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Unser galliges Lachen

Unser galliges Gelächter

Hier zu Hause? In eier und bester Gesellscha ? Manche Autoren brauchen doch wieder ein „EXIL“: Monika Maron und Jörg Bernig haben es in der „Edition BuchHaus Loschwitz“ gefunden.

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Aus Monika Marons „Krumme Gestalten, vom Wind gebissen. Essays aus drei Jahrzehnten“:

Es gab nicht viel, was ich vermisst habe, nachdem die DDR im Orkus der Geschichte versunken war. Und was ich hätte vermissen können, den Bautzener Senf zum Beispiel, gibt es ja heute noch. Nur eins schien mir für immer verloren zu sein, weil es einem an diesen Ort und diese Zeit gebundenen, unentrinnbaren und demütigenden Gefühl der Ohnmacht entsprungen war: unser galliges Gelächter. Wenn Menschen aus dem Westen mir erzählen, was sie in der DDR erlebt haben – meistens sind es Geschichten vom Grenzübergang, wo sie ein Ohrläppchen herzeigen mussten, oder von Gaststättenbesuchen, wo sie schlecht behandelt wurden und über das Wort Sättigungsbeilage gelacht haben – wenn sie mir also diese Geschichten erzählen, frage ich: Und waren Sie auch in Wohnungen? Denn wenn sie nicht in Wohnungen waren, wissen sie nichts. In den Wohnungen saßen wir am Abend und bis in die Nacht, tranken schlechten Wein und lachten auf diese besondere bittere Art. Wir hatten viel Zeit, waren selten verreist, und weil viele kein Telefon hatten, klingelten sie abends an den Türen ihrer Freunde und waren einfach da. Und dann erzählte man, was man erlebt hatte auf dem Wohnungsamt, mit der Polizei, im Betrieb oder Institut, mit einem Parteisekretär, dem Chefredakteur, den Handwerkern, den Taxifahrern, beim Schuhekaufen für die Kinder, und fast alle diese Geschichten waren so absurd, dass man darüber nur verzweifeln konnte, vor Wut toben oder darüber lachen konnte, wütend und verzweifelt lachen. Dieses Gelächter war eine Form des Widerstands, es einte uns und zog eine Wand zum Rest der kleinen, für uns bestimmten Welt. Dann ö nete sich die Welt, und damit verstummte auch dieses Gelächter. Jeder, der sprechen wollte, konnte nun sprechen, wer schreiben wollte, konnte schreiben und wer für oder gegen etwas kämpfen wollte, konnte das ö entlich und ungefährdet tun. Die Erinnerung an unser galliges Gelächter habe ich bewahrt wie die Erinnerung an alles, das schön war in dieser Zeit: die Jugend, Liebe, Freundscha .

Aber seit einigen Jahren höre ich es wieder, ein böses, hil oses Lachen von mir und von anderen, von Ostdeutschen und von Westdeutschen auch. Inzwischen haben wir alle Telefone, sogar mobile, wir haben weniger Zeit und sind o verreist, wir klingeln nicht einfach bei Freunden, sondern verabreden uns, wir schicken uns Artikel per e-mail, und wenn wir sie gelesen haben, telefonieren wir, fragen uns gegenseitig, ob die alle irre sind oder wir selbst, und weil wir uns nicht erklären können, warum das alles passiert, warum uns eine genderisierte Sprachverstümmelung zugemutet wird, warum hunderttausende Windräder gebaut werden sollen, die den Energiebedarf nicht werden sichern können, gleichzeitig aber auf Elektroautos und -roller gesetzt wird, warum hunderttausende Einwanderer ins Land gelassen werden, von denen man weiß, dass sie nicht

bleiben dür en, man sie aber auch nicht wieder außer war, an sich zu reißen und an den eigenen Interessen Landes bringen kann, warum uns nun täglich mit dem auszurichten. Weltuntergang gedroht wird, obwohl niemand wissen In den Jahren 2014, als die PEGIDA zum ersten kann, ob er statt nden wird, weil wir uns das alles Mal auf die Dresdener Straßen ging, und 2015, als eine trotz ehrlichen Bemühens einfach nicht erklären kön- Million Flüchtlinge und Einwanderer unkontrolliert die nen, verfallen wir nach einigem Stöhnen und ratlosen deutschen Grenzen passierten, verwandelten sich diese Sätzen in dieses besondere, gallige Gelächter. Kon iktfelder in Kampfzonen, in denen die Begri e

