FREILICH Ausgabe 12

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POLITIK

Die Fahrt in der Achterbahn Wie Pandemie und Lockdown alle Probleme im Land verschärfen. S. 22 R E P O R TAG E

China kommt Warum China eine Erfolgsgeschichte und Herausforderung ist. S. 50 TERRORISMUS

Die Guten ins Töpfchen Was Terroristen stoppt und wie man Gefährder zurückholen kann. S. 42

DAS MAGA ZIN FÜR SELBSTDENKER Ausgabe No 12 / 2021

freilich-magazin.at / Ö & DE: € 13,00 / CHF 13,00

SCHWERPUNKT

Zurück in die Zukunft Lockdown, politische Radikalisierung und Untergang des Abendlandes: Da kommt ganz schön was zusammen. Doch mit der Gefahr wächst das Rettende auch. Warum widerständiges Dasein so wichtig ist. Seite 10

Ästhetische Wiederbetätigung – Das Lentos und seine rechten Bildwelten. S. 64

MAI 2021



EDITORIAL

Werte Leser! D

as grundsätzliche Vertrauen seiner Angehörigen auf den Staat ist unabdingbar für das gerechte und effektive Funktionieren staatlicher Institutionen. Der Staat benötigt für seine unangefochtene Existenz und sein Funktionieren die Überzeugung der Bürger und Unternehmen, dass das, was er tut, richtig ist und als gerecht empfunden wird. Ganz allgemein stützt sich das Vertrauen auf den Staat auf das soziale Vertrauen einerseits, womit das Vertrauen der Bürger auf ihre soziale Gemeinschaft gemeint ist, und das politische Vertrauen andererseits, mit dem die Bürger dem Staat und seinen Institutionen begegnen. Nun hat das weltweit tätige Kommunikationsunternehmen Edelman in seiner alljährlichen Studie „Edelman Trust Barometer“ 2021 gezeigt, dass nach einem Jahr „der Katastrophen und Turbulenzen eine Epidemie von Fehlinformationen und weit verbreitetem Misstrauen gegenüber gesellschaftlichen Institutionen und Führungskräften auf der ganzen Welt herrscht“. Die circa 6000 Mitarbeiter starke PR-Agentur, die seit 21 Jahren das „Trust Barometer“ veröffentlicht, diagnostiziert nach der Online-Befragung von 33.000 Befragungsteilnehmern in 28 Ländern einen „Informationsbankrott“, ein aus der Waage geratenes „Vertrauens-Ökosystem“. Die Unternehmensberater wollen festgestellt haben, dass der Zenit der Vertrauenszunahme etwa der Deutschen in Institutionen seit dem Frühjahr 2020 überschritten sei. Während das Vertrauen der Deutschen auf ihre Regierung von Januar 2020 bis Mai 2020 noch stark angestiegen war, hat sich der rasante Zuwachs bis Januar 2021 umgekehrt. Irgendwas also ist in den vergangenen Monaten der Pandemiebekämpfung und der ökonomisch-sozialen Entwicklung aus Sicht der gewählten Mächtigen schiefgelaufen. Vielleicht waren es die reputationsbeschädigenden Bilder schikanierender und rücksichtslos verhaftender Polizisten nicht nur bei den Demonstrationen sogenannter Querdenker oder die lächerlichen Aufgebote von sehr

Meine Leseempfehlungen:

U LR ICH NOVA K Chefredak teur

engagiert scheinenden Exekutivbeamten gegen Ski laufende Familien und andere Harmlose, die einen der vielen Gräben zwischen Politik und Staat auf der einen und dem Volk auf der anderen Seite schufen. Denn aus einer weiteren Umfrage geht hervor, dass zum Beispiel derzeit nicht einmal 70 % der Österreicher der Polizei vertrauen. Der parteipolitische Missbrauch der österreichischen Polizei durch den ÖVP-Innenminister und eine politisierte Polizeiführung haben wohl dafür gesorgt, dass innerhalb eines Jahres das Vertrauen auf die Exekutivbeamten von 90,5 auf 69 % zurückgegangen ist; das volle Vertrauen als Indikator hat sich sogar mehr als halbiert.

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uropaweit ähnliche Entwicklungen zeigen, dass ein Unbehagen der Bürger gegenüber einem Staat wächst, der den Pandemie-Bekämpfungsmaßnahmensonderfall zum andauernden Normalzustand erheben möchte. Können wir also hoffen, dass die von Kenneth Minogue als Menetekel gemeinte Wendung von der „demokratischen Sklavenmentalität“ vielleicht doch von der freiheitlich begründeten Tatkraft vieler entwertet wird? Oder kommt es so, dass sich die Demokratie durch die skandalreiche Verderbtheit ihrer Funktionselite, durch die Feigheit der Ängstlichen, die Destruktion der Denunzianten und die Mimikry der Lifestyle-Linken selbst zerstört? Der linken Identitätspolitik, der transhumanistisch moralisierten Politik insgesamt und einem sich omnipotent gebenden Wohlfahrtsstaat, der seine Befugnisse bis in die alltägliche Lebensführung seiner Bürger auszudehnen sucht, ist nun und nur mit freiheitlicher Vitalität zu begegnen.

Seite 10 / INTERVIEW / David Engels

„Was wir tun sollen“

Seite 42 / TERRORISMUS / Irfan Peci

Die Guten ins Töpfchen N ° / 12 / M A I 2021

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China kommt

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Dem Abendland geht es nicht gut, stellt David Engels fest. Und fragt sich: Was tun?

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Editorial

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Inhalt

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Impressum

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Ansichtssache: Feuer in Island Vulkanausbrüche sind ein urtümliches Schauspiel. Auf der Insel der Elfen nur eines von vielen: hier hat sich auch das Volk selbst eine neue Verfassung gegeben.

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Kurz & bündig: aktuelle Neuigkeiten FREILICH-Buchklub bringt frische Bücher – FREILICH bringt Studie über die Corona-Demos in Österreich – ServusTV fördert den Sport

Hausverwaltung

STROHMEIER

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Privatvereine, die Islamisten betreuen?

I N T E RV I E W

KO M M E N TA R

10 „Was wir tun sollen“ David Engels ist kein Zweifler: Der Untergang des Abendlandes ist da. Im FREILICH-Gespräch erklärt er, warum.

32 Partei ergreifen Heinrich Sickl über Corona-Proteste und die Rolle der FPÖ.

I N FO G R A F I K

20 Die große Vertrauenskrise Die Bevölkerung beginnt, an Politik und Medien zu zweifeln.

E S S AY

34 Wörterbuch des Hasses Hassrede? Das schafft auch der polit-mediale Komplex. Wir analysieren seine Lieblingsfloskeln. TERRORISMUS

POLITIK

22 Die Fahrt in der Achterbahn „Corona“ verschärft die Widersprüche im Land. Wer glaubt, dass wir in die guten alten Zeiten von davor zurückkehren können, täuscht sich, meint Andreas Unterberger.

42 Die Guten ins Töpfchen Irfan Peci über die Betreuung von Islamisten – und wie man sie in die Gesellschaft zurückholt. R E P O R TAG E

50 China kommt Das Land der Mitte als Herausforderung für den Westen.

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F O R M AT

AU S DE R R E DA K TI ON

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Dr. Mabuse war vor 100 Jahren Symbol der Krise und passt auch in unsere Zeit.

FOTO S T R E C K E

LESESTÜCK

64 Die Nachahmungstäter Das Linzer Lentos versucht sich an rechter Ästhetik – mit durchwachsenen Ergebnissen.

88 Die Schwarzen und die Weißen Die wahre Wildnis ist die Welt der Weißen, weiß der ungebrochene Blick der Schwarzen.

K U LT U R

74 Willkommen zurück, Dr. Mabuse Er war eine Ikone seiner Zeit: Der Bösewicht feiert seinen 100. Geburtstag und würde sich auch über die aktuelle Krise freuen. I N T E RV I E W

82 „Wir wollen die Heimat retten“ Aktuelle Klima- und Umweltfragen polarisieren. Jonas Schick möchte eine „rechte Ökologie“ wiederbeleben.

94 Der Rote, der Blaue, der Bunte? Frank Böckelmann entzieht sich dem gängigen RAL-Katalog der politischen Landschaftsfarben. MEDIA

96 Bücher 99 Kolumne: Das Letzte We’re going to Ibiza!

IMPRESSUM: Freilich – Das Magazin für Selbstdenker. Erscheinungsort: Graz. Medieninhaber und Herausgeber: Freilich Medien Ges.m.b.H., Chefredakteur: Ulrich Novak, Redaktion & Verlag: Mandellstraße 7, A-8010 Graz, Österreich. Bankverbindungen: Steiermärkische Graz, IBAN: AT38 2081 5000 0009 8004, BIC: STSPAT2G; Postbank München, IBAN: DE44 7001 0080 0120 1628 06. Abonnement-Preise: Österreich Euro 76,–, Deutschland Euro 85,–, Schweiz SFR 96,–. Tel.: +43(0)316/32 70 09, Internet: freilich-magazin.at, E-Mail: redaktion@freilich-magazin.at

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Alltagsphilosophen Ich will gerade das Büro aufmachen, ein paar Schneeflocken sinken hinter der langsam zufallenden Haustür auf die Fußmatte. Da steht er vor mir, Flo, der Putzmann, der die Stiegen wischt. „Ko … Komisch,“ sagt er, „eure Ka … Katze heißt wie mein Li … Lieblingsphilosoph.“ Nickend versuche ich abzukürzen, ohne Kaffee geht bei mir morgens um sieben nix, auch keine sprechunflüssigen Reinigungskräfte. Es geht weiter: „Nehmen wir die He … Hegemonie des Neoli … Neoliberalismus. Habe ich im 34. Semester in Sa … Sasa …, scheiß drauf, gehört. Die dauernde Stastabilität des postfordistischen E … Entwicklungsmomodells. Klassenkakampf von o … oben, klar? Das umfasst die Umverteilung von Vermömögen, Chancen und Sicherheit von u … unten nach o … oben, die Re-Privatisierung von Reproduktionsarbeit, die Individualisierung sozialer Risiken und Verschlechterung der Lebensbedingungen für ganz viele.“ „Aha,“ sage ich abwesend, aus dem Büro duftet es nach Kaffee, Gramschi, unser Redaktionskater, Sie erinnern sich, streicht um meine Beine. „Allerdings“, sagt Flo, „das Sportstüberl in der Überfuhrgasse hat auch zu.“ „Vielleicht unterhaltet ihr euch mal“, sage ich zu Flo und Gramschi. Der hebt die Pfote zum Kopf. Zeigt er uns einen Vogel? Langsam schließe ich die Tür, das nächste Heft wartet.

redaktion@freilich-magazin.at freilich-magazin.at

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ANSICHTSSACHE

Trolle und Elfen gibt es hier, das wissen wir. Und die internationalen Banken haben in Island verbrannte Erde hinterlassen. Nach der großen Bankenkrise hat sich das Land deswegen eine neue Verfassung gegeben, die aus dem Volk gekommen ist. Jeder durfte mitmachen. Das ist ähnlich vorbildlich wie die isländische Vulkanlandschaft. Der Fagradalsfjall bei Reykjavík ist eben bei Redaktionsschluss frisch ausgebrochen. Hier live: youtu.be/IHkOQq6AmXw Infos: volcanodiscovery.com/de/fagradalsfjall.html

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Foto: iStock / ronib1979

ANSICHTSSACHE

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AKTUELL

„Kurz muss weg“

Die Corona-Demonstrationen in Wien protestieren gegen die Maßnahmen der türkis-grünen Regierung. Demonstrationen sind wie die Spitze eines Eisberges. e age aus e e be e e aus, e o g a u e s e o uss a e u e , ass a o e e aue o s es au e Co o a De os Ös e e e e a , as e se b a e e a e ge ab a , ge e e s e au e a eu o es e e gege o o a a e u e eg e u g

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Foto: Pool Photo / Alamy Stock Foto

AKTUELL

Raus zum Sport statt rein in den Lockdown: Der Privatsender ServusTV investiert 15 Millionen Euro dafür, dass Kinder und Jugendliche in Bewegung kommen.

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Eine Bewegung für mehr Bewegung ie monatelangen Corona-Einschränkungen sind speziell für Kinder und Jugendliche eine besonders große Herausforderung. Das Bewegungsverhalten hat sich dadurch weiter drastisch verschlechtert. ServusTV möchte dieser Fehlentwicklung nicht länger zuschauen und hat deshalb die Initiative „BEWEG DICH! Die Bewegung für mehr Bewegung“ ins Leben gerufen. Ziel dieser Initiative ist es, mehr Kinder und Jugendliche für Sport und Bewegung zu begeistern und somit auch ihre Gesundheit nachhaltig zu fördern. Wir möchten – gemeinsam mit euch – bessere Voraussetzungen dafür schaffen und euch finanziell unterstützen. Denn: Finanzielle Hilfe fehlt im Vereinsalltag oft dort, wo sie am meisten gebraucht wird – im Nachwuchsbereich. Deshalb stellt ServusTV für den Nachwuchs (im Alter von sechs bis 16 Jahren) in den 15.000 österreichischen Sportvereinen einen Gesamtbetrag von 15 Millionen Euro zur Verfügung. Was heißt das konkret? ServusTV will euch schnell

und unbürokratisch finanziell unter die Arme greifen: Ihr habt eine sportliche Idee oder ein spezielles Projekt für euren Vereinsnachwuchs, aber es fehlt das Budget? Ihr wollt mehr Kindern den Eintritt in euren Verein ermöglichen oder Eltern bei Mitgliedsbeiträgen unterstützen? Für ein optimales Training fehlen euch die passenden Utensilien oder Sportgeräte? Ohne Breite im Sport ist auch die Spitze nicht möglich: „BEWEG DICH! Die Bewegung für mehr Bewegung“ wird von zahlreichen österreichischen Sportstars wie Formel-1-Legende Gerhard Berger, FC-Red-Bull-Salzburg-Trainer Jesse Marsch, Dreifach-Olympiasieger Felix Gottwald, Snowboarder Benjamin Karl sowie den Skilegenden Hans Knauss und Michaela Kirchgasser und zahlreichen anderen prominenten Sportlern mitgetragen. In diesem Sinne: BEWEGT EUCH und UNS – wir freuen uns auf eure Anträge! Euer Team von ServusTV für mehr Bewegung in Österreich!

Super: ServusTV stellt für dem Nachwuchs (im Alter von sechs bis 16 Jahren) in den 15.000 österreichischen Sportvereinen einen Gesamtbetrag von 15 Millionen Euro zur Verfügung. Infos und Anmeldungen unter servustv.com/beweg-dich-diebewegung-fuer-mehr-bewegung

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INTERVIEW Foto: Archiv

David Engels sieht, wie ein Kulturkreis sich schließt. Und wie man in diesen Zeiten leben kann.

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FR E I L I CH


INTERVIEW

„Was wir tun sollen“ David Engels ist kein Zweifler: Der Untergang des Abendlandes ist da. Im FREILICH-Gespräch erklärt er, was ihn so sicher macht. Und warum es gut ist, jetzt in Polen zu leben.

INTERVIEW: WERNER REICHEL

FREILICH: Herr Engels, ist das Abendland tatsächlich verloren?

David Engels: Wir wissen seit Langem, dass Kulturen ebenso wie alle von Menschen geschaffenen Dinge endlich sind. Auch das Abendland nähert sich gegenwärtig dem Ende seiner Entwicklung als einer belebten, kreativen historischen Größe und droht, allmählich zu fossilisieren. Freilich liegt es an uns, was wir daraus machen: Wollen wir unsere Zivilisation so lange wie möglich verteidigen und ihren Reichtum an unsere Kinder weitergeben, wie die Römer es in der Kaiserzeit versucht haben, oder wollen wir unser Erbe bewusst sabotieren, wie dies gegenwärtig politisch gewollt zu sein scheint? N ° / 12 / M A I 2021

Sie schreiben in „Was tun?“ viel über die letzten Abendländer. An diese Gruppe ist es auch adressiert. Wer ist für Sie ein Abendländer? Und sind die politisch Korrekten, die Radikalfeministinnen, die Multikulturalisten, also jene, die aktiv oder als Mitläufer am Niedergang des Abendlandes beteiligt sind, nicht auch Abendländer, auf jeden Fall aber ein Produkt des Abendlandes?

Es ist in der Tat nicht zu leugnen, dass selbst die gegenwärtige Demontage des Westens sich auf eine Perversion typisch abendländischer Werte stützt, etwa den Hang zum Absoluten, zur Selbstkasteiung, zur Selbstüberschätzung etc.; Chesterton nennt dies „irr-

sinnig“ gewordene Werte, da sie sich von ihrem ursprünglichen christlichen Kontext gelöst und verabsolutiert haben. Der Bruch reicht aber tiefer: Es geht mittlerweile nicht nur um eine bloße „Reinterpretation“ unserer Werte (etwa im progressiven oder traditionalistischen Sinn), sondern vielmehr die völlige Negation unserer Identität. Nicht nur viele Politiker, sondern zunehmend auch junge Menschen sind bereits „posthistorische“ Individuen, für die das Abendland, seine Kultur und seine Tradition eine abgelebte, tote Sache sind, für die sie bestenfalls eine distante Neugierde empfinden, nicht aber das Gefühl, Teil dieses Erbes zu sein und die Verpflichtung zu besitzen, dieses auch weiterzugeben.

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Foto: Abaca Press / Alamy Stock Foto

INTERVIEW

Große Politik und große Ökonomie: Klaus Schwab (hier mit Ex-US-Präsident Donald Trump) denkt gern über den „Great Reset“ nach.

Ihr Buch ist vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie entstanden. Inwieweit hat die globale Corona-Krise die von Ihnen beschriebenen Entwicklungen, Prozesse und Zustände verändert und beeinflusst? Beschleunigt sie die Zerfallsprozesse, oder hat sie im Gegenteil einen neuen Widerstandsgeist in der europäischen Bevölkerung geweckt?

Die Corona-Krise – oder, besser gesagt: der selbstzerstörerische Lockdown – hat in der Tat viele Entwicklungen beschleunigt, die sich bereits vorher abzeichneten, etwa das Verschwinden des Mittelstandes, die Digitalisierung, die Vereinsamung des Menschen, die Pressezensur, die Selbstermächtigung der Exekutive, transhumanistische Experimente etc.; und betrachtet man die gegenwärtigen Pläne für einen „Großen Reset“ oder einen „Green Deal“, sieht man, wie weit die politische Instrumentalisierung der COVID-Krise wohl noch gehen wird. COVID hat uns also einen großen Schritt weiter in Richtung einer posthistorischen, linksgrünen politischen Dystopie gebracht und macht die Frage, wie wir als „letzte“ Abendländer damit umgehen wollen, umso virulenter. Es stimmt freilich, dass die nahezu surreale Natur der gegenwärtigen Instrumentalisierung der Krise für viele bislang apolitische Europäer zum Erweckungserlebnis geworden ist; die Frage bleibt nur, inwieweit der steigende Widerstand gegen den Lockdown mit dem breiteren Kampf um unser identi-

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täres Überleben verknüpft werden kann oder ein separates politisches Schlachtfeld bleiben wird. Daran haben natürlich auch die konservativen Oppositionsparteien eine gewisse Mitschuld, die ihre Regierungen oft genug nicht etwa für ihre überzogene Corona-Panik, sondern vielmehr für ihre ineffiziente Durchsetzung des Lockdowns gescholten und somit die Gelegenheit verpasst haben, Lockdown-Kritik und konservative Oppositionspolitik zu verknüpfen. Ihr Buch ist eine Sammlung von Empfehlungen, wie man mit der gegenwärtigen Situation inmitten des Niedergangs des Abendlandes umgehen kann bzw. soll. Das reicht vom Gemüseanbau bis zur Suche nach dem Schönen. Wie sehr setzen Sie all das, was Sie an Gedanken und Überlegungen aufgeschrieben haben, selbst in die Praxis um? Oder sind das für Sie Ideale und Ziele, die Sie anstreben?

„Was tun?“ ist das Resultat eines langen persönlichen Lern- und Entwicklungsprozesses, bei dem es mir nicht so sehr darum ging, ein abstraktes Konzept zu entwickeln, sondern den Leser an meinen persönlichen Zweifeln, Hoffnungen und Versuchen teilhaben zu lassen. Es ist daher weniger ein Programm als vielmehr ein Bericht über meinen eigenen Weg – alles, was ich beschrieben habe, habe ich auch selbst umgesetzt, wenn vieles auch natürlich verbesserungsfähig ist. Das gilt auch für den Gemüsegarten.

In einem Kapitel geht es um die Entfremdung der Menschen von der Wirklichkeit der Natur. Sie empfehlen ein „Zurück zur Natur“. Dreht sich in der europäischen Politik und Gesellschaft nicht ohnehin alles um die Rettung der Natur, des Klimas und des Planeten? Wie ordnen Sie Bewegungen wie „Fridays for Future“ ein, was steckt hinter den grünen Weltrettungsfantasien der deutschen Regierung bzw. der EU?

Zunächst: Der verantwortungsvolle Umgang mit unserer natürlichen Umwelt ist ein eminent konservatives, schon in der Bibel verankertes Anliegen, und es ist kein Zufall, dass die grüne Bewegung im frühen 20. Jahrhundert ursprünglich eigentlich eher dem rechten als dem linken Lager entsprungen ist. Wir dürfen uns also heute von dem Seitenwechsel dieser Mission nicht in unserer Pflicht beirren lassen. Allerdings besteht ein fundamentaler Unterschied: Der heutige, linksgrüne Umweltschutz beruht auf einem pantheistisch verklärten, faktisch jedoch zutiefst materialistischen Substrat und hat keinen Zugang zu einer jenseits der Natur liegenden Transzendenz. Daher gilt ihm auch der Mensch als ein beliebiges Tier unter anderen anstatt als ein vernunft- und seelenbegabtes Wesen mit einer transzendenten Mission, was die oft genug menschenfeindliche Grundhaltung der Grünen erklärt, die die Interessen der Natur meist denen des Menschen überordnen. Ein anderer fundamentaler Unterschied ist der von FR E I L I CH


Foto: 51North / Alamy Stock Foto

INTERVIEW

Widerlicher Widerstand: Die Fantasien vom Weltwohlstand kommen nicht bei jedem Bürger gut an.

den Grünen angenommene soziale Konstruktivismus, der im Prinzip eigentlich sogar mit ihrem konservativen Anliegen des Naturschutzes kollidiert: Während die Natur als unantastbare Größe gilt, in der alles seinen biologisch vorherbestimmten Platz hat, sollen für den Menschen alle Naturgesetze außer Kraft gesetzt worden sein, was die Sympathien der Grünen für Absurditäten wie die Gender-Theorie oder den Transhumanismus erklärt. In Zeiten der demografischen Selbstzerstörung eine Familie zu gründen, sei so rebellisch und revolutionär wie in den 1960ern die freie Liebe, steht in Ihrem Buch. Sind die Konservativen die neuen ’68er? Sollten sie ebenfalls einen Marsch durch die Institutionen beginnen? Schließlich dominiert die Linke alle entscheidenden Bereiche der Gesellschaft. Oder ist dazu keine Zeit mehr?

Nun, wir müssen uns vor voreiligen Parallelen hüten: Wenn wir uns allzu sehr mit Bewegungen wie etwa den ’68ern identifizieren, machen wir Konservativen uns zum bloßen Spiegel unserer Gegner und legitimieren sie damit indirekt. Freilich, heute eine Familie gründen zu wollen, ist ebenso revolutionär wie die „Freie Liebe“ vor 50 Jahren, aber das stellt beide nur vermeintlich auf dieselbe Ebene. Denn der Konservative, metaphysisch gesprochen, will und bejaht das Ganze und sieht sich nur als Glied in einer zeitlichen Kette; der LinN ° / 12 / M A I 2021

„Heute eine Familie gründen zu wollen, ist ebenso revolutionär wie die ‚Freie Liebe‘ vor 50 Jahren.“

ke aber streitet für die Herrschaft eines Teils und sieht die Vergangenheit als unverbindlichen Ballast – das dürfen wir nie verwechseln. Gerade der eigentlich dringend notwendige „Marsch durch die Institutionen“ wäre dafür ein Beispiel: Vor einem halben Jahrhundert erlaubte ein weitgehend konservatives Establishment es den „progressiven“ Kräften, in allen Institutionen zunehmend Fuß zu fassen – diesen Dienst werden die „Progressiven“ uns aber heute nicht erweisen, und selbst wenn, würde, wenn es so weitergeht wie bisher, in 50 Jahren wohl nicht mehr genug übrig bleiben, auf dem man noch aufbauen könnte. Sie rufen zum friedlichen Widerstand gegen den Staat und seine Institutionen auf. Man solle sich nicht mehr auf sie verlassen. Ist das für viele Konservative, Bürgerliche nicht sehr schwer umzusetzen, weil es ihrer Haltung und ihren Werten grundsätzlich widerspricht?

Absolut: Konservative identifizieren sich ja von Natur aus mit dem „Ganzen“, und es fällt ihnen schwer, sich mit dem Gedanken abzufinden, zur Minderheit im eigenen Land geworden zu sein und jene Institutionen, welche die Frucht vieler Jahrhunderte kollektiver Arbeit sind, eher als Feinde denn als Verbündete wahrzunehmen. Gerade in Frankreich, wo das Staatsvertrauen noch erheblich stärker ausgeprägt ist als in Deutschland, ist dies eine überaus schmerzhafte Lehre, die aber zunehmend Gehör findet. Der Konservatismus kann heute nicht mehr

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INTERVIEW AUF DEM WEG INS IMPERIUM

Steht die Europäische Union vor einem ähnlich spektakulären Systemwechsel wie einst die späte römische Republik? Ja, sagt der deutsch-belgische Historiker David Engels in seinem in Frankreich viel diskutierten Bestseller: Anhand von zwölf Indikatoren vergleicht er verschiedene Aspekte der Identitätskonstruktion der EU mit Krisensymptomen der ausgehenden römischen Republik. David Engels: Auf dem Weg ins Imperium Europa Verlag, Berlin u. München 2014 ISBN 978-3-944305-45-5 A € 30,90 / D € 29,99

ALTERNATIVEN LEBEN

Leben mit dem Wissen, dass die Tage der abendländischen Zivilisation, so wie wir sie heute kennen, gezählt sind. Was tun? Wie unser tägliches Leben ausrichten, wie uns trotz allem in die Zukunft hineinversetzen, und vor allem – wie unseren Nachfahren unser bedrohtes Erbe weitergeben? Dies sind einige der Fragen, auf welche dieses Brevier ebenso praktische wie realistische Antworten zu geben versucht. David Engels: Was tun? Renovamen Verlag, Bad Schmiedeberg 2020 ISBN 978-3-95621-142-3 A € 16,50 / D € 16,00

Im FREILICH-Buchladen erhältlich. freilich-magazin.at/buchladen

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durch, sondern vielmehr nur noch gegen den Staat überleben. Sie empfehlen den letzten Abendländern einen Rückzug vom Staat, der Gesellschaft und ihren Institutionen sowie den Aufbau eigener Strukturen, ähnlich wie das zugewanderte ethnische Gruppen in Europa schon jetzt machen. Die Abendländer als eine von vielen Communities. Ist das nicht eine Kapitulation? Sollte der Anspruch der Abendländer nicht ein größerer sein?

Im Gegenteil: Es wäre eine Kapitulation, das Offensichtliche nicht wahrhaben zu wollen und aus falschem Stolz oder Starrsinn auf einen Verbündeten zu setzen, der uns jetzt schon das Messer auf den Rücken setzt. Linksgrüne wie Christdemokraten haben schon seit vielen Jahrzehnten erfolgreich den Staat zu einem Organ der systematischen Schwächung, ja Zerstörung der abendländischen Identität gemacht; wer jetzt noch weiter dieser Methode durch seine Staatshörigkeit implizite Legitimation schenkt, macht sich geradezu mitschuldig. Freilich soll, ja muss der Konservative danach streben, Staat, Gesellschaft und Politik erneut auf einen Kurs zu bringen, der für die Verteidigung, nicht die Schwächung unserer Identität steht; das geht aber nur von einer starken Basis aus und auf Grundlage einer Stärkung der eigenen Weltanschauung. Konservative müssen zuerst einmal den ganzen Abgrund ermessen, der sie mittlerweile von den anderen Parallelgesellschaften trennt, in die die angebliche „Mehrheitsgesellschaft“ längst zerfallen ist, um ein glaubwürdiges und in sich gefestigtes alternatives Modell zu erarbeiten. Ein zentraler Punkt, den Sie ansprechen, ist der Verlust des christlichen Glaubens. Inwieweit

trägt die katholische Kirche, trägt Rom nicht selbst dazu bei, dass sich immer mehr Menschen vom Glauben abwenden? Ist die Kirche nicht längst zu einer linken NGO verkommen, für die Transzendenz bestenfalls eine Nebenrolle spielt, die gerade in Zeiten wie diesen keine Orientierung bietet? Sind der Papst und die Kirche überhaupt an einem Comeback des christlichen Glaubens, an einer Rechristianisierung Europas interessiert?

Ihre Worte treffen den Kern der Sache leider nur allzu gut. Die Kirche hat sich spätestens seit dem Zweiten Vaticanum zunehmend zur Erfüllungsgehilfin des Zeitgeistes gemacht und ihre eigentliche transzendente Rolle gänzlich einem rein sozialen Engagement geopfert. Die meisten heutigen Christen können nur noch als vage Pantheisten bezeichnet werden, die im christlichen Dogma bestenfalls irgendwelche beliebigen „Symbole“ erkennen und den Glauben ganz auf einen linksgrün geprägten sozialen Aktivismus reduzieren, worin sie leider zunehmend von den kirchlichen Hierarchien unterstützt werden. Aber auch hier bahnt sich ein Bruch an zwischen einer weitgehend polithörigen und zeitgeistaffinen „Staatskirche“, deren Predigten ein verlängerter Arm der „tagesschau“ sind, und einer konservativen Untergrundkirche, die zunehmend zum Kristallisationspunkt all jener werden wird, die nicht nur von der theologischen Leere der Mehrheitskirche schockiert sind, sondern darüber hinaus auch die Gottesferne des gegenwärtigen politmedialen Systems infrage stellen. Warum sind Schuldkult und Selbsthass, die für viele der aktuellen Fehlentwicklungen mitverantwortlich sind, nur bei den Abendländern, also den Europäern bzw. Westlern, so ausgeprägt? Türken, FR E I L I CH


Araber, Japaner und praktisch alle anderen Völker bzw. Nationen haben ebenfalls eine – wie es bei uns heißt – belastete Geschichte. Ihnen fehlt dieser Selbsthass weitgehend bzw. völlig.

Dies mag auf den ersten Blick durchaus so scheinen und stimmt auch, insoweit wir die politische Umsetzung des kollektiven Selbsthasses betrachten; denn der Westen ist die einzige Zivilisation, die gegenwärtig Schlagworte wie „Versöhnung“, „Pazifismus“, „Multikulti“, „Toleranz“, „Klimarettung“, „Willkommenskultur“ oder „Vergangenheitsbewältigung“ in aktive Handlungen überführt, während der Rest der Welt immer klarer seine jeweils eigenen Interessen verteidigt und seine eigene Identität verherrlicht. Der Schein trügt aber insoweit, als die muslimische, chinesische, indische, ja selbst japanische Welt in ihrem tiefsten Innern nicht von Stolz, sondern vielmehr von Ressentiments gegenüber dem Westen und, damit gleichlaufend, vom Bewusstsein des eigenen Versagens geprägt ist, ist es doch der Westen, der bis heute der Welt seinen zivilisatorischen Stempel aufprägt, selbst nachdem seine imperiale Weltherrschaft vergangen ist. Dies wird niemand uns je vergeben, und je mehr wir um Vergebung bitten, umso stärker wird die Wunde aufreißen und eines Tages üble Konsequenzen zeitigen. Derzeit ist viel vom „Great Reset“ die Rede, von einem Neustart auf den Ruinen der Corona-Politik, bei dem es im Kern um die Abschaffung von Eigentum und Selbstbestimmung geht. Nicht mehr der Bürger soll über sein Leben bestimmen, sondern der Staat, der im Zuge der Corona-Krise in alle Lebensbereiche vordringt. Sehr viele Menschen scheint diese Vorstellung nicht zu stören, obwohl die Corona-Maßnahmen nicht nur unsere Freiheit, N ° / 12 / M A I 2021

sondern vielfach auch unsere Existenz bedrohen. Woran liegt das?

Diese Feststellung treibt mich auch um: Viele Menschen scheinen den „Great Reset“ nicht etwa zu fürchten, sondern geradezu zu begrüßen, und zwar nicht nur jene, die naiv auf eine Rückkehr zur „alten Normalität“ hoffen, sondern auch jene, die sehr wohl wissen, worum es gehen wird. Zur Erklärung fallen mir zwei Argumente ein. Zum einen ist die gegenwärtige linksgrüne Dominanz über die Medien so stark geworden, dass viele Menschen nur noch mit einer einzigen Betrachtungsweise der Gegenwart konfrontiert werden und sich angesichts der scheinbaren Alternativlosigkeit der gegenwärtigen Politik kaum eine eigene Meinung bilden können. Zum anderen dürfen wir leider nicht die Tatsache ausblenden, dass die „schöne neue Welt“, die durch bedingungsloses Grundeinkommen, Bargeldverbot, lückenlose Überwachung, Sozialkreditsystem, Medienzensur, Klimadiktatur, Einheitsmeinung, Hedonismus, Multikulturalismus, Vereinsamung und Transhumanismus gekennzeichnet sein wird, vielen Menschen entgegenkommt: Der Abschied von der Geschichte, der Wunsch nach der Aufgabe der eigenen Entscheidungsfreiheit, die Angst vor der Transzendenz, das Versagen vor der schieren Größe unseres historischen Erbes, die Feigheit, sich gegen das Kollektiv aufzulehnen, all das dann auch noch verbunden mit dem guten Gewissen, auf der angeblich „richtigen Seite der Geschichte“ zu stehen, liefern ein breites Einfallstor für totalitäre Utopien, aus denen bekanntlich schnell Dystopien werden. „Was tun?“ ist ein sehr persönliches Buch, das – wie Sie anmerken – nicht aus theoretischen Überlegungen heraus entstanden ist, es ist vielmehr eine Reaktion

INTERVIEW

„Konservative müssen zuerst einmal den ganzen Abgrund ermessen, der sie mittlerweile von den anderen Parallelgesellschaften trennt.“

auf persönliche Erfahrungen, die sie vor allem nach der Veröffentlichung Ihres Buches „Auf dem Weg ins Imperium“ gemacht haben. Was hat sich damals für Sie verändert?

