FREILICH Ausgabe 10

Page 1

POLITIK

Interview: Der Philosoph Alain de Benoist über Rechtspopulismus und das Volk als Souverän. S. 10 WIRTSCHAFT

Die große Umverteilung „Corona“ bringt große Eingriffe in die Gesellschaft. S. 46 ÖSTERREICH

Der Burschen alte Herrlichkeit Welche politische Rolle spielen Burschenschaften wirklich? S. 54

DAS MAGA ZIN FÜR SELBSTDENKER Ausgabe No 10 / 2020

freilich-magazin.at � Ö & DE: € 13,00 / CHF 13,00

SEPTEMBER 2020

SCHWERPUNKT

Der kurze Sommer des Rechtspopulismus ist vorbei. Manche der Parteien brechen ein. Das Establishment macht zu. Doch politische Veränderung ist wichtiger denn je.

Unpopulär rechts World Press Photo 2020 – Das sind die besten Pressefotos des letzten Jahres S. 60


Wiener Akademikerball in den Festsälen der Wiener Hofburg Freitag,

29. Jänner 2021 Karten-, Logen- und Tischbestellungen Rathausplatz 8/3/9, 1010 Wien Tel.: +43 (0) 664 358 99 25 Fax: +43 (0) 664 77 358 99 25

9. 68.

www.wiener-akademikerball.at


EDITORIAL

Werte Leser! E

s ist sicher richtig, dass die Meinungsmaschinerie der Demoskopieinstitute mit ihren Umfragen nur angeblich die Stimmung im Volk widerspiegelt, häufig genug dafür aber wohl „gewünschte“ Ergebnisse präsentiert. 2005 hatte Peter Sloterdijk ein Gesetz zur Eindämmung und Kontrolle von Meinungsforschung in Deutschland gefordert, da er das Zusammenspiel zwischen Demoskopie und elektronischen Medien für „eine Art außerparlamentarische Herrschaftsinstanz“ hielt, die eine „unlegitimierte Meinungsdiktatur“ erzeuge. Besonders brisant kann die Melange aus Umfrageaufträgen und digitaler Unterstützung werden, wenn im politischen Geschäft erfahrene Akteure Marktforschungsin-stitute führen, „die einen kontinuierlichen Strom genauer Daten und Einblicke in die Denkweise der Welt liefern wollen, um so Unternehmen, Regierungen und Institutionen […] besser dienen zu können“. So jedenfalls ins Deutsche übersetzt die „Mission“ der Firma YouGov PLC mit Sitz in London, deren Gründer Stephan Shakespeare seinerzeit von der Socialist Workers Student Society zu den englischen Konservativen wechselte. YouGov, angeblich weltweit führender Anbieter von Marketing- und Meinungsdaten mit Großaktionär Blackrock an Bord, hat unlängst eine Umfrage für die Zeitung „Welt“ organisiert. Deren Redaktion wollte wissen: „Würden Sie die Aufnahme von Geflüchteten aus Moria von der Insel Lesbos befürworten oder ablehnen?“ Am 15. September konnte das CDU-nahe Blatt dann ganz im Sinne der Bundeskanzlerin titeln: „47 Prozent der Deutschen sprechen sich für Aufnahme von Migranten aus Moria aus“, und gab an, dass YouGov 2874 Personen in Deutschland befragt habe. Die Ergebnisse seien nach Gewichtung repräsentativ für die deutsche Bevölkerung ab 18 Jahren. Repräsentative Ergebnisse als Wahrheitsbestandteile sind allerdings in der Kommunikation, zumal vor allem in der politischen, von „etablierten Denksystemen und Ideo-

Meine Leseempfehlungen:

U LR ICH NOVA K Chefredak teur

logien“ abhängig (T. Kunkel). Von den möglichen methodischen Fehlern, etwa ansteigenden Verzerrungswerten, beim Zustandekommen von Umfragen ganz zu schweigen, denn auch YougGov lag häufig genug daneben. Immerhin gab der CEO der Meinungsforscher aus London zu, dass, wenn „es um Fragen zu rassistischen Haltungen geht, […] Umfrageteilnehmer teilweise einem sozialen Druck nachgeben“. Menschen würden in der Befragungssituation eher dazu neigen, „der sozialen Erwünschtheit zu entsprechen, um dem Interviewer zu gefallen“.

D

as ironische Aperçu Sloterdijks, wonach Realität „nur ein depressives Konstrukt für Leute [sei], die sie noch nötig haben“, scheint jedenfalls die Qualitätsmedien zu beflügeln: Eine richtige, eine passende Wirklichkeit ist der von depressiven Widerspenstigen konstruierten entgegenzustellen. Das hat die Umfrage zu Moria belegt, aber auch der jüngst aufwendig in Medien und Politik hochgespielte „Sturm von Rechtsextremisten auf den Reichstag“. Keines der in den Medien dargestellten Ereignisse hatte stattgefunden, so die Berliner Senatsverwaltung auf die Anfrage eines Berliner FDP-Abgeordneten. Es gab also keinen Versuch, gewaltsam in das Gebäude einzudringen, nur eine Person wies den ermittlungsunterstützenden Hinweis „politisch motivierter (rechter) Straftäter“ auf, keine der Personen gehörte zu den Anmeldern der Corona-Demonstration, Personen- und Sachschäden gab es ebenfalls nicht. Eine üble Ente also, die „Frank-Walter, unser Bundesverdienstkreuz-Verwalter“ (S. Paetow) dazu nutzte, um „die Posse auf Hauptmann-von-Köpenick-Niveau“ publizistisch und symbolisch gegen den politischen Gegner zu instrumentalisieren.

Seite 10 / INTERVIEW / Alain de Benoist

„Die Krisen laufen zusammen“ Seite 54 / REZENSION / Lothar Höbelt

Der Burschen alte Herrlichkeit N ° / 10/ S EP T EM B ER 2020

3


N ° 10 � S E P T E M B E R 2 0 2 0

10

Der Philosoph Alain de Benoist über Rechtspopulismus und das Volk als Souverän.

3

Editorial

4

Inhalt

5

Impressum

6

Ansichtssache: Sieger sehen anders aus Linke, Hippies und Rechte sammeln sich zum Protest gegen die CoronaMaßnahmen um die Siegessäule in Berlin.

8

Kurz & bündig: aktuelle Neuigkeiten „Politikon“ heißt die neue FREI LICH-Buchreihe – Politische Stu die: Wir haben die Ibiza-Protokolle dokumentiert – Wir besorgen’s Ihnen: alle Bücher im FREILICHBuchladen

Hausverwaltung

STROHMEIER

4

Kein schöner Land

34 I N T E RV I E W

E S S AY

10 „Die Krisen laufen zusammen“ Alain de Benoist im Interview über Rechtspopulismus und kommende Krisen.

40 Das Dilemma der Dritten Kraft Erfolgreich scheitern an sich selbst. WIRTSCHAFT

REPORT

18 Der kurze Sommer des Rechtspopulismus Das Establishment arbeitet erfolgreich am Containment. I N FO G R A F I K

32 Rechtspopulismus in Europa GESELLSCHAFT

34 Kein schöner Land Wenn wir die Schnauze voll haben und aussteigen wollen, wagen wir einen Waldgang. Oder nicht?

46 Die große Umverteilung „Corona“ führt zu einschneidenden Maßnahmen. „C O R O N A“

48 Die utilitaristische Revolution Was mit „Corona“ durchgesetzt werden soll. 52 Nach Corona Eine FREILICH Politische Studie fasst die politischen Positionen der Freiheitlichen zusammen.

Wohnungen für Studenten, Akademiker und Senioren +43 (0) 699 1160 3056

Fischeraustraße 13 | 8051 Graz | www.hausverwaltung-strohmeier.at | ks@medcenter-nord.at

RE


F O R M AT

AU S DE R R E DA K TI ON

54

Der Burschen alte Herrlichkeit

60

World Press Photo 2020

P O L I T L I T E R AT U R

I N T E RV I E W

54 Der Burschen alte Herrlichkeit Lothar Höbelt über die Rolle der Burschenschaften in Literatur und Leben.

78 „Wir leben in einem späten Rom“ Der Schriftsteller Uwe Tellkamp im Interview über die Freiheit im Westen.

FOTO S T R E C K E

60 World Press Photo 2020 Die besten Pressefotos des letzten Jahres präsentiert.

LESESTÜCK

84 Solidarischer Patriotismus Benedikt Kaiser über die rechte Strategie des Zusammenhaltens. MEDIEN

K U LT U R

92 Bücher

70 Auf der Jagd Über die grassierende „Cancel Culture“ und sinnloses Klagen.

95 Das Letzte Leben mit der Maske

G E G E N K U LT U R

74 16-Bit-Widerstand Kann man Politik spielen?

IMPRESSUM: Freilich – Das Magazin für Selbstdenker. Erscheinungsort: Graz. Medieninhaber und Herausgeber: Freilich Medien Ges.m.b.H., Chefredakteur: Ulrich Novak, Redaktion & Verlag: Mandellstraße 7, A-8010 Graz, Österreich. Bankverbindungen: Steiermärkische Graz, IBAN: AT38 2081 5000 0009 8004, BIC: STSPAT2G; Postbank München, IBAN: DE44 7001 0080 0120 1628 06. Abonnement-Preise: Österreich Euro 76,–, Deutschland Euro 85,–, Schweiz SFR 96,–. Tel.: +43(0)316/32 70 09, Internet: freilich-magazin.at, E-Mail: redaktion@freilich-magazin.at

N ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

Mit der Katze zum Corona-Test „Kleine Bastet!“ Der Taxifahrer ist entzückt, als er Gramschi sieht, unseren Redaktionskater, sie erinnern sich. Ich trage ihn, er muss nun doch zum COVID-Test beim Tierarzt. CoronaDrive-in geht nicht für Katzen. Außerdem hätte Gramschi sicher Einwände gegen Abstriche aus Körperhöhlen. Gurgeln und ins Röhrchen spucken wird sich nicht spielen, denn Gramschi hustet schon. Jungredakteur Bennie und ich halten das eher für heiseres Schnurren, doch das entmannte Europa mit seinen Mutti-Tendenzen zeigt in Form der redaktionellen Restbesatzung gnadenlose Empathie mit dem Mitgeschöpf: „Ab mit euch, und kommt ja mit dem Test zurück!“ Also rein in die Kutsche zu unserem Fahrer, der aus Kairo stammt. Er heißt Shukran, und so wie Inder Kühe lieben, lieben Ägypter Katzen. Immerhin hielten sie die Getreidespeicher der Niloten mäusefrei, was ihnen einen göttlichen Status verlieh. Gramschi bleibt schweigsam, er hat jeden Rückgriff auf transzendente Instanzen zur Erklärung des Weltgeschehens eliminiert. Für ihn ist Religion nur Epiphänomen einer durch den Fortschritt der Wissenschaft überholbaren Epoche der Menschheitsgeschichte. Er schaut schnurrend, also hustend, auf das sexy wackelnde Hula-Doll-Girl auf dem Armaturenbrett. So Horus will, haben wir in 24 Stunden das Testergebnis.

redaktion@freilich-magazin.at freilich-magazin.at

5


Foto: Archiv

ANSICHTSSACHE

6

FR E I L I CH


N ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

ANSICHTSSACHE

Am 29. August 2020 läuft in Berlin alles auf, was sich gegen die Anti-Corona-Regelungen der Bundesregierung mobilisieren lässt: Hippies, Normalos, Rechte, Linke, Spinner, die Siegessäule mit dabei. Großer Trubel und – wieder mal – riesige Aufregung. Eh klar, alles böse. Dabei schafft das Happening ungewöhnliche Szenen: Rechte mit Preußenfahne und Reichsfarben, Linke mit „Pace“ und Regenbogen. Unsichere Blicke. Aber geht doch, das mit der friedlichen Koexistenz!

7


AKTUELL

Das Ibiza-Protokoll Foto: shutterstock /278430986

Sieht man von umfangreichen Schwärzungen ab, weiß man jetzt, was in Ibiza gesprochen wurde. Migration kennt keine Grenzen. Die globalisierte Wirtschaft auch nicht. Doch das muss nicht so sein. Grenzen bieten vor allem: Sicherheit.

ET T E Buchreihe „FREILICH Politikon“ FREILICH bietet mehr Stoff für die alltägliche politische Auseinandersetzung. Mit der neuen Buchreihe „Politikon“ werden aktuelle Themen zur Diskussion gestellt. Band 1 ist ein „Lob der Grenze“. „Corona“ hat aufgezeigt, wie zerbrechlich eine globalisierte Welt ist, wie bedroht auch die lokale Wirtschaft ist durch die Folgen von Maßnahmen, die auf der anderen Seite der Welt passieren. FREILICH-Verags e e He o e o o 1, ass Grenzen setzen. Die Welt im Auge, sollen wir regional und national handeln und auf das Wohl derer achten, die uns die Nächsten sind. Denn nur, wenn unsere Welt in Ordnung ist, können wir anderen helfen.

Das FREILICH-Magazin dokumentiert in seiner aktuellen Politischen Studie das von den Behörden erfasste Protokoll des IbizaVideos und stellt es gratis als Download zur Verfügung. e a s se e e e e au u g es deos. Stattdessen werden wöchentlich und monatlich Zipfelchen des Inhaltes mit unterschiedlichsten Interessen publiziert. Sie stammen zurzeit aus einer Abschrift der Behörde, die dem Akt b a be eg e e ass e au , ass s Fa s es a eÖ e e ge a g : o 1 a s se e s 1 o e ges , 20 e e se u 21 Das b a D e bu e e uss: D e uss au e s

so usage , as s ge a e e aus e e , e o e , e eg sseu e, a es

Das Protokoll gibt es hier gratis zum Nachlesen im Download: freilich-magazin.at/studien

Das Cover der FREILICH Politischen Studie. Auch mit Schwärzungen ist das Protokoll ein Zeitdokument ersten Ranges.

Das aktuelle „FREILICH Politikon“ 1 bestellen: freilich-magazin.at/shop

Dipl.-Ing. Piet¼ & Ing.Dr. Weindorfer Prüfge\ell¼a× m.b.H. Ingenieurbüro für Maschinenbau www.dieaufzugspruefer.at

Hebeanlagen

Behördenverfahren

<––

Aufzugswärterschulungen Wiederkehrende Prüfungen Vor- und Abnahmeprüfungen

ÖSTERREICHWEIT. SICHERHEIT. EINFACH. KOMPETENT. ZUVERLÄSSIG.

Prüfungen

––>

Qualitätsmanagement EN ISO 9001 Akkreditierte Stelle für Aufzüge

Arbeitsmittel

Pressen und Stanzen

Tore, Türen, Schranken Krane, Seil- und Kettenzüge Hebebühnen, Ladebordwände

Inspektionen zur CE- Kennzeichnung

Sportplätze, Turngeräte, Schultafeln

Inspektion von Brandfallsteuerungen

Betriebsanlagenprüfung §82b GewO

4910 Ried, Brauhausg. 4, www.dieaufzugspruefer.at , info@dieaufzugspruefer.at

8

RE


AKTUELL

Sie brauchen gute Bücher? Der FREILICH-Buchladen liefert alles, was der Markt hergibt, schnell und zuverlässig.

ER BRISANT : T L A H IN

ig Vorsicht öffnen!

NEU freilich-medien.buchkatalog.at

FREILICH gibt’s Bücher! er US-amerikanische Onlinehändler Amazon verzeichnete während der Corona-Krise ein enormes Wachstum. Das Unternehmen meldete für das 2. Quartal 2020 ein Umsatzplus von 40 % und den höchsten Gewinn der Unternehmensgeschichte. Laut der aktuellen ForbesListe ist Amazon-Gründer Jeff Bezos auch im Jahr 2020 der reichste Mensch der Welt. Sein Vermögen hat er während der aktuellen Krise deutlich steigern können, Bezos besitzt aktuell rund 194 Milliarden US-Dollar. Bieten autonome Händler ihre Waren auf dem digitalen Marktplatz von Amazon an, besteht das Risiko, dass Amazon gut verkaufte Produkte kopiert und selbst anbietet, so einer der vielen Vorwürfe gegenüber dem Internetriesen. Der Konzern dränge so bewusst erfolgreiche Händler aus dem Geschäft. Auch für die Konsumenten seien die Nachteile enorm, wie Datenschützer immer wieder betonen. Die massive Datensammlung ist den meisten Konsumenten nicht bewusst. N ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

Steuerzahlungen soll der Konzernriese gezielt vermeiden, die Arbeitsbedingungen von Amazon geraten ebenso immer wieder in Kritik. Das alles „kauft“ man mit jeder Bestellung bei Amazon mit. Auch wir von FREILICH lesen gerne und wissen eine rasche Lieferung und ein breites Büchersortiment zu schätzen. Gleichzeitig wollen wir dem erwähnten Internetriesen aber nicht noch mehr Geld in den Rachen werfen. Deshalb haben wir den FREILICHBuchladen ins Leben gerufen. In einer vergleichbaren Liefergeschwindigkeit und zum gleichen Buchpreis bieten wir ab sofort alle politischen, historischen und sonstigen Bücher von allen bekannten Verlagen aus einer Hand an. Hier können Sie sich sicher sein: Jeder Cent, den Sie „investieren“, fließt 1:1 wieder zurück in patriotische Strukturen. Bestellen Sie direkt im FREILICHBuchladen und investieren Sie damit in unseren Verlag und in die Zukunft!

Vergiss Amazon! Der FREILICHBuchladen liefert jedes Buch zum gleichen Preis. Lokal kaufen – das stärkt die heimische Wirtschaft. FREILICH-Buchladen: freilich-medien.buchkatalog.at

9


Foto: gettyimages / Thomas Samson

INTERVIEW

10

Alain de Benoist wirkt als Philosoph und Autor weit Ăźber Frankreich hinaus.

FR E I L I CH


INTERVIEW

„Die Krisen laufen zusammen“ Es gibt keine Revolution mehr, nur mehr Implosionen. FREILICH hat mit dem Philosophen Alain de Benoist über Rechtspopulismus und das Volk als Souverän gesprochen. KO O R D I N AT I O N & Ü B E R S E T Z U N G : KO N R A D M A R K WA R D W E I S S

Freilich: Monsieur de Benoist, wer ist der Souverän? Wer herrscht? Demos oder Populus? Und warum hat die Demokratie anscheinend ein so großes Problem mit dem Populismus?

Alain de Benoist: Weder Demos noch Populus (und noch weniger Ethnos). Die Macht ist heute in den Händen einer neuen oligarchischen Klasse, die ihre eigene Ideologie besitzt – jede dominierende Ideologie dient den Interessen der dominierenden Klasse. Der Graben, der diese neue Klasse vom Volk trennt, das heißt: von der Masse der Bürger, wird seit Jahrzehnten immer tiefer. Sie führt nicht im klassischen Sinne des Wortes, sie administriert, sie verwaltet. „Government“ wurde durch „Governance“ ersetzt. In einer Gesellschaft, wo die Verdinglichung der sozialen Beziehungen sich ebenfalls beschleunigt, geht sie mit den Bürgern um, als wären sie austauschbar, und verwandelt diese so in Objekte. Es ist der alte Traum von Saint-Simon: Das Regieren der MenN ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

schen durch das Administrieren der Dinge zu ersetzen. Die Demokratie als solche hat kein Problem mit dem Populismus. Es ist die liberale Demokratie, die eines damit hat, weil der Populismus die Widersprüche zwischen Liberalismus und Demokratie sichtbar macht. Ist Populismus ein rechtes oder ein linkes Konzept? Oder ist er eine Methode, die von allen politischen Strömungen anwendbar ist?

Der Populismus ist weder links noch rechts. Er kann das eine ebenso gut sein wie das andere, aus dem einfachen Grund, dass es keine populistische Ideologie gibt. Was es gibt, ist ein populistischer Stil, eine bestimmte Art, das politische Leben von unter her zu begreifen, indem man dem Volk die Möglichkeit gibt, selbst zu handeln, um jene Probleme, die es betreffen, selbst zu regeln. Etablierte Kräfte in Demokratien scheinen sich vor politischer

11


Foto: insidefoto srl / Alamy Stock Foto

Foto: ZUMA Press, Inc. / Alamy Stock Foto

INTERVIEW

Populisten in Europa reichen sich die Hand: Matteo Salvini (Lega) und Marine Le Pen (RN).

Dynamik zu fürchten. Warum ist Populismus wichtig? Was hat er mit dem Volk zu tun?

Die grundlegende Idee, welche die Basis des gegenwärtigen Aufstiegs des Populismus darstellt, ist, dass in einer Demokratie die Souveränität dem Volk gehört. Das ist zugleich die Minimaldefinition der Demokratie. Der Liberalismus verteidigt die Souveränität des Volkes nicht, weil er keine Form von Souveränität anerkennt, die über die individuelle Souveränität hinausgeht. Im Zentrum des liberalen Systems steht nicht der Bürger, sondern das Individuum. Indem er sich auf die Metaphysik der Menschenrechte stützt, erkennt er die Gültigkeit keiner demokratischen Entscheidung an, die den liberalen Prinzipien oder der Ideologie der Menschenrechte abträglich sein könnte. Er gesteht daher nicht zu, dass der Wille des Volkes immer respektiert zu werden hat. Genau dagegen stellt sich der Populismus. Wenn wir die Entwicklung in Europa anschauen: Wie bilanzieren Sie die verschiedenen rechtspopulistischen Bewegungen? Frankreich – Italien – Deutschland – Österreich.

Jede politische Bewegung hat die Prägung ihrer nationalen politischen Tradition. Das gilt ebenso für den Populismus. In Frankreich zum Beispiel ist der Populismus des Front National sehr stark geprägt vom Erbe des

12

Populismus von rechts erregt linke Populisten: Falsche Analogien machen nichts besser.

„republikanischen“ und jakobinischen Denkens. In Italien ist es umgekehrt. Auf ökonomischem Gebiet sind die Unterschiede häufig ganz erheblich. Die deutschen und österreichischen Populisten haben sichtlich Mühe, mit dem Glauben an die Allmacht der Märkte zu brechen. Die Gemeinsamkeit ist die Kritik an der herrschenden Oligarchie. Der politische Gegner von links beginnt den Begriff des „Populismus“ ähnlich zu verwenden wie den Begriff des „Faschismus“. Was unterscheidet Rechtspopulismus von klassischem Faschismus?

Der Faschismus war eine zutiefst antidemokratische Bewegung, die den Pluralismus ablehnte und für eine Einheitspartei kämpfte. Der Populismus wünscht ganz im Gegenteil eine Ausweitung der Demokratie, zielt auf eine Vervollständigung der repräsentativen Demokratie – die heute überhaupt nichts mehr repräsentiert – durch eine partizipative Demokratie auf allen Ebenen. Gehören politische Parteien des Rechtspopulismus noch zur Rechten? Oder macht sie etwas anderes aus?

Die Unterscheidung in Links und Rechts hat immer Schwierigkeiten bereitet, weil es „die“ Rechte ebenso wie „die“ Linke nie gegeben hat. Es gab

immer verschiedene Rechte und Linke, die im Allgemeinen für vollkommen gegensätzliche Anschauungen eingetreten sind. Diese Unterscheidung ist heute obsolet geworden. Die großen Brüche, die sich durch die Gesellschaft insgesamt ziehen, ziehen sich in der selben Weise auch durch die Rechte und die Linke: Liberale gegen Antiliberale, Globalisten gegen Verwurzelte, Kosmopoliten gegen Identitäre, Anywheres gegen Somewheres etc. Man kann den Populismus unmöglich begreifen, wenn man nicht versteht, dass die horizontale Unterscheidung zwischen Rechts und Links, die in der Vergangenheit von großen „Regierungs“-Parteien vermittelt worden ist – die heute eine nach der anderen zusammenbrechen – durch eine vertikale Unterscheidung zwischen einem Unten und einem Oben ersetzt worden ist, zwischen dem Volk und der neuen herrschenden Klasse. Haben die Rechtspopulisten Freunde? Wie ist das Verhältnis zu den Konservativen?

Es fällt mir schwer, auf diese Frage zu antworten, weil das Wort „konservativ“ in Frankreich nicht viel aussagt. Es wird im Allgemeinen als Synonym für „reaktionär“ gesehen. In Deutschland und den angelsächsischen Ländern verhält es sich damit anders: Von Burke bis Roger Scruton hat der Konservatismus seinen anerkannten Platz. In den 1920er-Jahren FR E I L I CH


hatte die Konservative Revolution in Deutschland eben auch Bestandteile, die revolutionär waren. Zumindest ein Teil der Konservativen kann sich heute mit dem Populismus anfreunden. Aber man muss auch die soziologischen Gegebenheiten berücksichtigen. Der Populismus repräsentiert hauptsächlich die Klassen an der Basis der sozialen Pyramide, während der „Konservatismus“ häufiger in der Mittelklasse anzutreffen ist. Wir erleben heute die Wiederauferstehung des Begriffes der sozialen Klasse, den man etwas zu rasch beerdigt hatte. Wir werden Zeugen der Deklassierung bzw. des Verschwindens eines immer größeren Teils der Mittelklasse, der sich in den Zeiten des Fordismus gebildet hatte. In diesem Kontext tendieren die Bestrebungen der Arbeiterklassen und der mittleren Klassen dazu, einander zu begegnen. Die einen wie die anderen könnten letztendlich einen neuen „historischen Block“ hervorbringen, dessen Rolle sich als entscheidend herausstellen könnte. Große politische Frage mit strategischer Auswirkung: Reform des politischen Establishments oder Revolution? Teil des Systems oder seine Alternative?

Das Wort „Revolution“ gehört zum Vokabular der Moderne. Wir leben in Zeiten der Postmoderne. Revolution lässt an Gewalt denken. Sie macht N ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

glauben, dass eine radikale Änderung in der politischen und sozialen Ordnung nur auf explosive Weise vor sich gehen kann. In der postmodernen Epoche erleben wir jedoch weniger Explosionen, sondern Implosionen. In Russland hat es eine Revolution gebraucht, um das kommunistische System zu etablieren, aber eine Implosion hat genügt, diesem ein Ende zu setzen. Ebenso zersetzt sich die Gesellschaft auf eine „stille“ Art und Weise. Die jeweilige Bevölkerung transformiert sich ohne große Gewaltausbrüche durch die Auswirkungen veränderter Moralvorstellungen und Sitten sowie einer fortschreitenden unkontrollierten Einwanderung. Das vorausgesetzt, glaube ich nicht eine Sekunde lang daran, dass im gegenwärtigen Stadium Reformen die Situation zum Besseren wandeln können. Das gegenwärtige System erfordert eine globale Alternative. Sie führt über die endgültige Aufgabe der dominierenden großen Ideologien: Fortschrittsideologie, Ideologie der Menschenrechte, Ideologie der Ware, Primat der Wirtschaft über die Politik, des Individuums über die Gemeinschaft etc. Das impliziert als ersten Schritt eine Entkolonialisierung des Geistes: eine „Revolution“ der symbolischen Vorstellungswelt. Den Rest wird die Konjunktur besorgen. Wir bewegen uns auf ein Zusammenlaufen der Krisen zu (wirtschaftlich und sozial, politisch, finanziell, ökologisch, geistig,

INTERVIEW

„Ich glaube nicht eine Sekunde lang daran, dass im gegenwärtigen Stadium Reformen die Situation zum Besseren wandeln können.“

REVOLUTION

Alain de Benoist setzte sich intensiv mit der Hegemonietheorie Gramscis auseinander. Die Folge war die vorliegende „Kulturrevolution von rechts“. In dieser Schlüsselschrift ist nicht nur eine erste neurechte Gramsci-Exegese enthalten, sondern im Kern all das, was die Denkbewegungen Alain de Benoists bis heute ausmacht: metapolitische Überlegungen, Lagergrenzen überwindendes Suchen nach neuen Wegen, die Nutzbarmachung ganz unterschiedlicher Denker, Politiker und Ideenhistoriker. Alain de Benoist: Kulturrevolution von rechts Jungeuropa Verlag, Dresden 2017. ISBN 978-3-9817828-4-4 A € 16,50 / D € 16,00

13


Foto: gettyimages / Thomas Samson

INTERVIEW

„Das Establishment soll und kann nicht reformiert werden. Es muss verschwinden.“

Die Große Wanderung von 2015 ist nur von einer Minderheit willkommen geheißen worden. Die Masse der Menschen hat das Erlebnis entsetzt.

in Bezug auf das gesamte Gesundheitssystem etc.), das uns dazu zwingen wird, eine Alternative hervorzubringen, um nicht im Chaos zu versinken.

man sich übermäßig auf die „Aktualität“ fixiert, ist man nicht mehr in der Lage, den historischen Moment wahrzunehmen, den man gerade erlebt.

Was kann europäische rechtspopulistische Parteien einigen, was trennt sie? Wie proeuropäisch sollten sie sein?

Welche Rolle spielen politische Ideen für moderne rechtspopulistische Parteien? Sie wirken eigentlich nicht sehr interessiert daran … Gilt das für alle? Ist das in Frankreich anders als in Österreich?

Was sie einigt, ich habe das bereits ausgeführt, ist ihre Gegnerschaft zu den dominierenden Oligarchien und ihr Wille, dem Volk wieder eine Stimme zu geben. Was Europa betrifft, so ist das Wichtigste zunächst einmal, Europa nicht mit der EU zu verwechseln. Europa ist eine Zivilisation, die ihre Identität aus ihrer Geschichte und ihrer Kultur zieht. Es ist auch eine kontinentale (und nicht eine maritime) Kultur. Sie hat ihre Einheit und ihre Vielfalt. Die EU wollte aus Europa einen Markt machen. Was ihr noch fehlt, ist, eine Macht zu werden – eine autonome Macht in der neuen multipolaren Welt, die sich heute ankündigt. Wer sind für Sie die prägenden politischen Köpfe dieser Strömung?

Ich interessiere mich nicht für einzelne politische Köpfe. Sie mögen ihre Vorzüge und Schwächen haben, aber es liegt nicht an mir, darüber zu urteilen. Worauf es ankommt, sind die großen sozialen Bewegungen, die Entwicklung der Gesellschaft in ihrer Gesamtheit. Wenn

14

Die Postmoderne wird besonders vom Zusammenbruch der grundlegenden „großen Erzählungen“ (des Historizismus des 19. und 20. Jahrhunderts) charakterisiert, und von einem generellen Verschwinden der Orientierungspunkte. Dazu kommt ein genereller Kulturverlust, den jeder selbst wahrnehmen kann. Politische Parteien interessieren sich im Übrigen selten für grundlegende Ideen, weil grundlegende Ideen trennen, während sie vor allem einsammeln wollen. Das Problem ist, dass sie heutzutage nur mehr recht wenige versammeln, was nicht weiter überrascht, denn das Modell Partei selbst ist ebenfalls überholt. Das ändert nichts daran, dass den Ideen weiter fundamentale Bedeutung zukommt. Ohne Ideen, ohne eine sich ineinander fügende Weltsicht, ist politisches Handeln wie ein Schiff ohne Kompass und ohne Steuerruder. Eine Praxis ohne Theorie ist ebenso wirkungslos wie eine Theorie ohne Praxis. In diesem Sinne

haben Intellektuelle noch eine Rolle zu spielen – zunächst einmal die Rolle von Pädagogen: die tieferen Ursachen der gegenwärtigen Situation erklären, die Genealogie der Krise abbilden, den historischen Moment einschätzen, die Natur des aktuellen historischen Themas bestimmen etc. Nach 1989 mit dem Höhepunkt 2015 wirkt es, als ob es in den europäischen Gesellschaften einen deutlichen Zug nach rechts gegeben hätte. Ist diese Tendenz gebrochen? Oder warum stagniert der Rechtspopulismus?

Der Begriff „Rechtsdrall“ ist nicht leicht erfassbar. Was kann das Wort „die Rechte“ im Zeitalter der künstlichen Intelligenz und der vorprogrammierten Verschmelzung der Maschine mit dem Lebendigen schon bedeuten? Die Linke, die sich in Frankreich schon vor 30 Jahren der Gesellschaft des Marktes angeschlossen hat, hat uns heute sichtlich nichts mehr zu sagen. Viele „Rechte“ schließen daraus, dass sie die Schlacht gewonnen haben. Aber die Schlacht hat nie stattgefunden, und auch sie selbst haben nicht allzu viel zu sagen. Tatsache ist, dass die Leute kaum mehr an den Fortschritt glauben (sie haben Angst vor der Zukunft) und dass die große Mehrheit der Bevölkerung die durch die Einwanderung entstandenen sozialen Verwerfungen ablehnt. Ebenfalls interessant ist, FR E I L I CH


Foto: Design Pics Inc / Alamy Stock Foto

Foto: Aflo Co. Ltd. / Alamy Stock Foto

INTERVIEW

Teil des großen Wandels ist auch, dass das Christentum dabei ist, eine Religion der Dritten Welt zu werden – und der Islam eine Europas.

Robotik ist ein Problem von morgen, das neue Begriffe erfordert.

heute das Thema „illiberale Demokratie“ aufkommen zu sehen. Aber all das genügt nicht, um von einem „Rechtsdrall“ sprechen zu können. Auf dem Gebiet der Moralvorstellungen und Sitten hat sich die Gesellschaft während der letzten Jahre eher nach links entwickelt. Das Christentum für seinen Teil ist gerade im Begriff, eine Religion der Dritten Welt zu werden. Der Individualismus bleibt dominant, die Herrschaft der politischen Korrektheit und des Einheitsdenkens ist stärker denn je, während zugleich durch den liberal-libertären Transhumanismus die anthropologischen Grundlagen unserer Gesellschaft bedroht sind. Die zu bewältigende Aufgabe bleibt gewaltig und reicht natürlich weit über die Möglichkeiten des Populismus hinaus. Ich habe eine Buch mit dem Titel „Le moment populiste“ veröffentlicht. Kein Moment dauert ewig. In meinen Augen ist der Populismus ein Übergangsphänomen. Er protokolliert das Ende einer bestimmten Welt, aber er schafft keine neue. Er beschleunigt bloß die Neuverteilung der Karten, was schon eine Menge ist. Nach der massiven Krise von 2015 – der Großen Wanderung – wirkt es, als ob das Establishment sich ganz massiv verschließt gegenüber rechten politischen Bewegungen und Ideen und sie sogar massiv bekämpft. SolN ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

len wir Teil der Diskussion sein oder eine Gegenströmung?

