitĂ€rexperten runden die Fachzeitschrift ab. Bei Fragen oder Interesse kontaktieren Sie die DMZ unter: Verlag Deutsche MilitĂ€rzeitschrift Postfach 52 ‱ D-24236 Selent Telefon- 04384/59 70-0 ‱ E-Post: verlag@ deutschemilitaerzeitschrift.de

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Ende Mai war ein Brief des aktuellen KSK-Kommandeurs Markus Kreitmayr bekannt geworden, in dem er rechtsgesinnte Soldaten aufforderte, die Bundeswehr zu verlassen. Personen, die mit dem „rechten Spektrum“ sympathisierten, hĂ€tten keine Kameradschaft verdient und wĂŒrden aus den StreitkrĂ€ften „entfernt“. Der AfD-Verteidigungsexperte Jan Nolte (MdB) hatte sich daraufhin in einem offenen Brief an Kreitmayr gewandt und die Gleichsetzung von „rechts“ und „rechtsextrem“ kritisiert. Die gesamte Debatte um einen vorgeblich strukturellen Rechtsextremismus im KSK ist von einer tiefgehenden Ahnungslosigkeit der deutschen Politikerklasse von der Natur einer Spezialeinheit geprĂ€gt. Ihre StĂ€rke bedingt die Abschottung nach außen und den Korpsgeist nach innen. All die von ihnen erwarteten Entbehrungen, Anforderungen und Strapazen nehmen die KSK-Soldaten in dem Bewusstsein auf sich, keine Anerkennung, keinen Ruhm und keinen Dank zu ernten. Ihr Lohn ist die besondere Kameradschaft untereinander. Und diese wird ihnen nun von der Politik genommen. Doch auch die höhere FĂŒhrungsebene ist von dem Kehraus betroffen. Das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages untersuchte 2020 ĂŒber Monate potenzielle rechtsextremistische VorfĂ€lle innerhalb der Bundeswehr – mit einer mageren Ausbeute von etwa 700 FĂ€llen. Dabei wurde auch der Umgang des MilitĂ€rischen Abschirmdienstes (MAD) beleuchtet. Die Geheimdienstkontrolleure kritisierten vehement die angebliche „schlechte Zusammenarbeit“ des MAD mit dem Bundesamt fĂŒr Verfassungsschutz. Befragungen von Soldaten im Zusammenhang mit

rechtsextremistischen VerdachtsfĂ€llen seien oftmals nicht mit der nötigen Konsequenz, sondern vielmehr nach dem Prinzip „Kameraden befragen Kameraden“ erfolgt. Das Bundesverteidigungsministerium setzte daraufhin eine Reform des MAD in die Wege. Der Dienst wurde umstrukturiert und mit Burkhard Even ein leitender Beamter aus dem Bundesamt fĂŒr Verfassungsschutz zum VizeprĂ€sidenten im MAD ernannt. Außerdem wurde eine gemeinsame Arbeitsgruppe „Reservisten“ von MAD und Verfassungsschutz gebildet, um die Zusammenarbeit der Behörden zu intensivieren. Der vorherige Vorsitzende des MilitĂ€rischen Abschirmdienstes, Christof Gramm, musste seinen Hut nehmen. Doch nicht nur den aktiven Soldaten, auch den Reservisten droht nun eine Durchleuchtung. Der PrĂ€sident des Reservistenverbandes, Patrick Sensburg, hat nach Berichten ĂŒber Rechtsextreme im Verband eine ÜberprĂŒfung aller 115.000 Mitglieder angekĂŒndigt. Dabei sollen insbesondere AfD-Mitglieder unter die Lupe genommen werden. „Da gucken wir jetzt nochmal genauer hin“, sagte er der radikal linken „taz“. „Es darf uns keiner durchhuschen.“

Die Perspektiven der Bundeswehr Am 23. September des vergangenen Jahres hat Bundesfinanzminister Scholz den Haushaltsentwurf fĂŒr dieses Jahr eingebracht. Der gesamte Bundeshaushalt fĂŒr das kommende Jahr soll 498,62 Mrd. Euro betragen. FĂŒr den Verteidigungshaushalt 2021 sind dabei 46,93 Mrd. Euro vorgesehen – ein Plus von 2,6 %. So weit, so gut. Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes WĂŒstFR E I L I CH


Foto: imago / Christian Thiel

R E P O R TAG E

„I fight for Merkel.“ Deutsche Soldaten verschweigen gerne, wenn sie ein Identifikationsproblem mit politisch Verantwortlichen haben.

ner ist angesichts dieser Zahlen wenig optimistisch: „Wer die mangelhafte materielle Einsatzbereitschaftslage und den gesamten Sanierungsbedarf der Bundeswehr kennt, der weiß: Ab 2022 mĂŒssen wir dauerhaft bei mindestens 50 Milliarden Euro liegen, wenn wir die vielen Altsysteme modernisieren, die politisch avisierten Zukunftsprojekte verwirklichen und unsere internationalen Zusagen erfĂŒllen wollen.“ FĂŒr das Taktische Luftverteidigungssystem wurden eher symbolisch zwei Millionen Euro zusĂ€tzlich eingestellt. Die nĂŒchterne Betrachtung ist also gerechtfertigt. Wenn der Bund eine Neuverschuldung von etwa 96 Milliarden Euro avisiert, der Verteidigung allerdings kaum einen Teil des Kuchens abgibt, dann wird klar, wo die PrioritĂ€ten liegen. Das Bundesverteidigungsministerium unter Annegret Kramp-Karrenbauer lĂ€sst keine Gelegenheit aus, um die Bundeswehr weltweit zum Gespött zu machen. Mal ist es die krampfhafte Erhöhung der Frauenquote bei der Truppe, mal die Forderung nach islamischen Seelsorgern oder die noch nicht einmal von den Soldatinnen gewollte EinfĂŒhrung weiblicher Dienstgrade – und jetzt mĂŒssen partout die Homosexuellen rehabilitiert werden. Demonstrativ entschuldigte sich Kramp-Karrenbauer Anfang September 2020 fĂŒr die vorgebliche „Diskriminierung“ Homosexueller bei der Bundeswehr in den Jahrzehnten ihres Bestehens. Statt den Fokus auf Ausstattung, Personalaufbau und Finanzen zu legen, laboriert die CDU-Ministerin lieber an „Gender“-Problemen herum. Und auch die militĂ€rischen Felder der Zukunft werden in DeutschN ° / 11 / FE B R UA R 2021

land links liegen gelassen. So hat beispielsweise die Stiftung Wissenschaft und Politik die Möglichkeiten der Bundeswehr fĂŒr offensive Cyber-Operationen mit militĂ€rischer Stoßrichtung untersucht. Ergebnis: „FĂŒr die Kernaufgaben deutscher Sicherheitspolitik – KrisenprĂ€vention, Stabilisierung und Nachsorge – gebe es praktisch keine Überlegungen fĂŒr nĂŒtzliche CyberOperationen der Bundeswehr“, wie das sicherheitspolitische Magazin „loyal“ zusammenfasst. Man sieht: Selbst der als das Zukunftsprojekt hofierte „Cyber-Hub“ fristet ein Schattendasein unter den strahlenden Leuchtturmprojekten Ă  la „Uniformen fĂŒr schwangere Soldatinnen“ und dergleichen. Es ist bezeichnend, wie ein zunehmend ideologiegetriebenes Ministerium an jedweden noch so irrelevanten Vorgang die MaßstĂ€be politisch korrekter Hygiene anlegt. Aber was noch viel schwerer wiegt: Auch den bedeutsamen Bereichen wird ein ĂŒberbordendes Gutmenschentum ĂŒbergestĂŒlpt. Und so wird die Bundeswehr-Eliteeinheit KSK kurzerhand um eine Kompanie Ă€rmer gemacht, sogar die Komplettauflösung der SpezialkrĂ€fte ist im GesprĂ€ch. Das Gespenst eines ĂŒberall in den Stuben der Kameraden lauernden „Rechtsextremismus“ geht um. Der geneigte Beobachter fragt sich zusehends, wer in Zukunft denn noch mit der Waffe in der Hand in die politisch gewollten Konfliktherde weltweit ziehen soll? Wenn all jene Soldaten, die sich als Krieger oder KĂ€mpfer verstehen, schon aufgrund dieses SelbstverstĂ€ndnisses als „rechtsextrem“ denunziert und aussortiert werden, verliert die Bundeswehr ihre ohnehin auf wenige Einheiten konzentrierte Kampfkraft endgĂŒltig.

K E V I N D O R OW

Jahrgang 1998, ist Redakteur der „Deutschen MilitĂ€rzeitschrift“ (DMZ). H AG E N

EICHBERGER

Jahrgang 1992, ist Fachjournalist im Bereich Sicherheitsund Geopolitik. Seine verteidigungspolitischen Analysen erscheinen regelmĂ€ĂŸig in der „DMZ“.

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INFOGRAFIK

Norwegen

SNMCMG 1 StĂ€ndiger Minenabwehrverband Die „Standing NATO Mine Countermeasures Group 1“ ist auf das Suchen und BekĂ€mpfen von Seeminen ausgerichtet. Das beinhaltet auch, Munitionsaltlasten aus vergangenen Kriegen und Konflikten zu beseitigen. Immer ein deusches Schiff dabei. Nordatlantik

Die Weltkrieger

DĂ€n.

SNMG 1 StÀndiger Marineverband

Kontrolle und Schutz strategisch wichtiger Seewege in Nordatlantik und Nordsee. Irland

76 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg sind Deutschland und Österreich militĂ€risch weltweit prĂ€sent. Über 3.000 Deutsche und bis zu 1.000 Österreicher schieben zwischen Nordafrika und Afghanistan Dienst an der Waffe und dienen so dem Weltfrieden. Die Grafik zeigt die jeweilige Waffengattung vor Ort sowie die Bezeichnung der einzelnen Mission und ihrer Aufgaben

Vereinigtes Königreich

RACVIAC

Frankreich Golf von Biskaya

Portugal Spanien

Atlantik

Deutsche Bundeswehr Kanaren

Österr. Bundesheer

Westsahara

vom Einsatz mit betroffen

Nordatlantikpakt EuropÀische Union

SNMCMG 2

Die Operation „Sea Guardian“ der NATO soll zur Sicherheit im Mittelmeer und zur StĂ€rkung der SĂŒdflanke der Allianz beitragen. MarokkoDie Bundeswehr beteiligt sich temporĂ€r mit Schiffen und Booten an dieser Operation.

vom Einsatz mit betroffen

vom Einsatz mit betroffen

Sonstige Allianz

Luftwaffe Konfliktherd

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Libyen

MINURSO „United Nations Mission for the Referendum in Western Sahara“ ĂŒberwacht den Waffenstillstand zwischen Marokko und den Separatisten in der Westsahara. Vier deutsche MilitĂ€rbeobachter, sechs Österreicher.

Mauretanien

Mali Niger

Gambia GuineaBissau

Burkina Faso Guinea Sierra Leone

Heer Marine

StÀndiger Tunesien Minenabwehrverband Suchen und BekÀmpfen von Seeminen und Munitionsaltlasten aus vergangenen Kriegen und Konflikten.

Algerien

Senegal

Vereinte Nationen

Im Oktober 2000 wurde das ursprĂŒnglich deutschkroatische AbrĂŒstungsuntersuchungszentrum RACVIAC gegrĂŒndet. Mittlerweile stehen 21 Nationen dahinter – Österreich mit einem Mann.

Italien

Sea Guardian

Bundeswehr + Bundesheer

Deutschland

EUTM MALI

Benin Nigeria

ElfenbeinkĂŒste Liberia

Mit ihrer „EuropĂ€ischen Trainingsmission“ (EUTM) Mali unterstĂŒtzt die EuropĂ€ische Union die malische Regierung dabei und stabilsiert die Sahel-Region. 150 Deutsche und elf Österreicher sind dabei.

Togo Ghana

MINUSMA Mission Gazelle Kamerun 12.000 Blauhelmsoldaten und Seit 2018 bis Mai 2019 knapp 1.500 Polizisten sollen im bildeten deutsche KampfAuftrag der UN Mali stabiliseren. schwimmer afrikanische 1.100 deutsche Soldaten dĂŒrfen Soldaten im Niger aus. laut Bundestag dabei sein – Golf von Guinea Einsatz von Waffen erlaubt. Drei Österreicher garantieren Gabun den möglichen Erfolg der Mission.

FR E I L I CH

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INFOGRAFIK

Finnland

EFP Anfang 2017 begann die NATO mit der Verlegung von Soldaten nach Polen und in die baltischen Staaten. Die Mission „Enhanced Forward Presence“ dient der Sicherung der Abschreckung von Bedrohungen des BĂŒndnisgebietes. Dazu in der Region: 500 Deutsche.

Schweden

Estland Lettland Ostsee

Litauen Russland

Weißrussland

Polen

EUFOR-ALTHEA

KFOR

Stabilisierung des Friedens Die Bundeswehr hat den Auftrag, die öffentliche und permanente militĂ€rische Sicherheit und Ordnung zu garantieren. Es können PrĂ€senz zur Verhinderung einer dort bis zu 400 deutsche Soldaten eingesetzt Tschechien neuerlichen GefĂ€hrdung. 312 werden. 339 Österreicher sind auch da. Soldaten des Bundesheeres im Ukraine ÖsterEinsatz. reich Moldawien Ungarn

EUMM

Resolute Support

Beobachtermission mit der Aufgabe, die Einhaltung des Waffenstillstandes zwischen Georgien und Russland zu ĂŒberwachen – u. a. mit drei Österreichern.

Seit dem 1. Januar 2015 lĂ€uft „Resolute Support“ in Afghanistan. Bis zu 1.300 deutsche Soldaten können eingesetzt werden. Deutschland hat als Rahmennation die FĂŒhrung eines der „Train, Advise and Assist Command North“ (TAAC-N) ĂŒbernommen. 15 Nationen sind hier zusammen mit Deutschland tĂ€tig. Basis ist das Camp Marmal in Masar-e Scharif.

Kasachstan

RumÀnien

Kroatien Bosnien Serbien Kosovo Maz.

ÄgĂ€isches Meer

Kasp. Meer

Verbesserung des Informationsaustausches zwischen griechischer und tĂŒrkischer KĂŒstenwache und der EU-Grenzschutzagentur Frontex.

Bulgarien

Alb. Griechen- ÄgĂ€is land

Georgien

CD/CBI

Armenien

TĂŒrkei

Mittelmeer

Zypern

Die Bundeswehr beteiligt Aserb. sich am Kampf gegen den Islamischen Staat in der Region. Sie wirkt u. a. an der Ausbildung irakischer StreitkrÀfte mit und macht LuftraumaufklÀrung.

Die Österreicher sind aktuell mit 16 Soldaten im Land. Das Jagdkommando bildet afghanische SpezialkrĂ€fte aus. Usbekistan Tadschikistan

Turkmenistan

Syrien Libanon Irak

Israel

EUNAVFOR MED Irini Durchsetzung des Waffenembargos der Vereinten Nationen gegen Libyen, Überwachung und Sammlung von Informationen ĂŒber illegale Exporte von Erdöl, Rohöl und raïŹƒnierten Erdölprodukten aus Libyen. Bis zu 300 deutsche Soldaten können hier zum Einsatz kommen, sechs Österreicher obendrein.

Jordanien

Ägypten

Kuwait Pakistan

UNFICYP

UNTSO

UNIFIL

Verhindern des WiederauïŹ„ammens von Kampfhandlungen zwischen den Volksgruppen. Drei Österreicher im Einsatz.

Die „United Nations Truce Supervision Organisation“ ĂŒberwacht im Nahen Osten bereits seit 1948 den Waffenstillstand. FĂŒnf Österreicher.

Seit 2006 ĂŒberwacht der maritime Anteil des Einsatzes „United Nations Interim Force in Lebanon“ die Seegrenzen des Libanon und bildet aus. Bis zu 300 deutsche und 257 österreichische Soldaten sind im Einsatz.

Indien

Oman Saudi Arabien Rotes SNMG 2 Meer StĂ€ndiger Marineverband Kontrolle und Schutz strategisch wichtiger Seew ege vor den KĂŒsten der Krisengebiete in Eritrea Nordafrika und Nahost.

Tschad

Afghanistan

Iran

UNMHA Die Mission der Vereinten Nationen zur UnterstĂŒtzung des Hudaida-Abkommens in Jemen ist eine reine Beobachtermission; die VN-Beobachter tragen weder Uniformen noch Waffen.

Jemen

Sudan Dschibuti

Arabisches Meer

Golf von Aden

Horn von Afrika

Somalia Äthiopien Zentralafrikanische Republik

UNMISS Kongo

Demokratische Republik Kongo

SĂŒdsudan

Uganda

„United Nations Mission in South Sudan“ bespielt die Bundeswehr mit 50 deutschen Soldaten, vor allem mit Einzelpersonal in StĂ€ben und Hauptquartieren der UN und diversen Experten. Burundi N ° / 11 / FE B R UA R 2021

Tansania

EUNAVFOR Die Anti-Piraterie-Mission ist seit 2008 der erste maritime Einsatzverband der EuropĂ€ischen Union. Deutschland beteiligt sich seitdem durchgehend an der EU-Operation. Es betreibt den logistischen AbstĂŒtzpunkt fĂŒr die Schiffe am Horn von Afrika und ein SeefernaufklĂ€rungsflugzeug.

Kenia

Indischer Ozean

Quellen: bundesheer.at (Stand: Dez. 2020) / bundeswehr.de (Stand: Jan. 2021)

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R E P O R TAG E

Die grĂŒne Feuerwehr Beliebt bei der Bevölkerung, ein Stiefkind der Politik: Das österreichische Bundesheer kĂ€mpft ums Überleben. VON WERNER REICHEL

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Foto: bundesheer.at / Medienarchiv

R E P O R TAG E

Die Lasten der alpenrepublikanischen Verteidigungspolitik tragen nicht die Haflinger, sondern die Soldaten. Zu wenig Geld, zu viele GenerÀle, ist die Bilanz.

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Foto: imago / Alex Halada

R E P O R TAG E

I

Gleichberechtigung! Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) ist genauso unbeliebt wie ihr AmtsvorgĂ€nger und Zivildiener Norbert Darabos (SPÖ).

m Sommer des vergangenen Jahres, am 24. Juni, prĂ€sentieren Spitzenbeamte in einem HintergrundgesprĂ€ch Journalisten die ReformplĂ€ne von Verteidigungsministerin Klaudia Tanner. Die vormalige Chefin des niederösterreichischen Bauernbundes ist ohne jede militĂ€rische Erfahrung und noch keine sechs Monate im Amt. Trotzdem oder gerade deshalb traut sie sich zu, das österreichische Bundesheer von Grund auf zu reformieren. Um als Friseur arbeiten zu können, braucht man eine dreijĂ€hrige Ausbildung. Offenbar ist Haareschneiden komplexer und erfordert mehr Fachwissen, als fĂŒr die Verteidigung eines Nationalstaates verantwortlich zu sein. An diesem Mittwoch wird die Presse ĂŒber Tanners Bundesheer-PlĂ€ne informiert. Selbst die Journalisten, obwohl in der Regel links bis in die Haarspitzen, sind ĂŒberrascht. Zusammengefasst: Bundesheer-Rookie Tanner sieht die beiden Kernaufgaben eines modernen MilitĂ€rapparates, einer zeitgemĂ€ĂŸen, europĂ€ischen Streitmacht in der Abwehr von Internetattacken und EinsĂ€tzen bei Naturkatastrophen. Anders ausgedrĂŒckt: Sie will das Heer zu einer Feuerwehr mit angeschlossener IT-Abteilung umbauen. Gewehre, Panzer, GeschĂŒtze, AbfangjĂ€ger braucht man dafĂŒr nicht. FĂŒr Tanners Vision reichen Computer, Bagger und LastwĂ€gen. Die Soldaten sollen kĂŒnftig Antivirentools installieren und ĂŒberflutete Keller auspumpen. Auf die militĂ€rische Landesverteidigung hat die Verteidigungsministerin vergessen. Oberösterreichs FPÖ-Chef Manfred Haimbuchner warnt: „Ich habe festgestellt, dass diese Bundesregierung das Bundesheer entmilitarisieren will, und kann nur davor warnen, diesen Weg weiter zu gehen.“ FĂŒr Tanner, ihre Umgebung und die tĂŒrkis-grĂŒ-

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FĂŒr Tanners Vision reichen Computer, Bagger und LastwĂ€gen. Die Soldaten sollen kĂŒnftig Antivirentools installieren und ĂŒberflutete Keller auspumpen.

ne Regierung ist Österreich noch immer eine Insel der Seligen, die schlimmstenfalls von Hackern, Lawinen und Überschwemmungen bedroht wird. MilitĂ€r ist ausgerechnet den Konservativen lĂ€stig. Die linke Tageszeitung „Der Standard“ ĂŒber die Überlegungen und Annahmen, auf denen die Heeresreform aufbaut: „Einen konventionellen Krieg, dessen Schauplatz das österreichische Bundesgebiet sein könnte, werde es in absehbarer Zeit nicht geben – daher brauche sich das Bundesheer auf einen solchen Verteidigungsfall auch nicht vorzubereiten. Auch einen systemischen Terrorismus, der auf einen BĂŒrgerkrieg und letztlich auf einen Staatszerfall abzielt, braucht man hierzulande nicht zu fĂŒrchten.“ Eben eine Insel der Seligen. Als sich gegen diese geballte NaivitĂ€t und ministerielle PausbĂ€ckigkeit selbst in linken Kreisen Zweifel und Kritik regen, rudert Tanner zurĂŒck und gelobt, die militĂ€rische Landesverteidigung doch – irgendwie– zu berĂŒcksichtigen. Ernst nehmen kann das aber niemand mehr. Der Ungeist ist lĂ€ngst aus der Flasche. Wer das Verteidigungsressort angesichts einer sich in und um Österreich verschlechternden Sicherheitslage einer militĂ€risch Ahnungslosen ĂŒberlĂ€sst, handelt hochgradig unverantwortlich oder ganz bewusst gegen die Interessen des Landes und seiner Bevölkerung. Ein fĂŒr die Sicherheit der Bevölkerung verantwortlicher Politiker, der angesichts der demografischen Entwicklungen, der immer öfter aufflammenden Unruhen, Krawalle und Angriffe gegen die Staatsmacht kein innerstaatliches Konfliktpotenzial, keine BĂŒrgerkriegsgefahr erkennen kann oder will, ist selbst ein Sicherheitsrisiko. Man denke an die sogenannte Party- und Eventszene, vulgo junge Muslime, die vergangenes Jahr in den FR E I L I CH


Foto: bundesheer.at / Medienarchiv

R E P O R TAG E

InnenstĂ€dten von Stuttgart und Frankfurt randaliert und gezielt die Vertreter des Staats provoziert und attackiert haben. Das war – auch wenn es Politik und Medien anders interpretieren – ein Abtesten der Grenzen, eine Inanspruchnahme des öffentlichen Raumes, eine KriegserklĂ€rung an die westliche Welt, an uns. Wer angesichts solcher Herausforderungen von zu wilden Feiern einer erfundenen Party- und Eventszene fantasiert, hat lĂ€ngst kapituliert. Angesichts der nach wie vor ungelösten Migrationskrise, der ethnisch/religiös unterschiedlichen FertilitĂ€tsraten und des weiter steigenden Migrationsdruckes auf Europa werden sich solche „ZwischenfĂ€lle“ hĂ€ufen und massiver ausfallen.

Keine Sicherheit ohne Heer Wie schnell PolizeikrĂ€fte an ihre Grenzen stoßen können, haben u. a. die VorfĂ€lle in Dijon in Frankreich gezeigt. Dort haben sich schwer bewaffnete Clans aus Tschetschenien und Nordafrika tagelang Straßenschlachten geliefert. Den Linken in Politik und Medien fehlt offenbar das Bewusstsein dafĂŒr, wie schnell solche ethnischen, sozialen oder religiösen Konflikte, Unruhen oder Krawalle sich zu einem FlĂ€chenbrand ausweiten können, zumal die Wirtschaft und damit die Sozialsysteme angesichts des COVID-Lockdowns vor dem Kollaps stehen. Selbst im einstigen Sozialparadies Schweden schließt der sozialistische MinisterprĂ€sident Stefan Löfven angesichts der eskalierenden BandenkriminalitĂ€t den Einsatz des Heeres im Innern nicht mehr aus. Oder man erinnere sich an die berĂŒhmten Bilder von 2015, als junge Migranten die Grenzen nach Österreich illegal ĂŒberquerten, an einer BrĂŒcke postierte N ° / 11 / FE B R UA R 2021

Polizisten einfach zur Seite schoben und weitermarschierten. Österreich verfĂŒgt ĂŒber rund 25.000 Polizeibeamte. Das ist nicht viel, wenn man bedenkt, dass etwa beim Akademikerball im Jahr 2017 2700 Polizisten im Einsatz waren. Mehr als 10 % aller österreichischen PolizeikrĂ€fte waren notwendig, um eine Veranstaltung zu schĂŒtzen. Und zwar nicht vor echten MĂ€nner mit Kampferfahrung, sondern vor wohlstandsverwahrlosten Antifa-Kids. Auch den vermutlich inszenierten MilitĂ€rputsch gegen Erdoğan hat Ministerin Tanner offenbar erfolgreich aus ihrem GedĂ€chtnis verbannt. Damals hatten sich in der Nacht auf den 16. Juni 2016 in Wien ohne Anmeldung spontan rund 4000 Erdoğan-AnhĂ€nger versammelt. Sie zogen mit KampfgesĂ€ngen durch die Stadt. Die wenigen Polizisten, die sich in so kurzer Zeit mobilisieren ließen, waren zum Zusehen verdammt. HĂ€tten sie die illegale Demonstration aufgelöst, die Situation wĂ€re eskaliert. Das zeigt, wie schnell die Polizei an ihre Grenzen stĂ¶ĂŸt. Die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit ist neben der Landesverteidigung die wichtigste Aufgabe des Heeres. Dazu muss es gerĂŒstet und vorbereitet sein. Das scheinen die verantwortlichen Politiker vergessen zu haben. Die Regierung kĂŒmmert sich lieber, so wie die Linke, vor allem um Bedrohungen und Gefahren, die sie politisch fĂŒr ihre Ziele instrumentalisieren kann: Rechte, Corona, Klimawandel, Hass im Netz etc. Die Silvesternacht von Favoriten war nur ein Vorgeschmack darauf, was in den nĂ€chsten Monaten und Jahren auf dieses Land zukommen wird. Wer angesichts solcher Entwicklungen glaubt, Österreich brauche vor

Ganz in Weiß! Die Österreicher sind die Hochgebirgsspezialisten unter den Armeen.

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Foto: imago / photonews.at

R E P O R TAG E

Im Notfall da! Das Bundesheer hat bei den COVIDMassentests eine zentrale Rolle gespielt.

allem uniformierte IT-Spezialisten und Katastrophenhelfer, dem ist nicht zu helfen. Deshalb sind die verantwortlichen Politiker stets aufs Neue von islamistischen TerroranschlĂ€gen, Ausschreitungen oder Pandemien â€žĂŒberrascht“. Es heißt dann seitens Politik und Mainstreammedien, das habe man nicht vorhersehen können. Doch, man kann. Man muss es nur wollen oder auf die Experten des Heeres hören. Tanner ist kein Einzelfall. Die in diesen Umbruchsund Unruhezeiten so wichtigen Verteidigungsressorts in den EU-Staaten wurden in den vergangenen Jahren immer öfter mit Frauen ohne militĂ€rische Erfahrung besetzt. Ob Annegret Kramp-Karrenbauer (Deutschland), Florence Parly (Frankreich), Ank Bijleveld-Schouten (Niederlande) oder Trine Bramsen (DĂ€nemark), Hauptsache ist: kein Penis und keine militĂ€rische Erfahrung.

Experimentierfeld Armee Die StreitkrĂ€fte als Spielwiese und Experimentierfeld fĂŒr neosozialistische Ideologien und feministische Hirngespinste: Die Aufgabe eines Heeres, die militĂ€rische Landesverteidigung, tritt dabei völlig in den Hintergrund. FĂŒr viele Linke – insbesondere fĂŒr weibliche Politiker – ist das MilitĂ€r nur Ausfluss und Ausdruck „toxischer MĂ€nnlichkeit“, der man am besten damit begegnet, das Heer zu entmilitarisieren und zu verweiblichen. Österreich liegt hier voll im europĂ€ischen Trend. Es geht nicht mehr um Kampfkraft und EinsatzfĂ€higkeit, sondern um die Umsetzung linker Utopien und Weltbilder zulasten der nationalen Sicherheit. Martin van Creveld, einer der bedeutendsten MilitĂ€rhistori-

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An der Entmilitarisierung des Bundesheeres arbeiten viele seit Langem und mit großem Eifer.

ker, der sich intensiv mit der Verweiblichung westlicher StreitkrĂ€fte auseinandersetzt, warnt, dass durch diesen Trend die „Kampf- und SiegfĂ€higkeit“ leiden werde. Trotzdem – oder gerade deshalb – will Verteidigungsministerin Tanner das „Thema Frauen beim Bundesheer in den Mittelpunkt stellen“. Das ist eine gefĂ€hrliche Drohung. „Das Bundesheer [
] ist Vorreiter im Bereich Gleichbehandlung. [
] Trotzdem sind wir noch lange nicht am Ziel angelangt“, so Tanner. Sie hat einen „Frauenförderungsplan 2020–2023“ entwickelt. Ein zentraler Punkt: „Bewerberinnen, die fĂŒr die angestrebte Funktion gleich geeignet sind wie der bestgeeignete Mitbewerber“, bekommen automatisch den Zuschlag. Das war auch schon bisher so, wie man von verĂ€rgerten bzw. frustrierten Soldaten unter der Hand hört. Wenn sich eine Frau um eine Position bewirbt, bekommt sie sie in der Regel, selbst wenn sie dafĂŒr weniger geeignet ist als ihre mĂ€nnlichen Mitbewerber. Das fördert nicht gerade den Korpsgeist. Ein Großteil der Berufssoldaten steht dem Thema „Frauen beim Heer“ ablehnend gegenĂŒber. Doch die feministischen Ideen des politmedialen Establishments werden dem Heer aufgezwungen. Dass darunter die LeistungsfĂ€higkeit leidet, ist fĂŒr viele Linke ein durchaus erwĂŒnschter Nebeneffekt. Es wĂ€re aber ungerecht, allein die Verteidigungsministerin dafĂŒr verantwortlich zu machen. Sie ist nur eine Marionette, eine ErfĂŒllungsgehilfin. An der Entmilitarisierung des Bundesheeres arbeiten viele seit Langem und mit großem Eifer. Seit Jahrzehnten wird alles MilitĂ€rische von den linken MeinungsfĂŒhrern in Politik und Medien ent- und abgewertet. Soldaten haben – nicht in der Bevölkerung, aber beim politmedialen Establishment und dessen FR E I L I CH


Foto: bundesheer.at / Medienarchiv

R E P O R TAG E

Schifahren! Kann man ĂŒberall. Soldaten der Schifahrernation im Einsatz am verschneiten Golan.