Ich bemühe mich seit jeher um eine starke Kohärenz zwischen meinen Worten und meinen Handlungen. Mein Buch „Auf dem Weg ins Imperium“, in dem ich die Krise Europas mit den letzten Jahrzehnten der ausgehenden römischen Republik verglichen habe, hat mir selbst die Augen für die ganze Tragweite des gegenwärtigen Niedergangs geöffnet, und auch mit den Reaktionen auf mein Engagement – positiv wie negativ – musste ich erst einmal fertigwerden, zumal die Notwendigkeit, zunehmend als zeitpolitischer Kommentator tätig zu werden, mich vor ganz ungeahnte Herausforderungen stellte. Mehr denn je trat mir die Notwendigkeit vor Augen, dass mir eine ehrliche Analyse unserer Zeit nur dann möglich sein kann, wenn ich die Ideale, aus deren Perspektive ich die Gegenwart betrachte, auch selbst im alltäglichen Leben zu verwirklichen und meinen Kindern aktiv weiterzugeben versuche. Und da mir durch viele Vorträge und Gespräche immer klarer wurde, dass auch andere Menschen nach einer Hilfestellung suchen, wie sie als „letzte Abendländer“ inmitten einer feindlichen Umwelt weiterhin ihren Idealen treu bleiben können, ist aus diesen rein persönlichen Überlegungen ein kleines Büchlein entstanden. Sie sind von Belgien nach Polen gezogen, wo Sie nun leben und arbeiten. War dieser Umzug eine Reaktion auf Ihre persönlichen Erfahrungen in Belgien, eine Flucht?

Eine Flucht war es sicherlich nicht, eher das Gegenteil: Seit ich in Polen lebe und mich ganz um zeitkritische Aufgaben kümmere, bin ich publizistisch wie vortragstechnisch aktiver und

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INTERVIEW

Foto: IMAGO / ZUMA Wire

Eine Nation bekennt sich zu sich selbst: Großdemo in Warschau zum Unabhängigkeitstag.

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präsenter denn je – und dementsprechend auch exponierter. Aber es stimmt natürlich, dass es ein gutes Gefühl ist, wenigstens die eigenen Kinder in einem Umfeld zu wissen, das erheblich normaler und behüteter ist als alles, was Belgien ihnen zu bieten hätte. Und: Ostmitteleuropa zählt zu den wenigen Gebieten, die dem Wahnsinn des Westens noch standhalten. Sollten auch hier linksgrüne Regierungen an die Macht gebracht werden, geht buchstäblich das Licht über unserer Zivilisation aus. Diese letzte Bastion muss verteidigt werden. Wie unterscheiden sich das Leben und der Alltag in Polen von Belgien?

Ich komme der Sache wohl am nächsten, wenn ich sage, dass Polen im Großen und Ganzen ein erstaunlich „normales“ Land ist und sich gerade daher überaus wohltuend von dem abhebt, was mittlerweile im Westen zum Alltag geworden ist. Auch in Polen ist vieles verbesserungsfähig, allem voran der Eindruck vieler Bürger, man müsse einen gewissen, mit Westeuropa assoziierten „zivilisatorischen Standard“ einholen, der tatsächlich aber dem Westen längst verloren gegangen ist. Polen erscheint mir, ganz subjektiv gesprochen, erheblich freundlicher, sicherer, sauberer, solidarischer und besser organisiert als mein Heimatland Belgien – und auch als das meiste von dem, was ich in Frankreich, England oder Deutschland kenne. Doch vor allem: Die überwiegende Mehrheit der Menschen hier ist stolz auf die eigene Kultur und Geschichte, und zwar nicht nur als Polen, sondern auch als Abendländer. Das habe ich im Westen kaum so erlebt. Bei der Migration, beim GenderMainstreaming und vielen anderen grundlegenden politischen Fragen fährt Polen einen anderen Kurs, N ° / 12 / M A I 2021

als Brüssel ihn vorschreibt. Ist Polen, wie auch Ungarn, auf dem richtigen Weg? Ein Hoffnungsschimmer für das Abendland?

Dies ist auch mein Eindruck, und ich kann aus Erfahrung sagen, dass viele konservative Westeuropäer in den Visegrád-Staaten zusehends ein Beispiel dafür erblicken, wie ein alternatives Europa aussehen könnte, das eben nicht auf „Woke-Culture“, politischer Korrektheit und Selbsthass errichtet ist, sondern auf der Liebe zur eigenen Zivilisation. Es steht zu hoffen, dass dieses Beispiel auch von den anderen konservativen Parteien Europas erkannt und propagiert wird, und ich freue mich, dass etwa meine eigenen Projekte, allen voran meine „Präambel für die Verfassung einer Konföderation europäischer Nationen“, die ich im Auftrag des polnischen Intellektuellenverbandes geschrieben habe, bereits einige Anregungen in diesem Sinne gegeben haben. Trotzdem wächst mit dem Erfolg natürlich auch die Bedrohung. Wie sehr haben sich politische Korrektheit, Genderismus und Kulturmasochismus in Polen bereits etabliert?

Gerade die letzten Jahre haben gezeigt, dass Berlin und Brüssel nicht mehr willens sind, den polnischen Sonderweg zu tolerieren. Je mehr der Westen im Chaos versinkt, und je deutlicher der Erfolg des Ostens wird, desto stärker wird die Kritik an der konservativen Regierung in Warschau. Diese Kritik wird von der hiesigen Opposition bereitwillig mit verzerrten Fakten alimentiert und an die internationalen Medien weitergegeben, deren Empörung dann wieder in der Landespresse zur Diskreditierung der Regierung ins Feld geführt wird. Entgegen einem im Westen verbreiteten Vorurteil ist die Medienlandschaft Polens keineswegs regierungshöriger als etwa in Deutschland oder Frankreich,

INTERVIEW

„Viele Konservative erblicken in den Visegrád-Staaten zusehends ein Beispiel für ein alternatives Europa.“

wo fast nur noch eine Einheitsmeinung zu hören ist, sondern überaus plural. Gerade die jungen Menschen sind dabei sehr anfällig für die permanente Kritik im In- und Ausland, sozialisieren sich stark über internationale Medien und haben gleichzeitig völlig überzogene Vorstellungen von der angeblichen „Freiheit“, „Toleranz“ und „Modernität“ des Westens, sodass sie oft genug als Rammbock der Opposition instrumentalisiert werden. Liegt die Hoffnung bzw. die Zukunft des Abendlandes in Osteuropa? Kann Osteuropa dem permanenten Druck der EU oder auch dem steigenden Migrationsdruck aus Afrika dauerhaft standhalten?

Der Osten wird sicherlich noch eine Zeit lang standhalten, aber der Druck wächst und wird früher oder später auch finanzielle Erpressung seitens der EU einschließen. Gerade die gegenwärtige Situation der Coronavirus-Krise ist eine sehr diffizile Übergangszeit, in der die Wirtschaft Osteuropas zwar ihre große Resilienz beweist, gleichzeitig aber auch ihre Schwächen und vor allem die einseitige Fixierung auf den deutschen Markt. Sollte es den Regierungen der Visegrád-Staaten gelingen, in den nächsten Jahren trotz steigendem Druck auf Kurs zu bleiben, ist wohl zu erwarten, dass das Gefälle zwischen West und Ost zunehmend zum Vorteil des Ostens ausfallen wird, denn die in Frankreich ja schon einsetzenden Verteilungskämpfe zwischen den verschiedenen Parallelgesellschaften illustrieren für jeden, der Augen hat zum Sehen, das nicht nur soziale, sondern eben auch wirtschaftliche Scheitern des laizistischen Multikulti-Modells. Freilich: Selbst, wenn der Westen zunehmend in der Krise versinkt, ist die Frage offen, inwieweit es dem Trimarium-Gebiet, also der Staatenkette vom Baltikum bis zur Adria und zum Schwarzen Meer, gelingen

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INTERVIEW

„Ich erwarte in den nächsten Jahren eine toxische Kombination von Wirtschaftskrise, Massenarbeitslosigkeit, ethnischen Unruhen.“

wird, sich dauerhaft als eigenständiger Global Player zu etablieren, gerade angesichts des russischen Nachbarn. Kann das Abendland oder der Geist des Abendlandes auch außerhalb Europas langfristig fortbestehen?

Das Abendland ist nicht die erste Zivilisation, die früher oder später „untergeht“, also ihre kreative Energie verliert und zum passiven Opfer ihrer inneren wie äußeren Gegner wird, und es wäre auch nicht die erste, deren Geist anderswo als im Mutterland weitergepflegt würde, und sei es nur museal. Gerade die Antike ist ein typisches Beispiel hierfür, da sie im Abendland in gewisser Weise weiterlebt, während ihr Heimatboden, allen voran Griechenland und Kleinasien, für viele Jahrhunderte an den osmanischen Staat verloren gegangen war und selbst heute nur noch eine ganz untergeordnete Rolle spielt. Auch der Buddhismus überlebt ja heutzutage nur noch in China und Japan, während er in Indien nahezu vollständig verschwunden ist. Wer weiß: Sollte Europa sich eines Tages ganz von seinem Erbe lossagen, um teils in Selbsthass zu verfallen, teils vom Islam dominiert zu werden, könnte es durchaus sein, dass sein Geist in den Konzerthallen, Universitäten und Museen Tokios und Pekings weitergepflegt wird. Ist aufgrund der unterschiedlichen Fertilitätsraten autochthoner und zugewanderter Frauen ein Niedergang des Abendlandes nicht unausweichlich? Es gibt historisch ja kaum Beispiele, wo ein gleichberechtigtes Nebeneinander von Christen und Muslimen längerfristig funktioniert hat.

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Das Problem ist nicht das gleichberechtigte Nebeneinander – gerade die islamische Kultur ist ja ein typisches Beispiel für eine Zivilisation, in der sich die Ghetto-Kultur des Nebeneinander seit anderthalb Jahrtausenden als typisches Lebensmodell etabliert hat –, sondern die viel schlimmere Tatsache, dass die Abendländer in ihren eigenen Heimatgebieten überhaupt zu einer Minderheit zwischen anderen geworden sind, ob gleichberechtigt oder nicht. Selbstverständlich spielt dabei auch die Frage nach der Geburtenrate eine wichtige Rolle; noch schlimmer aber ist die geradezu sträfliche Naivität, mit der man in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunächst geglaubt hat, die Immigranten und ihre Familien würden sich „von selbst“ assimilieren, dann sogar dazu übergegangen ist, sie aktiv an einer solchen Assimilation zu hindern, indem man von der multikulturellen Gesellschaft geschwärmt und die Forderung nach Integration geradezu zu einem kolonialistischen Verbrechen stilisiert hat. Nimmt man dazu noch den kaum verhohlenen Hass auf die eigene Zivilisation, die man in Schule, Medien, Universitäten und Politik nur als eine Ansammlung historischer Verbrechen sieht, deren mantraartige Beschwörung die ohnehin schon starken Ressentiments der Neuankömmlinge noch verstärkt, versteht man, wieso Europa mit seiner Masseneinwanderung nicht fertig wurde, ja nicht fertig werden konnte. Hierzu würden wir eine massive identitätspolitische Wende benötigen und ganz klare staatliche Anreize zur Integration bzw. Remigration schaffen müssen. Ein solches Einlenken steht aber wohl erst dann zu erwarten, wenn die Lage so schlimm geworden ist, dass der Politik keine andere Möglichkeit mehr

offensteht – es also faktisch eigentlich schon viel zu spät ist. Sie schreiben, man solle mit dem Schlimmsten rechnen. Was ist für Sie der Worst Case, der auf uns bzw. unsere Kinder oder Enkelkinder zukommen kann?

Ich erwarte bereits in den nächsten Jahren eine toxische Kombination von Geldentwertung, Wirtschaftskrise, Massenarbeitslosigkeit, ethnischen Unruhen und fundamentalen institutionellen und politischen Umwälzungen; eine Art von schwelendem, regelmäßig gewalttätig ausbrechendem Bürgerkrieg, wie er ja in Frankreich in den Großstädten jetzt schon an der Tagesordnung ist. Dieser Prozess wird nicht einfach nur einige Monate lang andauern: Er wird sich wohl, medial übrigens kaum beleuchtet, über Jahre, ja Jahrzehnte hinziehen, bis endlich ein Umdenken möglich werden wird. „Der Augenblick der Wahrheit ist nah“, steht in Ihrem Buch. Was genau werden wir in diesem Augenblick erkennen?

Mit dem „Augenblick der Wahrheit“ meine ich jenen Punkt, an dem es zumindest einem größeren Teil der Bevölkerung offensichtlich werden wird, dass er von der Politik der letzten Jahrzehnte aufs Glatteis geführt worden ist, denn früher oder später wird sich die gegenwärtige, zunehmend radikalisierte „Woke-Culture“ ad absurdum führen. Spätestens, wenn die Rente größtenteils gestrichen wird, die ersten politischen Prozesse beginnen, die Vorstädte in Flammen aufgehen und Polygamie wie Inzest legalisiert werden, wird vielen Menschen dämmern, dass sie sich auf ein Spiel mit FR E I L I CH


Foto: Archiv

INTERVIEW

Zur Person

hohem Eigenrisiko eingelassen haben. Das bedeutet nicht, dass ab diesem Moment sofort ein breites Umdenken einsetzen wird, aber wohl, dass allmählich ein Grundkonsens entsteht, dass nach einer alternativen Ordnungsmöglichkeit unserer Gesellschaft gesucht werden muss. Dieser „Augenblick der Wahrheit“ ist in Frankreich gegenwärtig voll am Werk; in Deutschland, der „verspäteten Nation“, wird es wohl noch einige Jahre dauern. „Wenn all das Morsche einstürzt“, schreiben Sie. Könnte das nicht eine Befreiung sein? Und wann wird das passieren?

In der Tat; man kann erwarten, dass aus jener Krise früher oder später eine neue Ordnung hervorgehen wird. Die Frage ist nur, wie viel Porzellan bis dahin zerschlagen und welche Aufbauarbeit auf dieser Grundlage überhaupt noch möglich sein wird. Wie ein solches neues Europa aussehen könnte, habe ich in meinem Buch „Renovatio Europae“ beschrieben, freilich unter der Voraussetzung, dass die dort skizzierten Reformen auf einem halbwegs demokratischen und einvernehmlichen Weg zustande kommen. Sollte dies nicht gelingen, und sollte zumindest Westeuropa zunächst in einem längeren Chaos versinken, steht zu befürchten, dass jene Neuordnung sich eher unter autoritären Vorzeichen vollziehen wird, wie ich es in meinem Buch „Auf dem Weg ins Imperium“ zu zeigen versucht habe, indem ich die römischen Bürgerkriege und schließlich die Neuordnung des Augustus zum Vergleichsmaßstab genommen habe.

Der letzte Abendländer David Engels mahnt den Untergang des Abendlandes an. Und denkt darüber nach, was wir da noch tun können. 1

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David Engels im Internet: davidengels.be

Lieber Herr Engels, wir danken Ihnen für das Gespräch. N ° / 12 / M A I 2021

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INFOGRAFIK

„Die sind […] nicht alle auf der Straße.“

„Medien werden als Teil des politischen Systems empfunden.“

Andrea Fronaschütz, Gallup

Andrea Fronaschütz, Gallup

Die große Vertrauenskrise M

„DemoSympathisanten sind keine obskure Gruppe am gesellschaftlichen Rand.“ Andrea Fronaschütz, Gallup

36%

Das Österreichische Gallup-Institut GmbH erhebt seit März 2020 regelmäßig die Stimmungslage sowie die Mediennutzung in der Corona-Krise. Für die aktuelle Umfrage wurden zwischen 18. und 22. Februar 2021 1000 Personen online befragt. Sie ist repräsentativ für die webaktive Bevölkerung ab 16 Jahren.

29% Protestpotenzial in Österreich Gemessen wurden die Zustimmung zu den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung und die Skepsis gegenüber den klassischen Medien in Bezug auf die Corona-Berichterstattung. Quelle: Gallup

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2020

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2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

1 2 3 4

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INFOGRAFIK

Medien

Regierung

Parteien

Vertrauen in klassische Massenmedien wie Fernsehen, Radio, Zeitungen

Umfrage: Einstufung auf einer Skala von Null bis Zehn.

„Puls24“ stellte neben der Sonntagsfrage auch die Frage nach der Glaubwürdigkeit österreichischer Parteien.

„Die Medien verbreiten Panik und tragen zur Eskalation der 13 % Krise bei.“ 2020

„Die Medien leisten einen konstruktiven Beitrag zur Pandemiebekämpfung.“

26 %

10 9 8

2020

2021 4 %

21 %

sehr viel Vertrauen

„Welche Partei würden Sie wählen, wenn am Sonntag NR-Wahl wäre?“ 33 %

7 6

2021

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5

25 %

24 %

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27 % 19 % 17 %

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2021

0

22 % Vertrauen

4 %

12 %

10 %

7 %

gar kein

1

2020

„Welche Partei hat Ihrer Meinung nach die glaubwürdigste Corona-Politik?“

ÖVP

SPÖ

FPÖ

5 %

GRÜNE

NEOS

In nur einem Jahr haben sich die Zustimmung zur und Kritik an der Corona-Medienberichterstattung umgekehrt.

Zwischen März 2020 und Jänner 2021 ist das Vertrauen in die Regierung massiv gesunken.

Wahlverhalten und Parteienvertrauen können sehr unterschiedlich ausfallen. 27 % glauben niemandem mehr.

Quelle: Gallup

Quelle: Universität Wien

Unique Research / Profil (10.4.2021) / Puls 24

k. A.

Medienkritik nach Gruppen Die negative Beurteilung der Massenmedien ist bei FPÖ-Wählern am stärksten ausgeprägt. Aber auch bei den jungen Menschen wächst die Skepsis gegenüber den Mainstreammedien deutlich.

57 %

33 %

35 %

46 %

FPÖ-Wähler

NEOS-Wähler

unter 30-jährige

Demo-Sympathisanten

Quelle: Gallup

Schulden wie nach dem Weltkrieg Die Entwicklung von Schulden und Anleiherenditen in Industrienationen seit 1880 zeigt deutlich: Der bisherige Staatsschuldenrekord nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde zum Jahreswechsel 2020/21 übertroffen. Ein Ende ist nicht in Sicht. Das Fehlen von Konzepten zerstört das Vertrauen auf Finanz- und Währungspolitik.

Staatsschulden in Prozent des BIPs

Langfristzinsen in Prozent

140

Corona-Krise

Zweiter Weltkrieg

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Finanzkrise

Weltwirtschaftskrise

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Erster Weltkrieg

Staatsschuldenquote

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Zinsen

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0 Quelle: IMF/Die Presse

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KO M M E N TA R

Partei ergreifen Die Proteste gegen „Corona“ zeigen, wie wichtig es ist, dass eine politische Partei die Kritik aufgreift. Sie bestätigen auch, dass es für die Partei besonders bedeutsam ist, zu lernen, dass Politik nicht nur im Parlament gemacht wird.

D

VON HEINRICH SICKL

as Telefon klingelt. Der Einsatzleiter hebt ab, dran hat er eine Abgeordnete einer Partei, die sich bei ihm erkundigt, was da gerade abgehe. In diesem Fall: ein Polizeieinsatz bei einer linksextremen Demonstration in Innsbruck. Der „schwarze Block“ in der Tiroler Hauptstadt besteht eben nicht nur aus der ÖVP, sondern in dem Moment aus Autonomen, die ihr Mobilisierungsthema Abschiebungen aggressiv auf die Straße tragen. 15 Festnahmen, mehr als 100 Anzeigen sind beim Thema „Grenzen töten“ die Folge. Die Polizei hat alle Hände voll zu tun, sie wurde ja auch aus der Demo angegriffen, erklärt sie. Da klingelt das Telefon.

Aufeinander aufpassen 27 Sekunden lang dauert das Telefonat, meint die grüne Abgeordnete nachher, alles kein Grund für eine parlamentarische Anfrage, sie habe sich nur beim Einsatzleiter erkundigen wollen, was da los sei. Keine Antwort bekommen? Alles gut. Der professionelle Einsatzleiter hatte keinen Grund, einer grünen Nationalratsabgeordneten etwas zu erklären. Aber er hat sicher deutlich verstanden, dass hier jemand Partei ergreift. Linke Demo, Probleme, Grün fasst sofort nach bei der Polizei. Der Symbolwert ist ähnlich, wie wenn man mit dem

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Hund spazieren geht, der an seiner Ecke markiert. Das Zeichen ist klar: Ich bin hier. Ich schau hin. Passt auf, was ihr macht – meint es, sagt es auch recht explizit. Es zeigt, die Alarmkette aus der linken Szene hinein in die Partei hat funktioniert … Nun sind die Grünen da sehr vorbildlich. Es ist ihnen klar, dass sie nicht nur Partei sind, die sich in den Gebietskörperschaften breitmacht, Hände hebt bei Abstimmungen, Jobs zu vergeben hat. Sie kommen vielfach aus diversen sozialen Bewegungen oder auch linksextremen Zusammenhängen, sie vergessen nicht, dass der Fisch nur im Wasser schwimmt. Und ihr Umfeld ist eben nicht ein klassisches politisches Lager, das erodiert, sondern eine Vielzahl an Gruppen und Initiativen, für die sie Partei ergreifen. Und das mit wesentlich weniger Scheu als alle anderen in der Republik. Der kürzeste Weg von links nach linksextrem führt in der Republik über die Grünen – und das über ganz wenige Ecken.

Rechte Zivilgesellschaft in Aktion Die kleine Schamlosigkeit ist ihnen verziehen, weil niemand hinschaut und keiner hinzeigt, wenn die Grünen mit ihrer linken Zivilgesellschaft spielen. Der Mechanismus FR E I L I CH


der Ausgrenzung funktioniert am anderen Ende des politischen Spektrums dagegen mit Schnappatmung. Bei den Freiheitlichen kann man beobachten, wie sie von ihrem Lager abgeschnitten werden sollen. Wie erpicht linke Medien darauf sind, Partei und Aktivismus getrennt zu halten. Dass das Magazin „profi l“ letzthin erstmals beschrieben hat, dass es eine „rechte Zivilgesellschaft“ im Land gibt, ist da schon als anerkennender Tabubruch zu werten, der gerade die Freiheitlichen lehren müsste, dass sie Partei ergreifen dürfen, müssen und sollen. Corona-Demo in Wien. Die türkisund grünautoritäre Regierung hat jeden Protest gegen ihre Lockdownmaßnahmen verboten. Auf der Straße setzt sie diesen Anspruch polizeistaatlich mit Zwang durch. Nun, sie versucht es: In den etablierten Medien gibt es da natürlich keine Nachfragen zu Kesseln, Greiftrupps und gescheiterter Polizeistrategie. Gescheitert auch deswegen, weil die Bürger nicht folgen, weil sich ein patriotischer ziviler Ungehorsam breitmacht, der Protest auch dann auf die Straße trägt, wenn Karl Nehammer „Nein“ sagt und die Polizei aufmarschieren lässt. Der sich auch nicht beeindrucken lässt von dem, was die etablierten Medien – frei nach den Presseaussendungen der Polizei – über den Protest lügen. Die Kluft zwischen veröffentlichter Meinung und Realität auf der Straße wird selten so klar wie hier am Ring beim Protest gegen die Regierung und ihre CoronaMaßnahmen, gegen einen Lockdown, der Freiheit und Wirtschaft stranguliert. Und siehe da: Die Bewegung, sie hat nicht nur Mut. Sie hat auch Unterstützung. Die FPÖ, die sich sonst gern in für sie sinnlose Distanzierungen treiben lässt, meldet nach dem Verbot aller Demonstrationen selbst eine an – die genauso verboten wird. Herbert Kickl richtet eine solidarische Botschaft an die Menschen, die sich dann tatsächlich versammeln werden. Und verstehen und spüren, wie wichtig es ist, dass der Vertreter einer parlamentarischen Partei auf ihrer Seite ist. Ein Zeichen dieses Verständnisses ist dann ein riesiges N ° / 12 / M A I 2021

Transparent auf einer der Antiregierungsdemonstrationen in Wien, auf dem „Kurz wegkickln“ steht. Auf der Demonstration, die von der Polizei eingekesselt wird, sind auch drei Abgeordnete der freiheitlichen Partei. Sie zeigen, dass es nicht „der Staat“ ist, der sich hier gegen die Menschen stellt, sondern eine repressive türkis-grüne Politik, die die Polizei instrumentalisiert. Die Freiheitliche Partei ist hier mutig und tut, was ihr Name ihr gebietet: Sie steht für die Freiheit im Land. Das heißt: Sie ergreift Partei, sie versteht, dass demokratische Politik auch auf der Straße gemacht wird, sie beginnt zu begreifen, dass ziviler Ungehorsam notwendig und politischer Aktivismus gut sein kann. Sie sitzt nicht nur in Gebietskörperschaften, um Sessel zu wärmen. Als Partei ist sie nun nicht mehr nur Opposition im Parlament, sondern gibt dem Volk auf der Straße eine Stimme. Sie ergreift Partei, stellt Anfragen zum Thema im Parlament, meldet Kundgebungen an, politisiert den Protest – und nützt die Chance.

KO M M E N TA R

Linke Demo, Probleme, Grün fasst sofort nach bei der Polizei. Der Symbolwert ist, wie mit dem Hund spazieren gehen, der an seiner Ecke markiert.

Heinrich Sickl wurde 1973 in Kärnten geboren. Er lebt mit seiner Familie in Graz und leitet als Geschäftsführer die Freilich Medien GmbH. freilich-magazin.at

Fürchtet Euch nicht! Ergreift Partei! Dem Mutigen gehört die Welt, und wer Partei ergreift, stellt sich hinaus und wird dankbar angenommen von denen, denen die Regierung und auch die Medien längst keine Stimme mehr geben wollen. Die FPÖ als Bewegungspartei ist so auch eine riesige Chance für mehr demokratische Auseinandersetzungen und die Repräsentation einer breiten Zivilgesellschaft, die die nach links verschobene Republik wieder ins Lot bringt. Wenn die Partei Partei ergreift, wird sie sich als Bewegung wieder stabilisieren und auch neue Menschen jenseits ihres „Lagers“ ansprechen. Als Bewegungspartei wird sie auch eine wesentlich wichtigere Rolle in der Republik spielen, eben weil sie Demokratie aktiv mitgestaltet und institutionell legitimiert. Zum Schrecken der Sicherheitssimulation, für die Kurz, Nehammer und die grünen Stiefelträger stehen, die sich alle vor einer rechten Zivilgesellschaft fürchten. Für die Freiheitlichen ist der Lernprozess eine Chance: Fürchtet euch nicht! Ergreift Partei!

FREILICH P O L I T I KO N

Wir können die Freiheit nur erhalten, wenn es Grenzen gibt. Heinrich Sickl Das Lob der Grenze FREILICH Medien, Graz 2020, 96 Seiten ISBN 978-3-20007-260-2 A € 9,50 / D € 9,50

Im FREILICH-Buchladen erhältlich. freilich-magazin.at/buchladen

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Foto: iStock / Imgorthand

POLITIK

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POLITIK

Die Fahrt in der Achterbahn „Corona“ verschärft die Widersprüche im Land. Wer glaubt, dass wir in die guten alten Zeiten von davor zurückkehren können, täuscht sich. VON ANDREAS UNTERBERGER

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Die Corona-Perspektiven Zentrale Frage ist derzeit, wie sich die Pandemie weiterentwickeln wird. Diese wird wohl noch eine Fülle von überraschenden Wendungen bringen. Zum Positiven wie zum Negativen. Zweifellos werden pharmazeutische und medizinische Wissenschaft weitere beeindruckende Fortschritte erzielen, aber ebenso gewiss ist, dass es noch eine längere unübersichtliche Holperstrecke mit Pannen und Rückschlägen geben wird.

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Es ist keine Panikmache, sondern Faktum, dass Österreich wie fast der ganze Rest der Welt seit 2020 die weitaus schwerste Depression seit Kriegsende durchmacht.

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ief im zweiten Jahr der Pandemie ist es schwer, anders als mit Depression in die Zukunft Österreichs zu blicken – egal, ob man in die Zukunft des Gesundheitssystems, der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung Österreichs, seiner fundamentalen Probleme von Migration bis Pension, der Inflationsgefahren oder des demokratisch-rechtsstaatlichen Systems insgesamt zu blicken versucht. Wenig Trost bietet die Tatsache, dass auch fast alle anderen EU-Staaten ähnlich schlechte oder noch schlechtere Perspektiven haben. Nur einige Länder, wie Polen oder Ungarn, haben einen Horizont, der nicht finster und wolkenverhangen ist. Auch die Schweizer sowie einige weitere Völker in Nord- und Mittelosteuropa können etwas optimistischer sein. Auffallend ist, dass die Länder mit besseren Perspektiven allesamt durch ein überdurchschnittlich starkes Nationalbewusstsein geprägt sind, das sich oft als starker Motor und Erfolgsrezept erweist.

Wir sollten uns wohl eher auf ein dauerhaftes Leben mit dem Virus als auf das erhoffte schöne Alles-ist-wie-früher-Leben nach dem Virus einstellen. Das könnte etwa die dauerhafte Notwendigkeit jährlicher Impfungen oder Konsumation von Vorbeugemedikamenten bedeuten. Ebenso sind die Auswirkungen der Corona-Krise in anderen medizinischen Feldern noch offen. Sind da nicht viele andere Krankheiten gefährlich übersehen worden? Wie geht es mit den psychischen und sozialen Folgen einer so langen Phase, da körperliche Nähe, da der Kontakt zwischen den Generationen, ja fast jede Begegnung mit anderen Menschen, also urmenschliche Bedürfnisse, zu etwas prinzipiell Schlechtem gestempelt worden sind? Manche Corona-Aufregungen sind gewiss nur politmediale Blindgänger. Vielfach ist die Krise als Chance genutzt worden, um im Eigeninteresse Alarm zu schlagen, um etwa für Frauenhäuser oder Kinderpsychiatrie mehr Subventionen zu fordern. Auch die Medien sind nur an größer, nie an kleiner gewordenen Problemen interessiert, die es zweifellos auch als Corona-Folgen gibt. Typisches Beispiel: Als im Herbst 2020 eine Anwaltskanzlei trompetete, der Lockdown habe zu einer Zunahme der Scheidungen geführt, war das in allen Medien eine große Story. Als dann die wirklichen Zahlen einen signifikanten Rückgang der Scheidungen im ersten Corona-Jahr zeigten, interessierte sich niemand dafür. Haargenau das Gleiche spielte sich mit einer angeblichen Zunahme von „Gewalt an Frauen“ ab. FR E I L I CH


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POLITIK

Zwei oder mehr Freunde regieren das Land und versuchen, es durch die Krise zu führen.

Proteste sind da nicht gern gesehen. Vor allem, weil sie ja nicht „Corona“ anzweifeln, sondern die Maßnahmen.

It’s the economy! Viele andere Perspektiven verdüstern sich aber tatsächlich. Vor allem auf jenem Feld, das schon immer – neben Krieg und Frieden, neben Recht und Ordnung – das wichtigste jeder Gesellschaft gewesen ist, also auf dem der Wirtschaft. „It’s the economy, stupid!“ Es ist keine Panikmache, sondern Faktum, dass Österreich wie fast der ganze Rest der Welt seit 2020 die weitaus schwerste Depression seit Kriegsende durchmacht, dass ausgerechnet die von Grünen oft verdammte Industrie bewirkt hat, dass der Absturz im Tourismus- und Kulturland Österreich nicht schlimmer ausgefallen ist als im EU-Durchschnitt. Es wäre naiv, zu hoffen, nach „Corona“ würde alles wieder gut. Die Wunden, welche die Pandemie und die globalen wie nationalen Reaktionen darauf gerissen haben, werden gesamtgesellschaftlich noch viel schlimmer als die reinen Gesundheitsfolgen.

Zurück in die Zwischenkriegszeit Auf der Suche nach vergleichbaren Situationen stößt man bald auf die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg und der letzten ganz schlimmen Pandemie. Auch damals hat man geglaubt, die Zerstörungen durch Krieg und Pandemie würden bald überwunden sein. Man stürzte sich mit Jubel und Trubel in die „Goldenen Zwanziger“ und merkte nicht, wie der Boden, auf dem man tanzte, hohl geworden war. Die Ökonomen, die vor den Folgen warnten, wurden ignoriert. Europas Regierungen glaubten, durch hemmungsloses Bedienen der Gelddruckmaschinen N ° / 12 / M A I 2021

EUROPA 2030

Wohin steuert Europa? Wie werden wir, unsere Kinder und Enkelkinder in neun Jahren leben? Zwölf Autoren aus dem konservativen und liberalen Spektrum wollen Antworten geben. Werner Reichel (Hg.) Europa 2030 Frank & Frei, Wien 2020, 250 Seiten. ISBN 978-3-903236-36-3 A € 19,90 / D € 19,90

Im FREILICH-Buchladen erhältlich: freilich-magazin.at/buchladen

könnten die katastrophalen ökonomischen Folgen des Krieges kompensiert werden; die kriegsbedingte Verelendung des Mittelstandes sei nur ein kleiner Kollateralschaden. Man zahlte halt Millionen für einen Laib Brot und amüsierte sich. Bis dann unweigerlich der große Krach kam, mit Massenarbeitslosigkeit, der Zerstörung des Glaubens an Marktwirtschaft und liberale Demokratie und den bedrückenden Erfolgen der beiden übelsten Verbrechensideologien der Neuzeit. Erst mit der absoluten Nullstufe im Jahr 1945 kehrte die drei Jahrzehnte lang vertrieben gewesene Vernunft zurück. Man erkannte in breitem Konsens, dass nur eigene Anstrengung und Leistung, eine freie Marktwirtschaft und eine schlanke Verwaltung, persönliche Disziplin und nationaler Zusammenhalt, Rechtsstaat und Demokratie, Menschenrechte und Freiheit in all ihren Ausprägungen wieder nach oben, wieder zu einer gelingenden Gesellschaft führen können. Man erkannte, wie wichtig der gemeinsame Unterbau aus Christentum, antiker Philosophie und den Errungenschaften der Aufklärung ist. Man wurde sich bewusst, dass das hemmungslose Gelddrucken und die Radikalisierungen ein furchtbarer Irrweg gewesen waren. Dass diese weder Wohlstand noch Stabilität schaffen, sondern nur zerstören können.

Die Fundamente des Landes brechen auseinander Viele Teile dieser historischen Lehren sind seither aber wieder in Vergessenheit geraten. In Österreich gibt es keine einzige Partei mehr, die uneingeschränkt für

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POLITIK

Was sagt es über eine Regierung aus, wenn ausgerechnet der Gesundheitsminister in der Krise wegen seiner Gesundheit zurücktreten muss?