Ich habe nicht für möglich gehalten, dass mir das links und rechts endgültig bedeutungslos wurden. Wer noch einmal passiert. AIs ich 1988 aus Ost-Berlin nach die bis dahin selbstverständlichen Forderungen der Hamburg gezogen bin und bei Zarrentin zum ersten Linken, wie die Au lärung, den säkularen Staat und die Mal über die Grenze fuhr und das Schild mit dem Bun- Frauenrechte, verteidigte, fand sich plötzlich auf dem desadler sah, breitete sich in mir das Wort Freiheit zu rechten Kamp eld wieder; und meine linken, grünen einem Glücksgefühl aus. Und so war es auch. Ich war Feministinnen aus Hamburg verteidigten vermutlich frei; frei zu schreiben, zu sprechen, zu leben. Und als leidenscha lich das islamische Kop uch und forderten ich binnen kürzester Zeit mit den Hamburger Grünen Verständnis auch für die hartgesottensten muslimischen und Feministinnen zusammenprallte, war das eine lehr- Frauenverächter, was für mich bedeutet: Sie waren zu reiche Erfahrung, mehr nicht. Ich ahnte nur, dass das Reaktionärinnen mutiert, also rechts. keine wunderbare Freundscha werden könnte. Aber Der Osten avancierte in den Jahren danach von der sie waren nicht das Land, nicht die Zeitungen, nicht Mitleids- und Witz gur der Medien zu ihrer Hassfider Rundfunk, auch wenn sie gur. Die dummen Ostdeutda gewiss saßen, aber sie be- schen, die eben keine Fremherrschten sie nicht. Mit dem Verschwinden „Weil wir uns das alles den kannten, obwohl sie seit einem Vierteljahrhundert der DDR war ich von ihr trotz ehrlichen Be- selbst durch die Welt reisten, auch literarisch befreit und schrieb einen Roman über die mühens einfach nicht auch in Dresden ARD und ZDF sehen konnten, und die Liebe, danach die Geschichte meiner Familie; ich holte erklären können, seit 1990 hunderttausende Spätaussiedler aus Russland nach, wozu mir die Umstände verfallen wir nach und Kasachstan aufgenommeines Lebens zuvor keinen Atem gelassen hatten. Meine einigem Stöhnen und men hatten. Sie hatten erlebt, wie ihre gut ausgebildeten politischen Interventionen und Zwischenrufe, vor ratlosen Sätzen in dieses Kinder in den Westen abwanderten, weil sie im Osten keine allem zu den Asymmetrien besondere, gallige Arbeit fanden, und ließen sich der deutschen Vereinigung, schrieb ich für Zeitungen. Gelächter.“ nun erzählen, dass schlecht ausgebildete, fremde junge

Als ich 2010 begann, Männer als Arbeitskrä e gemich für den Islam zu braucht würden. Seit 1990 interessieren, ging es mir weniger um den Islam sind fünf Millionen Ostdeutsche in den Westen gezoals um den Umgang mit seinen Kritikern, in gen. Die Jugend, die dem Osten fehlt, lebt im Westen. dem ich ein Muster wiederzuerkennen glaubte. Auch danach hätte man fragen können, ehe man ganz Islamkritiker wie Necla Kelek wurden plötzlich als Sachsen zum Nazi-Sumpf erklärt und, wie eine Jour„Heilige Krieger“ und „Hassprediger“ beschimpft, nalistin kürzlich stolz verkündete, keinen sächsischen als stünde es ihnen nicht zu, sich mit ihrer eigenen Apfelsa mehr kau . Man hätte fragen können, was die Herkunft und Kultur auseinanderzusetzen. Sie Menschen plötzlich auf die Straße treibt, bevor man sie wurden ihrer eigenen Konflikte beraubt, die nun als „besorgte Bürger“ lächerlich macht, als „Abgehängvon der westdeutschen Linken als deren eigene te“ di amiert und über den Umweg rechtsradikal und Angelegenheit übernommen wurden, so wie auch rechtsextrem als Nazis über eine Grenze schiebt, die sie die Ostdeutschen von ihren Konflikten enteignet vielleicht nie hatten übertreten wollen. Aber Rechte fragt wurden, indem jedes Problem, das sie miteinander man nicht, mit Rechten redet man nicht, Bücher von hatten, in das Konfliktpotenzial westdeutscher Rechten liest man nicht, Rechten darf man ihre Stände Parteien integriert wurde und fortan als Ost-West- auf Buchmessen verwüsten, Rechten hört man nicht zu Konflikt galt, als wären die Ostdeutschen vierzig und antwortet ihnen nicht – und wer oder was rechts ist, Jahre lang eine homogene Masse gewesen. In beiden entscheidet jeder, der sich für links halt. Schon die Frage, Fällen ging es darum, die Deutungshoheit in einem ob der Klimawandel wirklich nur menschengemacht ist Konflikt, an dem man nur mittelbar beteiligt oder wie viel Einwanderung eine Gesellscha verträgt,