Fußvolk – ein denkbar schlechtes Image. Soldaten werden von GrĂŒnen und TĂŒrkisen bestenfalls als notwendiges Übel betrachtet; das Heer braucht man vor allem, um nicht gegen die Verfassung zu verstoßen. Vor allem die beiden sozialdemokratischen Verteidigungsminister Norbert Darabos und Gerald Klug haben sich hier negativ hervorgetan. Auch der derzeitige Oberbefehlshaber, BundesprĂ€sident Alexander Van der Bellen, ist alles andere als ein Freund und UnterstĂŒtzer „seines“ Heeres. Das Nachrichtenmagazin „Format“ berichtete 1998, als Van der Bellen noch GrĂŒnen-Chef war: „Nach van der Bellens PlĂ€nen soll das österreichische Bundesheer dem Kommando der UNO ĂŒbertragen werden. [!!!] Van der Bellen: ‚DafĂŒr wĂŒrde es reichen, die FriedensstĂ€rke des Bundesheers von aktuell 55.000 Mann innerhalb von fĂŒnf bis zehn Jahren zu halbieren.‘ Schweres GerĂ€t wie beispielsweise Kampfpanzer sollten langsam verschrottet werden‘. Den Ankauf von AbfangjĂ€gern lehnte van der Bellen neuerlich kategorisch ab. ‚In einer Zeit, wo jeder Schilling bei einem Notstandshilfe-EmpfĂ€nger ĂŒberprĂŒft wird, ist nicht einzusehen, dass wir fĂŒr etwas, das wir nicht brauchen, Milliarden ausgeben‘.“

Der Wert der Wehrhaftigkeit Die TrĂ€ume des grĂŒn-linken Fundis sind lĂ€ngst politischer Mainstream, und vieles, wovon Van der Bellen damals trĂ€umte, ist nun RealitĂ€t. So ist der österreichische Luftraum dank fehlender AbfangjĂ€ger weitgehend ungeschĂŒtzt. Nach 50 Dienstjahren wurde Anfang des Jahres die letzte Saab 105 ausgemustert. Ersatz gibt es keinen. Jetzt hat Österreich nur noch seine 14 schlecht ausgerĂŒsteten Eurofighter. Mit ihnen ist eine 24-StunN ° / 11 / FE B R UA R 2021

den-Überwachung des Luftraumes nicht mehr möglich. Das Jahr hat 8760 Stunden. „Davon können wir derzeit 3650 Stunden auch Flugzeuge hochschicken. Den Rest der Zeit kann man nur den Punkt am Radar verfolgen. Es gibt aber zwischen 4500 und 6000 ÜberflĂŒge auslĂ€ndischer MilitĂ€rflugzeuge pro Jahr – im Schnitt also alle 90–120 Minuten eines“, schreibt das österreichische Luftfahrtmagazin „Austrian Wings“. Das scheint niemanden in der Regierung zu stören. Auch die Eurofighter will Tanner loswerden und an Indonesien verscherbeln. Einen Ersatz dafĂŒr gibt es ebenfalls keinen. Angesichts solcher ZustĂ€nde fragt selbst der linke „Standard“: „Schießen wir verdĂ€chtigen Flugzeugen dann mit Pfeil und Bogen hinterher?“ Keine Frage, das Bundesheer und die militĂ€rische Landesverteidigung haben in Österreich nur einen geringen Stellenwert. Das zeigt sich auch am Budget, das ja die in Zahlen gegossene Politik eines Landes ist. Deutlich mehr als die HĂ€lfte davon gibt Österreich fĂŒr die Bereiche Soziales, Arbeit, Gesundheit und Familie aus. FĂŒr Landesverteidigung bleiben gerade einmal 0,6 %. Diese rund 2,5 Milliarden sind zum Sterben zu viel, zum Verteidigen zu wenig. Zum Vergleich: In Israel liegt das Verteidigungsbudget bei 5 % des BIP, SĂŒdkorea, die USA und Singapur geben deutlich ĂŒber 3 % aus. Diese LĂ€nder wissen, wie wichtig und notwendig eine funktionierende militĂ€rische Landesverteidigung und Drohkulisse sind. Welchen Stellenwert die militĂ€rische Landesverteidigung und Soldaten im Allgemeinen beim politmedialen Establishment in Österreich haben, zeigt auch dieses Beispiel: Als 2015 FlĂŒchtlinge auch in Kasernen, die zum Teil von den Soldaten kurzfristig gerĂ€umt wer-

ÖSTERREICHISCHES BUNDESHEER

Landesverteidigung, Schutz und Hilfe sind der Auftrag. Um alle diese Aufgaben zu erfĂŒllen, stĂŒtzt sich das Bundesheer auf drei Standbeine: die LandstreitkrĂ€fte, die LuftstreitkrĂ€fte und die SpezialeinsatzkrĂ€fte. Derzeit weisen Verteidigungsministerium und Bundesheer folgende PersonalstĂ€rken auf: 14.000 Soldaten 8000 Zivilbedienstete 25.000 Miliz-Soldaten 47.000 Personen

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Ohne SchutzausrĂŒstung, nur in orangefarbenen Westen: Das Bundesheer hat als Exportmanager nach Deutschland die Krise 2015 wesentlich verdrĂ€ngt.

den mussten, untergebracht wurden, regte sich in der Politik und der sogenannten Zivilgesellschaft breiter Widerstand. Die zumeist maroden Kasernen seien den FlĂŒchtlingen bestenfalls fĂŒr ein paar Tage zuzumuten, so die Argumentation. Dass dort zuvor Soldaten untergebracht waren, hatte diese KrĂ€fte hingegen nie gestört.

Trauriger Zustand Angesichts solcher politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verwundert es nicht, dass das Bundesheer lĂ€ngst nicht mehr in der Lage ist, seiner Kernaufgabe, das Land militĂ€risch zu verteidigen, nachzukommen. Dass das notwendig werden könnte, erscheint Linken in Politik und Medien völlig abwegig. Es fehlt an allen Ecken und Enden. Wer mit Soldaten spricht, erfĂ€hrt unter der Hand von den kuriosesten ZustĂ€nden. So fehlen etwa Pistolenholster in großer Zahl. FĂŒr EinsĂ€tze mĂŒssen sie aus ganz Österreich zusammengesammelt werden. In der Burstyn-Kaserne in Zwölfaxing ist eine große Fahrzeughalle einsturzgefĂ€hrdet, weshalb viele teure gepanzerte Fahrzeuge mit Planen zugedeckt im Freien stehen mĂŒssen, was zu schweren SchĂ€den fĂŒhren kann. Weil man zum Teil extrem billige Munition beschafft, kommt es immer wieder zu fĂŒr Soldaten gefĂ€hrlichen HĂŒlsenplatzern. Solche Geschichten gibt es unzĂ€hlige. Sie dringen selten bis nie an die Öffentlichkeit, weil sich auch die Medien fĂŒr diese MissstĂ€nde nicht interessieren. Sie alle zeigen, in welch traurigem Zustand das österreichische Bundesheer ist. Es wurde ĂŒber Jahre und Jahrzehnte kaputtgespart. Nicht, weil Österreich zu wenig Geld hĂ€tte: FĂŒr die Anliegen der Linken – Migration, Kunst, Feminismus, Medien etc. – ist mehr als genug da. Es war und ist politischer Wille, das Heer auszuhungern. Deshalb herrscht dort seit Jahren Mangelwirtschaft. Es fehlt an allen Ecken und Enden, weshalb die Soldaten Weltmeister im Improvisieren sind. FĂŒr die Armee eines westlichen Industriestaates ist das allerdings unwĂŒrdig. Ein Zustand, den FPÖ-Verteidigungsminister Mario Kunasek und zum Teil Thomas Starlinger, sein Nachfolger in der Übergangsregierung, Ă€ndern wollten. In dieser kurzen Zeitspanne konnte Kunasek aber nur die MissstĂ€nde und zahlreichen Baustellen erheben, aufzeigen und einen Plan zur Wiederherstellung der Kampfkraft entwickeln. Mit Tanner hat man dem einen Riegel vorgeschoben. Starlinger prĂ€sentierte, auf der Arbeit seines VorgĂ€ngers aufbauend, das Papier „Unser Heer 2030“. Darin forderte er unter anderem die Erhöhung des Verteidigungsbudgets auf drei Milliarden

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Foto: bundesheer.at / Medienarchiv

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„Sie schreien nach uns um Hilfe, wenn ihnen das Wasser in das Maul rinnt, und wĂŒnschen uns vom Hals, kaum als einen Augenblick dasselbige verschwunden“, wusste schon der Feldherr Prinz Eugen.

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Euro und eine schrittweise Anhebung auf 1 % des BIP, den Ausbau des InvestitionsrĂŒckstaus, eine Entscheidung in Sachen LuftraumĂŒberwachung, die VerlĂ€ngerung des Grundwehrdienstes auf acht Monate und die Erhöhung des Personalstandes auf 24.000 Bedienstete. Schon vor Starlinger hatte der Generalstab des Bundesheeres in Abstimmung mit Minister Kunasek ein Positionspapier vorgelegt, das auf die Diskrepanz zwischen dem Verfassungsauftrag, der Budgetlage und dem Zustand des Bundesheeres aufmerksam machen wollte. Und diese Diskrepanz ist gewaltig. Generalstabschef Robert Brieger: „Das Bundesheer hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten von der eigenstĂ€ndigen FĂ€higkeit zur Landesverteidigung dramatisch entfernt.“ Sein Appell an die Politik im Jahr 2019: „Das Bundesheer steht erstmalig seit seinem Bestehen vor dem Scheideweg, ob es seine Kernaufgabe als bewaffnete Macht der Republik Österreich ĂŒberhaupt noch wahrnehmen kann, oder eben nicht.“ In dem Papier wurde unter anderem gefordert: Ausrichtung der militĂ€rischen Landesverteidigung auf die aktuellen und kĂŒnftigen Bedrohungen durch HerbeifĂŒhren eines zeitgemĂ€ĂŸen Standards, Herstellen der VerteidigungsfĂ€higkeit gegen Bedrohungen aus der Luft, Erhalt der Kompetenz und Kampfwertsteigerung fĂŒr die mechanisierten KrĂ€fte sowie Verbesserung der FĂ€higkeiten zur Wirkung gegen geschĂŒtzte oder gepanzerte Ziele. Seit Tanner im Amt ist, ist davon keine Rede mehr. Sie hat das Heer zu einem MĂ€dchen fĂŒr alles degradiert. Seit Ausbruch der COVID-Pandemie organisiert das Bundesheer Massentests, hilft beim Contact-Tra-

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Schweres GerĂ€t, Einsatzbereitschaft: Die Truppe lebt von den Soldaten, die ihren Dienst brav erfĂŒllen.

cing, schupft, wenn Not am Mann ist, in Postverteilerzentren Packeln, hilft der Polizei an den Grenzen, die Papiere der Einreisenden zu kontrollieren, und nebenbei rĂ€umen Soldaten auch Schnee. WEHRPFLICHT IN ÖSTERREICH

Am 20. JĂ€nner 2013 wurde in Österreich eine Volksbefragung zur Wehrpflicht durchgefĂŒhrt. Hierbei befragte man das Volk, ob die Wehrpflicht abgeschaff t werden solle. ÖVP und FPÖ sprachen sich fĂŒr eine Beibehaltung der Wehrpflicht aus, SPÖ und GrĂŒne fĂŒr ein Berufsheer. Mit 59,7 % der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von 52,4 % wurde fĂŒr die Beibehaltung der Wehrpflicht votiert.

No Border, no nation? Blödsinn. Im Heer sieht man diese EinsĂ€tze zwiespĂ€ltig. Einerseits erhöhen sie das positive Image des Bundesheeres in der Bevölkerung, andererseits entfernt man sich immer weiter von seinen Kernaufgaben, wird immer mehr zum Technischen Hilfswerk, zu einer Katastrophenschutztruppe. Auch in der öffentlichen Wahrnehmung. Und mit einer Art grĂŒner Hilfsfeuerwehr, also einer Streitkraft , die keine mehr ist, können Tanner, die GrĂŒnen, der BundesprĂ€sident und alle anderen linken Heeresgegner gut leben. Neben solchen AssistenzeinsĂ€tzen sieht Tanner die zweite Kernaufgabe in der Abwehr von Cyberangriffen. Auch das sei, so hört man von vielen MilitĂ€rs, nicht die Aufgabe eines Heeres, das könnten auch ITSpezialisten bei Polizei und anderen Behörden ĂŒbernehmen. TĂŒrkise, die Linke und viele BĂŒrger scheinen in dem Glauben zu leben, dass Wohlstand einfach da sei und nur verteilt werden mĂŒsse, dass Frieden in Europa ein natur- bzw. gottgegebener Dauerzustand sei, ĂŒber den man sich keine weiteren Gedanken zu machen brauche. Anders sind die infantilen Forderungen „friedensbewegter“ Linker und Linkskatholiken nach Entmilitarisierung nicht zu erklĂ€ren. Dass sich die Sicherheitslage fĂŒr Europa mit dem Ende des Kalten Krieges dramatisch verĂ€ndert hat, wir, nachdem sich die USA von Europa abgewandt FR E I L I CH


Foto: imago / Eibner

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haben, plötzlich allein fĂŒr unsere Sicherheit zustĂ€ndig sind, die sich dank Massenmigration, den Krisen und Kriegen in der islamischen Welt und Afrika dramatisch verschlechtert hat, scheint bis in die Regierungsstuben noch nicht vorgedrungen zu sein. Uns stehen Ă€ußerst unruhige Zeiten bevor. Die durch die COVID-Maßnahmen verursachte bzw. beschleunigte Wirtschaftskrise kann oder wird mit großer Wahrscheinlichkeit soziale, religiöse, ethnische Unruhen und VerteilungskĂ€mpfe auslösen. Schließlich hat man in den vergangenen Jahren Zigtausende Islamisten, Dschihadisten, Terroristen und Hunderttausende ihrer Sympathisanten in die EU gelassen. Man hofft , diese Bedrohungslagen, diese Gefahren mit Dialog, Integration, Sozialleistungen (sprich: Schutzgeldern), einer weiteren AufblĂ€hung der Asyl- und Sozialindustrie in den Griff zu bekommen. Auch rund um Europa brodelt es: in der Ukraine, in Weißrussland, im Maghreb und im Nahen Osten sowieso. Und der Migrationsdruck auf Europa steigt angesichts der Bevölkerungsexplosion in Afrika und dem IslamgĂŒrtel immer weiter. Es ist grotesk, dass angesichts solcher Entwicklungen die Verantwortliche fĂŒr die Landesverteidigung unser Heer in eine Feuerwehr umbauen möchte. Es gibt Dutzende guter GrĂŒnde, viel Geld in die militĂ€rische Landesverteidigung zu investieren. Das wĂ€re – um es in der Sprache der Linken zu sagen – nachhaltig und zukunftsorientiert. Aber die tĂŒrkise Boygroup hat mit Landesverteidigung so wenig am Hut wie die GrĂŒnen. Erich Cibulka, PrĂ€sident der Österreichischen Offi ziersgesellschaft , spricht von einer „SicherheitsN ° / 11 / FE B R UA R 2021

politik nach Pippi Langstrumpf “. Vor Weihnachten schrieb Cibulka im „Brief des PrĂ€sidenten“: „‚Ich mach mir die Welt, wi di wi di wie sie mir gefĂ€llt‘, singt Pippi Langstrumpf. Wenn man dieses Prinzip auf das Bundesheer anwendet, dann dreht man den Strategieprozess einfach um. Man leitet nicht mehr die Mittel von den Aufgaben ab, sondern passt die Aufgaben an die Mittel an. ‚So viel Geld, so viel Bundesheer‘, lautet dann die Devise, der in Österreich tatsĂ€chlich seit Jahren gefolgt wird. Dazu muss die Bedrohungslage verniedlicht oder die Eintrittswahrscheinlichkeit reduziert werden.“ In diesen beiden Disziplinen sind Regierung und Medien Europameister. Sieht man von der ins Unendliche aufgeblĂ€hten Gefahr von rechts und dem Coronavirus ab, werden alle Bedrohungslagen, die unter anderem als Folge linker Politik entstanden sind – Terrorismus, ethnische Konfl ikte etc. – systematisch verharmlost und heruntergespielt. Ob man diese Gefahren tatsĂ€chlich als harmlos einschĂ€tzt oder nur die Bevölkerung belĂŒgt, ist schwer zu beurteilen. Ist es Unvermögen, oder hat sich die linke Ideologie tatsĂ€chlich schon so im politischen Mainstream und der öffentlichen Meinung festgefressen, dass man – bewusst oder unbewusst – die Parolen und Forderungen der Linksextremen – „No Border, no nation“, „Deutschland verrecke“, „Wer Österreich liebt, muss scheiße sein“, etc. – politisch umsetzt? Denn, so schreibt Cibulka in seinem Brief weiter: „Die Wehrhaftigkeit einer Gesellschaft ist ein Produkt aus Wehrwillen und WehrfĂ€higkeit.“ Daran mangelt es den dafĂŒr verantwortlichen Österreichern und EuropĂ€ern allerdings.

Schöner Schein: Am Heldenplatz machen sich die feschen Burschen gut. Die Politik vergisst nach der Feier gern auf sie.

Werner Reichel lebt und arbeitet in Wien. Er war rund 20 Jahre im Rundfunk tĂ€tig, unter anderem als Programmchef und GeschĂ€ftsfĂŒhrer mehrerer Radiosender, sowie als Lektor an der FH Wien. Er ist Autor und Verleger.

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Die Sicherheitssimulanten Wenn es um die Sicherheit im Lande geht, kennt die ÖVP nur eines: hochstapeln. Das ist kein Wunder bei einem Kanzlerdarsteller, der ganz kurz mal am Corona-StĂ€ndestaat arbeitet.

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VON HEINRICH SICKL

n einem Samstag hat es die ÖVP getroffen. Mit einer Leiter bewaffnet, bewegt sich ein Trupp Aktivisten auf die ÖVPZentrale zu, gelangt zu den Fahnenstangen und rollt vorsichtig die dort hĂ€ngende EU-Fahne auf, um an ihrer Stelle ein gelbes Banner mit IdentitĂ€ren-Lambda zu befestigen. Ein Geschenk, um auf das geplante Verbot zweier identitĂ€rer Abzeichen aufmerksam zu machen, ebendieser Fahne und des rot-weiß-roten Gipfel-Logos der BĂŒrgerbewegung DO5. Nichts kaputt, keine SachbeschĂ€digung, ein symbolischer Akt. Weit harmloser als das willkĂŒrliche Verbieten von Abzeichen legaler politischer Gruppen – sogar die Linken im Lande kritisieren das. Die schöne Bescherung kommentiert Melchior, seines Zeichens GeneralsekretĂ€r und nicht Heiligen-Drei-König, ĂŒberschwĂ€nglich: „Die IdentitĂ€re Bewegung ist, wie wir heute selbst hautnah erleben mussten, eine brandgefĂ€hrliche Organisation, der in einem demokratischen und rechtsstaatlichen Land kein Platz gegeben werden darf “, so der ÖVP-GeneralsekretĂ€r Alexander Melchior. Wohlgemerkt, eine gelbe Fahne 
 „Unser großer Dank gilt dem raschen und engagierten Einschreiten von Polizei und Feuerwehr,

wodurch ein Eindringen in die Bundesparteizentrale der Volkspartei rechtzeitig verhindert werden konnte.“ Was durchaus heldenhaft ist, aber wo niemand eindringen wollte, gibt es nicht viel zu verhindern. Personalien wurden festgestellt, die Fahne entfernt. So viel Drama bei der ÖVP, die auch die Relationen verschiebt: „Als vermummte Personen einen Brandanschlag auf die FPÖ-Zentrale in Niederösterreich verĂŒbten, folgte selbstverstĂ€ndlich eine unverzĂŒgliche Reaktion der Volkspartei, in der die widerwĂ€rtigen Geschehnisse verurteilt wurden.“ Er halte es fĂŒr „sehr aufschlussreich, dass alle Oppositionsparteien zur Aktion der IdentitĂ€ren schweigen. Scheinbar macht es ihnen nichts aus, wenn die Wut der DemokratiegefĂ€hrder die – ihrer Meinung nach – Richtigen trifft.“ Eine gelbe Fahne im Wind also – nicht verboten – als Symbol gegen das Symbolverbot einer legalen Bewegung, die trotz der Versuche, sie zu kriminalisieren, in allen Prozessen freigesprochen wurde. „DemokratiegefĂ€hrder“ ist wohl jener, der die Wahrheit so verdreht und eine Protestaktion von Aktivisten mit MolotowCocktails eines Afghanen und seiner nicht ausgeforschten Freunde gegen die niederösterreichische FP-Zentrale vergleicht. FR E I L I CH


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Sogar Kurz selbst simuliert, ein Kind als Babyelefant verkleidet, keine Maske, kein Mindestabstand. Hier regiert der schöne Schein.

Dass alle Oppositionsparteien zu Recht schweigen, hat vermutlich nur mit einem Fakt zu tun: der BanalitÀt des Protestes. Und obwohl es ein Witz ist, was Melchior sagt, will keiner lachen.

TĂŒrkis und der reale Terror Denn der Tonfall hat System, ist sozusagen schwarzer Humor. Seit aus dem tĂŒrkisen Regierungspartner eine allein herrschende Partei geworden ist, bei der die GrĂŒnen scheitelknien und still und heimlich jeden Posten abkassieren, den sie zugeschanzt bekommen, betreibt die Kurz-Brigade gerade in puncto Sicherheitspolitik eine Dauersimulation, die weit ĂŒber die Schließung der Balkanroute ins Virtuelle fĂŒhrt. Wir erinnern uns: Anfang November gab es in Wien einen Terroranschlag, der zu verhindern gewesen wĂ€re, wenn die schwarz durchseuchten Geheimdienste nicht verlernt hĂ€tten, eins und eins zusammenzuzĂ€hlen. Sie hĂ€tten nur einen islamistischen GefĂ€hrder, der in die Slowakei gefahren war, um Munition zu kaufen, und gemeldet wurde, als möglichen Terroristen identifi zieren und aus dem Verkehr ziehen mĂŒssen. Die Woche darauf holte die ÖVP zum Gegenschlag aus, zum Einsatz gegen Islamisten, Terrornetzwerke und GefĂ€hrder dieser Art, wurde erklĂ€rt. Nachdem sich der Rauch verzogen hat, sieht man auch hier die tĂŒrkise Inszenierung. Es wird bei uns niemand vermuten, dass wir Freunde des politischen Islam seien, dennoch ist, was da passiert ist, eine inszenierte Übertreibung, eine Simulation halt. Die Muslimbruderschaft ist gefĂ€hrlich, sie macht islamistische Metapolitik, will die Werte verschieben. Das kann und soll man bekĂ€mpfen. Ob man dazu um vier Uhr in der FrĂŒh im Familienschlafzimmer eines islamistischen Salzburger Hochschuldozenten die Kinder von voll bewaff neten Beamten erschrecken lassen muss, so als ob er zu al-Qaida gehörte, sei hinterfragt. Das war ja nicht der Islamische Staat, den die Behörde da besucht hat, auch wenn MuslimbrĂŒder irgendwann durchaus gerne einen islamischen Staat hĂ€tten. N ° / 11 / FE B R UA R 2021

Die Symbolpolitik der TĂŒrkisen ist eine Woche spĂ€ter wiederum mit der Cobra ausgeritten, um – ausgleichend genug – nun einen Schlag gegen die „rechtsextreme Szene“ öffentlich zu vermelden. Seltsamerweise war bei den Betroffenen kein einziger rechtsextremer Szeneangehöriger dabei. Es handelte sich wohl um sogenannte Hassposter, deren Verbrechen darin bestand, auf WhatsApp und Ă€hnlichen KanĂ€len ungebremst Unsinn zu verbreiten. Nun, auch hier: Es gibt kein Menschenrecht darauf, Blödsinn zu posten, aber gleich die Cobra einmarschieren zu lassen und dazu eine Erfolgsmeldung im Kampf gegen die GefĂ€hrlichkeit von Dumpfbackenpostings als besonderer Staatsschutz zu prĂ€sentieren, das ist Simulation pur. Das Gesetz gegen Hass im Netz scheiterte derweilen an mangelnder EU-KonformitĂ€t. Neben dem glĂŒcklosen Innenminister zeichnet sich gerade die Darstellerin des Verteidigungsministers als Darabos 2.0 aus. Bei ihrer Bestellung erklĂ€rte sie, eine Neubewertung der Rolle des Bundesheeres durchsetzen zu wollen, die de facto eine Abschaff ung der militĂ€rischen Landesverteidigung bedeutet hĂ€tte. Mit einer neuen Teiltauglichkeit soll es jetzt dagegen bis zu 1200 junge MĂ€nner mehr pro Jahr in das Bundesheer spĂŒlen (gleichzeitig 800 mehr in den Zivildienst), obwohl es im Heer vorn und hinten an allem mangelt, vor allem an Geld. Das dĂŒmmliche Argument fĂŒr diese Sicherheitssimulation: Statt am Sturmgewehr könne man die Teiltauglichen ja am Pfefferspray ausbilden. Diese Frau Minister kann man hier nicht verteidigen 
 Man sollte eher sie als das Heer abschaffen. Und das alles, wĂ€hrend die CoronaAusnahmesituation die Gesellschaft immer mehr eskaliert. Die Zauberlehrlinge von der ÖVP habe „Freiheitlich light“ geschluckt und verbreiten staatstragende Sicherheitssimulationen, die wenig zu tun haben mit den Gefahren, die sie ansprechen. Sogar Kurz selbst simuliert, ein Kind als Babyelefant verkleidet, keine Maske, kein Mindestabstand. Hier regiert der schöne Schein.

Heinrich Sickl wurde 1973 in KĂ€rnten geboren. Er lebt mit seiner Familie in Graz und leitet als GeschĂ€ftsfĂŒhrer die Freilich Medien GmbH. freilich-magazin.at

FREILICH POLITISCHE STUDIE „DIE GELBEN F L E C K E N D E R ÖV P “

Wie Ă€hnlich sind sich die IdentitĂ€ren und die „Neue Volkspartei“? Wir haben die Inhalte verglichen, mit erstaunlichen Ergebnissen. Die vollstĂ€ndige Studie gratis zum Download: freilich-magazin.at/ studien

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Die neue KriegsfĂŒhrung Krieg verĂ€ndert sich mit der menschlichen Gesellschaft. Wo staatliche Macht in den Hintergrund tritt, waltet hybride KriegsfĂŒhrung. VON NILS WEGNER

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ie Reaktionen nicht nur der deutschsprachigen Regierungsstellen und Medien auf die islamistischen AnschlĂ€ge beispielsweise in BrĂŒssel und Berlin (2016), London und Barcelona (2017), Paris und Straßburg (2018), Lyon (2019), abermals Paris sowie zuletzt Wien (2020) waren Offenbarungen. Sie zeigten den Unwillen, nach Herausforderungen durch den „Islamischen Staat“ (IS) genuin politisch zu handeln. Diese Haltung der SchwĂ€che nĂŒtzt nichts: Die Pflicht zum Politischen verschwindet nicht dadurch, dass man sie ignoriert. Es offenbart sich die völlige Verkennung der Lage auf staatlicher FĂŒhrungsebene – die Verkennung des faktischen Kriegszustandes mit einem politischen Akteur neuen Typs, auf den die „westliche Welt“ nicht vorbereitet scheint. In der amerikanischen „Marine Corps Gazette“ erschien im Oktober 1989 eine Abhandlung des zivilen MilitĂ€rtheoretikers William Lind in Zusammenarbeit mit US-Stabsoffizieren, inspiriert von Schriften des Generalleutnants der deutschen Bundeswehr und ehemaligen NATO-Kriegsschulleiters Franz Uhle-Wettler („Der Krieg. Gestern – heute – und wie morgen?“). Demnach bestehe in Friedenszeiten die Aufgabe des Soldaten darin, sich so gut wie möglich auf den nĂ€chsten Krieg vorzubereiten. Und dazu brauche es ein grĂŒndliches Umdenken in der Sicherheitspolitik!