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all diese so wichtigen Grundelemente einer funktionierenden Gesellschaft stehen würde. Ohne eine tiefe Verwurzelung des Bewusstseins um die Voraussetzungen eines gelingenden Gemeinwesens in den Bürgern und den politmedialen Machtklassen ist eine langsame und stetige Erosion von Stabilität, Vertrauen und Wohlstand unvermeidlich. Diese Erosion wird heute etwa sichtbar, wenn die Regierung den Bürgern vorschwindelt, jeder Schaden durch die Krise werde von ihnen ferngehalten werden, „koste es, was es wolle“, was nichts anderes bedeutet als die Rückkehr des Glaubens, dass man durch weiteres Gelddrucken die negativen Folgen einer Krise wegzaubern könnte; wenn sämtliche Oppositionsparteien darum wetteifern, immer neue ökonomische Opfer der Krise zu finden, die noch zu entschädigen seien, statt vehement dieses Prinzip „Whatever it takes“ zu kritisieren; wenn der Staat sogar ausgebliebene Trinkgelder durch ein weiteres Millionenprogramm ersetzt; wenn niemand es als bedenklich ansieht, dass trotz Krise viele Pensionen um das Doppelte der Inflationsrate erhöht werden; wenn die Verkehrsministerin, ohne einen einzigen

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demokratischen Beschluss in Regierung oder Parlament zu haben, in der EU das baldige Verbot des Verkaufs von Diesel- und Benzinautos verlangt; wenn vertrauliche Vieraugenkonversationen zwischen Bundes- und Vizekanzler zum allgemeinen Gespött an die Öffentlichkeit gezerrt werden; wenn die Meinungsfreiheit massiv eingeschränkt und Versammlungen aufgelöst werden; wenn die Regierung – jede bisherige Regierung! – einem Medium, das Marktanteile von weniger als einem Drittel hat, die Einhebung von Zwangsgebühren erlaubt; wenn der Verfassungsgerichtshof sich wie bei der Einführung der „Homoehe“ ständig in brutaler Verletzung der Gewaltentrennung als Ersatzgesetzgeber betätigt und auch als Türöffner für die illegale Massenmigration nach Österreich, die von zwei Dritteln der Österreicher abgelehnt wird; wenn sich Parlamentsausschüsse in spiegelverkehrter Verletzung der Gewaltentrennung in ein Tribunal verwandeln und Inquisitionsjustiz betreiben; wenn (wie nach dem Ersten Weltkrieg!) Vermieter durch Einfrieren der Mietzinsen de facto enteignet werden; wenn Bundes- und Landesregierungen und – noch FR E I L I CH


POLITIK

mehr – das Wiener Rathaus ungestraft alljährlich dreistellige Millionenbeträge aus dem Steuertopf zur Bestechung parteipolitisch willfähriger Medien und Finanzierung parteinaher Vereine stehlen; — wenn in den letzten Jahren drei Parteien an der Regierung beteiligt waren – Schwarz, Blau, Grün –, die alle vor der Wahl mehr direkte Demokratie versprachen, diese Versprechungen aber eiskalt vergessen haben, sobald sie an der Macht waren. Diese Aufzählung ließe sich noch lange fortsetzen. Sie macht extrem pessimistisch für die Zukunft Österreichs, für das Funktionieren des Staates und noch mehr für das Vertrauen der Bürger in denselben. Was heißt nun das alles für die Regierungs- und Oppositionsparteien?

Die Regierung

Die Volkspartei befindet sich nach wie vor, auch im internationalen Vergleich, auf sehr hohem Niveau, fast auf dem des letzten Wahltages, auch wenn die Spitzenwerte der ersten Corona-Wochen wieder abgeschmolzen sind. Die ÖVP hat dieses Niveau zweifellos Sebastian Kurz zu verdanken, der in Sachen Ausstrahlung und Kommunikation nach Bruno Kreisky und Wolfgang Schüssel einer der drei stärksten Bundeskanzler der letzten 60 Jahre ist. Er hat seinen Erfolg vor allem dadurch erzielt, dass er die ÖVP auf Anti-Migrationskurs gebracht hat. Kurz hat aber seine Partei zugleich taktisch in eine Sackgasse gebracht. Nach dem Scheitern der Koalitionen mit SPÖ und dann FPÖ hat er sich auf ein leichtfertiges Abenteuer mit der am weitesten links stehenden Partei des Landes eingelassen, einlassen müssen. Davor hatte er aber den Wählern versprochen, eine Mitte-rechts-Politik zu machen. Das ist ein Widerspruch in sich. Woran es nichts ändert, ist, dass Schwarz und Grün eher Oberschichtparteien sind. Diese Koalition hat durch „Corona“ vorerst noch unerwartetes Glück gehabt. Denn bei „Corona“ gibt es nicht die sonst in allen anderen Fragen bestehenden ideologischen Differenzen. ÖVP und Grüne konnten deshalb anfangs relativ harmonisch auftreten, was die Wähler immer freut. Zwar haben sich die von den Grünen gestellten Minister als Leichtgewichte erwiesen. Aber auch Kurz kann angesichts des Plagiatsrücktrittes einer Ministerin und der jämmerlichen Performance der Verteidigungsministerin nicht sonderlich mit dem eigenen Team protzen. Dauerhaft wird aber die Corona-Krise nicht überdecken können, wie weit Grüne und Schwarze/ Türkise in allen fundamentalen Fragen voneinander entfernt sind (auch wenn es eine dümmliche Verschwörungstheorie ist, dass Corona nur deswegen inszeniert worden sei, um diese Differenzen zu überdecken). Die ungeheuren wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise sind langfristig sogar zusätzliche Spaltpilze, da sie N ° / 12 / M A I 2021

Dauerhaft wird die Corona-Krise nicht überdecken können, wie weit Grüne und Schwarze/ Türkise in allen fundamentalen Fragen voneinander entfernt sind.

nach aller ökonomischen Vernunft zu einem umfangreichen Sparprogramm zwingen, wenn man die Inflationsgefahr und den Verlust der Wettbewerbsfähigkeit vermeiden will. Das größte Problem dieser Koalition besteht darin, dass die Grünen eine linksradikale Partei sind, die auch extremistische Elemente zumindest als Wähler zu halten versucht. Sie braucht diese Wähler dringend, hat sie doch zum Unterschied von der ÖVP schon sehr spürbare Verluste bei Umfragen erlitten. Insbesondere die NEOS haben angefangen, gezielt im grünen Linksaußen-Teich zu fischen. Etliche Protestwähler, die immer gegen alles sind, was der Staat verlangt, sind sogar von den Grünen zur FPÖ gewechselt. Auch einige überzeugte Linke sind von den Corona-Maßnahmen so schwer getroffen, dass sie die SPÖ verlassen, die von einer Befürworterin der Maßnahmen geführt wird. Am problematischsten an dieser Linksradikalität der Grünen sind ihre massive Unterstützung für Migranten aller Art und ihr Kampf gegen fast jede einzelne Abschiebung. Deswegen werden sie wohl auch keinem einzigen Gesetz zustimmen, das die Migration bremsen könnte. Selbst, wenn das zur irrwitzigen Situation führt, dass ein illegaler Migrant nur den CoronaTest zu verweigern braucht, und schon ist er vor der Abschiebung sicher. Der Druck der illegalen Migranten in Richtung der westlichen Wohlfahrtsparadiese ist so groß, die Wege, Behauptungen und Tricks der Schlepper sind so vielfältig, dass der Schutz der Österreicher dagegen immer wieder neue Gesetze erfordern würde. Dafür bräuchte die ÖVP die Zustimmung der Grünen. Sie wird diese aber nie und nimmer bekommen. Daher kann sie maximal nur das tun, was auf Grundlage früherer Gesetze möglich ist. Damit wird das Migrationsthema für die ÖVP immer giftiger werden.

Die Regierungsformel funktioniert nicht Der Spruch „Das Beste aus zwei Welten“, mit dem Kurz und Werner Kogler das Zusammengehen zweier so heterogener Parteien schönzureden versucht haben, erweist sich als hohle Phrase. Sie haben so getan, als ob die Schwarzen ungeschmälert Anti-Migrationspartei bleiben und die Grünen zugleich ohne Rücksicht auf Wirtschaft und Bürger das „Weltklima retten“ könnten. Bei der „Klimarettung“ droht der Koalition eine fast noch tiefere Kluft als beim Migrationsthema. Die Grünen fordern viele Maßnahmen, die katastrophal für Staatsfinanzen, Wirtschaft und Bürger sind. Besonders militant kämpfen sie gegen das Auto, also gegen das, was mehr Menschen Freiheit gebracht hat als jede andere Erfindung. Sie kämpfen damit besonders gegen die ÖVP-Wähler, die vor allem außerhalb der Städte wohnen und daher das Auto brauchen.

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Die Alternativlosigkeit Ein noch stärkeres Motiv, doch zusammenzubleiben, ist die von beiden Koalitionsparteien gespürte Alternativlosigkeit: — Die Grünen wissen: Es hat seit ihrer Gründung noch nie die so inständig ersehnte linke Mehrheit gegeben. Fast scheinen Schwarz-Blau einerseits und Rot-Grün-

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24 %

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NEOS

GRÜNE

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SPÖ

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ÖVP

Genauso schlimm wird der grüne Klimakampf insbesondere die Industrie treffen. Die Grünen argumentieren, dass die Industrie zu viel Energie verbrauche. Dieser Kampf deckt sich bezeichnenderweise vollkommen mit dem langjährigen Kampf aller Linksradikalen gegen Wirtschaft und insbesondere Industrie. Früher haben sie dabei halt marxistische, klassenkämpferische Parolen geschwungen. Das Ziel der Zerstörung der Wirtschaft wie auch der Freiheit der Menschen ist aber das gleiche geblieben. Von der Diktatur des Proletariats führt der Weg nahtlos zur Diktatur der Klimaideologie. Sollte die ÖVP wirklich den Grünen sowohl die Wirtschaft wie auch das Auto wie auch ihren bisherigen Abwehrkampf gegen die Migration aus Afrika und Asien opfern (wozu man noch vieles anderes, wie etwa die von den Grünen vehement bekämpften Gas- und Ölheizungen in privaten Häusern, zählen müsste), dann braucht die ÖVP eigentlich gar nicht mehr zur nächsten Wahl antreten. Sebastian Kurz dürfte zu klug sein, um diese Gefahr nicht zu erkennen. Daher sind Riesenkonflikte in der Koalition unvermeidlich, weil auch das Rezept nicht funktionieren kann, dass man halt den grünen Verrücktheiten ein paar Milliarden an weiteren Schulden opfert. Das geht nach „Corona“ schon gar nicht. Andererseits können aber auch die Grünen nicht nachgeben. Verlieren sie doch in Österreich bei allen Umfragen gegenüber den letzten Wahlen signifikant – während die deutschen Grünen auf der Erfolgsspur sind. Das hält keine Partei auf Dauer aus. Das wird dazu führen, dass die Kogler-Partei in der Koalition härter wird. Das erinnert an die Vorgänge in der FPÖ rund um Knittelfeld: 2002 haben schlechte Umfragewerte des kleinen Koalitionspartners zu einer Explosion geführt. Und die Grünen haben wie die Blauen sehr emotionale Wähler. Das muss jetzt zwar nicht automatisch wieder in eine Explosion münden, aber Tatsache ist auch: Zwischen ÖVP und FPÖ hat es damals weit mehr inhaltliche Gemeinsamkeiten gegeben als heute zwischen Schwarz-Türkis und Grün. Die Koalition wird jedenfalls extrem unrund werden, wenn auch wohl noch eine Zeit lang weitergehen. Bei aller Irrationalität eines Teils der grünen Wählerschaft dürfte die Lust der grünen Parteispitze an der Machtausübung und allen mit ihr verbundenen Möglichkeiten, Privilegien und Geldflüssen ein starker Magnet sein, doch in der Regierung zu bleiben.

BEWEGUNG IN ÖSTERREICH

Laut einer am 10. April 2021 in „Profil“ veröffentlichten Umfrage von Unique Research wäre die ÖVP mit 33 % der Stimmen stärkste Partei geworden, wenn am Sonntag nach der Befragung bereits Nationalratswahl in Österreich gewesen wäre. Damit hätte sich die Partei aber gegenüber ihrem Wahlergebnis vom 29. September 2019, als sie 37,5 % der Stimmen erhielt, verschlechtert. Dahinter folgen die SPÖ mit 24 % und die FPÖ mit 19 % Stimmenanteil.

Pink andererseits kommunizierende Gefäße zu sein, wobei der Inhalt des rechten Gefäßes immer etwas größer bleibt (allerdings gibt es soziologisch deutliche Verschiebungen: Etliche Söhne und vor allem Töchter aus dem Bürgertum wandern im städtisch-studentischen Bobo- und Kunstszenen-Milieu nach links, aber andererseits haben die Rechtsparteien mindestens ebenso viel Zulauf von aufsteigenden Arbeitern, Angestellten und Pensionisten). — Die ÖVP wiederum weiß: Sie hat binnen weniger Jahre mit Rot wie Blau gebrochen. Eine Rückkehr zu einem der beiden Expartner ist daher zumindest kurzfristig undenkbar, egal, wer an den früheren Koalitionsbrüchen schuld gewesen ist. Es wäre zugleich eine Imagekatastrophe für die ÖVP, würde sie zum dritten Mal hintereinander mitverantwortlich an der Notwendigkeit vorzeitiger Wahlen. Das könnte in den Wählern den Eindruck erwecken, dass offenbar doch die Volkspartei das Problem sei, weshalb Koalitionen nicht funktionieren. Trotz all dem überlegt man bei Schwarz wie Grün ständig, ob sich nicht irgendwo eine Alternative zur totalen Blockade auftun könnte. So hofft jeder Grünenpolitiker insgeheim, dass sich vielleicht doch einmal die Chance auf eine linke Mehrheit eröffnet. Nicht zuletzt aus diesem Grund versuchen die Linksparteien und ihre Speerspitzen in ORF und Staatsanwaltschaft fast rund um die Uhr, einerseits die ÖVP mit Skandalen in Verbindung zu bringen und andererseits die FPÖ als rechtsextremneonazistisch zu denunzieren. Die Wähler ließen sich dadurch jedoch bisher nicht täuschen. Allerdings haben sich auch die gegenseitigen Aggressionen zwischen ÖVP und FPÖ ständig erhöht, werden doch von beiden die Vorwürfe gegen die jeweils andere Partei munter geteilt, was der Kampagne der Linksparteien zusätzliche Wirkung verschaffen könnte. Weder Schwarz noch Blau begreifen, dass es die gleiche linke Kampagne ist, die abwechselnd eine von ihnen trifft. Während die Grünen weiter auf das Wunder einer linken Mehrheit hoffen, hoffen manche in der ÖVP – wie schon vor der letzten Wahl – auf eine Koalition mit den NEOS als vierte und allerletzte Möglichkeit. Aber die Hoffnung auf eine schwarz-pinke Mehrheit ist fast ebenso unrealistisch wie die linken Träume von einer Volksfront. Diese ÖVP-Hoffnungen übersehen nämlich etwas: Die NEOS sind inzwischen deutlich nach links marschiert und wären daher ein mindestens ebenso schwieriger Koalitionspartner wie die Grünen.

Die Opposition Damit sind wir bereits bei einer Oppositionspartei gelandet. Die angesprochene Linksentwicklung der NEOS hat drei Ursachen: — Personell ist sie Folge der Aufwertung der beiden FR E I L I CH


Foto: Franz Perc / Alamy Stock Foto

POLITIK

Auf der einen Seite gibt es fette Förderungen für die Medien vonseiten der Regierung, auf der anderen Seite glauben immer weniger Menschen diesen Medien.

linksradikalen Frauen Krisper und Gamon nach dem eher esoterisch angehauchten Parteigründer; — ideologisch gibt es mit einer oder zwei Ausnahmen bei den NEOS niemanden mehr, der eine innere Beziehung zum klassischen Liberalismus hätte (von dem Österreich so dringend mehr bräuchte!). Sowohl im Hinblick auf Wirtschaftsliberalismus – Lobbyismus für Hoteliersinteressen ist freilich das Gegenteil davon! – wie auch im Hinblick auf das Freiheitsverlangen im Sinne von 1848. Unterstützen doch die NEOS ständig alle Rufe nach noch mehr Regulierung und noch mehr EU-Zentralismus. Von ihrem Radikalfeminismus und der radikalen Migrations-Unterstützung ganz zu schweigen; — taktisch haben sich die NEOS sogar ganz bewusst nach links bewegt: Sie holen damit einige linksradikale Protestwähler aus dem grünen Wählerreservoir ab. Auch die Hoffnungen der beiden anderen Oppositionsparteien auf eine Rückkehr zur Macht sind derzeit nicht sonderlich groß. Nicht ganz auszuschließen ist allerdings ein Zusammengehen von Rot und Blau. Das hat es nicht nur im Burgenland schon gegeben (durch einen Rechtsruck der SPÖ), sondern einmal auch auf Bundesebene (durch einen Linksruck der FPÖ). NachN ° / 12 / M A I 2021

Ideologisch gibt es mit einer oder zwei Ausnahmen bei den NEOS niemanden mehr, der eine innere Beziehung zum klassischen Liberalismus hätte.

haltig oder wählerattraktiv waren beide Koalitionen freilich nicht, vor allem nicht für die Freiheitlichen. Ihre Partei lag jedes Mal in Trümmern, auch wenn man den Zerfall der Burgenland-FPÖ anderswo kaum registriert. Unbestreitbar ist allerdings, dass Rot wie Blau trotz der gegenseitig polarisierenden Propaganda eines gemeinsam haben: einen deutlichen Hang zum Populismus. Und noch etwas haben SPÖ und FPÖ derzeit gemeinsam – freilich etwas, das jede Koalition erschwert: Da wie dort toben ziemlich offen Personal- wie Ideologiedifferenzen. Außerdem würden Rot und Blau für eine Mehrheit gegen die ÖVP auch noch die Grünen brauchen. Die aber sind absolut unvereinbar mit der FPÖ. Die FPÖ ist derzeit ganz vom persönlichen wie inhaltlichen Antagonismus der Herren Kickl und Hofer erschüttert. Die von Herbert Kickl betriebene Corona-Radikalisierung kommt zweifellos bei einem Teil der Parteifunktionäre gut an – sie reduziert aber die Chancen der Partei, wieder regierungsfähig zu werden. Innerparteilich dürfte Hofer den Konflikt dennoch schon verloren haben, obwohl er die einzige strategische Perspektive für die Partei verkörpert, wieder an

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POLITIK Foto: imago / SKATA

Herrschaft ist vor allem Inszenierung: Der Bundeskanzler präsentiert die Kampagne mit dem Babyelefanten.

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Wie also könnte es weitergehen in Österreich? In vielerlei Hinsicht dürfte anhaltender Frust die dominierende politische Gefühlslage werden.

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die Regierung zu kommen. Offen ist nur, ob Kickl den Weg Jörg Haiders gehen wird. Dieser hat ja auch einst durch scharfe Radikalisierung den Aufstieg an die Parteispitze geschafft und ist dann in späteren Jahren staatstragend geworden, was aber bei Teilen der FPÖWähler unerwünscht ist. Wohl dürfte Kickl mit seinen radikalen Corona-Tönen auch etliche Sympathisanten von ganz links angezogen haben. Aber zugleich hat sein Corona-Kurs viele bürgerliche Wähler massiv verschreckt, die bei Wahlen immer zwischen Schwarz und Blau pendeln. Sie haben für die Freiheitlichen votiert, als sich die ÖVP nicht klar gegen die Migration gestellt und zu sehr an die SPÖ gebunden hat. Sie haben sich 2019 wegen des doppelten Strache-Skandals (mehr noch wegen der Spesen-Geschichten als wegen Ibiza, das ja sofort nach einer üblen linken Falle gerochen hat) wieder von der FPÖ abgewandt. Durch diese Kickl-Kursänderung kommen die traditionellen Werte der FPÖ zu kurz, ja eigentlich gar nicht mehr vor, die ihr seit der Mutation von einer deutschnationalen zu einer konservativen Bewegung viele Sympathien eingebracht haben. Das waren: Migrationskritik (womit die FPÖ den Kurswechsel der ÖVP erzwungen hat); „Law and Order“ (was ein Gegensatz zu unerlaubten Demonstrationen ist); Kritik an den (gerade jetzt eigentlich besonders offenkundigen) Fehlentwicklungen der EU; betonter Österreich-Patriotismus; Engagement gegen ORF-Zwangsgebühren und betonte Rücksicht auf die Älteren (wo ja die Corona-Ängste besonders groß sind). Aber auch bei der SPÖ, der größten Oppositionspartei, gibt es durch die Corona-Krise ganz ähnliche Probleme. Auf der einen Seite hat sich Parteichefin Rendi-Wagner als prononcierteste Vertreterin scharfer Pandemie-Maßnahmen etabliert. Es hat ihr eindeutig Punkte gebracht, dass ihre ureigenste, früher immer am Rand gelegene Spezialisierung über Nacht ins Zentrum gerückt ist. N ° / 12 / M A I 2021

Andreas Unterberger war 14 Jahre lang Chefredakteur von „Presse“ bzw. „Wiener Zeitung“. Er schreibt unter andreas-unterberger.at sein „nicht ganz unpolitisches Tagebuch“, das heute Österreichs meistgelesener InternetBlog ist.

Aber in der SPÖ haben sich dennoch etliche Landeshauptleute und Landesorganisationen öffentlich gegen allzu scharfe Maßnahmen gestellt. Das hat brutal gezeigt, dass Rendi selbst dort, wo sie die größte persönliche Kompetenz aller Politiker hat, innerparteilich nicht sonderlich ernst genommen wird. Zugleich agiert die Bundes-SPÖ zum Unterschied von mehr basisverbundenen SPÖ-Teilen in vielen anderen Fragen ziemlich links, siehe etwa ihre Unterstützung für Migration, Kampffeminismus und Schwulenbewegung. Die Sozialdemokratie ist aber auch europaweit in einer historischen Krise. Von Italien über Deutschland bis Frankreich stehen die Sozialdemokraten noch viel schwächer da als die SPÖ, haben zum Teil nur noch einstellige Prozentsätze hinter sich. Am erfolgreichsten sind hingegen ausgerechnet jene, die sich in Sachen Migration nach ganz rechts verschoben haben, wie etwa in Dänemark.

Was hat die größte Wahrscheinlichkeit? Wie also könnte es weitergehen in Österreich? In vielerlei Hinsicht dürfte anhaltender Frust die dominierende politische Gefühlslage werden. Angesichts der Alternativlosigkeit scheint aber ein Platzen von Schwarz-Grün unwahrscheinlich. Ebenso klar ist aber, dass die vielen Ärgernisse rund um die CoronaMaßnahmen, die katastrophalen wirtschaft lichen Perspektiven, die ständige linke Gehirnwäsche durch den ORF, die regierungsinternen Konfl ikte von Migration bis Planetenrettung, dass all das mittelfristig auch der ÖVP schaden wird. Vor diesem Hintergrund fällt auf, dass das persönliche Klima zwischen Sebastian Kurz und Pamela Rendi-Wagner in der Corona-Krise deutlich besser geworden ist. Ohne das angesichts der übrigen Konfl iktpunkte überbewerten zu wollen: Im politischen Leben tun sich bisweilen ausgerechnet jene Alternativen auf, die man am heftigsten abgeschrieben hat, und 2021/22 ist für Schwarz-Rot nicht mehr 2017, als man gescheitert ist …

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LE XIKON

WÖRTER BUCH DES HASSES Hassrede? Das schafft auch der politmediale Komplex mit einer beachtlichen Vielfalt an Floskeln und Griffen in seine Mottenkiste. FREILICH listet einige der perfidesten Tricks und widerlichsten Wörter auf. VON JULIAN SCHERNTHANER

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FR E I L I CH


LE XIKON

BESITZVERHÄLTNISSE

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AUSBOOTUNG

Wer gegen öffentliche Narrative verstößt, riskiert seine Anstellung. Nach dem Prinzip „Bestrafe einen, erziehe hundert“ entzog die Ärztekammer mehreren kritischen Medizinern die Approbation. Ähnlich verfuhr man mit einer Polizistin und einem Lehrer, die sich gegen die Corona-Regierungsmaßnahmen aussprachen. Alle diese Fälle sollen Exempel statuieren, damit sich ihre Berufskollegen – die oft systemrelevante Jobs mit wenigen Alternativen in ihrem Feld bekleiden – nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Anerkannten Forschern stellt man „Experten“ gegenüber, die ihre Fachmeinung herabwürdigen, oder erklärt sie überhaupt zu Aussätzigen, denen man besser keine Bühne bietet – beim Migrationsthema ebenso wie heute bei der Corona-Thematik.

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Alle fünf bis sieben Jahre treten große, globale Krisen auf; oft hatten die Mächtigen ihren Anteil an der Genese. Die Asylkrise eskalierte erst durch Merkels berüchtigte „Grenzöffnung“, in der Coronakrise richteten Lockdowns mehr gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Schaden an als das eigentliche Virus.

CORONALEUGNER

So brandmarken regierungstreue Medien gern alle Kritiker. Dabei zweifeln etwa unter zigtausenden Demogängern nur sehr wenige die Existenz des Virus an. Den Großteil machen kritische Bürger aller Denkrichtungen, Alters- und Berufsgruppen aus, die einen Querschnitt des Volkes abbilden.

c

Die Bezeichnung hat Kalkül: Leugnen kann man nur Fakten. Außerdem soll hier eine betonte Assoziation zur in Österreich und Deutschland strafbaren Holocaustleugnung hergestellt werden.

Gemeinsam haben diese Krisen, dass sie stark polarisieren, sich breiter Widerstand im Volk bildet. Regierende und ihre Einflüsterer wollen aber die alleinige Lösung für die hausgemachten Krisen. Also stilisieren sie die Protestbewegungen zum Bedrohungsszenario. Auf deren Wortführer kommen nicht selten an den Haaren herbeigezogene Strafverfahren und Medienkampagnen zu. Der Imageschaden ist später oft nicht mehr völlig reparabel, die Betroffenen sind dann „verbrannt“.

d

DEMOVERBOT

Die Versammlungsfreiheit ist ein Grundrecht – und gesinnungsblind. Laut einhelliger Judikatur gilt sie sogar für Akteure, welche unsere Grundordnung infrage stellen. Die öffentliche Sicherheit ist die einzige Hintertür, um sie dennoch auszuhebeln. Hier steht die Behörde eigentlich in der Beweispflicht, eine diffuse Sorge reicht nicht aus. Trotzdem wurden seit Ende Jänner regierungskritische Demos wegen des „Infektionsschutzes“ untersagt. Daraufhin kamen dennoch oft Abertausende von Bürgern, um ihren Unmut kundzutun. Die Folge war eine wahre Flut an Anzeigen gegen die Teilnehmer, zumeist wegen Verstößen gegen jene Verordnungen, gegen die sich der Protest richtete. Der Anzeigenflut bei diesen Demos standen null Anzeigen bei einer linken Kundgebung am Weltfrauentag gegenüber, obwohl auch dort Abstand und Maskenpflicht nicht eingehalten wurden.

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LE XIKON

e

EXTREMISMUSVORWURF

„Keine Toleranz für Extremisten, die Grundrechte missbrauchen“, gab Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) bereits im Jänner als Parole aus, ortete dort auch „Rechtsradikale und Leugner einer weltweiten Pandemie“. Ziel ist die Demobilisierung der Proteste. Als „Beleg“ für den schwammigen Vorwurf nannte er die programmatisch gewaltfreien „Identitären“ – obwohl diese die behördliche Extremismusdefinition mangels Ablehnung der demokratischen Ordnung oder Gewaltbereitschaft eigentlich verfehlen. Inhaltlich unterscheidet sich die als Strohmann für die „Gefährlichkeit“ erwähnte Gruppe kaum von der ÖVP: Wie die Politische Studie No. 1 von FREILICH nachwies, teilen sich Kurz-Partei und „Identitäre“ in allen Themen, wo es Schnittmengen gibt, Standpunkte und Rhetorik.

FRAMING

GEFÄHRDER

f

Der Begriff des „Gefährders“ ist polizeilicher Natur und bezeichnet Personen, die Straftaten wider die öffentliche Sicherheit planen könnten. Der breiten Öffentlichkeit ist dies vor allem von „islamistischen Gefährdern“ bekannt. Seit Pandemiebeginn bezeichnet Nehammer Personen, die den Regierungsmaßnahmen nicht Folge leisten, als „Lebensgefährder“. Das hat System: Der Bürger soll denken, dass schon bei kleinen Abweichungen eine große Gefahr für die Allgemeinheit bestehe.

Der Framing-Effekt meint, dass eine Botschaft gleichen Inhaltes beim Empfänger anders ankommt, je nachdem, wie sie formuliert worden ist. Bei konsequenter Durchführung können so tagelange Aufstände mitsamt Plünderungen zu „friedlichen, aber feurigen Protesten gegen Polizeigewalt und Rassismus“ werden.

Auch bei der Abkanzelung regierungskritischer Proteste führt der ÖVP-Politiker die Gefährdung der „Gesundheit vieler“ oder der „öffentlichen Sicherheit“ ins Feld. Dafür, dass Großdemos als Seuchentreiber fungieren, gibt es aber keine Belege.

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Auf der anderen Seite kann die orientierungslose Flucht aus einem Polizeikessel zu einem „Sturm auf das Versicherungsgebäude“ hochgeschrieben werden. Dabei soll die Wortwahl gezielt Assoziationen zum „Sturm auf das Kapitol“ wecken, bei dem erlebnisorientierte Demonstranten teilweise parlamentarisches Inventar mitnahmen und für chaotische Bilder sorgten.

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Artur Abramovych über die deutsche Verharmlosung Michel Houellebecqs

No. 3 | 2021

Gary Saul Morson über die politischen und moralischen Lehren Fjodor Dostojewskis

Die Corowane zieht weiter Milliardärssozialismus: Bruno Bandulet analysiert den Great Reset Seite 10

Tyrannei: Norbert Bolz warnt vor der Politisierung der Moral Seite 27

Richtigstellung: Die Renaissance war nicht heidnisch Seite 48

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Foto: Alamy Stock Photo

Léon Krier über das Mahnmal für die 1944 in der Normandie gefallenen Briten

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Unter dem Deckmantel des Kampfes gegen verwerfliche Äußerungen und Cybermobbing drückte die türkis-grüne Regierung ein Gesetzespaket gegen „Hass im Netz“ durch. Dank hoher Strafandrohungen für Betreiber von Onlineplattformen neigen diese dazu, eher zu viel zu löschen – es waren sogar schon asylkritische Reden im Parlament betroffen. Zudem kann Verhetzung nun auch gegen Einzelpersonen begangen werden, zuvor nur gegen ganze Bevölkerungsgruppen. Schon vor der Novelle kam es zu Schuldsprüchen gegen Bürger, die aus einer begreiflichen Gemütslage heraus scharfe Kritik an Verwerfungen im Lande übten. So gut wie nie im Fokus: linke Hassrede.

Im Zuge der Maßnahmen-Demos in Wien wurde die Mär von Angriffen auf Vertreter der „freien Presse“ bei beinahe jeder Kundgebung aufgewärmt. Herkunft der Behauptungen sind oft einschlägige Antifa-Fotografen. Die Taktik von Aktivisten am linken Rand, sich als Journalisten auszugeben und ihre Zielpersonen zu belagern, ist keine Neuigkeit. Setzen sich diese zur Wehr, sollen das plötzlich „Angriffe auf die Pressefreiheit“ sein. Die Empörung ist unehrlich: Als am 31. Jänner der Chefredakteur eines freien Mediums festgenommen wurde, weil er eine harte Polizeimaßnahme gegen eine betagte Dame filmisch festhielt, blieb jeglicher Aufschrei aus.

KONTAKTSCHULD

INTELLIGENZFLÜCHTLING

LE XIKON

HASSREDE

JOURNALISTENANGRIFFE

LINKSEXTREMISTEN

Der Linksextremismus als „aufgebauschtes Problem“, dessen Gewalt sich nicht gegen Personen, sondern Dinge richtet – diese Mär ist weitverbreitet. Als akute Bedrohung wird er im türkis-grünen Regierungsprogramm gar nicht explizit erwähnt. In Deutschland machen die Fördermittel gegen linke Gewalt einen Bruchteil jener aus, die für den „Kampf gegen rechts“ aufgewendet werden.

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Linksautonome sind ein geduldetes Phänomen: Sie gehen häufig mit dem Zeitgeist, forcieren nur dessen radikale Verschärfung – und haben Sympathisanten bis in die Parlamente. Das Interesse, gegen jene vorzugehen, deren Gewalt sich gegen lästige Kritiker richtet, ist beschränkt.

Eine beliebte Taktik, um Dissidenten zu diffamieren, ist es, ihnen die Ausrichtung von Personen vorzuwerfen, die eine ähnliche Kritik üben, ähnliche Standpunkte haben oder bei ähnlichen Veranstaltungen waren.

Dieses Wort schaffte es im Jahr 2015 in die nähere Auswahl für das „Wort des Jahres“, nachdem diverse linke Kabarettisten es als ironische Abwertung gegenüber Leuten verwendeten, die vor den Folgen unkontrollierter Massenzuwanderung warnten und sich auch von ihren moralisierenden Argumenten nicht breitschlagen ließen.

Damit lassen sich spekulative Assoziationsketten schmieden. Jede Kritik an Verschiebungen der ethnischen Mehrheitsverhältnisse galt nach dem Massaker von Christchurch plötzlich als vermeintlicher Nährboden für rechtsextreme Anschläge. Die Teilnahme einzelner amtsbekannter nationaler „Altkader“ an den Corona-Demos in Wien wurde zum Ausgangspunkt der Behauptung, dort würden sich „Neonazis“ tummeln.

Die Sorgen breiter Kreise von Dissidenten als Merkmal vermeintlich fehlender Bildung zu verspotten, feiert in der Coronakrise eine Renaissance. Vertreter der linksliberalen Hegemonie unterstellen Kritikern der Maßnahmen pauschal eine geistige Unterbelichtung, verspotten sie gern als „Covidioten“.

Ein für unerfahrene Dissidenten gefährliches Manöver – denn es zielt auf eine Spaltung der Proteste ab. Geht man diesem Trick auf den Leim, geht die Salamitaktik weiter: Die nächste Scheibe ist der nächste Akteur, der nächste Begriff – und am Ende zerstreitet sich der Widerstand.

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Dabei kann links motivierte Gewalt jeden treffen. Als „Nazis“ gelten der Antifa auch – oft früher selbst links denkende – Maßnahmenkritiker. Die Gewalt reicht von beschädigten Wahlplakaten bis hin zu Mordversuchen. Etablierte Medien behandeln das Thema eher selten.

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LE XIKON

MEDIENKAUF

Noch nie verteilte eine Bundesregierung so viel Geld an etablierte Medien wie die türkis-grüne Koalition. Ob per „CoronaSonderförderung“ im Frühjahr 2020 oder ganzseitige Inserate zu Maßnahmen bis hin zum kräftigen Ausbau sonstiger Werbeschaltungen – der Blätterwald gehört zu den Krisengewinnlern. Ausgerechnet die am stärksten alimentierten Boulevardblätter befördern unkritisch die Erzählung der Regierung. Dies gilt für die Berichterstattung über das politische Handeln ebenso wie für die einseitige Darstellung friedlicher Gegner desselben. Doppelt problematisch: Einerseits verschwindet die letzte kritische Öffentlichkeit aus den Mainstreamblättern – und andererseits wächst die „Waffenungleichheit“. Die Gegenöffentlichkeit profitiert erst sekundär, weil sich Kritiker von herkömmlichen Angeboten abwenden.

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Eine der liebsten Methoden, Kritiker aus der Geltung zu bringen, ist die Überhäufung mit Anzeigen. Besonders beliebt: die Verteilung von Geldbußen wegen Verwaltungsübertretungen.

Diese haben für die Mächtigen mehrere Vorteile: In der medialen Berichterstattung werden sie mit allfälligen Gewaltstraftaten oft zusammengeworfen. Und wer knapp bei Kassa ist, könnte sich genötigt fühlen, die Strafe zu bezahlen, damit sich keine Mahnungen ansammeln. Beschreitet der gefrotzelte Kritiker den Rechtsweg, hat er das Risiko einer zivilrechtlichen Klage, bei der ihm selbst dann große Kosten entstehen können, wenn er Recht bekommen sollte.