In den Ländern Europas sind die alten Parteien in der Defensive. Sie neigen dazu, sich zusammenzuschließen, um dem Aufstieg des Populismus und allgemeiner dem Volkszorn zu begegnen. In Frankreich hat Emmanuel Macron Links- und Rechtsliberale versammelt, genau in dem Augenblick, wo der Front National zur stärksten Arbeiterpartei Frankreichs wurde. Man könnte sagen, dass es Macron gelungen ist, als Antwort auf den Populismus von unten einen Gegenpopulismus von oben zu erfinden. Dieses Phänomen bestätigt, dass die Rechts-links-Unterscheidung obsolet ist. Diese Entwicklung muss man beschleunigen und nicht verzögern, indem man an sinnlosen Diskussionen teilnimmt. Das Establishment soll und kann nicht reformiert werden. Es muss verschwinden. Die „Neue Rechte“ hat immer die Metapolitik gefordert, den kulturellen Wandel. Sehen Sie den irgendwo? Was hat sich in der Rechten verändert, seit Sie als Intellektueller aktiv geworden sind?

Ich glaube mehr denn je an die Notwendigkeit der Metapolitik, die nicht bloß eine andere Art ist, Politik zu machen, die aber politisches Handeln auch nicht grundsätzlich ablehnt.

Die Metapolitik ist ein Unterfangen des theoretischen Defi nierens. Sie zielt darauf ab, ideologisch strukturierte Männer und Frauen herauszubilden, indem sie eine alternative Betrachtungsweise der Welt anbietet. Ihre Arbeit vollzieht sich im Wesentlichen im Bereich der Kultur, im weiteren Sinne dieses Begriffes. Im Laufe der Geschichte waren die fundamentalen Veränderungen kultureller Natur. Die Französische Revolution wäre ohne die Arbeit der Enzyklopädisten nicht möglich gewesen. Die totalitären Regime des 20. Jahrhunderts sind nur mehr eine Erinnerung, aber wir verspüren noch immer die Nachwirkungen der kartesianischen und kantschen Revolution etc. In Deutschland liest man seit jüngst gern Dominique Venner und freut sich über positive Kritik. Ist das überhaupt noch aktuell?

Die von Dominique Venner vorgeschlagene „positive Kritik“ geht zurück auf die Jahre seiner „aktivistischen“ Jugend und ist in einen präzisen Zusammenhang eingepasst – jenen der Entkolonialisierung und des Endes des französischen Algeriens –, der heute vollkommen verschwunden ist. Dominique Venner schätzte es im Übrigen nicht sonderlich, dass er ständig auf diesen Text angesprochen wurde! Er hatte sehr früh mit der politischen

15


INTERVIEW

„Das Zusammenlaufen der Krisen lässt neue Kriege vorhersehen, eine allgemeine soziale Revolte, Erdbeben im Finanzsystem.“

Aktion gebrochen. Während des überwiegenden Teils seines Lebens sah er sich (und war er) ein Geschichtsdenker auf hohem Niveau. Sie haben selbst als Aktivist angefangen. Wie kam es dazu?

AUF DEM FELDWEG

Der französische Intellektuelle Alain de Benoist gibt in diesem Gesprächsband erstmals einen ausführlichen Einblick in seinen persönlichen Werdegang und seine geistige Entwicklung. Er erläutert, warum er stets Distanz zur (partei-)politischen Aktion gehalten hat, und gibt Auskunft über sein Leben als unermüdlicher Leser und ungemein produktiver Autor. Es entsteht das Porträt eines Menschen, der völlig ohne Scheuklappen durchs Leben geht und dem kritischen Denken stets treu geblieben ist. Alain de Benoist: Mein Leben. Wege eines Denkens Edition JF, Berlin 2014. ISBN 978-3-929886-46-7 A € 15,40 / D € 14,95

Ich war noch keine siebzehn Jahre alt, und wir lebten bereits in einer gewaltsamen Epoche. Einige Jahre später habe ich begriffen – um jene Unterscheidung zu übernehmen, die Raymond Abellio getroffen hat –, dass ich nicht ein Mann der Macht, sondern ein Mann des Wissens bin. Zum damaligen Zeitpunkt habe ich jede Ambition aufgegeben, ein Akteur des politischen Lebens zu sein. Ich habe mich der intellektuellen Forschung und der theoretischen Ausarbeitung zugewandt. Die Bilanz sind heute 115 Bücher, 8.000 Artikel und 800 Gespräche wie dieses. Das erfüllt mich mit keinem besonderen Stolz, aber das ist nun einmal alles, was ich kann! Würden Sie junge Menschen zum Aktivismus ermutigen? Warum? Und was sollen sie heute tun?

„Was sollen sie heute tun?“ : Das ist die alte Frage von Lenin! Wenn es eine fertige Antwort darauf geben würde, wäre sie seit Langem bekannt. Aktivismus kann seinen Nutzen haben, vor allem in Notfallsituationen, aber er hat auch seine Grenzen, die schon seit Langem ausgeleuchtet sind.

Intellektuelle, Aktivisten, Funktionäre – welcher Typ Mensch ist für die Rechte am wichtigsten? Was fehlt am meisten?

Das ist eine absurde Frage. Für die Rechte wie für die Linke gibt es keine Art des Handelns oder einen Typus Mensch, die anderen vorzuziehen wären. Alle ergänzen einander. Im Übrigen

16

wählt man seine Rolle nie abstrakt, sondern nach Maßgabe seiner Kompetenzen und Neigungen. Dasselbe gilt für die globale Gesellschaft: Man braucht dort Gemischtwarenhändler und Informatiker, Automechaniker und Beamte. Während des vom Coronavirus erzwungenen Lockdowns hat man im Übrigen gesehen, dass es die am wenigsten wertgeschätzten Berufe sind, die am schlechtesten bezahlten, die der Gesellschaft ermöglicht haben, weiterhin zu funktionieren. Eine ausschließlich aus Aktivisten bestehende Gesellschaft wäre unerträglich. Eine ausschließlich aus Intellektuellen bestehende Gesellschaft ebenfalls. Wir gehen auf sehr veränderte Probleme zu – Stichworte: Eurabia, Klimawandel, China als globale Macht. Was sind für Sie die wesentlichsten politischen und kulturellen Herausforderungen der Zukunft?

Wir sind in eine noch nie dagewesene Periode der Menschheitsgeschichte eingetreten. In einem solchen Zusammenhang ist es schwer, zu sagen, was „das Wichtigste“ ist. Im globalen Maßstab ist ein essenzielles Phänomen die sich ankündigende Neuordnung der Geopolitik, mit dem Erstarken von Staaten, die eigene Zivilisationen sind (Russland, China, Ägypten), zum Nachteil der alten Nationalstaaten. Es geht einher mit der Krise des westlichen Universalismus, der den Anspruch erhob, dasselbe politische, wirtschaftliche und soziale Modell von einem Ende des Planeten bis zum anderen herrschen zu lassen. Es ist nicht allzu schwer, hinter diesen „Zivilisationsstaaten“ den Schatten der alten Reiche wieder erscheinen zu sehen. Im Maßstab der europäischen Gesellschaften ist die Situation eine FR E I L I CH


Foto: Archiv

INTERVIEW

Zur Person

Der Meisterdenker andere. Die großen Fragen, die sich stellen, sind folgende: Wird man der Obsession vom wirtschaftlichen Wachstum entkommen? Wird es uns wieder gelingen, ein wirkliches Gefühl für unsere Erde zu entwickeln? Werden wir aufhören, nur dem einen Wert beizumessen, was berechenbar, quantifizierbar und benutzbar ist? Wird es den Völkern gelingen, ihre Identität wieder zu behaupten, auf eine neue Weise? Wenn wir nicht in der Lage sind, selbst eine Antwort auf diese und manch andere Fragen zu finden, ist die Gefahr groß, dass unsere Kultur ebenso plötzlich zusammenbricht wie die Sowjetunion. Das Zusammenlaufen der Krisen lässt neue Kriege vorhersehen, eine allgemeine soziale Revolte, Erdbeben im Finanzsystem. Nietzsche sagte, dass Europa sich nur am Rande des Grabes herausbilden wird. Das ist auch meine Ansicht. Die politische Tradition der Rechten ist vergiftet mit mancher Grausamkeit: Holocaust, Antisemitismus, Verschwörungstheorien … Wo sollen wir mit einer positiven politischen Tradition ansetzen?

Joseph de Maistre hat die Menschheitsgeschichte mit einem „Fleischerladen“ verglichen. Es hat immer Massaker gegeben, aber ich sehe nicht, inwiefern diese eine politische Familie mehr als eine andere betreffen sollten. In den Konzentrationslagern der Nazis waren auch Männer „der Rechten“. Es mangelt auch nicht an linken Antisemiten und „Verschwörungstheoretikern“. Sich dem Spielchen der Opferkonkurrenz hinzugeben, führt zu nichts. Ein „Kult der Buße“ auch nicht.

Der Franzose Alain de Benoist ragt als politischer Intellektueller weit aus der Gegenwart hervor und hat europaweit eine breite Strömung geprägt.

„Rechts“ ist ein Wort, das ihm nicht so ganz behagt. Eine Schablone, die man ihm au

be s

, ge

au

e

a

ee

e

A e

e

e

u

og

e

e

e

o e

„-radikal“ versehen. „Ich nenne hier – aus reiner Konvention – die Haltung rechts, e

a

bes e ,

e

e ges a g e

e ea

e

-

gleichheiten, die ihr notwendiges Ergebnis sind, als ein Gut und die fortschreitende Vereinheitlichung der Welt, die durch den Diskurs der egalitären Ideo-

logie der seit zweitausend Jahren gepredigt und verwirklicht wird, als ein Übel

anzusehen.“ Andererseits ist de Benoist der herausragende Rechtsintellektuelle par excellence. Vielleicht, weil er eben nicht nur eine Person ist, sondern weil sich um

ihn eine Strömung mit Medien gebildet hat, die weiterträgt, was der Meister denkt. Aa a

e e os

e o bo

a

21 De e be 1

e: e assu gs e

,

3

oso

ou s gebo e

e

e, o o og e,

o a,

u u es

eu

Religion beschäftigten ihn. Politisch wird er Aktivist, engagiert sich in der „Fédération

des Étudiants Nationalistes“ (FEN), arbeitet später an Dominique Venners „Europe A

Na

o

e

e

e

e , e Ds u s 1

abe , ass se e

e s e e as

e e ea a

ee s :

ou e e

e

oso

e e

e

e, as ee

des Etudes pour la Civilisation Européenne“ (GRECE) und die Zeitschriften „Éléments“ u

Nou e e

o e ,1

agu ge u

o

ss as

e u

e s

aga

e sa

e

e

e e be ee o e es

o

s

e Ds u s

eu, as s

as e

s

und intellektuell sieht. Auf die zunehmende Verbreitung der GRECE-Leute in den

Medien reagiert das französische Establishment allerdings allergisch. Zwei weitere He aus o

e u ge s e e s

e

esu

Aa

e e os :Dee e s

e E og

des Front National. De Benoist favorisiert die Metapolitik, die Auseinandersetzung der ee u

e

u u De

u g a e Das

ge u

e e

e

ob e

s e e

beb

ese

g

u so e :

e

a

e

s

A e ass e

e

Meisterdenker der Nouvelle Droite nach? Über die Jahrzehnte bis heute erweist sich e e os as

De

e

oso

ua

s

e e

e

es a ,

e u , abe 11

ee s :

e,

e se g, e u 000 A

e u

as a 00

e

a ge

e s

weisen ihn als disziplinierten Arbeiter und fruchtbaren Denker aus, der gleichzeitig enzyklopädische Interessen hat.

Dabei ist Alain de Benoist im besten Sinne des Wortes ein Aufklärer. Einer, der die Mythen der Moderne durchbricht und sich nicht von irgendeiner politischen

Nützlichkeit leiten lässt. Dazu gehören auch die Mythen der Rechten. Die legendäre o ese

u g

s

oo

a

be

: De a e e

e s

o

se a

es wohl verdient.“ Dass sie an ihrer Dummheit gestorben ist, wird hier nicht erwähnt. Gleichzeitig war Alain de Benoist klar, dass gesellschaftliche Veränderung immer e

a

as a

as

u u

ge u

a , ass u

e

a

e se ,

as u

e e

as u e s e e , e

e u

e

o ge

es e

a

,

Freundeskreis Alain de Benoist: alaindebenoist.com

Lieber Herr de Benoist, ich danke Ihnen für das Gespräch.

N ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

17


R E P O R TAG E

Wann wird es endlich wieder Sommer? Urlaubsfotos aus dem letzten Saisonen erinnern an eine bessere Zeit.

18

RE


R E P O R TAG E

Der kurze Sommer des Rechtspopulismus Ein Gespenst geht um in Europa. „Rechtspopulismus“ sagen seine Gegner, die seit 2015 mit allen Mitteln am Containment arbeiten.

Foto: shutterstock / 284165357

VON AUTORENKOLLEKTIV

N ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

19


R E P O R TAG E

A Duden:

PO|PU|LIS|MUS 1. von Opportunismus geprägte, volksnahe, oft demagogische Politik, die das Ziel hat, durch Dramatisierung der politischen Lage die Gunst der Massen (im Hinblick auf Wahlen) zu gewinnen 2. literarische Richtung des 20. Jahrhunderts, die bestrebt ist, das Leben des einfachen Volkes in natürlichem realistischem Stil ohne idealisierende Verzerrungen für das einfache Volk zu schildern

uch die AfD hat es erwischt: Noch im Dezember 2019 lag die Alternative für Deutschland (AfD) im Umfragen deutschlandweit bei 15 Prozent. Seit dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie sank der Zuspruch und liegt jetzt bei rund zehn Prozent. Hieß es noch vor wenigen Wochen, die „politischen Ränder“ erfreuten sich zunehmender Beliebtheit, macht sich gegenwärtig ein gegenteiliger Trend bemerkbar: Linke und AfD verlieren, die Union profitiert und liegt in Umfragen auf dem Niveau von 2017. Und das alles ein Jahr vor der Bundestagswahl. Noch vor einem Jahr prognostizierten Beobachter angesichts der Europawahl 2019 einen europaweiten Rechtsruck. Doch dieser blieb aus. Obwohl Rechtspopulisten in vielen, mehrheitlich osteuropäischen Staaten auch weiterhin eine gewichtige Rolle spielen und – wie etwa kürzlich in der Slowakei – auch Wahlen gewinnen, stagnieren die Umfrage- und Wahlergebnisse insgesamt. Insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland tut sich die AfD schwer. Die Gründe dafür sind mannigfaltig. Dass deutsche Medien und Politik allzu gerne Parallelen zwischen der totalitären Ideologie des Nationalsozialismus und dem regierungskritischen Rechtspopulismus der AfD konstruieren, ist zwar unlauter und historisch unkorrekt, aber nichtsdestotrotz ausreichend, um die linke Front gegen konservative Positionen stabil zu halten. Es hat ein Strategiewechsel stattgefunden. Bis vor Kurzem bemühten sich Union und FDP darum, Wähler der AfD „zurückzugewinnen“, indem sie Zugeständnisse an konservative (Ex-)Wähler machten. Mittlerweile setzt man, ähnlich wie in Schweden, auf konsequente Ausgrenzung bei gleichzeitiger Diffamierung rechtskonservativer Positionen in allen Lebensbereichen. Das zeigt zweierlei: Zunächst einmal wird das Vakuum rechts der Mitte auch künftig nicht von Union oder FDP gefüllt, zum anderen muss die AfD ebenfalls einen Strategiewechsel vollziehen, wenn sie nicht in der Bedeutungslosigkeit versinken will.

Problemfall AfD 2015 prognostizierte der niederländische Politikwissenschaftler Cas Mudde im Gespräch mit Zeit Online,

20

die AfD werde „zweifellos implodieren und als relevante politische Kraft verschwinden“. Was zu diesem Zeitpunkt völlig unvorstellbar schien, ist mittlerweile längst nicht mehr ausgeschlossen. Es ist nicht nur die Corona-Krise, die der Partei zu schaffen macht. Der Grund für die gegenwärtige Krise sind vor allem hausgemachte Probleme und die neue aggressive Strategie der etablierten Öffentlichkeit. Die Zeiten, in denen die AfD ihre Gegner vor sich hertreiben konnte, sind (vorerst) vorbei. 2017 meinte der AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland, man werde „Frau Merkel oder wen auch immer jagen“ und sich „unser Land und unser Volk“ zurückholen. Fast drei Jahre später wird die AfD gejagt – von den Medien, dem politischen Gegner und von staatlichen Behörden. Mit einem Trommelfeuer aus medialer Skandalisierung, politischer Inszenierung und juristischen Versatzstücken treiben ihre Gegner die Partei vor sich her. Seit der Absetzung von Hans-Georg Maaßen als Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz bringt sein Nachfolger Thomas Haldenwang den Inlandsgeheimdienst in Stellung. Schrittweise erhöht die Behörde den Druck auf die Partei medienwirksam. Zu Beginn 2019 erklärte Haldenwang die AfD aufgrund eines „Gutachtens“ kurzerhand zum „Prüffall“. Dass das Verwaltungsgericht Köln im Nachhinein die öffentliche Bezeichnung der AfD als „Prüffall“ untersagte, konnte Haldenwang akzeptieren. Denn durch die Erhebung des sogenannten Flügels und der Jugendorganisation Junge Alternative (JA) zu „Verdachtsfällen“ war der Keil bereits angesetzt. Und man setzte zum Schlag an. Zupass kamen der öffentlichen Meinung dabei die Ermordung des CDU-Politikers Walter Lübcke am 2. Juni 2019, der Amoklauf in Halle (Saale) am 9. Oktober 2019 sowie der Anschlag in Hanau am 19. Februar 2020. Diese Taten nutzten Medien und Politik gleichermaßen, um die AfD mittelbar in den Ruch rechtsextremen Terrors zu rücken. Der SPD-Politiker Michael Roth bezeichnete die Partei etwa als „politischen Arm des Rechtsterrorismus“. Der SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil, früher bei der Antifa aktiv, forderte eine Beobachtung der gesamten AfD durch den Verfassungsschutz. Und wie der Bundestagsabgeordnete Helge FR E I L I CH


Foto: Matthias Wehnert / Alamy Stock Foto

R E P O R TAG E

Schnauze voll? Die Gesellschaft in Europa entwickeln immer mehr Probleme, die die Etablierten nicht mehr bewältigen.

Lindh (SPD) auf Twitter mitteilt, versprach VS-Präsident Haldenwang am 18. April 2020 in Lindhs Büro „weitere Konsequenz gegen Rechtsextremismus“. Und ließ diesem Versprechen prompt Taten folgen. Denn anders als etwa im Falle der Republikaner konzentrierte man sich nicht ausschließlich auf Parteistrukturen. Unter Ausreizung unspezifischer Formulierungen etwa im Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) nimmt der Haldenwang-Dienst auch friedliche Gruppen wie die Identitäre Bewegung, die Cottbuser Bürgerinitiative Zukunft Heimat oder auch das Institut für Staatspolitik (IfS) ins Visier. Die Zielrichtung ist klar. Über Bande wird damit auch jener Teil der AfD angeschossen, der nicht dem – mittlerweile aufgelösten – „Flügel“ oder der JA zugerechnet werden kann. Etwa die Fraktionsvorsitzender Alice Weidel, die ebenso als Referentin bei einer IfS-Akademie in Schnellroda auftrat wie der Parteisprecher Jörg Meuthen. Oder den brandenburgischen AfD-Landtagsabgeordneten Christoph Berndt, der sich als Kopf der Bürgerbewegung Zukunft Heimat in seiner Heimat Cottbus großer Beliebtheit erfreut. Oder aber auch die parteinahe Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES).

Wer ist das schwächste Glied? Der Fall der DES zeigt, dass die Taktik des Establishments aufgeht. Der 2015 gegründete Verein wurde nach langer parteiinterner Diskussion auf dem Augsburger Parteitag 2018 als parteinahe Stiftung anerkannt. Den N ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

Vorsitz übernahm die langjährige CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach. Ehrenvorsitzender ist übrigens AfD-Mitgründer Konrad Adam, der sich mittlerweile in offener Gegnerschaft zu der Partei befindet, deren parteinaher Stiftung er ehrenhalber vorsitzt. Für Aufsehen sorgte nun der jüngste Streit um die Personalie von Erik Lehnert. Lehnert ist Geschäftsführer des IfS, das seit Mitte Mai vom Inlandsgeheimdienst als „Verdachtsfall“ beobachtet wird, und war bis Ende Mai Mitglied im Vorstand der Stiftung. Um nun den Gemeinnützigkeitsstatus nicht zu verlieren, setzte sich eine Mehrheit des DES-Vorstands dafür ein, Lehnert aus dem Vorstand zu entfernen. Gegenüber der linken

Schrittweise erhöht die Behörde den Druck auf die Partei medienwirksam. taz erklärte Steinbach, dass die dauerhafte Beobachtung des IfS durch den Verfassungsschutz „wegen extremistischer Tendenzen“ nicht mit der Satzung des DES und Lehnerts Mitgliedschaft im Vorstand vereinbar sei. Das Problem: Die Berufung Lehnerts sollte ein Zugeständnis an den rechten Parteiflügel sein, um den Kritikern, die befürchteten, die DES könne sich unter dem maßgeblichen Einfluss zentristisch ausgerichteter Personen wie Steinbach zu einer dem konservativen CDU-Flügel zugeneigten quasi eigenständigen politi-

21


Foto: imago images / Christian Thiel

R E P O R TAG E

Die große Herausforderung für die Steuermänner bleibt, das Schiff auf Kurs und die Besatzung zusammen zu halten.

POPULISMUS

Populismus ist ein Dauergast in der Geschichte, die Kritik an Populismus ebenso: Beides lässt sich in ganz verschiedenen Epochen, in ganz verschiedenen Ländern und in ganz verschiedenen Herrschaftsformen finden – vom klassischen Athen über frühneuzeitliche Monarchien bis hinein in unsere demokratische Gegenwart. Georg Eckert, Thorsten Beigel : Populismus: Varianten von Volksherrschaft in Geschichte und Gegenwart Aschendorf Verlag, Münster 2017, 337 Seiten. ISBN 978-3-40213-218-0 A € 20,50 / D € 19,95

22

schen Kraft entwickeln und damit auch den Kurs der AfD beeinflussen. Der Ausschluss Lehnert wirkt in der gegenwärtigen Lage wie ein Affront. Und das nur wenige Tage nachdem der liberal-konservative Teil des Vorstands um Sprecher Jörg Meuthen und den Hamburger Bürgerschaftsabgeordneten Alexander Wolf die Parteimitgliedschaft des Fraktionschefs der AfD Brandenburg, Andreas Kalbitz, für nichtig erklärten, weil dieser seine „verfestigte rechtsextreme Vergangenheit“ bei seinem Eintritt verschwiegen habe, wie Meuthen erklärte. Hartwig: „Ruhe und Geschlossenheit bewahren!“ Seitdem rumort es in der Partei. Viele Mitglieder, vor allem in den östlichen Landesverbänden, befürchten nun einen „Reinigungsprozess“, in dem die als rechts geltenden, aber bei Wahlen besonders erfolgreichen Ostlandesverbände das Nachsehen haben werden. Bei anderen geht die Angst um, Kalbitz könne wieder in die Partei zurückkehren, was einerseits das Vertrauen in die Führung Meuthens erschüttern und andererseits die Gefahr einer Spaltung in eine west- und eine ostdeutsche AfD verstärken würde. Eine solche hatte Jörg Meuthen erst im April im Interview mit Tichys Einblick angeregt. Eine Rückkehr Kalbitz‘ ist alles andere als unwahrscheinlich. Nachdem ihm seine Landtagsfraktion den Rücken stärkte, reichte Kalbitz Klage beim Landgericht Berlin ein. Ein Verfahren vor dem Parteischiedsgericht läuft ebenfalls. Damit wird sich der parteiinterne Konflikt in den kommenden Monaten weiter verschärfen. Diese Schwäche machen sich nun auch die Landesämter für Verfassungsschutz zunutze. Am 15. Juni erklärte der brandenburgische Verfassungsschutz den gesamten Landesverband der AfD zum „Verdachtsfall“. Behör-

denchef Jörg Müller, ehemaliger Büroleiter des Landesinnenministers Karl-Heinz Schröter (SPD), hatte diesen Schritt bereits im Mai im Falle einer weiteren „Verflügelung“ des Landesverbandes angekündigt. Damit folgt das Landesamt den Forderungen zahlreicher linker bis linksextremer Politiker, die nach der Auflösung des „Flügels“ nun eine Beobachtung der gesamten Partei forderten. Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis auch das Bundesamt für Verfassungsschutz diesem Wunsch entspricht. Eine Anfrage unseres Magazins ließ das brandenburgische Innenministerium unbeantwortet. Es ist unklar, wie lange die Partei diesem zunehmenden Druck widerstehen kann. Die Gefahr einer „Zermürbung der Partei“ sehe er allerdings nicht, erklärt Roland Hartwig auf Freilich-Anfrage. Hartwig ist Bundestagsabgeordneter der AfD und Leiter einer internen Arbeitsgruppe, die Lösungen zum Umgang mit einem Inlandsgeheimdienst erarbeiten soll, dessen Arbeitsweise alles andere als unumstritten ist. Hartwig weiter: „Wichtig ist es derzeit aber vor allem, Ruhe und Geschlossenheit zu bewahren und das Vorgehen als das zu erkennen, was es letztlich ist: Ein in erster Linie politisch motivierter Angriff auf die größte Oppositionspartei im Deutschen Bundestag.“ Man hoffe, dass die Gerichte dem „rechtswidrigen Vorgehen“ des Verfassungsschutzes „bald Einhalt gebieten werden“, so Hartwig. Keine Illusionen macht sich der Jurist über die unlauteren Absichten des Geheimdienstes: Die Partei müsse befürchten, „dass die Gesamtbeobachtung der AfD auch bundesweit ein klares Ziel des Verfassungsschutzes ist“. Zu dieser ohnehin schweren Bürde gesellen sich auch interne Streitigkeiten hinzu. In Bayern scheiterte FR E I L I CH


R E P O R TAG E

A LT E R N AT I V E F Ü R D E U T S C H L A N D Die Alternative für Deutschland (Kurzbezeichnung: AfD) ist eine rechts-

populistische, in Teilen rechtsextreme politische Partei in Deutschland. Sie wurde 2013 als EU-skeptische und rechtsliberale Partei gegründet.

(…) Die Zugewinne der AfD seit 2013 werden sowohl auf die Mobilisierung vormaliger Nichtwähler als auch auf Wechselwähler von CDU und FDP, in

geringerem Maße auch von SPD und Linkspartei zurückgeführt. Während

Foto: Matthias Wehnert / Alamy Stock Foto

zunächst überwiegend von Protestwählern gesprochen wurde, beob-

achtet man inzwischen die Herausbildung einer Stammwählerschaft, die

durch die Ziele einer kulturell homogenen Gesellschaft und einer restriktiven Zuwanderungspolitik vereint wird.

Man kann natürlich auch abwarten und Eis essen, wenn nicht alle die Nerven verlieren.

Ende Mai etwa der Versuch einiger AfD-Abgeordneter, ihre eigenen Fraktionschefs, Katrin Ebner-Steiner und Ingo Hahn, abzuwählen nur, weil die nötige Mehrheit von Zweidritteln nicht erreicht wurde. Doch auch künftig wird die Landtagsfraktion in Bayern nicht zur Ruhe kommen. Denn von den zwanzig Abgeordneten waren immerhin zwölf für eine Abwahl von EbnerSteiner und Hahn. Ursprünglich unterstützten zwei weitere AfD-Politiker den Antrag, stimmten jedoch anschließend gegen eine Abwahl. Anlass für den Zwist sollen jedoch nicht Fragen zu Sachthemen oder die mögliche Beobachtung durch den Verfassungsschutz sein, sondern machtpolitische Differenzen. Parteiinterne Auseinandersetzungen mit fragwürdigen Auslöserng verstärken den Eindruck, dass die Landesverbände vielerorts im Parteienstaat „angekommen“ sind, und schaden dem Ansehen der Partei. Sie entsprechen gerade nicht der Devise Hartwigs, Ruhe und Geschlossenheit zu bewahren.

Corona-Krise als Chance Alles in allem wirkt die AfD derzeit angreifbar. Sie verliert Wähler an eine entschlossen auftretende Union, die sich als Partei der Krisenmanager inszenieren kann. Gleichzeitig arbeitet die etablierte Öffentlichkeit an einem neuen Feindbild. Neben „Hass und Hetze“ wird derzeit auch der Begriff der „Verschwörungstheorie“ gegen rechts gerichtet. Dabei werden nicht nur tatsächliche Verschwörungstheorien als solche bezeichnet, sondern auch greifbare Fakten wie die fortdauernde Massenzuwanderung entsprechend gebrandmarkt. Am Ende sollen Migrationskritiker auf dieselbe Stufe wie Chemtrail-Fantasten oder ähnliches N ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

gestellt werden. Nichtsdestotrotz birgt die gegenwärtige Situation auch Chancen für die patriotische Opposition. Denn tatsächlich hat die Informationspolitik der Regierung versagt. Viele Bürger sind verunsichert. Dass das Establishment alternative Medien als Bedrohung empfi ndet, zeigt etwa die Kampagne des linksextremen Berliner Bündnis gegen den Podcast Lagebesprechung, den das Freilich Magazin gemeinsam mit der Bürgerinitiative Ein Prozent, dem Verlag Antaios sowie dem IfS verantwortet. In Kooperation mit Campact sammelte die Antifa-Gruppe mehr als 130.000 Unterschriften, um den Musik-Streamingdienst Spotify zur Löschung des Podcasts zu bewegen. Bislang mit mäßigem Erfolg. Tatsächlich hat sich das Format als unabhängiges und alternatives Medium bewährt und stößt auf breites Interesse. Erschwerend kommt der drohende Wirtschaftskollaps hinzu. Obwohl derzeit Milliardenbeträge wie aus dem Nichts verfügbar gemacht werden, deuten Anzeichen auf eine Krise globalen Ausmaßes hin, die exportorientierte Volkswirtschaften wie die der Bundesrepublik besonders betreffen wird. Der „Lockdown“ hat die Regierung endgültig in eine Sackgasse getrieben. Wirtschaftsminister Altmaier erklärte beispielsweise, durch Corona werde kein Job verloren gehen. Gelingt es der AfD in den nächsten Monaten in ruhigeres Fahrwasser zu gelangen, kann sie von diesem Versagen der Bundesregierung profitieren. Die Unzufriedenheit des Volkes wird bei fortdauernder Krise und hoher Arbeitslosigkeit ansteigen. Und auch wenn sich die AfD bislang noch nicht als Krisenmanager hervortun konnte, hat sie in der Vergangenheit immer

Dass das Establishment alternative Medien als Bedrohung empfindet, zeigt etwa die linksextreme Kampagne gegen gegen den Podcast „Lagebesprechung“.

23


R E P O R TAG E

Foto: Andia / Alamy Stock Foto

ZurĂźck aus dem Urlaub und erst mal sammeln. In Frankreich wurden aus der Nationalen Front eine Nationale Versammlung.

24

FR E I L I CH


Zu deutsch: Nationale Sammlungsbewegung; bis Juni 2018: Front National, FN, (deutsch: Nationale Front) ist eine am rechten Rand des politischen Spektrums angesiedelte Partei in Frankreich; sie bedient sich

einer rechtspopulistischen Stilistik (…). Die Partei definiert sich selbst

R E P O R TAG E

R A S S E M B L E M E N T N AT I O N A L

als „weder rechts noch links“ sowie als „patriotisch“, „populistisch“ und „souveränistisch“.

wieder mit sinnvollen Alternativen zur Alternativlosigkeit des polit-medialen Mainstreams für Aufsehen gesorgt. Fraglich ist, wie sich der schwelende Richtungsstreit zwischen den liberalkonservativen Kräften im Westen und den sozialpatriotischen Kräften im Osten ausgehen wird und welche Folgen das für die Partei hat. Eine Krise des globalen Wirtschaftssystems wird insbesondere den Kapitalismus- und Globalisierungskritikern um den Thüringer Landesvorsitzenden Björn Höcke zugutekommen.

Gekommen, um zu bleiben Letztendlich befi ndet sich das neurechte Lager immer noch auf Kurs. Ob sich die gegenwärtigen Schwierigkeiten zur Krise auswachsen, liegt nicht in den Händen eines unter demokratischen Gesichtspunkten fragwürdig agierenden Verfassungsschutz, sondern in denen der Parteiführung. Gelingt es ihnen, die Zentrifugalkräfte, die die Partei zerreißen können, zu bändigen? Oder wird eines der beiden Lager die Schwäche der Partei nutzen, um sich die dauerhafte Vorherrschaft zu sichern – auch auf die Gefahr einer Spaltung hin? Fakt ist: In den vergangenen Jahren hat sich das neurechte Lager in Deutschland weiterentwickelt. Zahlreiche Strukturprojekte arbeiten auf lange Sicht. Panik ist hier fehl am Platz. Denn die derzeitige Offensive des Mainstreams ist zugleich das letzte scharfe Schwert, das sich noch gerade so innerhalb des rechtsstaatlichen Rahmens bewegt. Auch dieses Schwert wird stumpf. Ob es das Establishment wagt, sich auch abseits des Rechtsstaates zu bewegen, wird sich zeigen. Es ist nicht undenkbar.