Krieg in der Neuzeit Der Artikel entwickelte ein transepochales Modell der modernen KriegsfĂŒhrung in ĂŒberlappenden

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„Generations of Warfare“ (GW). Ausgangspunkt war der WestfĂ€lische Friede von 1648, der den Krieg – zuvor oft eine diffuse Fehde zwischen Familien oder StĂ€dten unter Einsatz von Söldnern – zu einem genuin politischen Instrument staatlicher Akteure eingehegt hatte. Die daraus folgende „1. Generation der KriegsfĂŒhrung“ (1GW) wurde bestimmt von der Linieninfanterie, ausgestattet mit ineffizienten Musketen und im Manöver sehr geordnet, aber auch schwerfĂ€llig. Ihr Einsatz erforderte strengsten Drill und starre Kommandostrukturen; er war stellenweise ideologisch motiviert, besonders in der französischen Revolutionsarmee, wo „freier“ BĂŒrger neben „freiem“ BĂŒrger stand und oft auch fiel. 2GW setzte in der zweiten HĂ€lfte des 19. Jahrhunderts ein, als die EinfĂŒhrung von Hinterladern mit gezogenen LĂ€ufen und Maschinengewehren sowie der neu entwickelte Stacheldraht die Linienformationen zu Todesfallen werden ließen. Auf den Großeinsatz der MĂ€nnerkraft folgte der Großeinsatz der Feuerkraft: GemĂ€ĂŸ der französischen Maxime „Die Artillerie erobert, die Infanterie besetzt“ verließen sich die Strategen fortan operativ vor allem auf den massiven Einsatz indirekten Feuers. Darauf reagierte die Infanterie mit mobilerem Vorgehen im breiten Sturmangriff – taktisches Grundkonzept noch des Ersten Weltkrieges, das Ernst JĂŒngers Aufsatz „Feuer und Bewegung“ den Titel gab. FR E I L I CH


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Foto: Brain light / Alamy Stock Foto

Die Transformation des Krieges

Der aus der Industrialisierung des Krieges folgende Wandel von der offenen Feldschlacht hin zum Stellungskrieg fĂŒhrte in die 3GW, die sich durch flachere Hierarchien, hohe und nonlineare Beweglichkeit, Kommandounternehmen und insbesondere das „FĂŒhren mit Auftrag“ anstelle des streng verbindlichen und unflexiblen Befehls auszeichnete. WĂ€hrend bereits bei ihrer Entfaltung den (kaiserlichen) deutschen Sturmbataillonen eine Vorreiterrolle zukam, darf als Vollendung dieser GW auf damals höchstem technischen Niveau der Blitzkrieg 1939–1941 betrachtet werden, der gemĂ€ĂŸ der Doktrin des „indirekten Ansatzes“ (Basil Liddell Hart) den operativen Fokus vom Faktor Raum auf den Faktor Zeit verschoben hatte. N ° / 11 / FE B R UA R 2021

Über 70 Jahre nach Anbruch der 3GW sagte der Artikel in der „Marine Corps Gazette“ fĂŒr die allernĂ€chste Zukunft eine 4GW voraus. Diese werde vier zentralen Faktoren ihrer VorgĂ€ngerin entspringen: FlexibilitĂ€t, Dezentralisierung, AgilitĂ€t und Zersetzung. Globale Trends wiesen in Richtung einer KriegsfĂŒhrung, die ohne Schwerpunktbildung und erkennbare Fronten potenziell unbegrenzt stattfinden werde, wodurch Krieg und Friede (sowie Kategorien wie „militĂ€risch“/„zivil“) zunehmend ununterscheidbar werden wĂŒrden. Schlachtfeld der 4GW werde die gesamte Gesellschaft des Feindes sein, nicht nur als (an-)greifbares Objekt, sondern auch auf soziokultureller Ebene. Essenziell sei die Identifizierung der strategischen Zentren des Feindes, die aufgrund ihrer Verwundbarkeit verkleinert und zerstreut wĂŒrden und so die allgemeine Undeutlichkeit verschĂ€rften. Durch Einbeziehung von kultureller Infrastruktur und Zivilgesellschaft als Ziele verlasse die KriegsfĂŒhrung die Ebene der Staatlichkeit: Die 4GW werde die Generation „nichtstaatlicher KĂ€mpfer“ („Violent Non-State Actors“, VNSA), deren zentrales Operationsgebiet das feindliche Hinterland sei und die sich bereits als sĂŒdamerikanische Drogenkartelle, afrikanische Privatarmeen und in grenzĂŒbergreifenden Terrorgruppen manifestierten – der Status quo des WestfĂ€lischen Friedens sei dahin. Dieser grundlegende Wesenswandel des Krieges nach mehr als 350 Jahren hat so umfassende Folgen, dass man eine systematische Auseinandersetzung damit und angemessenes Handeln in der internationalen Gemeinschaft noch immer vergebens sucht. Das spielt insbesondere dem internationalen Terrorismus in die HĂ€nde, der sehr genau um die blinden Flecken seiner schwerfĂ€lligen und zögerlichen staatlichen Todfeinde weiß. Dass im Dezember 2001 Kopien des Lind-Artikels im afghanischen Höhlenkomplex Tora Bora aufgefunden wurden, der als RĂŒckzugsort islamistischer KĂ€mpfer diente, bezeugt die Bedeutung dieser Überlegungen – die wohlgemerkt noch keinerlei (bekannte) doktrinĂ€re BerĂŒcksichtigung fanden. MilitĂ€rische Empfehlungen, die Lind und Offiziere verschiedener westlicher Staaten im Seminarrahmen erarbeiteten, wurden zeitweilig unter dem ironischen Titel „FeldhandbĂŒcher der k.u.k. österreichisch-ungarischen Marineinfanterie“ veröffentlicht, weil von offizieller Seite (des „militĂ€risch-industriellen Komplexes“?) kein Interesse bestand.

William S. Lind: 4th Generation Warfare Handbook 134 Seiten, Castalia House, Kouvola 2015. ISBN 978-9-527-06575-4 A € 13,50 / D € 14,99

Im FREILICH-Buchladen erhÀltlich. freilich-magazin.at/shop

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Beispiel „Islamischer Staat“

Nils Wegner wurde 1987 in Niedersachsen geboren und studierte Geschichts- sowie Kulturwissenschaften in Gießen und Hamburg. Ab 2008 als freiberuflicher Journalist und Autor tĂ€tig; nach TĂ€tigkeit als Lektor fĂŒr den Verlag Antaios 2015–2017 heute Schwerpunktarbeit als Übersetzer. Interessengebiet ist die dissidente Politiklandschaft in den USA. Persönliche Website: altwritewegner.com

Die Bagatellisierung des IS als bloße „Terrormiliz“, wie sie in deutschsprachigen Medien beliebt ist, verkennt den Charakter dieser beispiellosen Organisation also vollumfĂ€nglich. Denn was ist diese anderes als die bislang ausdifferenzierteste Form eines VNSA? Seit seinem Entstehen 2003 hat sich der IS zu einem bemerkenswerten Hybridgebilde entwickelt. Innerhalb des „Kalifates“ sind, soweit bekannt, alle ĂŒblichen staatlichen Strukturen ausgebildet worden; es gibt eine Art Regierung unter dem neuen „Kalifen“ al-Haschimi al-Kuraschi (nach dem Tod Abu Bakr al-Baghdadis 2019), Judikative, Exekutive, interne Sicherheitsorgane, einen umfangreichen Propagandaapparat sowie ein eigenes WĂ€hrungssystem und eine tragfĂ€hige wirtschaftliche Infrastruktur. Durch das Angebot eines Lebens im Kalifat statt im Untergrund ist der IS fĂŒr Sympathisanten in aller Welt deutlich attraktiver als etwa al-Qaida. Dabei sind dem Anschluss an die Organisation zur Vorbeugung gegen Infi l-tration merkliche HĂŒrden vorgeschaltet: Wie die deutsche Fernsehdokumentation „Der lange Arm des IS – Terror in Europa“ berichtete, gibt es eine Art „Generalverwaltung“, die Neuankömmlinge durchleuchtet und der man zum Beitritt einen BĂŒrgen nachweisen muss. ZusĂ€tzlich zu Stellen, die den bewaffneten Kampf vor allem in Syrien koordinierten, gebe es außerdem in Raqqa eine „Kommandogruppe fĂŒr externe Operationen“ („Emni“) unter der FĂŒhrung des im August 2016 getöteten Strategen al-Adnani sowie des Berliners Reda Seyam. Diese geheimdienstartig aufgebaute Gruppe, die spĂ€testens seit Mai 2014 SelbstmordanschlĂ€ge in Deutschland plane, habe ab Beginn der FlĂŒchtlingskrise 2015 gezielt und massiv KĂ€mpfer nach Europa eingeschleust, die spĂ€ter Attentate verĂŒbten und auf ein bereitstehendes UnterstĂŒtzungsnetzwerk innerhalb der muslimischen Parallelgesellschaften, etwa im belgischen Molenbeek, getroffen seien. Dieser bemerkenswert offene Bericht, der die SchwĂ€chen der europĂ€ischen Sicherheitsarchitektur gegenĂŒber der straffen IS-Organisation mit ihren 4GW-Strategien klar aufzeigte, entstand unter dem Eindruck der Pariser AnschlĂ€ge vom 13. November 2015 und wurde am 30. Mai 2016 ausgestrahlt. Bundeskriminalamt, Europol und Islamwissenschaftler tun darin ihr Wissen kund und benennen konkret eine „ernst zu nehmende Bedrohungslage“ – knappe zwei Monate spĂ€ter kam es zu AnschlĂ€gen in Deutschland. Offenbar haben die zustĂ€ndigen Dienste auch hier wieder versagt.

Unter Zugzwang Wie aber könnten angemessene Konsequenzen aussehen? Auch in der dritten Dekade des

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21. Jahrhunderts sieht sich die Erste Welt mit einem straff organisierten, international operierenden Feind konfrontiert, der die inneren WidersprĂŒche der liberalen Freiheits- und Menschenrechtsideologie kennt und weidlich ausnutzt. Wie die immer gleichen Reaktionen auf AnschlĂ€ge in Europa zeigen, stehen unsere EntscheidungstrĂ€ger der Bedrohungslage nach wie vor ahnungs- und hilflos gegenĂŒber: Eilfertige Behauptungen, die AttentĂ€ter hĂ€tten keinerlei IS-Verbindungen, berĂŒcksichtigen weder die von al-Adnani proklamierte „Einsamer-Wolf “-Strategie der Islamisten noch das Wesen des IS an sich, in dessen Namen und Sinne sehr wohl auch Sympathisanten ohne „Mitgliedsausweis“ oder FĂŒhrungsoffi zier agieren. Pazifi zierte und pazifi zierende Staaten wie Österreich und Deutschland, die allem „harten“ Vorgehen scheinbar abgeschworen haben, stoßen hier an ihre operativen Grenzen, denn das Problem ist nicht auf behördlichem – also polizeilichem – Wege zu lösen. Die Bedrohung ist keine kriminelle, sondern eine existenzielle, und zwingt damit zu genuin politischem Handeln, also einer Feindbestimmung und KlĂ€rung der MachtverhĂ€ltnisse. Eine politische Antwort könnte als Sofortmaßnahmen die sofortige Grenzschließung und Ausweisung aller illegal eingewanderten Personen beinhalten. Weiterhin sind umfassende Maßnahmen gegen „RĂŒckkehrer“ sowie Sympathisanten des IS bis hin zu Passentzug und Inhaftierung denkbar. Ein Ă€hnliches Vorgehen könnte auch auf gesamteuropĂ€ischer Ebene eine Option sein, sofern die ineffi zienten und schlecht organisierten EU-Institutionen – allen voran Frontex – von einer reinen Verwaltungsfunktion Abstand nĂ€hmen. Menschenrechts- und Religionsfreiheitsprosa haben in der SphĂ€re des tatsĂ€chlich Politischen keinen Platz, wo es in einer latenten Kriegslage neuen Typs um Sein oder Nichtsein geht. Dass die derzeitigen Bundesregierungen solchen Entscheidungen gewachsen sind, darf allerdings ernstlich bezweifelt werden. Mittelfristig auf dem Spiel steht der innere Friede; aufgrund der damit untrennbar verbundenen LegitimitĂ€tsfrage langfristig nicht weniger als die Existenz des Staates. Ob der Wille zur Selbstbehauptung vorhanden ist, ist eine von Legislaturperioden unabhĂ€ngige Entscheidung, die sich nicht aufschieben lĂ€sst. Die Bedeutung ihres Ergebnisses kann man – in Anlehnung an den „Begriff des Politischen“ von Carl Schmitt – wie folgt formulieren: „Dadurch, dass ein Volk nicht willens oder in der Lage ist, politisch zu handeln, bleibt diesem Volk die Politik nicht erspart. Sie wird lediglich von anderen bestimmt werden.“ FR E I L I CH


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Interview: Der Philosoph Alain de Benoist ĂŒber Rechtspopulismus und das Volk als SouverĂ€n. S. 10

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Interview: Der Schriftsteller Thor Die große Umverteilung Kunkel ĂŒber Berufsverbote, rechte bringt Politik und die „Corona“ LĂŒgenpresse S. große 10 Eingriffe in LĂŒgenpresse. POLITIK die Gesellschaft. S. 46 Interview: Mission R Eund P O Rheiliger T A G E Terror. Irfan Peci klĂ€rt aufSind ĂŒberkurz die weg Gefahren ÖSTERREICH DAS MAGA ZIN FÜR SELBSTDENKER des Islamismus fĂŒrWie Europa S. 10Der Burschen Europa. WIRTSCHAFT altein Herrlichkeit Bundeskanzler Kurz Europa Ausgabe No 10 / 2020 Interview: Kommt die Krise, oder den Stillstand geschickt hat. S. 44 Welche politische Rolle spielen freilich-magazin.at / Ö & DE: € 13,00 / CHF 13,00 R E P O R TAG E kommt sie nicht? Erfolgsautor Max Burschenschaften wirklich? S. 54 SEPTEMBER 2020 Unter MenschenjĂ€gern: KINDER Otte ĂŒber den Systemcrash. S. 10 W I S S E N S C H A F T DAS MAGA ZIN FÜR SELBSTDENKER Die Antifa nimmt es ganz persönlich. Vater seinerS CGĂ€nse Interview: Wir erziehen! Caroline Extremisten gegenDer HWERPUNKT Ausgabe No  / 2020 die Freiheit. S. 30 POLITIK Genialer Biologe und Kulturkritiker: Sommerfeld ĂŒber eine PĂ€dagogik freilich-magazin.at / Ö & DE: € 13,00 / CHF 13,00 Das trojanische Pferd: Konrad Lorenz im PortrĂ€t. S. 78 fernab der ’68er-Traumwelt ’68er-Traumwelt. S. 92 CORONA JULI 2020 DAS MAGA ZIN FÜR SELBSTDENKER Was die GrĂŒnen zur echten Gefahr Die Virus-Krise mit Folgen: R E P O R T A G E fĂŒr die Demokratie macht. S. 44 Ausgabe No  / 2020 SCHW E Runs PUN KT Wie sich der Stillstand auf alle www.freilich-magazin.at / Ö & DE: € 13,00 / CHF 13,00 Kampf um die Kurve: R I M I N A L I T Ä T auswirken wird. S. 40 APRIL 2020 Der Ringen der K(Sub-)Kulturen tobt DAS MAGA ZIN FÜR SELBSTDENKE R WieFußballfeld. kriminell dĂŒrfen rund ums deutsche S. 48AuslĂ€nder sein? Ausgabe No  / 2020 CHW ERPUNKT Wie die StatistikenSaus politischen www.freilich-magazin.at / Ö & DE: € 13,00 / CHF 13,00 DEUTSCHLAND GrĂŒnden geschönt werden. S. 104 D A S M A G A Z I N F Ü R S E L B S T DFEBRUAR ENKER 2020 „Bruda, was geht?“: Ausgabe No 6 / 2019 In der deutschenS CSprache findet ein HWERP UNKT www.freilich-magazin.at / Ö & DE: € 13,00 / CHF 13,00 großer Austausch statt. S. 64 NOVEMBER 2019

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WirWir basteln schaff en uns eine dasKrise UnpopulÀr Wir rechts Der kurze Sommer des Rechtspopulismus ist vorbei. Manche der Parteien brechen ein. Das Establishment macht zu. Doch politische VerÀnderung ist wichtiger denn je.

Alle auf die Knie! DenkmĂ€ler Globalisierung, stĂŒrzen! Establishment und KonNahversorgung, Wie unsere heile zerne sind die Revolution! Ein Welt Weltencrash undaus den FugenLand gerĂ€t kriegt keine Luft mehr! Nulldefizit. Arbeiter, und wir sie stets neu Angestellte und bauen mĂŒssen. Unternehmer. Wir sind Wirtschaft.

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Die Freiheitlichen haben ordentlich aufs Auge bekommen. Was ist nun die Perspektive der Partei? Wohin fĂŒhrt der Weg?

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Ist das Virus da oder nicht? Der Staat ist plötzlich ĂŒberall prĂ€sent, und die BĂŒrger sind sich nicht sicher, ob das immer so gut ist.

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CORONA

Wir Covidioten Fragliche Übersterblichkeit, aber jede Menge Massentests: „Corona“ bleibt weiter maximal widersprĂŒchlich. Zum Unternehmen-Massensterben Ă€ußert sich noch keiner. Zeit fĂŒr eine Zwischenbilanz. VON GÜNTER SCHOLDT

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ie Chinesen, hörte ich, haben das gleiche Schriftzeichen fĂŒr Krise und Chance. Das birgt Hoffnung. Aber nur, wenn wir um der Zukunft willen die richtigen SchlĂŒsse daraus ziehen. Welche Einsichten ließen sich also aus diesem Debakel gewinnen, um wenigstens Teile des immensen Lockdown-Lehrgeldes zu amortisieren? In erster Linie eine saubere Bestandsaufnahme dessen, was in den vergangenen Monaten bei uns und mit uns geschah. Skizzieren wir in diesem Sinne als Wunschszenario einen runden Tisch, an dem sich RegierungsbefĂŒrworter wie -kritiker treffen, um kĂŒnftig Großverluste zu vermeiden. Das hieße konkret, auch alternative Wissenschaftler zu berĂŒcksichtigen, exemplarisch fĂŒr viele etwa den Verein „Mediziner und Wissenschaftler fĂŒr Gesundheit, Freiheit und Demokratie“, die, da ihnen offizielle Stellen Gehör verweigerten, einen „Außerparlamentarischen Corona-Untersuchungsausschuss“ grĂŒndeten. In einem fruchtbaren Streit wĂ€ren diagnostische Zweifel zu erörtern und ForschungsprĂ€missen neu zu justieren. AufklĂ€rungsbedĂŒrftig ist etwa, welche autokratische medizinpolitische Handlungserweiterung sich allein dadurch ergab, dass die Epidemie heute wesentlich durch Tests bestimmt und

die frĂŒhere, auf Todesziffern basierte Pandemiedefinition der WHO im Vorfeld schlicht ausgehebelt wurde. FragwĂŒrdig ist zudem, in welchem Maße dabei Computermodelle ĂŒber klinische Studien triumphieren. Hinzu kommen selbst von Laien erkennbare methodische Unsauberkeiten, von deren (hemmungslos manipulativer) medialer Vermittlung ganz abgesehen. Da wurden absolute und relative Zahlen vermischt, zu 85 % problemlos verlaufende positive Befunde in einen Topf mit ernsthaften Erkrankungen gesteckt, Hotspot-Ergebnisse auch mal fahrlĂ€ssig auf Landesebene hochgerechnet. Bei allem Alarmismus „fehlt“ es jedoch an nennenswerter Übersterblichkeit, um derart einschneidende Maßnahmen zu rechtfertigen. Selbst WHO-Berichte, wonach die Überlebensraten Grippe- bzw. „Corona“-Erkrankter mit 99,8 bzw. 99,9 % fast identisch sind, belegen das. Vielerorts unterschied man kaum zwischen ursĂ€chlichen „Corona“-Toten und multimoribund Verstorbenen, bei denen schnell noch ein positiver COVID-19-Abstrich genommen wurde. Die Berliner CharitĂ© etwa untersagte zunĂ€chst Obduktionen sogenannter „Corona“-Toter. Wo es jedoch geschah, reduzierten sich die kommunizier-

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CORONA

ten Horrorzahlen drastisch. Als sich z. B. die US-Seuchenschutzbehörde CDC genötigt sah, Details offenzulegen, zeigte sich, dass nur ca. 6 % der gemeldeten Toten ausschließlich

Die offizielle Allzweckwaffe im Kampf gegen vermeintlich „leugnende Covidioten“ sind millionenfache Tests. an COVID-19 gestorben waren, obwohl dies bei allen als Todesursache vermerkt war. Die ĂŒberwiegende Mehrheit der so Erfassten hatte mehrere (im Schnitt 2,6) teils schwere Krankheiten. Vielleicht beantwortet sich in diesem Kontext auch die Frage, wo 2020 die teilweise hohe Grippesterblichkeit frĂŒherer Jahre geblieben ist? Wurde schlicht umetikettiert, oder gab es bereits frĂŒher an COVID-19 Verschiedene, ohne dass dies Weltalarm auslöste?

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ie offizielle Allzweckwaffe im Kampf gegen vermeintlich „leugnende Covidioten“ sind millionenfache Tests. Positive Diagnosen werden, je nach Land, sogar noch mit einem Zeitverzug von 1–3 Monaten oder mehr berĂŒcksichtigt, um „Untererfassungen“ einschlĂ€giger Toter zu vermeiden. Hinzu kommen materielle Anreize fĂŒr vieltestende „Corona“-Praxen oder bei entsprechenden Diagnosen. In Europa allein sind 200 verschiedene Tests im Umlauf, mit z. T. signifikant abweichenden Resultaten. Und was eigentlich sagen sie aus? Konstatierte doch exemplarisch die WĂŒrzburger Virologin Ulrike KĂ€mmerer, PCR-Diagnosen seien lediglich NukleinsĂ€urenachweise ohne Signifikanz fĂŒr aktive Viren oder Krankheit. Bei vielen symptomlos positiv Getesteten sei völlig unklar, ob ein Virenbefall vorliege. Schließlich sind die PCR-Tests, wie sogar noch Packungsbeilagen verrieten, eigentlich nicht zur Krankheitsbestimmung geeignet. Und der Erfinder der PCR-Methode, Kary Mullis, war entsetzt ĂŒber den damit getriebenen Missbrauch. Man arbeitet nĂ€mlich, um Viruspartikel ĂŒberhaupt sichtbar zu machen, mit der Methode der Verdoppelung bzw. „Amplifikation“. Und es kommt entscheidend auf den ct-Wert, d. h. die Anzahl dieser Zyklen an, um nicht – in Mullis’ Worten – „fast alles in allen“ zu finden. Bei 60-facher Amplifikation ist ĂŒbrigens jeder Getestete positiv. Drosten arbeitet mit 45-fachem ct-Wert und erfasst

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damit – eigenen frĂŒheren Warnungen zum Trotz – eine so geringe Virusmenge, dass deren VermehrungsfĂ€higkeit fraglich ist. Das Schweizer Bundesamt fĂŒr Gesundheit jedenfalls betont im Merkblatt zur „Corona“-Testung: „Der Nachweis einer NukleinsĂ€ure lĂ€sst keinen RĂŒckschluss auf das Vorhandensein eines infektiösen Erregers zu.“ Und selbst die „New York Times“ gestand nach eigenen Recherchen, die hochempfindlichen Tests tendierten reihenweise zu Fehlalarmen. Von ca. 45.000 positiv Getesteten waren offensichtlich nur 4500 wirklich infektiös, also ansteckend. Wissenschaft zeigt sich also fĂŒr Panikmache oder politische Manipulation zumindest offen. Wer Gesundheitserfolge melden will, begrenze Tests oder ct-Werte! Wer zweite oder dritte Wellen herbeitesten will, erhöhe beide! Unfreiwillig bestĂ€tigte dies sogar ein „Corona“-Scharfmacher wie „Bundesrettungskommandant“ Georg Foitik mit seinem bauernschlauen Rat an den österreichischen Krisenstab: Man möge zur internationalen Verbesserung heimischer Infektionszahlen einfach weniger testen. Er wenigstens hat das Manipulationsprinzip begriffen. Als weiteres Problem erweisen sich die falsch positiv Getesteten. Denn eine Fehlerquote, wie gering auch immer, hat jeder Test. Und die schlĂ€gt sich bei sehr kleinen Zahlen tatsĂ€chlich Kranker in einer Großgruppe Gesunder weit ĂŒberproportional bzw. diagnostisch verheerend nieder. Jeder Mathematiker lernt das im ersten Semester Stochastik.

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ntersuchungswĂŒrdig ist auch die propagandistische Begleitmusik des Lockdowns. Im MĂ€rz 2020 entstand im Berliner Bundesinnenministerium ein ursprĂŒnglich geheimes Strategiepapier. Es empfahl angesichts einer erwarteten unspektakulĂ€ren (!) „Corona“-Todesrate vor allem emotionale ÜberwĂ€ltigung. Man beschwöre – wörtlich – die „Urangst“ des Menschen vor Erstickungstod und massiven (obwohl noch kaum bekannten) NachfolgeschĂ€den. ZusĂ€tzlich betone man drohende Familientragödien, wonach sĂŒĂŸe Enkelchen unwissentlich Oma und Opa umbringen könnten. Der Soziologe Heinz Bude, einer dieser Panik erregenden SchreibtischtĂ€ter, zog kĂŒrzlich sein Fazit: Die Methode habe zunĂ€chst funktioniert und „zu einem hohen Verantwortungsbewusstsein und starken VerhalFR E I L I CH


Foto: imago / photonews.at

CORONA

„Corona“ und seine Folgen polarisieren. Scheinbar ganz selbstverstĂ€ndliche Dinge werden plötzlich diskutiert.

tensanpassungen“ gefĂŒhrt. Mittlerweile genĂŒge das nicht mehr. „Die Angst vor dem Virus hat sich abgenutzt“ und mĂŒsse nun durch „moralischen Pragmatismus“ abgelöst werden: eine Mischung aus freundlichem ErklĂ€ren der Maßnahmen und „Robustheit, diese auch durchzusetzen“. Die perfide MentalitĂ€t solcher Ratgeber zu kennzeichnen, wĂ€re ein Artikel fĂŒr sich. Desgleichen ihre besudelnden Beschönigungen einer gutmenschlichen Sprache des „Vierten [Corona-]Reiches“. EinschĂŒchterung paart sich mit pauschaler Herabsetzung von Forschern als „Wirrköpfe“ oder „Verschwörungstheoretiker“. Exemplarisch fĂŒr den dabei herrschenden „QualitĂ€tspressen“-Ton steht ein Elaborat des Wissenschaftsjournalisten MĂŒller-Jung, den ein Blogger treffend als „FAZke“ titulierte. FĂŒr ihn „simulieren“ die Skeptiker nur Wissenschaft und verzapfen als „Pseudoexperten pausenlos Unsinn“. Auch „Leute vom Fach“, wie der „pensionierte Mainzer Mikrobiologe Sucharit Bhakdi, der Masken fĂŒr Kindesmisshandlung hĂ€lt und erst jĂŒngst feststellte, dass es seit Wochen keine neuen COVID19-Kranken mehr im Land gebe“. Die letzte Behauptung ist pure Unterstellung, verbunden mit Framing Ă  la ZDF, das ĂŒber den Infektionsepidemiologen Bhakdi im Boulevardjargon pöbelte: „Biologieprofessor spielt Corona-Gefahr herunter.“ N ° / 11 / FE B R UA R 2021

Der despektierliche Hinweis auf dessen Emeritierung bedient das Vorurteil, nur beruflich aktive Wissenschaftler besĂ€ĂŸen Kompetenz und Praxisbezug. Dabei gehören etliche PensionĂ€re – weit ĂŒber die Medizinbranche hinaus – heute zu den wenigen, die sich unbedrĂ€ngt von kollegialen oder politischen RĂŒcksichten sowie Verhaltenserwartungen bei der Mittelvergabe stĂ€rker der Wahrheit verpflichtet sehen. Das gilt auch fĂŒr den Berner Immunologen Beda Stadler, der selbstkritisch eingestand, die COVIDPanik lange gutglĂ€ubig geteilt zu haben. Nun bestreitet er drei Dogmen der „Corona“-Ma-

Kein Forscher ist unfehlbar. Daher staunt man, wie hoch ihre öffentliche Reputation anwachsen kann, wenn die Medien pushen. nager: Das Virus sei neu, in der Bevölkerung bestehe dagegen keine ImmunitĂ€t, und man könne andere symptomlos anstecken. Dergleichen Bedenken mĂŒssen auf den PrĂŒfstand, ergebnisoffen fĂŒr weitere Studien. Man mag sie sachlich widerlegen, aber nicht einfach polemisch oder administrativ wegwischen, wo man seinem Volk solche Entbehrungen auferlegt. Statt ganze LĂ€nder in Haft zu nehmen, wĂ€re es sinnvoll, den For-

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CORONA GESCHEITERTE PROGNOSEN

Drosten Ă€ußerte sich zu diesem Problem in einem Interview in der „WirtschaftsWoche“ vom 16. Mai 2014 anlĂ€sslich der MERS-Epidemie auf der arabischen Halbinsel wie folgt: „Die Methode ist so empfindlich, dass sie ein einzelnes ErbmolekĂŒl dieses Virus nachweisen kann. Wenn ein solcher Erreger zum Beispiel bei einer Krankenschwester mal eben einen Tag lang ĂŒber die Nasenschleimhaut huscht, ohne dass sie erkrankt oder sonst irgendetwas davon bemerkt, dann ist sie plötzlich ein MERS-Fall. Wo zuvor Todkranke gemeldet wurden, sind nun plötzlich milde FĂ€lle und Menschen, die eigentlich kerngesund sind, in der Meldestatistik enthalten.“

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schungsfokus auf Umwelt, LeistungsfĂ€higkeit der Gesundheitssysteme, Arbeits-, Lebensund Hygienebedingungen zu konzentrieren, d. h. Spezifika von Hotspots zu ergrĂŒnden. Dass man in Regierungskreisen etwa von unspektakulĂ€ren eigentlichen Ursachen der Bergamo-Kulisse wusste oder wissen konnte, verriet jĂŒngst ein ehemaliger Bundestagsmitarbeiter als Whistleblower.