ohne schwerwiegenden Schaden zu nehmen, oder ob dieses Genderkauderwelsch wirklich den Frauen nutzt, kann ausreichen, um rechter Gesinnungsart verdächtigt zu werden.

Wie es scheint, hat die grün-linke Seite, verstärkt durch eine gewandelte CDU, den Kampf um die Deutungshoheit gewonnen um den Preis, dass die AfD zu einer konstanten politischen Kra geworden ist und achtzig Prozent der Bevölkerung laut einer AllensbachUmfrage ihre Meinung zu bestimmten politischen emen ö entlich nicht mehr äußert. Was für ein Sieg!

Kürzlich erzählte ich einem Freund, ich fühlte mich beim Schreiben zuweilen wie früher, als ich mein erstes Buch „Flugasche“ geschrieben habe, wieder gedrängt ins Politische, weil es mich jeden Tag umtreibt, und bedrängt von dem Gedanken, was ich mir wohl einbrocke, wenn ich einen Protagonisten meines Buches diesen oder jenen Satz sagen lasse. Der Freund war empört: Wie ich die Bundesrepublik mit der DDR vergleichen könne, und ob ich noch ganz bei Verstand sei. Es liegt mir fern, die Bundesrepublik mit der DDR zu vergleichen. Weder fürchte ich, mein Buch könnte wie in der DDR verboten werden, noch halte ich für möglich, dass ich juristisch belangt werden könnte. Und trotzdem habe ich dieses Gefühl.

Natürlich, Deutschland ist ein Rechtsstaat; darum werden Bücher nicht verboten und Schri steller nicht verha et. Aber jenseits des Gesetzes gibt es eine Deutungsmacht, die blindlings mit Verdächtigungen und Di amierungen um sich werfen darf, sobald das, was sie als Wahrheit ausgibt, infrage gestellt wird. Damit wird man in den Medien unversehens zum „neurechten Autor“ oder zu jemandem, der „neurechtem Gedankengut nahesteht“, oder dergleichen. Jörg Baberowski, Professor an der Humboldt-Universität Berlin, wird seit Jahren von einer Gruppe linksradikaler Studenten tyrannisiert, vor denen seine Universität ihn nicht schützt. Als Uwe Tellkamp in einem ö entlichen Gespräch mit Durs Grünbein sagte, seine Meinung sei nicht erwünscht, nur geduldet, bestätigte das der SuhrkampVerlag noch am selben Abend per Twitter, indem er sich von der Meinung seines Autors Tellkamp distanzierte. Der Maler Axel Krause wurde von einer Leipziger Ausstellung wieder ausgeladen, weil er Meinungen vertrat, die auch von der AfD zu hören sind, aber durchaus im Rahmen eines vernün igen Diskurses blieben. Mit seinen Bildern hatte das nichts zu tun.

Es gibt auch in einem Rechtsstaat Möglichkeiten, Menschen wegen unerwünschter Meinungen die Existenz zu erschweren oder sogar zu zerstören. Wenn Zweifel schon verdächtig sind, wenn Fragen als Provokationen wahrgenommen werden, wenn Bedenken als reaktionär gelten, wenn im Streit nur eine Partei immer recht hat, können einen alte Gefühle eben überkommen. Und dann kann man darüber verzweifeln, vor Wut toben oder darüber lachen, unser schönes galliges Gelächter.