Die Front in Frankreich In Frankreich ist die Entwicklung des Rechtspopolismus anders, vor allem weil eine große rechte Partei immer da war, der Front National. Diese Kontinuität verändert sich aber, indem aus dem Front eine neue Partei wird: Am 20. August 2015 wurde Jean-Marie Le Pen, der Gründer und Ehrenpräsident des Front National (FN), von seiner Tochter und Nachfolgerin an der Spitze der Partei, Marine Le Pen, aus dem FN ausgeschlossen. Diese Entscheidung war die logische Folge der ‘Entteufelungsstrategie’, die Marine seit ihrer Machtübernahme 2011 insbesondere unter dem Einfluss von Florian Filippot, ihrem damals engsten BeN ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

rater und Nr. 2 in der Parteihierarchie, verfolgte : Der FN sollte kein rechtsradikales Schmuddelkinddarsein mehr führen, sondern respektabler Teil der republikanischen Parteienlandschaft werden. Jean-Marie Le Pen, der nicht die geringsten Anstalten machte, sich der neuen „political correctness“ innerhalb der Partei zu beugen und seine Detailaussage zu Auschwitz gegenüber den pathologisch auf diese eine Frage fi xierten Medien so oft wiederholte, wie diese es hören wollten, musste deshalb als Störfaktor beseitigt werden. Mit seinem Ausschluss ging für die Partei eine Ära zu Ende. „Es ist zu befürchten, dass der FN zu einer Art jakobinischen Partei wird. Zweifelsohne national, nationalistisch, souveränistisch. Ich denke, dass ihm die körperliche und geistliche Dimension fehlen wird, die er unter JM Le Pen hatte. Ich befürchte, dass er zu einer Partei wird, in der Wahlstrategien vor Überzeugungen gehen“, erklärte damals Bruno Gollnisch, Jean-Marie Le Pens langjähriger Stellvertreter. Schon vor dem offi ziellen Rauswurf von Jean-Marie Le Pen traten ideologische Bruchlinien in der Partei immer stärker hervor, doch solange Jean-Marie noch Ehrenpräsident war, existierten die traditionelle Linie des FN und die neue von Marine offi ziell noch nebeneinander. Langjährige Parteimitglieder, die die traditionellen Werte des FN wie Familie und Lebensschutz verteidigten und zum katholisch-traditionalistischen Flügel der Partei zählten, wurden jedoch schon seit der Erstellung der Wahllisten zu den Parlamentswahlen 2012 systematisch benachteiligt. Seit dem Ausscheiden aus der Politik der charismatischen, in der rechtskonservativen Tradition verankerten Marion Maréchal 2017, deren Beliebtheit an der Basis für Marines Linie zu einem Risikofaktor wurde, ist diese Richtung weitestgehend aus den Parteiinstanzen vertrieben. Le-

In Frankreich ist die Entwicklung des Rechtspopolismus anders, vor allem weil eine große rechte Partei immer da war, der Front National. diglich Nicolas Bay im Europaparlament und einige Regionalpolitiker der ersten Stunde vertreten heute noch die klassische rechte Linie. Um die ideologische Neuausrichtung der 2018 in Rassemblement National (RN) umbenannten Partei zu festigen, sorgte Marine Le Pen nach den EU-Wahlen 2019 dafür, dass selbst

25


R E P O R TAG E

Der Front National ist Geschichte. Statt dessen schockierte Marine 2016 auf einem Parteiseminar ihre Kader mit der Aussage, dass sie „die Rechte nicht kenne und nicht von ihr komme“.

unter den parlamentarischen Mitarbeitern der Fraktion in Strassburg und Brüssel keine Anhänger mehr von Marion oder der alten Parteilinie sind.

Eine jakobinisch, linksnationalistische Partei Unter Jean-Marie Le Pen war der Front National ein Symbol für den Kampf um den Erhalt der europäischen Zivilisation, die sich für ihn über den gesamten geographischen Raum von Lissabon bis nach Wladiwostok erstreckt. Er bekämpfte die Massenimmigration, weil sie die europäische Zivilisation zerstört, nicht weil er Araber oder Schwarze ablehnt. Seine historischen, kulturellen und philosophischen Bezugnahmen waren sehr zahlreich. Im heutigen RN findet man dies so gut wie gar nicht mehr. Statt dessen schockierte Marine 2016 auf einem Parteiseminar ihre Kadern mit der Aussage, dass sie ‘die Rechte nicht kenne und nicht von ihr komme.’ Wie ernst es ihr mit dieser Aussage ist, zeigt das wirtschaftliche Programm des RN, in dem die staatliche Einmischung in die Wirtschaftsabläufe immer offener gefordert wird. Jean-Marie Le Pen dagegen verlangte vom Staat lediglich die Herstellung fairer Wettbewerbsbedingungen für französische Unternehmen durch eine Anpassung der Zollpolitik an die Produktionsrealität. Doch nach Innen stand er für marktwirtschaftliche Prinzipien ohne staatliche Einmischung. Auf gesellschaftspolitischer Ebene hat Marine den RN an den linksliberalen Zeitgeist angepasst : Während früher die Abtreibung bekämpft wurde, weil sie einen wesentlichen Anteil an Europas demographischer Schieflage hat und zum Erfolg des Geburtendjihads beiträgt, verteidigt Marine nun Frauen- und Schwulenrechte und bekämpft den Islam mit diesem Argument. Den Wohlfahrtsstaat für Franzosen will sie vor der Plünderung durch Immigranten retten, dem Islam begegnet sie mit Laizismus und französischer Rechtsordnung. Zum Christentum, der kulturellen Basis der europäischen Zivilisation, hat sie bestenfalls ein zwiespältiges Verhältnis. Unter ihrer Führung ist der RN damit, wie Bruno Gollnisch es vorhersagte, zu einer jakobinisch, links-nationalistischen Partei ohne klaren ideologischen Kompass geworden Genau dies ist das Problem des RN bei Wahlen : Auch wenn er absolut gesehen die stärkste Partei ist, ist er nicht mehr in der Lage, seine Wählerbasis stark zu erweitern. Marine hat die Partei von fast der gesamten intellektuellen Elite, die mehrheitlich aus dem katho-

26

lisch- traditionalistischen Milieu stammte, gesäubert. Diese Elite fungierte als Brücke zwischen der einerseits stark dechristianisierten und entkulturalisierten Arbeiterschaft und dem konservativen, patriotischen Bürgertum. In wirtschaftlichen Fragen verband sie freies Unternehmertum mit dem Einsatz für ein würdiges Leben des kleinen Mannes von seiner Hände Arbeit. Die neue Parteielite, die manche als entideologisierte Karrieristen sehen, macht dagegen auf Klassenkampf und in gesellschaftspolitischen Fragen auf Libertinage und stösst damit das Bürgertum ab.

Italien und Matteo nazionale In Italien ist die Entwicklung im rechtspopulistischen Spektrum konstanter: Matteo Salvini hat sich ergeben. Nach 47 Jahren, so lässt er seine unzähligen Follower in den sozialen Netzwerken wissen, habe er sich gebeugt: der Anführer der Lega Nord trägt nun eine Lesebrille. Und es wäre gewiss bemerkenswert für die politische Kultur am Stiefel, folgten nicht unmittelbar seitenlange Abhandlungen der Boulevardpresse darüber, wie der neue Stil des Matteo nazionale nun zu interpretieren sei, schließlich habe er sich nicht nur eine neue Brille zugelegt, sondern die kämpferischen T-Shirts und mit Städtenamen versehenen Sportjacken auffällig oft gegen gesetzte graue Sakkos und Rollkragenpullover getauscht. Ein Kleidungsstück, das man laut dem Männermagazin Esquire doch eher mit den alten Haudegen der Kommunistischen Partei und den Exponenten der radical chic verbindet, wie man in Italien die Kaste der modernen Luxuskommunisten betitelt, die ihre tugendschweren Appelle zumeist aus überteuerten Szenebistros absondern. In einer Zeit, in der die Politik sich ganz besonders dem Rat von Wissenschaftlern anvertraue, sei es demnach nur opportun – so die spitzfindigen Modejournalisten - sich eine Brille zuzulegen, die einen aussehen lasse wie einen Labortechniker. Tatsächlich laborieren Italiens Rechtspopulisten noch am richtigen Zugriff auf die Coronakrise, die Italien wie kein anderes Land Europas erschüttern sollte. Insbesondere die Lombardei, Mutterland und „Musterregion“ der Lega, die dort nunmehr seit Jahren den Präsidenten stellt und seit nun knapp zwei Jahrzehnten an der Regierung beteiligt ist, traf es besonders hart. Und riss die Umfragewerte der zuvor allen enteilten Lega Nord mit in den Keller, nicht zuletzt nach dem sich zeigte, wie fragil ein privatisiertes und auf Profit ausgerichtetes Gesundheitssystem dasteht, wenn es zu einer unvorhergesehenen Krise kommt. FR E I L I CH


Die Lega (Liga) ist eine politische Partei in Italien, die mehrfach ihren

Namen und ihre Ausrichtung änderte. Sie war anfangs hauptsächlich im Norden Italiens aktiv und hieß bis 2018 Lega Nord (deutsch: Liga Nord; vollständiger Name Lega Nord per l’indipendenza della Padania, über-

R E P O R TAG E

LEGA

setzt: Liga Nord für die Unabhängigkeit Padaniens). In der zweiten Hälfte der 2010er Jahre wurde sie auch im übrigen Italien politisch aktiv. Seit Salvinis Amtsantritt als Parteisekretär, wird der Parteiname oft durch

Foto: imago images / ZUMA Wire

Foto: imago images / ZUMA Wire

den Schriftzug Salvini Premier ergänzt.

Keiner hat so schöne Urlaubsfotos wie wie Matteo Salvini. Er zeigt Volksnähe auch in Badehosen. Frische Bilder gibt es immer auf twitter.com/legasalvini

N ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

27


Foto: FPÖ

R E P O R TAG E

Hat im Urlaub ganz schön abgehoben, die FPÖ in Österreich. Der Absturz war aber auch dementsprechend brutal.

Dabei hatte das an Regionalwahlen reiche Jahr 2020 für Italiens Rechtsparteien außerordentlich vielversprechend begonnen. Über eine Serie von Regionalwahlsiegen wollte man sich warmlaufen für die nächsten Wahlen der italienischen Abgeordnetenkammer, bei denen man eine neu aufgestellte Mitte-Rechts-Koalition an die Regierung führen wollte. Das dazu geschmiedete Bündnis Squadra Italia – bestehend aus der Lega, den Fratelli d‘Italia und Berlusconis Forza Italia – dominierte noch Ende Februar alle Umfragen.

Mitte-rechts besteht Erste Feuerproben bestand das Mitte-Rechts-Lager mit Bravour. In der Region Umbrien und im süditalienischen Kalabrien triumphierte man deutlich und auch in der traditionell erzroten Region Emiglia-Romagna unterlag man nur knapp dem linken Lager, das jedoch historische Einbußen hinnehmen musste. Dann, nur zwei Wochen nach dem man die Squadra Italia im Rahmen einer bombastischen Massenkundgebung mitten in Rom ausgerufen hatte, legte das Coronavirus schrittweise das ganze Land lahm. Seitdem ringt man auch auf rechter Seite um die richtige Position im Umgang mit der Regierung Conte II, deren pragmatischer Kurs die Italiener nicht vollumfänglich überzeugt, Premierminister Conte in Zustimmungswerten jedoch konsolidieren sollte. Eine am 6. Juni von der landesweit erscheinenden Tageszeitung Il Messaggero veröffentlichte Umfrage zur Beliebtheit aller Spitzenpolitiker führte Conte mit 57% Zustimmung auf dem zweiten Platz. Weit vor Matteo Salvini und Giorgia Meloni (FdI) mit 31% bzw. 33%, aber einen Platz hinter ex-EZB-Präsident Mario Draghi.

28

Als erstes europäisches Land reagierte Italien auf das Coronavirus mit drastischen Maßnahmen. Doch Italiens Bevölkerung fügte sich diesen in Einmütigkeit. Es schien, als rücke ein ganzes Volk zusammen – und sammele sich in einer Stimmung nationaler Einheit hinter dem parteilosen Ministerpräsidenten Conte. Matteo Salvini und seine Themen, bis dato omnipräsent in den sozialen sowie den klassischen linearen Medien, verschwanden zunehmend von der großen Bühne der Öffentlichkeit, wobei ohnehin fraglich war, wie lange Salvini, der von professionellen Agenturen zeitweise in einer Art DreiSchichten-System begleitet wurde, dieses Pensum würde durchhalten können. Während man auf rechter Seite zu Beginn der Pandemie noch das zu lasche Reagieren kritisierte, dann die Attacken auf die Regierung jedoch merklich entschärfte, schalten Italiens Rechtsparteien nun wieder auf Angriff und stellen sich auf die Seite derer, die eine Lockerung der coronabedingten Beschränkungen fordern. Insbesondere für die Fratelli d‘Italia um Giorgio Meloni zahlt sich dies offenbar aus, die in Umfragen stabil bei rund 15% stehen, während die Lega weiter von unten an der 30%-Marke kratzt, nach dem sie noch vor der Krise konstant um bei 35% lag und nun wieder die Sozialdemokraten des Partito Democratico im Nacken spürt. Diese waren nach einer Reihe von Querelen, Skandalen und Spaltungsdiskussionen zeitweise deutlich abgeschlagen. Zusammen mit Berlusconis Forza Italia (circa 7 %) läge das Mitte-RechtsLager dennoch vorne, trotz Umfragetief der Lega Nord.

Corona in Italien Kritisch für die Lega gestaltete sich das Agieren auf europäischer Ebene. Noch Anfang März forderte Salvini, FR E I L I CH


Die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) ist eine rechtspopulistische

R E P O R TAG E

DIE FREIHEITLICHEN Partei in Österreich, die im Nationalrat, in allen neun Landtagen und

vielen Gemeinderäten vertreten ist. Sie bezeichnet sich als Vertreterin

des „Dritten Lagers“ und sieht sich selbst im Erbe des nationalliberalen Wertesystems der bürgerlich-demokratischen Revolution von 1848. Als kleiner Koalitionspartner war sie bisher viermal in einer Bundesregierung vertreten (…). Zuletzt beendete im Zuge der Ibiza-Affäre

Bundeskanzler Sebastian Kurz im Mai 2019 die Regierungskoalition und

Foto: FPÖ

erklärte, er strebe Neuwahlen im September 2019 an.

Das Boot ist noch voll, aber es ist deutlich kleiner geworden. Und die Kapitäne der FPÖ glänzen nicht mehr so.

die ganze EU müsse zur „Roten Zone“ erklärt werden. Er fürchtete, dass die europäische Wirtschaft Italien, das sich als einziges Land abschottete, links liegen lasse, während der Rest Europas weiter Profite mache. Die dann aufkommende Debatte um die Aktivierung des ESM und um Coronabonds verdeutlichte dann das Dilemma, in dem die Lega gefangen war: sie mobilisierte gegen einen an Auflagen gebundenen Rettungsschirm, der Italien jedoch den Zugang zu europäischen Milliardenhilfen eröffnet hätte. Salvinis Gegner legten ihm diese Verweigerung als anti-italienische, unpatriotische Haltung aus. Genüßlich zitierte man die teils heftigen verbalen Attacken von Salvinis europäischen Partnern, die sich in der Debatte um Staatshilfen allzu oft jener untergriffigen Ressentiments bedienten, die bereits in der Eurokrise gegen die Mittelmeerländer vorgebracht wurden. Ein Dämpfer für die Lega Nord, die sich trotz aller gesamtitalienischen Ambitionen von ihren eigentlich föderalistischen Kernzielen nie gelöst hat. Ein Malus, der in einer krisenbedingten Stimmung der nationalen Einheit nur schwer zu überdecken ist: und den die klassisch nationalistischen und gesamtitalienischen Fratelli d‘Italia – historisch verwandt mit der neofaschistischen Sozialbewegung (MSI) und der postfaschistischen Alleanza Nazionale - insbesondere im Süden für sich zu nutzen wissen.

Zurück zu den Kernthemen Zeigen wird sich nun, inwieweit der schrittweise Ausstieg aus dem Corona-Krisenmodus auch der Lega nutzen wird, sollten deren Kernthemen demnächst auf die Agenda der tagespolitischen Debatten zurückkehren. Wann die illegalen Zuwandererströme nach Italien N ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

wieder ansteigen dürfte jedenfalls nur eine Frage der Zeit sein und die Berichterstattung um die von Carola Rackete nach Italien geschleppten afrikanischen Folterknechte ist ein erstes Indiz dafür, wie schnell Italiens Rechtspopulisten wieder in den Angriffsmodus zu schalten wissen. Ohnehin rechtsaffin sind in Italien

Die Lega Kernthemen werden demnächst auf die Agenda der tagespolitischen Debatten zurückkehren. die kleinen und mittleren Gewerbetreibenden, denen das wahre Ausmaß der wirtschaftlichen Schäden wohl demnächst offenbar werden wird. Prallt die drohende Rezession dann auf wieder ansteigende Ausländerströme, dürften die Tage der politischen Einmütigkeit auch in Bella Italia gezählt sein. In Zahlen ausdrücken wird sich das vermutlich im Herbst, wenn die verschobenen Regionalwahlen in gleich sieben Regionen nachgeholt werden. Nicht zuletzt in Venetien, einer Lega-Hochburg, regiert von Regionalpräsident Luca Zaia, dem man selbst in der linken sowie der internationalen Presse attestiert, in der Coronakrise alles richtig gemacht zu haben: und längst als Mann für höhere Aufgaben handelt.

Land der Tragödie: Österreich Am schwersten aber hat es die Rechtspopulisten in Österreich getroffen. Der Durchmarsch der letzten Jahre ist nicht nur gestoppt. Die Freiheitlichen haben eine Regierungsbeteiligung verloren, in der sie prägend mit-

29


R E P O R TAG E POPULISMUS

Nicht die Eliten, die Bevölkerungen sind das Problem. So beschreibt ein Vertreter des Establishments, Ex-Bundespräsident Joachim Gauck, den gesellschaftspolitischen Ist-Zustand in der westlichen Welt. Die Herrschenden treffen immer öfter im Alleingang Entscheidungen von enormer Tragweite. Etwa die Öffnung der Grenzen für Millionen von Armutsmigranten aus der Dritten Welt. Christian Günther, Werner Reichel: Populismus – das unerhörte Volk und seine Feinde Frank & Frei, Wien 2017, 210 Seiten ISBN 978-3-95040-819-5 A € 19,00 / D € 19,00

gearbeitet haben und sind auch in der Wählergunst gefallen. „Es war nicht so sehr Ibiza, was diesen Einbruch bewirkt hat“ meint Heimo Lepuschitz, politischer Kommunikationsspezialist und vormalig im Medienkoordinator in einem Bundesministerium tätig. Erst die Spesenaffäre um den Ex-Parteiobmann HC Strache hat einen massiven Einbruch bei den wählen bewirkt.“ Das österreichische Bespiel ist dennoch bemerkenswert, weil es die Geschichte einer Partei zeigt, die sich mehrfach gewandelt hat. Bereits im Jahr 1986 ist die FPÖ fast an einer Regierungsbeteiligung zerbrochen, damals mit einem sozialdemokratischen Partner und dem willen, die Partei „liberal“ zu machen und die „Kellernazis“ zu vertreiben. Der jungen Parlamentarier Jörg Haider – der aus einem nationalen Elternhaus stammte, aber als liberaler Abgeordneter galt – schoss bei einem dramatischen Parteitag in Innsbruck den vormaligen Obmann ab. Und mit ihm die Koalition. Mit Jörg Haider als Parteiobmann begann auch die „Umvolkung“ der Partei. Weg von der nationalliberalen „Honoratiorenpartei“ (Andreas Mölzer), hin zu einer rechtspopulistischen Bewegung, deren Haider nahe Eliten sich aber stark aus Diskotheken rekrutierten. Das schnelle Wachstum der Partei, die auf spassigen Angriff setzte – der begabte Redner Haider war kaum um eine Pointe verlegen, stolperte auch ein paar Mal darüber –, war auch einem verbitterten Gegner verdankt: Österreich ist rot-schwarz bis in die staatlichen Betrieben und parteinahen Vereine. Und dieser Gegner antwortete mit konsequenter Ausgrenzung. Was wieder nur der Freiheitlichen Partei nutzte, weil eine Verschärfung der Situation dem jugendlichen Provokateur zu Gute kommt. Der Aufstieg der Freiheitlichen führte sie in eine erste Koalition mit der ÖVP. Wobei das das nicht einhellig passierte: Österreich zu reformieren, war sich Jörg Haider sicher, ginge nur über den Machtausschluss der Sozialdemokratie, erst dann dann kann man Strukturen in der Alpenrepublik verändern. Ein Teil seiner Partei hat aber nie vergessen, dass die „Schwarzen“ genauso Teil der Machtstruktur der zweiten Republik sind. Und wie führende Funktionäre der Partei hinter vorgehaltener Hand bemerken: „falsche Hund‘“.

Ziel: Regierungsbeteiligung und Verantwortung Der Parteiobmann gehörte der Koalition nicht an. Die ÖVP stellte den Kanzler, obwohl sie im Vergleich 400

30

Stimmen schwächer war als die FPÖ, die Vizekanzlers sowie wichtige Ministerämter wie das Finanz-, Sozial-, Justiz- und Landesverteidigungsministerium und Staatssekretäre erhielt. Haider blieb Landeshauptmann in Kärnten und war recht bald ein konsequenter Zwischenrufer. An der Basis blieb das ungewohnte Gefühl mit an der Macht zu sein und dass das eigene Personal sich dort zu wohl fühlte bzw. sich über den Tisch ziehen ließ. „Knittelfeld“ ist der Name der steirischen Ortschaft bei dem die FPÖ dann bei einem Sonderparteitag implodiert ist. Anfällig für Spaltungen war sie vorher schon. 1993 hatten sich wegen das sogannten „Ausländervolksbegehrens“ („Österreich zuerst“) fünf Abgeordnete abgespalten und das „Liberale Forum“ gegründet. 2005 sprengt Haider die eigene Partei, gründet das Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) und geht mit der Partei in eine schwarz-orange Koalition. Das BZÖ, mehr Bewegung als Partei sollte es sein, scheitert mit dem Tod seines Gründers bei einem Autounfall 2008 bei Klagenfurt. Die Freiheitliche Partei war der Rest der geblieben ist. Den jugendliche Gegenspieler zu Jörg Haider gibt schnell HC Strache, der in Folge der erfolgreichste freiheitlliche Parteiobmann werden sollte. Gegenüber der Unterstellung, Haider sein das Original gewesen, Strache ein Nachahmer, erweist sich der neue Parteiobmann, der eine dezidiert rechte Jugend hatte, als Original im Sinne des politischen Lagers. Letztendlich gewinnt die FPÖ gegen des BZÖ obwohl es Leute waren, die Haider los werden hatte wollen. Es beginnt ein rasanter Siegeslauf gegen schwarz-rote Koalitionen, die sich an einander abarbeiten. Die Strache Partei ist teamfähiger und konstanter als die Haider-Partei – auch wenn es einen „charismatischen“ Parteichef gibt, bleibt sie deutlich konstanter beim traditionellen Partei und hat eine Aversion gegen die vormalige „Buberlpartie“. Auch wenn es eine Rolle der Burschenschafter gibt, gerade in der Zeit der Krise sind sie als Personen Konstanten, die die Partei zusammenhalten, ist es keine Burschenschafterpartei, wie manche Gegner sie stilisieren wollen. Damit wäre auch das Wachstum nicht möglich, dass die FPÖ hinlegt. Die FPÖ bleibt aber populistisch und provokant, auch wenn Strache nicht so wortwitzig wie Haider ist. Seine Wahlergebnisse bleiben immer etwas hinter seinen Möglichkeiten zurück, auch wenn der Weg in Richtung 30 Prozent deutet. Inhaltlich entwickelt sich die Partei wenig weiter. Gerade mit der Erfahrung der FR E I L I CH


Großen Wanderung 2015 bliebt die FPÖ die „Partei des Problems“ – Migration, Sicherheit, kleiner Mann: soziale Heimatpartei. Mit der Wahl 2017 brechen die Dämme. SPÖ hält sich gerade noch (26,9 %), Grüne fallen raus, die FPÖ unter dem neuen Chef Sebastian Kurz wird erste Partei (31,5 %), die FPÖ hat mit 26 Prozent das zweitstärkste Ergebnis ihrer Geschichte. Die kurze Koalition in Türkis-Blau ist inhaltlich erfolgreich, zerbricht aber nach den dem bekannt werden von Ibiza. Die Nationalratswahl 2019 zeigt ein drastisches Ergebnis: die SPÖ bricht weiter ein (21,18 %), die Freiheitlichen werden abgestraft (16,17 %), die ÖVP baut ihr Ergebnis aus (37,46 Prozent), die Grünen sind leider wieder da (13,9 %) und machen die willen Helfer für Türkis ein einer neuen Koalition.

Sebastian Kurz als Klonkrieger Für die österreichischen Rechtspopulisten ist plötzlich alles anders: sie selbst sind degradiert und werden für ihre ehemaligen Frontleute abgestraft – dabei geht es nur teilweise um das Ibiza-Video, aber der Spesenskandal um den Ex-Obmann rüttelt an ihrer Glaubwürdigkeit als „Anti-System“-Partei. „Die Mehrheit in Österreich ist trotzdem Mitte-rechts“, analysiert Heimo Lepuschitz, vormaliger Medienkoordinator des FPÖ Regierungsteams und jetzt neuer Selbständiger. Die Linke habe nicht gewonnen, sie sei eine kleine aber einflussreiche Minderheit, die sich vor allem stark bei den Medien findet. Das Phänomen bleibt Sebastian Kurz. Die ÖVP ist innerlich nicht reformiert, sondern genauso eine angeschlagene Partei wie die Sozialdemokratie, die wiederum mit dem Machtentzug nach unten entgleitet. Die ÖVP dagegen festigt sich an der Macht, ist aber ein Raumschiff, das vom Team Kurz geflogen wird. Das Erstaunliche ist dabei die inhaltliche Verschiebung im Land: Die Forderungen vom Volksbehren „Österreich zuerst“ aus 1993 regen heute keinen mehr auf: „Jörg Haider hat sich im Mainstream durchgesetzt“, analysiert Lepuschitz. Aber der neue Populismus nach Ibiza ist „Türkis“, das auf „Freiheitlich light“ macht. Die neuen blauen Probleme, so der Kommunikationsspezialist, seien vier an der Zahl: Erstens ist da Sebastian Kurz. „Er kopiert blau. Aber eben ohne blaue Ausrutscher und Rülpser. Kurz kann unterstützen ohne Nachteile befürchten zu müssen. Ein gerissener Slim-Fit-Populist. Zum Beispiel mache er in der N ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

Moria-Migrationsfrage („Kinder“) den Standhaften, er sagt aber nicht dazu, dass wir schon so viele aufgenommen haben. Er liefert so Schlagzeilen für Klicks und Reichweite. Die Polarisierung ist da durchaus gewollt, auch von den Medien. „Mit Haider am Cover hatte NEWS etwa 20 Prozent mehr Auflage.“ Das ist auch Teil von Kurzens Medienstrategie. Zweitens geben es die kleine Spaltung und die Skandale von HC Strache. „Jede Stimme an ihn bleibt eine verlorene Stimme“, so Lepuschitz, auch wenn das Match in Wien pro FPÖ entschieden sei. Das dritte Problem sei Corona: alle „guten Bürger“ scharen sich um die Regierung. Dementsprechend fährt Sebastian Kurz einen Blut-Schweiß-und-Tränen-Kurs, der Kritik ausschalten soll, so der Politikbeobachter. In der Reaktion auf diese Politik müsse man aber aufpassen: jenen Stimmen, die „Corona-Verschwörungen“ entdecken und viele Querulanten und „Teppen“, die sich jetzt aufspielen, würden wichtige Kritik entwerten. Das vierte Problem seien die Medien, so Heimo Lepuschitz. Die seien schlichtweg „Regierungsjunkies“ und hängen angesichts der Krise wie Süchtige an der Inseratennadel der Regierung. Die Freiheitlichen schicken sie in die „mediale Schweigespirale“.

Die Welt ist, was der Fall ist Die Fallhöhe nach der Regierungsbeteiligung sei jedenfalls beträchtlich gewesen. Die Zuschreibung „Rechtspopulismus“ sei immer mehr ein Begriff von außen, die FPÖ sei einfach die „soziale Heimatpartei“, so Lepuschitz. Und das sei sie mit Haider wie Strache gewesen. Und diese Grundsätzlichkeit müsse sie sich halten. Es werde wohl ein langes Wellental, aber so lange die Partei stabil bleibt, würde sie es durchschreiten. „Die FPÖ muss sich gleichzeitig freilich modernisieren“, so der Kommunikationsspezialist. Die Zeit für das Messiasprinzip sei vorbei, freiheitliche Politiker müssen jeweils in ihren Bereichen die Partei tragen: Hofer, Kickel, Kunasek, Haimbuchner … „Was die Partei mit Sebastian Kurz erlebt, ist der Angriff der Klonkrieger“, stellt Lepuschitz fest. Aber die ÖVP wird, wenn Sebastian Kurz verschwindet, einen schrecklichen Einbruch erleben. Wenn die FPÖ dann neu auf Linie ist, wird man feststellen, dass jene Probleme, die den freiheitlichen Erfolg mit bewirkt haben, nicht verschwunden sind, ja leider schlichtweg gleich geblieben sind. Und mit Kurz ist ja nichts besser geworden, außer die PR der ÖVP.

R E P O R TAG E

Für die österreichischen Rechtspopulisten ist plötzlich alles anders: sie selbst sind degradiert und werden für ihre ehemaligen Frontleute abgestraft.

Duden:

MACHT, DIE 1. Gesamtheit der Mittel und Kräfte, die jemandem oder einer Sache andern gegenüber zur Verfügung stehen; Einfluss 2. etwas, was eine besondere bzw. geheimnisvolle Kraft darstellt, besitzt 3. mit dem Besitz einer politischen, gesellschaftlichen, öffentlichen Stellung und Funktion verbundene Befugnis, Möglichkeit oder Freiheit, über Menschen und Verhältnisse zu bestimmen, Herrschaft auszuüben 4. politisch und wirtschaftlich einflussreicher Staat 5. Heer, Truppen

31


INFOGRAFIK

60

55

50

45

40

SERBIEN Serbische Fortschrittspartei Derzeit: 63,0 % (131/250) Umfrage: k. A.

Europa, deine Rechtspopulisten P

E 35

ANO Derzeit: 29,6 % (73/200) Umfrage: 31,0 % Freiheit und direkte Demokratie (SPD) Derzeit: 10,6 % (22/200) Umfrage: 6,0 %

M

Die Grafik zeigt das jeweils letzte nationale Wahlergebnis (inkl. Parlamentssitze) aller rechtspopulistischen Parteien eines Landes und die Differenz zur jüngsten Wahlumfrage (2020) ue e: eu o ee e

30

TSCHECHIEN

s eu/eu o ea

u o

SCHWEIZ

Tendenz steigend

Schweizerische Volkspartei (SVP) Derzeit: 25,6 % (53/200) Umfrage: k. A.

Tendenz gleichbleibend Tendenz sinkend

25

SCHWEDEN FINNLAND

20

Die Finnen Derzeit: 17,5 % (39/200) Umfrage: 18,0 %

Schwedendemokraten (SD) Derzeit: 17,5 % (62/349) Umfrage: 20,0 %

ITALIEN Lega Derzeit: 17,3 % (125/630) Umfrage: 25,0 %

15

10

SPANIEN

5

VOX Derzeit: 15,1 % (52/350) Umfrage: 14,0 %

DEUTSCHLAND 0

Alternative für Deutschland (AfD) Derzeit: 12,6 % (94/709) Umfrage: 11,0 %

BELGIEN Vlaams Belang Derzeit: 12,0 % (18/150) Umfrage: 4,0 %

GRIECHENLAND Elliniki Lysi (EL) Derzeit: 3,7 % (10/300) Umfrage: 3,0 %

32

RE


INFOGRAFIK

60

55

UNGARN FIDESZ Derzeit: 49,3 % (133/199) Umfrage: 51,0 %

SLOWAKEI

POLEN Recht und Gerechtigkeit (PiS) Derzeit: 43,6 % (235/460) Umfrage: 40,0 % Kukiz’15 Derzeit: 8,6 % (16/460) Umfrage: 5,0 %

50

OL’aNO Derzeit: 25,0 % (53/150) Umfrage: 22,0 % Sme Rodina (SR) Derzeit: 8,2 % (17/150) Umfrage: 8,0 %

45

Freiheit und Solidarität (SaS) Derzeit: 6,2 % (13/150) Umfrage: 9,0 %

KORWiN Derzeit: 6,8 % (5/460) Umfrage: 8,0 %

40

35

30

ISLAND Unabhängigkeitspartei Derzeit: 25,2 % (53/200) Umfrage: 24,0 % Zentrumspartei Derzeit: 10,9 % (53/200) Umfrage: 10,0 %

25

NIEDERLANDE Partei für die Freiheit (PVV) Derzeit: 13,1 % (20/150) Umfrage: 11,0 % Forum für Demokratie (FVD) Derzeit: 1,8 % (2/150) Umfrage: 8,0 %

20

FRANKREICH Rassemblement National Derzeit: 13,2 % (8/577) Umfrage: 26,0 %

15

10

ÖSTERREICH Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) Derzeit: 16,2 % (31/183) Umfrage: 14,0 %

5

DÄNEMARK 0

Dänische Volkspartei Derzeit: 8,7 % (16/179) Umfrage: 6,0 %

PORTUGAL Volkspartei (CDS-PP) Derzeit: 4,2 % (5/230) Umfrage: 3,0 % N ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

Neue Bürgerliche Derzeit: 2,4 % (4/179) Umfrage: 6,0 %

GROSSBRITANNIEN Brexit Party Derzeit: 2,0 % (0/650 (Unterhaus)) Umfrage: 2,0 %

33


E S S AY

Kein schöner Land Raus aus der Stadt, hinein in den deutschen Wald, eine Heimstatt fernab aller Verwerfungen – die Sehnsucht ist alt. Was für manche Sinnbild eines eskapistischen Defätismus ist, ist für andere der strategische Rückzug, um ein widerständiges Bollwerk in der Peripherie aufzubauen.

Foto: istockphoto.com / franckreporter

VON JULIAN SCHERNTHANER

„In den Wald gehen, tief in den Wald hinein, ... sich gänzlich dem Wald überlassen, das ist es immer gewesen, der Gedanke, nichts anderes, als selbst Natur sein. Wald, Hochwald, Holzfällen, das ist es immer gewesen ...“ — Thomas Bernhard

34

RE


E S S AY

D

ie Flucht vor den Zuständen – erstmals wurde ich mir dieses Phänomens als junger Student in Großbritannien so richtig bewusst. Gerade ältere Semester warfen ihren Wunsch des Auswanderns immer wieder ein – auch jene, deren Herz am eigenen Vaterlande hing und deren Verwurzelung daheim eigentlich zu tief schien, um irgendwo anders überhaupt gedeihen zu können. Ich hatte in diesen frühen Jahren des vernetzten Globus diverse Kontakte in der gesamten westlichen Welt. Und die Dynamik war oft die gleiche: kein schöner Land – aber ein fremder Ort der Sehnsucht. Die US-Amerikaner drohten, bei Verschlimmerung der gesellschaftlichen Lage nach Kanada auszuwandern, die Kanadier wollten in das alte britische Mutterland und die Briten kokettierten mit einem Lebensabend in Australien oder Neuseeland. So mancher, der heute seine Heimat liebt, tut dies bereits aus der Ferne und siedelt entweder unter der ewigen Sonne in Mittelmeer oder in noch konservativen Nachbarländern wie Polen oder Ungarn. Viele, die gerade seit der Merkel’schen Öffnung ihre Koffer packten, nannten eine Überfremdung in ihren angestammten Gefilden als Grund für die Abwanderung in Gebiete, in denen die Welt noch in Ordnung scheint.

N ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

Für mich schien diese Überlegung unmöglich – meine Episode in eines anderen Herrn Land war schon vorab auf eine Zeit begrenzt, mich zog es folgerichtig wieder in den Schoß der Heimat. Dafür saß ich in jenen Tagen in meinem Zimmer und blickte auf die grauen Straßenschluchten der Öl- und Granitmetropole Aberdeen. Draußen huschten abwechselnd die Verlierer der Verteilungslotterie und Migranten aus dem ganzen ehemaligen Empire umher. Hatte ich zuvor den Genuss des Elternhauses in der Stadt und der Wochenenden bei den geliebten Großeltern am Lande als gottgegebene Normalität empfunden, wurde mir erstmals bewusst: Der Moloch der großen Stadt mit ihrer Beengtheit würde mir auf Dauer die Kraft rauben – auch die zur schöpferischen Tätigkeit.

Luftschlösser im Hinterland Der Gedanke eint viele Menschen – politische und unpolitische: Wenn es die Lebensumstände zulassen, erfüllt man sich den Traum des eigenen Hofes, dieser widerständigen Einsiedelei inmitten von Wäldern und Wiesen, vielleicht mit einigen Tieren und eigenem Gemüseanbau, um in Friedenszeiten ein Auge auf den eigenen Verzehr

35


E S S AY

zu haben und gleichzeitig für Notzeiten gewappnet zu sein. Man baut sich so sein Luftschloss zusammen, über allem die Vision des Vierseithofes auf dem Land. Hier ein Flügel für eigenes Nutzvieh, dort ein Flügel für eine befreundete Familie oder Gäste und dort vielleicht noch ein Flügel zum aktiven Gebrauch irgendeiner guten Sache, der man sich verbunden fühlt, vom Handwerk bis zum Ort, an dem die Dorffeuerwehr ihre Feste feiert. Der sehnsüchtige Patriot wünscht sich dabei oft einen sicheren Hafen, in den jedermann einkehren mag, der den Wert der Heimat erkennt; überlegt sich die Schaffung eines Hortes des Wissens, wo willkommen ist, wer einem Vortrag zur Ideengeschichte lauschen mag. Vor dem inneren Auge läuft die Vorstellung von Jungspunden vorüber, die sich – teils die eigenen Sprosse, teils jene des Mitstreiters – an einem lauen Sommertag im sportlichen Wettkampf messen, um sich die Stärkung mit Leckereien aus dem eigenen Anbau zu verdienen. Es ist ein Gedanke, der in vielen Köpfen zugleich reift. Seine Wurzel ist die Idee des „deutschen Waldes“ als unverfälschter Landschaft, als Metapher heiler Heimat. Dieser unberührte Ort des Lernens, wo das Leben die beste Schule ist und wo man neue Kraft schöpfen kann, ohne den widerständigen Geist aufzugeben. Es ist diese Sehnsucht, den Jünger’schen Waldgang nicht nur symbolisch, als zur Widerständigkeit tauglicher Mensch, sondern ganz greifbar zu erleben, als späte Gerechtigkeit für Roseggers verlorene und alters wiedergewonnene Waldheimat.

Streifzug durch den Wald Diese romantisierte Vorstellung ist schon seit dem 19. Jahrhundert ein wiederkehrendes Motiv in der Kunst und der Literatur. Ihr Aufkommen war wohl nicht zufällig ein Echo der Nationalbewegungen der damaligen Zeit. Plötzlich sahen bürgerliche Städter den Bauern nicht als dreckigen Untertanen, sondern als gleichwertigen Volksgenossen, aus dessen Erfahrungsschatz im harten täglichen Kampf man Kraft für neue Taten schöpfen konnte. Tausende schwangen sich im Stil von Erzherzog Johann in die Krachlederne, entdeckten diesen Lebensraum für sich und erfreuten sich an den Verheißungen der durchaus lebensklugen Bauernschläue. Sogar die unwirtliche Bergwelt verlor den Bann des Ödlandes und wurde zur herausfordernden Riesenfamilie, der nach erfolgreichem Gipfelsieg ein Wetterkreuz auf das Haupt gestellt wurde, bei dem Nachfolgende Einkehr finden mochten. Was die Geburtsstunde des Tourismus im Gebirge und somit die Initialzündung für

36

die wirtschaftliche Entwicklung vieler Landstriche war, blieb gleichzeitig auch Gegenstand der Sehnsucht aller Konservativen: der Ort im Grünen. Wohl auf diesem Gebilde fußt die auch als Grundlage historischer Siedlergemeinschaften gefasste Überlegung, dass nur eine Entstädterung dem freien Geist zur Entfaltung verhülfe, während die Stadt prinzipiell nur zur Schaffung einer blinden, lenkbaren Masse tauge.

Die Stadt als Gestell Ganz anders verhielt es sich mit der politischen Linken, die schon seit Anbeginn ihr Heil in industrialisierten Städten suchte. Diese waren die Lebensrealität vieler Arbeiter, die sich den Traum vom Ursprünglichen nicht leisten konnten. Die Linderung der Not schien in einem blinden Fortschrittsglauben als einziger Weise des schöpferischen Entbergens zu liegen – dieser bildet, wenn man Heidegger zu Ende denkt, auch eine Wurzel, wieso vielen unter ihnen bis heute der Zugang zur Erkenntnis verstellt bleibt. Heute steht der Wunsch nach der Ursprünglichkeit somit auch im Konflikt mit dem kosmopolitischen, konsumorientierten Lebensstil vieler Linker, welche den Glauben an den Fortschritt zwar längst ideell kommunizieren, aber ihn immer noch mit dem urbanen Raum verknüpfen. Sie sind „Anywheres“, die überall und nirgendwo zu Hause sind, und selbst die Beliebtheit der Rückbesinnung steht ihnen im Weg, wenn sie in politischen Kategorien denken. Demgegenüber ist das Bewahren des Ursprünglichen immer noch ein Metier des Konservativen. Es ist erst der menschliche Grundwunsch nach Ruhe, der in Linken oft den Funken der Stadtflucht wieder aufleben lässt, weil auch sie keine Inseln sind. Die Verwerfungen des selbst ersonnenen und grandios gescheiterten „Schmelztiegels“ treiben sie in den Speckgürtel, wo alles noch entschleunigt und auch ursprünglicher ist und wo die Klassenkameraden der eigenen Kinder noch die gleiche Muttersprache pflegen. Aber sie sind auch in der Ruhe noch rastlos, und der Fortschrittsglaube weilt weiter in ihnen – und sie streben danach, den Stadtrand oder das Haus im Wienerwald in eine Mikrovariante jener Hölle zu verwandeln, aus der sie soeben entkommen sind. Ist das Weideland vor den Toren der Stadt abgegrast, so ziehen diese Schäfchen weiter.

Die Stadt als Bollwerk Diese Vorwärtsgewandtheit haben sie allzu vielen Konservativen voraus, deren Zug in die Weite oft eine Resignation anhaftet und eine Form des Weglaufens auf Raten. Egal, ob sie sich nach dem Deutschland der 1920er- oder 1950er-Jahre sehFR E I L I CH


E S S AY

nen, nach längst vergangenen vorromantischen Epochen, oder auch nur dem Zeitgeist das Berlichingen-Zitat entgegenzupfeffern belieben: Es ist für viele ein Rückzug ohne Strategie, eine innere Emigration ohne Einkehr. Entsprechend kam unlängst eine zweite Denkschule auf, die gerade die Städte als zu umkämpfende Kulturträger sieht, die auf keinen Fall aufzugeben sind – eine Art aktuelles „Heliopolis“. Sie sind jene Offiziere, die noch daran glauben, einen ideellen Kampf gegen den leer saugenden Nihilismus und Zerfall aufzubringen, der heute in all den austauschbaren Nicht-Orten auch visuellen Niederschlag findet. Das meint jene Ungetüme, mit denen moderne Architekten aus den Reihen der „Anywheres“ das vollbrachten, was kein Bombenhagel vermochte: den Städten den Charakter zu nehmen. Und irgendwo gibt auch ihnen die Geschichte etwas recht – denn über Jahrhunderte waren Städte stets die Epizentren der Macht. Akkader und Hethiter herrschten von prunkvollen Städten aus über ein Hinterland, dessen Bewohner sie oft sprachlich nicht einmal verstanden. PfahlbauStädte im Sumpf und im Wasser, wie Venedig oder Amsterdam, wurden zu Umschlagplätzen des weltweiten Handels, und auch Preußens Aufstieg zur Macht wäre nur aus dem Busen einer kargen Mark – ohne das herrschaftliche Berlin – undenkbar. Im Osten und im Süden Europas schafften es gerade deutsche Aussiedler, von Laibach bis Hermannstadt über Jahrhunderte wichtige Positionen zu bekleiden, obwohl sie die Menschen im Umland oft ebenso wenig verstanden wie tausende Jahre zuvor die Hethiter und Akkader. Die Städte waren ihr Bollwerk; Machtinstrument und -demonstration zugleich.

Der trojanische Landvogt Das Argument greift allerdings insofern zu kurz, als die Städte längst in den Händen des literarischen Landvogtes sind. In vielen großen Städten machen Zuwanderer und deren Nachkommen bereits ein Drittel oder die Hälfte der Wohnbevölkerung aus, Wien und Frankfurt/Main sind traurige Vorreiter. Linke Parteien sehen in ihnen ein reiches Wählerreservoir und bedienen dieses durch Aufstellung migrantischer Kandidaten aus den „Communities“, die keine genuin linke Politik wollen, sondern aus Sicht ihres Ethnos ziemlich identitäre. Die Männer des linken Landvogtes wiederum sitzen in allen Ämtern, Redaktionsstuben und in der Zivilgesellschaft und lachen sich ins Fäustchen. Ein Ankämpfen gegen den Zustand scheint ohne sicheres Lager zum Rückzug aussichtslos, wie ein Kampf gegen Windmühlen oder zumindest N ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

ein hartes Stück Sisyphosarbeit. Und auch hier hält die Geschichte eine passende Parabel bereit: Denn auch wenn das Byzantinische Reich so lange nicht fiel, wie es noch Konstantinopel befehligte, so gewannen die Osmanen ihren Kampf im Hinterland, und die Sache war mittelfristig verloren, als der Zugang zum Rohöl im Osten als Bestandteil der Wunderwaffe des „Griechischen Feuers“ verloren ging. Die Konzentration auf die belagerte Stadt hat zwar symbolischen Wert, aber am Ende droht man, neben dieser auch das bislang „sichere Hinterland“ zu verlieren – denn die „Anywheres“ werden, weil sie es sich leisten können, dieses zunehmend besetzen. Weniger aus Sehnsucht denn aus Pragmatismus – und sie werden ihre großstädtische, linke kulturelle Hegemonie mitnehmen. Abstrakte Kunst und Multikulti-Feste verdrängen den Landjugendball, und Villen der Globalisierungsgewinnler die ländliche Struktur. Der erschwingliche Baugrund schwindet dann und treibt die dortigen „Somewheres“ erst recht in die Plattenbauten der Städte, wo sie Gefahr laufen, in den werdenden Ghettos ausgetauschter Flächenbezirke keine neue widerständige Ortsidentität zu bilden, sondern im einen Fall selbst zu „Anywheres“ zu werden – und im anderen Fall zum neuen Prekariat, das zwischen wirtschaftlichem Lohnsklaventum und weltanschaulicher innerer Emigration in seiner entwurzelten Form eher zu ständiger Duckmäuserei als zum Widerstand mit der Mistgabel taugt. Selbst wenn dortige Verwerfungen sie mobilisieren, stehen sie einer sich immer weiter multiplizierenden Population Integrationsunwilliger gegenüber, die gleichsam als pseudoheilige Ersatz-Entrechtete weiter das Humankapital der zu diesem Zeitpunkt tatsächlich zum Landvogt gewordenen linken Schickeria bilden. Aus diesem Grund: Unterfucking darf nicht Eichgraben werden und Namlos nicht Sistrans.

WIDERSTAND

Timothy Snyder: Über Tyrannei. Zwanzig Lektionen für den Widerstand 127 Seiten, C.H. Beck Verlag, München 2017. ISBN 978-3-406-71146-6 A € 10,30 / D € 10,–

AUSWANDERN

Immer mehr Menschen kehren den politischen Verhältnissen im Westen den Rücken. Länder im Osten, etwa Ungarn, erfreuen sich zunehmender Beliebtheit: balaton-zeitung.info/8413/ ungarn-land-fuer-aussteigerund-anleger/

Rund um Marmorklippen Es bleibt also der strategische Rückzug ins Hinterland, der bei weiterer Bedienung der Jünger’schen Metaphern in seinen „Marmorklippen“ doppelt vorhanden ist. Zum einen ist es die Klause selbst, die neben der nötigen Abkehr auch ein Ort der Erkenntnis ist, dessen Exposition einen Ausblick erlaubt, wie man ihn sonst nur noch von Hlidskialf, dem Thron des nordischen Gottes Odin kennt. Sie symbolisiert im Ablauf gewissermaßen sowohl den bestehenden als auch den verlorenen sicheren Hafen. Sie findet sich aber erneut im Weggang nach Alta Plana, als die geliebte Klause schon in Brand steht – und in der neuen Heimat der Grundstein für Neues geschaffen wird. Das bekannte Leben

INNERES EXIL

Ernst Jünger: Der Waldgang 101 Seiten, Klett-Cotta, Stuttgart 2016. ISBN 978-3-608-96104-1 A € 13,40 / D € 12,95

37


E S S AY

in der Marina ist Sinnbild sowohl für die Stadt als auch für das Hinterland und verleiht somit beiden als strategischen Flecken des Kampfes der Ideen eine Legitimation. Der Verfechter der Stadt als Bollwerk wird die Marina als selbige deuten und ihre Verteidigung als Notwendigkeit in der Schaff ung von Neuem sehen, zumal sich die Vorfälle sonst andernorts ergeben hätten. Er ist sich gewiss, den Oberförster nur in der Stadt stellen zu können. Und der Verfechter des Hinterlandes wird darauf verweisen, dass die mutigste Verteidigung notwendig in der Zerstörung gipfeln musste und es ein sicheres Hinterland für die Flüchtigen nur deshalb gibt, weil es bereits Jahre zuvor ein widerständiges Bollwerk war, dem ein noch so verheerender Feldzug, in dem die Protagonisten noch für die andere Sache stritten, nichts anhaben konnte.

Streit in Stahlge(z)wittern

Julian Schernthaner Der 1988 in Innsbruck geborene studierte Sprachwissenschaftler lebt mittlerweile im Innviertel und ist Redakteur der Online-Zeitung „Die Tagesstimme“. Als Kenner alter Schriften und Kulturen schmökert er gerne zu harten Klängen in seiner ausgiebigen Bibliothek und erkundet mit Leidenschaft jeden versteckten Winkel der österreichischen Heimat.

Das Paradox ist freilich, dass der Wald hier bedrohlich auftritt – und der eigentliche Wald das Weideland ist. Es ist die Klause, während noch vermessen wird, und das Hinterland, wenn in der Marina schon die Fahne des Oberförsters weht. Heute bedroht der Wald Marina und Weideland zugleich. Beide Analogien auf die Stadt-Land-Frage vereint aber eines: die Notwendigkeit, selbst im drohenden Untergang seine Werte nicht zu verlieren. Es darf somit im strategischen Rückzug keine naive Hoff nung stecken, dass jede Sorge verschwinde, denn dieser verbrennt im Haus. Auch sollte der Weggang nicht die Deutung besitzen, dass tatsächliche Emigration eine Lösung sei: Sie bleibt auch in dieser Analogie eine Ultima Ratio – und ist zudem keine Wanderung in völliges Neuland, sondern in die Gefi lde eines sorgsam gehegten Verbündeten am wahrhaft igen Lande. Bestenfalls also ein Gang von West- nach Ostdeutschland – oder, wie im Falle meiner Wenigkeit, von Tirol ins Innviertel. Die sinnvollste Deutung ist also wohl eine Zwitterfunktion, welche die Bewahrung der Notwendigkeit der Verteidigung sowohl des zunehmend unsicheren städtischen Raumes als auch des Hinterlandes anerkennt. Jedenfalls: Im Kulturkampf lernt man gründlich, aber das Lehrgeld ist teuer.

Ein Rittergut als Leitbild Entscheidet man sich für dieses Hinterland, so hat man einige Grundentwürfe. Der inhärente Defätismus im Stil einer Wiederbelebung nur zum Selbstzweck dienender Siedlergemeinschaften nach dem Prinzip des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts ist ein Irrweg. Dafür gibt es taug-

38

liche Entwürfe für das „strategische Hinterland“ – das durchaus auch in Form eines widerständigen Dorfes auftreten kann. Eine gewisse Größe in diesem Raum stellt seit 19 Jahren etwa das rechtsintellektuelle Ehepaar Kubitschek dar. Als sie mit ihren Kindern auf das Rittergut Schnellroda zogen und die urbane Hektik gegen die strukturschwache Prärie tauschten, liefen sie nicht davon, sondern schufen einen Ort der Erkenntnis. Aus jener Trutzburg heraus betreiben sie den Verlag Antaios, der im gebildeten rechten Spektrum samt der aus demselben Hause stammenden Zeitschrift „Sezession“ den Goldstandard bildet. Zu den Sommer- und Winterakademien füllen sich die Räume des Rittergutes im konservativen „Osten“ mit jungen Menschen, die sich auch für Theoriearbeit begeistern. Gerade im Bereich der „Neuen Rechten“ gehört es zum guten Ton, irgendwann einmal in Schnellroda gewesen zu sein. Es ist ein Mythos, der erst durch seine Gesamtheit komplett wird – und als Entität auch für abwartend gesonnene Zeitgenossen besteht und somit nötige Anerkennung fordert. Ein etablierter Journalist schrieb einst in einer Mischung aus Faszination und Horror, es sei ein „großes freundliches Einfamilienhaus, ein wilder wuchernder Garten“. Und dort sei man subsistent: „Sie machen alles selbst, schlachten Enten, backen Brot, züchten Rote Bete. Kubitschek und Kositza haben sieben Kinder, das gehört ganz fest zur Beschreibungsformel dazu.“ Der Autor des Artikels versucht zwar entgegen eigener Behauptungen, das Ganze zur „deutschen Gruselgeschichte“ zu machen, aber der Versuch misslingt. Am Ende verfängt die „Pachtung des Anscheins der radikalen Ehrlichkeit, des Aussprechens ungemütlicher Wahrheiten, gepaart mit dem militärischen Ethos der Disziplin und einer eigentümlich ins Organische gewendeten Sprache, die klingt, als sei sie von schicksalshaften Gegenständlichkeiten diktiert“. Statt der Gruselgeschichte schildert er also den widerständigen Ort der patriotischen Sehnsucht. Nicht jeder wird ein Rittergut besiedeln, und es muss auch nicht jeder die Selbstversorgung mit Wissen und alltäglichen Gütern liefern. Aber: Für jene, die sich in dieser Realität wohlfühlen, ist es ein logischer Ort, von dem eine ganze Denkschule profitieren kann. Der Nächste besitzt andere Qualitäten und liefert die Früchte geschickten Handwerkes. Fest steht: Wer im Streit um Deutungshoheit nicht nur die Wende, sondern die Kehre schaffen will, darf sicheres Hinterland nicht durch Vernachlässigung der Unsicherheit preisgeben. RE


E S S AY

Das Magazin für Selbstdenker – jetzt abonnieren!

„Haltungsjournalismus? Nicht mir mir.“ Fakten, Reportagen, alternative Meinungen und mehr e e o a F E CH aga Bestellung auf www.freilich-magazin.at

FREILICH

POLITIK

N o 10

FREILICH

Interview: Der Philosoph Alain de Benoist über Rechtspopulismus und das Volk als Souverän. S. 10 Interview: Der Schriftsteller Thor W I R T S C Hrechte AFT Kunkel über Berufsverbote, Politik und die Lügenpresse. S. 10 Die große Umverteilung POLITIK „Corona“ bringt große Eingriffe in Interview: Mission Terror. R E Pund O R Theiliger AGE die Gesellschaft. S. 46 Irfan Peci klärt auf Gefahren Sindüber kurzdie weg Europa. des Islamismus für S. 10 Ö SKurz T E R Europa R E I C H in WieEuropa Bundeskanzler DAS MAGA ZIN FÜR SELBSTDENKER WIRTSCHAFT den Stillstand geschickt hat. S. 44 Der Burschen alte Herrlichkeit R E P O R TAG E Ausgabe No 10 / 2020 Interview: Kommt die Krise, oder Welche politische Rolle spielen freilich-magazin.at � Ö & DE: € 13,00 / CHF 13,00 Unter Menschenjägern: WISSENSCHAFT kommt sie nicht? Erfolgsautor Max Burschenschaften wirklich? S. 54 D A S M A G A Z I N F Ü R S E L B S SEPTEMBER TDENKER Die Antifa nimmt es ganz persönlich. 2020 Otte über den Systemcrash. S. 10Der Vater seiner Gänse Ausgabe No  / 2020 Extremisten gegen die Freiheit. S. 30 Genialer Biologe und Kulturkritiker: freilich-magazin.at � Ö & DE: € 13,00 / CHF 13,00 SCHWERPUNKT POLITIK Konrad Lorenz im Porträt. S. 76 CORONA JULI 2020 DAS MAGA ZIN FÜR SELBSTDENKER Das trojanische Pferd: Virus-Krise mit Folgen: Was die Grünen Die zur echten Gefahr Ausgabe No  / 2020 S C H W Eauf R Puns U N Kalle T POLITIK Wie sich der Stillstand www.freilich-magazin.at � Ö & DE: € 13,00 / CHF 13,00 für die Demokratie macht. S. 44 auswirken wird. S. 40 Interview: Medientheoretiker Norbert APRIL 2020 Bolz über Selbstzensur des Mainstreams K R I M I N A L I TÄT DAS MAGA ZIN FÜR SELBSTDENKER und gegen übles Geschwätz. S. 10 Wie kriminell dürfen SCHW E R P U N K sein? T Ausländer Ausgabe No  / 2020 Wie die Statistiken aus politischen www.freilich-magazin.at � Ö & DE: € 13,00 / CHF 13,00 REPORT Gründen geschönt werden. S. 100 FEBRUAR 2020 Die endlose Geschichte Warum die FPÖ-Historikerkommission CHWERPUNKT stets zum Scheitern verurteilt ist. S.S58 GESELLSCHAFT

Freilich will ich ein Abo. Ich bestelle 6 Ausgaben als

N o 09

FREILICH N o 05

fpoe.at

DEUTSCHLAND

DAS MAGA ZIN FÜR SELBSTDENKER

Wirtschaft gegen Nationalstaat: Warum Rot-Grün das angelsächsische Kapitalismusmodell umsetzen. S. 80

BE ND REIT SI

19

CH

20

EI

WIR

SCHWERPUNKT

R ÖSTERR

Österreich

gierung wurde endlich wieder für die österchobene Reformen wurden von uns auf erfolgt werden.

er Grenzen und für einen wirksamen Opferschutz

telle eines unverständlichen Schutzes von Tätern

orgt. Das muss auch weiterhin sichergestellt sein.

betrug

kommenspolitik. Darüber hinaus tritt die FPÖ einer

eren Islamisierung entgegen und will dem politi-

en Islam keinen Raum mehr geben.

stolzen Traditionen schützen und bewahren will.

WirWir basteln schaffen uns eine dasKrise Unpopulär Ausgabe No 5 / 2019

www.freilich-magazin.at � Ö & DE: € 13,00 / CHF 13,00

für € 76,– / Jahr (DE € 85,–)

Sozial-Abo*

Förder-Abo

für € 49,– / Jahr (DE € 58,–)

für € 152,– / Jahr (DE € 161,–)

Erscheinungsweise zweimonatlich / 6 Ausgaben im Jahr. Das Abo verlängert sich bis auf Weiteres um den angegebenen Zahlungszeitraum zum gültigen Bezugspreis, wenn es nicht vier Wochen vor Ablauf schriftlich gekündigt wird. * Für Schüler, Studenten, Wehrdiener ist ein Nachweis zu erbringen.

AUGUST 2019

Der kurze Sommer des Rechtspopulismus ist vorbei. Manche der Parteien brechen ein. Das Establishment macht zu. Doch politische Veränderung ist wichtiger denn je.

Alle auf die Knie! Denkmäler stürzen! Establishment und KonGlobalisierung, zerne sind die Revolution! Ein Nahversorgung,Wie unsere heile Welt Land kriegt keine Luft mehr! Weltencrash und aus den Fugen gerät Nulldefizit. Arbeiter, Die etablierten Medien und wir sie stets neu Angestellte und verlieren das Vertrauen ihrer bauen müssen. Konsumenten. Kann eine Unternehmer. Wir neue Gegenöffentlichkeit sind Wirtschaft. die Lücke füllen und aus der Sackgasse der politischen World Press Photo 2020 – Das sind die besten Pressefotos des letzten Jahres S. 60 Korrektheit ausbrechen?

²0

Wir sind so frei!

Vorname

Nachname

rechts

Schöne neue Welt

Fotoreportage – Alles im Fluss: vom Delta der Donau bis zur Schallaburg S. 66

Straße PLZ

Hausnr./Stiege Wohnort

Land

Reportage Lesbos – So explosiv ist die Lage auf der Flüchtlingsinsel S. 76

Fotoreportage: Syrien – Hilfe vor Ort. Wie Heimkehrer eine neue Heimat finden. S. 68

zu uns kommt, der hat sich an unseren Werten

Normal-Abo

unserer Kultur zu orientieren – nicht umgekehrt.

Telefon

E-Mail

eimat fortsetzen. „Game of Drones“ – Die Geschichte der Drohnen in Krieg und Frieden S. 64

Ich will FREILICH verschenken:

Geschenk-Abo

Ausfüllen

Lieferanschrift des Abo-Empfängers

Rechnungsanschrift

Fotografieren

Vorname

Absenden

Straße

E-Mail

abo@freilich-magazin.at

PLZ

Adresse

Aboservice Freilich Medien GmbH Mandellstraße 7 8010 Graz Österreich

Datenschutzhinweis: Ich bin einverstanden, dass mir schriftlich, per E-Mail oder telefonisch weitere interessante Angebote der Freilich Medien GmbH unterbreitet werden und dass die von mir angegebenen Daten für Beratung, Werbung und zum Zweck der Marktforschung durch den Verlag gespeichert und genutzt werden. Vertrauensgarantie: Eine Weitergabe meiner Daten an andere Unternehmen erfolgt nicht. Meine Einwilligung kann ich jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen.

Online

www.freilich-magazin.at

N ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

Datum

Nachname Hausnr./Stiege Wohnort

Land

Unterschrift

39


Foto: shutterstock.com / 1754105489

R E P O R TAG E

Manchmal mag das Bild verschwimmen – aber die blaue Blume der Freiheitlichen ist die Kornblume, ein Symbol aus dem 19. Jahrhundert.

40

RE


R E P O R TAG E

Das Dilemma der Dritten Kraft Entweder ganz draußen oder zu weit drinnen: Die Geschichte der freiheitlichen Politik in der Zweiten Republik ist von exorbitanter Dynamik. Höchste Zeit für eine stabilisierte Partei. VON ELMAR PODGORSCHEK

N

ach dem Scheitern der türkis-blauen Regierung und ihrer Auflösung am 21. Mai 2019 wird wieder einmal von kritischen Journalisten, „wohlmeinenden“ Beratern, Politologen und vom politischen Mitbewerber die These in den Raum gestellt, das Dritte Lager bzw. dessen politische Vertretung, die FPÖ, seien nicht regierungsfähig, mit ihnen sei „kein Staat zu machen“. In diesem Dilemma steckt die Dritte Kraft seit Beginn der Zweiten Republik, dem Jahr 1945. Es hat sich an dieser Argumentation im Laufe der vergangenen 75 Jahren nichts geändert. Der Grundstein für diese Argumentationslinie wurde 1945 gelegt, als sich Rot und Schwarz diese Republik in ihre Einflusssphären aufgeteilt haben. Noch heute können wir diese Anachronismen erkennen, wenn man an die Parteiifizierung unterschiedlicher Bereiche im öffentlichen und privaten Leben denkt. Österreich leistet sich z. B. den Luxus von zwei Autofahrerklubs und drei großen Sportverbänden. Beinahe alle Facetten der Freizeitaktivitäten wurden in die jeweiligen politischen Sphären aufgeteilt. Zusätzlich wurden noch Relikte aus dem Ständestaat in die Zweite Republik übernommen, wie das weltweit einmalige Kammerwesen mit seiner Zwangsmitgliedschaft. In den Bundesländern ist das Bildungswesen fest in der Hand der jeweiligen Landeshauptmannpartei. Eine

N ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

41


R E P O R TAG E

Das Elend der Freiheitlichen ist, sich immer wieder Regierungsverantwortung erkämpfen zu müssen während alle anderen gegen sie sind.

DER MINISTER

Kein anderer Politiker in Österreich wurde so gehasst, gefürchtet und bekämpft wie Herbert Kickl. Werner Reichel Kickl muss weg Frank & Frei, Wien 2019, 250 S. ISBN 978-3-903236-28-8 A € 17,90 / D € 17,90

parteipolitische Unterwanderung der Verwaltung, der unabhängigen Justiz, der Exekutive, des Bundesheeres und der Universitäten ist keine Verschwörungstheorie, sondern entspricht der österreichischen Wirklichkeit. Jede Person, die sich in diesen Bereichen einmal für höhere Positionen beworben hat, kann ein Lied davon singen. Es gäbe noch unzählige Beispiele, um die Vereinnahmung des Staates durch diese beiden Parteien zu untermauern. Das alles wird mittlerweile als „gottgegeben“ und selbst von linken kritischen Medien und sich selbst deklarierenden Intellektuellen einfach hingenommen. Von Beginn an setzten nach Errichtung der Zweiten Republik Vertreter von SPÖ und ÖVP alles daran, das nationalfreiheitliche Lager auszugrenzen und von der politischen Verantwortung fernzuhalten. Natürlich kam ihnen die Verstrickung mancher Exponenten dieses Lagers mit dem NS-Regime entgegen, um diese Ausgrenzung auch argumentieren zu können. Andererseits scheute man sich nicht, um die Stimmen der „Ehemaligen“ zu buhlen. Höhepunkt war der Präsidentschaftswahlkampf 1957 des SPÖ-Vizekanzlers Adolf Schärf gegen den bürgerlichen Chirurgen Wolfgang Denk. Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes hat dies in der Chronologie „Die SPÖ und ihre braunen Wurzeln“ dokumentiert.

Drei Parteien, eine gemeinsame Geschichte Retrospektiv betrachtet kann keine politische Richtung jedoch mit Fug und Recht behaupten, sie hätte keine autoritären Fehlentwicklungen in ihrer Geschichte gehabt. Ein Großteil der ehemaligen Nationalsozialisten wurde reingewaschen, indem sie bei den damaligen Regierungsparteien untergetaucht sind. Selbst der legendäre Bundeskanzler Bruno Kreisky hatte nicht die geringsten Bedenken, sechs ehemalige Nationalsozialisten, davon drei aus dem BSA (Bund Sozialdemokratischer Akademiker), in sein Kabinett (u. a. Landwirtschaftsminister Johann Öllinger) zu berufen. Auf lokaler und Landesebene gab es ebenfalls unzählige ehemalige Nationalsozialisten, die sich bei der ÖVP engagierten, um damit pardoniert zu werden. Sie galten

42

dann als geläutert und waren somit wieder lupenreine Demokraten. In der Ersten Republik waren die Nationalfreiheitlichen jedoch ein fixer Bestandteil des politischen Lebens und wirkten entscheidend an der Gestaltung des politischen Lebens mit. Franz Dinghofer hat am 12. November 1918 als Präsident der Provisorischen Nationalversammlung die Republik Deutsch-Österreich ausgerufen. Der ehemalige Wiener Polizeipräsident Johann Schober war zu Beginn der 1920er-Jahre anerkannter Politiker und auch kurzzeitig Bundeskanzler. Eine gedeihliche Zusammenarbeit des bürgerlichen Lagers war durchaus gegeben, um nur einige Beispiele zu nennen. Erst die Ausschaltung des Nationalrates durch Vertreter der Christlichsozialen unter Engelbert Dollfuß hat in Folge diese Zusammenarbeit nachhaltig gestört. Der großdeutsche 3. Präsident des Nationalrates, Sepp Straffner, wollte noch den Nationalrat einberufen und somit den Weg in die Diktatur verhindern, wurde jedoch daran gehindert. Nach 1945 hat der Sozialdemokrat Bruno Kreisky diesen Bann gebrochen und damit das Kabinett Sinowatz/Steger ermöglicht.

Freiheitliche Basis gegen die Partei Leider ist es nicht gelungen, die Basis auf diesem Weg mitzunehmen. Einerseits waren ein Großteil der Funktionäre nicht auf eine Regierungsbeteiligung eingestellt, andererseits hatte der Parteiobmann Norbert Steger von Anfang an nicht den nötigen Rückhalt. Auch die Mandats- und Mehrheitsverhältnisse waren nicht dazu geeignet, eine freiheitliche Handschrift erkennen zu lassen. Der damals junge und dynamische Abgeordnete zum Nationalrat Jörg Haider hat dies erkannt und am legendären Parteitag 1986 in Innsbruck den Sturz der Parteiführung herbeigeführt. Die Sozialdemokraten unter Franz Vranitzky haben wahrscheinlich auch aufgrund von persönlichen Animositäten die Regierung platzen lassen und eine neuerliche Ausgrenzung der FPÖ eingeleitet. In die Geschichte wird diese Ausgrenzung durch die Sozialdemokratie als „Vranitzky-Doktrin“ eingehen. Ob sich damit die SPÖ selbst einen Gefallen getan hat, wird sie auch selbst beFR E I L I CH


Foto: imago images / teutopress

R E P O R TAG E

Hat die Freiheitlichen von einer Honoratiorenpartie zu einer Volkspartei umgevolkt: Jörg Haider.

urteilen müssen, da sie sich auf Gedeih und Verderb der ÖVP ausgeliefert hat und keine andere Regierungsoption für sie möglich wurde. Eine Koalition mit den Grünen scheint in Österreich aufgrund der Wählerstruktur in absehbarer Zeit kaum zustande zu kommen. Nach dem Scheitern der unbeliebten Großen Koalition 1999 riskierte Wolfgang Schüssel eine erstmalige Koalition der ÖVP mit den Freiheitlichen. Ein entscheidender Fehler von Anbeginn war, dass sich Jörg Haider nicht selbst in die Regierung begab, sondern sich lieber auf seine Funktion als Landeshauptmann von Kärnten zurückzog. Zum einen schickte er nicht immer geeignete oder im freiheitlichen Lager fest verwurzelte Personen in das Regierungsteam, und zum anderen hat er mögliche Fehlentwicklungen aus Kärnten ständig kommentiert und damit in Folge eine Parteispaltung provoziert. Die ÖVP hat jedoch auch alles darangesetzt, ihren Regierungspartner zu schwächen und Krisen auszunutzen, nur um einen kurzfristigen Erfolg zu erzielen. Dies hat bei vielen freiheitlichen Funktionären Narben hinterlassen und ist bis heute noch im kollektiven Gedächtnis präsent.