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ein Forscher ist unfehlbar. Daher staunt man, wie hoch ihre öffentliche Reputation anwachsen kann, wenn die Medien pushen. Selbst wenn vermeintliche KoryphĂ€en frĂŒher in Sachen „Rinderwahn“, EHEC, Schweine- oder Vogelgrippe höchst kostspielig danebenlagen. WĂ€chst doch Vertrauen ĂŒblicherweise nicht durch krasse Fehlwarnungen, bei denen heutige Medienstars in Weiß einst eine unrĂŒhmliche Gutachterrolle spielten. So verkĂŒndete Prof. Neil Ferguson vom Imperial College in der „tagesschau“ Horrorzahlen, wonach in Großbritannien mehr als eine halbe, in den USA 2,2 Millionen Menschen an „Corona“ stĂŒrben. Schon bei BSE (136.000 Tote), der Vogel- (200 Millionen) und der Schweinegrippe (65.000) hatte er ein Massensterben vorausgesagt, das sich in allen FĂ€llen auf wenige Hundert reduzierte. Auch Merkels Kult- und Hofvirologe Christian Drosten und das Robert-Koch-Institut (RKI) haben sich 2009 mit hysterischen Prognosen zur Schweinegrippe blamiert und veranlasst, Millionen Dosen Impfstoff zu kaufen, die spĂ€ter im MĂŒllheizwerk landeten, wĂ€hrend die Pharmaindustrie einen geschĂ€tzten Gewinn von 18 Milliarden Dollar einstrich. Wundert es da, dass Kritiker Interessenverflechtungen zwischen Gutachtern, Unternehmen und NGOs ins Visier nehmen, allen voran von Bill Gates und der Impflobby? Von politischen WĂŒnschbarkeiten ganz abgesehen, z. B. Wahlinteressen bestimmter politischer Klassen in den USA oder Deutschland. Drosten-Fans tĂ€ten außerdem gut daran, sich zu erinnern, dass er und etliche Verantwortliche schon mal Gegenteiliges verlautbart haben: ĂŒber aufgebauschte „Corona“-Gefahr, eingeschrĂ€nkte Aussagekraft von PCR-Tests oder fehlende Effizienz des Maskentragens. Ein halbes Jahr spĂ€ter jedoch gilt der SchnĂŒffel als absolutes Muss, ungeachtet der hohen CO2- und Keimkonzentration im Mund- und Nasenbereich, die teils gĂ€ngigen Arbeits-

schutzbedingungen zuwiderlĂ€uft. Das RKI jedenfalls interessiert sich weder fĂŒr schĂ€dliche Nebenwirkungen noch die EinschĂ€tzung des renommierten „New England Journal of Medicine“, wonach Masken „außerhalb von Gesundheitseinrichtungen“ vornehmlich der Beruhigung ihrer TrĂ€ger dienen.

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an hat COVID-19 mit Krieg verglichen, und die „Corona“-Mobilisierung zeigt viele Parallelen. So blieb auch bei ihr als erstes Opfer die Wahrheit auf der Strecke, sofern diese zuvor unseren fast gleichgeschalteten Medien ĂŒberhaupt noch zu entnehmen war. Das belegen aus Italien stammende TV-Schockbilder, die man auch mal als Fotos aus New York ausgab, ebenso wie groteske Verzeichnungen im Fall der Berliner oder Leipziger Proteste. Dabei halluzinierten politisch korrumpierte Medien ein Bedrohungsszenario durch Querdenker, das gĂ€ngigen Schweinejournalismus noch ĂŒberbietet. Nicht weniger wirksam sind weitgehende systematische Verschweigeeffekte, wie im Fall der oben erwĂ€hnten (entwarnenden) Daten von WHO oder CDC. Ohne das Netz wĂ€ren Kritiker kaum zu Wort gekommen, obwohl renommierte Fachleute aus aller Welt in einer GrĂ¶ĂŸenordnung widersprechen, die sich DurchschnittsbĂŒrger in ihrer vom Establishment abgeschotteten Informationshöhle nicht trĂ€umen lassen. Hier mal 250, dort 600 Wissenschaftler, schließlich sind’s tausende, die sich mit Aufrufen an Regierungsorgane oder die Öffentlichkeit wenden. Stellvertretend seien Initiativen wie die „Great Barrington-ErklĂ€rung“ oder „Ärzte stehen auf “ genannt. Stattdessen wurde im Rahmen von Diffamierungskampagnen gegen Wodarg, Bhakdi und Co. die Weiterleitfunktion von WhatsApp eingeschrĂ€nkt oder von YouTube Interviews mit „ServusTV“ gelöscht, einem der wenigen LeuchttĂŒrme im chronischen Dunkel medialer UniformitĂ€t. Die BegrĂŒndung war so kurios wie entlarvend: „Alles, was gegen die Empfehlungen der WHO verstĂ¶ĂŸt, wĂŒrde einen Verstoß gegen unsere Richtlinien darstellen. Daher ist das Entfernen ein weiterer wirklich wichtiger Teil unserer Richtlinien.“ O schöne neue Zensurwelt, zu der auch die Löschung eines GesprĂ€chs mit Rechtsanwalt Fuellmich passt, der die Klage des außerparlamentarischen „Corona“-AusFR E I L I CH


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schusses gegen bestimmte Virologen betreibt! YouTube witterte darin „unangemessene Inhalte“ – im Gleichschritt mit Facebook, das im Vorfeld der Berliner „Corona“-Demo die Zeitschrift „COMPACT“ verbannte. Verhindert wird v. a. das öffentliche Bewusstsein fĂŒr Gegenbilanzen. Denn auch Isolationspolitik fordert schwere Opfer und zahlreiche Menschenleben durch verursachte KrankenhausĂŒberlastungen und verhinderte rechtzeitige Behandlung momentan unmodischer Gebrechen. Allein in Deutschland hat man in drei Monaten ĂŒber eine Million Operationen abgesagt, darunter 52.000 Krebs-OPs. Die medial geförderte ImmobilitĂ€t, Reduzierung von Sozialkontakten und Angst wirken als ImmunitĂ€tskiller wie Auslöser psychosozialer SchĂ€den, nicht zuletzt bei SuizidgefĂ€hrdeten und Kindern, von deren erheblichen Verlusten an Bildung und Arbeitshaltung ganz zu schweigen. Hinzu kommen BĂŒrger, denen man die ökonomische Basis entzog, bei (drohenden) Konkursen im hohen sechsstelligen Bereich. Die Dritte Welt verzeichnet unter dem Radar breiterer Aufmerksamkeit durch die ZerrĂŒttung der Weltwirtschaft sogar Opfer in Dimensionen, vor denen sĂ€mtliche „Corona“-Zahlen verblassen. Die Vorhersage fĂ€llt also leicht, dass, wer auch kĂŒnftig so gefĂ€hrlich mit Volkswirtschaften verfĂ€hrt, in manchen LĂ€ndern oder umgekippten Vierteln zumindest BĂŒrgerkrieg riskiert.

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inzu kommt, dass die gerade vernichtete ökonomische Substanz auch das dringend reformbedĂŒrftige Renten- wie Gesundheitssystem essenziell gefĂ€hrdet. Und die Alten, die sich als Gewinner besonderer FĂŒrsorge wĂ€hnen, dĂŒrften mittelfristig wahre RealitĂ€tsschocks erleben, deren tatsĂ€chliche Ursachen ihnen dann noch rabiater als heute verschleiert werden mĂŒssen. Bereits jetzt neigt unsere Expertokratie schließlich zum allzu einfachen, d. h. repressiven Regieren, gestĂŒtzt von einer „Zivilgesellschaft“, die von verbandelten Arbeitgeber- und -nehmerlobbys ĂŒber systemtreue Kirchen, eine lammfromm gefĂŒtterte Sportund Unterhaltungsbranche bis hin zur Straßengewalt reicht. So sanktioniert man etwa einen Sachbearbeiter im Innenministerium, weil er auch alternative Statements einforderte und weitergab. Ein Schulleiter, der Masken fĂŒr N ° / 11 / FE B R UA R 2021

kinderfeindlich hĂ€lt, wurde ebenso suspendiert wie ein Polizist mit VerstĂ€ndnis fĂŒr demonstrierende Querdenker. Einen der ganz seltenen Berufssportler mit Zivilcourage hat man wegen öffentlicher „Corona“-Kritik umgehend entlassen. Zugleich verwahren sich Ärztekammern gegen „abweichende“ Auffassungen, rufen Patienten zur Denunziation von Kollegen auf und drohen mit Strafen. Hausdurchsuchungen und Entzug der Approbation sind wirksame Mittel gegen Abweichler, wo immer sich ein formaler Ansatzpunkt findet. Zur Gegenbilanz gehören demnach auch schwerste FreiheitsbeschrĂ€nkungen, darunter die millionenfache EntmĂŒndigung besonders in Altersheimen. Als Exzess zeigten sich makabre Praktiken, wonach Moribunde aus Hygieneschutz ihre letzten Tage ohne adĂ€quate Familienbegleitung verbringen mussten. Einige BundeslĂ€nder schrecken damit, Kinder zwangsweise aus Familien zu entfernen, falls (vielfach weltfremde) QuarantĂ€nevorschriften nicht eingehalten werden. Und der verheißene Geldsegen zum Wiederaufbau (kreditiert per Notenpresse als Wechsel auf die Zukunft) fesselt alle Empfangsberechtigten noch stĂ€rker an den Staat. Soeben verabschiedete der Bundestag ein (vier Grundrechte einschrĂ€nkendes) Infektionsschutzgesetz, das wohl als neues „ErmĂ€chtigungsgesetz“ in die GeschichtsbĂŒcher eingeht. In ihm enthĂŒllen sich technokratische SehnsĂŒchte unserer politischen Klasse. Ein medizinisches Notstandsregime schrĂ€nkt zudem gerade bei Wahlen AktivitĂ€ten von Oppositionellen drastisch ein. Und beim medizinischen Kampf gegen Krankheitserreger so schön in Schwung gebracht, rĂŒcken „Extremisten“-Viren zusĂ€tzlich ins Visier, die man ĂŒberall wittert, wo die jeweils neueste Globalagenda bekrittelt wird. Was sich bei reduzierter öffentlicher Aufmerksamkeit alles im Schnellverfahren durchsetzen lĂ€sst, verheißt ein autokratisches Paradies, wĂ€hrend in Furcht gesetzte Massen ihren „Rettern“ wie Lemminge folgen. Denn offenbar lechzt die Masse nach AutoritĂ€t. Wir haben weithin den Glauben an traditionelle Religionen verloren und als Surrogat dafĂŒr u. a. die „Wissenschaft“ erkoren. Wenn sie ihre Stimme erhebt, scheinen Politiker ihre höchste Legitimation zu finden, ungeachtet des Umstandes, dass beide sich wechselseitig instrumentalisieren.

DAS MAGA ZIN FÜR SELBSTDENKER

POLITISCHE STUDIE 4

Nach Corona Perspektiven freiheitlicher Politik AUGUST 2020

FREILICH POLITISCHE S T U D I E : N AC H C O R O N A

Freiheitliche Spitzenpolitiker ĂŒber „Corona“ und Arbeit, Gesundheit, Sicherheit, Migration, Verfassung etc. und darĂŒber, welche freiheitlichen Antworten es auf die neuen Herausforderungen geben muss. Mit BeitrĂ€gen von Norbert Hofer, Herbert Kickl, Dagmar Belakowitsch, Erwin Angerer, Gerhard Kaniak, Susanne FĂŒrst, Edith MĂŒhlberghuber, Hermann BrĂŒckl, Christian Hafenecker, Hannes Amesbauer, Michael Schnedlitz, Reinhard Bösch, Petra Steger und Axel Kassegger. Die vollstĂ€ndige Studie gratis zum Download: freilich-magazin.at/ studien

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! N E Z T Ü H C FREIHEIT S LOCKDOWN BEENDEN

SÖDERïšșHYSTERIE STOPPEN Die Corona-Pandemie hĂ€lt die Welt in Atem. Auch Deutschland muss enorme Herausforderungen bewĂ€ltigen. PANIK BRINGT UNS NICHT WEITER. Und ein Lockdown nach dem anderen ruiniert Millionen Existenzen. Wir mĂŒssen mit dem Virus leben, solange es noch kein wirksames Gegenmittel gibt, und Risikogruppen schĂŒtzen. FĂŒr die große Mehrheit der Bevölkerung stellt das Coronavirus keine grĂ¶ĂŸere Gefahr dar als eine schwere Grippe. Nur die wenigsten In-

Impressum: AfD-Fraktion im Bayerischen Landtag Bereich Presse & Öffentlichkeitsarbeit Maximilianeum - 81627 MĂŒnchen Telefon: 089 – 4126 2960 info@afd-landtag.bayern V.i.S.d.P.: Vorsitzende: Katrin Ebner-Steiner Prof. Dr. Ingo Hahn

fizierten erkranken ernsthaft, und die Sterblichkeit war 2020 niedriger als im Vorjahr. GefĂ€hrlicher als das Virus selbst ist die Politik der Angst. Durch völlig ĂŒberzogene und irrationale Maßnahmen haben Arbeitslosigkeit, Depressionen und hĂ€usliche Gewalt massiv zugenommen. Die Kosten der Corona-Politik belaufen sich bis zum Herbst 2020 bereits auf ĂŒber eine Billion Euro. So kann es nicht weitergehen. WIR FORDERN UNSER NORMALES LEBEN ZURÜCK!

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reiheit hingegen war stets mit Risiko verbunden und der AbwĂ€gung, was sie uns wert ist. Mir jedenfalls graust vor einem Staat, der mich in seiner umfassenden FĂŒrsorge vor jeglichem Übel zu schĂŒtzen vorgibt und gleichzeitig zum potenziellen GefĂ€hrder aller erklĂ€rt. An zu heftigen Umarmungen kann man auch ersticken. Und die bereits Ă€sthetisch abstoßende Maske als Maulkorbentsprechung illustriert diese Vision. Manches mag gut gemeint oder sachlich begrĂŒndet sein. Insbesondere in KrankenhĂ€usern oder Altenheimen sollten vom medizinischen bzw. Pflegepersonal aus keine Krankheitsimpulse gesetzt werden. Doch bei der flĂ€chendeckenden Maskenpfl icht, ĂŒber deren Nutzen sich selbst Experten uneins sind, dominiert inzwischen fraglos der Gesslerhuteffekt. „Wir werden in ein paar Monaten wahrscheinlich viel einander verzeihen mĂŒssen“, sinnierte der deutsche Gesundheitsminister Spahn in einem lichten Moment im Bundestag. Die Bereitschaft dazu stiege vermutlich selbst bei besonders Betroffenen, wenn die oben skizzierte ehrliche Aufarbeitung der Krise tatsĂ€chlich stattfĂ€nde. Aber es braucht wenig Prophetie zur Annahme, dass es höchst naiv wĂ€re, dies ausgerechnet von denen zu erwarten, die uns das Ganze eingebrockt haben. Gibt es doch zu viele SchwĂ€chen und gravierende Fehler zu vertuschen. Und Offenheit kann sich kaum leisten, wer solche Verluste an Volksvermögen und menschlichem Leid zu verantworten hat.

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uch bei etlichen Ärzten, die zunĂ€chst guten Glaubens im Pandemietheater mitspielten, dĂŒrften Scham und Furcht vor Vertrauensverlust Selbstkritik erschweren. Desgleichen bei den Massen, die sich so lange widerstandslos in Panik versetzen, kujonieren und maskieren ließen, falls man uns nicht sogar noch per (indirekten) Impfzwang in den Status von Laborratten versetzt. Es zehrt am SelbstgefĂŒhl, sich solches eingestehen zu mĂŒssen. Politiker wiederum, die ahnen, dass sie unverhĂ€ltnismĂ€ĂŸig gehandelt haben, fĂŒrchten die Folgen und verschanzen sich lieber hinter wahlkampfbekömmlichen fĂŒnfstelligen Fantasiezahlen angeblich Geretteter. Insofern dĂŒrfte auch das von uns unfreiwillig entrichtete „Corona“-Lehrgeld verschwendet sein. Gleichwohl verbietet sich gĂ€nzlicher Pessimismus. Hoffen darf man auf manche vom System unerwĂŒnschte Aufk lĂ€rungseffekte

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nicht zuletzt zulasten sogenannter Experten. Schmerzlich wie nĂŒtzlich dĂŒrfte die Erkenntnis sein, was jede(r) durch zu großes Vertrauen in konforme, gefĂŒhlslenkende Medien sowie mangelnde Freiheitsgesinnung selbst zur Misere beitragen hat. Viele erleben an erheblichen persönlichen Verlusten, wie teuer Alternativlosigkeit bezahlt werden muss. Unsere Postdemokraten haben auf Regierungskritik meist die Standardantwort: Böse Rechte verunsicherten mit unverantwortlichen Fake News und Verschwörungstheorien ihre Landsleute, was nur weitere Zensur verhindern könne. Richtig daran ist lediglich, dass etliche Skeptiker des hiesigen „Corona“-Managements zunĂ€chst tatsĂ€chlich aus dem rechten Lager kamen. Waren sie doch lĂ€ngst gewohnt, sich ĂŒberhaupt jenseits der Blockmedien zu informieren, und sitzen daher nicht in der vom Establishment jĂ€mmerlich verengten Nachrichtengrotte. Sie zweifeln an offiziellen „Wahrheiten“, weil sie im Gegensatz zur Masse ĂŒberhaupt andere Meinungen (ohne polemische VerkĂŒrzungen) kennen. Die vergleichen sie mit ihren Erfahrungen und den allein seligmachenden Regierungsbotschaften aus Staatsfunk oder Hofpresse. Indem nun aber auch aus anderen politischen Zirkeln kommende Dissidenten hautnah erfahren, wie einfallslos demagogisch jeder Opponent mit der Nazikeule traktiert wird, dĂŒrfte einigen dĂ€mmern, dass auch bei sonstigen MainstreamvorwĂŒrfen gegen Alternative die RealitĂ€t grob entstellt wird. Und so mancher von ihnen begrĂŒĂŸt dann vielleicht den originellen Ratschlag im Netz, wonach einige Urvölker bei Pandemien zur BesĂ€nftigung der Götter ihre AnfĂŒhrer opferten. „In so schwierigen Zeiten sollte man wirklich nichts unversucht lassen“. (Um bestenfalls halbgebildeten und ironiefreien SchlapphĂŒten das Erstellen von Dossiers auf unsere Kosten zu ersparen, sei vorsichtshalber prĂ€zisiert: Das Opfern möge sich aufs Kandidatenmeucheln mittels Wahlzettel beschrĂ€nken.) Denn irgendwann – leider wohl erst ab 2022, wenn sich die monströse Minusbilanz nicht mehr glaubhaft aufhĂŒbschen und die Staatsfinanzierung von Verlusten und Arbeitslosen nicht uferlos fortsetzen lĂ€sst – kommt die Stunde der Wahrheit. Herbert Kickl und andere könnten dann mit ihrem heilsamen Klartext ernten, was ihnen das aktuelle Stimmungsbarometer noch verwehrt.

GĂŒnter Scholdt geboren 1946 in Mecklenburg, ist habilitierter Literaturwissenschaftler und ehemaliger Leiter des „Literaturarchivs Saar-Lor-Lux-Elsass“ in SaarbrĂŒcken. Der ehemalige außerordentliche Professor nennt als Forschungs- und Publikationsschwerpunkt u. a. „Aktuelle gesellschaftliche Deformationen und Befindlichkeiten“. Seine Website: www.scholdt.de

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WIRTSCHAFT

Vom Kerbholz zur Blockchain KryptowĂ€hrungen spielen eine immer bedeutendere Rolle. Bitcoin & Co. könnten eine Revolution einleiten. VON MARKUS GÄRTNER

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ber 1000 Jahre lang waren Kerbhölzer das vorherrschende Instrument zur Bilanzierung von Schulden und Steuerforderungen. Im mittelalterlichen Europa waren die kleinen Brettchen aus Weiden- oder Kiefernholz das zentrale ZĂ€hl- und Buchhaltungswerkzeug. In zwei identischen Spalten wurden die SchuldverhĂ€ltnisse von BĂŒrgern und Kaufleuten darauf eingeritzt. Dann spaltete man das Holz der LĂ€nge nach, Schuldner und GlĂ€ubiger erhielten je eine HĂ€lfte mit identischen Einkerbungen. Beim spĂ€teren ZusammenfĂŒgen der beiden HĂ€lften am vereinbarten Zahltag konnte zweifelsfrei bewiesen werden, dass die beiden HĂ€lften zusammengehörten und eine Forderung echt war. Im Bergbau des an MĂŒnzen armen Europa wurden mit den Kerbhölzern abgebaute Erzmengen registriert, im Handel gelieferte Waren dokumentiert, oder es wurden die gekauften Brote beim BĂ€cker eingetragen. In der Landwirtschaft wurde auf den Kerbhölzern der Viehbestand festgehalten. Bei einfachen BĂŒrgern konnte man die Verbindlichkeiten gegenĂŒber dem Fiskus ablesen. Vor mittelalterlichen Gerichten galten die Stöckchen als Beweismittel. Und bis hin zum Code NapolĂ©on wurden die ZĂ€hlhöl-

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zer noch als Schuldurkunde anerkannt. Die Bank of England akzeptierte sie sogar als Einlage. Die Vorgehensweise beim Teilen der Stöcke lebt bis in die heutige Begriffswelt fort. Bei unterschiedlicher LĂ€nge der beiden HĂ€lften bekam stets der GlĂ€ubiger das lĂ€ngere StĂŒck, woraus sich im Englischen – wo die Kerbhölzer als „tally sticks“ (ZĂ€hlstĂ€be) bezeichnet wurden – der Begriff „stockholder“ entwickelte, und spĂ€ter das Wort „stock market“ fĂŒr die Börse. Dass man sagt, jemand habe „den KĂŒrzeren gezogen“, geht darauf zurĂŒck, dass beim Teilen der Kerbhölzer die verschuldete Partei die kĂŒrzere HĂ€lfte bekam. Im Deutschen ist aus dieser Bilanzepoche die Redewendung geblieben, jemand habe „etwas auf dem Kerbholz“, eine Verbindlichkeit oder, im ĂŒbertragenen Sinne, eine Schuld.

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as Ende der Schuldenhölzer – und damit der ersten großen Epoche in der Kulturgeschichte der Schuldenbilanzierung – kam, als in Großbritannien in den 1820er-Jahren nach 200 Jahren Krieg klar wurde, dass die aufgelaufenen Staatsschulden nicht mehr abgetragen werden konnten. Die britische Regie-

rung beschloss 1826, das System der „tally sticks“ zu beenden und auf Geldscheine, von denen man so viele wie benötigt drucken konnte, ĂŒberzugehen. NatĂŒrlich wollte kaum jemand die ZĂ€hlhölzer abgeben, weil sie neben Verbindlichkeiten auch Guthaben und Forderungen enthielten. Die britische Regierung konfiszierte 1834 kurzerhand die ZĂ€hlstöcke. Als niemand so recht wusste, wie man das viele Schuldenholz beseitigen sollte, kam ein Hausverwalter des Parlaments auf die Idee, sie in den Öfen des House of Lords zu verbrennen. Die Flammen entwickelten jedoch eine so unerwartete Hitze, dass am 16. Oktober im „Großen Feuer von 1834“ das gesamte britische Parlament niederbrannte. Diese Vorgeschichte muss man kennen, wenn man sich einen LinkedIn-Eintrag der in Finanzkreisen bestens bekannten Analystin und geostrategischen Beraterin Pippa Malmgren anschaut. Malmgren, die an der London School of Economics studierte, hat die PrĂ€sidenten George W. Bush und Obama beraten. Sie gehörte auch der 1988 von Ronald Reagan gegrĂŒndeten „Working Group on Financial Markets“ an. Deren Aufgabe ist es, die Effizienz und StabilitĂ€t an den US-FinanzmĂ€rkten zu FR E I L I CH


Foto: istockphoto / 1145592947

WIRTSCHAFT

verbessern. Malmgren hat ihren bemerkenswerten Text mit der Überschrift „Von den Tally Sticks zur Blockchain – Die Neubewertung Ihres ganzen Lebens“ versehen.

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hr Beitrag beginnt mit diesen Worten: „Eine Möglichkeit, mit der epischen Verschuldung umzugehen, besteht darin, das traditionelle System von Geld und Buchhaltung einfach aufzugeben und ein neues einzufĂŒhren. Es klingt unmöglich, aber wir sind dabei, diesen Übergang zu vollziehen. Er geschah zuletzt, als die Briten 1829 mit 200 Jahren unbezahlbarer Kriegsschulden konfrontiert wurden. Die britische Regierung dachte sich hierfĂŒr eine clevere Idee aus. Warum nicht ein StĂŒck Papier mit dem Namen „Cash“ drucken? Aber niemand wollte das System aufgeben, das seit 1000 Jahren einwandfrei funktioniert hatte ...“ (ĂŒbersetzt aus dem Englischen vom Autor). Über die weltweit aufgelaufenen Schulden schreibt sie in ihrem Post, sie seien nicht mehr abzutragen und könnten auch durch gezielte Inflationierung, wie sie die Notenbanken seit der Finanzkrise 2008 versuchen, nicht beseitigt werden. Daher stehe erneut eine Zeitenwende wie beim

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Übergang von den Kerbhölzern zum flĂ€chendeckend eingesetzten Bargeld an. „Jetzt stehen wir an der Schwelle zu einem Ă€hnlichen Evolutionssprung“, schreibt Malmgren, „wir werden zu elektronischem Geld mit der Blockchain wechseln, e-Money wird die neue WĂ€hrung sein.“ Malmgren erinnert an den Brand des britischen Parlamentes, weil sie die Risiken eines solchen Überganges deutlich machen will. Doch in ihrem Bericht weist sie auch auf das hin, was dem Übergang zum Papiergeld folgte: „Die industrielle Revolution und 100 Jahre mit großer Vermögensbildung.“ Die Prognose von Malmgren trifft zeitlich zusammen mit einem Höhenrausch der fĂŒhrenden CyberwĂ€hrung Bitcoin, die ihren Wert im Verlauf des Kalenderjahres 2020 nahezu vervierfacht hat. Der gesamte Umlaufwert von Bitcoin hat vor Weihnachten 2020 eine Summe von 350 Milliarden Dollar erreicht. Das war eine Zunahme von mehr als 100 Milliarden Dollar seit dem Sommer 2020. Es entsprach ziemlich genau dem BIP von Nigeria, das in der Liste der grĂ¶ĂŸten Volkswirtschaften Ende 2020 vom IWF an 30. Stelle gefĂŒhrt wurde.

DA S G E L D VO N M O R G E N ?

KryptowĂ€hrungen wie Bitcoin (BTC) und Ethereum (ETH) erregen seit geraumer Zeit das allgemeine Interesse. Doch sie werden erst durch die Blockchain-Technologie realisierbar, die sich auf viele unterschiedliche Bereiche anwenden lĂ€sst. Als die bis heute anonym gebliebene Person oder Personengruppe, die sich „Satoshi Nakamoto“ nannte, im Jahr 2009 die Bitcoin-Infrastruktur implementierte, war das der Startschuss fĂŒr die weltweit erste öffentlich zugĂ€ngliche Blockchain. Vereinfacht gesagt ist eine Blockchain (auch Block Chain, zu deutsch: Blockkette) eine digitale und dezentrale Datenbank oder ein Register, das chronologisch linear um neue Daten bzw. Informationen erweitert werden kann. Aus diesem Grund spricht man von einer Kette, die stets lĂ€nger wird.

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Andreas Lombard analysiert die Corona-Transformation

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WIRTSCHAFT

Die Notenbanken von China, Großbritannien und Schweden entwickeln konkrete PlĂ€ne fĂŒr die Ausgabe einer digitalen WĂ€hrung.

Mitte Dezember 2020 durchbrach Bitcoin erstmals die Marke von 20.000 Dollar. Das Jahr 2020 könnte sich in der RĂŒckschau daher durchaus als ein Wendepunkt und als das Erreichen einer kritischen Marke erweisen. Bitcoin verließ den Status einer Nischenentwicklung, was auch die zahlreichen Initiativen von Notenbanken, GeschĂ€ftsbanken und großen Firmen zeigen, die beginnen, in digitalen WĂ€hrungen abzurechnen. Die beiden grĂ¶ĂŸten Faktoren, die derzeit den Höhenflug der digitalen WĂ€hrungen antreiben, sind die anhaltend exzessive Geldpolitik der Notenbanken und die ausufernde Verschuldung vieler Staaten, die durch COVID eine zusĂ€tzliche, kaum noch zu kontrollierende Dynamik entwickelt hat.