„Jenseits des Gesetzes gibt es eine Deutungsmacht, die blindlings mit Di amierungen um sich werfen darf.“

Aus Jörg Bernigs „An der Allerweltsecke. Essays“:

Der Tag endet, im besten Spiel des Zufalls, in einem Gasthaus in Vračar – nur ein kleiner Tisch ist nicht reserviert, neben ihm ragt ein mächtiger Lindenstamm auf, das Wirtshaus ist um die Linde herum gebaut. Nach und nach kommen weitere Gäste, alle Plätze sind belegt, dann erscheint einer mit einem Kontrabass, dann einer mit einem Akkordeon, einer mit Gitarre und ein anderer mit nichts als einem Tamburin. Sie musizieren eine Runde, aber es dauert nicht lang, und alle im Wirtshaus singen mit. Zwischendurch wird gegessen und getrunken. An einem Tisch lassen es sich zwei junge Frauen mit ihren Müttern gut gehen, sie singen laut und hingebungsvoll, in den Pausen werden lange, dünne Zigaretten geraucht, Rakija wird bestellt. Eine kleine Gruppe junger Frauen an einem andern Tisch desgleichen, sie bitten darum, mit ihrem Smartphone fotogra ert zu werden. Auch die Paare mittleren Alters, die eine lange Tafel für sich haben zusammenschieben lassen, essen, trinken, reden, lachen, singen, sie feiern – den Freitagabend? das Wochenende? ihre Freundscha ? das Leben? –, und schon steht einer der Männer auf und beginnt, seine Hü en im Rhythmus der Musik zu wiegen, er hebt die Arme, singt und tanzt mit sich selbst. Eine Zeit lang sehen seine Freunde ihm zu, bis sich eine Frau zu dem Tänzer gesellt und ebenso singend tanzt. Sie sind entrückt – Weltfremdheit in ihrer schönsten Form. Oder Rückkehr in eine Welt, die auch Aufgehobensein bedeutet. Kein schöner Ort in dieser Stunde. Kein schöner Land in dieser Zeit, als das jener Sänger und Tänzer im Wirtshaus. Jemand steckt dem Akkordeonspieler einen Zweitausend-Dinar-Schein in die Balgfalten des Instruments und wünscht sich ein bestimmtes Lied, die Lu im Wirtshaus ist von Gesang und Rauch erfüllt. Draußen wäscht der Regen an die Fenster und beendet den noch einmal sommerlichwarmen und hellen Herbsttag im späten Oktober, der die Platanen und die Linden der Stadt immer noch in dichtem Blätterkleid gesehen hat, ebenso wie die Bäume – die Pappeln? –, die grüngelb am jenseitigen Donau-Ufer stehen, wo die Vojvodina sich ach bis zum Horizont und darüber hinaus erstreckt; bis nach Budapest hin keine Berge, lediglich bei Novi Sad und Petrovaradin, die einmal österreichisch waren und

Neusatz und Peterwardein hießen, passiert die Donau stets aber sprach das Bedürfnis mit, nicht einem verdie Hügel der Fruška Gora. meintlichen oder tatsächlichen Kollektiv zugeschlagen

Beim Durchstreifen der Belgrader Stadtteile von – und diesem damit geopfert? – zu werden, um nicht Vračar bis hinab nach Dorćol und von da hinauf auf den im Nachhinein noch unter diejenigen zu geraten, gegen Kalemegdan hoch über den Flüssen schließt sich das deren Vorgehen und Walten in Zeiten des Krieges wie Gesehene an das in den Büchern von Ivo Andrić oder in denen der Feuerpausen man sich zur Wehr gesetzt auch von Dragan Velikić Gesehene an, gehen die Welten hatte und damit ein Risiko eingegangen war, das so ganz selbstverständlich ineinander über, durchdringen gänzlich außerhalb der Erfahrungen westeuropäischer einander als Welt-Kunst und Kunst-Welt. Und ja, es Gesellscha en lag, jener Gesellscha en, deren Politistimmt, was in Andrićs Roman „Das Fräulein“ zu lesen ker und Medienvertreter nach außen wie nach innen ist: Es gibt auch im Herbst „Tage, an denen sich das Feu- nur zu o zu schnell zu Urteilen gelangen. Wer könnte er dieser Sonne, die in der Ebene zwischen den Flüssen den Impuls dieser Serben nicht besser verstehen als die unterhalb Belgrads versinkt, auf der hohen Himmels- Deutschen und die Österreicher? Wer sollte den Serben kuppel widerspiegelt, sich bricht und als roter Schein nicht näher zur Seite stehen, bei dem, was als „Annäüber die weit hingestreckte Stadt ergießt“. Doch dann herung“ an die Europäische Union bezeichnet wird? hinunter, dorthin, wo die Save in die Donau mündet! Dies ist nicht zu verwechseln mit einer Annäherung an Herrlich, in einem schwim- Europa, denn dort sind sie ja menden Café im Gemurmel bereits, die Serben. Es gilt, den der Stimmen zu sitzen, nur Richtigen zu helfen, jenen, die einen Meter über dem Was- von den für andere bestimmser, und die Bewegung der ten Schlägen mit getro en Flüsse zu spüren, die große worden sind. Herta Müllers Wasser äche der Donau vor Au ritt auf der Belgrader Augen, gegenüber Panno- Buchmesse bezeichnete dabei nien, und über das Wasser, genau die wunde Stelle, den das ja auch aus Deutschland Schmerz, der eben von allen herkommt und ein einziges Seiten auszuhalten ist. Sie begroßes Sagenband der Euro- tonte noch einmal die in ihren päer ist, schiebt sich ab und Augen notwendig gewordene zu ein Schi . Die Donau, der JÖRG BERNIG Bombardierung Serbiens im Strom, der „Mitteleuropa er- Kosovokrieg von 1999, um zeugt und zusammenfasst“, studierte Germanistik und Anglistik in Leipzig; dem serbischen Militär unter wie Claudio Magris in seiseit 1999 ist er freischaffender Schriftsteller. Slobodan Milošević Einhalt ner Biogra e eines Flusses Bernig wurde 2013 mit dem Kunstpreis der zu gebieten. „Dieses Land hat schreibt. Großen Kreisstadt Radebeul ausgezeichnet. sich selbst Leid angetan, auch