Die ÖVP als Partner Eine Parallele zu den Ereignissen nach Veröffentlichung des Ibiza-Videos und dem Sturz von Türkis-Blau ist durchaus wieder erkennbar, auch diese Vorgehensweise hat wahrscheinlich auf Jahre hinaus ein tiefes Unbehagen und Skepsis der ÖVP gegenüber bewirkt. Die letzte Regierung war bis zu ihrem Scheitern äußerst erfolgreich, hatte hohe Zustimmungsraten bei der Bevölkerung und wurde nicht nur wegen des unverzeihlichen Ibiza-Videos aufgelöst; vielmehr gab es eine Vielzahl von Kräften, die eine Mitte-rechts-Zusammenarbeit zu Fall bringen wollten. Angefangen von den Linksparteien bis zu den Großkoalitionären in der ÖVP und Seilschaften des Innenministeriums, denen Herbert Kickl, dem Ikarus gleich, zu nahe an die Sonne gekommen war. Die Gefahr wurde zu groß, dass er zu viele Machenschaften aufdecken könnte. Frühzeitig haben SPÖ und ÖVP erkannt, dass die sogenannte Vierte Säule der Demokratie, die Medien, immer mehr Einfluss auf das politische Geschehen nehN ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

men wird. Eine unabhängige Medienlandschaft gibt es in Österreich deshalb schon lange nicht mehr oder hat es wahrscheinlich nie richtig gegeben. Mittlerweile sind die Medien der verlängerte Arm des „Deep State“, indem sie entweder alles von den Freiheitlichen Kommende ignorieren oder bis aufs Äußerste bekämpfen. Gegenwärtig ist die Medienlandschaft geprägt von finanzieller Abhängigkeit von Regierungsinseraten und der Presseförderung. In dieser Situation ist die „Message Control“ ein relativ leichtes Spiel. Dem Dritten Lager zugeneigte Medien gibt es mit wenigen Ausnahmen nicht, und es ist auch in 75 Jahren nicht gelungen, diese aufzubauen. Manche unbedachte, verantwortungslose Aussage in dieser Hinsicht von HC Strache im Video ist auf diesen Umstand zurückzuführen. Das Dilemma der Freiheitlichen ist es, sich immer wieder Regierungsverantwortung erkämpfen und diese vor allem auch halten zu müssen, weil alle maßgeblichen Kräfte in der Republik vieles daransetzen werden, diesem Lager diese Fähigkeit abzusprechen.

Scheitern an sich selbst Die Freiheitlichen sind in den letzten Jahrzehnten jedoch nicht immer nur am Gegner gescheitert, sondern leider auch an sich selbst. Charismatischen Führungspersönlichkeiten ist es nach Rückschlägen stets gelungen, dieses Lager zu einen und zu ungeahnten Höhen zu führen. Leider haben sie oftmals die Bodenhaftung und den Blick für das Wesentliche verloren. Erschwerend kommt hinzu, dass sie meistens Hofschranzen um sich scharen, die eine kritische Auseinandersetzung mit Fehlentwicklungen be- bzw. verhindern. Die nach außen gezeigte Einigkeit ist oft sehr fragil, und der Weg wird dann verlassen, wenn ein politisches oder mediales Stahlgewitter im Anzug ist. Die Bruchlinien machen sich dann bemerkbar, wenn die Gefahr droht, man könnte aus der Regierungsverantwortung geworfen werden. Schließlich neigt der Mensch zur Harmonie, will gerne Anerkennung und jeglichen Konflikt vermeiden. Gerade die in jüngster Vergangenheit ständigen Distanzierungen von den großteils unberechtigt kritisierten Einzelfällen geben ein umfangreiches Zeugnis ab. Es muss die Erkenntnis durchdringen, dass

43


CATO

CATO

MAGAZIN FÜR NEUE SACHLICHKEIT

Blick in das Heft 5 | 2020

Die Aufklärung frißt ihre Kinder

M AG A ZI N FÜR NEUE SACH LICH KEIT

Der Schlaf des Glaubens

Die Gottspieler

von Theodore Dalrymple

von Marco Gallina

von Bruno Bandulet

In Paris sind die brutalen Manifestationen der modernistischen Architektur unübersehbar geworden. Auf der nach unten offenen Häßlichkeitsskala nimmt die französische Hauptstadt inzwischen einen Kellerplatz ein.

Seit dem II. Vatikanischen Konzil ist Franziskus nicht der erste Papst, der mit dem Amt eines UNOGeneralsekretärs zu liebäugeln scheint. Aber Jorge Bergoglio ist der erste, der das radikale linke Weltrettungsprogramm offen verfolgt.

Minuszinsen, Geldvermehrung und Schuldenwahn: Die Allmachtsphantasien vor allem der westeuropäischen Regierungen und Notenbanken folgen offensichtlich dem Prinzip »nach uns die Sintflut« und können darum kein gutes Ende nehmen.

No. 5 | 2020

Der Verrat der Architekten

Exklusiv für Sie! Eine Ausgabe gratis

No. 5 | 2020

Die Aufklärung frißt ihre Kinder Militanter Antirassismus und der Angriff auf unsere Demokratie ab Seite 15

Interview mit dem Tod: »Ich bin die Trennung von Leib und Seele« Seite 43

Wiederbelebung des christlichen Kaisertums: Wilhelm II. in Rom Seite 82

Sichern Sie sich als Leser des Magazins Freilich Ihr Exklusiv-Angebot! Senden Sie uns eine E-Mail mit Ihren Kontaktdaten unter dem Stichwort »Freilich« und erhalten Sie das aktuelle Heft kostenlos als Leseprobe. E-Mail: leserdienst@cato-verlag.de www.cato-magazin.de/bestellen

Datenschutzhinweis Ja, ich bin damit einverstanden, daß die von mir oben angegebenen Daten zur Durchführung Ihrer Dienstleistung und zum Erhalt von Angeboten aus Ihrem Haus und mit Ihren verbundenen Unternehmen (z.B. Druckereien) gespeichert und genutzt werden. Weitere Informationen zum Datenschutz finden Sie auf cato-magazin.de/datenschutz

+49 . 030 . 81 09 67 80 oder +49 . 0511 . 51 53 70 18

Die Vierteljahresschrift T UMULT ist heute für rechte Intellektuelle das, was Enzensbergers KURSBUCH 1968 für die Linke war. Brillante Essays, Forschungen und Tiefengrabungen im Zeitgeist … Matthias Matussek, Tichys Einblick

C

M

Y

CM

MY

CY

CMY

In den Presseshops auf Bahnhöfen und Flughäfen und im Buchhandel 112 Seiten • € 10,00 (D), € 10,50 (A), SFR 12,00 (CH)

K

Ein Jahresabonnement (4 Hefte) ist bestellbar über www.tumult-magazine.net/abonnement oder tumult-abo@gmx.de und kostet einschließlich Versand: € 40,00 in Deutschland und € 48,00 in anderen Ländern. AbonneBitte geben Sie an, mit welcher Ausgabe das Abonne ment beginnen soll.


es nicht um politische Hygiene geht, sondern nur darum, das Dritte Lager kleinzuhalten und zu schwächen. Dabei werden auch noch so viele Historikerkommissionen keine Umkehr bewirken können. Diese Schwäche hat der politische Gegner rasch erkannt und deshalb diese Kampagnen gestartet. Dabei ist es unerheblich, wer die Verursacher dieser Verleumdungen sind. Selbst die politische Falle, in die HC Strache tappte, spielt in der öffentlichen Wahrnehmung nur mehr die Rolle einer peinlichen Aktion. Die Beweggründe für das Zustandekommen dieser Videofalle werden nicht infrage gestellt. In Wirklichkeit war es, unabhängig vom peinlichen Inhalt, ein politisches Attentat mit äußerst unlauteren, kriminellen Mitteln.

Das zerrissene Spektrum Das Dritte Lager ist leider immer wieder hin- und hergerissen in dem Willen, sich politisch an der Gestaltung unseres Staates zu beteiligen und dabei trotzdem weiter an den Idealen der bürgerlichen Revolution von 1848 festzuhalten. Für aufrechte Demokraten kann es nur das Ziel sein, sich im täglichen, politischen Leben einzubringen und eine wahrhaft liberale Demokratie weiter auszubauen. Das darf jedoch nicht um den Preis der Selbstaufgabe erfolgen. Eine Aufgabe dieser Ideale fordern ständig die Vertreter anderer Parteien, damit die Freiheitlichen aus ihrer Sicht regierungstauglich werden und vor allem Teil des Verfassungsbogens oder des Mainstreams werden. Diesen Schalmeienrufen hat man als Politiker der Freiheitlichen zu widerstehen. Wer selbst einmal politische Ämter innehatte, weiß, wie schwer dieser Spagat oft zu bewältigen ist. Es ist jedoch machbar. Man darf freiheitliche Tugenden nicht verraten, muss sachlich in der Arbeit und emotionell in der Verteidigung der Ideale sein. In den kommenden Jahren werden Freiheitliche wahrscheinlich nicht mehr in einer Bundesregierung vertreten sein. Es wird aber möglich sein, der Bevölkerung zu beweisen, dass freiheitliche Politik sehr wohl von anständigen, idealistischen Menschen gestaltet wird. Die letzten Monate der freiheitlichen Regierungsbeteiligung haben das, trotz aller negativen Kampagnen, eindeutig unter Beweis gestellt. Selbst ein Sebastian Kurz hat ständig betont, dass er den Mitte-rechts-Kurs fortsetzen wolle. N ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

Wie aktuell und zeitlos freiheitliche Positionen sind, zeigt der Erfolg der Türkisen. Kurz hat vor der letzten Wahl wesentliche Punkte des FPÖ-Programms übernommen und in Folge die Wahl gewonnen. Einem Teil der Wähler kam das durchaus gelegen, da sie mit gutem Gewissen diese Politik bestätigen konnten, ohne ins „rechte Eck“ gedrängt zu werden. Wie jedoch eine Fortsetzung dieses Kurses ohne freiheitliche Partner erfolgen kann, ist ein Rätsel. Eine Abkehr mit dem grünen Partner zeichnet sich bereits jetzt ab. Wahrscheinlich wird er aus diesem Traum noch erwachen, wenn durch den Lockdown unsere Wirtschaft nachhaltig geschädigt ist und die Bevölkerung erkennen muss, dass sie mittels „Message Control“ und geschickten Marketings gehörig hinters Licht geführt wurde. In vielen Gemeinden und Ländern, allen voran Oberösterreich, wird mit freiheitlichen Beteiligungen weiterhin hervorragende Arbeit geleistet. Darauf kann man aufbauen und positiv in die Zukunft blicken.

Das Lager als Kraft Es liegt auch wie so oft am Umfeld bzw. am harten nationalfreiheitlichen Kern, jetzt nach vorn zu blicken und vergangene Fehler wie die ständigen Distanzierungen zu vergessen, um einen weiteren Absturz zu verhindern. Ohne politischen Arm stehen auch alle Vereine und Korporationen im Dritten Lager dauerhaft auf verlorenem Posten. Es sei denn, man gibt sich mit der Traditionspflege auf den Buden zufrieden. Das ist jedoch nicht der Auftrag, den uns unsere Vorfahren mitgegeben haben. Die Hände jetzt in den Schoß zu legen und aus der ersten Reihe fußfrei zu kritisieren, wäre in Anbetracht der großen zukünftigen Herausforderungen der falsche Weg. Globale Fehlentwicklungen der letzten Monate zeigen eindeutig auf, wie wichtig patriotische, liberalkonservative Bewegungen sind. Die Dystopie „1984“ von George Orwell ist längst Realität geworden. Totalitäre Demokratien sind dank der modernen Jakobiner im Entstehen. Der im 19. Jahrhundert mühsam erkämpften Freiheit der Bürger droht massive Gefahr. Bereits Dante Alighieri hat hierzu in seinem Werk „Göttliche Komödie“ (Teil eins: Inferno / Die Hölle) die richtige Antwort gegeben: „Die dunkelsten Plätze der Hölle sind reserviert für diejenigen, die sich in Zeiten einer moralischen Krise heraushalten wollen.“

R E P O R TAG E

Man darf freiheitliche Tugenden nicht verraten, muss sachlich in der Arbeit und emotionell in der Verteidigung der Ideale sein.

Elmar Podgorschek Nicht nur die Theorie, sondern auch die wirtschaftliche Praxis ist ihm vertraut, seit er dem familieneigenen Fachhandel lange Jahre als geschäftsführender Gesellschafter vorstand. Schon als junger Mann war Podgorschek politisch aktiv und absolvierte Stationen der politischen Laufbahn für die Freiheitlichen über den Gemeinderat der Stadt Ried am Inn, den Bundes- und den Nationalrat. Bis zu seinem Rücktritt im Mai 2019 war der dreifache Familienvater und stolze Großvater als Landesrat für Sicherheit Mitglied der oberösterreichischen Landesregierung.

45


WIRTSCHAFT

Die große Umverteilung „Corona“ war für unsere Volkswirtschaften ein einschneidendes Erlebnis. Die Zeit nach dem Virus wird Umverteilungen an allen Ecken sehen.

D

VON ROMAN HAIDER

arf ’s ein bisserl mehr sein?“ – Dieses alte Motto heimischer Fleischhauer scheint in der Corona-Krise auch in der Europäischen Union zu gelten. Fast schon im Wochentakt kommen neue Vorschläge auf den Tisch, die vor allem eines beinhalten: noch höher dotierte Corona-Hilfsfonds für die angeschlagenen Volkswirtschaften der EU oder, besser gesagt: für die „besonders betroffenen Volkswirtschaften“. 500 Milliarden Euro (Merkel-Macron-Vorschlag), 750 Milliarden Euro (Vorschlag der EU-Kommission) oder zwei Billionen Euro (Europaparlament): Während also über die konkreten Zahlen noch eifrig diskutiert wird, ist zumindest der Kreis der Empfängerstaaten bereits definiert. Italien, Spanien und Frankreich sollen als besonders betroffene Staaten den Löwenanteil dieser Hilfen in Empfang nehmen. Doch woher soll all das viele Geld kommen?

Die EZB als mobiles Einsatzkommando Die erste Antwort auf diese Frage wurde bereits von der Europäischen Zentralbank gegeben. Diese Institution, deren Macht und Einfluss seit Einführung des Euro vor 20 Jahren stetig gewachsen sind, hat die Möglichkeit, Geld zu schaffen. Eine Möglichkeit, von der die EZB bereits bisher ausgiebig Gebrauch gemacht hat. Der ehemalige EZB-Chef Mario Draghi hat dabei

46

die Marschrichtung vorgegeben: „Whatever it takes“ – was immer nötig ist. Gemeint ist damit das milliardenschwere Anleihenkaufpaket der EZB, das der Italiener in weiterer Folge ins Leben gerufen hat. Seit 2012 hat die EZB Staats- und Unternehmensanleihen im Wert von mehr als 2.600 Milliarden Euro erworben, größtenteils von Krisenstaaten. Gleich zu Beginn der Coronakrise ist Draghis Nachfolgerin Christine Lagarde in seine Fußstapfen getreten und hat den weiteren Ankauf von Anleihen im Wert von 750 Milliarden Euro angekündigt. Mit dieser schnellen Reaktion hat sich die EZB erneut als mobiles Einsatzkommando zur Stützung maroder Eurostaaten positioniert. Um diese Maßnahme der verdeckten und damit eigentlich satzungswidrigen Staatsfinanzierung durch die Notenbank zu rechtfertigen, muss die EZB zu einem kleinen Trick greifen. Die Aufgabe der EZB ist die Preiswertstabilität; dazu soll die Inflationsrate in der Eurozone bei ungefähr zwei Prozent stabilisiert werden, was laut Statistik in den letzten Jahren nur 2018 fast erreicht wurde. Damit trage, so die Begründung der EZB, das Anleihenkaufprogramm sowie die damit verbundene Geldschwemme zur Anhebung der Inflation bei – und das Handeln der EZB sei durch deren Kernaufgabe gedeckt. Das eigentliche Instrument von Notenbanken zur Beeinflussung der Geldmenge und damit der Inflation, der Leitzins, ist beRE


WIRTSCHAFT

Wieder einmal zeigt sich, dass die Verfechter eines europäischen Zentralstaates alles daran setzen, die Krise für ihre Agenda zu nutzen.

reits seit einiger Zeit ausgereizt, der Hauptrefinanzierungssatz liegt seit 2016 bei null Prozent. Damit befördert die EZB jedoch massiv die Inflation in einem Sektor, der alle Europäer direkt betrifft: am Immobilienmarkt. Nachdem aufgrund der niedrigen Zinsen herkömmliche Anlageformen wie Anleihen immer unattraktiver werden, fliehen viele Anleger in das sogenannte Betongold. Die Immobilienpreise steigen damit rapide an, Mieten werden teurer, Immobilienblasen entstehen. Gleichzeitig werden durch die günstigen Kredite auch Unternehmen künstlich am Leben erhalten, die kaum oder gar nicht mehr profitabel sind. Dieser Effekt wird sowohl durch die Anleihenkaufpolitik der EZB, die auch Unternehmensanleihen umfasst, als auch durch die zu erwartenden Corona-Hilfen verstärkt.

Die Vergemeinschaftung der Schulden Gerade stark verschuldeten Staaten kommt nicht nur das Anleihenkaufprogramm, sondern auch der niedrige Zinssatz sehr zugute. So hatte Italien im Jahr 2016 beispielsweise einen Primärüberschuss von über 25 Milliarden Euro, die Einnahmen des Staates überstiegen dessen Ausgaben sehr deutlich. Die Zinsausgaben betrugen jedoch über 66 Milliarden Euro, sodass unterm Strich ein Minus von satten 40 Milliarden Euro stand. Es ist deswegen wenig verwunderlich, wenn sich gerade Italien nicht erst seit der Corona-Krise für gemeinsame Anleihen einsetzt, egal, ob sie als Euro- oder Coronabonds tituliert werden. Ein ähnliches Interesse treibt Frankreich an, dessen Banken neben der EZB zu den größten Gläubigern der Italiener zählen. Dass eine gemeinsame Schuldenaufnahme zwar für die eine Seite niedrigere, für die andere jedoch höhere Zinsen bedeutet, liegt dabei auf der Hand. Und genau das ist einer der Kernpunkte aller Vorschläge, sei es der Merkel-MacronPlan, der Kommissionsvorschlag oder die N ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

Resolution des Europaparlamentes. Damit soll die Krise genutzt werden, um endlich über den Umweg der EU gemeinsame Schulden aufnehmen zu können. Dass diese gemeinsame Schuldenaufnahme wirklich zeitlich begrenzt ist, wie zur Beruhigung der nord- und mitteleuropäischen Staaten angekündigt, darf bezweifelt werden. So wurde bereits aus dem zeitlich begrenzten Euro-Stabilisierungsinstrument EFSF die Dauerinstitution des ESM. Eine weitere Gemeinsamkeit, die sich wie ein roter Faden durch alle Vorschläge zieht, ist die Einführung eigener EU-Steuern. Bisher ist die EU fast ausschließlich von den Mitgliedsbeiträgen der Nationalstaaten abhängig. Gerade jene, die für die Weiterentwicklung der EU von einem Staatenbund hin zu einem Bundesstaat eintreten, fordern seit jeher die Einführung dieser eigenen EU-Steuern. Angesichts der zentralen Bedeutung der Budget- und Steuerhoheit der nationalen Parlamente wäre das wohl einer der wichtigsten Schritte hin zu einem Zentralstaat, auch wenn sich die vorgeschlagenen Abgaben vorerst nur gering ausnehmen. Dementsprechend hartnäckig ist gerade in dieser Frage der Widerstand der Verfechter der nationalstaatlichen Idee.

Roman Haider ist FPÖ-Politiker und Unternehmensberater. Von 2008 bis 2019 war er Abgeordneter zum österreichischen Nationalrat, seit dem 2. Juli 2019 ist er Mitglied des Europäischen Parlamentes.

Zentralisten nutzen die Krise Wieder einmal zeigt sich, dass die Verfechter eines europäischen Zentralstaates alles daran setzen, die Krise für ihre Agenda zu nutzen. Weder gemeinsame Schulden mit gemeinsamer Haftung noch eigene EU-Steuern sind neue Ideen, doch plötzlich werden sie als alternativlos angepriesen, soll die EU nicht untergehen. Ob all dieser massive Ausbau EU-interner Transferleistungen wirklich das Rezept zur Bewältigung der Krise ist, scheint jedoch äußerst zweifelhaft. Bereits bestehende Transfers in Milliardenhöhe über Agrar- und Strukturfonds sowie die Programme der EZB konnten bekannte strukturelle Probleme einzelner Staaten, die durch die Krise nur verschärft wurden, nicht beheben. Solidarität sollte Hilfe zum Neustart und nicht Daueralimentation zum beiderseitigen Nachteil bedeuten.

47


R E P O R TAG E

48

Foto: Archiv

Anti-RegierungsDemo in Berlin: Aufstehen gegen die NĂźtzlichmachung.

FR E I L I CH


R E P O R TAG E

Die utilitaristische Revolution Die Maßnahmen im Corona-Fall werden alle als nützlich beurteilt. Jeder soll sich ihnen unterordnen. Damit gehen wir in die Corona-Falle. Ein Auszug aus dem Buch „Die Corona-Falle“. VO N WA LT E R S O N N L E I T N E R

E

ine derart herausfordernde Aufgabenstellung, bei der eine unbekannte Zahl von Menschen vor einem möglichen Corona-Tod bei Überforderung des Spitalswesens am Höhepunkt der Pandemie gerettet werden sollten, erforderte schwerwiegende Entscheidungen. Dabei wurde postuliert, dass grundsätzlich alle Menschen im Staate von den Folgen einer Erkrankung am Covid-19-Virus betroffen sein könnten, wenn auch in unterschiedlichen Ausmaßen. Und ebenso klar war auch die Notwendigkeit zur Bereitstellung von Mitteln zur unmittelbaren Versorgung der Menschen ohne Einkommen und der Rettung von Betrieben – in der Verantwortung für alle. Entscheidungen dieser Art richten sich grundsätzlich nach dem Prinzip des Utilitarismus. Utilitarismus schränkt den Anspruch des einzelnen Menschen auf persönliche Freiheitsrechte zugunsten des Nutzens für die Gesamtheit ein. Es geht dabei nicht um die Rechte des Einzelnen auf materielle Ansprüche und persönliches Wohlergehen, sondern in Summe nur um Handlungen, Rechte und Pflichten, die dem Ganzen in einer Gesellschaft dienen. Und diesem Prinzip hat sich jedes Mitglied einer Gesellschaft unterzuordnen – egal ob freiwillig oder nicht. Ein wesentliches Merkmal des Utilitarismus ist es auch, dass die Rechte und Pflichten für den Einzelnen autokratisch, also von einer höheren Stelle festgesetzt werden, die dazu von einer Mehrheit in der Gesellschaft ermächtigt wurde. Im weniger günstigen Fall könnten das aber auch selbst ermächtigte Herr-

N ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

schafts-Systeme sein: Macht-Cliquen in Diktaturen oder Parteikader in kollektivistischen Staatsformen. Aktuelle Beispiele für Verbote im Sinne des Utilitarismus sehen wir heute im allgemeinen Rauchverbot in der Öffentlichkeit. Mit der Begründung, dass damit den unfreiwilligen Mit-Rauchern Gesundheitsschäden zugefügt werden könnten, wurde Rauchen in öffentlich zugänglichen Einrichtungen gesetzlich verboten. Das Rauchverbot gilt sogar für das eigene Privatauto, wenn Kinder mitfahren. Also greift der Gesetzgeber sogar in die persönliche Privatsphäre ein. Utilitaristisch sind auch die Anschnallpflichten im Auto oder die Helmpflicht für Kinder beim Rad- und Schisport zu verstehen. Eine Verletzung bei Missachtung der Pflichten würde die Gesellschaft über die Kostenbeteiligung der Krankenkassen belasten, lautet das Argument.

Meidet euch So ist es auch zu verstehen, dass die Bevölkerung in der Corona-Krise dazu verpflichtet wurde, die körperliche Nähe zu anderen Menschen zu vermeiden, die eigene Wohnung nur aus bestimmten Gründen zu verlassen oder Gesichtsmasken zu tragen, obwohl das höchst persönliche Freiheitsrechte sind. Dies alles mit dem Ziel, sich selbst und vor allem Menschen im persönlichen Umfeld vor Ansteckung zu schützen. Und so wird es wohl auch dazu kommen, dass zur gegebenen Zeit jedes einzelne Mitglied der Gesellschaft dazu aufgefordert

49


Foto: Archiv

R E P O R TAG E

werden wird, seinen Beitrag zur Wiederherstellung der wirtschaftlichen Gesundheit der Staatsfinanzen im geforderten Maße zu leisten. Das dicke Ende kommt wahrscheinlich noch. Das Prinzip des Utilitarismus steht dem Postulat der persönlichen Freiheitsrechte grundsätzlich entgegen. Es geht um den Nutzen der Gesellschaft in ihrer Ganzheit und nicht um den Nutzen des Einzelnen. Je nach ideologischer Ausrichtung wird die Einschätzung des größten gemeinsamen Nutzens von einem zwanghaften „Kollektivismus“ sozialistisch-kommunistischer Prägung, in einem diktatorischen System beispielsweise mit einer Ideologie als Staatsreligion, oder in einem demokratischen Staat vom Denkschema des „Gemeinwohls“ bestimmt. Der Begriff des Gemeinwohls kann aber auch zur sprachlichen Verharmlosung des Prinzips der Freiheitsbeschränkung missbraucht werden. Was legalisiert einzelne Machthaber, Kader mit Führungsanspruch oder auch bestimmte Gremien im demokratisch organisierten Staatssystem dafür, Entscheidungen darüber zu treffen, was für eine ganze Gesellschaft gut und richtig ist, und wonach sich alle zu richten haben? Und: Kann es geeignete Kontroll-Instanzen dafür geben? Der Dominikanermönch Thomas von Aquin hat sich in seinen Arbeiten schon im 13. Jahrhundert bemüht, den Begriff des Gemeinwohls mit der Einbindung in gesetzliche Normen in Einklang zu bringen. In ihrem Vorlesungsbeitrag „Geschichte der philosophischen Ethik im Mittelalter“ geht Frau Professor Isabelle Mandrella auf die Stellung von Vernunft und Willen bei der Gestaltung von Gesetzen ein, wie sie Thomas von Aquin sie in seiner „Summa theologiae“ beschreibt. Gesetze seien Sache der Vernunft und nicht des Willens, heißt es da, und die Vernunft entscheidet auch über das Ziel eines Gesetzes und nicht der bloße Wille, ein Gesetz nach Gutdünken zu erlassen. „Es ist eine Anweisung der Vernunft, die auf das Allgemeinwohl (Bonum commune) ausgerichtet ist, und von demjeni-

50

Die seltsame Allianz: Normalos, Rechte, Linke, Hippies und was es sonst noch gibt gegen CoronaMaßnahmen.

gen, der die Sorge für die Gemeinschaft trägt, öffentlich bekannt gemacht werden muss.“ Der Umgang des Dominikanermönchs Thomas von Aquin mit dem Begriff des Gemeinwohls zeigt auch die Dehnfähigkeit der Methode im ideologischen Sinne auf.

Thomas und Jean-Jacques

Es ist eine unsichtbare Falle. Wir werden hineingelockt. Weltweit erlassen Regierungen Gesetze, um uns zu schützen. Sie bewahren uns vor Krankheit und Tod, und wir verzichten auf ein wenig Wohlstand und auf ein wenig Freiheit. Walter Sonnleitner: Die Coronafalle Frank & Frei 2020, 132 S. ISBN: 978-3-903236-40-0 A € 15,90 / D € 15,90

Thomas von Aquin hat in Paris an der Sorbonne studiert, wo er auf den deutschen Gelehrten Albert von Lauingen, besser bekannt unter Bischof Albertus Magnus traf. Dieser nahm ihn mit an die Universität nach Köln und machte ihn dort mit den Lehren des Aristoteles vom Begriff der absoluten Freiheit bekannt. Thomas von Aquin setzte sich in der Folge auch in seinen Schriften für Freiheitsrechte ein und wandte sich gegen das Recht, Sklaven zu halten. Im Rahmen seiner theologischen Tätigkeit als Dominikaner ist ihm das aber nicht gut bekommen, er wurde existenziell bedroht. Um seinen Erkenntnissen nicht abschwören zu müssen, bediente sich Thomas von Aquin des Gemeinwohl-Begriffs als Kompromiss. Sklavenhaltung sei nichts Verwerfliches, hieß es da. Es sei sehr wohl im Sinne des Gemeinwohls, wenn man gut für seine Sklaven sorgt und sie dafür unbezahlt arbeiten lässt. Denn dann würden sie noch immer besser verpflegt, als wenn sie keine Arbeitsstätte als Sklaven hätten – und niemand für sie sorgen würde. Man sieht an diesem Beispiel, wie sehr strapazierfähig dieser Begriff des Gemeinwohls ist – und man beachte den Vergleich mit der aktuellen Situation der Bevölkerung in Lohnarbeit. Am System des „Dominus und Servus“ hat sich anscheinend nichts geändert. Nur an die Stelle des „Dominus“ ist heute vielfach der Staat getreten. Der französische Philosoph, Naturforscher und Schriftsteller Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) hat in einem seiner Hauptwerke, „Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Rechtsstaates“ (Contrat social), FR E I L I CH


Foto: Archiv

R E P O R TAG E

eine ähnliche Annäherung an die Rechtfertigung zum Erlassen von Gesetzen gefunden. Er geht vom „Gemeinwillen“ (Volonté générale) in der Gesellschaft aus, der absolut auf das Wohl des gesamten Volkes ausgerichtet ist. Und dieser Gemeinwille bringt den einzelnen Bürger (den Citoyen) dazu, sich freiwillig einem Gesellschaftsvertrag unterzuordnen. Der Staat ist über den Gesetzgeber befugt, Gesetze zu verabschieden, die jederzeit den unantastbaren Willen des Volksganzen zum Ausdruck bringen sollen. Formulierungen dieser Art mögen in unserem heutigen demokratischen Staatssystem nachvollziehbar und verständlich klingen. Damals richteten sich solche Gedanken konkret gegen die Machtbefugnisse einer feudalistischen Königs- und Adelsherrschaft.

Bedrohung durch den Notfall Weltweit wurden im Zuge der Corona-Pandemie Gesetze beschlossen und Verordnungen erlassen, mit denen massiv in die Freiheiten der unternehmerischen Tätigkeiten eingegriffen wurde. Betriebe wurden geschlossen oder auf minimale Teilbereiche reduziert. Mittel- und kurzfristige Planungen für laufende und neue Projekte wurden ohne Vorwarnung außer Kraft gesetzt. Der Fortbestand zahlreicher auch großer Unternehmen wurde infrage gestellt, viele Einzelunternehmer um ihre Existenzen gebracht. Mitarbeiter und Künstler im Kulturbetrieb, in den Konzerthäusern, Theatern oder Museen sahen sich plötzlich im Stich gelassen, und sogar manche verwöhnte Profi-Sportler mussten zur Kenntnis nehmen, dass ihre Gagen zumindest für einige Zeit nicht mehr wie gewohnt fließen würden. Und das alles geschah nur auf der Basis von NotfallsGesetzen, über die eine Regierung auch sehr tiefgreifende Beschränkungen der freien Entscheidungen in der Wirtschaft außer Kraft setzen konnte. Auch wenn solche Notgesetze wie das Covid-19-Pandemiegesetz in Österreich mit den Grund- und Freiheitsrechten weitgehend mit der Verfassung im Einklang waren, wurden N ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

Eine neue politische Bewegung? Eher nicht. Aber ein Profil der politischen Ränder, geeint gegen die deutsche Regierung.

sie von den betroffenen Menschen in ihrer Schärfe dennoch zuweilen als verletzend empfunden. Weil aber zur Rechtfertigung all der freiheitsbeschränkenden Maßnahmen stets auf die Verpflichtung zum Gemeinwohl aller Menschen in der Gesellschaft im Prinzip des Utilitarismus verwiesen wurde, der Alternativen einfach nicht zulassen will, kam schließlich zu dem Gefühl des Zwanges bei der Freiheitsverletzung auch ein Gefühl der Ohnmacht. Die von den Einschränkungen und Verboten betroffenen Menschen haben in ihrem Alltagsleben immer wieder zu hören bekommen, dass die Verordnungen bald wieder aufgehoben würden, aber immer mit dem Zusatz, dass eine Lockerung nur dann möglich sein könne, wenn die Verordnungen brav befolgt werden und wenn Ausmaß und Folgen der Pandemie wieder unter Kontrolle der Behörden gebracht sind. Trotzdem konnte mit der Rückkehr zur Normalität vor der Corona-Krise nicht mehr realistisch gerechnet werden. Bei jedem Anstieg der Neuinfektionen mit dem Virus werden auch in Zukunft die bereits bekannten Verbote und Beschränkungen in Kraft treten oder in Kraft treten „müssen“. Und dazu werden weitere kommen. Es werden Entscheidungen für oder gegen eine Freiwilligkeit von Apps zur Aufspürung und Überwachung von infi zierten Personen zu treffen sein, oder Entscheidungen über die Impfpfl icht gegen das Corona-Virus, sobald Impfstoffe approbiert und getestet sind. Mit einer dauernden Befreiung von solchen Freiheitsbeschränkungen sollten wir also realistischerweise nicht mehr rechnen. Und wir sollten auch die Chancen auf eine Aufgabe der Unfreiheitsbestimmungen nicht allzu hoch einschätzen, auch wenn sich in der Opposition und in der Bevölkerung zur jeweiligen Regierungspolitik Gegenkräfte aufbauen. Nutzen und Nützlichkeiten im Utilitarismus werden nicht ernsthaft hinterfragt. Sie scheinen und sind alternativlos.