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ie Notenbanken von China, Großbritannien und Schweden entwickeln konkrete PlĂ€ne fĂŒr die Ausgabe einer digitalen WĂ€hrung. Die EZB hat ihre PlĂ€ne in jĂŒngster Zeit forciert und drĂŒckt erkennbar auf das Gaspedal. Das US-Finanzministerium hat angekĂŒndigt, es wolle alle Transaktionen mit KryptowĂ€hrungen durch Regulierung „zentralisieren“, also unter seine Kontrolle bringen. Dagegen haben die existierenden Kryptobörsen bereits Widerstand angekĂŒndigt, sie sehen Regulierungen, von wem auch immer, als einen signifi kanten Eingriff in die PrivatsphĂ€re der Nutzer von KryptowĂ€hrungen. In der indischen Stadt Jaipur hat Ende 2020 die erste Niederlassung einer neuen Bank fĂŒr den Tausch und den Handel mit KryptowĂ€hrungen ihre Pforten geöffnet. Hier können Konten eröffnet, Kredite aufgenommen und BörsengeschĂ€fte getĂ€tigt werden. Die People’s Bank of China hat bereits Blockchain-Ingenieure eingestellt, um eine elektronische Version des Renminbi vorzubereiten. Japans Regierung hat die Blockchain auf ihre Tauglichkeit fĂŒr die staatliche Auftragsvergabe getestet. In Italien hat der Bankenverband mit seinen mehr als 700 Mitgliedern Experimente mit einem digitalen Euro gestartet. WĂ€hrend des Singapur-Fintech-Festivals Anfang Dezember N ° / 11 / FE B R UA R 2021

2020 hat der bei der EZB fĂŒr Innovationen zustĂ€ndige Holger Neuhaus seine EinschĂ€tzung zu Protokoll gegeben, dass die Finanzbehörden der EU sich bis Mitte 2021 entscheiden wĂŒrden, ob sie eine Initiative fĂŒr einen digitalen Euro starten. Auf derselben Veranstaltung in dem sĂŒdostasiatischen Stadtstaat kĂŒndigte der Leiter von Facebook Financial, David Marcus, an, dass die Plattform in diesem Jahr ihre neue KryptowĂ€hrung herausbringen wolle. Auch SWIFT hat Blockchain-Kontrakte getestet. Der US-Kongress ist dabei, per Gesetz ausgewĂ€hlte KryptowĂ€hrungen anzuerkennen und Nutzer von illegalem Missbrauch abzuhalten. In der kanadischen Provinz Ontario hat der lokale Automatenhersteller Localcoin ATM begonnen, an verschiedenen Standorten Ethereum-Geldautomaten aufzustellen. Das EU-Parlament hat im Mai 2018 der Einrichtung einer Taskforce zugestimmt, die die Rolle von KryptowĂ€hrungen analysieren soll. In diesem Zusammenhang will die EU-Kommission mit einer neuen Anti-GeldwĂ€sche-Direktive KryptowĂ€hrungen in das gesetzliche Regelwerk gegen GeldwĂ€sche einbeziehen. In Deutschland hat das Bundeskabinett Mitte Dezember eine neue Blockchain-Strategie vorgestellt und ein Gesetz auf den Weg gebracht, um rein elektronischen Handel auf Blockchain-Basis ohne Dokumentation auf Papier zuzulassen.

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uf Firmenebene hat ebenfalls ein regelrechter Wettlauf um die EinfĂŒhrung digitaler WĂ€hrungen begonnen. Nicht nur Facebook hat große PlĂ€ne. Daimler hat bereits eine Firmenanleihe emittiert, um die Blockchain zu testen. Elon Musk will bei der geplanten Besiedlung des Mars mit KryptowĂ€hrungen arbeiten. Gazpromneft , eine Tochtergesellschaft des russischen Gasriesen Gazprom, die fĂŒr das ÖlgeschĂ€ft zustĂ€ndig ist, hat Ende 2020 an einem ihrer Standorte in Sibirien damit begonnen, mit Kryptogeld zu arbeiten. Hier sitzt der Staat als Teilhaber mit im Boot.

M a r k u s GĂ€ r t n e r studierte als Stipendiat der Konrad-AdenauerStiftung Politik und VWL in MĂŒnchen. Ein Jahr lang arbeitete er im US-Kongress fĂŒr Dick Cheney. Anschließend war er 30 Jahre lang Journalist, darunter Finanzreporter der ARD in Frankfurt und China-Korrespondent des „Handelsblattes“ in Peking. Irgendwann wĂ€hrend der Finanzkrise schluckte er die „Rote Pille“, stieg aus der Matrix aus und verließ den Medienmainstream. Seit Oktober 2018 ist er Chefredakteur von „PI Politik Spezial“ und außerdem Buchautor von „Das Ende der Herrlichkeit“.

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VON SIEGFRIED WASCHNIG

Alles Fasching

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Alle Jahre wieder steht die Welt auf dem Kopf: Nichts geht mehr seinen normalen Gang.

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enn wir die Feste feiern, wie sie fallen, dann haben sie oft eine lange Tradition. Die VorlĂ€ufer des Karnevals und Faschings wurden bereits vor rund 5000 Jahren in Mesopotamien gefeiert. Damals galt die Idee des Gleichheitsprinzips wĂ€hrend der Feiern. Arbeiter und Herrscher standen fĂŒr kurze Zeit auf einer Stufe, die gesellschaftlichen Barrieren verschwammen im Suff. Auch heute finden viele im Feiern der nĂ€rrischen Zeit zusammen. Darum gilt der Morgen nach dem betrieblichen Saufgelage – Ă€hnlich wie nach Weihnachtsfeiern – zu den spannendsten Momenten des Jahres. Seit dem 17. Jahrhundert gibt es den Beleg fĂŒr den Begriff „Karneval“, aber dessen Wortgeschichte bleibt unklar. Die gĂ€ngigste ErklĂ€rung nimmt Bezug auf die Fastenzeit als fleischlose Zeit. Hier soll die Bedeutung im lateinischen „carne vale“, was als „Fleisch – lebe wohl“ ĂŒbersetzt werden kann, liegen. Im Mittelalter war es ĂŒblich, in der langen Fastenzeit bis Ostern weder Fleisch noch Butter, KĂ€se, Milch, Schmalz oder Fett zu

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essen. Enthaltsamkeit stand an der Tagesordnung. Deshalb ließen es die Menschen vorher noch einmal richtig krachen. An diesem Tag floss reichlich Alkohol, und viel Fleisch stand auf der Speisekarte. Auch damals hat man schon mit einer guten Unterlage vor dem Feiern gearbeitet. Die Nebenwirkungen des fastnĂ€chtlichen Treibens sind heute wahrscheinlich die gleichen wie damals. Der Begriff „Fastnacht“ wird von den althochdeutschen Worten „fasta“ (Fastenzeit) und „naht“ (Nacht, Vorabend) abgeleitet. Die Ă€lteste bekannte literarische ErwĂ€hnung der „fasnaht“ findet sich ĂŒbrigens in Wolfram von Eschenbachs „Parzival“. Die Passage „Wohl stritt die reiche Königin bei Gawanen da so kĂŒhn, sie warf so ritterlich darein, daß die Kauffraun nie zu Tollenstein zu Fassnacht tapfrer stritten. Sie thuns nach Narrensitten und ermĂŒden ohne Noth den Leib“ lĂ€sst erahnen, dass schon damals zur Narrenzeit besondere Gesetze geherrscht haben. Wenn der Mensch es krachen lĂ€sst, dann immer ordentlich. FR E I L I CH


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Die Narrenzeit ist auch die Zeit, in der Prinzessinnen nach ihren Prinzen Ausschau halten. Je spÀter die Stunde, desto aussichtsreicher die Chancen.

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Der Fasching ist vorbei, was sind wir froh – die Narren sind jetzt wieder im BĂŒro!

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Warum sind Karnevalswitze nur an Karneval lustig? Weil man sie nĂŒchtern nur schwer ertragen kann!

Spannend daher die Frage, wie viel Druck im gesellschaftlichen Kessel sich durch die Coronamaßnahmen bereits angestaut hat und ob die Mahnungen von Kurz, Merkel und Co. dazu in der Lage sind, den Leuten auch ĂŒber die Faschings- und Karnevalszeit weiter ein schlechtes Gewissen einzureden. Die Narrenzeit war immer auch die klassische Zeit fĂŒr Obrigkeits- und Gesellschaftskritik. So wurde der Karneval von der Obrigkeit scharf beobachtet. Die Lieder, die Reden und die Karnevalszeitungen erregten immer wieder Missfallen. In den 1830er-Jahren waren die meisten Karnevalszeitungen verboten. Doch nie ließen die Narren es sich nehmen, MissstĂ€nde anzuprangern und satirisch aufs Korn zu nehmen. Noch nie in den letzten Jahrzehnten ist dem Fasching und Karneval eine so starke symbolische Kraft zugekommen, wie jetzt. Wie weit lĂ€sst „das Volk“ sich Karneval und Fasching nehmen, und wie stark ist der Wunsch nach kreativer Protestmöglichkeit tatsĂ€chlich? Bei all dem ist es durchaus möglich, dass der verĂ€chtlich

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Sich albern anziehen, rumgrölen, peinlich sein – das nennt man sonst „Deutschland sucht den Superstar“!

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titulierte „Narrensaum“ sich zu sehr kreativen Protestmaßnahmen hinreißen lĂ€sst, trotz allem auf die Straße geht und den MĂ€chtigen wieder einmal zeigt, dass sie ohne den „Narren“ nichts wĂ€ren. Vielleicht erleben wir eine der spannendsten „nĂ€rrischen“ Zeiten der letzten Jahrzehnte, vielleicht „Lei, lei“, „Kölle Alaaf “ und „Helau“ als das nĂ€rrische „Wir sind das Volk!“ des Jahres 2021. Und wenn nicht, dann bleibt uns immer noch der Faschingskrapfen oder der „Berliner“. Der Legende nach hat die Wiener Köchin CĂ€cilie Krapf aus Ärger ĂŒber ihren Mann ein StĂŒck Germteig nach ihrem Gatten geworfen. Der aber duckte sich, und der Teig fiel in einen Topf mit siedendem Fett. GlĂŒcklicherweise soll mit dem Verzehr des „KĂŒchenunfalles“ auch der Ehestreit gegessen gewesen sein. Mal sehen, welche FrĂŒchte die Narrenzeit heuer hervorbringt.

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Foto: caia image / Alamy Stock Foto

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Paketzustellung per Drohne: Wie smart ist das denn? Wesentlich ist aber die digitale Infrastruktur.

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Die smarte Versuchung

Geht es um die Stadt- und Raumplanung der Zukunft, steht ein Wort dominant im Raum: smart. Stadt und Land, ganz sauber, alles vernetzt und im „Informationssystem“. VON MICHAEL WIESBERG

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er bisherige Verlauf der Corona-Pandemie hat unter anderem dazu gefĂŒhrt, dass das Thema Digitalisierung eine deutlich höhere PrioritĂ€t erlangt hat, als es bisher der Fall war. Viele sahen und sehen sich auf den Heimarbeitsplatz, neudeutsch „Homeoffice“, verwiesen, womit die strikte Trennung von Wohnen und Arbeiten, wie sie bisher die Regel war, weiter aufgeweicht werden dĂŒrfte. Möglicherweise wird das „Homeoffice“ schon sehr bald nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel sein. Das hĂ€tte unter anderem eine deutliche Entlastung des Verkehrs zur Folge, gĂ€be es doch deutlich weniger Pendler, die in die InnenstĂ€dte drĂ€ngen. Schon gibt es Visionen, die vernetzte Verkehrssysteme in einer „Smart City“ beschwören, in denen FahrrĂ€der und (autonom fahrende) Elektroautos oder -busse das Bild bestimmen; InnenstĂ€dte könnten wieder lebenswerter, ja „Erlebnisraum fĂŒr Kultur und Gemeinschaft der BĂŒrgerinnen und BĂŒrger“ werden, wie das DĂŒsseldorfer „HandelsBlatt“ zur „digitalen Stadt von morgen“ ausfĂŒhrt, gesteuert durch eine „smarte“ Verkehrslenkung“. „Smart“ sollen aber nicht nur StĂ€dte werden, sondern möglichst auch das Land, das Dorf. Das Schlagwort hierfĂŒr lautet „Smart Regions“. Voraussetzung N ° / 11 / FE B R UA R 2021

fĂŒr eine flĂ€chendeckende Gesundheitsversorgung, fĂŒr attraktive Bildungsangebote oder einen effizienter organisierten öffentlichen Nahverkehr ist allerdings eine leistungsstarke Breitbandinfrastruktur; ansonsten werden weder „Smart Regions“ noch „Smart Cities“ realisierbar sein. Das alles klingt auf den ersten Blick vernĂŒnftig und wĂŒnschenswert, könnte damit doch auch der schleichenden Entvölkerung lĂ€ndlicher Regionen in Deutschland und Österreich Einhalt geboten werden. Bis zum Jahr 2050 werden laut einer Prognose der Vereinten Nationen drei Viertel der Bevölkerung in den IndustrielĂ€ndern in StĂ€dten leben; „mit dem neuen Jahrtausend“ sei „das Zeitalter der StĂ€dte angebrochen“, stellte zum Beispiel das Bundesministerium fĂŒr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung fest. Dieser dramatische Urbanisierungstrend hat erhebliche Schattenseiten, die von Umweltverschmutzung bis hin zu steigender KriminalitĂ€t reichen. All dem soll kĂŒnftig vermehrt mit „smarten Lösungen“ begegnet werden. Intelligente Technologien werden, so stellen es zumindest die Smart-City-Lobbyisten dar, Entscheidungen unterstĂŒtzen, InformationsflĂŒsse steuern und komplexe Situationen bewerten. Doch es geht nicht nur um die Digitalisierung der Stadt; es steht auch der Anspruch im Raum, „Treiber einer gesellschaftlichen Transformation“ zu sein. So der Un-

SMART CITY

ist ein Sammelbegriff fĂŒr gesamtheitliche Entwicklungskonzepte, die darauf abzielen, StĂ€dte effizienter, technologisch fortschrittlicher, grĂŒner und sozial inklusiver zu gestalten. Diese Konzepte beinhalten technische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Innovationen. Der Begriff findet auch im Stadtmarketing und bei großen Technologiekonzernen Verwendung. Quelle: Wikipedia

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Auch ziemlich smart: Autonome Busse bringen die Menschen im neuen Wiener Viertel Seestadt zum Ziel.

DIE „K ALIFORNI-

SCHE IDEOLOGIE“

verbinde, so das Onlinemagazin „Telepolis“, „klammheimlich den frei schwebenden Geist der Hippies mit dem unternehmerischen Antrieb der Yuppies“. Diese „Verschmelzung der GegensĂ€tze“ wurde „durch einen tiefreichenden Glauben an das emanzipatorische Potential der neuen Informationstechnologien bewirkt. In der digitalen Utopie wird jeder gut drauf und reich sein“.

tertitel des von Chirine Etezadzadeh herausgegebenen Buches „Smart City – Made in Germany“ (2020); die Herausgeberin ist GrĂŒnderin und Leiterin des SmartCity-Institutes in Ludwigsburg. Diese „Transformation“ soll auch durch den verstĂ€rkten Einsatz von kĂŒnstlicher Intelligenz (KI) erreicht werden. Um die hierfĂŒr notwendige Menge an Daten generieren zu können, ist es notwendig, den gesamten stĂ€dtischen Raum mit Sensoren auszustatten, die alle erfassten Daten in einer Cloud abrufbar machen. Auf diese Weise kommt es zu einem stĂ€ndigen Austausch zwischen Stadtbewohnern und der Informationstechnik. Intelligente Algorithmen verdichten sich zu einer Art „City Brain“ und sorgen dafĂŒr, dass alles wie in einer gut geölten Maschine ineinandergreift.

Was in der „intelligenten Stadt“ unter nachhaltig verstanden wird

Eine zentrale Erwartung an Smart-City-Projekte besteht darin, dass unter dem Siegel der Nachhaltigkeit das urbane (und auch lĂ€ndliche) Leben erfasst und gestaltet wird. Über den hierfĂŒr notwendigen Energiebedarf wird in der Regel nicht oder nur am Rande geredet. Ein autonomes Auto zum Beispiel verbraucht, so kann in dem Buch „Smarte grĂŒne Welt?“ nachgelesen werden, ca. 4000 Gigabyte an Daten. Pro Minute werde ein Gigabyte an Daten verbraucht, die Rechenzentren zu erbringen haben. Mit einem entsprechenden, gigantischen Anstieg des Energieverbrauches der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) ist zu rechnen. Bereits 2030 soll der Anteil der IKT am globalen Stromverbrauch bei etwa 30 % liegen (derzeit sind

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es rund 10 %). Ungeachtet dessen soll alles das, was als „smart“ kommuniziert wird, auch „nachhaltig“ sein. Eine „smarte“, intelligente Stadt, so kann zum Beispiel im „Strategiedokument Smart Cities Initiative“ des österreichischen Klima- und Energiefonds nachgelesen werden, verschreibe sich im „Sinne der SmartCities-Initiative dem Konzept der Nachhaltigkeit“ und bekĂ€mpfe „damit aktiv negative Klimawandelfolgen“, betreibe „die Energie- und MobilitĂ€tswende“ und sei bereit, „innovative (BĂŒrger-)Beteiligungs- bzw. GeschĂ€ftsmodelle anzuwenden“. Laut dem Digital-Gipfel-Papier der deutschen Expertengruppe Smart Cities/ Smart Regions gehe es um „eine erhöhte LebensqualitĂ€t fĂŒr BĂŒrgerinnen und BĂŒrger, mehr kulturelle und gesellschaftliche Teilhabe sowie die Förderung der lokalen Wirtschaft und eine erhöhte Effizienz und BĂŒrgernĂ€he öffentlicher Dienstleistungen“. Auch die „WiderstandsfĂ€higkeit“ von StĂ€dten und Regionen – neuerdings gern auch als „Resilienz“ bezeichnet – soll „durch smarte Lösungen im Krisenfall“ wachsen; so verkĂŒnden es zumindest die Autoren des Buches „Smart City. Digitalisierung in Stadt und Land“ (2017). Der Begriff Nachhaltigkeit ist, um es mit dem marxistischen Kulturtheoretiker Raymond Williams zu sagen, ein „SchlĂŒsselwort“. In seinem Buch „Keywords“ (1976) fĂŒhrt Williams Begriffe an, von denen er meinte, dass sie maßgeblich den kulturellen Rahmen mitbestimmten. Kriterium ist die Relevanz eines Begriffes und seine unbestreitbare Wirkung in Denksystemen. Nachhaltigkeit ist so ein Begriff, der die Assoziation auslöst, es handele sich hier um eine umweltfreundliche Strategie, bei der Ressourcen erneuert werden und keine RĂŒckstĂ€nde, sprich: MĂŒll, zurĂŒckbleiben. Ein Blick auf die „Agenda 2030“, ein AkFR E I L I CH


Foto: Maciej Bledowski / Alamy Stock Foto

Foto: Wiener Linien / Manfred Helmer

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Das stĂ€ndig weiter wachsende „Internet der Dinge“ generiert exponentielle Wachstumsraten.

Smart Parken in New York: Wo wenig Platz ist, aber viele Autos sind, da muss geschlichtet werden. Das ist effizient.

tionsprogramm der Vereinten Nationen, verdeutlicht aber rasch etwas anderes. Hier finden sich 17 Ziele fĂŒr nachhaltige Entwicklung, die im Wesentlichen drei Dimensionen umfassen: eine soziale und wirtschaftliche, eine ökologische, die auch die Bereiche Klima-, Energie- und Landwirtschaftspolitik umfasst, und eine „emanzipatorische“ Dimension, die auf die StĂ€rkung der Rolle bestimmter gesellschaftlicher Gruppen (Frauen, ethnische Minderheiten etc.) abzielt. Mit anderen Worten: Nachhaltigkeit ist in einem ganz starken Maße ein Vehikel, mit dem Ideologie transportiert wird, die, wie oben bereits zum Ausdruck gekommen ist, dem Zweck der „Gesellschaftstransformation“ dienen soll. Es ĂŒberrascht deshalb nicht, wenn in der „Smart City Charta“ (2017), die Leitlinien und Handlungsempfehlungen fĂŒr die Digitalisierung von Kommunen in Deutschland formuliert, festgestellt wird: „Ziel ist es, evidenzbasierte Politik und Demokratie zu stĂ€rken und Entfremdung, Populismus und Polarisierung durch neue Technologien entgegenzuwirken.“ Und: „Digitale und autonome Systeme und Technologien helfen allen Menschen, aktiv und selbstbestimmt zu leben [
]. So steigt Vertrauen in Technologie, Politik und demokratische Prozesse. BĂŒrger können Entscheidungsprozesse verstehen und nachvollziehen, egal wie sie ausgehen: Sie fĂŒhlen sich nicht entfremdet und nicht hingezogen zu populistischen Bewegungen.“ Mit anderen Worten: Nachhaltigkeit kann offenbar nur dann erzielt werden, wenn lĂ€stige „populistische“ oder „polarisierende Kritiker“, die offenbar zur „Entfremdung“ – von wem oder was auch immer – beitragen, mit „neuen Technologien“ quasi „neutralisiert“ werden. Wen genau diese „Charta“ hier im Auge hat, bleibt unklar. Deutlich aber wird, dass diese „neuen N ° / 11 / FE B R UA R 2021

Technologien“ auch zur Herrschaftsabsicherung instrumentalisiert werden sollen. Es ist aber nicht nur hier durchscheinende ideologische Aufladung, die hinter das eingĂ€ngige Framing, dass sich das Leben der Bewohner in den kĂŒnftigen „Smart Cities“ durch fortschreitende Digitalisierung bequemer gestalten werde, ein dickes Fragezeichen setzt. Es sind auch die wirtschaftlichen Interessen, die hinter der „Smart-City“-Bewegung stehen, die das suggestive Bild der digitalisierten Stadt, das mit der Propagierung einer quasi grenzenlosen Ausdehnung des Internets einhergeht, in einem anderen Licht erscheinen lĂ€sst. In diesem Zusammenhang zirkulieren Zahlen, die unter anderem von dem US-Telekommunikationsriesen Cisco stammen. Die Botschaft dahinter ist klar: Das stĂ€ndig weiter wachsende „Internet der Dinge“ generiert exponentielle Wachstumsraten. Die IT-Giganten im Silicon Valley haben also gute GrĂŒnde, das gĂ€ngige „Smartness“-Framing weiter zu befeuern. Smart steht in der Regel, darauf machten der Publizist Evgeny Morozov und die italienische Informatikerin Francesca Bria in einer Studie aufmerksam, als Synonym fĂŒr „flexibel“, „vernĂŒnftig“, „selbstregulierend“, „intelligent“, „autonom“, „findig“, „schlank“ oder gar „umweltfreundlich“. Das alles seien positiv besetzte Begriffe, mit denen wir, so die Autoren, „Nachhaltigkeit“ und „Emanzipation“ assoziierten. Die „Smart City“ wĂ€re dann so etwas wie die Verdichtung aller diese Zuschreibungen.

Die „Ranking-Manie“ und ihre Auswirkungen auf die AnleihemĂ€rkte

Morozov und Bria machen im Zusammenhang mit der Propagierung von Smart-City-Technologien auch

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auf die zunehmende Bedeutung von Rankings, Wettbewerben und Vergleichswerten aufmerksam, die zunehmend auch Einfluss auf die „allgemeine WettbewerbsfĂ€higkeit“ der StĂ€dte hĂ€tten. Das hat auch unmittelbare Auswirkungen auf das Verhalten von Investoren und damit auf die KreditwĂŒrdigkeit von StĂ€dten. Sich dem „Smartness“-Paradigma zu verweigern, bedeutet auch, die eigene Stellung auf den internationalen AnleihemĂ€rkten zu gefĂ€hrden. Hier liegt der eigentliche Kern der „Ranking-Manie“. Es ist deshalb nicht ĂŒberraschend, dass die IT-Strategen des Silicon Valley, aber auch in China, sicher sind, dass sich „soziale Interaktionen mit Big-DataMethoden berechnen und vorhersagen“ lassen, wie der Journalist Adrian Lobe in der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ konstatierte. „Das Aggregat Gesellschaft“ werde bei ihnen „kalkulierbar wie der Strombedarf “. Die hier sichtbar werdende MentalitĂ€t steht in der Tradition dessen, was die beiden britischen Sozialwissenschaftler Richard Barbrook und Andy Cameron als „Kalifornische Ideologie“ kennzeichneten, die sich aus einer bemerkenswerten Verschmelzung der kulturellen Boheme aus San Francisco mit den Hightech-Industrien von Silicon Valley entwickelte. Die „kalifornische Ideologie“ verbinde, so das Onlinemagazin „Telepolis“, „klammheimlich den frei schwebenden Geist der Hippies mit dem unternehmerischen Antrieb der Yuppies“. Diese „Verschmelzung der GegensĂ€tze“ wurde „durch einen tiefreichenden Glauben an das emanzipatorische Potential der neuen Informationstechnologien bewirkt. In der digitalen Utopie wird jeder gut drauf und reich sein“. Dieser Glaube wird mit einem entsprechenden Illusionstheater inszeniert, das sich in einem „Reality distortion field“ (RealitĂ€tsverzerrungsfeld) abspielt. Diese Bezeichnung tauchte erstmals 1981 auf, um das Charisma des Apple-FirmenmitbegrĂŒnders Steve Jobs und dessen Wirkung auf die am Macintosh-Projekt arbeitenden Entwickler zu beschreiben. Der Begriff spielt offenbar auf die Science-Fiction-Serie „Star Trek“ an. Dort wurde er in der Episode „The Menagerie“ verwendet, um zu beschreiben, wie die Außerirdischen durch mentale Kraft ihre eigene neue Welt schufen. Fred Turner, Professor an der UniversitĂ€t Stanford und Autor des Buches „From Counterculture to Cyberculture“ (2006), fĂŒhrte dazu aus, wie diese MentalitĂ€t und die Umnutzung von industrieller Technik nach dem Motto „Wir mĂŒssen diese Technik fĂŒr uns wichtige Ziele nutzen“ zur Strategie der Gegenkultur N ° / 11 / FE B R UA R 2021

wurde. Diese Haltung sei heute im Silicon Valley weit verbreitet. VerblĂŒffend aktuell klingt das, was Barbrook und Cameron als Ziele dieser Hippie-Strömung kennzeichneten: „Die radikalen Hippies waren Liberale im sozialen Sinne des Begriffs. Sie traten fĂŒr universalistische, rationale und progressive Ideale wie Demokratie, Toleranz, Selbstverwirklichung und soziale Gerechtigkeit ein.“ Verwöhnt durch Jahrzehnte wirtschaftlichen Wachstums glaubten sie, die Geschichte stĂŒnde auf ihrer Seite. „In Science-Fiction-Geschichten trĂ€umten sie von ,Ökotopia‘, von einem kĂŒnftigen Kalifornien, in dem Autos verschwunden, die Industrieproduktion ökologisch vertrĂ€glich, die Beziehungen zwischen den Geschlechtern gleichberechtigt sein wĂŒrden und das Alltagsleben in gemeinschaftlichen Gruppen stattfindet.“ In gewisser Weise korrespondiert diese Haltung mit der These vom Ende der politischen Herrschaft durch die Technik, die der Soziologe Helmut Schelsky in seiner Schrift „Der Mensch in der wissenschaftlichen Zivilisation“ Anfang der 1960er-Jahre entwickelte: Der Politiker im „technischen Staat“ agiere nicht mehr als „Entscheider“, sondern als „Analytiker, Konstrukteur, Planender, Verwirklichender“. Schelsky beobachtete schon in den 1960er-Jahren eine „Tendenz zu einer Minimalisierung der politischen Entscheidungen“; je entwickelter Technik und Wissenschaft seien, desto geringer werde der „Spielraum politischer Entscheidung“. Werde die politische Entscheidung zu „einem geradezu wissenschaftlich deduzierbaren Sachzwang“, dann gerate der Politiker in eine Situation, nur mehr zum „ausfĂŒhrenden Organ“ zu werden. Im technischen Staat herrsche damit letztlich niemand mehr. Es laufe nur noch eine „Apparatur, die sachgemĂ€ĂŸ bedient sein will“. Auch der US-amerikanische Mathematiker und BegrĂŒnder der Kybernetik, Norbert Wiener, sah bereits die Gefahr, dass sich das Politische zunehmend in eine „machine Ă  gouverner“, eine Lenkungsmaschine verwandele, die nur noch nach den Prinzipien Kontrolle und Steuerung funktioniert. Wie treffend Schelskys Analysen sind, zeigt zum Beispiel das Framing des „Keyword“ „Digitalisierung“, zu dem der PĂ€dagoge Matthias Burchardt in einem Beitrag zur „Lehestener Kolumne“ feststellte, dieses „Narrativ“ habe wie die „Globalisierung“ „beinahe uneingeschrĂ€nkte Hegemonie gewonnen“; seine „Alternativlosigkeit“ entfalte „Sachzwangund Legitimationskaskaden, die weiteren BegrĂŒndungsbedarf oder gar alternative Gestaltungsabsichten“ pulverisierten.

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In „Ökotopia“ sind die Autos verschwunden, ist die Produktion ökologisch, sind Beziehungen gleichberechtigt.

SMART CITY C H A R TA

„Smart Cities sind nachhaltiger und integrierter Stadtentwicklung verpflichtet.“ So formuliert es die „Smart City Charta“ des deutschen Umweltministeriums gleich zu Beginn und beschreibt ein normatives Bild einer intelligenten, zukunftsorientierten Stadt. Download: tinyurl.com/y54ryw6p

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Foto: S. Parente - Best of Travel - RM / Alamy Stock Foto

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Die intelligente Stadt ist ein hyperĂŒberwachter Raum mit Kontrollzentrum, in dem BĂŒrger auf Schritt und Tritt beobachtet werden.

Smart begrĂŒnt: Bosco Verticale heißen die zwei WohntĂŒrme in Mailand.