NEUE NORMALITÄT

Nach „Wir schaffen das“ kam folgerichtig „Nun sind sie halt da“ – zwischen beiden Merkel-Aussprüchen lagen vier Wochen. Auch in der Coronakrise werden die Torpfosten ständig verschoben. In der Hoffnung auf „Normalität“ vermittelt man dem Bürger, er müsse gerade noch eine Sache mitmachen, bis er die Freiheit wiedergewinne. Am Ende soll sich das Volk an dauerhafte Vorschriften gewöhnen, denen es niemals zugestimmt hätte. Einige deutsche Notstandsgesetze sind seit 1968 in Kraft, die Anti-Terror-Gesetze samt Überwachung unbescholtener Bürger wurden dort kürzlich nach 18 Jahren still und leise vom Bundestag entfristet.

Bei dieser umstrittenen Taktik der „Riot Control“ bilden Beamte einen dichten Ring um die Demonstranten. Der Vorwand ist oft die öffentliche Sicherheit, Ziel der Unterbindung der Bewegungsfreiheit die Demoralisierung des Zuges. Je länger diese Einschränkung dauert – und je extremer die äußeren Bedingungen –, desto eher werden die Leute im Kessel „unrund“, weil sie Hunger haben oder aufs Klo müssen. Somit eignet sich eine Kesselung auch für die Erzeugung von höchster Seite erwünschter unschöner Bilder, die sonst nicht stattgefunden hätten. Bei den jüngsten Protesten gegen die Regierung kam ein Aspekt dazu: Teilnehmern wird so verunmöglicht, den verordneten Mindestabstand einzuhalten. Bei Missachtung folgt eine Verwaltungsstrafe, die Anzeigen erreichen ein großes statistisches Maß und suggerieren der Öffentlichkeit allein durch ihre Masse eine Gefahr.

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Dem Narrativ der tödlichen Seuche folgend werden auch nur kleinste Verstöße gegen Absonderungsbescheide zur Abschreckung anderer erbarmungslos verfolgt. Ein Mann wurde sogar verurteilt, weil er während seiner Quarantäne nach Tagen den Müll aus dem Haus trug.

Regional führte man noch härtere Instrumentarien ein, schuf psychiatrische Stationen für Quarantänebrecher und verhängte im Einzelfall Untersuchungshaft wegen einer vermeintlichen „Tatbegehungsgefahr“. Diese Optionen bestehen sogar, wenn gar keine tatsächliche Gefährdung der öffentlichen Gesundheit vorliegt. Diese Präzedenzfälle werden im Hinblick auf andere – oft opferlose – Vergehen scharf zu beobachten sein: Die Praxis kann als theoretische Blaupause fungieren, um Kritikern das Kriminal zu unterstellen und sie präventiv in Haft zu bringen.

POLIZEIKESSEL

Das Framing der Regierenden, dass sich die aktuelle Situation kaum vom Status quo abhebe, ist kein isoliertes Problem: Nach der Logik des Fait accompli gehen die Eliten bei jeder Krise vor.

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ORDNUNGSWIDRIGKEIT

QUARANTÄNEBRECHER

RECHTE SCHUBLADE

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In ein „rechtes Eck“ gestellt zu werden, gilt als großes Stigma. Selbst in Ländern mit traditionell intaktem dritten Lager trifft ein „linkes“ Selbstverständnis auf „patriotische“ oder „konservative“ Gegenentwürfe. Die Linksliberalen heften sich aus Kalkül an das „antifaschistische Narrativ“, wonach bereits der seichteste Konservatismus eine Spielart des rechten Randes sei. Rechts der Mitte ist man bestrebt, dieser Schubladisierung durch möglichst große, demonstrative Distanz zu Akteuren im eigenen Lager mit einer fundamentaleren Ausrichtung vorzubeugen. Oft ist das zum Scheitern verurteilt, da die Inhaber der Deutungshoheit die Spielregeln ändern können: Wer gestern nur „Populist“ war, kann morgen den Stempel des „Ultrarechten“ oder gar „Faschisten“ bekommen, ohne dafür seine Standpunkte ändern zu müssen. FR E I L I CH


SCHWEINEJOURNALISMUS

Der Boulevard lebt von schnellen Schlagzeilen, Emotionen und Skandalen. Der konkrete Wahrheitsgehalt ist oft nur ein dünnes Substrat, das die Breite des journalistischen Ethos aufs Äußerste beansprucht. Die Absicht herabwürdigender Schlagzeilen ist nicht die Aufklärung, sondern das Anpatzen betroffener Akteure. Bekanntes Beispiel sind etwa zum „passenden“ Zeitpunkt im Wahlkampf auftauchende, aus dem Kontext gezerrte Liederbücher oder plötzliche „Enthüllungen“ über private Umstände der Köpfe von Widerstandsgruppen, die darauf abzielen, deren moralischen Rückhalt anzugreifen. Der Begriff selbst geht auf den ehemaligen SPD-Politiker Oskar Lafontaine zurück, dem einst unterstellt wurde, als Jungpolitiker Figuren aus dem Rotlichtmilieu mit Gefälligkeiten bedient zu haben.

TERRORPAKET

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Die politische Aufarbeitung des islamistischen Anschlages in Wien brachte die Kuriosität mit, dass Türkis-Grün zeitgleich die Symbole der gerade vor dieser Gefahr mahnenden „Identitären“ über das Symbolgesetz unter Strafe stellte. Die Zusammenfassung im „Anti-Terror-Paket“ sollte eine ähnliche Bedrohung suggerieren.

Auch als die Teilnehmer von MaßnahmenProtesten in Deutschland im Sommer immer zahlreicher wurden, malte der dortige Innenminister das Schreckgespenst einer sich vermeintlich radikalisierenden Corona-RAF an die Wand – ohne jeden Beleg. Die „Terror-Keule“ kommt zum Einsatz, wenn mildere Stigmatisierungen nicht genug zur Demobilisierung beitragen.

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Ein Klassiker der Herabwürdigung von Dissidenten ist die Umkehr von Ursache und Wirkung: Die „Bedrohung“ sind nicht importierte Konflikte, politische Mauscheleien oder die Beschneidung von Grund- und Freiheitsrechten – sondern jene, die dagegen protestieren.

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In der Essenz ist diese Finte eine Defensivtaktik, mit der ein angeschlagener Machthaber seine Verantwortung abwälzt. Es soll nicht das eigene politische Versagen in den Mittelpunkt rücken, sondern der Unmut dagegen als Treiber des sozialen Unfriedens gelten. Nicht untaugliche Maßnahmen befeuern Pandemien, Verwerfung oder Unruhen – sondern jene, die den Mächtigen den Spiegel vorhalten. Die Kritik ist die Gefahr, Ruhe erste Bügerpflicht. Aus Erklärungsnot wird so schnell Zeitgewinn, weil sich unterschiedliche Lager in der Bevölkerung gegenseitig an die Gurgel gehen, wobei die Politik stets jene Seite stützt, die ihr mehr Raum verschafft.

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Ein österreichisches Spezifikum ist der Hang der Kanzlerpartei, alles, was ihr nicht behagt, als „widerlich“ zu betiteln. Von rechten Aktivisten über emotionale Demoreden von Oppositionellen bis hin zu medial aufgebauschten „Skandalen“ um blaue Politiker und erfundene Gewaltszenen von Demonstranten im Polizeikessel: All das finden Kurz & Co. genauso „widerlich“ oder „widerwärtig“ wie den islamistischen Terror in Wien. Ein derart starkes Wort zur Abgrenzung ist auch demagogisches Kalkül. Was „widerlich“ ist, daran will man nicht einmal im Traume anstoßen. Der Bürger soll sich naserümpfend von allem abwenden, was der Kanzler für „widerlich“ hält. Weil er es derart häufig verwendet, entsteht zudem eine Analogie im Kopf, dass all die so betitelten Phänomene zusammengehörten.

VERSCHWÖRUNGSTHEORETIKER

Mit diesem Begriff soll Kritikern die Glaubwürdigkeit abgesprochen werden. Besonders der Glaube an tiefergreifende Pläne globalistischer Akteure zur Veränderung der Welt gilt als „Verschwörungstheorie“. Dies ist selbst dann der Fall, wenn es – wie etwa beim Bevölkerungsaustausch oder beim „Great Reset“ – auch Verfechter gibt, welche die vermeintliche Verschwörungstheorie als alternativlose Zukunft predigen. Solche Bewertung wird wohlwollend quittiert. Ein Nebeneffekt der Betitelung ist, dass sie auf diffuse Art abenteuerliche Erklärungsversuche mit plausiblen Einwänden in einen Topf wirft. Dabei stellten sich in der Vergangenheit vermeintliche „Verschwörungstheorien“ im Nachhinein schon mehrfach als wahr heraus, so etwa die gezielte Überwachung des deutschen Telefonnetzes durch US-Geheimdienste.

WIDERWÄRTIGKEIT

LE XIKON

UMKEHRSCHULD

Es handelt sich also nicht nur um ein exzessives Werturteil, sondern um eine politische Floskel von der Intensität des „Klassenfeindes“ oder „Volksschädlings“ in totalitären Systemen des 20. Jahrhunderts.

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LE XIKON

X-BELIEBIGKEIT

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Das Kernelement von Repression gegen Dissidenten ist die fehlende rote Linie, das Messen mit zweierlei Maß. Nicht wenige Coronakritiker spötteln längst über ein „intelligentes Virus“, das bei regierungskritischen Protesten stets die ganze Gesellschaft gefährden soll – bei dem Zeitgeist entsprechenden Aufmärschen hingegen beide Augen gütig zudrückt. Auff ällig ist auch, dass genau jene Kreise im linken Spektrum, die jahrelang gegen eine „brutale Polizei“ wetterten, diese nun dafür rügen, kritische Proteste nicht rabiat genug niederzuknüppeln. Auch bei der Zensur von Leuten aus der eigenen „Bubble“ in sozialen Medien reden sie von „Overblocking“ – wenn es das Gegenüber trifft , halten sie das aber für überfällig.

Julian Schernthaner Der 1988 in Innsbruck geborene studierte Sprachwissenschaftler lebt mittlerweile im Innviertel und ist Redakteur der Online-Zeitung „Die Tagesstimme“. Als Kenner alter Schriften und Kulturen schmökert er gern zu harten Klängen in seiner ausgiebigen Bibliothek und erkundet mit Leidenschaft jeden versteckten Winkel der österreichischen Heimat.

Totalitäre Klimata zeichnen sich dadurch aus, dass nicht die Aussage oder Tat, sondern der Akteur und seine Stoßrichtung wichtig sind. Quod licet Iovi, non licet bovi – eine andere Logik hat die festgefahrene Freund-Feind-Bestimmung nicht. Die aktuelle Situation kennt also keine X-Beliebigkeit – sondern nur Beliebigkeit.

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YELLOW PRESS

Die Mächtigen reagieren auf ihre Kritiker mit Zuckerbrot und Peitsche. Werden Proteste gegen die illegale Migration zu groß, folgen ein paar Abschiebungen und halbherzige Grenzschließungen. Protestieren Zehntausende auf der Straße gegen die Corona-Maßnahmen, gibt es vermeintliche Lockerungen, die zeitgleich versteckte Verschärfungen bringen.

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ZERMÜRBUNGSTAKTIK

Systemkritiker klagen über Finten eines angeblichen „tiefen Staates“, der sie mit endlosen oder ständigen juristischen Verfahren eindeckt, um ihre politische Arbeit zu erschweren. Teilweise müssen sie sogar mit Sperren ihrer Bankkonten rechnen. In Österreich zieht sich der Erfahrungsschatz hierbei über das ganze politische Spektrum: Patriotische Aktivisten sahen sich im Zentrum von Zermürbungskampagnen, ebenso wie radikale Tierschützer oder Wortführer der Corona-Proteste. In einigen Fällen klagen die Betroffenen auch nach Freisprüchen oder Einstellungen ihrer zahlreichen Verfahren über die immense psychische Belastung in ihrem Kampf für Recht und Gerechtigkeit.

Dies nimmt dem Protest Wind aus den Segeln – und man kann die Forderungen als eigene politische Ideen ins Feld führen. Damit lässt sich der Widerstand ein zweites Mal demobilisieren. Gegen jene Avantgarde, welche zuerst ein Umdenken forderte, folgen oft harte Brandmauern, die ihn ein drittes Mal unattraktiv machen sollen. „The hammer and the dance“ wird zur politischen Kategorie.

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TERRORISMUS

Die Guten ins Töpfchen Islamisten werden „deradikalisiert“, damit sie sich wieder einfügen können. Paradox, dass der Staat eine so wichtige Tätigkeit schlecht finanzierten Vereinen überlässt. VON IRFAN PECI

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in kleiner Verein, der bislang kaum beachtet wurde, rückte nach dem Terroranschlag in Wien ins mediale Rampenlicht. Grund war, dass dieser Verein mit dem vielsagenden Namen „DERAD“ den Attentäter Kujtim Fejzulai betreute bzw. „deradikalisieren“ sollte. Nachdem ich vor sechs Jahren an die Öffentlichkeit ging und meine Autobiografie veröffentlichte, in der ich als erster Aussteiger der Islamistenszene im deutschsprachigen Raum vor allem von meiner eigenen Radikalisierung berichtete, wurde ich zu einem gefragten Gesprächspartner vieler solcher NGOs, die es sich zur Aufgabe machen, junge Islamisten zu deradikalisieren. Wie könnte man die Mechanismen einer islamistischen Radikalisierung auch besser begreifen als von jemandem, der sich in seiner Jugend selbst radikalisierte und die Radikalisierung Dutzender anderer hautnah mitbekam, war wohl der Gedanke dahinter.

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So fing ich also an, verschiedene Organisationen, hauptsächlich staatliche Stellen und Vereine von Nord- bis Süddeutschland und von Linz bis Wien, zu beraten. Meistens, indem ich eine Fortbildung mit den dort eingesetzten „Deradikalisierern“ veranstaltete, in denen ich ihnen die Mechanismen und Erkennungsmerkmale solch einer Radikalisierung und geeignete Gegenmaßnahmen erklärte. Bei diesen „professionellen Deradikalisierern“ handelte es sich meistens um linke Sozialpädagogen, die von dem Thema Religion bzw. Islam nicht viel Ahnung hatten und dachten, auch nicht viel Ahnung davon haben zu müssen. Schließlich gehe es bei der Radikalisierung ja gar nicht „um Religion“, also um spirituelle Bedürfnisse. Ganz in ihrer marxistischen Denkweise verhaftet, wonach das „gesellschaftliche Sein das BeI I


wusstsein bestimmt“, dachten sie, allein fehlende Bildung, mangelnde berufliche Zukunftsperspektive, schlechte Wohnverhältnisse etc., also materielle Bedürfnisse seien der wahre Grund für Wut und Verzweiflung und würden dann irgendwann in eine islamistische Radikalisierung ausarten. Die Wichtigkeit der Ideologie – und der Islamismus ist zwar eine politische Ideologie, jedoch religiös begründet – blendeten sie komplett aus. Es gab jedoch auch noch eine andere Kategorie „professioneller Deradikalisierer“, das waren liberale bis erzkonservative Muslime, die in den zu betreuenden Islamisten „verirrte Glaubensbrüder“ sahen, die man mittels des „wahren Islam“ deradikalisieren könne. Viele von ihnen äußerten sich auch mehrfach abfällig über ihre linken Kollegen, die „keine Ahnung vom Islam“ hätten und dächten, das Problem „ohne Religion“ lösen zu können, worin ich ihnen auch recht geben musste. N ° / 12 / M A I 2021

TERRORISMUS

Junge Männer als islamistische Kämpfer: modern und mitten aus der Gesellschaft, dann plötzlich als Terrorist in Aktion.

Jedoch kam es nie zu offenen Diskussionen oder Streitgesprächen, denn ihnen war klar, dass dieser Bereich komplett von linken Pädagogen dominiert wird. Er ist ihr unbestrittener Herrschaftsbereich, und daher haben sie natürlich auch die Kontrolle über die vielen Millionen Euro an Steuergeldern, die in die „Präventionsindustrie“ fließen. Allein in Deutschland werden durch das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ jährlich mittlerweile 115 Millionen Euro verteilt. So kam ich auch mit dem österreichischen Verein „DERAD“ in Berührung, der damals hauptsächlich Fortbildungen für Pädagogen veranstaltete und sich nebenbei um radikalisierte islamistische Häftlinge kümmerte. Mit der Zeit wurde die Gefängnisarbeit immer weiter ausgebaut, sodass man sich fast schon eine Monopolstellung erarbeitete, da – abgesehen vom Verein „Neustart“ – die gesamte Deradikalisierungsarbeit mit islamistischen Häftlingen in Österreich in den Händen von „DERAD“ lag.

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TERRORISMUS

Die vielen Pannen rund um den Terroranschlag in Wien wären eigentlich ein hervorragender Anlass gewesen, das bisherige System völlig umzukrempeln.

Foto: Archiv

Kujtim Fejzulai (20) ermordete am 2. November 2020 eiskalt vier Menschen in der Wiener Innenstadt. Er hatte seine Bluttaten zuvor auf Instagram angekündigt.

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FR E I L I CH


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Dschihadist zu einem nicht gewaltbereiten Salafisten stufenweise „deradikalisiert“ wird. In der Radikalisierungspyramide stehen an der Spitze gewaltbereite Dschihadisten, denen man Anschläge zutraut. Überzeugt man einen nun davon, dass der Dschihadismus nicht der wahre Islam ist, sondern der Salafismus es auch tut, dann hat man ihn „deradikalisiert“. Das heißt natürlich noch lange nicht, dass derjenige resozialisiert oder wieder „ein Teil der Gesellschaft“ wäre, der er überhaupt nie angehörte. Es heißt nichts, außer dass man ihn nun von der Liste gewaltbereiter Dschihadisten streichen kann. Dies mag pragmatisch gesehen auch ein Erfolg sein, doch kommen wir nun zur Kehrseite der Medaille. Der Grund, warum die „DERAD“-Muslime viel besser als ihre linken Kollegen einen Draht zum Radikalisierten aufbauen können, ist der, dass zwischen ihnen und dem Islamisten mehr Gemeinsamkeiten bestehen als zum linken Sozialpädagogen. Welche Gemeinsamkeit hat der typische linke Sozialpädagoge, der nur unter linken Österreichern in einem Bobo-Bezirk aufgewachsen ist, Akademiker-Eltern hat und keine finanziellen Sorgen kennt, mit einem jungen Islamisten aus dem Gemeindebau in Floridsdorf? Sie leben vielleicht in derselben Stadt, jedoch in zwei völlig unterschiedlichen Welten. Die „DERAD“-Mitarbeiter hingegen heißen nicht Florian und Nikolas, sondern Salih, Musa oder Khalid und sind teilweise selbst in Brennpunktbezirken aufgewachsen. Das Wichtigste: Sie sind selbst meist konservative Muslime. Nur auf dieser gemeinsamen Basis ist es ihnen möglich, ausschließlich auf islamischer Grundlage und mittels islamisch-theologischer Argumente eine stufenweise Deradikalisierung herbeizuführen. „DERAD“ sei besonders effektiv, da ihre Argumente, so heißt es, „für viele umso mehr zählen, weil sie von Muslimen kommen und mit dem Verweis auf den Koran begründet werden“. Zu integrierten Mitgliedern der Gesellschaft sind diese „Deradikalisierten“ aber dann noch lange nicht geworden, und hier sind wir eben schon am Kern des Problems angelangt. Wieso hat der österreichische Staat in dieser Hinsicht keine eigenen Struk-

TERRORISMUS

Was mir an „DERAD“ gefiel, war, dass sie den ideologischen Aspekt sehr wichtig nahmen und ausführlich behandelten – während die „linken Deradikalisierer“ stets über sozioökonomische Gründe der Radikalisierung sprachen und dabei das Kunstwerk vollbrachten, islamistische Radikalisierung zu thematisieren, ohne ein einziges Mal das Wort Islam zu verwenden. In den Fortbildungen von „DERAD“ wurde hingegen ausführlich die Geschichte des Dschihadismus geschildert, von den Schriften Sayyid Qutbs bis zum „Islamischen Staat“. Die Ideologie als hauptsächlicher Grund der Radikalisierung wurde klar benannt. Da die „muslimischen Deradikalisierer“ stets die Juniorpartner ihrer linken Kollegen waren, gab es mehrmals den Versuch, sich aus der Abhängigkeit der Linken zu lösen. Schließlich war man der Überzeugung, dass man die bessere Arbeit mache und auch die besseren Ergebnisse liefere. Am Beispiel von „DERAD“ sieht man dies im Zerwürfnis der Gründer Moussa Diaw und Thomas Schmidinger, der sich dann vom Projekt „DERAD“ verabschiedete. Zugegebenermaßen hatte ich trotz meiner Skepsis den „muslimischen Deradikalisierern“ gegenüber ebenfalls den Eindruck, dass sie im Ergebnis doch erfolgreicher seien. Während der linke Sozialpädagoge die Welt nicht mehr verstand, weil der ihm zugeteilte junge Islamist trotz ihrer „tollen Beziehung zueinander“ plötzlich nach Syrien ausreiste und sich dort einer dschihadistischen Terrormiliz anschloss, gingen die „DERAD“-Muslime nicht so naiv an die Sache heran. Aufgrund ihres eigenen Hintergrundes konnten sie in der Praxis – im Gegensatz zu ihren linken Kollegen – tatsächlich eine Beziehung zu den betreuten jungen Islamisten aufbauen, und so gab es durchaus mal Erfolge. Mit Erfolg meine ich jedoch nicht, was viele darunter verstehen, dass nämlich der gewaltbereite 20-jährige Tschetschene Anzor, nachdem er erfolglos versucht hat, sich dem IS in Syrien anzuschließen, nun von den „DERAD“-Betreuern umgedreht wird und sich zum Musterbürger wandelt. Als Erfolg wird bereits verbucht, wenn ein

POLITIKON 2 GEGEN DIE ISLAMISTEN

Islamismus verändert die Gesellschaft. Zusammen mit einer unkontrollierten Zuwanderung ändern sich auch lokal und regional Mehrheiten und die Zusammensetzung der Gesellschaft. Gerade, wenn wir so leben wollen, dass jede Religion frei ist, müssen wir uns mit dem Islamismus und seinem Ziel der Islamisierung Europas auseinandersetzen. Und uns die Frage stellen: Was können wir tun? FREILICH Verlag Graz 2021, 72 Seiten 978-3-200-07572-6 A € 9,50 / D € 9,50

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Foto: shutterstck / 1452998177

TERRORISMUS I S L A M I S M U S P R ÄV E N T I O N

Diverse Ministerien in Deutschland zählen mit ihren Förderprogrammen bundesweit zu den wichtigsten Akteuren, denn sie finanzieren einen bedeutenden Teil der Präventionsarbeit auf den Ebenen der Länder sowie Kommunen und unterstützen als Impulsgeber. Im Jahr 2016 hat die Bundesregierung eine Strategie vorgelegt, die vorsieht, die Aktivitäten des Bundes in der Extremismusprävention zu bündeln und zu optimieren. https://bit.ly/30LQdn8

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turen? Wie kann ein Staat die Betreuung der „gefährlichsten Menschen des Landes“, nämlich gewaltbereiter Dschihadisten, einem kleinen Verein aus konservativen Muslimen überlassen, der laut eigener Aussage vom Staat nicht einmal ausreichend finanziert wird? Die österreichische Bundesregierung und ihre Sicherheitsorgane haben mehrmals betont, dass die größte Gefahr für die innere Sicherheit von Islamisten ausgehe. Gleichzeitig überlässt man jedoch die Betreuung der gefährlichsten Leute des Landes einem kleinen Verein wie „DERAD“? Hier kommt noch etwas anderes hinzu, nämlich Steuergelder, die mittels „DERAD“ dazu verwendet werden, Islamisten von einem liberaleren Islam zu überzeugen. Wenn schon das Geld der österreichischen Steuerzahler für die Betreuung dieser inhaftierten Islamisten ausgegeben wird, sollte man zumindest erwarten, dass man diese dann von den Werten, der Tradition und der Kultur des Landes zu überzeugen versucht, und nicht vom „wahren Islam“. Den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben, hilft uns langfristig nicht weiter. Diese scheinbar „Deradikalisierten“ bleiben weiterhin ein Risiko und ein nicht integrierter Teil der Gesellschaft. Die vielen Pannen rund um den Terroranschlag in Wien wären eigentlich ein hervorragender Anlass gewesen,

das bisherige System völlig umzukrempeln, indem man die Zusammenarbeit mit „DERAD“, aber auch mit noch viel zweifelhafteren Partnern wie der IGGÖ komplett stilllegt und eigene Strukturen schafft. Doch Innenminister Nehammer kam dieses Chaos sogar gut gelegen, weil er von den Pannen des BVT – also seines Bereiches – ablenken konnte, hin zu „DERAD“ und dem zuständigen Justizministerium. Das wiederum zog sich einigermaßen heil aus der Affäre, da die eigenen Fehler doch recht klein wirkten im Vergleich zu den massiven Sicherheitspannen und Versäumnissen des BVT. Eigene Strukturen würden bedeuten: Mitarbeiter, die sicherheitsüberprüft sind, an deren Loyalität man nicht zweifeln muss, die nicht aus dem Ausland gesteuert werden und türkische, islamistische oder die Interessen der Muslimbruderschaft verfolgen. Die auch einen völlig neuen Ansatz verfolgen, nämlich, junge Leute von unseren Werten und unserer Kultur zu überzeugen, denn nur dann sind sie auch wirklich integriert. Manch einer mag die Vorstellung, aus einem Islamisten einen überzeugten Österreicher oder Deutschen zu machen, als unrealistisch empfinden, das verdeutlicht jedoch nur mangelnde Kenntnis der Mentalität des Gegenübers. Islamisten verachten den Liberalismus, den Selbsthass, die Schwäche, den moralischen Verfall, den Egoismus FR E I L I CH


Foto: imagebroker / Alamy Stock Foto

TERRORISMUS

Einfach lieb schauen und glauben, was man erzählt bekommt – und damit „verarscht“ wird. Was in manchen Moscheen gelehrt wird, ist für die große Gesellschaft ein Rätsel. Und sie mag nicht hinschauen, wenn es um Gläubige geht. Der Vorwurf, das könnte „etwas mit Migration“ zu tun haben, macht die Sache noch schwieriger.

und den mangelnden Zusammenhalt des Volkes. Genau das ist ja der Grund, wieso Migranten sich eben nicht integrieren, sich stattdessen andere Identitäten suchen und dann zu Nationalisten ihres Heimatlandes werden oder eben zu Islamisten. Ein selbstbewusster und stolzer Österreicher als Betreuer, der unsere Werte offensiv nach außen vertritt, würde viel mehr respektiert und gewürdigt als der linke Sozialpädagoge, der innerlich verachtet und dessen Naivität ausgenutzt wird. Dem Islamisten einen konservativen Moslem als staatlichen Betreuer zu schicken, wäre so, wie wenn man inhaftierte Rechtsextreme mittels rechter Ideologen deradikalisieren wollte. Niemand würde auf diese Idee kommen. Man will ja gerade, dass sie sich von der Ideologie lösen, und das wird durch einen stramm rechts eingestellten Berater eher schwierig. Das Argument, wonach ein rechter Ideologe durch die zwangsläufigen Gemeinsamkeiten, die er mit dem Rechtsextremisten hat, viel eher an ihn herankommen und auf dieser Basis positiv beeinflussen könne, würde man nicht geltend machen. Wieso gewährt man jedoch Islamisten nicht die geistige Freiheit, sich abseits der islamischen Gedankenwelt zu deradikalisieren und von den geistigen Fesseln zu lösen? Stattdessen hält sie der staatlich bezahlte, muslimiN ° / 12 / M A I 2021

sche „DERAD“-Betreuer weiterhin in der islamischen Geisteswelt gefangen und verhindert somit sogar eine gründliche Aufarbeitung und Infragestellung des bisherigen Weltbildes. Allgemein wird hier meiner Erfahrung nach viel zu sehr theoretisiert, wie so oft hat die gelebte Praxis nicht besonders viel mit der Theorie gemein. Mir ist das zum ersten Mal aufgefallen, als ich selbst über eine gewisse Zeit einen ehemaligen Islamisten betreute. Anfangs habe ich mit ihm ebenfalls lange, ausschweifende Diskussionen – meist über theologische und politische Themen – geführt, doch ziemlich schnell merkte ich, dass ihm das in Wirklichkeit gar nicht mehr so wichtig war. Als wir immer mehr Zeit miteinander verbrachten, verstand ich, was in Wirklichkeit einen „deradikalisierenden“ Einfluss auf ihn ausübte, es war kein Buch, kein bestimmtes Argument, bei dem es bei ihm „Klick“ machte, keine Predigt eines liberalen Imams oder Ähnliches, sondern einfach nur der westliche Lebensstil! Es waren Instagram, Tinder, Shisha und Co., welche ihn nun beschäftigten. Mit irgendwelchen theologischen und politischen Diskussionen konnte er nicht mehr viel anfangen. Er wollte reisen, Mädchen kennenlernen, mit Freunden in der Shisha-Bar chillen, wieder im Verein Fußball spielen, sei-

Was in Wirklichkeit einen ‚deradikalisierenden‘ Einfluss ausübt: keine Predigt eines liberalen Imams oder Ähnliches, sondern einfach nur der westliche Lebensstil!

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TERRORISMUS

ne Ausbildung nachholen – also, kurz gesagt: wieder das Leben eines durchschnittlichen jungen Mannes leben. Der entspannte westliche Lebensstil, ohne die unzähligen strikten Verordnungen, wirkt in dieser Hinsicht entwaffnend. Statt mit seinen islamistischen Glaubensbrüdern im Sommer in einer kleinen, stickigen Moschee zu sitzen und nur über Krieg, Zerstörung und Tod zu reden, macht es doch viel mehr Spaß, mit einer jungen, schönen Frau in einer Bar was trinken zu gehen. Man muss „Deradikalisierung“ völlig neu denken und wegkommen aus diesen alten, verstaubten Denkmustern, in denen alles immer über den „besseren Sozialarbeiter“ und die „stärkeren Argumente“ entschieden wird, was in der Realität einfach nicht der Fall ist. Zufälligerweise haben diejenigen, die etwas als Problemlösung propagieren, immer selbst die passende Lösung zur Hand. Der Psychologe Ahmad Mansour hat mit seiner NGO die geeigneten „besseren Sozialarbeiter“ und lässt sich dafür vom deutschen Staat mit viel Geld bezahlen. Seyran Ateş, die lesbische Imamin, sieht einen liberalen Euro-Islam als die Lösung und hat dazu die passende Moschee gegründet, in der sie als Predigerin fungiert und die von der Stadt Berlin subventioniert wird. Die Emotionen und die gesamte Gefühlswelt werden hierbei vollkommen außer Acht gelassen. Stattdessen wird, wie es in Deutschland üblich ist, immer nur „technisch“ gedacht. Als könne man Menschen programmieren und durch eine mathematische Formel das gewünschte Ergebnis erhalten. Dies ist bereits in puncto Integration ein gewaltiger Irrtum, wo geglaubt wird, deutsche Sprache plus Bildung plus berufliche Perspektive sei gleich integrierter Musterbürger. Gerade gut Deutsch sprechende Islamisten, die studiert haben und eine gute berufliche Zukunft vor sich hatten, beweisen uns doch das Gegenteil. Ich selbst habe viele islamistische Radikalisierungen hautnah miterlebt, nicht ganz so viele Deradikalisierungen und Ausstiege – aber doch zumindest sicher etwas über ein Dutzend –, N ° / 12 / M A I 2021

und wenn ich nun fragen würde, was der häufigste Grund für den Ausstieg von Islamisten ist, würde die Antwort viele erstaunen. Es ist nicht irgendein rationales Argument oder ein bestimmtes Erlebnis, bei dem es „Klick“ macht, sondern eine Frau oder die eigene Familie. Aus Liebe zu einer Frau oder aus Liebe zur Frau und den gemeinsamen Kindern, das war der von mir am häufigsten erlebte Grund, wieso jemand ausgestiegen ist und sich aus der Islamistenszene gelöst hat. Integration und, im Falle der Deradikalisierung, die Resozialisierung ist etwas Geistiges und Emotionales, derjenige muss positive Gefühle gegenüber Land und Volk entwickeln, er muss sie lieben lernen, und jedes Erlebnis, welches diesbezüglich ein positives Gefühl in ihm erzeugt, wirkt auf ihn deradikalisierend. Der Wehrdienst beispielsweise, in dem selbst der Migrant aus der Parallelgesellschaft mit dem Deutschen und Österreicher vom Land zusammenkommt und gezwungenermaßen mit der hiesigen Leitkultur konfrontiert wird, hat auf viele einen ungeheuer positiven Einfluss. Die in Österreich nach wie vor bestehende Wehrpflicht ist, meiner Meinung nach, mit ein wichtiger Faktor, wieso die Integration in Österreich noch etwas besser läuft als in Deutschland. Nach diesem Muster müssen gezielt Aktivitäten gefördert werden, die denjenigen mit den Menschen und der Kultur des Landes in Berührung bringen und so einen positiven Bezug herstellen. Nur so erzielt man auch langfristig gesehen einen Erfolg und bannt die Gefahr, die von Radikalisierten ausgeht. Die Messlatte muss höhergesetzt werden. Der Deradikalisierte soll nicht nur aus „islamischen Gründen“ keine Terroranschläge begehen, sondern aus Liebe zum hiesigen Land, dessen Kultur und den Leuten. Nur aus dieser selbstbewussten Haltung heraus entwickelt man als Land eine gewisse Strahlkraft, die auch auf bislang Fremde anziehend wirkt und für die Menschen bereit sind, mit ihrer bisherigen Identität zu brechen, um sich anschließend neu zu erfinden.

Ü B E R D E N AU T O R :

Irfan Peci, geboren 1989 in Serbien, aufgewachsen in Bayern, schloss sich als Jugendlicher der islamistischen Bewegung an und wurde 2007 zum Deutschland-Chef der „Globalen Islamischen Medienfront“ (GIMF), eines islamistischen Propagandanetzwerkes. In Haft fand eine weltanschauliche Umorientierung statt, von da an arbeitete er verdeckt in der Dschihadistenszene für den deutschen Inlandsnachrichtendienst. Aufgrund dieser Zusammenarbeit konnten Dutzende Dschihadisten an der Ausreise in Kriegsgebiete gehindert werden, obendrein wurden ein geplanter Terroranschlag im Anfangsstadium verhindert und mehrere Finanzströme verschiedener Terrorgruppen trockengelegt. Heute engagiert sich Peci hauptsächlich in der Aufklärung über die Gefahren des Islamismus und arbeitet als Autor und Politikberater. irfan-peci.de

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China kommt Die Volksrepublik ist stark auf Erfolgskurs. Sogar von COVID-19 profitiert das Reich der Mitte. Für Europa ist die rote Republik mit zunehmend Macht und Einfluss eine große Herausforderung.