Walter Sonnleitner

war einen Großteil seines Berufslebens als Wirtschaftsjournalist im ORF-Fernsehen tätig. Er ist Autor mehrerer Bestseller. Darunter: „Erben und erben lassen“ und „Stirb bankrott“. Mit seinen TV-Beiträgen, Büchern und Vorträgen hat sich Walter Sonnleitner den Ruf erworben, auch komplizierte Sachverhalte so erklären zu können, dass jeder sie versteht.

51


POLITIK

Nach Corona Mit dem Coronavirus in Österreich wurde eine Entwicklung in Gang gesetzt, die unsere Heimat und ihre Menschen in allen Bereichen beeinflusst und geschädigt hat. VON NORBERT HOFER

I

n den ausgefallensten Planspielen oder Krisenübungen wäre eine Situation, wie wir sie Mitte März 2020 erreicht haben, wohl nicht vorgekommen. De facto vom einen Tag auf den anderen wurde das Leben in Österreich eingestellt: Die Bundesregierung hat über alle Geschäfte (mit Ausnahme von Lebensmittelhändlern, Apotheken, Trafi ken und Banken) ein Betretungsverbot verhängt und die Menschen dazu aufgefordert, die Wohnung oder das Haus nur noch unter bestimmten Bedingungen zu verlassen. Besonders vom Virus betroffene Regionen in Tirol wurden überhaupt unter Quarantäne gestellt. Die Auswirkungen dieser Maßnahmen waren vor wenigen Monaten noch nicht vorstellbar. Obwohl die FPÖ und andere Oppositionsparteien eine frühere Schließung der Grenzen sowie die lückenlose Kontrolle von Passagieren aus Corona-Schwerpunktregionen am Flughafen Wien-Schwechat gefordert hatten, zögerte die schwarz-grüne Bundesregierung anfangs und hat aus unserer Sicht dem Land und seinen Menschen damit mehr Schaden zugefügt, als notwendig gewesen wäre. Dazu kommen noch die Ereignisse von Ischgl, das – ausgehend von einer AprésSki-Bar – eine Virenschleuder für halb Europa war.

52

Norbert Hofer ist 3. Präsident des Nationalrates sowie FPÖ-Bundesparteiobmann und burgenländischer FPÖLandesparteiobmann. Von Oktober 2006 bis Dezember 2017 war er Abgeordneter zum Nationalrat, danach bis 22. Mai 2019 Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie.

Ein eigener Untersuchungsausschuss des Landtages widmet sich derzeit dem Tiroler Krisenmanagement im Spannungsfeld zwischen Warnungen der Gesundheitsbehörden und der Profitgier der dortigen Tourismusverantwortlichen.

Schulterschluss in schwierigen Zeiten Zu Beginn der Krise hat die FPÖ der Regierung einen Schulterschluss im Kampf gegen das Virus angeboten. In schwierigen Zeiten waren die Oppositionsparteien gewillt, mit der Regierung an einem Strang zu ziehen, um die notwendigen Maßnahmen zu setzen. SchwarzGrün hat darauf leider keinen Wert gelegt. In Sondersitzungen wurden Sammelgesetze durchgepeitscht. Diese Vorgehensweise machte es der Opposition unmöglich, einzelne Gesetzesmaßnahmen zu befürworten oder zurückzuweisen. Die Abgeordneten konnten nur dem jeweiligen Sammelgesetz zustimmen oder es ablehnen. Waren bei den ersten beiden Sammelgesetzen noch alle Oppositionsparteien mit an Bord, verwehrten FPÖ, SPÖ und die NEOS den meisten Regierungsplänen danach ihre Zustimmung. Die FPÖ hat immer darauf hingewiesen, dass hinsichtlich einer raschen und effi zienten Hilfe für die Menschen und die Wirtschaft bereits am Beginn des RE


POLITIK

Sondersitzungsreigens die entscheidenden Fehler begangen wurden: Die Aushebelung des vorhandenen Epidemiegesetzes plus Betrauung der Wirtschaftskammer mit der Abwicklung der Hilfspakete für die Wirtschaft war ebenso falsch wie die Gründung einer eigenen Gesellschaft (COFAG) für die Vergabe von Überbrückungsgarantien und -Haftungen. Obwohl in der COFAG über Gelder in Milliardenhöhe entschieden wird, gibt es keine parlamentarische Kontrolle. Die Regierungsparteien wollten die Opposition mit einem Sitz im Beirat „abspeisen“. Dieser Beirat kann Entscheidungen der COFAG bestenfalls um zwei Tage verschieben, hat sonst aber keine Kontroll- oder Entscheidungsrechte.

Die Freiheit verteidigen und die Wirtschaft retten Die Aussichten für unser Land sind aufgrund dieser Fehler nicht allzu positiv: Obwohl die Regierung immer von einem 46-Milliarden-Euro-Hilfspaket spricht, ist es eine Tatsache, dass mehr als zwei Monate nach dem Schnüren dieser Pakete die darin enthaltenen Gelder kaum bei jenen angekommen sind, die sie brauchen. Die Zahl der Arbeitslosen und Menschen in Kurzarbeit explodierte auf 1,6 Millionen. Experten gehen davon aus, dass bis zu einem Viertel aller Wirtschaftsbetriebe die Corona-Krise nicht überleben wird. Innerhalb der Bevölkerung führte die Politik der Bundesregierung zu Verunsicherung. Der Innenminister ließ die Verordnungen des Gesundheitsministers mit aller Härte durchsetzen. Zigtausende Anzeigen wurden erstattet – und das, obwohl viele Gerichte bei Einsprüchen gegen Strafen diesen fast ausschließlich stattgegeben haben. Einer Generalamnestie für alle Corona-Strafen – wie von der FPÖ gefordert – erteilte der Innenminister leider eine Absage. N ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

Wir sind noch immer mittendrin in der CoronaKrise. Der leichte Anstieg an neuen Infektionen und die Angst(-mache) vor einer „zweiten Welle“ verunsichern die Menschen in unserem Land. Die Regierung muss nun die Österreicherinnen und Österreicher schützen. Bereits die „erste Welle“ hat gezeigt, dass unser Land nicht darauf vorbereitet war. Schutzausrüstung in Spitälern, Pflege- und Seniorenheimen fehlte – alte Menschen mussten wochenlang auf Besucher verzichten, Sterbende mussten sich am Telefon von ihren Lieben verabschieden. Routinebehandlungen in Krankenhäusern wurden „wegen Corona“ verschoben. Es ist zu befürchten, dass der damit angerichtete Schaden nicht minder gravierend ist, als jener durch das Virus selbst verursachte.

Schaden von unserem Land abwenden Unser aller Aufgabe muss es sein, noch mehr Schaden von unserem Land und seinen Bürgern abzuwenden. Wir müssen uns wohl darauf einstellen, dass das Coronavirus unser Begleiter bleiben wird. Es wird aber nicht möglich sein, bei jedem Anstieg der Infektionszahlen wieder so drastische Maßnahmen wie einen kompletten Lockdown zu verhängen – das wäre das Todesurteil für die Wirtschaft und würde in weiterer Folge so viele Arbeitslose zurücklassen, dass auch das soziale Gefüge in unserem Land nachhaltigen Schaden nehmen würde. Die FPÖ wird mit aller Kraft daran arbeiten, für die einzelnen Bereiche Konzepte und Maßnahmen zu erarbeiten, mit denen unsere Heimat die Corona-Krise gut bewältigen kann. Die vom FREILICH-Magazin ausgearbeitete Studie ist eine gute Grundlage, die aufzeigt, in welchen Bereichen welche Schritte und Ideen erforderlich sind, um unser Österreich gut durch die Krise zu bringen.

FREILICH POLITISCHE STUDIE „ N AC H C O R O N A“

In der aktuellen FREILICH-Studie geben führende freiheitliche Politiker Antworten auf brennende Fragen zu den Folgen der CoronaKrise. Wir wirkt sich die Pandemie auf Sozial-, Arbeits- und Gesundheitspolitik aus? Was muss in der Außen- und Sicherheitspolitik geschehen? Die vollständige Studie gratis zum Download: freilich-magazin.at/ studien/ Die Petition „Allianz gegen den Coronawahnsinn“ können Sie hier unterstützen und unterschreiben: coronawahnsinn.at/ jetzt-reichts

53


K U LT U R

Der Burschen alte Herrlichkeit

B

E

B R

1

VO N L O T H A R H Ö B E LT

eidingers Buch über Burschenschaften und Politik fällt aus dem üblichen Rahmen der Polemiken zu diesem Thema. Man darf dem Autor durchaus Glauben schenken, wenn er eingangs betont, dass er Engführungen vermeiden, die Burschenschaften nicht als Monolith betrachten und eigenständige Quellenarbeit betreiben wollte. Damit ist nicht gesagt, dass es ihm gelungen ist, gänzlich über seinen Schatten zu springen. Wer ist schon völlig frei von Manierismen und fixen Ideen? Das nationale Lager sicher nicht – und Weidinger auch nicht. Da ist z. B. die Verwendung des Adjektivs „rechtsextrem“ – dagegen ist nun prinzipiell nichts einzuwenden, irgendwer muss ja im politischen Spektrum schließlich an den beiden entgegengesetzten Enden der Skala stehen. Ja, als besondere Ausnahmeerscheinung gewürdigt zu werden, schmeichelt dem Ego vielleicht sogar.

54

Doch seine Definition ist nicht praktisch an der Kunst des Möglichen orientiert, sondern an philosophischen Kriterien (oder Haarspaltereien). In dieser Beziehung verbindet den Kritiker mit seinem Gegenstand vielleicht sogar mehr, als beiden lieb ist, doch für das Verhältnis von Burschenschaften und Politik gibt es wenig her. Das A & O seines Leidens kreist um die unzweideutige Distanzierung vom Nationalsozialismus, ganz so, als ob die Allgegenwart von derlei gebetsmühlenartigen Floskeln tatsächlich einer Auseinandersetzung mit dem Gegenstand entspringe und nicht vielmehr vorauseilendem Gehorsam vor einer Erwartungshaltung, die mit historischem Wissen wenig zu tun hat. Nach 1945, als diesem Diskurs eine gewisse Aktualität noch nicht abzusprechen war, standen andere Kriterien im Vordergrund: Da ging es um Diktatur, Militarismus und Anschluss, nicht um Shoa und Restitution. Weidinger gibt überdies durchaus zu, FR E I L I CH


N ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

K U LT U R

Die Burschenschaften müssen inzwischen kaum noch als Vorbild herhalten, dafür taugen sie allerdings als politische Voodoopuppe.

55


Foto: www.noe.gbw.at/nachlesearchiv/ereignisansicht/event/wr-neustadt-wiedie-rechten-burschenschafter-und-identitaeren-den-staat-beherrschen/

K U LT U R BERNHARD WEIDINGER

Jahrgang 1982, hat Politikwissenschaft und Internationale Entwicklung studiert; Lehrtätigkeit an der Universität Wien 2007–2015; DOCStipendiat der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2010–2012, Visiting Scholar am Center for Right-wing Studies der University of California at Berkeley 2013. Diverse Grants und wissenschaftliche Preise. Im Brotberuf Betreuer der Rechtsextremismussammlung am Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) in Wien. Das Plakat der Grünen Bildungswerkstatt zeigt die Klammer zwischen linker Politik, politischer Forschung und linkem Extremismus. Mitdiskutantin Julia Spacil („SchwarzeKatze“) gehört zur autonomen Antifa-Szene in Wien.

56

dass sich die nationalen Korporierten vielfach in weitgehender Übereinstimmung mit der Linken befi nden, was die Kritik an so manchen Gründungssagen der Zweiten Republik betrifft (S. 370). Gerade in diesem Punkt wird deutlich: Ein Urteil über die weitgehende Akzeptanz des NS-Regimes durch die Bevölkerung, wie es heute oft als mutige Geste von Aufdeckern gilt, wurde bis in die Achtzigerjahre meist als Apologie verstockter Ehemaliger verteufelt. Derlei Marotten mögen infolge ihres repetitiven Charakters zuweilen störend wirken, sie beeinträchtigen nicht den Kern des Buches. Weidinger hat sich tatsächlich die Mühe gemacht, die Verlautbarungen und Publikationen der Burschenschaften und ihrer Verbände zu sichten, ergänzt durch Interviews mit interessanten, wenn auch meist untypischen Repräsentanten des Milieus, oft aus dem Kreis der Hochschullehrer (z. B. Günther Cerwinka und Sigurd Paul Scheichl) oder „dissidenten“ Politiker, wie Christian Allesch oder Friedhelm Frischenschlager. Aber letzten Endes liest sich sein Buch zwangsläufig wie eine politische Geschichte Österreichs anhand der Parlamentsreden und Zeitungsmeldungen, (fast) ohne interne Protokolle und Briefe. Das ist nicht Weidingers Schuld, vergleichbare Quellen sind einfach nicht verfügbar –und sie werden wohl leider auch für die politische Geschichte bald nicht mehr zur Verfügung stehen.

E B

mso anerkennenswerter ist, dass Weidinger in so manchen Punkten das Richtige trifft : Viele seiner Quellen stammen aus dem Umkreis der Diskussionen mit bundesdeutschen Verbindungen. Da liegt der Vergleich nahe. Er konstatiert in Österreich eine politisch-weltanschauliche Erstarrung, eine Verengung der Interessen als Reaktion auf den „Ausschluss aus Deutschland“ (S. 69, 105). Da ist nun zweifellos was dran. Der Kurzschluss der Gegner, mit dem Nationalsozialismus auch den Anschlussgedanken und den bis dahin ziemlich unbestritten deutschen Charakter Österreichs über Bord zu werfen, ließ als Reaktion wohl zuweilen die Versuchung aufkommen, mit dem deutschen Charakter des Landes auch den Nationalsozialismus in Schutz zu nehmen. Auch wenn man – wie der Rezensent – der These zustimmt, dass die Mehrzahl der Österreicher aufgrund ihrer Muttersprache nun einmal Deutsche sind, mag die ständige RE


K U LT U R

Wiederholung ein und desselben Topos kein Ausdruck besonderer intellektueller Lebendigkeit sein. Das Ideal der Standhaftigkeit ist für den flotten Bewegungskrieg keine ideale Voraussetzung. Eine gewisse „defaitistisch-desinteressierte Haltung“ (S. 213), verbunden mit der Stilisierung als die einzig Aufrechten, ließ vielleicht auch verkennen, dass man in den Fünfziger- und Sechzigerjahren mit nationalen Themen zum Teil noch offene Türen einrannte. Selbst das Adjektiv „völkisch“ kam einem österreichischen Bundeskanzler der Zweiten Republik wie Gorbach noch – positiv konnotiert – ganz selbstverständlich von den Lippen (vgl. „Südost-Tagespost“ vom 10.09.1963). Für die von Weidinger kritisierte Vokabel „Zusammenbruch“ für das Kriegsende (S. 113) lässt sich als Kronzeuge immerhin der spätere Staatsvertragskanzler Raab anführen (vgl. Protokolle des ÖVP-Klubs vom 11.04.1946). Weidinger kritisiert zu Recht gewisse Aspekte der „Geschichtspolitik“, wie z. B. die ständige Berufung auf 1848 als Geburtsstunde der Demokratie, die alle möglichen notwendigen Differenzierungen unter den Tisch fallen lässt. Dieses kuriose Faible von Rechten, mit ihren linken Vorfahren zu prunken, das sich genauso bei den Fans der christlichen Soziallehre findet, wäre eine eigene Erörterung wert. Klar ist auch: Demokratisierung wird nun einmal meist dort geschätzt und befürwortet, wo es einem nützt. Dass im Milieu der Korporationen ein akademischer Dünkel anzutreffen war, der sich zuweilen in einer „eigenen Aufwertung auf Grund vermeintlicher moralischer Superiorität“ niedergeschlagen hat, dürfte stimmen – Weidinger mag allenfalls gnädig stimmen, dass ebendiese Haltung heute bei den Gegnern der Rechten äußerst beliebt ist. Dass sich die Interna der Verbindungen zwangsläufig auf eine Oligarchie von Funktionären zuspitzen, die von ihren Gefolgsleuten delegiert und abgenickt werden, dürfte ebenfalls nicht ganz falsch sein – so funktionieren Vereine eben, bis hin zum ÖGB, der auch nur eine sehr abgestufte Meinungsbildung zulässt (er wird wissen, warum …)

K

ommen wir zum Kern: Welchen Niederschlag hat das politische Engagement der Burschenschaften gefunden? Völlig richtig: einen eher geringen. Die Burschenschaften haben als Refugium vor dem Zeitgeist gedient, damit im Sinne der Traditionspflege eine bewahrende Funktion ausgeübt, auch

N ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

im Sinne einer „festigenden Geborgenheit“ für ihre Mitglieder, aber gerade diese Abschließungstendenzen haben natürlich auch die Möglichkeit verringert, auf diesen Zeitgeist Einfluss zu nehmen, von der kontraproduktiven Wirkung so mancher Inszenierungen einmal ganz abgesehen: Der Österreicher liebt nun einmal keine „Demos“, die mit Staus und Krawall verbunden sind. Wer immer sich da profilieren will, tut seiner Sache nichts Gutes, was nicht ausschließt, dass er im kleinen Kreis womöglich als besonders aufrechter Kämpfer gelobt wird. In puncto Südtirol ist Weidinger gnädig, weil er die üblichen Vorwürfe wiederholt: Befreiungskämpfer und Terroristen sind nun einmal überlappende Größen, Aktivisten (ORF-Speak für linke Demonstranten) und Extremisten (ORF-Speak für rechte Demonstranten) ebenfalls. Mit Südtirol vermochten sich die Korporationen an ein weit über das nationale Lager hinaus populäres Thema zu hängen. Peinlicher wäre vielleicht die – immer noch nicht endgültig zu beantwortende – Frage, wem sie dabei vielleicht zugearbeitet haben könnten? Norbert Burgers Geliebte war – wie wir inzwischen wissen – für einen der italienischen Nachrichtendienste tätig, andere westliche Dienste wiederum vermerkten mit Interesse die häufigen Urlaube des tschechoslowakischen Militärattachés im schönen Land an Etsch und Eisack. Bis Mitte der Sechzigerjahre erschöpfte sich freiheitliche Studentenpolitik weitgehend im Hickhack mit den CVern, dann hätte mit dem Erstarken der Linken ein Politisierungsschub erfolgen müssen. Hier wird das eigentliche Versagen deutlich, das mit einem Mitgliederschwund einherging: Schließlich erfasste der Linkstrend an den Universitäten in den ersten Jahrzehnten nach 1968 immer erst eine Minderheit; die Siebzigerjahre waren vom Aufstieg der „Jungen Europäischen Studenteninitiative“ (jes) gekennzeichnet, die sich – anders als die bürgerlichen Parteien dieser Jahre – ganz eindeutig als konservativ verstand, mit Maggie Thatcher und Franz Josef Strauß als Leitfiguren, nicht zu vergessen Otto von Habsburg, der 1968 noch beim RFS gesprochen hatte. Eine Generation später war die Rezeption der „Neuen Rechten“, der „Gramscianer“ mit ihrer Metapolitik, von Weidinger mit der Ära Mölzer/ Hatzenbichler in der „Aula“ gleichgesetzt, ebenfalls endenwollend. Wiederum sticht der Vergleich mit der BRD ins Auge. Dort gab es – von der Wiedervereini-

WEIDINGERS DISSERTATION

Bernhard Weidinger: „Im nationalen Abwehrkampf der Grenzlanddeutschen“. Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945 Böhlau, Wien 2015. 627 Seiten ISBN 978-3-205-79600-8

Das Buch als Gratisdownload: https://fedora.e-book.fwf. ac.at/fedora/get/o:601/ bdef:Content/get

57


EEEEE LLELL

Studentenheim

Perfekt gelegen, modern und zum WohlfĂźhlen. Der ideale Platz zum Studieren in Salzburg. www.egger-lienzheim.at


gung einmal abgesehen – eine „kritische Masse an parteipolitisch heimatlosen“ Rechten (S. 406), die sich publizistisch zu Wort meldeten, aber politisch keinen Fuß auf den Boden bekamen, in Österreich gab es – Haider, der die FPÖ zu ungeahnten Höhen führte, während der RFS in Bedeutungslosigkeit versank. Verdienstvoll ist auch der Versuch, den Anteil der Korporierten an den Eliten der FPÖ genauer zu erfassen. Weidinger bestätigt da den immer schon geäußerten Verdacht des Rezensenten, dass die „FPÖ-kritische Publizistik zur Überschätzung tendiert“ (S. 456), ebenso wie „entgegen gängiger Zuschreibungen“ die meisten innerparteilichen Kontroversen sich mitnichten auf eine Konfrontation von Korporierten und Nichtkorporierten zurückführen lassen (S. 498). Den höchsten Anteil an Korporierten wies der blaue Nationalratsklub übrigens gegen Ende der Ära Peter auf, in den späten Siebzigerjahren. Weit geringer war er zu Zeiten des VdU – und dann wieder unter Haider, wiederum ansteigend nach der Parteispaltung unter Strache. Zu Recht hervorgehoben wird die Rolle der Aldania, der in der Ära Pawkowicz bis zu einem Drittel der Wiener FPÖ-Mandatare angehörten; interessant auch das Phänomen, dass in der Steiermark der Anteil der eigentlichen Burschenschaften hinter dem anderer Korporierter auff ällig zurückbleibt. Ich gestehe, neu war mir, dass Raabs legendärer Finanzminister Reinhard Kamitz Mitglied des VDSt war. er geringe politische Wirkungsgrad der Burschenschaften muss freilich an einem Punkt hinterfragt werden, der in Weidingers Buch keine Würdigung findet – was wiederum nicht unbedingt seine Schuld ist, denn es gibt anders als beim CV eben kein umfassendes Altherrenverzeichnis. Damit ist auch jede Recherche darüber, wie viele von ihnen im Laufe der Zweiten Republik über BSA oder Wirtschaftsbund Karriere gemacht haben, auf Anekdoten und Zufallstreffer angewiesen. Von Peter Kreisky bis Friedrich Peter ist über diese Schicht immer wieder beredte Klage geführt worden. Möglicherweise haben die beiden Antipoden sie auch überschätzt? Der Frage sollte man einmal nachgehen, aber es wird nicht einfach sein. Eine Hypothese lässt sich jetzt schon aufstellen: Der nach Haider wohl wichtigste Burschenschafter der Zweiten Republik war Hugo Michael Sekyra (B! Alania), der zusammen mit Minister Rudolf Streicher (dem Milieu der N ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

K U LT U R

In Deutschland gab es heimatlose Rechte, die sich publizistisch zu Wort meldeten, aber politisch keinen Fuß auf den Boden bekamen, in Österreich gab es – Haider.

Leobener Verbindungen sehr verbunden) ab der Endphase der rot-blauen Koalition 1985/86 als Generaldirektor der ÖIAG die Verstaatlichte reformierte und für den Verkauf vorbereitete. Er kommt in Weidingers Studie allerdings nicht vor. eidinger beendet sein Buch mit einem Fazit über die Politik- und Demokratietauglichkeit der Burschenschaften. Natürlich taucht auch hier wieder das Ungeheuer von Loch Ness auf, die Faszination mit der Beschäftigung mit der NS-Ära. Sein Resümee enthält dennoch beherzigenswerte Anstösse: Er nimmt von Justamentstandpunkten bis zur „rigoristischen Disposition“ gewisse Verhaltensmuster zu Recht ins Visier – zu Recht nicht, weil sie linker PC widersprechen, sondern weil sie die Erfolgsmöglichkeiten rechter Politik beeinträchtigen. Um nicht missverstanden zu werden: In einem Kreis junger Menschen dürfen schon einmal exaltierte Standpunkte ausgetestet werden. Es wäre ja langweilig, wenn da immer nur jenes leere Stroh gedroschen würde, das nun einmal zur Standarddiät der Politik und der Medien zählt. Aber in der Politik wird man – auf allen Seiten – dafür nicht belohnt. Linke halten den Liedtext von den Arabern, die heim ins Reich wollen, für Wiederbetätigung (und sind erst recht empört, wenn man die Araber dann doch nicht herein lässt). Hand aufs Herz: Rechte sind da nicht immer viel besser. Aus dem Zusammenhang gerissene „Soundbites“ – und die berühmten Bilder, die mehr sagen als 1.000 Worte – schlagen allemal die inhaltliche Auseinandersetzung. Gusenbauer wurde immer wieder der ironische Kuss auf dem Boden in Moskau vorgeworfen, Busek die „Internationale“ im SPÖ-Festzelt. Daran wird sich nichts ändern: Wahlen werden nun einmal unter den politisch wenig Interessierten gewonnen, die man mit politisch irrelevanten Skandälchen ins Bockshorn treiben kann. Jede Erörterung über das Verhältnis von Burschenschaften und Politik, über das Zukünftige mehr noch als das Vergangene, wird um das Dilemma nicht herumkommen. Es gilt, entweder Kompromisse zu machen im Sinne der öffentlichen Wirksamkeit oder das Gerede der Medien zu ignorieren, wie es jeder unabhängige Privatmann machen würde – um den Preis tagespolitischer Abstinenz. Metapolitischer „Guru“ oder politischer Akteur – beides zugleich zu sein, ist eben nur in besonderen Ausnahmefällen möglich.

Lothar Höbelt ist Jahrgang 1956 und Historiker. Er lehrt als außerordentlicher Professor für Neuere Geschichte an der Universität Wien. Höbelt hat u. a. zur Parteiengeschichte des Dritten Lagers geforscht. Sein jüngstes Buch: „Die Erste Republik Österreich (1918–1938). Das Provisorium“, Wien 2018, 456 Seiten, € 40,–.

59


FOTOSTRECKE WINNER: WORLD PRESS PHOTO OF THE YEAR 2020 PHOTO CONTEST

Yasuyoshi Chiba Während eines Stromausfalls in Khartum, Sudan, rezitiert ein junger Mann, der von Mobiltelefonen angestrahlt wird, Protestpoesie, während Demonstranten Slogans skandieren, die zu einer Zivilregierung aufrufen.

60

Die Proteste im Sudan haben im Dezember 2018 begonnen und sich rasch im ganzen Land ausgebreitet. Im April 2019 fanden die Demonstranten in der Nähe des Armeehauptquartiers in der Hauptstadt Khartum zusammen und forderten ein Ende der 30-jährigen Herrschaft des Diktators Omar al-Bashir. Am 11. April wurde al-Baschir durch einen Militärputsch aus seinem Amt entfernt und eine militärische Übergangsregierung eingesetzt.

RE


FOTOSTRECKE

World Press Photo of the Year 2020 Bereits zum neunzehnten Mal machen die weltbesten Pressefotografien in Wien Station und lassen als Ikonen der Zeitgeschichte das vergangene Jahr Revue passieren.

Yasuyoshi Chiba, Winner World Press Photo of the Year Titel: „Straight Voice“, 19. Juni 2019

N ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

61


FOTOSTRECKE

World Press Photo 2020 – Ausstellung im WestLicht.Schauplatz für Fotografie, Wien

THE STORIES THAT MATTER Ausstellungsort: WestLicht.Schauplatz für Fotografie, Westbahnstraße 40, 1070 Wien Austellungsdauer: bis 8. Nov. 2020 Mo.–So. 11 bis 19 Uhr, Do. bis 21 Uhr westlicht.com

Rund 140 Einzelbilder und Fotoserien lassen das vergangene Jahr Revue passieren, mit Blick auf Ereignisse in Politik, Gesellschaft, Sport und Natur. Seit 1955 schreibt die World Press Photo Foundation, eine unabhängige Plattform des Fotojournalismus mit Sitz in Amsterdam, den international bedeutendsten Preis für Pressefotografie aus. Eine jährlich wechselnde Jury beurteilt die Einsendungen aus aller Welt. Das Ergebnis des renommierten Wettbewerbs, das jeweils als Wanderausstellung um den Globus tourt, gilt als wichtigste Leistungsschau aktueller Bildberichterstattung. In diesem Jahr wurden 44 Fotografen und Fotografinnen aus 24 Ländern prämiert. Beworben hatten sich ca. 4300 Kandidaten mit fast 74.000 Fotografien. Zum World Press Photo des Jahres kürte die Jury eine Aufnahme des Reporters Yasuyoshi Chiba für Agence France-Presse über die Demokratiebewegung im Sudan. Der belgische Fotograf Alain Schroeder wurde in der Kategorie Natur mit gleich zwei ersten Preisen – Einzelbild und Serie – für seine Arbeit über bedrohte Orang-Utans auf Sumatra ausgezeichnet. Unter den weiteren Themen im Wettbewerb finden sich etwa die katastrophalen Waldbrände in Australien, die „Tiger Kings“ in den USA und die Protestbewegung in Hongkong.

62

1ST PRIZE CONTEMPORARY ISSUES, SINGLES

1ST PRIZE SPOT NEWS, SINGLES

Nikita Teryoshin

Farouk Batiche

Ein Geschäftsmann sperrt am Ende eines Ausstellungstages auf der Internationalen Rüstungsausstellung und -konferenz (IDEX) in Abu Dhabi, Vereinigte Arabische Emirate, seine Panzerabwehrgranaten weg. Die IDEX ist die größte Verteidigungsmesse und -konferenz im Nahen Osten und eine der größten Rüstungsmessen der Welt. Zu den Teilnehmern gehören Verteidigungsminister, Stabschefs des Militärs und wichtige Entscheidungsträger der Regierungen, die sich in Konferenzsälen, bei gesellschaftlichen Veranstaltungen und in Hinterzimmersitzungen austauschen.

Bei einer Antiregierungsdemonstration in Algier, Algerien, kommt es zu einem Handgemenge zwischen Studenten und Bereitschaftspolizei. Algerien war seit Februar 2019 in Proteste verwickelt. Die Demonstranten forderten die Annullierung der für den 4. Juli angesetzten Präsidentschaftswahlen und eine Rückkehr zur zivilen Demokratie. Sie forderten auch den Rücktritt von Regierungsbeamten, die mit der Regierung Bouteflika in Verbindung stehen, einschließlich des Interimspräsidenten und des Premierministers. Die Proteste setzten sich bis ins Jahr 2020 fort, ohne dass eine tragfähige Lösung gefunden wurde.

RE


©Nikita Teryoshin

FOTOSTRECKE

©Farouk Batiche, Deutsche Presse-Agentur

Nikita Teryoshin – Titel: „Nichts Persönliches: Das Back Office des Krieges“, 18. Februar 2019

Farouk Batiche – Während einer regierungsfeindlichen Demonstration in Algier raufen Studenten mit der Bereitschaftspolizei, Algerien, 21. Mai 2019

N ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

63


©Mulugeta Ayene, Associated Press

FOTOSTRECKE

©Nicolas Asfouri, Agence France-Presse

Mulugeta Ayene – Trauer der Angehörigen über die Absturzopfer vom Flug ET 302, 14. März 2019

Nicolas Asfouri – Hongkong-Unruhen, 12. September 2019

64

RE


©Romain Laurendeau

FOTOSTRECKE

Romain Laurendeau – Kho, die Entstehung einer Revolte, 22. November 2015

1ST PRIZE SPOT NEWS, STORIES

1ST PRIZE GENERAL NEWS, STORIES

1ST PRIZE STORY OF THE YEAR

Mulugeta Ayene

Nicolas Asfouri

Romain Laurendeau

Eine Verwandte eines Opfers des Flugzeugabsturzes von EthiopianAirlines-Flug ET302 wirft Schmutz in ihr Gesicht, während sie an der Absturzstelle in der Nähe von Addis Abeba, Äthiopien, trauert. Eine Woche nach dem Absturz wurden bei einer Zeremonie in der Dreifaltigkeitskathedrale in Addis Abeba leere Särge beigesetzt, da die Opfer nicht identifiziert werden konnten. Beamte übergaben Verwandten Säcke mit Erde von der Absturzstelle.

Schüler überqueren am 12. September 2019 in Hongkong eine Straße, nachdem sie an einer Menschenkette teilgenommen haben. Die Proteste begannen Ende März als Reaktion auf die Vorschläge der Regierung, die bestehende Gesetzgebung zu ändern und den Anschluss an das chinesische Festland zuzulassen. Sie halten bis heute an.

Ultras singen während eines Fußballspiels im Stadion von Algier (Algerien). Nach dem Verbot von Straßendemonstrationen im Jahr 2001 wurden die Fußballstadien zu Orten, an denen die Jugend durch Gesang protestieren konnte. Kho (das Wort bedeutet „Bruder“ im umgangssprachlichen nordafrikanischen Arabisch) handelt von der Entstehung einer Revolte. Es ist die Geschichte des tiefen Unbehagens einer Jugend, die es wagt, die Autoritäten herauszufordern.

N ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

65


©Steve Winter for National Geographic

FOTOSTRECKE

Steve Winter – Die Tiger von nebenan, 30. April 2019

2ND PRIZE CONTEMPORARY ISSUES, STORIES

2ND PRIZE GENERAL NEWS, STORIES

1ST PRIZE NATURE, SINGLES

Steve Winter

Fabio Bucciarelli

Alain Schroeder

Kevin Antle posiert mit Mitarbeitern in einem Swimmingpool, den sie in seiner Unterhaltungseinrichtung Myrtle Beach Safari in South Carolina für eine Tigershow benutzen. Touristen zahlen jeweils mehr als 399 US-Dollar für die Teilnahme an einer morgendlichen Tour, bei der sie mit Jungtigern spielen können und fotografiert werden. Zwischen 5000 und 10.000 Tiger leben in den USA in Gefangenschaft. Im Gegensatz dazu gibt es nur 3900 wilde Tiger in Asien und 1659 in wissenschaftlich geführten Zoos weltweit.

Frauen in Santiago, Chile, führen „Un Violador en tu Camino“ („Ein Vergewaltiger auf deinem Weg“) auf, ein Protestlied, das sich in ganz Südamerika verbreitete. Viele tragen rote Schals und Lippenstift, die die sexuelle Natur von Übergriffen symbolisieren, und sind aus Solidarität mit den durch Polizeigewalt erblindeten Menschen mit verbundenen Augen unterwegs. Bei den ausgreifendsten gesellschaftlichen Unruhen in der jüngeren Geschichte Chiles erhoben sich das ganze Jahr über Menschen, um gegen die Folgen wirtschaftlicher Ungleichheit zu protestieren.