Die Digitalisierung der StĂ€dte erhöht die Angreifbarkeit „kritischer Infrastrukturen“

Die Smart-City-Planer trĂ€umen von einem elektronischen Gehirn, einem „City Brain“, das mittels Sensoren den Lebensgewohnheiten seiner Bewohner nachspĂŒrt. Gesellschaft wird als Datenverarbeitungssystem konzipiert, und StĂ€dte werden vor allem von Optimierungsgesichtspunkten her gedacht. Je mehr StĂ€dte sich auf diese Logik einlassen, desto grĂ¶ĂŸer wird die AbhĂ€ngigkeit von internationalen IT-Konzernen, die große Datenmengen brauchen, um Spitzentechnologie im Bereich KI zu entwickeln (Bilderkennung, Identifizierung von Trends etc.). Derjenige, die ĂŒber die validesten Daten verfĂŒgt, wird die leistungsfĂ€higste KI produzieren. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass irgendwann ein Punkt erreicht sein wird, an dem alle anderen von einem Anbieter abhĂ€ngig sein könnten. Wie schnell diese von den „Digerati“ – womit die MeinungsfĂŒhrer der Digitalisierung gemeint sind – gepriesenen technokratischen Idealwelten an ihre Grenzen stoßen, zeigt das Beispiel Toronto. Nach den PlĂ€nen der Google-Schwester Sidewalk Labs war hier eine Modellsiedlung geplant. Die Bewohner sollten, so berichtete die „Berliner Zeitung“, in „luftigen Holz-Lofts“ wohnen, eine „spezielle Regenmantel-HĂŒlle die FußgĂ€nger vor Niederschlag schĂŒtzen, Radfahrer auf beheizten Radwegen fahren“. Dieses urbane Experiment ist seit Kurzem Geschichte; das Projekt wurde eingestellt. Der Grund seien vor allem hohe Kosten sowie die „wirtschaftliche Unsicherheit“ am Immobilienmarkt. Das Projekt sei finanziell nur schwer zu stemmen, „ohne Kernteile zu opfern“, begrĂŒndete der GeschĂ€ftsfĂŒhrer

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Daniel Doctoroff laut „Berliner Zeitung“ den Ausstieg. Zu Abstrichen vom Projekt war man bei Google bezeichnenderweise nicht bereit. Das Scheitern von „Sidewalk Toronto“ könnte Signalwirkung auch fĂŒr andere Smart-City-ModellstĂ€dte haben. „Sidewalk Toronto“ ist im Übrigen nicht die erste Smart-City-Initiative, die gescheitert ist. „PlanIT Valley“, eine intelligente Forschungsstadt, die in der NĂ€he von Porto hĂ€tte entstehen sollen, wurde nie gebaut. Und die Smart Cities, die gebaut wurden, sind seelenlose RĂ€ume oder GeisterstĂ€dte. Masdar City, eine als Öko-Stadt konzipierte „Smart City“ in den Vereinigten Arabischen Emiraten, hat aktuell laut Medienberichten gerade einmal 3000 Bewohner (Stand Oktober 2018); geplant sind 40.000. Die sĂŒdkoreanische Muster-SmartCity Songdo, die als Blaupause fĂŒr intelligente StĂ€dte gilt, ist ein hyperĂŒberwachter Raum mit Kontrollzentrum, in dem BĂŒrger auf Schritt und Tritt beobachtet werden. Und in Saudi-Arabien wĂ€chst der Widerstand gegen die geplante Megacity Neom, der ein Technologiepark angeschlossen sein soll. Eher am Rande wird mit Blick auf die Diskussion um intelligente StĂ€dte und Regionen das Thema Cybersicherheit behandelt. Der Informatiker Martin Schallbruch, bis 2016 Abteilungsleiter fĂŒr Informationstechnik im Bundesministerium des Innern (BSI), hat darauf hingewiesen, dass das Verbinden von immer mehr GerĂ€ten im „Internet der Dinge“ eben auch das Verbinden potenziell „schlechter Software mit wichtigen Anwendungen“ bedeute. Das eröffnet kriminellen Hackern ein großes Feld an Möglichkeiten, kritische Infrastrukturen anzugreifen, was im Extremfall sogar den „Blackout“ ganzer Regionen zur Folge haben könnte. Damit steht die Frage nach der VerantworFR E I L I CH


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Foto: istock/ pinglabel

Smart ist auch der weltgrĂ¶ĂŸte IndoorWasserfall, der Singapore Changi Rain Vortex mitten im Jewel Changi Airport. Die BrĂŒcken verbinden die Terminals.

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Die Macht der US-IT-Konzerne Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft hat durch die CoronaPandemie noch einmal erheblich zugenommen. 84

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Foto: Dirk Daniel Mann / Alamy Stock Foto

Smart ist auch, dass die Stadt zeigt, was sie technologisch draufhat. Singapur lockt mit seinen symbolischen Supertrees.

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tung im Raum; wird sie der Hersteller dieser Soft ware tragen oder der Anwender? Nach Schallbruch ist der Staat gefordert, vernĂŒnftige und praxistaugliche Regeln der Verantwortungszuweisung bereitzustellen. Es zeichnet sich aber jetzt schon ab, dass es aufgrund der unterschiedlichen Soft warekomponenten schwierig bis unmöglich sein wird, eine umfassende Sicherheitsarchitektur zu schaffen. Gewiss ist deshalb nach Schallbruch nur eines, nĂ€mlich, dass die Sicherheit im Cyberspace ein „Vabanque-Spiel“ bleibe. Und noch ein weiterer Aspekt wĂ€re deutlich intensiver zu thematisieren, als es bisher der Fall war. Da es bei der Digitalisierung immer auch um digitale MachtausĂŒbung geht, muss das Ziel ein Mindestmaß an digitaler SouverĂ€nitĂ€t sein, um selbstbestimmt darĂŒber entscheiden zu können, in welche Richtung sowohl „Smart Cities“ als auch „Smart Regions“ ausgebaut werden sollen. Unter digitaler SouverĂ€nitĂ€t wird laut einer Definition des Elektrotechnik-Verbandes (VDE) die FĂ€higkeit eines Staates oder Gesellschaft verstanden, „politische und gesellschaftliche PrioritĂ€ten umsetzen zu können, ohne dabei durch unzureichende oder fehlende Kon-trolle ĂŒber Technologien behindert zu werden“. Gerade hier aber ist der VDE in einer Studie, die im MĂ€rz 2020 publiziert wurde, mit Blick auf Deutschland – Ähnliches dĂŒrfte auch fĂŒr Österreich gelten – zu „ernĂŒchternden Ergebnissen“ gekommen; der Verband sieht unter anderem den Zwang zu „massiven Investitionen in Aus- und Weiterbildung sowie Forschung“, um „unsere technologische SouverĂ€nitĂ€t zurĂŒckzugewinnen bzw. auszubauen“. Wenn es nicht gelingt, die stark ausgeprĂ€gte US-Orientierung bei der Gestaltung der Digitalisierung sukzessive abzubauen, lĂ€uft Europa durch die sich stĂ€ndig weiter steigende Machtentfaltung US-amerikanischer oder auch chinesischer IT-Konzerne, aber auch durch strategische AufkĂ€ufe europĂ€ischer IT-Unternehmen Gefahr, zur digitalen Kolonie zu werden. Insbesondere die Macht der US-IT-Konzerne Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft hat durch die Corona-Pandemie noch einmal erheblich zugenommen, sind doch viele Menschen gezwungen, zu Hause deren digitale Dienste zu nutzen. Google habe, so berichtete das „HandelsBlatt“, in den „vergangenen zehn Jahren mehr als 120 Firmen ĂŒbernommen, Facebook knapp 80 und Amazon rund 90“. Dieses Jahr haben „sie so viele Firmen gekauft wie seit Jahren nicht“. Das könnte, so mutmaßt das „HandelsBlatt“, „die KrĂ€fteverhĂ€ltnisse in der Wirtschaft in den nĂ€chsten Jahren gewaltig verschieben“ – mit unabsehbaren Folgen fĂŒr die digitale SouverĂ€nitĂ€t Europas.

Michael Wiesberg Jahrgang 1959, studierte Evangelische Theologie und Geschichte in Heidelberg. Er schreibt fĂŒr verschiedene Zeitschriften, darunter die „Junge Freiheit“, und war lange Jahre als Verlagslektor tĂ€tig. Heute arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Deutschen Bundestag.

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INTERVIEW BETTINA GRUBER

ist Literatur- und Kulturwissen-

schaftlerin. LangjĂ€hrige universitĂ€re Lehrerfahrung im In- und Ausland; Ernennung zur außer-

planmĂ€ĂŸigen Professorin 2005.

Als Publizistin Stammautorin von

„TUMULT. Vierteljahresschrift fĂŒr Konsensstörung“, Kolumne auf dem „TUMULT“-Blog: „MĂ€nnerhass und schlechte Laune“,

Kolumne fĂŒr die österreichische

„Tagesstimme“: „Über den Zaun“. trĂ€ge fĂŒr zahlreiche Periodika

des konservativen Spektrums,

darunter „Sezession“. Im Verlag Antaios erschienen unter dem

Pseudonym Sophie Liebnitz „tote weiße mĂ€nner lieben“ und „Antiordnung“.

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Foto: imago images / DATA73

Auto- und pseudonyme Bei-

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INTERVIEW

Die Diskussion ĂŒber das neue Geschlechterregime vertrĂ€gt einen klaren Standpunkt, findet Bettina Gruber.

„Kein Naturschutz fĂŒr MĂ€nner und Frauen“ OrdinĂ€r binĂ€r und das ohne schlechtes Gewissen? Bettina Gruber hat das neue Geschlechterregime „unterm Regenbogen“ untersucht und plĂ€diert fĂŒr gelassenen Widerstand. INTERVIEW: HEINRICH SICKL

FREILICH: Frau Gruber, bevor wir anfangen, mĂŒssen wir in modernen Zeiten eigentlich die grundsĂ€tzlichen Fragen klĂ€ren. Sind es nicht noch immer nur zwei Geschlechter? Oder mĂ€nnlich, weiblich oder divers? Können Sie sich das nicht selbst aussuchen?

Bettina Gruber: Nein! Die Vorstellung, sich das aussuchen zu können, ist eine typische Machbarkeitsfantasie. Sie ist erfolgreich unter anderem, weil sie sich damit in perfekter Harmonie mit anderen Machbarkeitsfantasien befindet, die das kollektive Denken unserer Gesellschaften beherrschen. Da die Erzeugung von Neuem, unabhĂ€ngig von seiner Wertigkeit, als Fortschritt betrachtet wird, wird die Idee der freien Wahl des Geschlechtes als progressiv eingestuft – ohne zu reflektieren, ob ein Konzept wie „fortschrittlich“ oder „rĂŒckschrittlich“ hier ĂŒberhaupt einen Sinn ergibt. ZusĂ€tzlich korrespondiert der Wunsch nach freiem Wechsel von etwas MitN ° / 11 / FE B R UA R 2021

gegebenem mit der vielfach bemerkten Infantilisierung der Gesellschaft: Man kann sich mit nichts Vorgegebenem abfinden (dann wĂ€re man ja „fremdbestimmt“) und existiert in einer Art Allmachtsfantasie, in der verschwindet, dass jede Entscheidung ihren Preis hat: Das Geschlecht lĂ€sst sich auch operativ und durch Hormongaben nicht verĂ€ndern, höchstens verstĂŒmmeln. Das zeigt sich schon daran, dass Menschen, die geschlechtsverĂ€ndernde Operationen vornehmen lassen, ein Leben lang von der Pharmaindus-trie abhĂ€ngig bleiben, weil sie lebenslang Hormone nehmen mĂŒssen. Es waren einmal zwei Geschlechter 
 Hat das Modell so schlecht funktioniert?

Es ist wichtig, hier kursierende MissverstĂ€ndnisse auszurĂ€umen. Es sind immer noch nur zwei Geschlechter, wenn man von der verschwindenden Minderheit sogenannter „diverser“ Personen

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INTERVIEW Foto: iStock / pressdigital

„‚Bekenntnis‘ ist ein SchlĂŒsselbegriff der Romantik, auch wenn sich diese ‚Bekenntnisse‘ von Talkshows, Coming-outs und Klatschspalten weit unterscheiden.“

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MÀnnlich? Weiblich? Divers? Die einfachsten Dinge sind heutzutage Grundlage zÀher Debatten.

absieht, die aufgrund „einer Variante ihrer Geschlechtsentwicklung weder dem weiblichen noch dem mĂ€nnlichen Geschlecht zugeordnet werden können“ (BMI Bund). Das bezeichnet jedoch entgegen der Propaganda bestimmter Kreise kein eigenes „drittes Geschlecht“, auch wenn es einen dritten Eintrag im Personenstandsregister ermöglicht – die „dritte Option“ ist ein Sammelbegriff fĂŒr unterschiedliche Abweichungen. In Deutschland betrifft das meines Wissens geschĂ€tzte 0,2 % der Bevölkerung. Die berĂŒhmten zig Geschlechter auf Facebook kommen durch eine systematische Verwechslung von sexueller Orientierung oder Selbstdarstellung und Geschlecht zustande, eine typisch postmoderne Diskursstrategie zur Durchsetzung von Gruppeninteressen. Eine Transfrau ist aber weiterhin ein Mann, eine Butch-Lesbe weiterhin eine Frau und ein „Two-Spirit“, jemand, der sich zwischen den Geschlechtern nicht entscheiden kann, weiterhin entweder das eine oder das andere. Das ungeschriebene Motto lautet hier, frei nach „Divide et impera“: „Verwirre und herrsche“! In unserem Kulturbetrieb funktioniert das. Wir kommen sicher noch auf die Frage, warum. Hat das Modell schlecht funktioniert? Diese Frage ist mir sehr wichtig, besonders angesichts des anhaltenden Gefasels vom Patriarchat in der bislang am wenigsten patriarchalischen Gesellschaft der Geschichte. Es ist die Frage, was man unter „funktionieren“ verstehen will: Die (realitĂ€tsgerechte) Anerkennung der Zweigeschlechtlichkeit hat großartige Kulturleistungen ermöglicht; wenn man sieht, wie viel Energie, die auf anderes verwendet werden könnte, in unsinnigen Genderdebatten gebunden wird, ist auch klar, warum. Es handelt sich bei der PolaritĂ€t von Mann und Frau um ein Ordnungsprinzip ersten Ranges, weil in ihm natĂŒrliche und kulturelle Ordnun-


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gen konvergieren. Traditionelle Kulturen mit ihrer klar begrenzten Arbeitsteilung und unterschiedlichen SphĂ€ren fĂŒr Frauen und MĂ€nner bildeten das in einer Vielzahl von Abstufungen ab. Das Modell hat also, wenn man das Ganze betrachtet, nicht besser oder schlechter funktioniert als die Geschichte, fĂŒr die es eine ihrer Grundlagen bildet. Es unter moralischen Verdacht zu stellen, ist vollkommen unsinnig. Die ganze Zeit wird vom Patriarchat gesudert. Dabei findet man, wenn man sich umschaut, eigentlich kaum mehr mĂ€nnliche Macht, mit der Mann sich gern identifizieren möchte. Ist das Patriarchat nicht ein unnĂŒtzes Feindbild?

ZunĂ€chst ist es ein reichlich unscharfes Feindbild, eigentlich lĂ€ngst eine SchimĂ€re. Dabei reicht die einfache Wörterbuchdefinition vollkommen aus: „Gesellschaftsordnung, bei der der Mann eine bevorzugte Stellung in Staat und Familie innehat und bei der in Erbfolge und sozialer Stellung die mĂ€nnliche Linie ausschlaggebend ist.“ Man sieht auf einen Blick: Nichts davon ist in unseren Gesellschaften noch gegeben. Gleichberechtigung ist gesetzlich festgeschrieben, mĂ€nnliche Erbfolge ist Schnee von vorgestern, und was die soziale Stellung betrifft, werden Frauen in einer Endlosschleife „gehypt“ und fĂŒr erbrachte, teils auch schon fĂŒr bloß erwartete Leistungen in den Himmel gehoben. (Dagegen sind mir Quotenregelungen und spezielle Förderungen fĂŒr MĂ€nner aufgrund ihrer MĂ€nnlichkeit noch nicht untergekommen.) Aus dieser Warte ist der Feminismus (wie ĂŒbrigens auch der „Postkolonialismus“) eigentlich vergangenheitsfixiert und hinkt hinter der Gegenwart her: Er beklagt UmstĂ€nde, die es in den sogenannten westlichen Staaten seit geraumer Zeit nicht mehr gibt. N ° / 11 / FE B R UA R 2021

In den ĂŒblichen polemischen Debatten wird der Begriff „Patriarchat“ daher meist ohne Definition als Synonym fĂŒr eine gefĂŒhlte Benachteiligung der Frau benutzt, wobei die ersonnenen Benachteiligungen immer skurriler werden und die Anspruchshaltungen etwas immer Marie-Antoinette-hafteres bekommen. Die vorlĂ€ufig jĂŒngste BlĂŒte dieses Anspruchsdenkens ist die Forderung nach Gratistampons. Die Existenz eines gesunden weiblichen Körpers ist also kompensationsbedĂŒrftig. Das alles ist extrem skurril, weil es der Ausgangsposition des Feminismus, der Gleichheit, diametral widerspricht. Indem man unausgesetzt Sonderrechte einfordert, ohne die man angeblich nicht leben kann, hat man dieses Postulat ja offensichtlich widerlegt. Das Feindbild ist also durchaus nĂŒtzlich fĂŒr jene, die davon profitieren wollen, weil ihnen Gleichberechtigung offenbar nicht genĂŒgt. Gleichzeitig hat es zwei schĂ€dliche Nebenwirkungen: Die unbegrĂŒndete Anwendung auf unsere Gesellschaften ĂŒbergeht die Existenz sehr realer tatsĂ€chlicher, im negativen Sinne patriarchaler VerhĂ€ltnisse in gewissen Kulturen. Ein Feminismus, der das „Fehlen“ weiblicher Spitzenmanager oder die Notwendigkeit des Tamponkaufs beklagt und ĂŒber die Praxis der Steinigung von Ehebrecherinnen kein Wort verliert, ist bloß eine interessengeleitete RealitĂ€tsverleugnungsmaschine, ĂŒber deren moralischen Wert ich kein Wort verlieren will. Die zweite schĂ€dliche Nebenwirkung ist kognitiver Natur: Der Patriarchatsbegriff ist praktisch die einzige Linse, durch die die Beziehung zwischen den Geschlechtern betrachtet wird; das belegt einerseits den Siegeszug des Feminismus und stellt andererseits der DifferenzierungsfĂ€higkeit in den Debatten kein gutes Zeugnis aus. Es zeigt, wie sehr das Thema von einer einseitig politisierten Sicht dominiert wird,

die verhindert, dass neue, intellektuell fruchtbarere Perspektiven entwickelt werden. NatĂŒrlich kann man endlos Über- und UnterordnungsverhĂ€ltnisse der Geschlechter in gegebenen Gesellschaften untersuchen, aber das wird nach hundert und mehr Jahren reichlich fad. Aus meiner Sicht brauchen wir statt dieser Lobbyarbeit, die leider alles dominiert, eine neue wissenschaftliche Betrachtungsweise, die nicht auf Frauen (oder MĂ€nner), sondern auf das Zusammenspiel der Geschlechter abhebt, das ja sowohl ein praktisches Interaktions- als auch ein Symbolsystem bildet. Unsere europĂ€ische Kulturgeschichte unter diesem Gesichtspunkt zu beschreiben, wĂ€re wirklich aufschlussreich und spannend. Wo hat unsere Gesellschaft angefangen, so bekenntnisreich kompliziert zu werden? Ist das eine Frucht des modernen Individualismus, der nur mehr das Besondere normal sein lassen will? Oder ist es Menschenrecht, allein alles sein zu können, nur nicht das, was man ist?

Diese Prozesse gehen zurĂŒck bis auf das 18. Jahrhundert, in dem ein neuer Typus des empfindsamen und anspruchsvollen Individuums entsteht. „Bekenntnis“ ist nicht zufĂ€llig ein SchlĂŒsselbegriff fĂŒr die Literatur der Empfindsamkeit und der Romantik, auch wenn sich diese „Bekenntnisse“ von unseren Talkshows, Coming-outs und Klatschspalten weit unterscheiden. Das ist der Ausgangspunkt fĂŒr die Entwicklung dessen, was ich im Buch als „tautologisches Privileg“ bezeichnet habe: Wie zuvor nur Gott selbst, der sagt: „Ich bin, der ich bin“, hat der Einzelne nun im Prinzip die Möglichkeit, sich bloß durch Bezug auf sich selbst (statt auf eine grĂ¶ĂŸere Ordnung) zu definieren. Was er tut und lĂ€sst, wird als Ausdruck seines einmaligen Selbst verstanden, und in den letzten Jahrzehnten gelten SexualitĂ€t und Ge-

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„Genderistische Aktivistinnen vertreten hĂ€ufig nicht die Interessen heterosexueller Frauen, sondern folgen ihrer eigenen Agenda.“

schlecht immer mehr als der Selbstausdruck schlechthin. Das nimmt teilweise extreme Formen an, wie ich am Beispiel der „Drag Kids“, öffentlich vorgefĂŒhrter kindlicher Transvestitendarsteller, ausfĂŒhrlich gezeigt habe. Es geht dabei um VorpubertĂ€re, also wirklich um Kinder (!), deren Auftreten von den (durch Werbeeinnahmen etc.) profitierenden Eltern als „Ausdruck“ ihrer „sexuellen IdentitĂ€t“ verkauft werden kann – auf breiter Front unwidersprochen. Zum Mainstream der Minderheiten gehören sexuelle Minderheiten als Vorreiter. Warum dieser Kult der sexuellen RĂ€nder? Und was bewirkt er?

Was westliche Gesellschaften in dieser Hinsicht betreiben, habe ich als eine „Sakralisierung“, also Heiligsprechung der „Abweichung“ beschrieben. Abweichung von der Norm, und zwar praktisch egal in welche Richtung, ist ja nur die andere Seite des IndividualitĂ€tsideals. Wir haben also automatisch einen Kult der RĂ€nder, und das gilt auch fĂŒr den Bereich der SexualitĂ€t und des Geschlechtes, der in einer Gesellschaft, die den Hedonismus zum Prinzip erhebt, besondere Bedeutung erhĂ€lt. Was er bewirkt, ist eine interessante Frage. ZunĂ€chst einmal eine aggressive Abwertung der Achse Mann-Frau und eine neue Hierarchie, bei der heterosexuelle MĂ€nner ganz unten, heterosexuelle Frauen ein wenig höher und weiter oben sĂ€mtliche abweichenden PrĂ€ferenzen, missverstĂ€ndlich als „Geschlechter“ tituliert, untergebracht werden. Diese Logik forciert eine stĂ€ndige Eskalation. TatsĂ€chlich werden jetzt auch schon Homosexuelle als „homonormativ“ angegriffen. De facto haben wir sexualpolitisch eine aggressive Minderheitenherrschaft, gegen die sich das vorrevolutionĂ€re Frankreich geradezu egalitĂ€r ausnimmt. Da die Politik das nicht durchschaut und die Mehrheit der BĂŒr-

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ger es fĂ€lschlich fĂŒr ein RandphĂ€nomen hĂ€lt, das ihnen nichts anhaben kann, dreht sich die Spirale mit großzĂŒgiger politischer Förderung immer weiter. Die seltsame Diskussion, ob Geschlecht real sei, wirkt manchmal wie ein Gegenspiel auf den Biologismus, der vor 100 Jahren grassierte. Da wird Joanne K. Rowling, die Erfolgsautorin von „Harry Potter“, der Transphobie geziehen, da wird die linke Suzanne Moore vom „Guardian“ als Kolumnistin abgeschafft, weil die Feministin meinte: „Geschlecht ist real“. Gibt es so etwas wie einen extremistischen Kulturalismus?

Das ist ein sehr treffender Ausdruck, man könnte auch von einem „terroristischen Kulturalismus“ sprechen. WĂ€hrend die außermenschliche Natur geschĂŒtzt und als gefĂ€hrdet anerkannt wird (was ja positiv ist), wird im Gegenzug eine menschliche Natur geleugnet und ihr die Daseinsberechtigung abgesprochen. Und dabei wird die Brechstange am Geschlecht als der sichtbarsten und damit fĂŒr Ideologen provokativsten Bastion der Natur angesetzt. Kein Naturschutz fĂŒr MĂ€nner und Frauen, lautet die Devise! Der Fall Suzanne Moore zeigt das in erschreckender Deutlichkeit: Jemand muss allen Ernstes seinen Job aufgeben, weil er es gewagt hat, festzustellen, dass Geschlecht real ist. Hier zeigt eine angeblich emanzipatorische Ideologie ihr wahres, nĂ€mlich utopistisch-terroristisches Gesicht. Man schĂŒtzt fanatisch die Kröte im hintersten Winkel, betrachtet naturgegebene Zweigeschlechtlichkeit aber ebenso fanatisch als eine auszuradierende GrĂ¶ĂŸe. Hier spielen ĂŒbrigens auch transhumanistische Vorstellungen eine Rolle, wie ich in einem Kapitel ĂŒber den als Frau auftretenden amerikanischen Unternehmer Martin(e) Rothblatt zeige.

Warum setzen sich diese Themen in der modernen Gesellschaft wie GesslerhĂŒte durch?

Möglicherweise sind moderne Geschlechtertheorien gerade wegen ihrer totalen RealitĂ€tsferne tatsĂ€chlich geeignet, wie ein Gesslerhut zu funktionieren. Wer den Hut auf der Stange grĂŒĂŸt, hat seine KonformitĂ€t erfolgreich bewiesen. Die Existenz von 63 oder n Geschlechtern ist dann das neue Schibboleth. Religionen testen KonformitĂ€t ja auch durch die Zustimmung zu maximal kontraintuitiven Dogmen. Die sind allerdings als metaphysische Lehren grundsĂ€tzlich nicht widerlegbar. Mit dem Genderismus verhĂ€lt es sich da anders, denn er tĂ€tigt Aussagen ĂŒber empirische Sachverhalte, wie Geschlecht – oder besser, er behauptet das. Um die Schreibweise mit Sternchen und Unterstrichen hat es viel Aufregung gegeben. Deutsche Moderatorinnen halten ja mittlerweile bei Wörtern mit „_Innen“ sogar die Luft an, um möglichst „alle Geschlechter“ mit darzustellen. Was sagen Sie dazu?

Man muss dieses Problem völlig anders betrachten als bisher. Der Knackpunkt liegt in der Behauptung der InklusivitĂ€t, also dem Anspruch, dass „alle“ eingeschlossen wĂŒrden. Das wird immer als das Argument eingefĂŒhrt – es handele sich um eine „gender- oder geschlechtergerechte“ Schreibweise. Paradoxerweise ist aber bei aufmerksamer Untersuchung dieses Anspruches das genaue Gegenteil der Fall. Warum? Nun: Die geschlechtergerechte Schreibung geht davon aus, eine postuliert beliebige Vielzahl von Geschlechtern abbilden zu sollen, die allerdings keine Geschlechter, sondern sexuelle Orientierungen darstellen. Die hĂ€ufigste sexuelle Orientierung ist allerdings binĂ€r, das verweist auf jene zurĂŒckgebliebene Spezies Mensch, die sich in einem Mann-Frau-System FR E I L I CH


INTERVIEW

leben sieht und entweder einen gegengeschlechtlichen oder einen gleichgeschlechtlichen Partner begehrt – also hetero- und homosexuelle Menschen, und das dĂŒrften zusammen 98 oder 99 % der Bevölkerung, jedenfalls die ĂŒberwĂ€ltigende Mehrheit, sein. Diese funktionieren also zweigeschlechtlich und werden nun in einer Schreibweise, die Zweigeschlechtlichkeit leugnet, nicht abgebildet. Sie kommen einfach nicht vor. Das ist eine absurde Konsequenz, aber es ist so: Der InklusivitĂ€tswahn erzeugt mittlerweile den grĂ¶ĂŸten denkbaren Ausschluss, nĂ€mlich von fast allen. Das ist auch so interessant, weil an dieser Stelle erkennbar wird, worauf Minderheitenpolitiken zurzeit wirklich hinauslaufen: Nicht mehr auf das, wofĂŒr sie vorgesehen sind, den Schutz von SchwĂ€cheren nĂ€mlich, sondern auf Privilegien fĂŒr und Dominanz der jeweiligen MinoritĂ€t ĂŒber die Mehrheit. Kritik daran kommt ĂŒbrigens nicht nur von „rechts“, sondern auch aus dem „links“ eingeordneten radikalen Feminismus. Die Mutter der „feministischen Linguistik“ (Ja, das gibt’s!) Luise F. Pusch beschwerte sich in der „Welt“, die neue Schreibweise mache „Frauen unsichtbar“. Und das stimmt, nur betrifft es halt nicht nur Frauen, sondern auch MĂ€nner: Das natĂŒrliche Geschlecht insgesamt soll sprachlich unsichtbar gemacht werden. Wer das fĂŒr eine ĂŒbertriebene Formulierung hĂ€lt: Die Stadt Hannover z. B. drĂŒckt das in ihrer „Neuen Regelung fĂŒr geschlechtergerechte Sprache“ so aus: „Das Sternchen zwischen der maskulinen und der femininen Endung [
] hebt gezielt [!] den Geschlechterdualismus auf.“ Die Ungeheuerlichkeit der Formulierung hat keinen Aufschrei ausgelöst: Hier wird im Namen einer Minderheitenideologie Sprachkrieg gegen eine ganze Bevölkerung gefĂŒhrt, genaugenommen Krieg gegen die/deren Natur. N ° / 11 / FE B R UA R 2021

Wie können MĂ€nner und Frauen in dieser Gesellschaft natĂŒrlich leben, was sie sind? Also ordinĂ€r binĂ€r, ganz nicht fluid. Oder, anders gefragt: Was wĂ€ren die GegenkrĂ€fte zur gegenwĂ€rtig dominanten Genderideologie?