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Militärische Macht ist dem kommunistischen China wichtig. Noch zentraler aber ist Wirtschaft – und ideologiefreier Handel. Das Bahnverfolgungsschiff „Yuan Wang 3“ navigiert auf dem Jangtse. Es ist eines von sieben bekannten im Dienst befindlichen solchen Schiffen, die dem Satellitenkontrollzentrum Xi’an, also der „Hauptabteilung Satellitenstarts, Bahnverfolgung und Steuerung“ der Strategischen Kampfunterstützungstruppe der Volksbefreiungsarmee unterstehen. Die Bahnverfolgungsschiffe sind mit je drei beweglichen Parabolantennen ausgerüstet, die über Interferometrie wie eine einzige große Schüssel arbeiten. Sie dienen hauptsächlich zur Bahnverfolgung von Raketen nach dem Start und von Satelliten in niederen und mittleren (weniger als 2000 km bzw. zwischen 2000 km und 36.000 km Höhe) sowie in geostationären (35.786 km Höhe) Orbits.

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as freiheitliche Europa müsse sich im Geiste seiner Grundsätze neu profilieren und als handlungsfähiger Akteur erweisen, sonst laufe es Gefahr, dass jene Kräfte auftrumpften, die eher in einer autoritären und nicht in einer liberalen Ordnung das Heil für die internationale Zukunft sehen, so die Harvard-Politikwissenschaftlerin Cathryn Clüver. Wenn nicht mehr eindeutig sei, wofür eine westliche Demokratie steht und was sie leisten kann, dann werde das 21. Jahrhundert wirklich das Jahrhundert Chinas sein. China gilt jedenfalls als der große Gewinner des Jahres 2020. Chinas Ehrgeiz ist es, im Jahre 2049, d. h. zum 100. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik, die führende Weltmacht zu werden. Eine mehr als 3500-jährige Geschichte, ein riesiges Territorium und Bauwerke wie die Chinesische Mauer nähren Chinas Bewusstsein für seine Größe. Mehr als nur symbolisch für den heutigen chinesischen Nationalstolz ist die am 23. Juli 2020 gestartete Marsmission mit dem Namen „Tianwen-1“ („Fragen an den Himmel-1“). Auch, dass China der einzige Staat neben den USA ist, der seine Flagge am Mond hinterlassen hat, ist aussagekräftig. Die USA wollen freilich ihre Führungsrolle verteidigen. Der Hauptrivale in diesem neuen Kalten Krieg heißt nicht Russland, sondern China. China wird in den USA mit Deutschland vor dem Zweiten Weltkrieg verglichen, weil es wie Deutschland damals seine Politik darauf ausrichte, gleichzeitig seine Militärmacht zu stärken und die Volkswirtschaften seiner Rivalen zu schwächen. Bezeichnend für die Beziehungen der EU mit China ist demgegenüber der Vergleich, den der Hohe Repräsentant der EU, Josep Borell, bemühte: Er verglich sie mit dem Text des internationalen Hits „Je t’aime, moi non plus“ („Ich liebe dich, ich auch nicht“), in welchem Jane Birkin und Serge Gainsbourg die „ausweglose körperliche Liebe“ besingen. Abgesehen davon, dass Borells Charakterisierung an Klarheit zu wünschen übrig lässt, wollte er wohl damit ausdrücken, dass die Beziehungen zu China zwiespältige Gefühle hervorrufen. Maßgebend für die offizielle Haltung der EU ist das Dokument „EU – China Strategische Perspektiven“ vom März 2019, in welchem China gleichzeitig als „Konkurrent, Partner und Rivale“ qualifiziert wird. Die Einschätzung der USA, wie sie etwa in einer gemeinsamen Erklärung der Außen- und Verteidigungsminister der USA und Japans vom 16. März 2021 niedergelegt ist, klingt deutlich aggressiver: „Chinas

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Die Herausforderung für Europa besteht darin, wie es seine eigenen Werte gegenüber China verteidigt.

Verhalten ist, soweit es mit der bestehenden internationalen Ordnung unvereinbar ist, eine politische, wirtschaftliche, militärische und technologische Herausforderung für die internationale Gemeinschaft. Die Minister kamen überein, sich Zwang und destabilisierendem Verhalten gegenüber anderen in der Region, welches das regelbasierte internationale System untergräbt, zu widersetzen.“ Trotz aller Nähe zu den USA ist Europa zwischen die Frontlinien geraten: Peking geht seinerseits realistischerweise davon aus, dass die EU als solche weniger relevant ist als ihre einzelnen Mitgliedstaaten – allen voran Deutschland, Frankreich und, mit Abstand, Italien. Der „Brexit“ als Ausdruck europäischer Uneinigkeit hat China in dieser Meinung nur bestärkt.

Eine weltpolitische und weltanschauliche Herausforderung Europa befindet sich in der Zwickmühle zwischen der Weltmacht USA mit ihren eigenen Interessen und einem autoritären chinesischen Regime, das nicht die europäischen Werte verkörpert. China wird von einer Einheitspartei, der Kommunistischen Partei (KPCh), die heuer ihr 100-jähriges Bestehen feiert, beherrscht. Die EU-Staaten wirken in diesem Machtspiel hilflos. Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik erscheint ohnehin nur als ein frommer Wunsch, weswegen viele in der EU – u. a. der Hohe Repräsentant Josep Borell – sich wünschen, dass ihre Außenpolitik in Hinkunft nicht mehr aufgrund von einstimmigen, sondern von mehrheitlich gefassten Beschlüssen der Mitgliedstaaten geführt werden soll. Dass damit die großen europäischen Staaten es leichter hätten, ihre eigenen Interessen gegen die kleineren – wie Österreich – durchzusetzen, pfeifen die Spatzen von den Dächern. So ist die China-Strategie der EU eigentlich keine Strategie, denn sie will zugleich „von Prinzipien geleitet, praktisch und pragmatisch“ sein und soll „den Interessen und Werten der EU treu bleiben“ – was zwei nicht immer in Einklang zu bringende Parameter sind. Man kann das auch den Ansatz „Mal so, mal so“ nennen. Eine Aussage des ehemaligen kanadischen Premierministers Stephen Harper vom 12. März 2021, wonach „Europa einfach keine Rolle mehr in globalen Fragen des Friedens und der Sicherheit spielt“, spiegelt die Schlaffheit des alten Kontinentes wider. Unmissverständlich ist hingegen das strategische Ziel der USA: „China hat ein übergeordnetes Ziel […] das führende Land der Welt zu werden, das reichste FR E I L I CH


Nach den Armeen der USA und Russlands ist die Volksbefreiungsarmee Chinas die drittstärkste der Welt und verfügt nach der US-Armee über das zweitgrößte Militärbudget (620 Mrd. bzw. 175 Mrd. Euro). Zwar deutlich hinter den US-amerikanischen, verzeichneten die chinesischen Waffenhersteller 2019 immerhin den weltweit zweitstärksten Umsatz.

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Vor allem ist China gemeinsam mit einer exklusiven Gruppe von 18 anderen Staaten eine militärische Atommacht und verfügt wie Russland, die USA und Frankreich auch über die technologischen Ressourcen, um Hyperschall-Raketen zu bauen, die eine mindestens fünff ache Schallgeschwindigkeit erreichen.

Taiwan Die Inselrepublik Taiwan ist eine konsolidierte Demokratie. Formell hat sie sich allerdings nie von Festlandchina unabhängig erklärt. Dieses sieht Taiwan seinerseits als Teil seines Territoriums an. 18 Staaten unterhalten formelle diplomatische Beziehungen mit Taiwan. Darunter befi ndet sich kein einziger EUStaat, wohl aber der Vatikan, der jedoch auch mit China Verträge unterschreibt. Die Taiwan-Frage gilt als die wichtigste und delikateste Angelegenheit zwischen China und den USA. In letzter Zeit haben die Provokationen der USA deutlich zugenommen. Ende August erklärte das State Department: „Wir werden Taiwan weiterhin dabei unterstützen, sich gegen die Einschüchterungs- und Marginalisierungskampagne der Kommunistischen Partei Chinas zur Wehr zu setzen.“ Demgegenüber erinnerte AußenmiN ° / 12 / M A I 2021

Frankreich – infolge des „Brexit“ die einzige verbliebene westeuropäische Atommacht der EU – verfügt über 290 Atomsprengköpfe, die vorwiegend von Unterseebooten aus mit M45- und M51-Raketen bis zu 6000 km weit ins Ziel gebracht werden können. Frankreich stellt daher für China – wenn derzeit auch nur hypothetisch – eine nukleare Bedrohung dar, nicht jedoch die EU, da diese keinerlei Verfügungsgewalt über das französische Atomwaffenarsenal besitzt. Für den Generalsekretär des nordatlantischen Militärbündnisses (NATO), Jens Stoltenberg, stellt China eine Bedrohung für Europa dar: Am 12. Juni 2020 warnte er vor der Gefahr, dass China „immer näher vor die Haustür Europas kommt […]. China investiert stark in Nuklearwaffen und Langstreckenraketen, die Europa erreichen können“. Die NATO-Mitgliedstaaten haben in ihrer Gesamtheit noch keine einheitliche China-Strategie entwickelt. Der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borell, sieht seinerseits in China keine Bedrohung des Weltfriedens, räumt allerdings ein, dass die EU in ihren Beziehungen zu China bislang „zu naiv“ gewesen sei. Indessen hat der britische Premierminister Boris Johnson angekündigt, die Begrenzung der Anzahl von britischen Atomsprengköpfen von 180 auf bis zu 260 zu erhöhen. Realpolitisch spielt China in der Tat mit seinen militärischen Muskeln – der „hard power“ –, aber nur in seiner unmittelbaren Nachbarschaft, etwa gegenüber Indien und Taiwan sowie im Südchinesischen Meer. In diesen Teilen der Welt ist die Angst vor einem Krieg gut nachvollziehbar. Der Kommandant der Pazifischen Armee der USA, Admiral Philip Davidson, geht von einer chinesischen Invasion Taiwans bis 2027 aus. Deutschland und Frankreich haben bereits ihre Solidarität mit den USA durch Entsendung von Kriegsschiffen ins Südchinesische Meer bezeugt. Anderswo setzt China seine „soft power“ ein. Dieser Begriff ist die diplomatisch beschwichtigende Umschreibung für sein beeindruckendes wirtschaftliches und technologisches Gewicht.

Die höchsten Militärausgaben weltweit

Entwicklung Millitärbudget 2006–2017 / in Mrd. Yuan

2019 / in Mrd. EUR 1200 Milliarden Yuan

518,8

1044

151 Milliarden Dollar

954 808,2

800

650,3

2019, Quelle…

Land der Welt und das mächtigste Land der Welt. Das wird unter meiner Aufsicht nicht passieren, denn die Vereinigten Staaten werden weiter wachsen und expandieren“, so US-Präsident Joe Biden bei seiner Pressekonferenz vom 25. März 2021. Wie der chinesische Künstler Ai Weiwei Anfang Oktober 2020 im deutschen Fernsehen meinte, dienen die Erfolge Chinas im Kampf gegen COVID-19 als Vorwand, das eigene System als den demokratischen Gesellschaften überlegen dazustellen. Seit einigen Monaten soll die Kommunistische Partei Chinas Universitäten, Medien und Diplomaten angewiesen haben, auf allen Fronten westliche Argumente zu entkräften. Zudem stehen in Europa wie in den USA die „Konfuzius-Institute“ genannten chinesischen Auslandskultureinrichtungen im Verdacht, politische Propaganda und Spionage zugunsten Chinas zu betreiben, was auch in Österreich im Dezember 2020 zu parlamentarischen Anfragen führte. Sicherlich will sich China keine westlichen Gesellschaftsmodelle vorschreiben lassen. Eine gemeinsame Erklärung des chinesischen und des russischen Außenministers, Wang Yi bzw. Sergei Lawrow, vom 23. März 2021 hält klipp und klar fest: „Eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten einer souveränen Nation unter dem Vorwand der ‚Förderung der Demokratie‘ ist inakzeptabel.“ Drei Umstände verdeutlichen die chinesische Herausforderung für Europa: Taiwan, Hongkong sowie der Status der Religionen und der nationalen Minderheiten, wie insbesondere jener der Uiguren.

China hat etwa 320 Atomsprengköpfe; innerhalb von zehn Jahren soll diese Zahl zumindest verdoppelt werden. Mit den Dongfeng-41-Raketen können diese Sprengköpfe in bis zu 15.000 km Entfernung zur Detonation gebracht werden und damit sowohl die USA als auch die EU erreichen.

519,1

182,5 400

417,8

280,7

58,7 0

USA

China

RUS

2006 2008 2010

2012 2014

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China sucht offensiv Partner für die Zukunft. Beim BRICS-Gipfel zu Gast sind so unterschiedliche Nationen wie Ägypten, Kenia, Tadschikistan, Mexiko und Thailand.

nister Wang Yi am 7. März 2021 die USA daran, dass sie in der Taiwan-Frage nicht „mit dem Feuer spielen“ sollten. Das US-Verteidigungsministerium ist im Begriff, Taiwan im Rahmen einer „Festung Taiwan“ genannten Initiative gleichzeitig sieben Waffensysteme (u. a. Minen, Raketen und Drohnen) im Wert von sieben Milliarden Dollar zu verkaufen. Die USA haben in der Zwischenzeit auf Taiwan auch ein Wartungszentrum für amerikanische F-16-Kampfjets errichtet. China hat seinerseits seine Militärmanöver vor und über Taiwan verstärkt. Das chinesische Verteidigungsministerium gibt an, alles unternehmen zu wollen, um eine Sezession Taiwans zu verhindern. Europa scheut hingegen davor zurück, den chinesischen Riesen wegen der kleinen, aus chinesischer Sicht abtrünnigen Republik Taiwan zu reizen. Dabei ist es offenbar unerheblich, dass die EU-Kommission Taiwan als wesentlichen Partner, mit dem man ähnliche Werte teile und offene, freie Gesellschaften hochhalte, einstuft. Quasi stellvertretend für alle EU-Mitgliedstaaten skizziert das deutsche Auswärtige Amt Berlins offizielle Linie wie folgt: Taiwan sei ein „Wertepartner“, mit dem man „exzellent“ zusammenarbeite – aber nur unterhalb der Schwelle diplomatischer Beziehungen. Eine Abkehr von der Ein-China-Politik „würde die deutsch-chinesischen Beziehungen schwerwiegend beschädigen, und das liegt nicht in unserem Interesse“. Bei der Wahl zwischen Werten und Interessen zieht man in der europäischen Außenpolitik dann doch die Interessen vor. Das machen andere außenpolitische Akteure in der Regel nicht anders, doch in Europa streut man den Menschen zur Beruhigung der öffentlichen Meinung gern Sand in die Augen.

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Hongkong Das am 30. Juni 2020 erlassene Sicherheitsgesetz erlaubt den chinesischen Behörden in Hongkong ein hartes Vorgehen gegen alle Aktivitäten, die ihrer Auffassung nach die nationale Sicherheit bedrohen. Hongkong gehört seit 1997 wieder zu China, wird aber nach dem Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“ mit eigenen Regeln für Wirtschaft und Politik geführt. Wegen des Sicherheitsgesetzes hat die EU am 28. Juli 2020 Exporte nach China, die zur Niederschlagung von Protesten oder zur Überwachung von Kommunikation genutzt werden können, weiter eingeschränkt. Von Sanktionen gegen chinesische Politiker, die für das umstrittene neue Sicherheitsgesetz für Hongkong verantwortlich sind, nahm die EU – anders als die USA – Abstand. Was die EU gegen die angekündigte Wahlrechtsreform, die den Einfluss der prodemokratischen Opposition durch Einführung von Gesinnungsprüfungen von Kandidaten zurückdrängen soll, unternehmen will, ist zur Zeit unklar. Mehr als schwache Signale sind freilich nicht zu erwarten. Peking machte sich über die Reaktion der EU einerseits lustig und kanzelte sie als bloß symbolisch ab, andererseits wies es die Vorgehensweise der EU als völkerrechtswidrige Einmischung in die inneren Angelegenheiten Chinas zurück.

Religionen und Menschenrechte China unterdrückt Religionen. 2017 warnte die KPCh ihre Mitglieder davor, auf Religionen zu vertrauen, denn sie stellten als Aberglaube „eine geistige Verschmutzung“ dar. Diese Unterdrückung dient vor allem dem Ziel, religiös motiviertem politischen Widerstand vorzubeugen. Dementsprechend werden religiöse Führer der gesetzlich anerkannten Religionen FR E I L I CH


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D I E VO L K S R E P U B L I K C H I N A

ist ein Staat in Ostasien. Mit rund 1,4 Milliarden Einwohnern stellt China das bevölkerungsreichste und – gemessen an seiner Gesamtfläche – das viertgrößte Land der Erde dar. Gemäß ihrer sozialistischen Verfassung steht die Volksrepublik China „unter der demokratischen Diktatur des Volkes“, wird jedoch von Beginn an durchgehend allein von der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) autoritär bis totalitär regiert. Bis heute werden ihr schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen.

R u s s l a n d

Mongolei

K a s a c h s t an

Nordkorea

Usbekistan

Turkmenistan Südkorea Irak Kaschmir C H I N A Afganistan Iran N e p al Pakistan Bhutan SaudiTaiwan Bangladesch HongArabien MyanLaos Indien Oman kong mar Thailand Vietnam Jemen Kambodscha Philippinen

Türkei

Sri Lanka

Japan

Malaysia Indonesien

(Buddhismus, Islam, Katholizismus, Protestantismus und Taoismus) verpfl ichtet, die atheistische KPCh und das sozialistische System zu unterstützen. Zum Schutz der nationalen Einheit muss laut Chinas Staatspräsident Xi Jinping „Splittismus“ bekämpft und China zur „uneinnehmbaren Festung“ werden. So sind Christen in China immer wieder Repressalien ausgesetzt. 2018 lebten dort offi ziell 38 Millionen Protestanten und sechs Millionen Katholiken. Manchen Schätzungen zufolge wird China 2030 das Land mit der weltweit zahlenmäßig größten christlichen Gemeinde sein. In der offi ziellen, im April 2018 schriftlich niedergelegten chinesischen Religionspolitik wird daran erinnert, dass Katholizismus und Protestantismus als ausländische Religionen in China „lange von Kolonialisten und Imperialisten kontrolliert wurden“. Doch auch gegen einheimische Religionen wird vorgegangen, wie die Ächtung des Oberhauptes des tibetischen Buddhismus, des Dalaï Lama, zeigt. Schließlich entspringen in Tibet die wichtigsten chinesischen Flüsse, wie der Gelbe Fluss und der Jangtse sowie der auch durch Indien und Bangladesch fl ießende Brahmaputra. Deshalb ist das Gebiet, strategisch gesehen, für China enorm wichtig. N ° / 12 / M A I 2021

China will sich kein westliches Gesellschaftsmodell vorschreiben lassen und lehnt MenschenrechteDoppelmoral ab.

Aufgrund des Umfanges und der Grausamkeit der Verfolgungen steht allerdings seit ein paar Jahren die muslimische Minderheit der Uiguren im Blickpunkt der Öffentlichkeit. In der von den Uiguren bewohnten westlichen Provinz Xinjang befinden sich 15 % der chinesischen Erdölreserven, 22 % der Erdgasreserven, 115 der 147 in China abbaubaren Rohstoffe und 20 % der weltweiten Baumwollproduktion. China befürchtet daher umso mehr nationalistisch und islamistisch motivierte Abspaltungsbestrebungen in dieser Provinz. Seit 2016 soll China unter dem Motto des „Krieges gegen den Terror“ 380 Internierungslager errichtet haben. Aus diesem Grunde verhängten die EU und das Vereinigte Königreich am 22. März 2021 Sanktionen gegen vier hochrangige chinesische Beamte und eine chinesische Baufi rma. Postwendend verhängte China Sanktionen gegen zehn Europäer und vier Organisationen, darunter je einen Abgeordneten der Parlamente Belgiens, der Niederlande und Litauens. Diese drei Parlamentarier hatten ihre nationalen Parlamente dazu aufgerufen, die Behandlung der Uiguren als Völkermord zu qualifi zieren. Dem österreichischen Nationalrat liegt der Entwurf einer Entschließung mit einer ebensolchen Forderung vor.

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R E P O R TAG E PROTESTE GEGEN CHINA

Seit April 2019 gehen die Menschen in Hongkong auf die Straße, um für Demokratie zu demonstrieren. Der Hongkong-Protest verschärfte sich ab Anfang Juni 2019, zunächst aufgrund einer von der Regierung vorgeschlagenen Gesetzesänderung, die die Auslieferung von Hongkonger Bürgern an das chinesische Festland ermöglichen würde. Seither dauern die Unruhen in Hongkong an und eskalieren immer weiter.

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Obzwar die Sanktionen einstimmig von allen EU-Staaten beschlossen wurden, beeilte sich der ungarische Außenminister Péter Szijjártó, die Sanktionen als „sinnlos, anmaßend und schädlich“ zu bezeichnen, „zumal vier Chinesen auf diese Sanktionsliste gesetzt wurden, was in den letzten dreißig Jahren nicht aus Menschenrechtsgründen geschehen ist […]. Der Außenministerrat der Europäischen Union sollte nicht in einen Sanktionsrat umgewandelt werden“. Die EU habe mit diesen Sanktionsbeschlüssen nie etwas geändert und werde wahrscheinlich auch jetzt nichts ändern, fügte Szijjártó hinzu. Österreichs Außenminister Wolfgang Schallenberg hingegen begrüßte die EU-Sanktionen als „wichtiges Signal“ und erklärte dazu: „Der Einsatz für Menschenrechte kann keinen Lockdown kennen.“ So will Europa der Öffentlichkeit „political correctness“ vorspiegeln: Wegen – laut EU – einer Million willkürlich gefangen gehaltener Uiguren, schweren Menschenrechtsverletzungen, Zwangsarbeit und -sterilisationen soll China damit bestraft werden, dass vier chinesische Beamte und deren Familien nicht nach Europa reisen dürfen. An Glaubwürdigkeit hat die EU dadurch nicht gewonnen.

Gleichzeitig liest man auf der Website der österreichischen Botschaft in Peking, dass sich die österreichisch-chinesischen Beziehungen „bestens“ entwickelten und man heuer das 50-jährige Jubiläum der am 28. Mai 1971 erfolgten Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Volksrepublik China begehe. Kohärenz ist dezidiert kein prägendes Merkmal der Diplomatie. Mehr als eine halbe Million Uiguren soll auf den Baumwollfeldern Zwangsarbeit leisten. Unternehmen aus Europa sollen davon profitiert haben: Laut dem Institut für Strategische Politik Australiens sollen viele internierte Uiguren gezwungen worden sein, für europäische Firmen wie BMW, Cerruti, Lacoste, Siemens, Volkswagen und Zara zu arbeiten. China richtete den Europäern aus, dass die sich zwar als Oberlehrer in Sachen Menschenrechte gerierten, in Wirklichkeit aber ihre heuchlerische Doppelmoral aufgeben müssten. In den letzten 40 Jahren seien 800 Millionen Chinesen aus der Armut befreit worden.

Eine wirtschaftliche Herausforderung Rund 1800 Jahre lang, bis zur industriellen Revolution, galt China als das reichste Land der Welt. Der Aufschwung der chinesischen Wirtschaft in den letzten 40 I I


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Chinesische Expansionspolitik ist vor allem Wirtschaftspolitik, die nicht das Hauptaugenmerk auf die Expansion der Ideologie legt. Sondern eben auf wirtschaftlichen Erfolg und Export von Waren. Ideologie spielt da keine Rolle.

Jahren ist daher kein neues Phänomen, sondern eine Rückkehr zur Normalität. Es kann nicht verwundern, dass China eines der höchsten BIP der Welt hat, weil es seit zumindest 2000 Jahren 20 % bis 25 % der Weltbevölkerung stellt (heute 1,4 Milliarden Menschen). Bis 2021 wird es voraussichtlich einen Anteil von 18 % am Welt-BIP haben (USA: 24 %, EU: 15,5 %). Bezeichnend ist, dass es im Jahr 2013 nur 23 chinesische Unternehmen unter den 500 größten Unternehmen der Welt gab; 2020 waren es bereits 124, d. h. um drei mehr als aus den USA. China betont gegenüber Europa, dass es viele Möglichkeiten der Zusammenarbeit biete, was zweifellos richtig ist. Für die herrschende KPCh ist es zur Absicherung ihrer Herrschaft im Innern wichtig, dass die Wirtschaft des Landes weiter wächst. Psychologisch kann die wirtschaftliche Aufholjagd auch als Revanche für den Affront, den China von den Westmächten im „Jahrhundert der Erniedrigung“ (1849–1949) erleiden musste, verstanden werden. In diesen Zusammenhang fällt auch die 2013 von China gegründete „Belt and Road Initiative“ („Initiative Gürtel und Straße“ – BRI). Diese soll insgesamt 149 Staaten einschließlich Österreich umfassen – offi zielle staatliche Angaben dazu N ° / 12 / M A I 2021

Für die Kommunistische Partei ist es zur Absicherung ihrer Herrschaft wichtig, dass die Wirtschaft des Landes weiter wächst.

fehlen allerdings. Die BRI wird vorwiegend vom chinesischen Staat fi nanziert. Mitte 2020 sollen ihr 2600 Projekte im Gesamtwert von 3,1 Billionen Euro zuzurechnen gewesen sein. In Europa suchen vor allem die Staaten des ehemaligen Jugoslawien – allen voran Serbien – sowie Albanien, von der BRI zu profitieren. Serbien hat zwischen 2009 und 2017 von China Entwicklungshilfekredite in Höhe von 2,4 Milliarden Euro erhalten. Die BRI beruht auf der Grundannahme, dass eine bessere Handelsinfrastruktur die Transportkosten senke. Oft ist es jedoch schwer, einzelne Vorhaben der BRI zuzuordnen, da es keine umfassende Projektliste gibt. Außerdem besteht eine gewisse internationale Skepsis rund um die BRI, und zwar wegen der mangelnden Transparenz der Projekte sowie deren Umweltverträglichkeit und Korruptionsanfälligkeit. China verfolgt als Teil der BRI einen strategischen Plan für Osteuropa. Es zeigt seine Interessen in der Region seit 2012 in einem Format mit dem Namen „17 + 1“. 17 Länder aus Osteuropa, zwölf davon in der EU, verhandeln dabei mit Peking. Zwischen Budapest und Belgrad will die Volksrepublik eine Expresszugstrecke bauen. Den spektakulärsten Coup landete China mit der Über-

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R AU M FA H R T I N C H I N A China verfolgt ein ehrgeiziges Raum-

fahrtprogramm mit Missionen zu Mond und Mars sowie dem Aufbau einer

eigenen Raumstation. Im Januar 2019

landete China als erste Raumfahrtnation mit „Chang’e 4“ auf der relativ uner-

forschten erdabgewandten Seite des

Mondes. Es wurde ein Rover ausgesetzt,

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der weiter die Oberfläche erkundet.

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nahme des Hafens von Piräus, den Chinas Präsident Xi Jinping den „Kopf des Drachens in Europa“ nannte. Tatsächlich blühte der griechische Hafen unter chinesischer Führung auf, und er wurde in strategischer Hinsicht Sinnbild europäischer Naivität. Aber auch im Westen Europas wird um Seehäfen gerungen. So wurde Portugal am 26. September 2020 von den USA unmissverständlich ersucht, zwischen China oder den Alliierten USA zu wählen: Sollte nämlich Portugal einen Terminal des Hafens Sines südlich von Lissabon China überlassen, würde man für Gaslieferungen aus den USA einen anderen Hafen finden müssen. Allgemein wollen die USA Europa China nicht kampflos überlassen und beabsichtigen nun, ein BRI-Gegenprojekt ins Leben zu rufen. China ist mittlerweile als Folge der COVID-19-Krise vor den USA der größte Handelspartner der EU; seit Jänner 2020 ist die EU für China nur mehr der zweitgrößte Handelspartner, und zwar nach dem Verband Südostasiatischer Staaten (ASEAN). Bemerkenswert ist, dass von April bis Juni 2020 China für Deutschland zum größten Exportmarkt geworden ist. Insgesamt ist die Handelsbilanz der EU gegenüber China defizitär (2020: 181 Mrd. Euro). Auch ist es für EU-Unternehmen schwieriger, einen Marktzugang in China zu bekommen, als umgekehrt. Diese fühlen sich laut der Europäischen Handelskammer in China zunehmend unwillkommen. Private wie staatliche chinesische Unternehmen kommen zudem in den Genuss signifikanter staatlicher Förderungen. Die EU-Kommission versucht, die für Europa nachteiligen Wirtschaftsbeziehungen im Wege eines umfassenden Investitionsschutzabkommens zu korrigieren. Konkret fordert die EU einen verbesserten Marktzugang im Telekommunikations-, Computer- und Biotechnologiesektor sowie in der Automobilindustrie, Transparenz bei staatlichen Beihilfen, Einstellung des erzwungenen Technologietransfers, konkrete Schritte zum Abbau seiner Stahl-Überkapazitäten. Eine Grundsatzvereinbarung mit China über dieses Abkommen wurde am 30. Dezember 2020 erzielt. Dabei sollte man nicht vergessen, dass es die EU-Kommission war, die Europa über Jahrzehnte hinweg asymmetrische – sprich: nachteilige – Wirtschaftsbeziehungen mit China und anderen Staaten eingehandelt hat. Die am 22. März 2021 verhängten wechselseitigen Sanktionen wirken sicherlich einer schnellen Ratifikation des EU-China-Investitionsschutzabkommens entgegen. Dazu kommt, dass die EU 2019 eine Verordnung zur Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen erlassen hat („EU-FDI-Screening-Verordnung“). Auf deren Grundlage hat auch das österreichische Parlament 2020 ein Investitionskontrollgesetz verabschiedet. Begründet wurden Verordnung und Gesetz mit dem Umstand, dass „Direktinvestitionen aus Drittstaaten […] eine Bedrohung für die Sicherheit oder öffentliche Ordnung darstellen können“. Natürlich ist mit „Dritt-

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China lebt einerseits sein sehr traditionelles Leben, andererseits hat die Revolution das Land bis in den Kapitalismus hypermodernisiert.

Chongqing, 2019: Gesichtserkennungstechnologie auf der Smart China Expo. China legt großen Wert auf Überwachungsstrategien.

staaten“ insbesondere China gemeint. Ob diese Maßnahmen effizient sein werden, wird man erst sehen. In Österreich stellt sich insbesondere die Frage, ob überhaupt genügend Beamte zur effektiven Überprüfung ausländischer Investitionen zum Einsatz kommen. Von 2000 bis 2019 hat China in der EU Investitionen in strategisch wichtigen Bereichen getätigt: in Verkehr und Infrastruktur (29,1 %), in Informations- und Kommunikationstechnologien (12,4 %), im Energiesektor (10,1 %), in der Automobilindustrie (14,1 %) sowie im Bereich Immobilien und Gastgewerbe (11,2 %). Bis Ende des Jahres 2020 betrug der Kapitalbestand von Direktinvestitionen (FDI) aus China in den Ländern Europas rund 365 Milliarden Euro. Großbritannien weist mit rund 83,5 Milliarden Euro insgesamt den größten Kapitalbestand chinesischer Direktinvestitionen in Europa auf, gefolgt von der Schweiz (52 Milliarden) und Deutschland als erstem EU-Land auf dem dritten Platz mit rund 41 Milliarden, mit Österreich bei 1,1 Milliarden und Hongkong bei 3,7 Milliarden.

Eine technologische Herausforderung Der Technologiesektor ist längst zum Schlachtfeld zwischen den USA, China und einzelnen europäischen Staaten geworden. Das gilt zum Beispiel für den internationalen Wettlauf um den Abbau wertvoller Materialien aus Asteroiden und dem Mond. Laut Schätzungen der US-Investment-

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China hat 2019 mehr Patente angemeldet als die USA. Alle EU-Mitgliedstaaten zusammengenommen haben weniger Patente angemeldet als China oder die USA.

bank Morgan Stanley könnte die Weltraumindustrie bis 2040 Einnahmen von mehr als einer Billion Dollar lukrieren. Sowohl US- als auch chinesische Unternehmen sind insbesondere an Forschungen zur Ausbeutung von Ressourcen auf dem Mond und Asteroiden beteiligt und greifen fast buchstäblich nach den Sternen. Die EU weiß ihrerseits wieder nicht, wo ihr der Kopf steht: Während Luxemburg gemeinsam mit der Europäischen Weltraumagentur ESA ein Weltraumressourcen-Zentrum (ESRIC) errichtet hat und chinesische und US-Raumfahrtunternehmen aktiv anzieht, um am Asteroidenbergbau teilzuhaben, hat Österreich eine diplomatische Initiative zur Erschwerung der amerikanischen und chinesischen Asteroidenbergbauaktivitäten gesetzt. Es wird interessant sein, zu beobachten, ob sich der neue österreichische ESA-Generaldirektor Josef Aschbacher auf die österreichische oder luxemburgische Seite schlägt. Ohne ein internationales Vertragswerk, das von den wichtigsten Raumfahrtnationen mitgetragen wird, drohen der Mond und andere Himmelskörper jedenfalls zum nächsten „Wilden Westen“ zu werden. Bezeichnend für die heute einander gegenüberstehenden geopolitischen Blöcke ist, dass einerseits China mit Russland und andererseits die USA mit der ESA Mondstationen errichten wollen. „China und Russland waren immer die Säulen von Frieden und Stabilität in der Welt“, meinte Chinas Außenminister Wang Yi am 7. März 2021 vor dem 13. Nationalen Volkskongress. FR E I L I CH


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C H I N A U N D D E R K L I M AWA N D E L

Im Rahmen des 75. Jahrestages der Gründung der Vereinten Nationen erklärte Präsident Xi Jinping, dass China bis 2060 klimaneutral sein will. Zwar ist dieses Land bei der Energieproduktion noch weitgehend von klimaschädlichen Kohlekraftwerken abhängig, doch pro Kopf der Bevölkerung entspricht der CO2-Ausstoß in China derzeit nur in etwa jenem Österreichs. China will sich aber außerdem damit brüsten, weltweit „die Nr. 1 bei den installierten Windkraft-, Solar und Wasserkraftwerken“ zu sein. Auch will China bis 2030 zur Erreichung der Klimaneutralität die Energieproduktion aus der Kernkraft verdoppeln. Schon jetzt ist dieses Land nach den USA und Frankreich der weltweit drittgrößte Produzent von Kernenergie. Die in Wien ansässige Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) geht davon aus, dass diese Energieform der Welt jährlich zwei Gigatonnen Treibhausgasemissionen erspart. Über die Rolle der Kernenergie bei der Bekämpfung des Klimawandels sind die EU-Staaten wieder einmal nicht einer Meinung: Zuletzt haben die Staatspräsidenten Frankreichs, Polens, der Slowakei, Sloweniens, Rumänien, Tschechiens und Ungarns in einem Schreiben an die EU-Kommision am 19. März 2021 sich für die Anerkennung der Rolle der Atomkraft bei der Bekämpfung des Klimawandels eingesetzt. Der Brief ist natürlich gegen die entgegengesetzte Haltung von Staaten wie Österreich und Deutschland gerichtet. Die österreichische voestalpine AG war jedenfalls beim Bau der chinesischen CAP-1400-Atomkraftwerke mit dabei. Sowohl China als auch Europa und die USA forschen an sogenannten „Carbon-Capture-and-Storage“-Technologien (CCS) zur Absonderung und unterirdischen Lagerung von CO2. Wissenschaftler gehen davon aus, dass durch eine solche Speicherung 65–80 % des CO2 dauerhaft aus der Atmosphäre ferngehalten werden könnten.