Der Leichnam eines einen Monat alten Orang-Utans liegt auf dem Operationstuch eines Rettungsteams in der Nähe der Stadt Subulussalam, Sumatra, Indonesien. Er starb, kurz nachdem er mit seiner verletzten Mutter auf einer Palmölplantage gefunden wurde. Orang-Utans leben auf nur zwei Inseln der Welt, Sumatra und Borneo, und werden aus ihrem natürlichen Lebensraum, dem Regenwald, vertrieben, da Palmölplantagen, Abholzung und Bergbau sich ausbreiten. Nach Angaben des World Wildlife Fund gibt es auf Sumatra nur noch etwa 14.000 Orang-Utans.

66

RE


©Fabio Bucciarelli, for L’Espresso

FOTOSTRECKE

©Alain Schroeder

Fabio Bucciarelli – Chile: Die Rebellion gegen den Neoliberalismus, 4. Dezember 2019

Alain Schroeder – Letzter Abschied, 10. März 2019

N ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

67


2ND PRIZE PORTRAITS, SINGLES

2ND PRIZE GENERAL NEWS, SINGLES

Matthew Abbott

Lee-Ann Olwage

Alessio Mamo

Feuerwehrleute verlassen in Orangeville, New South Wales ihr Fahrzeug und fliehen, während Flammen die Eukalyptusbäume fressen. Bis Ende Januar 2020 waren mehr als 30 Menschen getötet worden, 3000 Häuser verloren und rund 12,6 Millionen Hektar Land verbrannt (fast dreimal so groß wie die Niederlande). Die Tierwelt wurde ebenfalls stark in Mitleidenschaft gezogen.

Belinda Qaqamba Ka-Fassie, eine Drag-Künstlerin und Aktivistin, posiert in Khayelitsha, einer Township in den Cape Flats in der Nähe von Kapstadt, Südafrika, in einem Shisanyama, einem Gemeinschaftsraum, in dem Frauen kochen und Fleisch verkaufen. Belinda, die Fotografin und andere schwarze, queere, nicht geschlechtskonforme und Transgender-Menschen arbeiteten gemeinsam an einem Projekt zur Suche nach einem besonders afrikanischen Ausdruck von Drag.

Eine russische Frau trägt ihr Kind, während sie vor dem Behelfskrankenhaus im Al-HolFlüchtlingslager im Norden Syriens ansteht. Hier leben Zehntausende von Flüchtlingen, viele von ihnen Frauen und Kinder, andere mutmaßliche Kämpfer des Islamischen Staates (IS). Viele Frauen haben über soziale Medien und dschihadistische Foren eine wichtige Rolle bei der Rekrutierung für den IS gespielt.

©Matthew Abbott, Panos Pictures, for The New York Times

2ND PRIZE SPOT NEWS, STORIES

Matthew Abbott – Australiens Buschbrand-Krise, 5. Dezember 2019

68

RE


© Lee-Ann Olwage

FOTOSTRECKE

©Alessio Mamo for L’Espresso

Lee-Ann Olwage – Black Drag Magic: Portrait of a Drag Artist and Activist, 4. August 2019

Alessio Mamo – Russische Mutter mit Kind im Lager Al-Hol, 14. November 2019

N ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

69


Foto: Coatsey / Alamy Stock Foto

K U LT U R

Die kleinen Kläffer besorgen die Hetzjagd; den feinen Herren macht das Spaß und sie fühlen sich gut dabei.

70

FR E I L I CH


K U LT U R

Auf der Jagd

„Cancel Culture“ heißt heute das alte Spiel, in dem ideologische Abweichler durch das moderne Dorf getrieben werden. Das „Woke Capital“ trumpft da groß auf. VON NILS WEGNER

n einer halbwegs normalen Welt sollte es jemandem wie James Watson möglich sein, seinen Lebensabend in Ruhe und Frieden zu verbringen. Und in nicht geringem Ansehen: Hochbegabt und schon mit 22 Jahren in Zoologie promoviert, entwickelte der US-Amerikaner Watson in den frühen 1950er-Jahren zusammen mit dem britischen Physiker Francis Crick das Modell der DNS, also des menschlichen Erbgutes, als Doppelhelix und erhielt für diese historische Entdeckung völlig zu Recht 1962 mit gerade einmal 34 Jahren den Nobelpreis für Medizin. Eine Harvard-Professur schloss sich an; ab 1976 leitete Watson das legendäre Cold Spring Harbor Laboratory (CSHL) für medizinisch-biologische High-End-Forschung. Die Bilderbuchkarriere eines Ausnahmewissenschaftlers, den das Magazin „TIME“ mit Recht zu den 100 einflussreichsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts zählte. Der dann jedoch den Fehler beging, im öffentlichen Bereich ebenso nüch-tern-datenbasiert diskutieren zu wollen wie im fachwissenschaftlichen.

Das Geschrei erhebt sich

Am 14. Oktober 2007 gab Watson der britischen „Sunday Times“ ein Interview, wonach er „zutiefst bedrückt über die Zukunftsaussichten Afrikas“ sei, denn „unsere gesamte Sozialpolitik beruht auf der Annahme, dass die genauso intelligent seien wie wir – was die Tests nicht wirklich bestätigen“. Danach brauchte es gerade einmal zehn Tage, bis Watson nicht nur von seinem VorstandsN ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

posten beim CSHL freigestellt worden war, sondern auch seinen sofortigen Rücktritt vom Posten als Kanzler der Institution bekanntgeben musste. In der Folge wurde es schlagartig still um ihn – so schlagartig und so still, dass man das nächste Mal erst Ende 2014 in höhnischen Medienberichten von ihm las, als er sich dazu gezwungen sah, seine Nobelpreismedaille von 1962 zu versteigern, um finanzielle Probleme ausbügeln zu können: Nach dem „Rassismus“-Skandal sieben Jahre zuvor hatten Fachwelt und Medien Watson systematisch totgeschwiegen, ihn – laut eigener Aussage – zu einer wortwörtlichen „Unperson“ gemacht, ganz wie in Orwells Roman „1984“, in dem politische Dissidenten, die man aus dem Archivgedächtnis der Gesellschaft tilgt, so bezeichnet werden. Watson erhielt seine versteigerte Nobelpreismedaille schließlich wieder zurück – den Zuschlag erhalten hatte der russische Milliardär Alischer Usmanow, der sich mit dem Zustand, dass ein bahnbrechender Forscher seine Auszeichnungen verramschen müsse, um seinen Lebensunterhalt finanzieren zu können, nicht abfin-den wollte. Watsons aufsehenerregender Fall bleibt jedoch beispielhaft für eine fortdauernde – erst Anfang 2019 wurden ihm vom CSHL seine Ehrentitel aber-kannt – verschärfte Vorgehensweise gegen vornehmlich prominente „Rechtsabweichler“ im System, die nicht mehr nur zum Schweigen und/oder Büßen gezwungen, sondern in ihrer Lebensführung nachhaltig geschädigt oder zerstört werden sollen. In den 2010erJahren hat sich dafür der Terminus „Cancel Culture“

FREIHEIT?

Gemälde werden abgehängt, Skulpturen vernichtet, Filmhelden ausradiert: Ein heftiger Kulturkampf durchzieht die Museen, Kinos und Theater. Hanno Rauterberg Wie frei ist die Kunst? Der neue Kulturkampf und die Krise des Liberalismus Suhrkamp, Berlin 2018, 141 Seiten ISBN 978-3-518-12725-4 A € 14,40 / D € 14,00

71


K U LT U R

Die versuchte Vernichtung von Existenzen als fröhliches Tontaubenschießen.

etabliert, wobei „to cancel“ (eigentlich „stornieren“ oder „abbrechen“) hier im Sinne eines kulturellen, in den sozialen Medien agitierten Boykotts zu verstehen ist: Der ausfindig gemachte „Ketzer“ soll aus all seinen Funktionen hinausgedrängt und völlig isoliert, vor allem aber von Verdienstmöglichkeiten abgeschnitten werden. So wird die versuchte Vernichtung von Existenzen zu einem fröhlichen Tontaubenschießen großteils anonymer Twitter- und Facebook-Nutzer; die Zielpersonen können – und sollen, denn je prominenter der „Gecancelte“, desto selbstzufriedener die Denunzianten – selbst scheinbar unangreifbare Legenden ihrer Branche sein, wie etwa der Mitgründer von Mozilla, Brendan Eich, der 2014 wegen einiger teils Jahrzehnte zurückliegenden Spenden an konservative US-Politiker sowie an eine Initiative gegen die Schwulenehe von seinem erst

Damit Linz Heimat bleibt. de.wikipedia.org/Eigenes Werk

www.fpoe-linz.at

Markus Hein Vizebürgermeister

72

wenige Tage zuvor angetretenen Posten als Mozilla-Geschäftsführer abgesetzt wurde. Im deutschsprachigen Raum haben in den vergangenen Monaten insbesondere die Fälle der Kabarettisten Dieter Nuhr und Lisa Eckhart für Furore gesorgt. Und wer sich noch an den ehemaligen deutschen Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin erinnert, wird mitbekommen haben, dass dieser Ende Juli 2020 nach diversen Anläufen aus der SPD ausgeschlossen worden ist. Was also geht da vor sich?

Der Mythos des „Drucks von unten“

Eine leider nur allzu gängige politisch mittige bis rechte Fehlinterpretation ist jene des tollwütigen Online-Mobs, der mit seinen aggressiven Drohungen und Boykottaufrufen die jeweils ohne eigenes Zutun ins Fadenkreuz geratenen, eigentlich völlig unpolitischen Firmen und Arbeitgeber der „Ketzer“ wider die politische Korrektheit zu Abgrenzungen und Trennungen nötigen würde. Diese Einschätzung mag einerseits auf liberale Rudimente in der eigenen Weltanschauung zurückzuführen sein, wonach Wirtschaftsunternehmen grundsätzlich neutrale Institutionen außerhalb des politischen Ringens der widerstrebigen gesellschaftlichen Lager seien oder zu sein hätten, gemäß dem Postulat des liberalen Ökonomen Milton Friedman, wonach sich ein Unternehmen einzig um die Maximierung seines Gewinnes zu kümmern habe und um nichts weiter. Andererseits schwingt darin auch die übliche Verachtung gegenüber „der Masse“ mit, die durch ihre hohe Erregbarkeit, Sprunghaftigkeit und Irrationalität dafür verantwortlich sei, dass der theoretisch mögliche, rein sachliche Austausch zwischen den elitären „Fachleuten“ aus Politik, Wirtschaft, Kulturbetrieb etc. verunmöglicht werde und zum kleinlichen Tauziehen um „Likes“, Einschaltquoten und Umfrageergebnisse verkomme. Tatsächlich entspricht nichts weniger der Realität. Auch wenn es denjenigen, die von einer alle Belange des irdischen Lebens ordnenden „unsichtbaren Hand“ des Marktes fantasieren, nicht recht schmecken mag: Die beteiligten Unternehmen und Institutionen sind keinesfalls von ihrer Verantwortung für die Nöte von Zielpersonen der heutigen Hexenjagden freizusprechen. Denn ganz im Sinne der kalt lächelnden PRStrategen des hyperliberalen „Woke Capital“ (wir handelten bereits in FREILICH-Ausgabe 9 im Hinblick auf die Pseudorevolte von „Black Lives Matter“ davon) ist die zeitgenössische Gedankenverbrecher-Riecherei FR E I L I CH


eine willkommene Gelegenheit, um sich auf Kosten anderer selbst ins weltbürgerlich-tolerante Licht zu rücken. Sie ist somit unter umgekehrten Vorzeichen der antikommunistischen „Red Scare“ der 1950er-Jahre vergleichbar, nur dass US-Senator Joseph McCarthy und seine Mitstreiter – wie wir heute wissen – mit ihren Warnungen vor einer gesamtgesellschaft lichen Infi ltration der Vereinigten Staaten völlig richtig lagen und nur den Feind nicht zur Gänze erkannt hatten. Während in den USA seinerzeit eine von namhaften kulturellen Multiplikatoren angefachte breite gesellschaft liche Solidarisierung mit den vor die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse gegen „unamerikanische Umtriebe“ zitierten Personen stattfand und beklagt wurde, dass die „Opfer“ so an ihrer freien berufl ichen und politischen Entfaltung gehindert würden, funktioniert die alles bestimmende Machtdynamik heute von oben nach unten: Wer sich öffentlich distanziert und einen Sündenbock öffentlichkeitswirksam vor die Tür setzt, der beweist die eigene Konformität und empfiehlt sich für mediales Lob, das manch neuen „engagierten“ Kundenkreis erschließen mag. Im Klartext: Die Wirtschaft bedarf durchaus nicht irgendwelcher Shitstorms, sie bedient sich nur der eifrigen freiwilligen Helfer auf Facebook und Twitter, um Opferlämmer zu Mammons Ehren auszuwählen. Um diese heimtückische Ecke jedoch denken viele grundsätzlich wohlmeinende Kritiker der Zustände nicht mit, was ihnen den Weg in eine unschöne Sackgasse bereitet.

Der Fallstrick des Opferstolzes

Tatsächlich handelt es sich bei den Auswüchsen der „Cancel Culture“ eben nicht um das Wüten gegen konkrete Diskriminierungen und falsche Darstellungen (die ja theoretisch leicht zu widerlegen sein sollten). Die von so vielen Konservativen gebetsmühlenartig wiederholte Klage oder in einem Anfall von traurigem Trotz dem Mob entgegengeschleuderte Diagnose, dieser sei ja in Wahrheit gar nicht an einem „herrschaftsfreien Diskurs“ interessiert, vermag deshalb niemandes Mitleid zu erregen und vertieft allenfalls das eigene Selbstbild als von allen Seiten her drangsalierte „verfolgte Unschuld“. Denn das, was da eigentlich „storniert“ werden soll, ist einem jeden Diskurs noch weit vorgeschaltet und rührt wie alle heutigen emotionalen Gesellschaftsriten – etwa auch die Unterwerfungsgesten der Bevölkerungsmehrheit gegenüber der von einem rassisch-messianischen Nimbus umflorten MinderheiN ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

tenbewegung „Black Lives Matter“ – an die (quasi-) religiösen Wurzeln unseres spätmodernen sozialen und politischen Alltagslebens. Es ist nicht weniger als die jüngste Ausformung eines Puritanismus im US-Wortsinn, wo damit „alles kalte, blutleere, engstirnige, selbst beschränkende, scheinheilige und rachsüchtige in der Kultur“ (Judith Graham) bezeichnet wird. An die Stelle der Gottheit ist hier lediglich die totale Konsumfreiheit auf wirtschaftlicher, biochemi-scher, sexueller und allen anderen Ebenen getreten, die zusammen mit dem dahinterstehenden „Woke Capital“ von sarkastischen Beobachtern gern als „Globohomo (Gayplex)“ bezeichnet wird. Einem zivilreligiösen Moloch aber kommt man nicht mit weinerlichen Appellen an „Fairness“ und „friedlichen Diskurs“ bei. Ganz besonders tragisch nehmen sich derartige Kommentare gerade von solchen Zeitgenossen aus, die ansonsten markige Zitate wie „Habe Mangel an Versöhnung!“ (Gottfried Benn) vor sich hertragen. In den online ausgetragenen Machtspielchen mischt sich niedere Schadenfreude mit jenem Heischen nach Status, das gewissermaßen als Ausfluss unserer postindustriellen Gesellschaft – Gefühlsmacht statt Arbeitskraft – den Pulsschlag der sozialen Netzwerke mit ihrer Währung der Zuneigung aus „Likes“ und „Dislikes“ ausmacht. Und Status lässt sich nicht „fair“ handeln: Man gelangt daran, indem man sich selbst erhebt oder andere erniedrigt. Daraus folgt, dass einmal mehr der Angriff nicht nur die beste, sondern tatsächlich die einzige Verteidigung ist. Niemand – nicht einmal die engagierten Bürgerkinder in den ach so wohltätigen und humanitären NGOs – stellt sich gern auf die Seite der scheinbaren ewigen Verlierer, schon gar nicht, wenn Letztere einen nicht geringen Teil ihres Selbstverständnisses aus Rückschlägen beziehen. Das Motto des streitbaren Publizisten Andrew Breitbart, „Immer doppelt so fest zurückschlagen!“, weist hierbei den Weg: Wenn man im Recht ist, gilt es, sich zu verbeißen und den Nutznießern der „Cancel“-Unkultur den Status vorzuenthalten. Die besten Mittel dazu sind Gleichgültigkeit („Na und? Hast du nichts Besseres zu tun?“) und Herablassung („Ich denke, du solltest jetzt einfach mal still sein und die Erwachsenen machen lassen.“). Und immer daran denken: Niemand ist „gezwungen“, einen „Ketzer“ zu entlassen, ihm das Konto zu kündigen oder ihm einen Veranstaltungsort zu verwehren, solange keine Straftaten im Raum stehen – man muss das widerwärtige Spiel schon aktiv mitspielen wollen!

K U LT U R

Einem zivilreligiösen Moloch aber kommt man nicht mit weinerlichen Appellen an „Fairness“ und „friedlichen Diskurs“ bei.

Nils Wegner wurde 1987 in Niedersachsen geboren und studierte Geschichtssowie Kulturwissenschaften in Gießen und Hamburg. Ab 2008 als freiberuflicher Journalist und Autor tätig; nach Tätigkeit als Lektor für den Verlag Antaios 2015–2018 heute Schwerpunktarbeit als Übersetzer. Interessengebiet ist die dissidente Politiklandschaft in den USA. Persönliche Website: altwritewegner.com

73


K U LT U R

1 B Kann man politisch spielen? „Heimat Defender“ bringt Aktivismus auf den Bildschirm – mit feinen Anspielungen. VON SELMA HORAK

74

Die Bürgerinitiative „Ein Prozent“ präsentiert mit „Heimat Defender: Rebellion“ das erste Computerspiel mit explizit pa-triotischem Bezug. Binnen kürzester Zeit wurde das Spiel zum Hit – und nach einem Shitstorm linker Aktivisten von der US-Spieleplattform Steam zensiert.

Gegenkultur als Auftrag

Das Prinzip der Gegenkultur ist in der „neurechten“ Szene wohlbekannt. Es knüpft an die Idee der Kulturrevolution des italienischen Marxisten Antonio Gramsci an, die wiederum die Basis für das „neurechte“ Grundlagenwerk „Kulturrevolution von rechts“ des französischen Philosophen Alain de Benoist war. Der Gedanke ist simpel: „Erst müssen die Köpfe, dann die Parlamente gewonnen werden“, so erklärte es Philip Stein im FREILICH-Interview (Ausgabe Nr. 2). Stein ist Leiter der 2015 gegründeten Initiative „Ein FR E I L I CH


K U LT U R

Foto: EinProzent

Nicht nur digital eine starke Truppe: Zur Vorstellung von „Heimat Defender“ lud „Ein Prozent“ die Protagonisten Alex Malenki, Martin Sellner und Outdoor Illner nach Dresden ein.

Prozent“, die ihren Sitz in Sachsen hat und mittlerweile – wie die gesamte „neurechte“ Szene – auch in das Visier des Inlandsgeheimdienstes geraten ist. Hatte „Ein Prozent“ anfangs noch den Anspruch, den Widerstand „auf die Straße zu tragen“, entwickelte sich der Verein schon bald zur treibenden Kraft einer neuen Gegenkultur. Künstler, Autoren, Musiker, Journalisten – sie alle fanden und finden einen Platz unter dem Dach der Patrioten-NGO. Mit dem jüngsten Projekt präsentiert „Ein Prozent“ allerdings einen völlig neuen Ansatz: ein PC-Spiel, in dem Hauptfiguren aus dem „neurechten“ Lager gegen das Regime einer fiktiven „Globohomo Corporation“ kämpfen.

Kaum veröffentlicht, schon Kult

Das Spiel trägt den Namen „Heimat Defender: Rebellion“ und wurde von „Kvltgames“ um den österreichischen Spieleentwickler Roland Moritz entwickelt. N ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

Nach mehr als einem Jahr Arbeit wurde das Spiel am 15. September 2020 der Öffentlichkeit präsentiert und steht seitdem auf der Website heimat-defender.de zum kostenlosen Download zur Verfügung. Nach dem Herunterladen stehen dem Spieler elf Level bevor, in denen er mit dem identitären Aktivisten Martin Sellner, den YouTubern Alex Malenki und Outdoor Illner oder dem „dunklen Ritter“ (in Anlehnung an den Verleger Götz Kubitschek) gegen gesichtsund identitätslose NPCs (Non-Player Characters) oder an Vertreter des politischen Mainstreams erinnernde Endgegner antritt. Das Spiel ist ein klassisches 2DJump’n’Run in 16-Bit-Optik. Dieses Design sei „zeitlos, bewährt und im Rahmen der beschränkten Ressourcen eines kleinen Entwicklerteams am ehesten umsetzbar“, so Entwickler Moritz. Ergänzt um einen eigenen Soundtrack im 80er-Synthwave-Stil des Künstlers RetroRebel genießt das Spiel auf jeden Fall schon jetzt Kultstatus.

75


K U LT U R

„Heimat Defender“ ist voll mit kleinen und großen Anspielungen auf das konservative Milieu. So triff t man neben Björn Höcke und Benedikt Kaiser auch Martin Lichtmesz.

DIE SPIELFIGUREN

Sachliche Kritik? Fehlanzeige

Doch das Spiel stieß bereits im Vorfeld auf Kritik. Nicht nur von links. Deshalb sah sich Philip Stein genötigt, in einem YouTube-Kommentar die Motivation von „Ein Prozent“ zu erläutern. Innerhalb von zehn Tagen wurde das Spiel schon über 25.000 Male auf der eigenen Website heruntergeladen – obwohl es anfangs nur für WindowsRechner eine spielbare Version gab. Mit diesem Erfolg wurde die Kritik von rechts im gleichen Maße leiser, in dem jene von links erstarkte. Sachlich freilich kommt aus linken Kreisen kaum ernst zu nehmende Kritik. Die „Frankfurter Rundschau“ nannte das Spiel „obskur“ und fantasierte von „rechtsextremen Onlinekulten“. Auch englischsprachige Medien griffen diese unhaltbaren Argumentationsmuster auf und zogen unter dem Stichwort „Gamification“ eine Linie von dem Christchurch-Attentäter bis zu diesem Spiel. Die Argumentation: Mit Spielen wie „Heimat Defender“ verbreite man „homophobe“, „antisemitische“ oder „rassistische“ Stereotype, die Spieler übernähmen durch das Eintauchen in die Spielwelt diese Rollenbilder und würden nur wenig später dann auch im echten Leben die erlernte – gewaltsame – Auseinandersetzung suchen. Die Logik: Rechte Computerspiele führen immer zu rechten Anschlägen, wenigstens aber zur Radikalisierung. Die Macher dürften sich von diesen plumpen Versuchen, patriotisches Gedankengut zu kriminalisieren, kaum beeindrucken lassen. Genauso wenig wie vom

76

Für Spieleentwickler Roland Moritz stand von Anfang an fest: Die Figuren aus „Heimat Defender“ müssen fest in der Realität verwurzelt sein. So wundert man sich dann auch nicht, dass alle spielbaren Charaktere Identifikationsfiguren der konservativen Szene sind. Namentlich handelt es sich um den sächsischen YouTuber Alex Malenki (der unter anderem von „Laut Gedacht“ bekannt sein dürfte), den Wiener Aktivisten Martin Sellner und den Survival-Philosophen Outdoor Illner. Die finalen Level im Spiel bestreitet man dann zu guter Letzt mit dem „dunklen Ritter“, der nur allzu deutlich Götz Kubitschek darstellt.

ebenso oft getätigten Vorwurf, „Heimat Defender“ sei lediglich ein hastig zusammengeschusterter Mediengag, dessen einziger Zweck die Provokation eines kurzfristigen Echos gewesen sei. Denn tatsächlich merkt man dem Programm seine mehr als 15-monatige Entwicklungszeit an. Die bereits erwähnte Spiellänge spricht ebenso dafür wie die vielen kleinen Details, versteckten Geheimnisse oder Anspielungen. Kenner der konservativen Lager werden sicher das eine oder andere Mal schmunzeln müssen, etwa wenn Antifa-Slogans durch den Kakao gezogen werden oder Björn Höcke höchstselbst sich im Computerspiel über den leidigen „Bernd“-Kalauer linker Entertainer lustig macht. Dann merkt man, wieviel Herzblut und sicher auch harte Arbeit in die Programmierung des Spiels geflossen ist, das aber auch auf spielerischer Ebene überzeugen kann. Vergleicht man das mit dem, was das linksliberale Establishment auffährt, so muss man als Außenstehender vor den Herren von „Ein Prozent“ den Hut zücken. Wenige Monate vor der Veröffentlichung von „Heimat Defender“ warf schließlich auch die Staatskanzlei in Nordrhein-Westfalen ein politisches Spiel auf den Markt – das ebenfalls kostenlose „Leons Identität“ ist aber allenfalls als wenig subtiler Versuch der linken Indoktrination zu werten. Miese technische Umsetzung, eine plumpe Geschichte rund um den in die identitäre Szene „abgerutschten“ Leon und eine lieblose, leere Spielwelt: Mit 225.000 RE


Foto: EinProzent

K U LT U R

Wie sieht Europa im Jahr 2084 aus? Das Spiel zeichnet eine dystopische Zukunftsvision.

Martin Sellner lässt sich vom Entwickler Roland Moritz (rechts) das Spiel erklären.

HEIMAT DEFENDER

Euro Steuergeld hat die verantwortliche Kölner Firma bildundtonfabrik (die sich u. a. durch die Produktion von Jan Böhmermanns Sendung einen Namen gemacht hat) gegenüber „Heimat Defender“ deutlich das Nachsehen. Und auch die umworbene Spielergemeinschaft hat sich entschieden: Offizielle Spielerzahlen sind zwar im Fall von „Leons Identität“ nicht verfügbar, aber schon der YouTube-Trailer hat mit weniger als 4000 Klicks sein Publikum kaum erreicht – der „Heimat-Defender“-Trailer hingegen hat mehr als 60.000 Aufrufe.

Nach linkem Shitstorm – Zensur

Vielleicht ist es dieser Umstand, die Tatsache, dass „Heimat Defender“ auch bei der politisch eher neutralen Spielerbasis Zuspruch findet, der Grund für die Reaktion der US-Spieleplattform Steam. Auch darüber wollte „Ein Prozent“ das Spiel veröffentlichen, um ein gänzlich neues Publikum zu erreichen. Doch noch vor der Veröffentlichung wurde „Heimat Defender“ dort gelöscht. Das sei keineswegs überraschend gewesen, heißt es aus dem Umfeld von „Ein Prozent“. Innerhalb weniger Tage entfachten linke Medien, NGOs und Aktivisten einen regelrechten Shitstorm, dem sich das Unternehmen letztendlich unterwarf. Bemerkenswert ist dabei jedoch die Unverhältnismäßigkeit: Während „Heimat Defender“, das keine explizite Gewalt darstellt (geschweige denn verherrlicht), N ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

Die Bürgerinitiative „Ein Prozent“ tritt bereits seit 2015 an, um Patrioten zu vernetzen, neue Wirkungsfelder der metapolitischen Arbeit zu erschließen und nicht zuletzt da Dampf zu machen, wo es nötig ist. Neben der umfangreichen Wahlbeobachtung bei deutschen Landtags- und Bundestagswahlen arbeiten die Männer um „Ein-Prozent“Leiter Philip Stein stetig an neuen YouTube-Formaten, Dokumentationen, Recherchen und nicht zuletzt an Projekten wie „Heimat Defender“. Dabei funktioniert die Initiative – die ihren vollen Namen übrigens nach einem Zitat von Götz Kubitschek trägt – rein spendenbasiert. Download unter: heimat-defender.de

nun gelöscht ist, findet sich dort auch weiterhin etwa das Spiel „Tonight We Riot“, das linksextreme Ideologie propagiert und in dem man einen gewaltsamen „Klassenkampf“ nachspielt.

Letzte Rettung „Cancel Culture“?

Alles in allem ist „Heimat Defender: Rebellion“ für „Ein Prozent“ ein schöner Erfolg. Gewiss, gegen die großen Player in der Gamerszene kommt der Verein damit nicht an – diese Industrie ist auch schon längst größer als Hollywood. Dennoch zeigen sich auch hier erste Risse im kulturellen Fundament des Mainstreams, der offenbar jede Dynamik verloren hat und sich nun in der unsäglichen „Cancel Culture“ langsam, aber sicher selbst erdrosselt. Doch viel schwerer als das dürfte die Tatsache wiegen, dass mit „Heimat Defender“ nicht nur ein cleverer metapolitischer Schachzug geglückt, sondern auch ein hervorragendes Computerspiel entwickelt worden ist. Während Spiele, die auf einen linksliberalen Kurs getrimmt und mit hunderttausenden Euro Staatsgeldern finanziert werden, am Ende doch nur Langeweile verbreiten, ist es „Ein Prozent“ und dem Entwicklerteam „Kvltgames“ gelungen, ein Spiel zu produzieren, das die Spielerherzen im Sturm erobert hat. Aber auch langfristig sichert sich „Heimat Defender“ eine Daseinsberechtigung auf den Festplatten – trotz Zensur und Meinungstrommelfeuer von links.

77


78

Foto: imago images / DATA73

INTERVIEW

Seltsame Zeichen in einer sonderbaren Gesellschaft: Die Spaltung ist die neue Normalität im Westen.

FR E I L I CH


INTERVIEW

„Sie sehen nicht, dass wir in einem späten Rom leben.“ Uwe Tellkamp kommt aus dem anderen Deutschland. Im Interview mit FREILICH spricht er über das schöne Leben im Westen, den Widerstand im Osten und die durch Gleichgültigkeit bedrohte Identität.

INTE RVIE W: ULRICH NOVAK

Uwe Tellkamp ist vertraut mit dem Untergang politischer Systeme und den davon kündenden Zeichen. Er schrieb den sogenannten Wende-Roman „Der Turm“ unter anderem über „die Agonie der Bürgerlichkeit in der DDR“. Ähnlich wie der belgisch-deutsche Althistoriker David Engels oder auch Alexander Demandt, der als FU-Professor in Berlin Alte Geschichte lehrt, erkennt Tellkamp in der Historie analoge Entwicklungen zu den aktuellen Geschehnissen im politischen Raum. Parallel zu Engels sieht Tellkamp in den nächsten Jahren weniger den materiellen Untergang der abendländischen Kultur voraus als vielmehr die Entwicklung europäischer Staaten zu autoritären Systemen „analog zum römischen Principat als letztem N ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

Bollwerk vor der völligen inneren Auflösung“. Dagegen und gegen die Bedrohung unserer Kultur müsse gekämpft werden, so der Schriftsteller. FREILICH: Sehr geehrter Herr Tellkamp, was ist Ihrer Meinung nach übrig geblieben von dem Ungewissheit ankündigenden, aber hoffnungsvollen Aufbruch in die neue Post-DDR-Zeit, den Sie gegen Ende von „Der Turm“ skizzieren?

Uwe Tellkamp: Erinnerungen, die nur wenige noch interessieren, Erfahrungen, die viele jetzt zum ersten Mal machen, bei den Beteiligten das Wissen, dass auch noch so starre Systeme fallen können, dass Freiheit sich auf Dauer nicht unterdrücken lässt, dass es eine

79


Foto: imago images / Sven Simon

INTERVIEW

Zur Person

Hoch ausgezeichnet: Uwe Tellkamp betrat 2004 als Gewinner des Bachmann-Preises die Bühne.

Der Abtrünnige

Der Schriftsteller Uwe Tellkamp hat es geschafft, innerhalb kurzer Zeit vom Lieblingskind des bundesdeutschen Feuilletons zum Fragwürdigen, vielfach sogar zum Paria zu werden. 200

1

B

P

T

R

T T T

R

E

R 2000

T

M

R

200

R

S

E

T

B

S R

M

R

S

S

M

2012 B

S

B

B

P

T

80

S

R

B

P

R

E

P

S

P

201

M

B

B

E

T

T

E

2010

S

201

S

T

S

S

E

T

S

B

P

2011

R

E

B

B

S

T

1 M

P 200

S

S

P

B

B

B

S

Realität gibt, der keine Verleugnung, keine Propaganda, und sei sie noch so wirksam, etwas entgegenzusetzen hat. Wirklichkeit wirkt. Die Feinfühligkeit vieler, die in der DDR lebten, für das Aufkommen heutiger totalitärer Entwicklungen ist bekannt. Geht denjenigen, die im Westen lebten und leben, dieses Gefühl für entstehende Gesinnungskorridore ab?

Natürlich nicht allen, wache Geister gibt es in allen Himmelsrichtungen. Jedoch scheint mir dieser Graben zwischen Ost und West bei einem Thema zu existieren, das meiner Meinung nach den Kern der gegenwärtigen Konflikte bildet: Identität. Damit verknüpft sind Themen wie Heimat, (klassische) Familie, Nation, Trump (für viele Linke ja das Feindbild schlechthin, obwohl er, genau besehen, so manche Position linker Politik vertritt), Weltrettung durch Energie- und Verkehrswende, Rassismus usw. Ich erfahre tatsächlich, dass vielen „Wessis“ das Bewusstsein dafür abgeht, dass und wie diese mit dem Zentralbegriff verknüpften Themen angegriffen werden. Viele finden es sogar gut, damit aufzuräumen, wie gesagt wird. Warum? Vielleicht, weil die große Mehrheit vieler im Westen sozialisierter Bürger in den vergangenen 70 Jahren Staat und Öffentlichkeit nie als Feind empfinden musste. Der Staat war liberal, die Freiheit nahezu grenzenlos, die Polizei freundlich (und bevor Altachtundsechziger mit ihren Verhaftungs- oder Demogeschichten kommen: mal Ost-Bürgerrechtlererinnerungen lesen!), Medien gab es grob in zwei Lagern, das eine davon deut-


lich staats- und institutionenkritisch (damals wurde ja auch der Staat oft als rechts gesehen) – es gab also keinen Grund, Antennen für Bedrohungen des Gewohnten, der von NATO und Amerika beschützten Demokratie mit wachsendem Wohlstandsspeck auszubilden. Dazu die fatale Rolle der Kirchen, die das grüne Narrativ nahezu widerstandslos übernommen haben und einerseits aus Schamstolz auf ihre eigene Glaubensskepsis und Wohlanständigkeit gnadenlos alles verdammen, was von ihrem Moralverständnis abweicht, andererseits vor einer elementar gelebten und glaubensstark verkündeten Religion wie dem Islam resignierend das Knie beugen. Das war im Osten anders: Medien waren Parteiorgane und wurden prinzipiell skeptisch aufgenommen, die Kirche bot der Opposition Obdach, der Staat war, außer für überzeugte Genossen, im besten Fall kein Freund (für mich war er Feind), die Widersprüche zwischen öffentlicher Erzählung über die Wirklichkeit und der mit eigenen Augen alltäglich wahrgenommenen Wirklichkeit wurden immer größer. Kulturell: Wer immer nur offene Grenzen kannte, zur Schule in England, Italien, Frankreich ging, die Welt als zugänglich, nicht als verschlossen erfuhr, welches Bewusstsein für nationale Kultur (und erst recht für die problematische deutsche) soll der ausbilden? Allerdings halten viele derjenigen, die auf diese Weise weltoffen sozialisiert wurden, einen Ausnahmezustand für selbstverständlich. Sie sehen nicht, dass wir in einem späten Rom leben. Schon mal daran gedacht, ins Exil zu gehen? N ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

INTERVIEW

„Zurzeit haben die Gesinnungsethiker das öffentlich-rechtliche Sagen. In Umrissen wird ein Fünftes Reich sichtbar …“

Allerdings. Dresden, wo ich lebe, bietet noch eine Art Exil. Da ist der Welterlösungswahn noch nicht angekommen. Wenn das „noch nicht“ entfallen sollte, muss ich das dann Mögliche präzisieren. „Die Spaltung unserer Gesellschaft, unsere gespaltene Gesellschaft“ – Ihrer Meinung nach eine zutreffende Zustandsbeschreibung?