Beim Blick auf das WasIm „BuchHaus Loschwitz“ hat der streitbare die Serben haben sich selbst ser wird der Nachklang der Dichter bei der Verlegerin Susanne Dagen sein Leid angetan, und damit müsGespräche mit Vladisiav BaDach gefunden. sen sie jetzt leben.“ Fast zwanjac und den Autoren seines zig Jahre später glüht – nicht Verlages wieder deutlicher glimmt! – da in der Reaktion vernehmbar, jene lebendigen und doch ruhigen Gesprä- auf Herta Müllers Worte etwas auf, springt die Flamme che, dezent und doch geradlinig, no-nonsense, würden sofort hoch und macht deutlich, wie fragil der Status quo die Engländer sagen. Spürbar auch das Bedürfnis, beim auf dem Balkan ist, und das verweist gleichzeitig auf die Blick auf Serbien, beim Blick auf die Serben, zu einem aus westeuropäischer Perspektive exzentrische historische Schauen und über die Wahrnehmung von Schwarz und Erfahrung der Fragilität auf dem Balkan. Fremd- und Weiß hinauszugelangen. Ein Autor sagt, dass sie alle ge- Eigenwahrnehmung kollidierten am Tag des Au ritts tro en worden seien von den Schlägen, die Milošević ge- von Herta Müller, aber das ist ja kein ungewöhnlicher golten hatten. Die von NATO-Bombern zerstörten Ge- Vorgang. Auch davon können die Deutschen und die bäude in Belgrad, in Novi Sad und andernorts sprechen Österreicher aus eigener Erfahrung berichten, auch darnoch immer davon, im Verborgenen trauern noch im- um wären sie die natürlichen Verbündeten jener bei den mer Menschen um getötete Angehörige, diese Vergan- Schlägen Mitgetro enen, die Dragan Velikić in seinem genheit ist noch immer nicht vergangen. Nebenher der Essay „Stimme aus der Erdspalte“ die „Angehörigen der – nicht bitter, nicht trotzig oder sonstwie – vorgebrach- Sekte der Vernün igen und Normalen, von Slowenien te Hinweis, dass das Abkommen von Dayton gar nichts bis Mazedonien“ nannte. gelöst habe. Manches unaufgeforderte und vielleicht ge- Jenes Aufglühen hängt auch mit dem Selbstverständnis rade darum gesprochene Wort blieb in der Andeutung, als Nation zusammen, und es ist zu bedenken, dass

„Nation“ gilt hierzulande sowie bei etlichen Meinungsproduzenten als ein Schmuddelwort.