Erst einmal ein viel selbstbewussteres Bestehen darauf, was man als „ordinĂ€r-binĂ€re“ Person so ist, nĂ€mlich kein Spielball und kein Bastelmaterial fĂŒr die Ideologen der beliebig vielen Geschlechter. Bei deren forcierten Unterscheidungen braucht man sich nicht aufzuhalten. Wenn Leute sich im subjektiven Bedarfsfall als transsexuelle Teekessel identifizieren können, hat auch Ihnen niemand in Ihre Vorlieben dreinzureden. Zweitens, und das betrifft besonders die Frauen, ist es wichtig, dass diese sich nicht laufend gegen ihre Partner instrumentalisieren lassen. Feministische und genderistische Aktivistinnen vertreten hĂ€ufig nicht die Interessen heterosexueller Frauen, sondern folgen ihrer eigenen Agenda und produzieren zu den schon vorhandenen „normalen“ Schwierigkeiten des Zusammenlebens laufend unnötiges Konfliktpotenzial. Darauf reagiert seit etlichen Jahren wiederum eine zunehmend reizbarer werdende MĂ€nnerbewegung. Dass „Divide et impera“ das Erfolgsmotto der Genderbewegung sein könnte, darauf habe ich ja schon hingewiesen. MĂ€nner und Frauen haben bei dieser Spalterei nichts zu gewinnen außer langfristigen Patientenkarrieren beim Therapeuten ihrer Wahl. Ein, wenn auch etwas skurriler, Hoffnungsschimmer: In Großbritannien kĂ€mpfen unter dem Hashtag #sexnotgender neuerdings Feministinnen gegen den Genderbegriff, dem sie zu seinem Siegeszug verholfen hatten. Lassen wir sie doch einfach ihre Arbeit machen!

DAS BUCH

Der Mythos von den Befreiungsbewegungen hĂ€lt sich hartnĂ€ckig: Gender-Doktrinen und der heutige Feminismus sind aber nicht bloß sexistisch gegenĂŒber MĂ€nnern, sondern auch zutiefst frauenfeindlich. BedĂŒrfnisse, die von der magersĂŒchtigen Doktrin der Gleichheit von Mann und Frau abweichen, werden nicht geduldet. Mit dem biologischen Geschlecht wird eine der elementarsten Tatsachen menschlicher Existenz geleugnet: die Bezogenheit der Geschlechter aufeinander, ohne die es uns alle nicht gĂ€be. Bettina Gruber: Leben unterm Regenbogen Manuscriptum Verlagsbuchhandlung, LĂŒdinghausen 2020. ISBN 978-3-948075-21-7 A € 20,60 / D € 20,00

Im FREILICH-Buchladen erhÀltlich. freilich-magazin.at/shop

Frau Gruber, wir danken Ihnen fĂŒr das GesprĂ€ch.

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LESESTÜCK Foto: imago / koall

MONIK A MARON

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Monika Maron wurde 1941 in Berlin geboren. Nach dem Abitur arbeitete sie ein Jahr lang als FrĂ€serin in einem Industriebetrieb, studierte dann Theaterwissenschaften und Kunstgeschichte und war nach dem Studienabschluss Regieassistentin beim Fernsehen. SpĂ€ter schrieb sie als Reporterin fĂŒr die „Wochenpost“. Seit 1976 freie Schriftstellerin, siedelte sie 1988 von OstBerlin in die Bundesrepublik ĂŒber, wohnte zunĂ€chst in Hamburg und lebt heute wieder in Berlin.

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VON MONIKA MARON UND JÖRG BERNIG

LESESTÜCK

AUS DEN BÜCHERN

Unser galliges GelĂ€chter Hier zu Hause? In freier und bester Gesellschaft? Manche Autoren brauchen doch wieder ein „EXIL“: Monika Maron und Jörg Bernig haben es in der „Edition BuchHaus Loschwitz“ gefunden.

Aus Monika Marons „Krumme Gestalten, vom Wind gebissen. Essays aus drei Jahrzehnten“:

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s gab nicht viel, was ich vermisst habe, nachdem die DDR im Orkus der Geschichte versunken war. Und was ich hĂ€tte vermissen können, den Bautzener Senf zum Beispiel, gibt es ja heute noch. Nur eins schien mir fĂŒr immer verloren zu sein, weil es einem an diesen Ort und diese Zeit gebundenen, unentrinnbaren und demĂŒtigenden GefĂŒhl der Ohnmacht entsprungen war: unser galliges GelĂ€chter. Wenn Menschen aus dem Westen mir erzĂ€hlen, was sie in der DDR erlebt haben – meistens sind es Geschichten vom GrenzĂŒbergang, wo sie ein OhrlĂ€ppchen herzeigen mussten, oder von GaststĂ€ttenbesuchen, wo sie schlecht behandelt wurden und ĂŒber das Wort SĂ€ttigungsbeilage gelacht haben – wenn sie mir also diese Geschichten erzĂ€hlen, frage ich: Und waren Sie auch in Wohnungen? Denn wenn sie nicht in Wohnungen waren, wissen sie nichts. In den Wohnungen saßen wir am Abend und bis in die Nacht, tranken schlechten Wein und lachten auf diese besondere bittere Art. Wir hatten viel Zeit, waren selten verreist, und weil viele kein Telefon hatten, klingelten sie abends an den TĂŒren ihrer Freunde und waren einfach da. Und dann erzĂ€hlte man, was man erlebt hatte auf dem Wohnungsamt, mit der Polizei, im Betrieb oder Institut, mit einem ParteisekretĂ€r, dem Chefredakteur, den Handwerkern, den Taxifahrern,

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beim Schuhekaufen fĂŒr die Kinder, und fast alle diese Geschichten waren so absurd, dass man darĂŒber nur verzweifeln konnte, vor Wut toben oder darĂŒber lachen konnte, wĂŒtend und verzweifelt lachen. Dieses GelĂ€chter war eine Form des Widerstands, es einte uns und zog eine Wand zum Rest der kleinen, fĂŒr uns bestimmten Welt. Dann öffnete sich die Welt, und damit verstummte auch dieses GelĂ€chter. Jeder, der sprechen wollte, konnte nun sprechen, wer schreiben wollte, konnte schreiben und wer fĂŒr oder gegen etwas kĂ€mpfen wollte, konnte das öffentlich und ungefĂ€hrdet tun. Die Erinnerung an unser galliges GelĂ€chter habe ich bewahrt wie die Erinnerung an alles, das schön war in dieser Zeit: die Jugend, Liebe, Freundschaft. Aber seit einigen Jahren höre ich es wieder, ein böses, hilfloses Lachen von mir und von anderen, von Ostdeutschen und von Westdeutschen auch. Inzwischen haben wir alle Telefone, sogar mobile, wir haben weniger Zeit und sind oft verreist, wir klingeln nicht einfach bei Freunden, sondern verabreden uns, wir schicken uns Artikel per e-mail, und wenn wir sie gelesen haben, telefonieren wir, fragen uns gegenseitig, ob die alle irre sind oder wir selbst, und weil wir uns nicht erklĂ€ren können, warum das alles passiert, warum uns eine genderisierte SprachverstĂŒmmelung zugemutet wird, warum hunderttausende WindrĂ€der gebaut werden sollen, die den Energiebedarf nicht werden sichern können, gleichzeitig aber auf Elektroautos und -roller gesetzt wird, warum hunderttausende Einwanderer ins Land gelassen werden, von denen man weiß, dass sie nicht

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bleiben dĂŒrften, man sie aber auch nicht wieder außer Landes bringen kann, warum uns nun tĂ€glich mit dem Weltuntergang gedroht wird, obwohl niemand wissen kann, ob er stattfinden wird, weil wir uns das alles trotz ehrlichen BemĂŒhens einfach nicht erklĂ€ren können, verfallen wir nach einigem Stöhnen und ratlosen SĂ€tzen in dieses besondere, gallige GelĂ€chter. Ich habe nicht fĂŒr möglich gehalten, dass mir das noch einmal passiert. AIs ich 1988 aus Ost-Berlin nach Hamburg gezogen bin und bei Zarrentin zum ersten Mal ĂŒber die Grenze fuhr und das Schild mit dem Bundesadler sah, breitete sich in mir das Wort Freiheit zu einem GlĂŒcksgefĂŒhl aus. Und so war es auch. Ich war frei; frei zu schreiben, zu sprechen, zu leben. Und als ich binnen kĂŒrzester Zeit mit den Hamburger GrĂŒnen und Feministinnen zusammenprallte, war das eine lehrreiche Erfahrung, mehr nicht. Ich ahnte nur, dass das keine wunderbare Freundschaft werden könnte. Aber sie waren nicht das Land, nicht die Zeitungen, nicht der Rundfunk, auch wenn sie da gewiss saßen, aber sie beherrschten sie nicht. Mit dem Verschwinden der DDR war ich von ihr auch literarisch befreit und schrieb einen Roman ĂŒber die Liebe, danach die Geschichte meiner Familie; ich holte nach, wozu mir die UmstĂ€nde meines Lebens zuvor keinen Atem gelassen hatten. Meine politischen Interventionen und Zwischenrufe, vor allem zu den Asymmetrien der deutschen Vereinigung, schrieb ich fĂŒr Zeitungen. Als ich 2010 begann, mich fĂŒr den Islam zu interessieren, ging es mir weniger um den Islam als um den Umgang mit seinen Kritikern, in dem ich ein Muster wiederzuerkennen glaubte. Islamkritiker wie Necla Kelek wurden plötzlich als „Heilige Krieger“ und „Hassprediger“ beschimpft, als stĂŒnde es ihnen nicht zu, sich mit ihrer eigenen Herkunft und Kultur auseinanderzusetzen. Sie wurden ihrer eigenen Konf likte beraubt, die nun von der westdeutschen Linken als deren eigene Angelegenheit ĂŒbernommen wurden, so wie auch die Ostdeutschen von ihren Konf likten enteignet wurden, indem jedes Problem, das sie miteinander hatten, in das Konf liktpotenzial westdeutscher Parteien integriert wurde und fortan als Ost-WestKonf likt galt, als wĂ€ren die Ostdeutschen vierzig Jahre lang eine homogene Masse gewesen. In beiden FĂ€llen ging es darum, die Deutungshoheit in einem Konf likt, an dem man nur mittelbar beteiligt

war, an sich zu reißen und an den eigenen Interessen auszurichten. In den Jahren 2014, als die PEGIDA zum ersten Mal auf die Dresdener Straßen ging, und 2015, als eine Million FlĂŒchtlinge und Einwanderer unkontrolliert die deutschen Grenzen passierten, verwandelten sich diese Konfliktfelder in Kampfzonen, in denen die Begriffe links und rechts endgĂŒltig bedeutungslos wurden. Wer die bis dahin selbstverstĂ€ndlichen Forderungen der Linken, wie die AufklĂ€rung, den sĂ€kularen Staat und die Frauenrechte, verteidigte, fand sich plötzlich auf dem rechten Kampffeld wieder; und meine linken, grĂŒnen Feministinnen aus Hamburg verteidigten vermutlich leidenschaftlich das islamische Kopftuch und forderten VerstĂ€ndnis auch fĂŒr die hartgesottensten muslimischen FrauenverĂ€chter, was fĂŒr mich bedeutet: Sie waren zu ReaktionĂ€rinnen mutiert, also rechts. Der Osten avancierte in den Jahren danach von der Mitleids- und Witzfigur der Medien zu ihrer Hassfigur. Die dummen Ostdeutschen, die eben keine Fremden kannten, obwohl sie seit einem Vierteljahrhundert selbst durch die Welt reisten, auch in Dresden ARD und ZDF sehen konnten, und die seit 1990 hunderttausende SpĂ€taussiedler aus Russland und Kasachstan aufgenommen hatten. Sie hatten erlebt, wie ihre gut ausgebildeten Kinder in den Westen abwanderten, weil sie im Osten keine Arbeit fanden, und ließen sich nun erzĂ€hlen, dass schlecht ausgebildete, fremde junge MĂ€nner als ArbeitskrĂ€fte gebraucht wĂŒrden. Seit 1990 sind fĂŒnf Millionen Ostdeutsche in den Westen gezogen. Die Jugend, die dem Osten fehlt, lebt im Westen. Auch danach hĂ€tte man fragen können, ehe man ganz Sachsen zum Nazi-Sumpf erklĂ€rt und, wie eine Journalistin kĂŒrzlich stolz verkĂŒndete, keinen sĂ€chsischen Apfelsaft mehr kauft. Man hĂ€tte fragen können, was die Menschen plötzlich auf die Straße treibt, bevor man sie als „besorgte BĂŒrger“ lĂ€cherlich macht, als „AbgehĂ€ngte“ diffamiert und ĂŒber den Umweg rechtsradikal und rechtsextrem als Nazis ĂŒber eine Grenze schiebt, die sie vielleicht nie hatten ĂŒbertreten wollen. Aber Rechte fragt man nicht, mit Rechten redet man nicht, BĂŒcher von Rechten liest man nicht, Rechten darf man ihre StĂ€nde auf Buchmessen verwĂŒsten, Rechten hört man nicht zu und antwortet ihnen nicht – und wer oder was rechts ist, entscheidet jeder, der sich fĂŒr links halt. Schon die Frage, ob der Klimawandel wirklich nur menschengemacht ist oder wie viel Einwanderung eine Gesellschaft vertrĂ€gt,

„Weil wir uns das alles trotz ehrlichen BemĂŒhens einfach nicht erklĂ€ren können, verfallen wir nach einigem Stöhnen und ratlosen SĂ€tzen in dieses besondere, gallige GelĂ€chter.“

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ohne schwerwiegenden Schaden zu nehmen, oder ob dieses Genderkauderwelsch wirklich den Frauen nutzt, kann ausreichen, um rechter Gesinnungsart verdĂ€chtigt zu werden. Wie es scheint, hat die grĂŒn-linke Seite, verstĂ€rkt durch eine gewandelte CDU, den Kampf um die Deutungshoheit gewonnen um den Preis, dass die AfD zu einer konstanten politischen Kraft geworden ist und achtzig Prozent der Bevölkerung laut einer AllensbachUmfrage ihre Meinung zu bestimmten politischen Themen öffentlich nicht mehr Ă€ußert. Was fĂŒr ein Sieg! KĂŒrzlich erzĂ€hlte ich einem Freund, ich fĂŒhlte mich beim Schreiben zuweilen wie frĂŒher, als ich mein erstes Buch „Flugasche“ geschrieben habe, wieder gedrĂ€ngt ins Politische, weil es mich jeden Tag umtreibt, und bedrĂ€ngt von dem Gedanken, was ich mir wohl einbrocke, wenn ich einen Protagonisten meines Buches diesen oder jenen Satz sagen lasse. Der Freund war empört: Wie ich die Bundesrepublik mit der DDR vergleichen könne, und ob ich noch ganz bei Verstand sei. Es liegt mir fern, die Bundesrepublik mit der DDR zu vergleichen. Weder fĂŒrchte ich, mein Buch könnte wie in der DDR verboten werden, noch halte ich fĂŒr möglich, dass ich juristisch belangt werden könnte. Und trotzdem habe ich dieses GefĂŒhl. NatĂŒrlich, Deutschland ist ein Rechtsstaat; darum werden BĂŒcher nicht verboten und Schriftsteller nicht verhaftet. Aber jenseits des Gesetzes gibt es eine Deutungsmacht, die blindlings mit VerdĂ€chtigungen und Diffamierungen um sich werfen darf, sobald das, was sie als Wahrheit ausgibt, infrage gestellt wird. Damit wird man in den Medien unversehens zum „neurechten Autor“ oder zu jemandem, der „neurechtem Gedankengut nahesteht“, oder dergleichen. Jörg Baberowski, Professor an der Humboldt-UniversitĂ€t Berlin, wird seit Jahren von einer Gruppe linksradikaler Studenten tyrannisiert, vor denen seine UniversitĂ€t ihn nicht schĂŒtzt. Als Uwe Tellkamp in einem öffentlichen GesprĂ€ch mit Durs GrĂŒnbein sagte, seine Meinung sei nicht erwĂŒnscht, nur geduldet, bestĂ€tigte das der SuhrkampVerlag noch am selben Abend per Twitter, indem er sich von der Meinung seines Autors Tellkamp distanzierte. Der Maler Axel Krause wurde von einer Leipziger Ausstellung wieder ausgeladen, weil er Meinungen vertrat, die auch von der AfD zu hören sind, aber durchaus im Rahmen eines vernĂŒnftigen Diskurses blieben. Mit seinen Bildern hatte das nichts zu tun. Es gibt auch in einem Rechtsstaat Möglichkeiten, Menschen wegen unerwĂŒnschter Meinungen die Existenz zu erschweren oder sogar zu zerstören. Wenn Zweifel schon verdĂ€chtig sind, wenn Fragen als Provokationen wahrgenommen werden, wenn Bedenken als reaktionĂ€r gelten, wenn im Streit nur eine Partei immer recht hat, können einen alte GefĂŒhle eben ĂŒberkommen. Und dann kann man darĂŒber verzweifeln, vor Wut toben oder darĂŒber lachen, unser schönes galliges GelĂ€chter.

„Jenseits des Gesetzes gibt es eine Deutungsmacht, die blindlings mit Diffamierungen um sich werfen darf.“ Aus Jörg Bernigs „An der Allerweltsecke. Essays“:

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er Tag endet, im besten Spiel des Zufalls, in einem Gasthaus in Vračar – nur ein kleiner Tisch ist nicht reserviert, neben ihm ragt ein mĂ€chtiger Lindenstamm auf, das Wirtshaus ist um die Linde herum gebaut. Nach und nach kommen weitere GĂ€ste, alle PlĂ€tze sind belegt, dann erscheint einer mit einem Kontrabass, dann einer mit einem Akkordeon, einer mit Gitarre und ein anderer mit nichts als einem Tamburin. Sie musizieren eine Runde, aber es dauert nicht lang, und alle im Wirtshaus singen mit. Zwischendurch wird gegessen und getrunken. An einem Tisch lassen es sich zwei junge Frauen mit ihren MĂŒttern gut gehen, sie singen laut und hingebungsvoll, in den Pausen werden lange, dĂŒnne Zigaretten geraucht, Rakija wird bestellt. Eine kleine Gruppe junger Frauen an einem andern Tisch desgleichen, sie bitten darum, mit ihrem Smartphone fotografiert zu werden. Auch die Paare mittleren Alters, die eine lange Tafel fĂŒr sich haben zusammenschieben lassen, essen, trinken, reden, lachen, singen, sie feiern – den Freitagabend? das Wochenende? ihre Freundschaft? das Leben? –, und schon steht einer der MĂ€nner auf und beginnt, seine HĂŒften im Rhythmus der Musik zu wiegen, er hebt die Arme, singt und tanzt mit sich selbst. Eine Zeit lang sehen seine Freunde ihm zu, bis sich eine Frau zu dem TĂ€nzer gesellt und ebenso singend tanzt. Sie sind entrĂŒckt – Weltfremdheit in ihrer schönsten Form. Oder RĂŒckkehr in eine Welt, die auch Aufgehobensein bedeutet. Kein schöner Ort in dieser Stunde. Kein schöner Land in dieser Zeit, als das jener SĂ€nger und TĂ€nzer im Wirtshaus. Jemand steckt dem Akkordeonspieler einen Zweitausend-Dinar-Schein in die Balgfalten des Instruments und wĂŒnscht sich ein bestimmtes Lied, die Luft im Wirtshaus ist von Gesang und Rauch erfĂŒllt. Draußen wĂ€scht der Regen an die Fenster und beendet den noch einmal sommerlichwarmen und hellen Herbsttag im spĂ€ten Oktober, der die Platanen und die Linden der Stadt immer noch in dichtem BlĂ€tterkleid gesehen hat, ebenso wie die BĂ€ume – die Pappeln? –, die grĂŒngelb am jenseitigen Donau-Ufer stehen, wo die Vojvodina sich flach bis zum Horizont und darĂŒber hinaus erstreckt; bis nach Budapest hin keine Berge, lediglich bei Novi Sad und Petrovaradin, die einmal österreichisch waren und

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Neusatz und Peterwardein hießen, passiert die Donau stets aber sprach das BedĂŒrfnis mit, nicht einem verdie HĂŒgel der FruĆĄka Gora. meintlichen oder tatsĂ€chlichen Kollektiv zugeschlagen Beim Durchstreifen der Belgrader Stadtteile von – und diesem damit geopfert? – zu werden, um nicht Vračar bis hinab nach Dorćol und von da hinauf auf den im Nachhinein noch unter diejenigen zu geraten, gegen Kalemegdan hoch ĂŒber den FlĂŒssen schließt sich das deren Vorgehen und Walten in Zeiten des Krieges wie Gesehene an das in den BĂŒchern von Ivo Andrić oder in denen der Feuerpausen man sich zur Wehr gesetzt auch von Dragan Velikić Gesehene an, gehen die Welten hatte und damit ein Risiko eingegangen war, das so ganz selbstverstĂ€ndlich ineinander ĂŒber, durchdringen gĂ€nzlich außerhalb der Erfahrungen westeuropĂ€ischer einander als Welt-Kunst und Kunst-Welt. Und ja, es Gesellschaften lag, jener Gesellschaften, deren Politistimmt, was in Andrićs Roman „Das FrĂ€ulein“ zu lesen ker und Medienvertreter nach außen wie nach innen ist: Es gibt auch im Herbst „Tage, an denen sich das Feunur zu oft zu schnell zu Urteilen gelangen. Wer könnte er dieser Sonne, die in der Ebene zwischen den FlĂŒssen den Impuls dieser Serben nicht besser verstehen als die unterhalb Belgrads versinkt, auf der hohen HimmelsDeutschen und die Österreicher? Wer sollte den Serben kuppel widerspiegelt, sich bricht und als roter Schein nicht nĂ€her zur Seite stehen, bei dem, was als „AnnĂ€ĂŒber die weit hingestreckte Stadt ergießt“. Doch dann herung“ an die EuropĂ€ische Union bezeichnet wird? hinunter, dorthin, wo die Save in die Donau mĂŒndet! Dies ist nicht zu verwechseln mit einer AnnĂ€herung an Herrlich, in einem schwimEuropa, denn dort sind sie ja menden CafĂ© im Gemurmel bereits, die Serben. Es gilt, den der Stimmen zu sitzen, nur Richtigen zu helfen, jenen, die einen Meter ĂŒber dem Wasvon den fĂŒr andere bestimmser, und die Bewegung der ten SchlĂ€gen mit getroffen FlĂŒsse zu spĂŒren, die große worden sind. Herta MĂŒllers WasserflĂ€che der Donau vor Auftritt auf der Belgrader Augen, gegenĂŒber PannoBuchmesse bezeichnete dabei nien, und ĂŒber das Wasser, genau die wunde Stelle, den das ja auch aus Deutschland Schmerz, der eben von allen herkommt und ein einziges Seiten auszuhalten ist. Sie begroßes Sagenband der Eurotonte noch einmal die in ihren pĂ€er ist, schiebt sich ab und Augen notwendig gewordene JÖRG BERNIG zu ein Schiff. Die Donau, der Bombardierung Serbiens im Strom, der „Mitteleuropa erKosovokrieg von 1999, um studierte Germanistik und Anglistik in Leipzig; zeugt und zusammenfasst“, dem serbischen MilitĂ€r unter seit 1999 ist er freischaffender Schriftsteller. wie Claudio Magris in seiSlobodan MiloĆĄević Einhalt Bernig wurde 2013 mit dem Kunstpreis der ner Biografie eines Flusses zu gebieten. „Dieses Land hat Großen Kreisstadt Radebeul ausgezeichnet. schreibt. sich selbst Leid angetan, auch Im „BuchHaus Loschwitz“ hat der streitbare Beim Blick auf das Wasdie Serben haben sich selbst Dichter bei der Verlegerin Susanne Dagen sein ser wird der Nachklang der Leid angetan, und damit mĂŒsDach gefunden. GesprĂ€che mit Vladisiav Basen sie jetzt leben.“ Fast zwanjac und den Autoren seines zig Jahre spĂ€ter glĂŒht – nicht Verlages wieder deutlicher glimmt! – da in der Reaktion vernehmbar, jene lebendigen und doch ruhigen GesprĂ€auf Herta MĂŒllers Worte etwas auf, springt die Flamme che, dezent und doch geradlinig, no-nonsense, wĂŒrden sofort hoch und macht deutlich, wie fragil der Status quo die EnglĂ€nder sagen. SpĂŒrbar auch das BedĂŒrfnis, beim auf dem Balkan ist, und das verweist gleichzeitig auf die Blick auf Serbien, beim Blick auf die Serben, zu einem aus westeuropĂ€ischer Perspektive exzentrische historische Schauen und ĂŒber die Wahrnehmung von Schwarz und Erfahrung der FragilitĂ€t auf dem Balkan. Fremd- und Weiß hinauszugelangen. Ein Autor sagt, dass sie alle geEigenwahrnehmung kollidierten am Tag des Auftritts troffen worden seien von den SchlĂ€gen, die MiloĆĄević gevon Herta MĂŒller, aber das ist ja kein ungewöhnlicher golten hatten. Die von NATO-Bombern zerstörten GeVorgang. Auch davon können die Deutschen und die bĂ€ude in Belgrad, in Novi Sad und andernorts sprechen Österreicher aus eigener Erfahrung berichten, auch darnoch immer davon, im Verborgenen trauern noch imum wĂ€ren sie die natĂŒrlichen VerbĂŒndeten jener bei den mer Menschen um getötete Angehörige, diese VerganSchlĂ€gen Mitgetroffenen, die Dragan Velikić in seinem genheit ist noch immer nicht vergangen. Nebenher der Essay „Stimme aus der Erdspalte“ die „Angehörigen der – nicht bitter, nicht trotzig oder sonstwie – vorgebrachSekte der VernĂŒnftigen und Normalen, von Slowenien te Hinweis, dass das Abkommen von Dayton gar nichts bis Mazedonien“ nannte. gelöst habe. Manches unaufgeforderte und vielleicht geJenes AufglĂŒhen hĂ€ngt auch mit dem SelbstverstĂ€ndnis rade darum gesprochene Wort blieb in der Andeutung, als Nation zusammen, und es ist zu bedenken, dass

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„Nation“ hierzulande, also in Deutschland, und in manchen politischen Kreisen Westeuropas sowie bei etlichen Meinungsproduzenten in den althergebrachten Medien und UniversitĂ€ten als ein Schmuddelwort gilt. Bei „Nation“ handelt es sich, diesen Leuten zufolge, um etwas zu Überwindendes, und diese Überwindung, so wird gesagt oder suggeriert, brĂ€chte eine Lösung aller Probleme, die aus Europas staatlicher Vielfalt resultierten, mit sich. Die Gegenpositionen oder gar -bewegungen zu solchem Denken in Polen, Tschechien, Ungarn, aber auch in Katalonien, Schottland oder Belgien, das als „gespaltenes Land“ gilt, werden abschĂ€tzig als RĂŒckfĂ€lle in obsolete VerhĂ€ltnisse betrachtet. Wer vonseiten der FunktionĂ€re in den EUInstitutionen ist an die Öffentlichkeit getreten mit dem Versuch, die BeweggrĂŒnde fĂŒr diese Positionen und Bewegungen zu erfassen? Der Blick bleibt dem Ökonomischen verhaftet und erfasst Fragen von ldentitĂ€t, Selbstvergewisserung und Kultur nicht. Diese Fragen aber sind – nicht nur – in Serbien seit je und bis zur Übersteigerung virulent, auch weil die Serben unter einer Jahrhunderte wĂ€hrenden osmanischen Fremdherrschaft zu ĂŒberdauern hatten. Es gab keinen eigenen Staat; Selbstvergewisserung, Sprache, IdentitĂ€t, Kultur ĂŒberdauerten wĂ€hrend der Okkupation innerhalb der Religion und der Institution der serbischorthodoxen Kirche. Die Kirche bewahrte die Serben als Volk und Nation durch die dreihundertjĂ€hrige tĂŒrkische Herrschaft – Ähnliches lĂ€sst sich in Deutschland an den Sorben und der katholischen Kirche beobachten. Ein derartiger Hintergrund, eine solche gleichsam immaterielle Existenz liegt jenseits der Erfahrungen jener von starken Zentralgewalten erschaffenen und geprĂ€gten Staaten des westlichen Europa. Und auch manches in der Belgrader Semiotik unterscheidet sich von den meisten GroßstĂ€dten des alten Westeuropa und wird von manchem von dort Herkommenden vielleicht auch nicht sogleich verstanden oder mit Attributen versehen wie: archaisch, unmodern, gar antimodern. Unter solchem Blickwinkel freilich wird zum einen die Geschichte eines Weltwinkels nicht gebĂŒhrend erfasst, wie zum andern der jahrhundertealte Übergangs-, Grenz- und Frontcharakter mit der falschen Elle gemessen wird. Belgrad ist eben auch – anders als „der Balkan“ – ein mittel- oder zentraleuropĂ€isches Gebiet, das sich nach der Fremdherrschaft und dem

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„Nation“ gilt hierzulande sowie bei etlichen Meinungsproduzenten als ein Schmuddelwort.