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China ist unter allen globalen Akteuren der Welt wohl jener mit dem größten strategischen Weitblick. Die Europäische Union fällt demgegenüber immer wieder durch ihre strategische Schwäche auf. Ihre Haltung gleicht einem „Tanz auf rohen Eiern“. Es gilt nach wie vor der Satz des ehemaligen belgischen Außenministers Mark Eysken: „Europa ist ein wirtschaftlicher Riese, ein politischer Zwerg und ein militärischer Wurm.“ Als Riese aber macht Europa nicht gerade die Figur eines Titanen. China hat Europa dazu aufgerufen, eine Politik der strategischen Autonomie zu verfolgen und sich nicht im Streit zwischen China und den USA vereinnahmen zu lassen. Soweit deckt sich das chinesische Interesse mit jenem der EU, hat doch der Hohe Repräsentant Josep Borrell die Europäer dazu aufgerufen, ihren eigenen Weg zu gehen. Dementsprechend hat man seinen Ansatz als „FrankSinatra-Doktrin“ bezeichnet, in Anlehnung an Sinatras weltberühmten Song „My Way“. Der Sänger konnte allerdings vermitteln, welchen Weg er meint; Borell hingegen nicht. Die Entscheidung triff t ohnehin nicht er, sondern die EU-Mitgliedstaaten.

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China hat 2019 mehr Patente angemeldet als die USA. Alle EU-Mitgliedstaaten zusammengenommen haben weniger Patente angemeldet als China oder die USA. Zu einem beträchtlichen Teil gingen diese chinesischen Anmeldungen auf die Firma Huawei, jene der USA auf die kalifornische Qualcomm, jene der EU auf die schwedische Firma Ericsson und den deutschen Automobilzulieferer Robert Bosch zurück. In den USA gelten Internetfirmen wie Huawei und ZTE offiziell als nationale Bedrohung. Die Supermacht warnt andere Staaten eindringlich davor, Internetausrüstung etwa bei Huawei, das 1987 von einem ehemaligen Ingenieur der chinesischen Volksbefreiungsarmee gegründet wurde, zu erwerben, und empfiehlt die europäischen Ausrüster Nokia und Ericsson. Dennoch hat sich Österreich zum Ausbau seines 5G-Netzes auf die chinesische Firma gestützt. Die deutsche Bundesregierung hat ihrerseits im Dezember 2020 die Übernahme der nordrhein-westfälischen Firma IMST, die auf 5G-, Satelliten- und Radartechnologie spezialisiert ist, durch den chinesischen Rüstungskonzern Casic verboten. Als Begründung wurde u. a. die Gefährdung der technologischen Souveränität Deutschlands im Bereich künftiger Mobilfunksysteme angeführt. In der Zwischenzeit hat der Wettlauf zwischen China und Europa um die digitale Souveränität im Bereich der für 2030 erwarteten Inbetriebnahme eines

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China bringt nicht kommunistische Propaganda, sondern systematische Aushöhlung und Hinterfragung westlicher Haltungen.

Im Riesenreich herrscht die Diktatur einer Partei: Kommunistische Delegierte hören zu. Chinas Präsident Xi Jinping hielt 2017 eine fast vier Stunden lange Rede über die Zukunft des Landes.

6G-Netzwerkes, das hundertmal schneller als das 5GNetz sein soll, bereits begonnen. Während China im November 2020 den ersten 6G-Testsatelliten in den Orbit der Erde geschickt hat, hat die EU-Kommission im Dezember 2020 dem fi nnischen Konzern Nokia die Leitung des 6G-Forschungsprojektes „Hexa-X“ übertragen. Tatsache ist aber auch, dass Europa viel mehr von US- als von chinesischer Technologie abhängig ist. Beide Mächte sind führend im Bereich der Überwachungstechnologie. Daher sind sowohl die USA als auch China für die Souveränität der europäischen Staaten problematisch. Der deutsche Außenminister Heiko Maas formulierte die sich für Europa ergebende Herausforderung am 31. August 2020 in Paris wie folgt: „Wir leben in einer digitalen Welt, die immer mehr auf zwei Pole hinausläuft . Der eine Pol ist ‚Silicon Valley‘. Das ist das amerikanische Modell, ein […] rein profitmaximierendes Modell […]. [D]er zweite digitale Pol bildet sich in China […]. Digitale Möglichkeiten werden dort genutzt zur Repression. Und diese beiden Modelle können nicht Modelle für Europa sein. Wie [vom französischen Außenminister] erwähnt, brauchen wir zur technologischen Souveränität einen dritten Weg. Wer die Macht hat über Daten […], der hat auch die Macht über Länder.“ Am 9. März 2021 präsentierte die EU-Kommission einen „Digitalen Kompass 2030 – Europas Weg in die Digitale Dekade“,

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dessen Ziel es ist, einen eigenständigen europäischen Weg in die digitale Zukunft zu zeichnen. Gleichzeitig trachtet auch China danach, seine Abhängigkeit von ausländischer Technologie zu verringern.

Chinas Weg: Marx und Konfuzius WACHABLÖSE

Karin Kneissl, bekannte Expertin für geo- und energiepolitische Fragen, unternimmt mit diesem Buch eine Bestandsaufnahme dieses Epochenwechsels. Sie vertritt die These, dass sich China in unserer multipolaren Welt nicht mit einer geopolitischen Führungsrolle zufriedengibt, sondern vielmehr eine globale Vormachtstellung anstrebt. Karin Kneissl: Wachablöse. Auf dem Weg in eine chinesische Weltordnung Frank&Frei, Wien 2017. ISBN 978-3-9504348-4-2 A € 14,90 / D € 14,90

Anders als die UdSSR fällt China nicht durch kommunistische Propaganda auf, es hat aber den Weg systematischer Aushöhlung und Hinterfragung westlicher Haltungen eingeschlagen. Da China bei der Zurückdrängung der Armut unter seiner Bevölkerung sehr erfolgreich war, kann es auf ein effi zientes Regierungssystem verweisen. Gleichzeitig profitiert es im Ausland vom Vertrauensverlust der Bevölkerung gegenüber deren jeweils eigener Regierung. De facto verfügt China dank seiner wirtschaft lichen Macht und seines technologischen Know-hows über viel mehr Möglichkeiten, auf die Politik nicht nur einzelner EU-Mitgliedstaaten, sondern aller Staaten einzuwirken. Für die USA stellt daher China eine größere Gefahr dar als seinerzeit die UdSSR. In einem Statement vom 18. August 2018 erklärte UNO-Generalsekretär António Guterres, dass das Verhältnis zwischen China und den USA heute dysfunktionaler sei denn je. Es bestehe die Gefahr zweier Blöcke mit zwei dominanten Währungen, zwei Regelungssphären für den Handel, zwei unterschiedlichen Internets, zwei unterschiedlichen Strategien für I I


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künstliche Intelligenz und infolgedessen zwangsläufig zwei geostrategischen und militärischen Strategien. Für Europa stellt China die größere Sorge dar, denn einerseits hängen Europas Verteidigung und Außenpolitik noch immer maßgeblich von den USA ab, und andererseits ist uns das aus der Revolution 1776 hervorgegangene demokratische System der USA mit seinen Grund- und Freiheitsrechten sympathischer als das autoritäre marxistisch-konfuzianistische chinesische Staatsmodell. Dies entspricht auch dem Ansatz des österreichischen Außenministeriums. Jedem sollte aber bewusst sein, dass die Maxime „America First“ auch unter Präsident Joe Biden gilt, die europäischen Verbündeten für die USA nicht oberste Priorität haben und ein militärisch vernachlässigbares Land wie Österreich, das nicht einmal NATO-Mitglied ist, überhaupt nur unter „ferner liefen“ gereiht ist. Bei der Münchner Sicherheitskonferenz erklärte US-Präsident Biden am 19. Februar 2021: „Wir müssen beweisen, dass unser Modell kein historisches Relikt ist.“ Der KPCh scheint es allerdings gelungen zu sein, das Monopol der Demokratien auf wirtschaftlichen Fortschritt zu brechen. Anfang Dezember 2020 formulierte dies ein Mitarbeiter der serbischen Botschaft in Peking wie folgt: „Die KPCh ist eine regierende Partei, die mit Voraussicht dem Volk einen ehrlichen Dienst erweist und Ressourcen vernünftig verteilt, um eine ausgewogene N ° / 12 / M A I 2021

und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung zu fördern. Sie hat viele Probleme gelöst, die Entwicklungsländer noch nicht überwunden haben.“

Der nächste Weltkrieg Es ist zwar nicht davon auszugehen, dass die zwei immer feindseligeren Rivalen China und USA einen Krieg anstreben. Beachtung fand allerdings ein heuer veröffentlichter und von den hochrangigen US-Offizieren Elliot Ackerman und James Stavridis geschriebener Zukunftsroman mit dem Titel „2034 – der Roman des nächsten Weltkrieges“, welcher den Ausbruch einer globalen militärischen Auseinandersetzung infolge eines Zwischenfalles im Südchinesischen Meer schildert. Bezeichnend für die Verlagerung der geostrategischen Prioritäten von der Antike bis zur Gegenwart ist die darin enthaltene kurze historische Betrachtung: „Der Seekrieg hat seinen Ausgang im Mittelmeer genommen und könnte hier, im Südchinesischen Meer, enden.“ Präsident Biden führt den China-Kurs Präsident Trumps fort. Die Beziehungen mit China stellen für die USA „den größten geopolitischen Test des 21. Jahrhunderts“ dar und bedeuten nicht weniger als die Fortsetzung der historischen Auseinandersetzung zwischen Demokratie und Tyrannei. Die Europäer werden es sicherlich verstehen, sich in diese Auseinandersetzung mit vielen interessanten und nuancenreichen Wortspenden einzubringen – die Sprache der Macht haben sie allerdings weitgehend verlernt.

Walter Gehr ist in Frankreich und Österreich aufgewachsen und hat nach dem Studium der Rechtswissenschaften im Jahre 1989 eine diplomatische Laufbahn im österreichischen Außenministerium begonnen.Im Dezember 2017 Kabinettschef von Außenministerin Karin Kneissl sowie ab 2018 außenpolitischer Berater von Vizekanzler HC Strache. Zurzeit ist Walter Gehr in der Kultursektion des Außenministeriums tätig. Die in diesem Artikel getroffenen Aussagen spiegeln die persönlichen Ansichten und Wahrnehmungen des Autors wider.

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Willkommen zurück, Dr. Mabuse VON GÜNTER SCHOLDT

Ein Bild unserer Zeit: Dr. Mabuse als der große Spieler in Fritz Langs legendärer Verfilmung des Romans von Norbert Jacques.

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Vor 100 Jahren erblickte mit Dr. Mabuse ein Roman-, Film-, Theater- und Hörspielbösewicht das Licht der Unterhaltungswelt – für Jahrzehnte ein Hätschelkind wie Markenzeichen des Krimiund Schauergenres.

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Diverse Übersetzungen und Hörbücher zeugen von ihm. Comic-Verlage adaptierten bzw. usurpierten die Figur („Schwermetall“; José María Beroy in Spanien; das Autorentrio Kreitz, Breitschuh, Dinter), desgleichen die Jugendbuchreihe „TKKG“ mit dem Band „Im Schattenreich des Dr. Mubase“. Eine Rockband hat sich nach ihm benannt. Kompositionen mit Mabuse im Titel stammen von Musikern bzw. Gruppen wie „Propaganda“, „Blue System“, Ran Blake, „Locas in Love“ oder „Die Krupps“. Es finden sich Anspielungen in Fernsehund Hörspielserien wie „Kottan ermittelt“ (als „Dr. Buesam“), „Green Hornet“ oder 2018 bei „Professor van Dusen in der Totenvilla“, wo ein „Dr. Raguse“ auftritt. Ein Buchverlag sowie eine alternative Ärztezeitschrift („Dr. med. Mabuse“) tragen seinen Namen. Es gibt einen „Prix Mabuse“, im Internet kursiert ein Trailer auf Schwäbisch („Die 1000 Glotzböbbel vom Dr. Mabuse“) und etliches mehr, was von fortdauernder Popularität zeugt, während sein Verfasser, der Luxemburger Reiseschriftsteller Norbert Jacques, zu Unrecht fast gänzlich vergessen ist. Sein bekanntester (allein in Deutschland von einem Dutzend Verlage gedruckter) Roman hieß „Dr. Mabuse, der Spieler“, produziert wie im Rausch innerhalb von 20 Tagen in einer Bauernkneipe von Hörbranz. Die „Berliner Illustrirte Zeitung“ veröffentlichte ihn erstmals vom 25. September 1921 bis 29. Januar 1922. Umgehend erschienen Buchausgabe und Verfilmung durch Fritz Lang, was erheblich zu dessen internationaler Popularität beitrug. „Mabuse“ wurde Jacques’ größter Verkaufshit; seine Absatzziffer überstieg 1922 bereits die 100.000, insgesamt die halbe Million. Dabei war der Text bereits Millionen Lesern durch den Abdruck in der Illustrierten bekannt, die nie seit ihrer Gründung 1894 eine vergleichbar stürmische Nachfrage verzeichnete.

Vexierspiegel der Zeit Der Text verdankt seine Grundstimmung und Wirkung der durch wirtschaftliche Not stimulierten politisch-gesellschaftlichen Krise und einer hektischen Amüsieratmosphäre, in der die Nachkriegsgesellschaft ihren langjährigen Genussverzicht kompensierte. In ihr vollzog sich unter Wehen und Krämpfen der Übergang von der Kaiserzeit zur Republik. Zum täglichen Szenario gehörten Attentate, größere und kleinere Aufstandsversuche von Liebknecht bis Kapp oder Max Hölz. Bereits die ersN ° / 12 / M A I 2021

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Drogen- oder Spielerszene. Er umfasst darüber hinaus grundlegende politische Traumata einer labilen Nachkriegsgesellschaft, die obendrein den Wechsel ihrer Staatsform verkraften musste. Die Sorge vor einem wirtschaftlichen Ausverkauf und Zusammenbruch gehört ebenso dazu wie die Haltlosigkeit einer im Krieg hochgeputschten Generation, die sich nun auf weniger nervenerregende Zivilziele reduziert sah. Allgegenwärtig im Text ist das Bewusstsein einer Wertekrise, des Umbruches einer Zeit. Die Technik mit Auto- und Flugzeugjagden, mit Giftgas und einem zu Romanzwecken erfundenen mitrailleusegespickten Amphibienfahrzeug präludiert mit künftigen Schrecken. Die Psychoanalyse oder das, was Jacques dafür hielt, deckt Abgründe im Menschen und Mitmenschen auf, schürt in Verbindung mit Hypnose massive Ängste vor einer unkontrollierten Fremdbestimmung. Gleichzeitig entziehen sich Frauen vor allem der Großstadt ihrer angestammten Rolle und erwecken männliche Besorgnisse, die im Roman unterschwellig artikuliert werden. Denn so reißerisch Jacques das Thema auskostet, es erschöpft sich nicht im merkantilen „Sex and Crime“. Mit dem politischen Umsturz verbindet sich der soziale. Vom Portier bis zum Grafen, vom Polizeikommissar bis zum Presseredakteur, fast alle erleben den Wandel auch als Statusunsicherheit. In einer schwankenden Sozialhierarchie scheint kaum etwas abwegig. Die einstige Führungsschicht vertändelt hasardierend ihre Tage. Der akademische Jünger Äskulaps nutzt Bildung zum Verbrechen, das bürgerliche Korrektheit ablöst. Die Schickeria, auf der Suche nach neuen Zerstreuungen, steht (unbewusst) im Banne eines Terroristen. Neue Weltbilder tauchen auf aus den Trümmern der alten. Steiner und Freud, Schrenck-Notzing und ein auf den Machtwillen reduzierter Nietzsche werden im Roman wie im Leben zu prophetischen Sinndeutern des Tages. Eine jüngere, unter „Expressionismus“ firmierende Kunstrichtung stürzt die ältere vom Thron, um binnen Kurzem selbst wieder abgelöst zu werden. Auch hierauf reagierte Jacques im „Mabuse“ polemisch, mit Verweisen oder Anspielungen z. B. auf Archipenko, Kokoschka, Edschmid oder Becher. Man hätte sie in einem auf Massenverbreitung angelegten Kriminalund Gesellschaftsroman kaum vermutet, hätte man nicht weithin solche Kunstschelte als viel grundsätzlichere Zeitkritik verstanden. Denn der Streit galt im Verständnis nicht nur von Banausen einer zumindest unterstellten Kampfansage der Neuerer an den abendländischen Kulturgedanken, einer Kunstauffassung als Revolutionsdrohung mit anderen Mitteln. Welches Verhältnis zur Zeit nimmt Mabuse ein, ihr großer Verneiner und Profiteur? In ihm bündeln sich (Leser-)Alpträume jener Jahre: Angst vor Persönlichkeitsverlust in einem Massenzeitalter, vor der seelenzer-

Foto: AA Film Archive / Alamy Stock Foto

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te Phase offenbarte politische Tatbestände, die der Republik zum Verhängnis werden sollten. Dabei war das geistige Klima dieser Jahre gar nicht so sauertöpfisch, wie es die bedrückenden Verhältnisse erwarten lassen. Stefan Zweig z. B. schrieb darüber im autobiografischen Rückblick „Die Welt von gestern“: „Welch eine wilde, anarchische, unwahrscheinliche Zeit, jene Jahre, da mit dem schwindenden Wert des Geldes alle andern Werte in Österreich und Deutschland ins Rutschen kamen! Eine Epoche begeisterter Ekstase und wüster Schwindelei, eine einmalige Mischung von Ungeduld und Fanatismus. Alles was extravagant und unkontrollierbar war, erlebte goldene Zeiten: Theosophie, Okkultismus, Spiritismus, Somnambulismus, Anthroposophie, Handleserei, Graphologie, indische Yogilehren und paracelsischer Mystizismus. Alles was äußerste Spannungen über die bisher bekannten hinaus versprach, jede Form des Rauschgifts, Morphium, Kokain und Heroin, fand reißenden Absatz, in den Theaterstücken bildeten Inzest und Vatermord, in der Politik Kommunismus oder Faschismus die einzig erwünschte extreme Thematik; unbedingt verfemt hingegen war jede Form der Normalität und der Mäßigung. Aber ich möchte sie nicht missen, diese chaotische Zeit, nicht aus meinem eigenen Leben, nicht aus der Entwicklung der Kunst.“ Und über ihre Endphase notierte er: „Fabriken kosteten umgerechnet nicht mehr als früher ein Schubkarren. Halbwüchsige Jungen, die eine Kiste Seife im Hafen vergessen gefunden, sausten monatelang in Autos herum und lebten wie Fürsten, […] während ihre Eltern, einstmals reiche Leute, als Bettler herumschlichen. Austräger gründeten Bankhäuser und spekulierten in allen Valuten. […] Die Arbeitslosen standen zu Tausenden herum und ballten die Fäuste gegen die Schieber und Ausländer in den Luxusautomobilen, die einen ganzen Straßenzug aufkauften wie eine Zündholzschachtel […]. Ich glaube Geschichte ziemlich gründlich zu kennen, aber meines Wissens hat sie nie eine ähnliche Tollhauszeit in solchen riesigen Proportionen produziert. […] Berlin verwandelte sich in das Babel der Welt. Bars, Rummelplätze und Schnapsbuden schossen auf wie die Pilze […]. Selbst das Rom des Sueton hat keine solchen Orgien gekannt wie die Berliner Transvestitenbälle, wo Hunderte von Männern in Frauenkleidern und Frauen in Männerkleidung unter den wohlwollenden Blicken der Polizei tanzten.“ So sah die Zeit aus, in der eine literarische Figur wie Dr. Mabuse auf Massenresonanz hoffen konnte. Ihr entspricht der Roman in all seinem überspannten Personal. Verkürzt und ein wenig verzerrt finden wir in dem scheinbar oberflächlichen Krimitext ein Panorama dessen, was Deutsche – und nicht nur diese – zu Beginn der 1920er besonders bewegte, ängstigte und gleichermaßen faszinierte. Der enge Zeitbezug beschränkt sich durchaus nicht auf detaillierte Milieuimpressionen vom Schmuggel- oder Vergnügungswesen, aus der Devisen-,

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Zeiten und Zeitreisen sind auch ein Motiv: Hier eine Szene aus „Zurück in die Zukunft“. Macht die Zeitreise auch Dr. Mabuse wieder aktuell? Wie die 1920er Jahre sind die 20er Jahre des 21. Jahrhunderts von kommenden Krisen geprägt. Ob sie auch so massiv sein werden, wird sich in der Zukunft zeigen.

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gliedernden Analyse, Befürchtungen und Erfahrungen suggestiver gesellschaftlicher Abhängigkeiten und verhängnisvoller Steuerungen, das ahnungsvolle Bewusstsein eines grausamen (politischen) Spieles, an dem man nolens volens teilnimmt und schließlich nicht mehr aussteigen kann, das über Stadien von Dekadenz und Anarchie der Tyrannis zustrebt. Mabuse als hypnotischer Spieler und falscher Seelenarzt besetzt eine Epochenrolle von geradezu sinnbildlicher Repräsentanz. Seine tiefsten Beweggründe verraten ein Erschrecken vor westlicher Vermassung und Entfremdung: „Europa ist eine Filzlaus. Einer kriecht dem anderen ins Fell. […] Eine Hautpore ist schon ein Krater für sie.“ Ein zivilisationsfeindlicher Ordnungsverächter proklamiert sich per Größenwahn zum Übermenschen. „Spiele ich denn um Geld?“, heißt es in Jacques’ späterem Drehbuchentwurf. „Ich spiele, wenn ich zu den Menschen auf der Erde steigen will.“ „Mabuse“ ist, so paradox dies zunächst klingt, die unterhaltsam zu lesende Story einer großen Zeitangst, die zugleich ein wenig verlockt. Darin liegt sein Erfolgsgeheimnis. Jacques’ Roman belegt insofern die These, dass Horrorproduzenten aller Gattungen in ihren besten Exemplaren die Befürchtungen und Bedürfnisse ihrer Konsumenten nicht nur ausbeuten, sondern zugleich enthüllen. Sie können dies umso mehr, je intensiver sie persönlich daran teilhaben. In Joachim Fests Hitler-Biografie heißt ein brillantes Kapitel „Die große Angst“, das sich über weite Strecken wie ein „Mabuse“-Kommentar liest. Es behandelt die Zerstörung der materiellen Basis vieler früher Selbstständiger durch Krieg und Inflation. Und nun sei auch noch „der abrupte und herausfordernde Bruch mit den geltenden Normen im Bereich der Moral“ hinzugekommen: „Der Foxtrott und die kurzen Röcke, die Vergnügungssucht in der ‚Reichskloake Berlin‘, die ‚schweinernen Bilder‘ des Sexualpathologen Magnus Hirschfeld oder der Herrentypus der Zeit (‚der Gummikavalier auf Crepsohlen mit Charlestonhose, die Schimmyfrisur glatt zurückgestrichen‘), besaßen für das breite Bewußtsein eine Anstößigkeit, die im Rückblick nicht ohne historische Bemühungen nachzuempfinden ist. […] In der Schlußszene von Brecht/ Weills Oper ‚Mahagonny‘ traten die Darsteller an die Rampe und demonstrierten auf Plakaten ‚Für den chaotischen Zustand unserer Städte!‘, ‚Für die Käuflichkeit der Liebe!‘, ‚Für die Ehre der Mörder!‘ oder ‚Für die Unsterblichkeit der Gemeinheit!‘ […] Die Abwehrreaktion war infolgedessen nicht nur ebenso leidenschaftlich, sondern auch auf den gleichen Ton der Angst vor Anarchie, Willkür, Formlosigkeit gestimmt [...], für die der modische Pessimismus der Zeit die Formel vom ‚Untergang des Abendlandes‘ gefunden hatte.“ Kein Zweifel: In Mabuse gelang es Jacques, einen Typus der Zeit zu kreieren.

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Mabuse scheitert schließlich an seinem Gegenspieler, Staatsanwalt Wenk, der die Ordnungskräfte vertritt. Sich ganz zur Amoralität zu bekennen wagte sein Verfasser, damaligen Krimikonventionen entsprechend, nicht. Dabei sympathisierte er insgeheim ein wenig mit diesem nietzscheanischen Kraftkerl, dessen tödlicher Sturz aus dem Flugzeug zugleich die Niederlage seines anarchistisch-tyrannischen Höhenfluges symbolisiert. In einem Romanfragment von 1930 wird übrigens gleich zu Beginn Staatsanwalt Wenk ermordet, womit der Verfasser auf subtile Weise erzählerisch Rache an der Person nimmt, die seine Romanfigur letztlich das Leben kostete. Denn dieses Ende hatte Jacques inzwischen sogar aus kommerziellen Gründen bereut. Schließlich blockierte der Romanschluss, wonach Mabuse mit lädiertem Schädel 4000 m in die Tiefe gestürzt war, Fortsetzungen oder zwang zu unglaubhaften Lösungen. 1923, im Roman „Ingenieur Mars“, treibt Mabuses Bande erneut ihr Unwesen. Diesmal auf der Jagd nach dem Flugzeug des Konstrukteurs Mars, der soeben die Strecke Köln—New York und zurück im Nonstop-Flug absolviert hat. Ein wohlwollender Rezensent erklärte Mabuses Wiederauftauchen taktvoll damit, hier werde wohl eine frühere Episode aus dem Leben des Bandenchefs offeriert. Nach Ausbruch der Weltwirtschaftskrise griff Jacques den Stoff erneut auf, der in dem Maße an Aktualität gewann, wie die ökonomische und politische Zerrüttung derjenigen von Weimars Anfangsperiode ähnelte. Zwischen Herbst 1930 und Anfang 1932 entstanden drei unterschiedliche Romankonzeptionen. Als dynamisch handelnde Person findet Mabuse keine Verwendung mehr, eher als Inspirator für kriminelle Nachfolger. Das gilt zunächst für „Mabuses Kolonie“, ein 86-seitiges, nicht beendetes Typoskript, das Jacques im Dezember 1930 an die „Kölner Illustrierte“ sandte. Im Roman bereichert sich ein betrügerischer Graf an einem über Volksaktien finanzierten Ansiedlungsprojekt im brasilianischen Urwald. Es geht um die von Mabuse hinterlassene sagenhafte Kolonie Eitopomar, ein erhoffter Ausweg für viele von der Wirtschaftsmisere Gebeutelte. Ein zeitbezogener Stoff also im Sinne des von Hans Grimm geprägten Stichwortes „Volk ohne Raum“. Im 1931 geschriebenen Kolportageroman „Der Chemiker des Dr. Mabuse“ wiederum agiert eine internationale Terroristenbande mit der mörderischen Erfindung eines geisteskranken Chemikers. Die (einzige erhaltene) 1934 gedruckte Fassung der „Neuen Zürcher Zeitung“ vermeidet allerdings Hinweise auf die in Deutschland mittlerweile tabuisierte Verbrecherfigur, und der Text ist nun „Chemiker Null“ betitelt. Auch der dritte Roman bedient sich des Irrenhausmotivs, mit dem Regisseur Fritz Lang bereits 1922 seinen zweiteiligen Mabuse-Film enden ließ. In kluger N ° / 12 / M A I 2021

Voraussicht, dass man den „Helden“ nochmals brauchen könnte, verzichtete sein Film auf einen Showdown über den Wolken. Stattdessen ließ er Mabuses Versteck stürmen, wo man einen Wahnsinnigen vorfand – ein Filmschluss nach dem Muster Robert Wienes in „Das Cabinet des Dr. Caligari“. Im September 1930 kam Lang erneut auf Jacques zu und regte einen weiteren Mabuse-Film an. Danach sollte Mabuse im Irrenhaus sterben, nachdem er zahlreiche Pläne zur Errichtung eines Verbrecherstaates notiert hätte, die dann ein anderer aus der Anstalt Entflohener für ihn ausFritz Lang (1890–1976) führe. Jacques schrieb auf diese Anregung war ein österreichisch-deutscher hin den Roman „Das Testament des Dr. Schauspieler, Filmregisseur und Mabuse“, der erst 1950 unter dem Titel „Dr. Drehbuchautor. Nach seiner Heirat Mabuses letztes Spiel“ veröffentlicht wurde. mit der deutschen Drehbuchautorin Thea von Harbou erwarb der ÖsterEr modifizierte darin Langs Grundidee, reicher 1922 auch die deutsche indem er den Leiter der Irrenanstalt in den und nach seiner Emigration 1939 Mittelpunkt der Handlung stellte. Danach die US-amerikanische Staatsist Mabuse bei seinem Sturz aus dem Flugbürgerschaft. Lang prägte die zeug nicht getötet, sondern als menschFilmgeschichte mit, indem er – vor liches Wrack in eine Berliner Nervenklinik allem in der Ära des späten Stummeingeliefert worden. Dort schreibt er seit und des frühen Tonfilmes – neue ästhetische und technische MaßJahren an seinem kriminellen Testament stäbe setzte. 1922 gab es zweimal und begeht über den ihn behandelnden, in „Mabuse“, 1924 „Die Nibelungen“. Wirklichkeit aber hypnotisch abhängigen Der Stummfilm „Metropolis“ (1927) Psychiater weitere Schwerverbrechen. und der Tonfilm „M“ (1931) geMabuses Tod und der Selbstmord seines hören zu den Meilensteinen der unfreiwilligen Mediums besiegeln nun enddeutschen und internationalen gültig das Schicksal dieser Gangsterfigur. Filmgeschichte. Allerdings nur ihr literarisches, während ihr filmisches mit zehn weiteren MabuseAdaptionen sogar neuen Glanz gewann. 1932 drehte Fritz Lang „Das Testament des Dr. Mabuse“, ein Werk, das 1933 von Goebbels verboten und in Budapest uraufgeführt wurde. 1960 folgte vom gleichen Regisseur „Die 1000 Augen des Dr. Mabuse“, in dem die totale Überwachung thematisiert wird. Ein Mabuse-Boom hatte eingesetzt, nachdem der Großmogul oder Pate des deutschen Nachkriegsfilmes Artur Brauner vom finanziell klammen Romanautor das Recht erworben hatte, sich des Gangsternamens filmisch zu bedienen. Die in rascher Folge nun auch von anderen Regisseuren gedrehten Streifen verhalfen der Figur zwar zu noch größerer Popularität. Zugleich aber verwässerten sie ihr Profil als Zeit- und Gesellschaftstyp. Das betraf Produktionen wie „Im Stahlnetz des Dr. Mabuse“ (1961), „Die unsichtbaren Krallen des Dr. Mabuse“ (1962), „Scotland Yard jagt Dr. Mabuse“ (1963), „Die Todesstrahlen des Dr. Mabuse“ (1964), „Die lebenden Leichen des Dr. Mabuse“ (1969). Hinzu kamen die Neufassung von „Das Testament des Dr. Mabuse“ (1962) und der 1990 uraufgeführte „Dr. M“ als Claude Chabrols Hommage an Fritz Lang.

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Mabuse als Serien-„Held“

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Norbert Jacques von Waldemar Flaig, 1927

No be a ues s a e aus e e au a s a e Na e Ab u a as u De bega e e Jurastudium an den Cours supérieurs u a e e s o , as e e o abb a E s eb ege g as Feu e o e Fa u e e u g u eau e s e e H e o , De e a e, , D e Neue u s au , D e A o o e D e e e e No be a ues, e s au as a , bs baue u F s e e su e, b a u e e e ausge e e e se u Eu o a au a

ues s eb o a e, e e eE u ge , e b e, Essa s, e ses e u e e so e u a He ausgebe , be se e u e e o Fo ob e 1 21 a e se e a u ese s a s o a D abuse, e ee e e e , ase b es e b e e s e ee su es o s e H o seu s e e ba e e asse a s e e Na 1 u ee u e bu g e o abo a o , ge a o e He e, De u a o u es a es e a es be g Es o g e, o e o e e A agee ebu g, u 1 e e Aus e su g Au Deu s a ge e No be a ues, esse e o e Au age e a e a e u sF a s s e, N e e s e, e s e u E g s e be se o e ae , weitgehend in Vergessenheit.

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Norbert Jacques (1880–1954)

Mabuse heute Galt unser Rückblick lediglich einem Buch- bzw. Filmereignis von vorgestern, oder birgt das Thema etwas, was auch an heute denken lässt? Letzteres trifft zu, auch wo sich der Publikumserfolg zu einem Gutteil aus der besonderen Lage von damals erklärt. Doch eine Großkrise haben wir gegenwärtig auch, gespickt mit demografischen, immigrationsbedingten, ökonomischen oder freiheitlich-rechtsstaatlichen Verwerfungen. Angefeuert von Kräften, denen die weltweite Panik fraglos nutzt. Und wenn bislang noch Erschütterungen wie in den 1920ern ausblieben, liegt dies vor allem daran, dass sie bislang noch immer (auf Kosten der Zukunft) durch „Brot und Spiele“ gebändigt werden konnten. Doch das Finanzpolster für ein derartig aufwendiges Polittheater schmilzt langsam dahin, und die Uhr tickt. Insofern ist Mabuse auch aktuell ein hochbrisanter Stoff mit einer Figur im Zentrum, deren Profil vierfach fundiert ist: durch eine kriminelle Organisation, durch hypnotisch-suggestive Fähigkeiten ihres Chefs, seine Spielerleidenschaft und virtuose Handhabung der Maske. Nun, ähnliche Eigenschaften charakterisieren die Lenker weltweiter Geschicke auch heute. Nur scheuen wir uns üblicherweise, dergleichen hohe oder höchste Politik gedanklich im Verbrechermilieu zu ver-

„Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie? Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“

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Günter Scholdt

Eine seltsame Endzeitstimmung macht sich breit: Great Reset, Cancel-Cultur, Woke Capital. Filmszene aus dem Horrorfilm „Silent Hill“.

orten. Hier lässt sich vom großen literarischen Vereinfacher Brecht einiges lernen, wenn er in seinem „Dreigroschenroman“ die rhetorische Frage stellt: „Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie? Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“ In diesem Sinne lassen sich momentan einige ganz große Zocker im globalen Finanz- wie Internetcasino identifizieren: Multimilliardäre in ihrer Spekulation um Höchstgewinne und letztlich die Weltherrschaft. Schon Mabuse spielte mit Karten und Menschen. Doch um ein paar Zehn- oder Hunderttausende in geheimen Hintertreppen-Spielclubs geht es aktuell längst nicht mehr. Die jetzigen NGOs im Souffleurkasten für Politiker kämpfen mit zu Tränen rührenden philanthropischen Agenden um nicht weniger als die „Neue Weltordnung“ bzw. den „Great Reset“. Ihre Maske wurde zum Symbol unserer Epoche, nicht zuletzt, wo sie Repression als Freiheit zu tarnen hilft. Internationale Milliardärscliquen, die zuvor durch Börsenmanipulationen ganze Währungen ins Trudeln brachten, mimen Wohltäter der Menschheit. Soros, Zuckerberg, Rockefeller, Bezos, Gates und Co. finanzieren mit unfassbaren Summen ihre ideologischen Propagandacoups, deren Endzweck in der Destabilisierung konkurrierender Mächte bzw. der ErN ° / 12 / M A I 2021

geboren 1946 in Mecklenburg, ist habilitierter Literaturwissenschaftler und ehemaliger Leiter des „Literaturarchivs Saar-Lor-Lux-Elsass“ in Saarbrücken. Der ehemalige außerordentliche Professor nennt als Forschungs- und Publikationsschwerpunkt u. a. „Aktuelle gesellschaftliche Deformationen und Befindlichkeiten“. scholdt.de

oberung noch größerer Macht und Märkte liegt. Nach der Devise „Haltet den Dieb!“ laufen Ablenkungskampagnen, in denen der immer gleiche „altböse“ Feind gejagt wird, der solchen Größenwahn national einhegen will. Die Maske kommt dabei in Doppelfunktion zum Einsatz, zunächst, um die wahren Absichten von Herrschenden zu verschleiern, sodann als kollektiver Maulkorb, der schon äußerlich Untertänigkeit signalisiert. Maskiert erscheint auch ein (von Lobbygruppen erbeuteter) Staat, der vor allem in dem versagt, was über Jahrhunderte seine Legitimation ausmachte: dem Schutz nach innen und außen. „Schutz“ buchstabiert sich inzwischen nämlich anders, als Absicherung einer politischen Klasse gegen Abwahl durch mündige Staatsbürger. Und Mabuses Hypnosewirkung realisiert sich durch eine (panikgestützte) Herrschaft über Milliarden Massenmenschen, die nicht selten schlankweg gegen ihre eigenen Interessen agieren. Warfen an den Kartentischen der Spielclubs in den 1920ern von Mabuse hypnotisierte Zocker selbst beste Blätter ab, so tun dies auf Kommando globaler Einpeitscher gegenwärtig ganze Volkswirtschaften und ehemals freiheitliche Staatsordnungen. Wie haben wir „Aufgeklärten“ es doch so „herrlich weit gebracht“.