„Nation“ hierzulande, also in Deutschland, und in manchen politischen Kreisen Westeuropas sowie bei etlichen Meinungsproduzenten in den althergebrachten Medien und Universitäten als ein Schmuddelwort gilt. Bei „Nation“ handelt es sich, diesen Leuten zufolge, um etwas zu Überwindendes, und diese Überwindung, so wird gesagt oder suggeriert, brächte eine Lösung aller Probleme, die aus Europas staatlicher Vielfalt resultierten, mit sich. Die Gegenpositionen oder gar -bewegungen zu solchem Denken in Polen, Tschechien, Ungarn, aber auch in Katalonien, Schottland oder Belgien, das als „gespaltenes Land“ gilt, werden abschätzig als Rückfälle in obsolete Verhältnisse betrachtet. Wer vonseiten der Funktionäre in den EUInstitutionen ist an die Ö entlichkeit getreten mit dem Versuch, die Beweggründe für diese Positionen und Bewegungen zu erfassen? Der Blick bleibt dem Ökonomischen verha et und erfasst Fragen von ldentität, Selbstvergewisserung und Kultur nicht. Diese Fragen aber sind – nicht nur – in Serbien seit je und bis zur Übersteigerung virulent, auch weil die Serben unter einer Jahrhunderte währenden osmanischen Fremdherrscha zu überdauern hatten. Es gab keinen eigenen Staat; Selbstvergewisserung, Sprache, Identität, Kultur überdauerten während der Okkupation innerhalb der Religion und der Institution der serbischorthodoxen Kirche. Die Kirche bewahrte die Serben als Volk und Nation durch die dreihundertjährige türkische Herrscha – Ähnliches lässt sich in Deutschland an den Sorben und der katholischen Kirche beobachten. Ein derartiger Hintergrund, eine solche gleichsam immaterielle Existenz liegt jenseits der Erfahrungen jener von starken Zentralgewalten erscha enen und geprägten Staaten des westlichen Europa.

Und auch manches in der Belgrader Semiotik unterscheidet sich von den meisten Großstädten des alten Westeuropa und wird von manchem von dort Herkommenden vielleicht auch nicht sogleich verstanden oder mit Attributen versehen wie: archaisch, unmodern, gar antimodern. Unter solchem Blickwinkel freilich wird zum einen die Geschichte eines Weltwinkels nicht gebührend erfasst, wie zum andern der jahrhundertealte Übergangs-, Grenz- und Frontcharakter mit der falschen Elle gemessen wird. Belgrad ist eben auch – anders als „der Balkan“ – ein mittel- oder zentraleuropäisches Gebiet, das sich nach der Fremdherrscha und dem Arrangement mit dem Osmanischen Reich, mit der Feindscha zu Österreich-Ungarn, den Habsburgern, vielleicht unnützerweise, jedenfalls aber mit verheerender Wirkung von diesem Mittel- oder Zentraleuropäischen entfernt hatte. Doch selbst im heutigen Belgrad tre en beide, tre en Serbien und Österreich aufeinander, und zwar im Stadtteil Zemun, dem Semlin der Habsburger, der einstigen Grenzstadt der Donaumonarchie. Die Gassen dort sind so, wie sie sich auch durchstreifen lassen in Böhmen, Mähren, Ungarn, Österreich, der Slowakei, in Siebenbürgen oder dem Banat. Auch diese Gassen sind Teil der Belgrader Semiotik, sie sind für jeden Mitteleuropäer Iesbare, wiedererkennbare und selbst in fremdem Gewand vertraute Zeichenensembles. Sie blieben erhalten, während die Spuren der Osmanen nach fast dreihundertjährig durchgängiger Herrscha bis auf nur wenige Ausnahmen getilgt worden sind, seit die Stadt an die Serben zurückgefallen war. Und auf die Zerstörungen im Ersten und im Zweiten Weltkrieg folgten Neubebauungen. Das Palimpsest Belgrad, dessen Ober äche immer wieder neu beschri et wurde … Für die Wiedergeburt einer Nation nach der Zeit der Osmanen war der Stadtumbau vielleicht unabdingbar, zumal die zurückgelassenen Häuser, Höfe und Moscheen ja keine Nutzer mehr hatten, denn mit dem Abzug des letzten osmanischen Regiments mussten auf Befehl des Sultans alle verbliebenen Muslime der Stadt den Rücken kehren und das über Generationen Angelagerte, Eroberte, Gescha ene, Erbaute zurücklassen.