Arrangement mit dem Osmanischen Reich, mit der Feindschaft zu Österreich-Ungarn, den Habsburgern, vielleicht unnĂŒtzerweise, jedenfalls aber mit verheerender Wirkung von diesem Mittel- oder ZentraleuropĂ€ischen entfernt hatte. Doch selbst im heutigen Belgrad treffen beide, treffen Serbien und Österreich aufeinander, und zwar im Stadtteil Zemun, dem Semlin der Habsburger, der einstigen Grenzstadt der Donaumonarchie. Die Gassen dort sind so, wie sie sich auch durchstreifen lassen in Böhmen, MĂ€hren, Ungarn, Österreich, der Slowakei, in SiebenbĂŒrgen oder dem Banat. Auch diese Gassen sind Teil der Belgrader Semiotik, sie sind fĂŒr jeden MitteleuropĂ€er Iesbare, wiedererkennbare und selbst in fremdem Gewand vertraute Zeichenensembles. Sie blieben erhalten, wĂ€hrend die Spuren der Osmanen nach fast dreihundertjĂ€hrig durchgĂ€ngiger Herrschaft bis auf nur wenige Ausnahmen getilgt worden sind, seit die Stadt an die Serben zurĂŒckgefallen war. Und auf die Zerstörungen im Ersten und im Zweiten Weltkrieg folgten Neubebauungen. Das Palimpsest Belgrad, dessen OberflĂ€che immer wieder neu beschriftet wurde 
 FĂŒr die Wiedergeburt einer Nation nach der Zeit der Osmanen war der Stadtumbau vielleicht unabdingbar, zumal die zurĂŒckgelassenen HĂ€user, Höfe und Moscheen ja keine Nutzer mehr hatten, denn mit dem Abzug des letzten osmanischen Regiments mussten auf Befehl des Sultans alle verbliebenen Muslime der Stadt den RĂŒcken kehren und das ĂŒber Generationen Angelagerte, Eroberte, Geschaffene, Erbaute zurĂŒcklassen. Die Stadt, so lange Sprungbrett der Osmanen fĂŒr ihre immer tiefer nach Europa hinein zielenden KriegszĂŒge, blieb auch nach der Wiedererrichtung des serbischen Staates Grenzstadt zum Habsburgerreich, das bis nach Semlin oder Zemun reichte, sĂŒdlich der Donau und westlich der Save, nicht weit von deren Zusammenfluss gelegen. Vom Kalemegdan sieht man dorthin hinab, von Semlin sieht man hinĂŒber zum Kalemegdan hoch ĂŒber der Donau, von woher der Pobednik, die Statue des Siegers, grĂŒĂŸt. Weit geht der Blick vom GardoĆĄ-Turm in Zemun, heute ein Aussichtssturm, frĂŒher Teil des kaiserlich-königlichen Kommunikationssystems, das sich ĂŒber das gesamte Reich erstreckte und in dem die Nachrichten durch Lichtsignale schnell weitergegeben werden konnten. Eine Vielzahl solcher TĂŒrme verteilten sich einst ĂŒber Österreich-Ungarn, wenige sind erhalten geblieben. FrĂŒher Wachtposten und Ausguck, ist der GardoĆĄTurm heute nur noch fĂŒr Touristen von Interesse und fĂŒr Kunstfreunde, die in die Galerie in seinem Innern treten. Zu FĂŒĂŸen des Turmes liegen eine Kirche und ein Friedhof, die DĂ€cher des Ortes sind aneinandergedrĂ€ngt, die vormalige Stadt reicht bis ans Donauufer. Jenseits des Flusses erstreckt sich das pannonische Flachland, im SĂŒden erheben sich weit in der Ferne HĂŒgel, von Westen her ziehen dunkle Wolken tief ĂŒber das Land und kĂŒndigen Regen an.

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PORTRAIT Foto: Buchhaus Loschwitz

Eine Insel fĂŒr die freie Meinung: Das „BuchHaus Loschwitz“ gewann 2015 und 2016 den Deutschen Buchhandlungspreis in der Kategorie „Besonders herausragende Buchhandlungen“.

Der Freiheit ein Haus BuchhÀndlerin und Verlegerin Susanne Dagen ist die letzte SalonniÚre unserer Tage. In virtuellen und realen BegegnungsrÀumen sucht sie das freie GesprÀch.

D

er Beruf des BuchhĂ€ndlers gehört zu den 17 Berufen der Berufsprestige-Skala des Instituts fĂŒr Demoskopie Allensbach. Ca. 7 % der BuchhĂ€ndler genießen bei den Deutschen seit etlichen Jahren hohes Ansehen. Diese Reputation, mit der der BuchhĂ€ndler in der Reihung vor Politikern und Fernsehmoderatoren gelandet ist, verdankt er sicher dem als hochwertig empfundenen Handelsgut Buch und vielleicht auch der Tatsache, dass er direkt am Quell kulturell wichtiger Strömungen zu sitzen scheint; ein Verwalter und WissenswĂ€chter also, der ĂŒber QualitĂ€t, Vielfalt und Reinheit unserer geistigen Nahrung durch seine Offerten zumindest mitentscheidet. Das ist auch 2021 so, obwohl das Ideenmagazin fĂŒr den Buchhandel „BuchMarkt“ feststellt, dass „VerĂ€nderungen in der Buchhandelslandschaft dafĂŒr sorgen, dass der konkrete Kontakt mit dem BuchhĂ€ndler selten bleibt: Internethandel [
], Handelsketten, bei denen man sich möglichst beratungsfrei von den aufgestapelten Bestsellern selbst bedienen kann“. Doch KundennĂ€he ist nicht

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nur in den Buchhandlungen selbst von fataler Kundenentfremdung abgelöst worden. Denn BuchhĂ€ndler gefĂ€hrden durch politisch korrekte Sortimente und den Ausschluss weltanschaulich unliebsamer Autoren ihre Existenz und entpflichten sich vom Anspruch auf Meinungsfreiheit und Toleranz beziehungsweise Diskursbereitschaft. So kam es im Oktober 2017 auf der Frankfurter Buchmesse zu Auseinandersetzungen Linker mit rechten Verlagen. Auf der Leipziger Messe im MĂ€rz 2018 dann diskutierten BuchhĂ€ndler und Fachpublikum auf einem Forum des Deutschen Börsenvereins die Frage: „Wie politisch ist der Buchhandel?“ Die Dresdner BuchhĂ€ndlerin Susanne Dagen kritisierte wĂ€hrenddessen in einem Offenen Brief an den Börsenverein den Umgang mit „andersdenkenden Verlagen“ auf der Frankfurter Buchmesse und veröffentlichte die „Charta 2017“, die unter anderem auch von Cora Stephan, Vera Lengsfeld, Matthias Matussek und Uwe Tellkamp unterzeichnet wurde. Die daraufhin einsetzende repressive Gegenreaktion des autoritĂ€ren Kulturestablish-

S U S A N N E DAG E N

Jahrgang 1972, ist BuchhÀndlerin, Verlegerin, Moderatorin und Kommunalpolitikerin in Dresden Loschwitz. BuchHaus Loschwitz: kulturhaus-loschwitz.de

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ments hatte allerdings einen weiteren Grund: Dagen, das einstige VorfĂŒhrkind der BuchhĂ€ndlerszene der „neuen BundeslĂ€nder“, hatte sich laut „Spiegel“ im Mai 2016 angeblich als „PEGIDA-Sympathisantin geoutet“, was sie so aber tatsĂ€chlich nicht getan hatte. Das böswillig von dem Relotius-Blatt Unterstellte war, was nicht sein durfte, denn noch 2008 war das „BuchHaus Loschwitz“ zur „Buchhandlung des Jahres“ gewĂ€hlt worden. In der „Studie zur Literaturvermittlung in den fĂŒnf neuen BundeslĂ€ndern zu Beginn des 21. Jahrhunderts“ hieß es: „GewĂŒrdigt wurde damit vor allen Dingen die Idee, die Buchhandlung [Loschwitz] als einen auratischen Ort fĂŒr Kultur- und Literaturveranstaltungen auszubauen. [
] Mit einem Budget von gerade mal 20.000 € organisiert das Buchhaus Loschwitz ĂŒber 100 Veranstaltungen im Jahr, davon 60 Literaturveranstaltungen, zwölf Ausstellungen, 25 Konzerte sowie zwei FilmvorfĂŒhrungen pro Woche. Damit leistet das Buchhaus fĂŒr die Literatur- und Kulturvermittlung mehr als andere Einrichtungen, die mit dem drei- bis fĂŒnffachen Budget arbeiten.“ Nicht zuletzt wegen dieser Leistungen gab es 2015 und 2016 den Deutschen Buchhandlungspreis in der Kategorie „besonders herausragend“. Die neuen Jakobiner bekamen ĂŒber den besagten „Spiegel“-Artikel jedoch alsbald Witterung, und so fiel die linke Jagdgesellschaft gnadenlos ĂŒber die 1972 in Dresden-BĂŒhlau geborene gelernte BuchhĂ€ndlerin und zweifache Mutter sowie ihren Lebenspartner Michael Bormann her. Munition fĂŒr die Kulturblockwarte unserer Tage lieferte die umtriebige Dresdnerin, indem sie die auf YouTube zu sehende regelmĂ€ĂŸige Literatursendung „AufgeblĂ€ttert. Zugeschlagen – Mit Rechten lesen“ veranstaltet. Dabei werden drei aktuelle BĂŒcher im Austausch zwischen der Publizistin Ellen Kositza vom Verlag Antaios, der BuchhĂ€ndlerin und einem jeweils neuen Gast vorgestellt und besprochen. Weitere Fehltritte im gleichgeschalteten Milieu der „Cancel-Culture“-Akteure sind Interviews mit Dagen in „COMPACT“ und der „Sezession“. Es folgten Angriffe in den sozialen Netzwerken. Noch Ende Januar 2019 wurden Hakenkreuze geschmiert. Sie hĂ€tte nicht damit gerechnet, „dass so ein Sturm ĂŒber mich hereinbricht“, bekennt Dagen. Trotzdem ist die BuchhĂ€ndlerin im Kampf gegen die sich verengenden Gesinnungskorridore aktiver denn je. Im vergangenen Jahr konnte sie das 25-jĂ€hrige JubilĂ€um ihres Projektes feiern

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und startete gleichzeitig die Buchreihe „EXIL“ in der „Edition BuchHaus Loschwitz“. Die schön gemachte Paperbackreihe „versteht sich als Kunst der Zuflucht ebenso wie als Zuflucht der Kunst, die sich einem Klima zunehmender politischer Anfeindung ausgesetzt sieht. Als Zuflucht der Kunst setzt sie auf das Literarische und KĂŒnstlerische ihrer Texte, womit sie zugleich Kunst als Zuflucht bietet – nur sie ist es, die uns RĂ€ume der Freiheit, der TrĂ€ume und des Denkens öffnen kann“. Zuflucht unter dem Dach des „BuchHaus Loschwitz“ hatten in der ersten Staffel neben Uwe Tellkamp auch Monika Maron und Jörg Bernig gesucht. Tellkamp als Opfer einer ĂŒblen Pressekampagne, Maron, als ob sie den Rauswurf beim Verlag S. Fischer im Voraus geahnt hĂ€tte, und Bernig, dessen spĂ€ter widerrufene Wahl zum Kulturamtsleiter der sĂ€chsischen Stadt Radebeul im Mai 2020 stattfand. Im Prinzip alles Opfer der sich selbst Haltungsjournalisten nennenden linken Meute von denunzierenden Berufsschreibern. Denn Jörg Bernig und Monika Maron hatten wie Uwe Tellkamp zwar den zunehmenden Verlust geistiger Freiheiten und das beklemmende Klima sogenannter politischer Korrektheit in Deutschland und Europa beklagt, jedoch, ohne sich dabei in irgendeiner Form auf eine parteipolitische Seite zu schlagen. Susanne Dagen macht in Dresden-Loschwitz indes unverdrossen weiter, sie legte im Oktober 2020 mit der zweiten Staffel der „EXIL“Buchreihe nach: Bernd Wagner, Angela Wierig und Eva Rex publizierten. Letztere betrachtet unter dem Titel „Rettet den gesunden Menschenverstand“ Hannah Arendt im Mehrheitsdiskurs. Allein der Buchtitel dĂŒrfte die Betreiberin des BuchHaus- und KulturHausProjektes angesprochen haben, viel mehr allerdings sind es sicher SĂ€tze wie diese gewesen: „Wissenschaft wurde in totalitĂ€ren Systemen schon immer herangezogen, um großangelegte Experimente eines gesellschaftlichen Umbaus vorzunehmen. [
] Heute steht uns das große Experiment bevor, dass eine ‚monoethnische und monokulturelle Demokratie in eine multiethnische‘ verwandelt werden soll. Und dafĂŒr braucht es Homogenisierung – das Zerreiben des Menschen zu ethisierten, ökologisierten, pazifizierten, feminisierten und durchgegenderten Bestandteilen des humanitĂ€ren Universalismus. Dass dadurch die HandlungsfĂ€higkeit des politischen BĂŒrgers unmöglich gemacht wird, sollte uns lĂ€ngst klar geworden sein.“ Susanne Dagen ist in Dresden StadtrĂ€tin der Freien WĂ€hler fĂŒr Kultur, Umwelt und Petitionen.

Jörg Bernig: An der Allerweltsecke Edition BuchHaus Loschwitz, Dresden 2020, 160 Seiten ISBN 978-3-9820131-7-6 A € 19,60 / D € 19,00

Monika Maron: Krumme Gestalten, vom Wind gebissen Edition BuchHaus Loschwitz, Dresden 2020, 112 Seiten ISBN 978-3-9820131-6-9 A € 17,50 / D € 17,00

Beide BĂŒcher sind im FREILICH-Buchladen erhĂ€ltlich. freilich-magazin.at/shop

BuchHaus Loschwitz: kulturhaus-loschwitz.de

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BÜCHER

Foto: Brian Harris / Alamy Stock Foto

Das durch den „Brexit“ inspirierte WandgemĂ€lde von Banksy auf einem GebĂ€ude unterhalb von Dover Castle soll ein politisches Bekenntnis zu Europa sein.

Das Hohelied der Nation

Im Mainstream gilt der Nationalismus als die Geißel der Neuzeit. Yoram Hazony sieht das ganz anders 


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er israelische politische Philosoph Yoram Hazony sorgte zuletzt fĂŒr großes internationales Aufsehen, indem er mit seiner in den USA ansĂ€ssigen Edmund Burke Foundation hochkarĂ€tige internationale Konferenzen zur Vernetzung nationalkonservativer Politiker und Aktivisten ausrichtete: 2019 in Washington, D.C. (u. a. mit „Fox-News“-Moderator Tucker Carlson und John Bolton, damals noch Nationaler Sicherheitsberater des US-PrĂ€sidenten) und 2020 in Rom mit der CrĂšme de la CrĂšme des europĂ€ischen Nationalpopulismus von OrbĂĄn bis MarĂ©chal. Warum das Ganze? Klar: Die globalistischen Feinde der freien Völker sind weltweit miteinander verflochten und perfekt aufeinander abgestimmt – es ist höchste Zeit, dass die einander noch allzu oft unversöhnlich gegenĂŒberstehenden Verteidiger von Freiheit und SouverĂ€nitĂ€t endlich gleichziehen! Genau dieser eindringliche Appell liegt auch dem politphilosophischen Werk „The Virtue of Nationalism“ zugrunde, mit dem Hazony 2018 den nicht nur englischsprachigen konservativen BlĂ€tterwald mĂ€chtig

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ins Rauschen brachte. Der Autor, ehemaliger Berater Benjamin Netanjahus, tritt darin fĂŒr einen selbstbewussten Gebrauch des Nationalismusbegriffes ein, der von seinen liberalen und aufklĂ€rerischen Feinden planmĂ€ĂŸig verleumdet worden sei. Der Nationalstaat sei die seit biblischen Zeiten unĂŒbertroffene Idealform politischer Organisation mit einem Höchstmaß an persönlicher und gemeinschaftlicher Freiheit bei gleichzeitiger innerer StabilitĂ€t und Ă€ußerer Friedfertigkeit. Auf der anderen Seite stĂŒnden imperialistische Projekte zur „Erlösung“ der gesamten Menschheit, von antiken Königreichen ĂŒber die totalitĂ€ren Machtblöcke des 19. und 20. Jahrhunderts bis hin zur heutigen EuropĂ€ischen Union. Kein Wunder, dass diese geharnischte Kritik bereits im Original auch in Deutschland auf lautstarke Abwehr gestoßen ist. Stefan Kornelius von der „SĂŒddeutschen“ beispielsweise klagte den Autor an, er betreibe eine „groteske Umdeutung der EU zum imperialistischen Werkzeug“. Getroffene Hunde bellen, kann man da nur sagen! Im vorvergangenen Jahr wurde diese er-

frischend selbstbewusste Streitschrift in den USA zum „Konservativen Buch des Jahres“ gewĂ€hlt. Nun ist sie endlich auch in deutschsprachiger Übersetzung verfĂŒgbar, und das aus Graz! Es lohnt sich allemal: Nicht nur wird in „Nationalismus als Tugend“ kompromisslos offengelegt, wie das verquere Denken der Imperialisten und Globalisten funktioniert; Hazony klĂ€rt auch eingehend darĂŒber auf, wo ihre SchwĂ€chen liegen, wo sie angreifbar sind. Das ist doch fĂŒr uns Freunde der Freiheit besonders wichtig: Es liegt an uns, das Beste daraus zu machen – Seite an Seite in ganz Europa, im ehrlichen Umgang aller freien Völker miteinander!

Yoram Hazony: Nationalismus als Tugend Ares Verlag, Graz 2020, 272 Seiten ISBN 978-3-99081-025-5 A € 25,– / D € 25,–

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DE R B U C H TI PP

BÜCHER

EuropÀer, entfalte dich!

Althistoriker Engels ist AbendlĂ€nder, und zur Sinnstiftung letzteren Menschenschlages hat er das vorliegende Manifest des Standhaltens verfasst. Dabei geht er davon aus, dass Europa als Ganzes sich schon seit Langem selbst aufgegeben habe und aktuelle Verfallserscheinungen nur Symptome einer Krankheit zum Tode seien. David Engels: Was tun? Leben mit dem Niedergang Europas Renovamen Verlag, Bad Schmiedeberg, 2020, 248 Seiten, € 16,50

Die tiefen Wurzeln des großen Übels

Erinnern Sie sich an die „dĂŒstere, aber von mutigem Aufbegehren geprĂ€gte Stimmung“ beim Migranteneinstrom 2015? PEGIDA-Veteran MĂŒller klĂ€rt die seitherigen VerĂ€nderungen der politischen AtmosphĂ€re. Und fragt als Philosoph: FĂŒr welche tiefe Problemlage sind diese scheinbar ĂŒberraschenden Ereignisse symptomatisch? Baal MĂŒller: Die Selbstzerstörung der Demokratie J. K. Fischer Verlag, Gelnhausen, 2020, 496 Seiten, € 25,70

Versachlichung der Debatte gefÀllig?

Wenn „FlĂŒchtlingskrise“ und Donald Trump einen nachhaltigen Effekt gehabt haben sollten, so bildet sich dieser im politisch-medialen Komplex und dessen Permutationen ab. Die Grenzen zwischen Bericht und Kommentar sind eh lĂ€ngst eingerissen. Glauben Sie noch an ObjektivitĂ€t? Ex-Topjournalist Unterberger klĂ€rt auf! Andreas Unterberger: Zwischen LĂŒgenpresse und Fake News. Eine Analyse Frank&Frei Verlag, Wien, 2017, 140 Seiten, € 9,90

„Vater von allen, König von allen“

So nannte der alte Grieche Heraklit den Krieg. Wer durch seine Schule geht, wird ein anderer. Als der „neurechte“ deutsche Antaios-Verlag 2013 seine eigene Belletristikreihe aus der Taufe hob, tat er das ausdrĂŒcklich im Trotz gegen ein vernichtendes Urteil des Carl-Schmitt-SchĂŒlers und ehemaligen marxistischen Studentenaktivisten GĂŒnter Maschke: „Die Rechte liest nicht, vor allem liest sie keine Romane.“ Falsch ist dieser Trotz nicht – trotzdem stellen sich SchlĂŒssel- und Bildungsromane von rechts meist als hölzerne Privatsachen heraus und hat die Geschichtenreihe aus Schnellroda noch kein eigenes neues Talent prĂ€sentieren können. Im Jungeuropa Verlag hingegen, der auf gewagte Klassiker und paneuropĂ€ische Angriffslust abonniert ist, legt nun ĂŒberraschend ein Endzwanziger vor: Volker Zierke, zuvor Zeitsoldat, hat Joseph Conrad und Robert Heinlein gelesen und weitergedacht. Das BĂ€ndchen „Enklave“ ist auch kein Abklatsch von „Herz der Finsternis“, sondern ein Schlaglicht auf den Wert der BewĂ€hrung – selbst in einem Kampf gegen Gespenster. N ° / 11 / FE B R UA R 2021

Volker Zierke: Enklave Jungeuropa Verlag, Dresden 2020, 132 Seiten, A € 15,50 / D € 15,00

Was real geschieht, ist nur rechter Wahn Ulkig sind dezidiert linke Publikationen mit wissenschaftlichem Anstrich, die dem jungen (?) Leser ihre Inhalte auf Comicheftumfang nahezubringen versuchen. Der Potsdamer Politikprofessor Gideon Botsch, der bereits seit 15 Jahren jeden fragmentarischen Teilaspekt eines undeutlichen „Rechtsextremismus“ mit eigenen Artikeln und Monografien bedenkt, sowie sein Berliner Fachkollege Christoph Kopke brauchen diesmal gar nur 46 Seiten, um mit „Umvolkung“ und „Volkstod“ die Begriffe einer „extrem rechten Paranoia“ zu erledigen. Davon ĂŒbrigens lediglich 33 tatsĂ€chliche Textseiten. Oder – vielleicht doch nicht? Dabei ist die vorwurfsvolle Traditionslinie alles andere als neu: Bekanntlich seien Völker nur Konstrukte und alle Menschen gleich. Vor allem aber bewege sich jeder, der vor dem Verschwinden von (europĂ€ischen) Völkern warnt, im Kielwasser eines eliminatorischen Rassismus. Bis vor einigen Jahren zielte dies vornehmlich auf „völkische“ Agitatoren und Parteien. An deren Stelle ist mittlerweile zumindest im Medieninteresse die AfD und mit ihr jeder rechte Populismus getreten, also ebenso die österreichische FP. Warum also sollte man eine solche BroschĂŒre – vorzugsweise ohne zu bezahlen – lesen? Um unseren wirren Gegenrednern in die Parade fahren zu können: Da ist nĂ€mlich nicht mehr, als völlig natĂŒrliche, also „rechte“, SelbstverstĂ€ndlichkeiten als bloße Fantasie abzuqualifizieren. Dass MĂŒtter ĂŒblicherweise weiblichen Geschlechtes sind, dass sinkende Geburtenzahlen zur rechnerischen Verkleinerung eines „konstruierten“ Volkes fĂŒhren, dass sexuelle Ausschweifungen im wahrsten Wortsinn ungesund sind – fĂŒr diese Autoren und ihre Genossen alles „völkische Paranoia“, fĂŒr jeden normalen Menschen ganz offensichtliche Tatsachen. Er muss sie nur aussprechen! Botsch/Kopke: „Umvolkung“ und „Volkstod“ Klemm+OelschlĂ€ger, Ulm 2019. 46 Seiten, A € 10,30 / D € 10,–

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EEEEE LLELL

Studentenheim

Perfekt gelegen, modern und zum WohlfĂŒhlen. Der ideale Platz zum Studieren in Salzburg. www.egger-lienzheim.at


KOLUMNE

Das Letzte (11):

Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei, Und wĂŒrd er in Ketten geboren, Lasst euch nicht irren des Pöbels Geschrei, Nicht den Missbrauch rasender Toren.

Martin Lichtmesz wurde 1976 in Wien geboren. Nach Jahren in Berlin lebt er inzwischen wieder in seiner Heimat und arbeitet als freier Publizist.

Die Maske ist die neue NormalitĂ€t. Das ist eine seltsame Erfahrung fĂŒr eine Gesellschaft, in der wir uns ĂŒber den Gesichtsausdruck austauschen.

Ich habe eine eingefleischte Abneigung gegen MassenauflĂ€ufe aller Art, und so kommt es, dass ich in meinem Leben nur dreimal aktiv an einer Demonstration teilgenommen habe. Das erste Mal im MĂ€rz 1996, als Studenten der UniversitĂ€t Wien gegen ein „Sparpaket“ der Regierung protestierten. Das zweite Mal fand ĂŒber 20 Jahre spĂ€ter statt, im September 2017. Der von der IdentitĂ€ren Bewegung organisierte Gedenkfackelzug am Kahlenberg zur Erinnerung an die Befreiung Wiens im Jahr 1683 war allerdings eher eine Aktion oder ein „Happening“. Nun also meine dritte Demonstration, am Samstag, den 16. JĂ€nner 2021, gegen die „Coronamaßnahmen“ der Regierung Kurz, deren VerlĂ€ngerung und VerschĂ€rfung am selben Tag verkĂŒndet wurde. Zum ersten Mal in meinem Leben fĂŒhlte ich mich als StaatsbĂŒrger verbindlich dazu aufgerufen, aufzustehen und mich auch physisch zu zeigen, ungeachtet aller Kalkulationen, „was das denn bringt“. Die „Coronamaßnahmen“ haben sich lĂ€ngst zu einer totalitĂ€ren, autoritĂ€r durchgesetzten Versuchsanordnung entwickelt, die nichts mehr mit „Wissenschaft“ oder mit der BekĂ€mpfung eines Virus zu tun hat. Um ihre GlaubwĂŒrdigkeit zu wahren, muss die Regierung, die unter immensem inter- und ĂŒbernationalen Druck stehen mag, den eingeschlagenen Weg nun bis an sein bitteres Ende gehen, aber wie dieses aussehen wird, bleibt bis dato unklar. Tatsache ist, dass immer mehr BĂŒrger den Eindruck haben, in einen KĂ€fig gesteckt worden zu sein, der immer fester verschlossen wird. Das fiel sogar dem ansonsten stramm linientreuen Systemschreiberling Hans Rauscher auf: „Aber es ist nicht zu leugnen, dass die nun schon fast ein Jahr anhaltende Pandemie, aber auch das HĂŒ und Hott bei ihrer BekĂ€mpfung eine tiefe Verunsicherung bei nicht wenigen MitbĂŒrgern auslösen [
].“ („Standard“, 19. Januar 2021). Vor diesem Hintergrund wirkte die Demonstration vom 16. Januar, an der bis zu 20.000 Menschen teilgenommen haben sollen, wie ein großes kollektives Atemholen. Angesichts der seit Monaten andauernden permanenten Panikmache und GehirnwĂ€sche war es ĂŒberaus erfreulich, zu sehen, wie viele unterschiedliche Menschen aus allen Schichten des Volkes trotz eiskaltem Wetter gekommen waren, um gegen die Tyrannei und Inkompetenz der Regierung zu protestieren. Passend dazu dominierte optisch das verbindende, ĂŒberparteiliche Rot-Weiß-Rot unserer

Nationalfahne. Gewiss gab es auch einen erklecklichen Anteil an Teilnehmern, ĂŒber die man sich leicht lustig machen kann: apokalyptisch gestimmte Esoteriker, Christen, die lieber auf die bewĂ€hrte Heilkraft von Christi Blut setzen als auf dubiose Impfstoffe, sowie die unvermeidlichen QAnon-Fans. Wie zu erwarten, pickte sich die Presse diverse erspĂ€hte „Rechtsextremisten“ und „Neonazis“ aus den tausenden Teilnehmern heraus, um das Anliegen der Demo pauschal in ein schlechtes Licht zu rĂŒcken. Sie stellte die Demonstranten als abgedrehte „Verschwörungstheoretiker“ oder gar als gefĂ€hrliche Proto-Terroristen hin, die knapp davor gewesen seien, wie die Kapitolbesetzer von Washington das Parlament zu stĂŒrmen. Geradezu am Rande der Geistesgestörtheit bewegte sich das Delirium, das sich an den linken RĂ€ndern breitmachte. So schrieb einer dieser „Antifaschisten“ auf Twitter: „10–15.000 Faschos und ihre Helfer:innen sind heute durch #Wien marschiert, wĂ€hrend die @LPDWien ihnen den Weg freigeprĂŒgelt hat. Make no mistake: Das ist die grĂ¶ĂŸte Rechtsextreme Mobilisierung seit vielen, vielen Jahren.“ Eine Blockade, kaum AntifagrĂŒppchen; ich selber sah maximal ein Dutzend Vermummte, die irgendwas mit „Nazis“ krĂ€hten. Ein Treppenwitz, dass sich Antifas im Jahr 2021 auf die Seite der Kurz-Regierung schlagen! Ansonsten konnte ich keinerlei Aggression, Gewalt oder „Tumulte“ feststellen. Caroline Sommerfeld beschrieb die Stimmung so: „AufgerĂ€umte AtmosphĂ€re, Friede, Freude, „Maskenlos-durchdie-Stadt“-GetrĂ€ller. Die Mischung aus Goa-Rasta-Szene und Trachtenjanker-Lederhose-Österreichflagge, dazwischen unsereiner.“ Sollten sich Demonstrationen dieser Art mehren, könnte das fĂŒr die Regierung ausgesprochen ungemĂŒtlich werden. Sie denkt bereits jetzt laut darĂŒber nach, wie sie das Demonstrationsrecht einschrĂ€nken kann, und streut das GerĂŒcht, die Demos seien von „Rechtsextremisten“ gesteuert, weshalb sich kein anstĂ€ndiger BĂŒrger dort blicken lassen dĂŒrfe. Bei der kleineren Nachfolgekundgebung zeigte die Polizei erstmalig einige Teilnehmer an, weil sie sich nicht an Maskenpflicht und Mindestabstand gehalten hatten. Repression dieser Art wird wahrscheinlich noch verschĂ€rft werden. Jetzt oder nie mĂŒssen wir uns gegen die geistige Gleichschaltung, die Angstmacherei und den Angriff auf unsere BĂŒrgerrechte wehren!



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