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INTERVIEW JONAS SCHICK

Geboren 1989 in Berlin, aufgewachsen bei

Udam elest volupta Mannheim, arbeitet als freier Publizist und tentiat Os Politikwissenschaft an Lektor.umetur? Er studierte sendandit prorit ius der Universität Mannheim sowie Soziologie perchicae es quae und Sozialforschung an der Universität Breverchic to ipiendi men (M.A.). Sein Interesse gilt umwelt- und tatemquist am re wirtschaftssoziologischen Fragestellungen ommos que vel entis et sowie derius, politischen aceperchil consequoIdeengeschichte.

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INTERVIEW

„Wir wollen die Heimat retten“ Aktuelle Klima- und Umweltfragen polarisieren die Meinungen auf der politischen Rechten. Jonas Schick möchte mit seiner Zeitschrift „Die Kehre“ eine „rechte Ökologie“ wiederbeleben. FREILICH hat mit ihm gesprochen.

INTERVIEW: STEFAN JURITZ

Foto: Archiv

FREILICH: Das Thema „Ökologie“ steht bei den meisten Rechten nicht gerade ganz oben auf der Interessenliste. Wie kamen Sie daher zu dem ambitionierten Projekt, gleich eine eigene Zeitschrift zur Schließung dieser Lücke zu gründen, und mit welchen Erwartungen sind Sie an das Projekt herangegangen?

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Jonas Schick: Ich würde Ihnen in der Einschätzung, dass die „Ökologie“ bei den meisten Rechten „nicht gerade ganz oben auf der Interessenliste“ stehe, widersprechen. Zwar vermag, oberflächlich gesehen, das Migrationsthema auf der Rechten am stärksten zu mobilisieren, aber aus meiner persönlichen Erfahrung heraus verspürt der Teil der Rechten, der eine grundlegende Alternative zum Status quo fordert, in Bezug auf die Ökologie schon sehr lange einen Ver-

lustschmerz. Man hat mit einer gewissen Wehmut auf das über die letzten Jahrzehnte verloren gegangene rechte Kernthema geblickt. Speziell im Zusammenhang mit der Omnipräsenz der Ökologie im politischen Diskurs der letzten Jahre und ihrer einseitigen Besetzung von links wurde die milieuinterne Wahrnehmung einer theoretisch klaffenden Lücke in der rechten Programmatik noch einmal verstärkt. Angesichts dieser Entwicklungen sah ich die Zeit gekommen, ein Zeitschriftenprojekt ins Leben zu rufen, das die brachliegende „rechte Ökologie“ wiederbelebt. Eine Zeitschrift deshalb, weil es wesentlich ist, erst einmal aufzuzeigen, was eine konservative, rechte Ökologie überhaupt charakterisiert – worin ihr Alleinstellungsmerkmal besteht. Außerdem bleibt die Praxis fruchtlos,

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INTERVIEW

„Würde man das System konsequent nach ökologischen Variablen umgestalten, müsste man es revolutionieren.“

solange kein klar umrissenes theoretisches Fundament besteht, von dem sie ihr Handeln ableitet. Daraus ergeben sich logischerweise relativ hochgesteckte Ziele: „Die Kehre“ soll eine Renaissance der Thematik auf der Rechten einläuten. Ob das Projekt die erneute feste Etablierung der Ökologie im rechten Weltanschauungskosmos noch erlebt, ist dabei zweitrangig; es soll sie hauptsächlich anstoßen. Nun steht die mittlerweile fünfte Ausgabe von „Die Kehre“ bevor. Damit lässt sich ein erstes Fazit ziehen – welche Erwartungen haben sich erfüllt, welche wurden sogar übertroffen, und welche unerwarteten Hindernisse haben sich aufgetan?

Um Ihre Frage von hinten aufzurollen: Unerwartete Hindernisse gab es bisher keine. Was uns überrascht hat, war der teils überschwängliche Zuspruch, den „Die Kehre“ nach ihrem Ersterscheinen erfuhr. Die Rückmeldungen haben mich darin bestätigt, was ich bereits bezüglich der „ökologischen Wehmut“ in der Rechten sagte. Was uns jedoch wirklich überraschte, war und ist die hohe Nachfrage seitens junger Leser. Damit hatte keiner der am Projekt Beteiligten in diesem Ausmaß gerechnet.

Das rechte Lager ist ja äußerst heterogen. Marktliberale sind hier genauso vertreten wie immer mehr Anhänger eines dezidiert sozialen Patriotismus, Klimaskeptiker finden sich ebenso wie Anhänger des traditionellen konservativen Heimatschutzgedankens. Nicht zuletzt gibt es eine gewisse oberflächliche Feindseligkeit gegenüber allen ökologischen Gedanken, da diese unreflektiert mit dem politischen Gegner (insbesondere den Grünen) gleichgesetzt werden. Wie sind die Rückmel-

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dungen aus der „Mosaik-Rechten“ auf Ihr nonkonformes Projekt?

Diese oberflächliche Feindseligkeit gegenüber allen ökologischen Gedanken, weil sie direkt mit dem politischen Gegner, den Grünen, verbunden werden, ist leider ein Hindernis, das es aus dem Weg zu räumen gilt. Ich glaube jedoch, dass diese affektbeladene Aversion insbesondere vom paradigmatischen Typus des „Liberalkonservativen“ bzw. von einer Generation an Konservativen, die sich in der BRD zu Technokraten gewandelt und mit der liberalen Ökonomie vermählt haben, gehegt wird. Diese sind für die Inhalte, die in der „Kehre“ vertreten werden, eh nur schwer zu begeistern. In diesem Zusammenhang bedeutet „Kehre“ auch eine Abkehr von diesen ideologischen Restbeständen des Wirtschaftswunders und des Kalten Krieges. Meiner Ansicht nach muss die Rechte diese ideologische Sackgasse so oder so überwinden, sofern sie das 21. Jahrhundert politisch prägen möchte. Ungeachtet dessen versuchen wir in der „Kehre“, ein relativ breites Spektrum an rechten Gedanken zur Ökologie abzubilden – das reicht von eher windkraftfreundlich gefärbten Artikeln bis zu vollkommener Technikskepsis. Abgesehen von dem einen oder anderen verschreckten „Liberalkonservativen“ waren die Rückmeldungen daher größtenteils rundum positiv. Die Ausgaben erscheinen nunmehr im regelmäßigen Abstand, und Sie scheinen bereits einen festen Kreis junger Autoren um Ihre Zeitschrift versammelt zu haben. Wie geht es nun weiter? Gibt es bereits feste Pläne für künftige Projekte rund um „Die Kehre“?

Erst einmal gilt es, das Projekt endgültig auf feste Füße zu stellen. Das heißt, den Kern zu stärken, also weiterhin vier Hefte pro Jahr zuverlässig und mit konstanter Qualität zu veröffent-

lichen – auch den Autorenstamm weiter auszubauen. Danach geht es daran, das Heft zu erweitern und kontinuierlich zu verbessern. Das ist eine Aufgabe, die man wahrscheinlich nie wirklich abschließen kann. Aber ja, darüber hinaus gibt es konkrete Pläne, mehr als nur eine Zeitschrift herauszugeben. Der Oikos Verlag, der „Die Kehre“ herausgibt, ist ja nicht umsonst gegründet worden. Um einmal Ihr Zeitschriftenprojekt als konkretes Thema zu verlassen und uns dem großen Bereich der Ökologie zuzuwenden: Warum sollte sich das konservative Lager überhaupt stärker damit befassen, als es bislang der Fall war?

Weil die Ökologie alle anderen Themenbereiche, die man beackert, zwangsläufig tangiert. Ökonomie und Soziales können nicht von der Ökologie isoliert betrachtet werden, speziell nicht in unseren Industrie- und Konsumgesellschaften westlicher Provenienz. Wenn man nicht nur an der Oberfläche kratzen möchte, dann muss man sich den Austauschprozessen zwischen Gesellschaft und Natur zuwenden. Wird dieser Schritt nicht getan, und lässt man die wesentlichen sozioökonomischen Stellschrauben unberührt, dann bleiben die Kernelemente des liberalen Systems intakt und unterspülen jegliche konservative Gesellschaftspolitik. Anders ausgedrückt: Nur die Grenzen zu schließen oder eine Verordnung gegen die Verwendung von Gendersternchen zu erlassen, reicht bei Weitem nicht aus, um ein Umschwenken der politischen Großwetterlage zu erreichen. Um das anhand einer materialistischen Beziehung zu verdeutlichen: Die Art des von einer Gesellschaft genutzten Energiesystems setzt die Rahmenbedingungen, in denen sich soziale Organisation ausgestalten. Ob ich in einem Zustand energetischen Überflusses oder in permanenter Energieknappheit lebe, FR E I L I CH


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Foto: shutterstock / JuliaHermann

INTERVIEW

begünstigt unterschiedliche gesellschaftliche Strukturen. In ersterem Zustand wird es der gesellschaftliche Hang zur Dekadenz einfacher haben, sich durchzusetzen, als in letzterem. Und ebenjener gesellschaftliche Energiestoffwechsel ist ferner für das Entstehen bestimmter Umweltprobleme im Wesentlichen verantwortlich. Angesichts der sich zuspitzenden Umweltkrise unserer Tage zeigt sich in diesem Zusammenhang eindeutig, dass der Liberalismus nicht dazu fähig ist, dauerhaft stabile Gesellschaftsstrukturen zu etablieren – sein Ordnungszustand ist die kategorische Unordnung, sein Naturaustausch wird durch Raubbau charakterisiert, sein Treibstoff ist die Gier, seine trügerische Verheißung der dauerhafte Wohlstand. Für einen kurzen historischen Augenblick mag dies als „stabil“ wahrgenommen werden, doch in langen Zeithorizonten, in denen eine verantwortungsvolle Politik normalerweise zu denken hätte, sind diese Systemcharakteristika zutiefst destruktiv. Das linksliberale Establishment glaubt, dass man diese Eigenschaften des Liberalismus in „grüne“ Bahnen lenken könnte. „Grüner Kapitalismus“ schimpft sich dieses Projekt. Das ist pure Naivität. Würde man das System konsequent anhand ökologischer Variablen umgestalten, müsste man es revolutionieren, und das Ergebnis hätte dann nur noch wenig mit „Liberalismus“ gemein. Denn die wesentlichen Eckpunkte dieses Systems wären zwangsläufig zutiefst konservativ: Maßhalten, Respekt der Grenze, Verortung, Stärkung regionaler Zusammenhänge, Verringerung der Mobilität in jeder Hinsicht. Der Horizont der Welt müsste vom Globalen zurück ins Regionale schrumpfen. Die Umsetzung einer konsequent an ökologischen Variablen ausgerichteten Politik bedeutet eine „konservative Revolution“, da bin ich ganz bei Alain de Benoist.

Ökologisch ist eine Politik, die die Heimat bewahrt und die Welt rettet.

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INTERVIEW

„Radikale Ökologie kann für sich allein, völlig abgetrennt von ‚links‘ und ‚rechts‘‚ existieren.“

Gibt es überhaupt einen „linken“ und einen „rechten“ Bezug zur Ökologie, oder ist das nicht vielmehr ein universelles Thema, unabhängig von der politischen Verortung?

Ich denke, dass die Ökologie im Gegensatz zu anderen Themenfeldern die Grenze zwischen „links“ und „rechts“ noch am meisten verschwimmen lässt. Wer radikal ökologisch denkt, der wird bei ähnlichen Zielen ankommen und eine gemeinsame Sprache sprechen, was er in anderen Themenfeldern wahrscheinlich nicht einmal im Ansatz erreichen könnte. Radikale Ökologie kann für sich allein, völlig abgetrennt von „links“ und „rechts“, existieren. Dennoch ist ein unterschiedlicher Zugang beider Seiten zum Thema nicht von der Hand zu weisen: Für die Linke spielte die Ökologie bis Ende des 20. Jahrhunderts so gut wie keine Rolle. Der Fokus lag auf der Ökonomie, die Natur wurde der vernünftigen Organisation der Produktionsmittel untergeordnet. Das schlägt bis heute durch. Viele Linke sind für die Ansicht der Machbarkeit aller Dinge sehr empfänglich, dass lediglich ein veränderter technischer Zugriff auf die Natur eine Lösung der Umweltkrise herbeiführen könne. Außerdem gehört eine allumfassende „Emanzipation“ des Einzelnen von gesellschaftlichen Normen und Bindungen mittlerweile zu den Kernelementen linker Bewegungen und Theorien – ein Projekt, das in diesem Ausmaß nur auf dem Rücken erheblicher Energiemassen umgesetzt werden kann und damit per se antiökologisch ist. Die vollkommen mobil gewordene Welt ist ihr neues gesellschaftliches Großprojekt, doch die daraus hervorgehende bindungslose Globalgesellschaft verletzt alle ökologischen Parameter. Nehmen wir die „Liberalkonservativen“ einmal aus, war die Rechte diesbezüglich immer konsequenter und hat deswegen die sich aus der Industria-

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lisierung ergebenden Umweltprobleme von Anfang an problematisiert. Ihre politischen Prinzipien fügen sich mit einer konsequenten Ökologie organisch zusammen. Während sich sowohl der Liberalismus als auch der Sozialismus auf Basis der durch die Industrialisierung entfesselten Produktivkräfte eine schöne neue Welt imaginierten, sah der Konservatismus das destruktive Element in dieser Entwicklung. Ich gehe daher so weit, zu sagen, dass jeder Linke, der sein Leben radikal ökologisch ausrichtet, gar nicht anders kann, als „rechts“ zu leben. Fragen der Nachhaltigkeit sowie des Natur- und Heimatschutzes waren ursprünglich konservative Themen, bis es zu einer Übernahme der Umweltschutzbewegung durch die Neue Linke kam. Wie konnte sich die Rechte diese Themen wegnehmen lassen, und wieso ist seitdem das Interesse daran erlahmt?

Den Grund dafür habe ich bei meiner vorigen Antwort bereits angeschnitten. Das Problem ist, dass sich die Konservativen nach 1945 mit der Marktwirtschaft versöhnten. Sie nahmen technokratische Aspekte in ihre Weltsicht auf. Abgesehen von ein paar Einzelbeispielen, wie Herbert Gruhl, der dann ja auch genau deshalb die CDU verließ und die Grünen mitgründete, hat der Konservatismus – auch als Konsequenz des Schocks, den das gescheiterte Experiment des Nationalsozialismus auf der Rechten auslöste – seinen rigorosen Antiliberalismus abgelegt. Der Umwelthistoriker Rolf Peter Sieferle konstatierte diesbezüglich treffend, dass der zum Technokraten mutierte Konservative nur noch für die schrankenlose Entwicklung der Produktion eintrete; bewahrt werden solle nur das sozioökonomische System. Diese „liberalkonservative“ Prägung ist bis heute spürbar und trotz gegen-

läufiger, „neurechter“ Bemühungen weiterhin sehr dominant. Deswegen hat der bundesrepublikanische Konservatismus nichts zur Ökologie beizutragen bzw. zu sagen – sie steht ihm ja eher im Weg. Damit man aus dieser Sackgasse wieder herausfindet, muss der Konservatismus an seine alten Konstanten anknüpfen, an eine transzendente Vision von altem Recht und Heimat. Die von David Goodhart vorgenommene Unterscheidung zwischen „Somewheres“ und „Anywheres“ wurde zuletzt auch von Vertretern des dezidiert sozialen Patriotismus vorgenommen. Ließe sich diese auch für den Bereich der Ökologie treffen, also die Trennung zwischen weltweitem Klimaschutz und lokalem Naturschutz?

Ich würde die Unterscheidung zwischen „Somewheres“ und „Any-wheres“ aus ökologischer Perspektive eher so wenden, dass die „Somewheres“ generell einen ökologischeren Lebensstil pflegen als die „Anywheres“, ob das nun absichtsvoll geschieht oder aufgrund der Grenzen, die einem die soziale Position und die materiellen Mittel auferlegen, ist dabei zweitrangig. Doch auch die von Ihnen formulierte Stoßrichtung birgt sicherlich einen wahren Kern: Während „Anywheres“ in globalen Dimensionen denken, konzentrieren sich „Somewheres“ auf ihren unmittelbaren Horizont. Da sind der Plastikmüll in der Saale sowie der Protest gegen das AKW oder das Windkraftrad vor der Haustür wahrscheinlich relevanter als ein abstraktes „Klima“. Also ja, dieses Konzept lässt sich sicherlich – empirisch fundiert – ökologisch aufladen. Wenn die Rechte das Thema „Ökologie“ neu für sich entdecken würde, könnte eine Wiederaufnahme der konservativen Naturschutzgedanken des 19. und 20. FR E I L I CH


INTERVIEW

Jahrhunderts zwar traditionsstiftend sein, würde aber für die Probleme des 21. Jahrhunderts nicht genügen. Mit welchen Problemen sehen wir uns in den nächsten Jahren voraussichtlich konfrontiert, und welche Antworten sollte die Rechte darauf finden?

Das Anknüpfen an die konservativen Naturschutzgedanken des 19. und 20. Jahrhunderts halte ich für essenziell, und das keineswegs nur aus einem traditionsstiftenden Aspekt heraus. Was in diesem Zusammenhang von rechten Denkern geäußert wurde, ging bereits an den Kern des Problems. Wir befi nden uns lediglich an einem fortgeschrittenen Punkt der kritischen Zerfallsentwicklung, die viele dieser Denker richtig analysiert haben. Doch während für sie die Restbestände der alten Ordnung noch sichtbar und in Teilen noch intakt waren, sehen wir uns mit ihrer vollständigen Auflösung konfrontiert. Wir können also nicht – wie etwa Ernst Rudorff – eine Konservierung der Kulturlandschaft fordern, weil die schlicht nicht mehr existiert. Es geht darum, die grundlegende konservative Kulturkritik, speziell im Hinblick auf die Ökologie, wieder aufzunehmen, jedoch die daraus abzuleitenden politischen Forderungen auf das Hier und Jetzt auszurichten. Wir müssen die systemimmanenten Dysfunktionalitäten des Liberalismus nutzen und gegen ihn wenden. Wir müssen ihm eine transzendente Vision entgegenstellen – konkreter ausgedrückt bedeutet das, eine neue Ordnung zu schaffen, die auf Stabilität und nicht auf der Herauslösung des Individuums aus jeglichen Bindungen aufbaut. Ökologisch verdichtet heißt das: Verringerung des Stoff umsatzes. Wenn ein Leser sich nun dem Thema der Ökologie nähern und N ° / 12 / M A I 2021

selbst einen Beitrag leisten möchte, was für Handlungsschritte würden Sie ihm empfehlen? Gibt es bestimmte Schlüsselschriften oder erste Schritte für ein nachhaltigeres Alltagsleben?

Zuallererst würde ich ihm das Gleiche raten, was Götz Kubitschek im Interview in der vierten Ausgabe der „Kehre“ in diesem Kontext empfohlen hat: Schlage Wurzeln, gib dir einen festen Ort, ein konkretes Zentrum. Das ist der erste wirkmächtige Schritt, um sich der flüchtigen Moderne zu entziehen. Außerdem sollte man sein Leben an einem von Carl Schmitt inspirierten Axiom orientieren, das der Postwachstumstheoretiker Niko Paech formuliert hat: „Souverän ist nicht, wer viel hat, sondern wenig braucht.“ Ferner: mehr reparieren, weniger wegwerfen. Und, wenn es möglich ist, Waren selbst produzieren und damit dem Markt entziehen, also den Selbstversorgungsfaktor erhöhen. Wer nach praktischer Anleitung dafür sucht, wird sehr schnell auch bei den gängigen Öko-Verlagen fündig werden. Generell lohnt in diesem Zusammenhang aber auch ein Blick in das Manuscriptum-Verlagsprogramm, die traditionsreiche Klassiker wie beispielsweise Hans Haases „Ratgeber für den praktischen Landwirt“ neu aufgelegt haben. Allgemeine Empfehlungen sind hier nur schwer zu treffen, weil nicht jedem die gleichen Optionen offenstehen. Wenn es um die Theorie geht, dann empfehle ich ganz klar die Lektüre des Lebenswerkes von Rolf Peter Sieferle. Wer die „Auflösung aller Dinge“ und ihre Verwebung mit der Umweltkrise in allen Facetten und Ausprägungen verstehen möchte, der kommt am Heidelberger Ausnahmedenker nicht vorbei. Insbesondere sein „Epochenwechsel“ als auch sein „Rückblick auf die Natur“ sind dabei politische Schlüsselwerke.

DIE KEHRE

„Die Kehre“ ist ein im Jahr 2020 von Jonas Schick gegründetes Zeitschriftenprojekt, das sich der Ökologie aus ganzheitlicher Perspektive widmet und damit ihrer Verengung auf das Thema „Klimaschutz“ Einhalt gebieten möchte. Sowohl der Titel als auch die inhaltliche Ausrichtung der Zeitschrift ist durch Martin Heideggers Essay „Die Technik und die Kehre“ inspiriert, in dem er in der Technik die Entbergung der höchsten „Gefahr“ erblickt, die unser menschliches Sein „verstellt“. Ungeachtet dessen sieht Heidegger die Möglichkeit zur Kehre, einem Einschwingen in das „anfänglich aus der Frühe Währende“, also einen Weg vom Ende der europäischen Geschichte zurück zu ihrem Anfang. die-kehre.de

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LESESTÜCK Foto: iStock / Nick_Thompson

Frank Böckelmann: Die Gelben, die Schwarzen, die Weißen Landt Verlag, Berlin 2018, 608 Seiten, gebunden. ISBN 978-3-944872-85-8 A € 35,80 / D € 34,80

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„DIE GELBEN, DIE SCHWARZEN, DIE WEISSEN“

LESESTÜCK

AUS DEM BUCH

Die Schwarzen und die Weißen Die wahre Wildnis ist die Welt der Weißen, weiß der ungebrochene Blick der Schwarzen.

VON FRANK BÖCKELMANN

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er einzelne Weiße ist ein anfälliges Geschöpf. Seine helle, durchscheinende Haut macht ihn schutzlos. Als der britische Ethnologe Nigel Barley die Dowayo (in Kamerun) durch unwegsames, felsiges Gelände begleitet, erweckt er ihr Mitgefühl. Die Schwarzen wundern sich, dass der Weiße überhaupt imstande ist, sich zu Fuß fortzubewegen. „Sie hatten die übertriebensten Vorstellungen von unserer Hilflosigkeit, Krankheitsanfälligkeit und Empfindlichkeit und erklärten sich das mit unserer weichen Haut.“ In Ama Ata Aidoos Roman „Our Sister Killjoy“ aus dem Jahr 1977 geht der jungen Ghanaerin Sissie beim Anblick ihrer deutschen Freundin durch den Sinn, „daß es ganz schon gefährlich sein muß, weiß zu sein. Es macht einen furchtbar nackt und schrecklich verletzlich. Als ob man ohne Haut geboren wäre. Wie wenn der Schöpfer den Körper eines Menschen geformt, in eine dünne Plastikfolie gestopft und so in die Welt gesetzt hatte. Mein Gott, fragte sie sich, ist das vielleicht der Grund, warum sie so entsetzlich grausam sind? Vielleicht fühlen sie sich nur auf diese Weise sicher auf der Erde …“

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Diese anfällige Kreatur hat sich der Wissenschaft, der Industrie und der Kontrolle verschrieben. Ihnen zuliebe gibt sie ihr Lebensglück und das ihrer Mitmenschen preis. Erbarmungslos saugt sie den Lebensatem der farbigen Völker aus, um ihre Macht zu vervollkommnen. Rassismus ist nichts anderes als der Weltherrschaftsanspruch der Weißen. Die meisten Schwarzafrikaner sind davon überzeugt, daß die soziale Sicherheit der Bürger Europas auf der Ausbeutung der Schwarzen beruht. „Sie haben ihre Vergünstigungen, ihre Löhne, ihre Arbeitslosenunterstützung, ihren Schwangerschaftsurlaub, ihre Altersversicherung … und all das Geld kommt von Afrika. Es ist das Blut der afrikanischen Völker. Wissen sie, daß das Geld, das sie ausgeben, Blutgeld ist?“ fragt Fela Anikulapo Kuti, Nigerias prominentester Popstar, im Jahr 1993. Er formuliert die allgemeinverständliche Version der Dependenztheorie, nach der die bestehende Weltwirtschaftsordnung die Nationen des Nordens füttert und die des Südens plündert. Auch die Liebe der weißen Frau, von schwarzen Karrieristen ersehnt, gilt als eine Form von Macht-

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LESESTÜCK

Der nigerianische Maler weiß, wie man eine Weiße glücklich macht – man geht mit ihr aus, treibt Sport mit ihr und spült das Geschirr. Aber er weiß auch, warum er mit einer solchen Frau nicht verheiratet sein möchte. ergreifung. Europäische Frauen stehen bei Westafrikanern in dem Ruf, daß sie mit Rechthaberei und ständigem Lamentieren den Gatten und Hausangestellten das Leben zur Hölle machen. „Die Weiße behandelt ihren Mann wie einen Hampelmann“, warnt in einem Roman der Senegalesin Mariama Bâ eine Mutter ihren verliebten Sohn. „Sie betrachtet ihren Ehemann als ihr Eigentum. Sie allein verwaltet das Haushaltsgeld, sie ist die einzige Nutznießerin davon. Nichts geht an ihre Schwiegerfamilie!“ Der nigerianische Maler Twins Seven Seven weiß, wie man eine Weiße glücklich macht – man geht mit ihr aus, treibt Sport mit ihr und spült das Geschirr. Aber er weiß auch, warum er mit einer solchen Frau nicht verheiratet sein möchte: „Was mich an weißen Frauen beunruhigt, ist die Tatsache, daß sie dich einfach verlassen, Schluß mit dir machen, wenn sie ärgerlich sind oder wenn sie beschließen, nicht mehr verliebt zu sein … Europäische Liebe ist das, was wir besitzergreifende Liebe nennen. Und sie ist künstlich, eigentlich keine Liebe, weil sie materialistisch begründet ist … Dieses und jenes darf man nicht tun, weil man einen Kontrakt unterzeichnet hat. Die Ehe ist ein Symbol, das einen niederhält. Die Liebe wird außerdem zerstört, wenn Wettbewerb ins Spiel kommt: Wettbewerb im Verstehen, bei Diskussionen, sexueller Wettbewerb, ökonomischer Wettbewerb.“ Wer aus Eigennutz „der Natur zu viele Fragen stellt“ (Kuti), wird schließlich auch dazu neigen, die Natur in die Ecke zu stellen. Dann konkurrieren Frauen mit Männern und trainieren sich schwellende Muskeln an. Dann sehen sie am Ende noch wie Männer aus. In neueren schwarz-weißen Liebesgeschichten afrikanischer Autoren sind weiße Frauen entweder frigide oder nymphoman. „Das sexuelle Interesse ist hier nicht so wichtig“, sagt Twins Seven Seven. „In Europa wird

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Sex so hoch gehandelt, hier dient er in erster Linie der Fortpflanzung.“ Junge Afrikaner sind traditionsgemäß darin geübt, ihre Gefühle im Zaum zu halten. Die verfeinerte Leidenschaft und erfinderische Zärtlichkeit der Europäer erscheint ihnen würdelos und aufdringlich. „Hier gibt es nur Sex“ erkennt Jean Rouchs nigerischer Gefährte Damoure Zika bei einer ethnologischen Inspektion des Volks von Paris. Beschämt wenden Afrikaner in Paris, München und London den Kopf ab, wenn sich vor ihren Augen junge Pärchen exhibitionieren. Das ist die Art der „Unbeschnittenen“ … Was Wunder, daß dort, wo Männlich und Weiblich durcheinandergeraten, auch die Generationsschranken niedergerissen werden und die Knirpse in hochfahrendem Tonfall ihre Eltern tadeln und belehren. Seltsame Weise – eigennützig und selbstverleugnend, hedonistisch und unglücklich, entartet und erfolgreich. Vereinsamt und asozial, wie sie sind, ziehen sie doch alle an einem Strang. Und die äußere Erscheinung der Weißen ist heute wie zu Kolonialzeiten ein Anreiz zur Mimesis. In den afrikanischen Gemischtwarenhandlungen füllen die Mittel zum Aufhellen der Haut und zur Glättung des Haars einen großen Teil der Regale. Geradezu hypnotisch ziehen die seidene Haarpracht und die langen Wimpern der Weißen den Schwarzen an. Sie wachsen im zaubrischen Überfluß, und sie mildern die Schroffheit des Nasenprofils und die Kälte des Blicks aus den hellen Augen. Auch die frostigen, düsteren, hektischen Städte Europas haben ein zweites Gesicht: das eines fein gegliederten, polierten, bebenden Körpers mit unzähligen Organen und Nervenbahnen. Zu fühlen, wie eigenwillige Hochleistungsapparate unter und über der Erde zusammenwirken, macht die Migranten süchtig, ebenso wie das dumpfe Dröhnen dieses Körpers, seine Krämpfe, Strömungen und Lichtkaskaden. Es ist, als würde ein Zauberstab allem, was der Blick erfaßt, verführerischen Glanz verleihen. Die Abrechnungsliteratur schwarzer Akademiker hat das glänzende Europabild der breiten Bevölkerungsmehrheit in den ehemaligen britischen und französischen Kolonien nicht getrübt. Das Bramarbasieren der einfachen been to (Europa-Veteranen) macht da entschieden mehr Eindruck. „Das Bild des Weißen, der reich ist und daher vollkommen glücklich, besteht ungebrochen fort“, folgert der Ethnologe Mamadou Diawara. „Es wird unentwegt bestätigt, da es in seiner Einfachheit von den in ihren Ghettos lebenden ausländischen Experten vorgelebt, schließlich in Zeitschriften und in jüngster Zeit vor allem in städtischem Milieu im Fernsehen reproduziert wird.“ Das Fernseh-

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gerät läuft in den meisten Haushalten der westafrikanischen Städte ununterbrochen und ist zu einem „für den sozialen Status unverzichtbaren Familienmitglied geworden, dem man viel verzeiht“. Die Dekolonialisierten versuchen mit Projekten, die ihre Kräfte häufig übersteigen, den Respekt Europas zu erringen. Sie bleiben „Europas Gefangene“. Im übrigen schreiben sich heutzutage die meisten afrikanischen Studenten in Europa nicht mehr in geisteswissenschaftlichen, sondern in technisch-naturwissenschaftlichen Fächern ein. Als Rückkehrer schüren sie die Begeisterung für das Genie der Gehirne im Norden. Was diese Gehirne erfunden haben, gehorcht nur ihnen selbst aufs Wort. Viele Schwarze weigern sich, ein Flugzeug zu besteigen, wenn der Pilot ebenfalls ein Schwarzer ist. Ist also Ambivalenz das Schlüsselwort für die Europa-Erfahrung der Schwarzen? Die von den wunderbaren Dingen benommenen Besucher beschuldigen Europa, es unterwerfe den Menschen der Vorherrschaft der Dinge. Sie beanstanden die „Künstlichkeit“ des Lebens in Europa, der sie selbst verfallen sind. Dieselben Verhältnisse, die den Menschen isolieren, sorgen für den begehrten Komfort. „Egoismus“ ist eine durch und durch ambivalente Diagnose der unter Weißen lebenden Schwarzen. „Machtgier“, „Geldgier“, „Zauberei“ und „Materialismus“ sind andere. Aber was besagt denn die Haßliebe, der Zwiespalt der Schwarzen, vom Gegenstand dieser Haßliebe, Europa? Sympathien und Antipathien einer Gruppe lassen nur wenig von dem erkennen, was die Gruppe sieht. Dieser Zwiespalt jedoch, der ja die begehrten Dinge betrifft, erzählt die ganze Geschichte der afrikanisch-europäischen Begegnung und ihr derzeitiges Ende. Die Entthronung der Weißen inthronisiert sie erneut. Die Weißen sind durchschaut, und sie sind unbegreiflich. Männer, die über Himmel, Erde und Wasser gebieten, verschaffen sich bei ihren Frauen Respekt. Nicht so die weißen Männer. Diese Männer werden von den Frauen ausgeschimpft und schweigen dazu. Sie spielen im eigenen Haus die Rolle von Kindern, die gesagt bekommen, was sie anzuziehen und zu essen haben. Sie tun Frauenarbeit, und das auch noch häufig mit der linken Hand, die dazu da ist, den Hintern abzuwischen und den Zipfel anzufassen und andere unreine Dinge zu tun. Alles verdanken sie ihren Gehirnen und dem beschriebenen Papier, auf dem die Weisheit die Zeiten überdauert. Zugleich verabscheuen sie das Alter und verleugnen es mit Hilfe von Kosmetika und Schlank-

Ist also Ambivalenz das Schlüsselwort für die Europa-Erfahrung der Schwarzen? Die von den wunderbaren Dingen benommenen Besucher beschuldigen Europa, es unterwerfe den Menschen der Vorherrschaft der Dinge.