Die Stadt, so lange Sprungbrett der Osmanen für ihre immer tiefer nach Europa hinein zielenden Kriegszüge, blieb auch nach der Wiedererrichtung des serbischen Staates Grenzstadt zum Habsburgerreich, das bis nach Semlin oder Zemun reichte, südlich der Donau und westlich der Save, nicht weit von deren Zusammen uss gelegen. Vom Kalemegdan sieht man dorthin hinab, von Semlin sieht man hinüber zum Kalemegdan hoch über der Donau, von woher der Pobednik, die Statue des Siegers, grüßt. Weit geht der Blick vom Gardoš-Turm in Zemun, heute ein Aussichtssturm, früher Teil des kaiserlich-königlichen Kommunikationssystems, das sich über das gesamte Reich erstreckte und in dem die Nachrichten durch Lichtsignale schnell weitergegeben werden konnten. Eine Vielzahl solcher Türme verteilten sich einst über Österreich-Ungarn, wenige sind erhalten geblieben. Früher Wachtposten und Ausguck, ist der GardošTurm heute nur noch für Touristen von Interesse und für Kunstfreunde, die in die Galerie in seinem Innern treten. Zu Füßen des Turmes liegen eine Kirche und ein Friedhof, die Dächer des Ortes sind aneinandergedrängt, die vormalige Stadt reicht bis ans Donauufer. Jenseits des Flusses erstreckt sich das pannonische Flachland, im Süden erheben sich weit in der Ferne Hügel, von Westen her ziehen dunkle Wolken tief über das Land und kündigen Regen an.

Eine Insel für die freie Meinung: Das „BuchHaus Loschwitz“ gewann 2015 und 2016 den Deutschen Buchhandlungspreis in der Kategorie „Besonders herausragende Buchhandlungen“.

Foto: Buchhaus Loschwitz

Der Freiheit ein Haus

Buchhändlerin und Verlegerin Susanne Dagen ist die letzte Salonnière unserer Tage. In virtuellen und realen Begegnungsräumen sucht sie das eie Gespräch.

Der Beruf des Buchhändlers gehört zu den 17 Berufen der Berufsprestige-Skala des Instituts für Demoskopie Allensbach. Ca. 7 % der Buchhändler genießen bei den Deutschen seit etlichen Jahren hohes Ansehen. Diese Reputation, mit der der Buchhändler in der Reihung vor Politikern und Fernsehmoderatoren gelandet ist, verdankt er sicher dem als hochwertig empfundenen Handelsgut Buch und vielleicht auch der Tatsache, dass er direkt am Quell kulturell wichtiger Strömungen zu sitzen scheint; ein Verwalter und Wissenswächter also, der über Qualität, Vielfalt und Reinheit unserer geistigen Nahrung durch seine O erten zumindest mitentscheidet. Das ist auch 2021 so, obwohl das Ideenmagazin für den Buchhandel „BuchMarkt“ feststellt, dass „Veränderungen in der Buchhandelslandscha dafür sorgen, dass der konkrete Kontakt mit dem Buchhändler selten bleibt: Internethandel […], Handelsketten, bei denen man sich möglichst beratungsfrei von den aufgestapelten Bestsellern selbst bedienen kann“. Doch Kundennähe ist nicht nur in den Buchhandlungen selbst von fataler Kundenentfremdung abgelöst worden. Denn Buchhändler gefährden durch politisch korrekte Sortimente und den Ausschluss weltanschaulich unliebsamer Autoren ihre Existenz und entp ichten sich vom Anspruch auf Meinungsfreiheit und Toleranz beziehungsweise Diskursbereitscha . So kam es im Oktober 2017 auf der Frankfurter Buchmesse zu Auseinandersetzungen Linker mit rechten Verlagen. Auf der Leipziger Messe im März 2018 dann diskutierten Buchhändler und Fachpublikum auf einem Forum des Deutschen Börsenvereins die Frage: „Wie politisch ist der Buchhandel?“ Die Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen kritisierte währenddessen in einem O enen Brief an den Börsenverein den Umgang mit „andersdenkenden Verlagen“ auf der Frankfurter Buchmesse und verö entlichte die „Charta 2017“, die unter anderem auch von Cora Stephan, Vera Lengsfeld, Matthias Matussek und Uwe Tellkamp unterzeichnet wurde.

Die darau in einsetzende repressive Gegenreaktion des autoritären Kulturestablish-

SUSANNE DAGEN

Jahrgang 1972, ist Buchhändlerin, Verlegerin, Moderatorin und Kommunalpolitikerin in Dresden Loschwitz.

BuchHaus Loschwitz: kulturhaus-loschwitz.de

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