heitsmitteln. Ihre Alten schämen sich vor den Jungen, die zur Führerschaft noch ungeeignet sind. Frauen und Männer braten in der Sonne, um ihre weiße Haut loszuwerden. Hat man schon jemals gehört, daß hellhäutige Menschen dunkel zu werden versuchen? Unansprechbar in ihren Schaltzentralen arbeiten die Weißen an Plänen, wie die Erde noch einmal umzugraben ist und mehr Erträge abwirft. Anderntags überrascht man sie dabei, wie sie in ihren Gärten ganz leise mit großen Hunden sprechen. Zärtlich streichen sie den Tieren übers Fell, nehmen die spitzen Köpfe in beide Hände und scheinen Fragen zu stellen. Die Tiere blicken aufmerksam zurück, was die Weißen veranlaßt, sie an sich zu drücken. Sie sind Freunde und Kinder, vielleicht die einzigen. Sie sind Automaten mit warmem Blut. Im westafrikanischen Hinterland halten sich Gerüchte, daß alle Weißen, die längere Zeit im Land der Schwarzen weilen, ins Leben zurückgekehrte Geister von schwarzen Zauberern sind. Das bedeutet, ihre weiße Haut ist nur übergestreift. Man hat schon weiße Lehrer und Ethnologen dabei beobachtet, wie sie abends die Vorhänge zuziehen, die Tür verriegeln und dann ihre Haut abstreifen und aufhängen. Wenn die Ethnologen von solchen Gerüchten Wind bekommen, fragen sie ihre schwarzen Begleiter enthusiastisch aus, und diese versichern, sie selbst glaubten natürlich nicht daran, das sei unzivilisiertes Geschwätz. Weißen Frauen sagt man in Westafrika nach, sie hätten den bösen Blick. Die Ungetrübtheit, die Wässrigkeit des Blicks, verbunden mit Verfügungsgewalt, ergibt unmittelbar das Böse. Mariama Bâ beschreibt in ihrem Roman „Der scharlachrote Gesang“, wie eine senegalesische Mutter zum erstenmal die weiße Frau ihres Sohnes in Fleisch und Blut vor sich sieht: „Bis zur letzten Sekunde hatte sie gehofft, eine ganz ge-

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Je genauer die Afrikaner dem Weißen ins Gesicht, auf die Finger und seine Dinge schauen, desto geheimnisvoller wird die Stellung des Weißen in der Welt.

wöhnliche Frau auf sich zukommen zu sehen, die die Kunst des Photographen übermäßig verschönt hatte. Der Schock, den Mireilles Schönheit bei ihr auslöste, machte sie sprachlos. ‚Eine ihrer Welt entflohene Djinne!‘ ging es ihr durch den Sinn. Von ihren blaugrünen Augen ging eine magische Verführungskraft aus.“ In Mali und im Senegal werden den Geistern, den djinn, eine weiße Farbe, lange Haare, eine gerade Nase und Augen „hell wie frische Milch“ zugeschrieben. Die Geister leben unsichtbar in den Bäumen nahe am Wasser, aber man glaubt, daß Europäer die Geister sehen können, weil sie mit ihnen wesensgleich sind. Die am Wasser wohnenden Feen sind Verwandte der Mami Wata, die in Palästen auf dem Meeresgrund residiert. (Das erzählt man heute in mindestens achtzehn Ländern zwischen Senegal und Tansania.) Mami Wata stammt von alten Wasser- und Schlangengeistern ab und trägt die Züge einer modernen Europäerin. Sie erregt Begierde und Grauen, verspricht Erfüllung und Untergang. Als weiße Herrin empfängt sie ihre Günstlinge zum Festmahl und überhäuft sie mit Reichtum; doch die glücklichen Verehrer versinken alsbald in Krankheit und Einsamkeit. Die Anhänger des Mami-Wata-Kults bei den Ewe (in Togo und Ghana) staffieren ihre Altäre, die großen Frisiertischen nachgebildet sind, mit allem aus, „was für Mami Wata schön anzuschauen ist“. Das sind vor allem europäische Frisier- und Kosmetikartikel, aber auch Schmuck, Geschirr und Besteck, Kinderspielzeug, Ritualwaffen, Nahrungsmittel, Geisterdarstellungen und anderes. Der Mami-Wata-Forscher Tobias Wendl bezweifelt, daß die Ewe Europäerinnen beim Kosmetikritual für Geister hielten. „Vielmehr nahmen sie wahrscheinlich an den Handlungen der Europäerinnen einen Geist wahr, den man vielleicht als

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‚Geist des Europäertums‘ bezeichnen könnte.“ Der zentrale Gegenstand, mit dem Mami Wata hantiert, ist der Spiegel. Er gleicht der Oberfläche des Wassers und der Oberfläche des weißen Gesichts, dessen Macht nicht zuletzt darauf beruht, daß es keinem Ding-Fetisch verfallen kann, weil es vorab von der Selbstbetrachtung verzaubert ist. Nur dieses weiße Gesicht ist immun gegen den bösen Blick. Die von Mami Wata besessenen schwarzen Frauen „präsentieren sich als eitle Damen, stützen den Arm herrisch in die Hüfte und verlangen lauthals nach Limonade, Süßigkeiten und Gebäck. Oder sie stelzen kreuz und quer über den Tanzplatz und lüpfen bei jedem Schritt ihren Rock … Manche lassen sich Kamm und Spiegel reichen und zupfen sich umständlich ihre Frisur zurecht. Andere überschütten sich mit Puder und Parfüm, oder sie paffen Zigaretten und süffeln teuren Likör“. Von der Spiegelbildlichkeit des Europäertums, der Reflexivität, behalten die Afrikaner nur die Luxusartikel, mit denen sie sich rahmt. Je genauer die Afrikaner dem Weißen ins Gesicht, auf die Finger und seine Dinge schauen, desto geheimnisvoller wird die Stellung des Weißen in der Welt; und doch sind es unverkennbar das Gesicht, die Verrichtungen und die Dinge des Weißen, die sie nachbilden. Als Ritus wird das Europäertum zu jener Zauberwerkstatt, die in Europa, wo der Zauber auf sich selbst gerichtet ist, nicht entsteht. Der Weiße kann zaubern und heilen. Er öffnet und schließt den Bauch eines Kranken. Der Operierte erwacht aus der Vollnarkose, als sei er zu neuem Leben wiedergeboren. „Das einzige, was er nicht kann, ist die Seele in den Körper hineinzulegen“, sagen die Soninke (in Mali) von Weißen. Aber er behält sein außergewöhnliches Wissen für sich. Nie verläßt er sein Haus, ist somit das „vollendete Rätselwesen“. Er bringt neuartige Maschinenwesen hervor und hat die industrielle Fertigung von Konsumartikeln erfunden. „Der Weiße verzaubert den Kunden. Er macht ihn erst abhängig und kümmert sich dann nicht mehr um ihn. Der Kunde wird immer wieder kommen, er wird den Weißen immer brauchen. Er ist zu einem Besessenen geworden.“ Der Schwarze begehrt die Dinge, denen die Macht des Weißen mitgegeben ist, aber der Weiße läßt seine Dinge einfach zurück und nimmt die Macht wieder mit … und damit einen Teil der Kraft des Kunden. Das Begehren des Kunden ist wie eine Photographie, die der Weiße von ihm macht. Der Weiße hat das Negativ, den Schatten des Kunden. Er legt ihn in eine Schachtel, holt ihn bei Bedarf heraus,

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handelt mit ihm, läßt ihn für sich arbeiten und vervielfältigt ihn. An einem Oktobertag im Jahr 1974 steigt der Student Blaise N’ Djehoya vom Stamm der Bassa (in Kamerun) auf dem Flughafen Orly aus einer Maschine der Air France. Zum erstenmal steht er auf dem Boden der Weißen. Sein Telegramm an Freunde in Paris hat sich verirrt. Er wartet vergebens. Niemand im Menschengewimmel erwidert seinen Blick. Der erste, den er anspricht, schrickt zusammen, weicht aus und entfernt sich, wobei er dem Schwarzen über die Köpfe der anderen hinweg scheue Blicke zuwirft. Blaise N’ Djehoya ist bekennender Kosmopolit. Er trifft ohne wirksamen Schutz in Frankreich ein. Seine Mutter hat es nicht mehr geschafft, ein Amulett zu besorgen, das die Sirenen der Mammy Water fernhält. Im vollbesetzten Bus sitzt hinter ihm ein Pärchen, das in seinem Liebesspiel die Umgebung ignoriert. N’ Djehoya lernt: Je dichter sich die Weißen zusammendrängen, desto abgeschiedener sind ihre Körper. Die Metro trägt den Debütanten in die Eingeweide von Paris. Er folgt der Linie auf der Karte mit dem Finger und liest, daß andere Linien noch tiefer in die Erde führen. Viele Stationen tragen die Namen von Toten. Kreuz und quer durch das Totenreich haben die Weißen Röhren gelegt, um ihre Wege abzukürzen. In den folgenden Jahren erforscht der Student das Volk der Parigos nicht, um mit den Weißen die Rollen zu tauschen, sondern weil er heimisch werden will. Er verfolgt die Verkehrsströme durch die Erdröhren und Avenuen zu den gläsernen Arbeitspalästen, den Einkaufshallen und den Schlafbauten an der Peripherie, wo die Fernsehgeräte warten. Obwohl er ganze Berge französischer Literatur gelesen hat, weiß er vom Gemeinschaftsleben dieses Volkes fast gar nichts. Was er im Jardin du Luxembourg sieht, läßt viele Fragen offen. So steigt er in die unterirdischen Kammern und Gänge hinab, wo die unbeobachteten Riten der Eingeborenen stattfinden. Beim Studium der Kritzeleien in den Toiletten der Universität wird er fündig. Hier entziffert er die Klagen und Sehnsuchtsseufzer des weißen Mannes: das SOS der Päderasten, die Warnung vor der jüdischfreimaurerischen Weltverschwörung, die Kopulationsgebete, die Parolen der terroristischen Internationale und die Bannsprüche gegen die gelbe Gefahr und den makrophallischen Neger. Doch auch diese Entladungen verraten nicht das Geheimnis der Weißen. Es findet sich im Bauch der Stadt nicht mehr und nicht weniger als auf den Stra-

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ßen, in den Geographiebüchern, der Körperkultur, dem pluralistisch-demokratischen Einerlei der tausend Minderheiten und Jargons, im Aberglauben und in den Eßgewohnheiten. Das Geheimnis der Weißen verbirgt sich in ihrer Entrücktheit. N’ Djehoyas Großvater galt unter den Zauberern der Bassa als gefährlicher Fetischpriester. Sein Sohn schlug dieses Erbe aus, ließ die Amulette und Kakaofelder liegen und ging in die Stadt, um zu studieren. Blaise wurde mit dem „französischen Fläschchen“ großgezogen. Dennoch wußte sein Vater zu verhindern, daß Blaise sich weißen Kameraden anschloß. Auf dem Gymnasium der Jesuiten verschlimmerte sich die afro-europäische Schizophrenie des Jungen. Er hörte Rockmusik, las europäische Klassiker und Kriminalromane und weigerte sich beharrlich, zwischen Afrika und Europa eine Wahl zu treffen. In Paris nun erfährt er, daß es kein Niemandsland zwischen den Kulturen und keinen intellektuellen Orbit über ihnen gibt. Auf dieser Erde fehlt das Land, zu dem er stehen könnte. Das Viertel, in dem er seit sieben Jahren wohnt, wird nach und nach von südostasiatischen Immigranten erobert. Die Trottoirs werden regelmäßig gefegt wie Wohnstuben, und die schlitzäugigen Passanten begegnen dem Schwarzen mit fassadenhafter Höflichkeit. Die letzten Franzosen verlassen das Viertel und wollen es dennoch nicht wahrhaben, daß die Dritte Welt an ihre Tore klopft. N’ Djehoya bleibt, denn er weiß, daß er auch anderswo nicht zu Hause wäre. Für seine Reportagen braut er sich eine neue Sprache zusammen, ein „gebrochenes, vergewaltigtes, kolonisiertes Französisch“. Aber diese Sprache hat kein Territorium. Verzweifelt wünscht er sich einen neuen Körper. „Um in einer Welt leben zu können, die er ertragen könnte, müßte er sich von oben bis unten neu erfinden.“ Wie sollte er so etwas bewerkstelligen können? Nur auf eine einzige Weise: „Er müßte zu den Fetischmännern gehen.“ Der Kreis schließt sich. Der Zauber der Fetischmänner jedoch ist in Europa nicht wirksam. Die Weißen üben ihren eigenen Zauber aus. Sie mieten die Fetischmänner aller Kulturen, lassen sie in ihren Städten praktizieren und saugen ihnen dabei unbemerkt die Magie aus dem Leib. Dieser Zauber findet bei Tageslicht und vor aller Augen statt, ohne daß man ihn nachahmen kann. Niemand beherrscht ihn. Die wahre Wildnis ist das Land der Weißen.

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PORTRAIT Foto: imago / Hartenfelser

Schreibt an gegen den „Jargon der Weltoffenheit“: Frank Böckelmanns „TUMULT“ ist heute eine der spannendsten deutschen Zeitschriften.

Der Rote, der Blaue, der Bunte? Frank Böckelmann entzieht sich dem gängigen RALKatalog der politischen Landschaftsfarben. Vielmehr hängt er eigenbekundet am Luxus und nimmt gern das Risiko in Kauf, elitär zu erscheinen. Denn die Intellektuellen sind die Elite der Überflüssigen.

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o ist jedenfalls über den Charakter und das Personal der Vierteljahresschrift für Konsensstörung, „TUMULT“, zu lesen. Weiters heißt es auf der Homepage: „TUMULT schlägt Schneisen in die subventionierte Wirklichkeit, sorgt für Belichtungen von toten Winkeln der Wahrnehmung und öffnet Landschaften der Poesie.“ Die Zeitschrift, deren Chefredakteur Frank Böckelmann ist, „durchmisst die Räume des Politischen, erforscht die Lebenswelt Netz, informiert über Die Bewirtschaftung der Zukunft und sucht Das Gespenst Sexualität heim.“ Der studierte Philosoph und Kommunikationswissenschaftler ist Vorsitzender des Fördervereins „Freunde der Vierteljahresschrift TUMULT e.V.“, der wiederum laut Satzung nicht nur umfassenden Erkenntniszwecken dient, sondern auch als Inhaber und Verleger des Magazins fungiert.

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Offenbar haben sich Böckelmann und Konsorten mit der (Eigen-)Positionierung der Intellektuellen als Elite der Überflüssigen hinter der soziologisch herausgearbeiteten Funktion der Intellektuellen als Sinnvermittler – so jedenfalls Helmut Schelsky – etwas neben den Anspruch des großen deutschen Soziologen gesetzt. Was vielleicht schade ist, denn seit jeher scheinen doch Sinnvermittler vielleicht eher vonnöten als Erkenntnislieferanten. Vielleicht haben sich aber auch die Intellektuellen rund um den Dresdner, der 1941 dort geboren wurde und in der BRD aufwuchs, aus der „vagen Sozialgruppe“, die laut Schelsky als Globalbegriff empirisch und forschungsoperational unergiebig ist, ganz bewusst ausgeklinkt. Der vorgenannte Luxus besteht demnach möglicherweise im zweckfreien Betrachten und Staunen, „Erkenntnis

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als Frucht der Begierde, zu begreifen, was vor sich geht“, zumal die Redaktion von „TUMULT“ rund um Böckelmann „denkerische Strenge und Konsequenz, aber nicht die rituelle Stilisierung selbstgenügsamer Wissenschaft lichkeit [schätzt].“ Da mittlerweile die Welterkenntnis der verbreiteten Zuversicht, dass man sich die Welt nach Belieben zurechtmachen könne, nachgeordnet ist, warnt Böckelmann jedenfalls recht handfest vor dem „Jargon der Weltoffenheit“, so der Titel seiner bekanntesten Publikation. Der ideologische Milieuwortschatz führe als Sammelsurium wohlklingender Losungen nicht zu einem „Anderen, sondern ins Nichts. Er hält uns in einem Zustand der Vorläufigkeit gefangen: Alles erscheint greifbar, nichts ist erreichbar“. Die politische Linke als historisch eigenständige Kraft sei, so Böckelmann, der seine Dissertation bei Karl Jaspers schrieb, verschwunden: „Wer sich heute ‚links‘ nennt, kündigt lediglich an, noch hartnäckiger zu fordern, was alle anderen auch schon fordern.“ Dadurch sei ein Gleitflug in die Indifferenz eingeleitet worden, der in einem Dasein ohne Herkunft , Heimat, Nachkommenschaft und Transzendenz enden werde. Mit dem Verlust der sozialen Dimension des Lebens wäre laut Böckelmann „das marktkonforme Individuum gezwungen, sich selbst zu verwerten. Auf daß keiner mehr die anderen diskriminiere, sollen nur noch meßbare Leistungen ausgetauscht werden. Diese Ökonomisierung des Lebens ist ein Fortschritt ins Leere […].“ Möglich, dass genau diese Anamnese der geistigen Befi ndlichkeit Deutschlands die früheren Weggefährten aus vergangenen Uni-Zeiten auf den Plan gerufen hat. Denn ihnen gilt Frank Böckelmann als Renegat, als „Kippfigur“. Volkmar Wölk, linksextremer Mitherausgeber der „Antifaschistischen Nachrichten“, sieht Böckelmann am Ende eines Weges angekommen, der von der antiautoritären, subversiven Revolution zur „Konservativen Revolution“ führte, und schrieb im Sommer 2018 im Magazin „der rechte rand“: „Früher – als ‚’68‘ noch kein Mythos, sondern die Revolte Alltag war – hätte es sich Frank Böckelmann wohl nie träumen lassen, dass er, ein Mitglied der ‚Subversiven Aktion‘ und somit in inhaltlicher Nähe zu den linksradikalen ‚Situationisten‘, er, der den Geist der Antiautoritären verkörperte, dass er einmal gemeinsame Sache mit jemandem wie Vera Lengsfeld machen würde […]. Böckel-

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mann sieht sich immer noch in der Revolte gegen das herrschende System, Lengsfeld noch immer als Bürgerrechtlerin gegen die Unterdrückung des Staates. […] Inzwischen fi ndet sich Böckelmann als Erstunterzeichner unter der ‚Erklärung 2018‘, die von Lengsfeld maßgeblich befördert wurde und die sich mit den rassistischen Demonstrationen in Deutschland solidarisch erklärt.“ Das Kulturmagazin „perlentaucher“ ordnet Frank Böckelmann für Anfang der 1960er-Jahre neben Dieter Kunzelmann, Rudi Dutschke, Herbert Nagel und Bernd Rabehl der „PariaElite“ der „Subversiven Aktion“ zu. So war er „Protagonist der antiautoritären Fraktion im SDS und beteiligte sich in den 70er und 80er Jahren publizistisch rege an der Propaganda und Erforschung von Multikulturalität.“ Zu den zahlreichen Büchern, die Frank Böckelmann bis dato veröffentlichte, gehört die schon seinerzeit Aufsehen erregende Studie über die gegenseitige Wahrnehmung und Fremdheit von „Gelben“, „Schwarzen“ und „Weißen“. 1998 in Hans Magnus Enzensbergers „Die Andere Bibliothek“ erschienen, war sie lange Zeit vergriffen und liegt nun in einer erweiterten Neuausgabe vor. Beim Verlag Manuscriptum ist man sich sicher: „An Aktualität und Überzeugungskraft hat sie nichts eingebüßt – im Gegenteil. Schon vor zwei Jahrzehnten war die öffentliche Belehrung, wie man mit Fremden korrekt umzugehen habe, von einem entlarvenden Widerspruch geprägt: Mit der Parole ‚gegen Ausgrenzung‘ wurden wir dazu ermahnt, Fremdheit zu ertragen und sie zu beseitigen: einzusehen, daß die Fremden gar nicht fremd sind. Heute ist aus der Hemmung, den Menschen ins Gesicht zu sehen und für den Anblick Worte zu fi nden, eine regelrechte Wahrnehmungsblockade geworden, der allgegenwärtige Rassismus-Verdacht“, und man stellt fest: „Dieses Buch ist keine Sammlung von Schuldzuweisungen, sondern ein Lob der Fremdheit.“ Schon in der Eichborn-Ausgabe von 1999 schrieb Böckelmann höchstselbst: „Bei Begegnungen zwischen den einen und den anderen ist kein Austausch komplementärer Empfi ndungen zu erwarten. Die einen werden von Unbekannten heimgesucht, die anderen treten ins Unbekannte. Die einen starren, die andren blicken verstohlen. Im fremden Land wohnen keine Fremden – fremd sind immer die Besucher und Eroberer, die Einwanderer und Verschleppten.“

FRANK BÖCKELMANN

wurde 1941 in Dresden geboren, wo er seit einigen Jahren wieder lebt. Er studierte Philosophie und Kommunikationswissenschaft in München und beteiligte sich dort mit Dieter Kunzelmann, Rudi Dutschke und Bernd Rabehl an der „Subversiven Aktion“. Anfang der Siebzigerjahre kappte er seine Beziehungen zu linken Gruppierungen. Nach der Promotion war Frank Böckelmann 30 Jahre lang für öffentliche Auftraggeber in der freien Medienforschung tätig. Er ist Herausgeber der „Schriftenreihe von TUMULT“ und Redakteur der Vierteljahresschrift gleichen Namens. Für sein Buch „Die Gelben …“ erhielt Böckelmann 1999 den Sonderpreis „Das politische Buch“ der Friedrich-Ebert-Stiftung.

TUMULT

„TUMULT – Vierteljahresschrift für Konsensstörung“ ist eine von Wissenschaftlern und (im weitesten Sinne) Künstlern betriebene Plattform, aber keine wissenschaftliche Zeitschrift und keine Kunstzeitschrift. Mainstreamkundig und randständig versteht sich „TUMULT“ als unabhängiges Organ der Gegenwartserkundung fernab akademischer und volkspädagogischer Sprachregelungen. tumult-magazine.net

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Foto: shutterstock / RossHelen

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Ruhe ist die erste Bürgerpflicht: In Frankreich heißt das Baguette holen und brav sein.

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s ist so etwas wie ein weltanschaulicher Lackmustest: Nennt man die beiden Wörter „französisch“ und „Philosoph“ in einem Satz, und das Gegenüber rümpft sogleich die Nase, so hat man es sehr wahrscheinlich mit einem Konservativen zu tun. Eine von außen konstruierte „französische Schule“ gilt allgemein – selbst bei libertären Ikonen wie der reaktionären USFeministin Camille Paglia – als Keimzelle des Bösen in der sogenannten westlichen Welt, als Brutstätte „der Postmoderne“ und als bildungsbürgerliches Synonym für „die ’68er“. Unbestreitbar ist, dass die Philosophie in Frankreich im Großen und Ganzen einen monolithischen Linksblock darstellt – doch in welchem westlichen Land wäre es anders? Und vor allem: Ist das wirklich die Folge eines sinisteren Planes der etablierten (post-)marxistischen Philosophie, gedankliche Abweichler kaltzustellen und zu „canceln“, oder könnte dieser beklagenswerte Umstand auch Ergebnis einer bedauerlichen rechten Tendenz sein, sich viel mehr für Wirtschaftswissenschaften und

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allerhöchstens noch Jus zu interessieren als für die Kärrnerarbeit des Denkens über das Sein und Denken selbst? Wo die Rechte sehnsuchtsvoll nach anschlussfähigen Denkern sucht, greift sie oft äußerst unglücklich daneben. Die bereits genannte Paglia mit ihrem Werben um Abrüstung zwischen den Geschlechtern bei gleichzeitigem vehementen Eintreten für Abtreibungen und Schwulenehe war eine Zeit lang so ein Fall; der Franzose Renaud Camus mit seiner Klage über die Überfremdung Europas ist bis heute ein weiterer. Vor diesem Hintergrund mag man den jüngsten Handstreich des kleinen, aber hochfeinen Dresdener Verlags Jungeuropa anfangs beargwöhnen: Dort erscheint dieser Tage das jüngste politische Buch des französischen Skandaldenkers Michel Onfray in deutscher Übersetzung: „Theorie der Diktatur“ lässt im Titel zuerst an schwere politologische Kost denken, stellt sich aber als locker geschriebene und eingängige Warnung vor – unserer Gegenwart heraus, gemessen an den dystopischen Visionen des durch blanke Gewalt kurierten Ex-Revo-

lutionärsozialisten Eric Arthur Blair alias George Orwell. „Um die Freiheit ist es in der Tat schlecht bestellt, die Sprache wird angegriffen, die Wahrheit abgeschafft, die Geschichte instrumentalisiert, die Natur ausgelöscht, der Hass geschürt und das Imperium ist auf dem Vormarsch.“ Umso mehr gilt es, sich geistig zu rüsten – Onfray trägt schon seit Jahren dazu bei, gerade auch durch seine Unterstützung der „Gelbwesten“. Dass Mária Schmidt, Beraterin Viktor Orbáns, dem Buch ein eindringliches Vorwort beigesteuert hat, rundet da nur das Gesamtbild ab.

Michel Onfray Theorie der Diktatur Jungeuropa Verlag, Dresden 2021, 224 Seiten ISBN 978-3-948145-08-8 A € 22,70 / D € 22,00

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DE R B U C HT I PP

BÜCHER

In wessen Sinne ist die Zwietracht?

Dass „das Internet“ mit seinen scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten der Kommunikation zur totalen Demokratisierung des Menschen und der Gesellschaft führe, ist Lebenslüge nicht nur der Piratenpartei. Bernd Stegemann ist links und stellt klar: Die digitale Gereiztheit muss überwinden, wer wieder ein Volk sein will. Bernd Stegemann: Die Öffentlichkeit und ihre Feinde Klett-Cotta, Stuttgart, 2021, 384 Seiten, € 22,70

Rückruf aus der Geschichte – für uns?

Als am 25. November 2020 der Freitod des Schriftstellers, Schauspielers und konservativen Revolutionärs Mishima ein halbes Jahrhundert alt war, wurde auf der Rechten heiß über die Bedeutung dieses aus der Zeit gefallenen Samurai debattiert. „Trad“ oder „LARP“? Putschversuch, darf man das? Wer aber war dieser Mann? Federico Goglio u. Massimiliano Longo: Yukio Mishima. Der letzte Samurai Hydra Verlag, Dresden, 2021, 212 Seiten, € 30,00

Lange Zeit, lange Wege, lange Bücher

Freiheitlich gesinnt, mit Wartburgfest, Hambacher Fest und 1848 auf seiner Seite, mag man rasch der These der Autorin zustimmen, dass die neuzeitliche Demokratie eine ganz besondere Wurzel in Deutschland habe. Doch dahin gelangt sie durch teils wilde Assoziationen – und bleibt penetrant liberal. Nur nicht ködern lassen! Hedwig Richter: Demokratie. Eine deutsche Affäre Verlag C. H. Beck, München, 2021, 400 Seiten, € 27,80

Schaff t der Protest die Demokratie?

Papier ist geduldig – auch bedruckt mit Kritik. Auf der Straße sieht das schon mal anders aus! Nicht nur alternative Denker (siehe gegenüberliegende Seite) interessieren sich für die populistischen Aufsässigen dieser Jahre. Der Soziologe Armin Nassehi, Herausgeber des ’68er-Traditionsorgans „Kursbuch“ und Fellow der Konrad-AdenauerStiftung, konnte vor sieben Jahren bereits den Verleger Götz Kubitschek zu einem „mutigen“ schriftlichen Austausch verführen, der ihm im Folgejahr als Werbevehikel für sein Buch „Die letzte Stunde der Wahrheit“ diente. Nun also bieten die besagten „Gelbwesten“, die längst über ihren Zenit hinausspazierten Leute von PEGIDA und andere Protestbewegungen der jüngeren Zeit das Grundthema, und Nassehi liefert diesmal auch in der Form, was man von einem BRD-Soziologen erwartet: Eine Menge Material, das man verstehen wollen muss, um nicht vom Schreibstil abgeschreckt zu werden. Anderseits: Wer erwartet etwas anderes von einem Denker, dessen Markenkern es ist, bei anderen „Komplexitätsreduktion“ zu orten? N ° / 12 / M A I 2021

Armin Nassehi: Das große Nein kursbuch.edition, Hamburg 2020, 160 Seiten, A € 20,90 / D € 20,00

Was sie fürchten Gleich vorweg: Die hierin betrachteten Ereignisse und Mechanismen datieren von kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges und traten seinerzeit in den USA auf, die – wie wir wissen – politisch und gesellschaftlich mindestens ebenso sehr ihren eigenen Mikrokosmos bilden wie in allen anderen Lebenslagen auch. Umso interessanter nimmt sich die Neuauflage dieses soziologischen Klassikers angesichts von Zeitpunkt und Form der Veröffentlichung aus. Den Untertitel des Originals von 1949, „A Study of the Techniques of the American Agitator“, hat man gekonnt ausgetauscht gegen „Studien zur faschistischen Agitation“. Und Co-Autor Norbert Guterman hat man auf dem Umschlag gleich ganz weggelassen – vielleicht ist das nationalpopulistische Aroma in dessen Heimatland Polen derzeit zu stark, als dass die empfindsamen Riecher bei Suhrkamp es ertragen könnten? Jedenfalls fügt sich dieses Werk in Herkunft und strategischer Platzierung gut in ein Programm ein, das schon 2019 auch Adornos „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“ von 1967 (!) mit viel Hintersinn-Tamtam und einem unwürdigen Erklärbär-Nachwort eines stramm linken Historikers wieder vorgelegt hat (FREILICH berichtete). Im vorliegenden Fall hat man Carolin Emcke rangelassen, die gern so etwas wie die deutsche Judith Butler wäre. Allein, für die Subversivität des prominenten Vorbilds reicht es nicht, schon gar nicht bei einem so biederen „Wirt“ wie Löwenthal, der immerhin Mitbegründer der Kritischen Theorie war – im Vergleich zur heutigen Linken zutiefst bourgeois. Sind diese kleinen Bücher ein absoluter Abgesang auf die altehrwürdige „Suhrkamp-Kultur“, sind sie – die Originaltexte – doch immerhin schön geschrieben. Davon könnten debile Klatschaffen-Rezensenten etwa der „Welt“ noch eine Menge lernen. Leo Löwenthal: Falsche Propheten Suhrkamp Verlag, Berlin 2021. 256 Seiten, A € 15,50 / D € 15,–

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KOLUMNE

Das Letzte (12):

Whoah! We’re going to Ibiza Whoah! Back to the island Whoah! We’re gonna have a party Whoah! In the Mediterranean Sea

Martin Lichtmesz wurde 1976 in Wien geboren. Nach Jahren in Berlin lebt er inzwischen wieder in seiner Heimat und arbeitet als freier Publizist.

Hinter „Ibiza“ lauert eine Justiz, die ein offenes Scheunentor ist, aus dem alles herausgespielt wird, was Menschen schaden kann – ohne Prozess.

Dank dem Magazin „exxpress“ kann sich nun jedermann das Epos in voller Länge gratis herunterladen, inklusive nackter Haut und noch nie gezeigtem Bonusmaterial. Die Rede ist von dem „Ibiza-Video“, mit dessen Hilfe 2019 die türkis-blaue Koalition gesprengt und HC Straches Karriere wohl für immer im Orkus versenkt wurde. Müssen wir nun angesichts des „ungeschnittenen“ Materials unser Urteil revidieren? Nicht wirklich. Denn wer damals gut aufgepasst hat, wird auch so gemerkt haben, dass der „Skandal“ zum überwiegenden Teil durch mediales Heißluftgebläse erzeugt wurde. Das gaben manche Ventilatoren auch im Kleingedruckten zu: So verschwieg „Falter“-Chef Florian Klenk nicht, dass Strache in dem Video mehrfach betont, dass alles, was geschieht, „rechtskonform, legal“ sein „und mit unserem Parteiprogramm übereinstimmen“ müsse. Nüchtern betrachtet konnte man Strache Naivität, eine schlechte Garderobe und alkoholisch unterstützte Großmäuligkeit vorwerfen, aber de facto hatte er weder ein Verbrechen begangen noch die Absicht geäußert, dergleichen zu tun. Die allgemeine Empörung war ein heuchlerisches Theater. Damals schrieb ich auf dem Blog „Sezession im Netz“: „Wo Strache immer noch ein B-Movie-Dilettant ist, ist Kurz inzwischen ein Vollprofi“. Freunderlwirtschaft, Postenschacher, Intrigen, Bestechung, Spendenabzweigungen und allgemeines mafiöses Verhalten – das alles sind übliche Vorgänge hinter den Kulissen von Politik und Wirtschaft. Die Liga, in der Kurz spielt, war und ist indes für Strache unerreichbar. Es ist der Pate Kurz, der in Oligarchen-Privatjets um die Welt fliegt, es ist Kurz, dessen enge Kumpel sich in die reichweitenstärksten Zeitungen Österreichs einkaufen. Ich will hier nicht weiter ins Detail gehen. Da im Grunde jeder weiß, wie „es“ läuft, sollten die nun „geleakten“ Chats zwischen Kurz, Gernot Blümel und ÖBAG-Chef Thomas Schmid nicht sonderlich überraschen, auch wenn sich die eine oder andere Augenbraue wegen des allzu ungenierten und vertraulichen Tonfalls heben mag. Die Feinde und Konkurrenten der ÖVP-Mafia von Pilz bis Kickl blasen ins Jagdhorn, und nun hängt alles davon ab, bis zu welchem Grad die alles entscheidende Mediokratie einsteigt. Ich sehe auf die Dauer keine ernsthafte Gefahr für die türkise Herrschaft, dafür aber

die Fortsetzung eines beunruhigenden und korruptiven Trends. Mit „Ibiza“ wurde eine Hemmschwelle überschritten und eine Praxis normalisiert, die das ohnehin schon dürftige Niveau der hiesigen politischen Auseinandersetzungen noch beträchtlich gesenkt hat. Diesmal bekam ein notorisch minusbeseelter linksextremer Journalist Wind von angeblichen intimen Inhalten auf dem Diensthandy eines Teilnehmers der besagten Chats und plauderte seine Info sogleich auf Twitter aus. Man könnte daraus nun ebenfalls ein „verstörendes Sittenbild“ (Van der Bellen über „Ibiza“) anfertigen, was die Beteiligten vermutlich auch verdient hätten. Aber das G’schmäckle ist zwiefach: Wie kommt es, dass Journalisten mit zweifelhaften Agenden regelmäßig in den Besitz von exklusiven Informationen kommen, die ihnen offenbar von der Justiz zugespielt werden? „Es ist ein Wahnsinn, dass alles, was man sagt, denkt oder schreibt, öffentlich gemacht werden kann und gemacht werden wird“, kommentierte Martin Sellner, selbst Opfer rechtlich ungedeckter Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen von Privateigentum, in seinem Telegramkanal. Man habe das bei Strache erlebt, „auf primitive Art und Weise“ mit versteckter Kamera, aber „mittlerweile ist es durch wildgewordene, absurde Razzien und durch eine Justiz, leck wie ein Schweizer Käse, so, dass jeder persönliche Bereich öffentlich werden kann. Nun passiert das im Kreise Kurz. Ich mag Kurz und seine Leute überhaupt nicht, ich finde, sie sind sehr schlecht für unser Land, aber ich finde die Art und Weise, wie das passiert absolut ekelhaft, abgesehen von den Dingen, um die es so geht.“ Außerdem stehe dahinter vorrangig ein Machtkrieg zwischen Kurz und den Grünen, die es satthaben, die stummgeschalteten Sidekicks des Kanzlers zu spielen. Unter diesem Aspekt muss man auch die Rolle der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft sehen, die nun offenbar mit RotGrün im Rücken gegen Kurz, Blümel & Co. vorgeht. Weit entfernt davon, die Objektivität des Rechtsstaates zu wahren, ist auch sie Instrument von Parteiinteressen. Der linke „tiefe“ Staat bekriegt die Kurz-Familie, und wie es auch ausgehen wird: Verlierer wird einmal mehr das Ansehen unserer Justiz, unserer Demokratie, unseres Staates sein. Nur das Ansehen der Journaille kann man wohl nicht noch mehr beschädigen, als ohnehin schon der Fall ist.


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