Zutreffend, und offenbar in der ganzen westlichen Welt. Wir erleben einen Kulturkrieg zwischen selbst ernannten „Progressiven“, die in der Regel das politische Programm der Linken und Grünen vertreten, also Weltoffenheit, Menschheitsbeglückung (drunter wird’s nicht), multikulturelle Gesellschaft, Klimarettung, Staat nicht als liberaler Rahmen, sondern als Blockwart, der mit Verboten und Zwängen regiert – und den von Ersteren abwertend so bezeichneten Konservativen, denen es um den Erhalt des Bewährten und in der Regel um den Blick auf alle Aspekte und Kosten der Menschheitsbeglückung geht. Max Weber nannte die beiden Fraktionen Gesinnungs- und Verantwortungsethiker. Zurzeit haben die Gesinnungsethiker das öffentlichrechtliche Sagen. In Umrissen wird ein Fünftes Reich sichtbar (das Vierte war die DDR), eine Mischung aus facebookgestütztem Sozialpunkte-Sozialismus, grün gelacktem Wiedertäufertum, das wie Thomas Müntzer das Reich Gottes schon auf Erden errichten will, noch arbeitender Wirtschaft (bis auch sie nicht mehr funktioniert, weil der sie tragende Mittelstand kapituliert und für Innovationen keine Denkfreiheit mehr vorhanden ist), tribal

EXIL

Bilder mit Worten malen – man könnte meinen, dies geschehe, liest man Tellkamps Texte. „Das Atelier“ gewährt faszinierende Einblicke in die Bilder und Welt der sächsischen Kunstszene, insbesondere in Dresden. Dies geschieht hier freilich nicht in der Form eines Reportes oder schieren Abbildes, sondern als Dichtung und Wahrheit: auf irisierende Weise stets auch das Ganze bedenkend. Tellkamps erlebnisreicher Essay führt auch die Bedrohung der Kunst vor Augen, wenn sie und der Künstler in die Mühlen der Politik und der Ideologen geraten … Uwe Tellkamp: Das Atelier Edition Buchhaus Loschwitz, Dresden 2020. ISBN 978-3-9820131-8-3 A € 17,50 / D € 17,00

81


Guter Journalismus ist eben auch eine Frage des Standpunktes.

K R I T I S C H , U N A B H Ă„ N G I G U N D TĂ„ G L I C H F R I S C H

www.tagesstimme.com


organisierten Parallelgesellschaften und Gebieten, wo noch Demokratiereste zu finden sind, dazu im Widerstand gegen den linksreligiösen Freiheitsentzug und gegen den Islam entstandene Inseln der Rechten, die den Kampf aufnehmen und, je härter dieser wird, auf ihre (die Linke spiegelnde) Weise totalitäre Züge ausbilden werden. Corona-Krise, Bildungskrise, drohende Wirtschaftskrise, Arbeitsmarktmisere, gescheiterte Mulitkultikonzepte, Islamisierung, angeblich alltäglicher Rassismus usw. Das klingt alles nicht nach einem funktionierenden Land. Können wir Deutsche uns noch helfen? Was müssten wir entdecken, um wieder in die Spur zu kommen?

Unsere eigene Kultur. Identität ist kulturell grundiert. Sie ist nicht nur (und vielleicht nicht einmal hauptsächlich) durch ungesteuerte Zuwanderung bedroht, sondern durch die Gleichgültigkeit einer satt gewordenen, dem Eigenen achselzuckend oder sogar feindlich gegenüberstehenden Kaste in Politik und Medien, die ihre eigene innere Leere spürt und das arbeitslos gewordene religiöse Verlangen mit Ersatz wie Klimarettung, Energiewende, Weltoffenheit, Kampf gegen rechts und Ähnlichem beschäftigt. Dazu kommen Machthunger und Geltungsgier. Unsere christlich-jüdisch-abendländisch geprägte Kultur ist zugleich von außen wie von innen bedroht. Wer sie erhalten will, muss für sie kämpfen, auch wenn man dafür den berüchtigten „öffentlichen Widerspruch“ erfährt, da Haltungswächter, oft auch einfach N ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

Dummköpfe in unserer Meinungswirtschaft den Kampf für das Eigene mit der Ablehnung alles Fremden gleichsetzen. Für mich als Schriftsteller heißt das, meine Sprache zu hüten. Welcher Künstler lässt sich schon gern das Instrument kaputt machen, auf dem er spielt? Ich verstehe die Haltung vieler Künstler nicht, die sich bei den Sprachund Kulturzerstörern, bei den Zeitgeistern des moralisch Korrekten verorten. Aber viele sind, was das sogenannte Gute betrifft, erschreckend naiv, selbstgewiss und eindimensional, leben in Traumwelten, sind von ihren je eigenen Dämonen und Ängsten gejagt, projizieren Phantome auf die gesellschaftliche Wirklichkeit. Der Nazi ist immer eine der Methoden – und heute, scheint mir, am lebendigsten bei den selbst ernannten Nazijägern.

INTERVIEW

„Wer immer nur offene Grenzen kannte, welches Bewusstsein für nationale Kultur (und erst recht für die problematische deutsche) soll der ausbilden?“

Uwe Tellkamp: Der Turm. Geschichte aus einem versunkenen Land Suhrkamp Verlag, 2010. ISBN 978-3-518-46160-0 A € 10,30 / D € 9,99

Uwe Tellkamp: Der Eisvogel Suhrkamp Verlag, 2010. ISBN: 978-3-518-46161-7 A € 12,40 / D € 12,00

Soll und darf man in der Literatur alles sagen dürfen?

Gute Literatur sagt alles, auch und oft gerade im Schweigen, in der Andeutung, der Anspielung. Gute Literatur ist (für mich) immer auch Wahrheitssuche. Einzige Instanz ist das befragte und erzählend antwortende Gewissen. Es kann auch die Hand heben zum: Das nicht, nicht so. Das berührt die überaus verletzbaren Grenzen der Würde, in meiner Arbeit als Schriftsteller schon und zuallererst die der Sprache. Wörter sind Lebewesen, ich mag es nicht, sie missbraucht zu sehen. Herr Tellkamp, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Uwe Tellkamp: Die Sandwirtschaft. Anmerkungen zu Schrift und Zeit. Leipziger Poetikvorlesung Suhrkamp Verlag, 2009. ISBN: 978-3-518-06999-8 A € 18,50 / D € 18,00

Alle Bücher sind im FREILICH-Büchershop erhältlich. freilich-magazin.at/shop

83


LESESTÜCK

Benedikt Kaiser: Solidarischer Patriotismus

Foto: /shutterstock / 148385663

Verlag Antaios Schnellroda 2020, 292 Seiten ISBN 978-3-944422-73-2 A € 18,50 / D € 18,00

84

FR E I L I CH


„SOLIDARISCHER PATRIOTISMUS. DIE SOZIALE FRAGE VON RECHTS“

LESESTÜCK

AUS DEM BUCH

Solidarischer Patriotismus Zusammengehören und füreinander einstehen: Solidarisches Handeln gehört zum Patriotismus wie die Butter aufs Brot.

VON BENEDIKT KAISER

K

risen – uns steht gerade eine ins Haus! – werden durch ökonomische Turbulenzen und den Wandel der Arbeitswelt intensiviert, soziale und ethnokulturelle Konflikte werden zunehmen. Man muss gewappnet sein – sowohl für Auseinandersetzungen innerhalb des eigenen Lagers als auch mit dem vielgestaltigen Gegner, insbesondere aber für die Bekämpfung sozialer Verwerfungen und ihrer Folgen. Der Vorschlag lautet, diese Auseinandersetzungen unter dem Leitbegriff „Solidarischer Patriotismus“ zu führen. Er enthält die wichtigsten Pole einer arbeitsfähigen politischen Rechten: Solidarität als „Einbezogenheit in ein soziales Geschehen“, für das man als Teil der Gemeinschaft Verantwortung trägt, im Sinne einer „Verpflichtung fürs Ganze“ (Heinz Bude); Patriotismus „als gemeinwohlorientierte Haltung und Handlung“, als Bekenntnis zum Eigenen, das man verteidigen möchte. Beide Formen bedingen einander. Der Solidarische Patriotismus ist nun ein Angebot an vernunftbegabte und gemeinwohlorientierte Kräfte aller Seiten. Er integriert als „rechter“ Ansatz auch „lin-

N ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

ke“ Elemente, wo es nötig erscheint. Es folgen 15 Standpunkte, die Eckpfeiler des Solidarischen Patriotismus umreißen. 1. Die Bezugnahme auf eine relative ethnische Homogenität ist eine rechte Konstante des Solidarischen Patriotismus, weil ihm die Erkenntnis zu eigen ist, dass die „Bereitschaft zum solidarischen Handeln“ entscheidend „von der wechselseitigen Vertrautheit und einem historisch gewachsenen Zusammengehörigkeitsgefühl“ abhängt. Dieses zeigt sich „aber in sehr heterogenen Gesellschaften schwächer entwickelt“, wie Dirk Jörke betont. Konkret auf die soziale Frage gemünzt, beruht der von Generationen Deutscher erkämpfte Sozialstaat „in seinem Kern auf Solidarität und Vertrauen innerhalb eines politisch begrenzten, genau definierten Raums“, weshalb er letztlich „ein Club mit definierter Mitgliedschaft“ sein muss. Rolf Peter Sieferles Axiom heißt im Klartext: Masseneinwanderung und Sozialstaat sind auf Dauer unvereinbar; die Befürwortung einer relativen ethnischen Homogenität und die Absage an forcierte Zuwanderung ergeben sich als logische Folgen.

85


LESESTÜCK

Eine politische Rechte, die Law-and-orderModelle der Marke WerteUnion goutiert, kann innere Sicherheit als ihr Steckenpferd verbuchen, doch überlässt linken Kräften die soziale Sicherheit.

2. Die Bezugnahme auf eine relative soziale Homogenität ist eine „linke“ Konstante des Solidarischen Patriotismus, deren Wurzeln tatsächlich im gleichen Maße im preußisch-deutschen Urkonservatismus liegen. Für diesen war die Linie Rodbertus-SchmollerWagner-Spengler-Sombart-Sieferle prägend, doch heute scheint sie durch die anhaltende Liberalisierung der Rechten verlustig gegangen. Dabei gilt es, sich auf sie zu beziehen und die zeitlosen unter ihren Erkenntnissen neu zu erschließen: Einkommens- und Vermögensunterschiede dürfen ein gesundes Maß nicht überschreiten und müssen an reale Unterschiede bei erbrachter Leistung gekoppelt sein. Solidarischer Patriotismus weist Arbeit, Pflichterfüllung und Streben nach dauerhafter Bedürfnisbefriedigung der Gesellschaft wieder einen höheren Rang zu als kapitalistischem Profitstreben und der unablässigen Bedürfnisweckung in der Gesellschaft. Dieser Standpunkt richtet sich zwangsläufig gegen die finanzpolitische Praxis, wonach mühelose Einkommen weniger besteuert werden als geleistete Arbeit – zum Nachteil der absoluten Mehrheit des Volkes. Daher muss dort, wo möglich, der Grundsatz gelten: Geld ist gewährter Beleg für erbrachte Arbeit und hat reellen Wert, wenn hinter ihm eine angemessene Arbeitsleistung steht. Das anzustrebende Primat der Politik gegenüber der Wirtschaft versetzt Letztere wieder in die ihr zugedachte Stellung, die sie in den jüngsten Stadien des Kapitalismus triumphierend verlassen konnte. 3. „Relative Homogenität“ heißt in beiden Fällen nicht Gleichmacherei. Die Forderung nach einer relativen Gleichheit im Ethnokulturellen und im Sozialen bedeutet, dass die Unterschiede, die Menschen voneinander trennen, nicht so krass werden dürfen, dass sie das tragende Fundament der Gesellschaft unterminieren

86

und brüchig werden lassen. Ansonsten werden innere und soziale Sicherheit künftig bedrohter denn je. Wer ungehemmte Multikulturalisierung praktiziert (und damit die relative ethnische Homogenität zerstört), macht die Gesellschaft brutaler, kälter, gefährlicher – und bedroht die innere Sicherheit. Wer indes „einen Raubtierkapitalismus nach angelsächsischem Vorbild anstrebt“ (und damit die relative soziale Homogenität zerstört), sollte „wissen, dass er dann auch mehr Einbrüche, mehr Überfälle und mehr Gewaltdelikte bekommt, und dass das Leben der Menschen nicht nur sozial, sondern generell immer weniger sicher ist“, wovor Sahra Wagenknecht hiermit warnt. 4. Innere und soziale Sicherheit sind die beiden Grundpfeiler stabiler Ordnung. Eine politische Rechte, die Law-and-order-Modelle der Marke WerteUnion goutiert, kann innere Sicherheit als ihr Steckenpferd verbuchen, überlässt hingegen linken Kräften die soziale Sicherheit. Eine politische Linke, die glaubt, sie könne soziale Sicherheit herstellen, ohne einen handlungsfähigen und von seinen Bürgern anerkannten „Vater Staat“ zu affirmieren, überlässt ihrem liberalkonservativen Kompagnon die innere Sicherheit. Der Solidarische Patriotismus erkennt – beiden Polen kritisch gegenüberstehend – den wesensgemäßen Zusammenhang zwischen sozialer und innerer Sicherheit an. Er strebt nach gesellschaftlichen Verhältnissen, in denen Vereinzelungstendenzen vorgebeugt wird, während Vertrauenszusammenhänge gestärkt und andauernde Spaltungstendenzen des Landes aufgrund sozialer und identitärer Friktionen von unten, durch neubelebte Gemeinschaften, und von oben, durch einen verbesserten Staat, eingehegt werden. 5. Ein gesellschaftlich-produktiver Umbau des Staates im Solidarischen Patriotismus setzt eine Politikkehre voraus, die den „industriell-politischen Komplex“ auflöst, „in dem politische und wirtschaftliche Macht zu einer interessenkonformen, neuen Elite verschmelzen“, wie Thilo Bode konstatiert. Das ist unsozial, antinational, apolitisch. Es geht auch hier um die Erneuerung politischer Hoheit gegenüber den raumgreifenden und alles kontaminierenden wirtschaftlichen Prinzipien. Den Staat aus der Umklammerung des Kapitals zu befreien und die abstrakte Souveränität des Volkes konkret sicherzustellen, das ist ein Generationenprojekt. Der Staat ist im Solidarischen Patriotismus dabei weder allmächtiges Fetischobjekt noch „Moloch“, sondern die bewusste und höchste Organisationsform eines Volkes.

FR E I L I CH


7. Ein solcher Staat wird es sein, der in einem zu verwirklichenden Solidarischen Patriotismus die Rahmenbedingungen für alternative Politik und Wirtschaft im Zeichen einer solidarischen Leistungsgemeinschaft setzt. Leitlinien sind u. a. folgende: — Schlüsselindustrien und -bereiche gehören in öffentliche Hand und werden dem Profitstreben entzogen; — freies Spiel der freien Kräfte dort, wo möglich – Grenzsetzung durch staatspolitische Intervention, wo nötig; — Begünstigung kleinerer und mittlerer Unternehmen bei Entflechtung der monopolistischen Strukturen; — Gewähr freier Konkurrenz in privatwirtschaftlicher Regie in festgesetztem, aber je nach Situation variablem Rahmen; — Erziehung zur Selbstständigkeit statt zur Abhängigkeit; — ein Primat der Nähe, also der regionalen Wirt-

N ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

LESESTÜCK

6. Dass der Staat einen schlechten Leumund auch unter vielen Konservativen und Rechten besitzt, liegt an heutigen Missständen. Man denke an Milliardenausgaben zur Bewältigung der Einwanderung, Experimente wie „Gendermainstreaming“ samt Alimentierung entsprechender „Forschung“ oder millionenschwere Darbringungen für antifaschistische Strukturen als „Demokratieförderung“. Jenseits dieser zu tilgenden Mängel wird deutlich, dass der Staat oftmals wahrgenommen wird, wo er kritikwürdige Zustände fördert oder wo er nicht präsent scheint, weil er sich zurückzieht (die geschlossene Bibliothek vor Ort, die eingestellte Nahverkehrsverbindung etc.). Entsprechende Konstellationen kommen zu den ohnehin bereits geballt auftretenden Entfremdungsprozessen innerhalb der Gesellschaft (unter den Schichten, unter den hier lebenden Nationalitäten, von Deutschland als übergeordnetem Verbund usw.) hinzu: Das Gemeinwesen wird nicht mehr respektiert. Und dies ist ein Grund, wieso heutzutage viele Konservative und Rechte anfällig für libertäre Propaganda sind: Sie projizieren konkrete Kritik an konkret benennbaren Akteuren auf den „Staat an sich“. Erik Lehnert verweist demgegenüber auf die „Idee des Staates“, die heute, im wirtschaftsdominierten Parteienstaat, ins Gegenteil verkehrt werde. An Carl Schmitt geschult, definiert Lehnert den Staat als „Gemeinschaft, die nach innen für Frieden unter ihren Mitgliedern sorgt (auch den sozialen Frieden) und nach außen diesen inneren Frieden verteidigt“.

Ostdeutschland bleibt der Hoffnungsanker alternativer Politikvorstellungen. Nun wäre es falsch, „Ost“ und „West“ als monolithische Blöcke zu verstehen: Sie sind in sich heterogen.

schaftskreisläufe als Vorbedingung eines „nachbarschaftlichen Wirtschaftens“. Solidarischer Patriotismus als Markenkern der sozialen Frage von rechts benötigt keine kleinen Kurskorrekturen, sondern ein fundamentales Umdenken. Der schrittweise Neuaufbau ist, mit Hans-Joachim Schoeps prognostiziert, „eine harte Sachaufgabe, die gute Situationskenntnis, unabhängiges Denken und scharfen Blick für das jeweils politisch Mögliche erfordert“. Erforderlich ist weiterhin ein Resonanzraum, eine Musterregion, in der entsprechende Denkmuster und Vorstellungswelten heranwachsen können. 8. Ostdeutschland bleibt der Hoffnungsanker alternativer Politikvorstellungen. Nun wäre es falsch, „Ost“ und „West“ als monolithische Blöcke zu verstehen: Die alten wie die neuen Bundesländer sind in sich heterogen. Ungeachtet dieser Einschränkung ist Thorsten Hinz’ Bestandsaufnahme zutreffend, wonach sich im Westen über Jahrzehnte Ideologiebausteine reproduzieren konnten, die einen ergebnisoffenen Umgang etwa mit Zuwanderung und Identität erschweren. Im Osten der Republik ist das anders. Hier bleibt, um beim Reizthema Migration zu bleiben, die Weigerung präsent, die Folgen einer originär westlerischen Einwanderungspraxis mitzutragen. Doch Ost-West-Unterschiedlichkeit geht indessen über Zuwanderungsdifferenzen hinaus. Die AfD als Wahlformation einer Mosaik-Rechten nimmt diese Rolle etwa fast ausnahmslos im Osten ein, wo ein konstruktives Ineinandergreifen parlamentarischer und außerparlamentarischer Akteure überwiegt und Landtagswahlergebnisse von über 20 Prozent die Regel sind. Im Westen sieht es bei beiden Aspekten schlechter aus: Die Rolle als Teil eines nonkonformen Lagers wird aus einer immanen-

87


LESESTÜCK

Die politische Rechte stellt die letzte verbliebene Oppositionskraft dar. Die Linke, gerade im Osten bis vor wenigen Jahren eine ProtestVolkspartei, hat ihre diesbezügliche Funktion verloren.

ten Biederkeit heraus abgelehnt. Man versteht sich als Korrektiv der „Mitte“ um Union und FDP. Und bei Wahlen sorgen bereits neun oder zehn Prozent für Erstaunen. Der Osten tickt anders. 9. Die 2015er-Problemkonstellation ist die Referenz für das politisch und medial deutlich gewordene Entstehen des ostdeutschen Sonderweges, für die neue Hoffnung, die politische Akteure in diesen Raum projizieren, gewiß auch für die neue Angst, die Establishment und linke Ränder mit „Dunkeldeutschland“ verbinden. Diese aufgefrischte Skepsis gegenüber dem Osten weist tief liegende Gründe auf, sie ist angelegt in nachhallenden Setzungen der Sieger des Zweiten Weltkriegs samt Reeducation der Westdeutschen nach 1945 und vielen ihrer Begriffsverwendungen, welche sich noch heute aus dem Kalten Krieg und aus USamerikanischen Denkweisen speisen, die man – auch in der AfD – als die eigenen missdeutet. 10. Die Politik dieser „Umerziehung“ ist als das erfolgreichste mentalitätspsychologische Experiment anzusehen. Die forcierte Entfremdung der Westdeutschen von ihrer eigenen Geschichte und Denkweise, die zu katastrophalem „Nationalmasochismus“ (Armin Mohler) führte, ermöglichte es ihnen jedoch, sich nach einer Orientierungsphase als Sieger zu fühlen: wenn sie künftig westkonform denken und handeln würden, fremde Positionen und Interessen nachahmten. Entscheidend ist, dass man sich diese moralisch wohltuende und materiell profitable Attitüde, so Hans-Joachim Arndt, nur „auf Kosten des realistischen Lageverständnisses“ aneignen durfte. Dieses implementierte und selbst reproduzierte Bewusstsein (Umerziehung vor Selbstumerziehung) wurde zur zweiten Haut der

88

Menschen. Kommt es dazu, dass unerwünschte Begriffe und Positionen die zweite Haut durchstechen, sanktionieren Behörden wie der Verfassungsschutz bereits dieses Hinterfragen als Abweichung von der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Der Umbau des deutschen Denkens und Handelns ist in den alten Bundesländern gelungen. Die erneute Subjektwerdung Deutschlands sukzessiv einzufordern oder zumindest als Option mitzudenken, dürfte den heutigen Ostdeutschen zukommen. 11. Was die Angehörigen des ostdeutschen Teilvolkes seit 1990 mehr und mehr vereint, ist die retrospektive Abwertungserfahrung: Empfundene Erniedrigung, Benachteiligung und Verhöhnung aufgrund eines nach der Einheit zirkulierenden Wohlstandschauvinismus erzeugten langlebiges Protestpotenzial. Steffen Mau trägt in seinem Panorama ostdeutscher Transformationsprozesse zudem Umfragen zusammen, die das Gemeinschaftliche der Ostdeutschen akzentuieren. Demzufolge vermissen die Ostdeutschen in ihrer überwältigenden Mehrheit heute verloren gegangenen solidarischen Zusammenhalt, sozialpolitisches Engagement und Vollbeschäftigung. 75 Prozent der Ostdeutschen sehen sogar in der sozialistischen Ordnung eine gute, aber falsch ausgeführte Idee (im Westen: 45 Prozent) – womit sie aller Wahrscheinlichkeit nach nicht die Stasi- und Überwachungstendenzen meinen, die heute als zu exekutierende politische Korrektheit und Trennung zwischen privater und öffentlicher Meinung ihre modernisierte Renaissance feiern. 12. Diese idealtypisch skizzierten Linien können von einer Kraft genutzt werden, die sich als Interessenvertretung jener Millionen nicht repräsentierter Ostdeutscher begreift, die noch den Willen besitzen, am politischen Subjektzustand festzuhalten. Eine damit einhergehende weltanschauliche und strategische Ostorientierung der Rechten darf nicht mit einer Aufgabe des Westens verwechselt werden. Aber erstens muss eine realistische Lageanalyse die Frage des möglichen Empfängers politischer Botschaften beinhalten. Zweitens gibt es auch im „Westen“ ein „Osten“, gibt es auch in den „alten Bundesländern“ soziale und nationale Verwerfungen, die fruchtbar gemacht werden können – spätestens dann, wenn die sich abzeichnende Krise der systemrelevanten Automobilindustrie auch Baden-Württemberg, Niedersachsen oder Bayern treffen wird. Das Laboratorium Ostdeutschland wäre hierbei ein vorausgehender „Verdichtungsraum“ (Steffen Mau)

FR E I L I CH


LESESTÜCK

mannigfaltiger Probleme – sowohl immateriellen als auch materiellen Charakters –, in dem die politische Rechte auf engem Gebiet und unter 12,5 Millionen Deutschen jene kulturellen, politischen und mentalitätsspezifischen Restbedingungen fände, die für ihre Wiederbelebung im Zeichen von Solidarität und Identität nötig wären. 13. Eines der praktischen Ergebnisse, das sich aus diesen Thesen ergäbe, ist die Forcierung eines ostdeutschen Regionalismus, der als Ziel erweiterte föderale Gestaltungsräume für die neuen Bundesländer auf kulturellen, medialen, bildungs- und sicherheitspolitischen Feldern benennt. Wenn es gelänge, in ostdeutschen Modellregionen eine „Wende im Kleinen“ herbeizuführen – über ein effektives Zusammenspiel der Mosaik-Rechten inner- und außerhalb des Parlaments samt erstmaliger Koalitionspolitik, in der die AfD mit bald erreichten „30 Prozent plus“ den Seniorpartner verkörpern müsste –, dann könnte durch die einsetzende Polarisierung ein Dominoeffekt eintreten. Fest steht: 30 Prozent der Wählerstimmen in Sachsen und in Thüringen sind mehr wert als zehn Prozent in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, auch wenn dort mehr Menschen leben. Denn mit 30 Prozent plus kann man einerseits sein Bundesland erheblich gestalten und andererseits auch im Bundesrat Aufsehen erregen, indem man – beispielsweise – eine Rundfunkgebührenanhebung verhindert und sich als widerständige Sperrminorität wider das falsche Ganze erprobt. 14. Die politische Rechte stellt die letzte verbliebene Oppositionskraft dar. Die Linke, gerade im Osten bis vor wenigen Jahren eine Protest-Volkspartei, hat ihre diesbezügliche Funktion verloren und wurde durch den Kampf gegen rechts anerkannter Teil der feinen bundesrepublikanischen Gesellschaft. Wie unter Hypnose stiert die Linke dabei auf ein rot-rotgrünes Bündnis auf Bundesebene. Auch jenes „R2G“ würde durch „die große Wirtschaft“ im Übrigen nicht verhindert, sondern man könnte sich für die „offene Gesellschaft“ arrangieren, wohingegen das Kapital nachdrücklich „gegen rechts“ steht. Der Solidarische Patriotismus stellt sich aber nicht aus Trotz gegen die größten Kapitalfraktionen und ihre Lobbyisten, sondern aus weltanschaulicher Überzeugung, weil er die Kongruenz ideologischer Versatzstücke zwischen Markt- und Linksradikalen nicht erträgt. Just diese Allianz, die den verfassungsmaßgeblichen Souverän

N ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

zerstreut, prekarisiert oder auflöst, wirft dabei ihren Gegnern, die diese Kumpanei als volksfernes Handeln denunzieren, „Verfassungsfeindlichkeit“ vor. 15. Der Solidarische Patriotismus bekennt sich zu der im Grundgesetz (GG) verankerten Sozialpflichtigkeit des Eigentums (also dessen gesetzlicher Bindung an das Wohl der Allgemeinheit) und erinnert daran, dass das GG für wirtschaftliche Änderungen, sofern Grundrechte gewahrt bleiben, offen bleibt. Nicht vereinbar mit einer am Volk und seinen souveränen Rechten orientierten Verfassung ist hingegen „Marktfundamentalismus“, womit ironischerweise der „gemäßigte“ und marktradikale Interessenverbund verfassungswidrig erscheint. Der Marktfundamentalismus mit seiner Anbetung wirtschaftlicher Vertragsfreiheit setzt – wie radikale Linke, nur aus anderen Beweggründen – nicht vertragliche, organische Prinzipien von Verwandtschaft, Familie und Volk außer Kraft, „da sie Treue und Ergebenheit des einzelnen verlangten und damit seine Freiheit einschränkten“ (Karl Polanyi). Der Solidarische Patriotismus negiert hierbei nicht die zwingenden Notwendigkeiten des Vermittlers und Wertschöpfers „Markt“ bei der Ausgestaltung der Antworten auf soziale Fragen, sondern weist ihm seinen Platz zu. Er ist damit nicht „antikapitalistisch“ in einem vulgärmarxistischen Sinne, sondern geht darüber hinaus, weil er die vorherrschende Produktionsweise und die immanente Denklogik als gegnerisch zu allem begreift, was ihm erhaltenswert gilt – Familie, Tradition, Volk, Nation, Staat. Der Solidarische Patriotismus verteidigt diese Bestände, kämpft dafür, sie weiterzuentwickeln, und strebt nach einer gehegten und gelenkten sozialen Marktwirtschaft im Zeichen einer solidarischen Leistungsgemeinschaft. Abzuwarten, was an gesellschaftlichen Widersprüchen kommen und uns einen Neubeginn nahezulegen oder sogar aufzuzwingen vermag, ist keine Alternative. Der Entwurf eines Solidarischen Patriotismus muss vorbereitend ausgearbeitet und offensiv vertreten werden, zuversichtlich und selbstbewusst: „Für kleine Ziele springt niemand ins Feuer“, wusste Friedrich Naumann. Dieses Selbstbewusstsein gilt es zu verbreiten und dort in Partei- und Vorfeldstrukturen zu verankern, wo es bereits jetzt möglich ist. Der Solidarische Patriotismus ist die naheliegende, an der Lebensnormalität orientierte und folgerichtige Antwort auf die soziale Frage in Deutschland: gestern, heute und morgen.

89


PORTRAIT Foto: Archiv

Unorthodoxer Rechtsintellektueller: Benedikt Kaiser „bewegt sich sicher in marxistischer Terminologie und scheint viele Autoren des gegnerischen Lagers zu schätzen“.

Die Kaiser-Formel

Die Verantwortung für die Ordnung nicht an die Rechten verschenken, die soziale Verantwortung nicht an die Linken: Zusammenhalt neu denken.

B

enedikt Kaiser spricht und schreibt von Solidarität, Kapitalismuskritik und sozialer Frage. Der linke Soziologe Thomas Wagner attestiert: „[Kaiser] bewegt sich sicher in marxistischer Terminologie und scheint viele Autoren des gegnerischen Lagers zu schätzen.“ Nun hat der junge Politikwissenschaftler ein Buch mit dem Titel „Solidarischer Patriotismus“ vorgelegt – und skizziert damit den Entwurf einer sozialen politischen Alternative. Für viele Liberalkonservative, die seit dem Jahr 2015 und dem damit einhergehenden Linksruck der Unionsparteien ihrer weltanschaulichen Heimat verlustig gegangen sind und nun im parteipolitischen Bermudadreieck zwischen Union, FDP und AfD herumirren, bricht Kaiser mit seinen streitbaren Positionen ein Tabu. Denn seine Kritik macht nicht an parteiengeografischen Grenzen halt, sondern wirkt entschieden über diese hinaus:

90

„Jüngere Autoren wie Benedikt Kaiser werten die innovative linke sozialwissenschaftliche Literatur aus und versuchen, die soziale Frage zu besetzen“, analysierte Volkmar Wölk von der Linkspartei im Gespräch mit der „jungen Welt“. Aber ist Benedikt Kaiser ein Linker? Wohl niemand wird diese Frage mit solcher Vehemenz verneinen wie der Angesprochene selbst. Und es ist nur folgerichtig, dass Kaiser unter dem Solidarischen Patriotismus die „wichtigsten Pole einer arbeitsfähigen politischen Rechten“ vereinen will. Denn was sich in der Arbeit Benedikts Kaisers manifestiert, ist der Wille einer jungen Rechten, die als eng und muffig wahrgenommenen Denkund Meinungskorridore der linksliberalen Gesellschaft zu sprengen. Dabei begnügt sich diese junge Garde rechter Intellektueller nicht mit halbherziger Migrations- oder gar plumper Islamkritik. Sie verfolgt einen Ansatz, der im Wortsinne radikaler ist, sprich:

FR E I L I CH


PORTRAIT

Kaiser, der insbesondere unter jungen Rechten viel Zuspruch erfährt, stellt den Gegenpol zu jener starken Strömung innerhalb des rechten Lagers dar, die mit libertären Ideen sympathisiert.

an die Wurzel geht. Und dabei opfert sie – zum Missfallen vieler Konservativer – so manche „heilige Kuh“ des Konservatismus. Damit stellt Kaiser, der insbesondere unter jungen Rechten viel Zuspruch erfährt, den Gegenpol zu jener starken Strömung innerhalb des rechten Lagers dar, die mit libertären Ideen sympathisiert. Im Gegensatz zu diesen bricht sich in Kaisers Denken die Überzeugung Bahn, dass eine echt alternative Politik von rechts nicht unter einem Primat der Ökonomie, sondern allein unter dem Primat der Politik zu finden und zu entwickeln ist. Von hier führt Kaisers Weg unweigerlich zu der Anschauung, die den Staat einerseits als „bewusste und höchste Organisationsform eines Volkes“ wiederbeleben und die destruktiven Kräfte des Marktes, die die „nicht vertraglichen, organischen Prinzipien von Verwandtschaft, Familie und Volk“ außer Kraft setzen, andererseits einhegen und beschränken will. Wer sich die Gedankenwelt Kaisers zugänglich machen will, tut gut daran, sich von allzu plakativen Vorbehalten zu verabschieden, die vor allem bei der Babyboomer-Generation, die unter dem Einfluss der Umerziehung sowie dem Eindruck des Kalten Krieges ihre politische Prägung erhielt, oft anzutreffen sind. Wer bei Kaiser nach Planwirtschaft, der Abschaffung des Privateigentums oder dem Abschied vom Leistungsgedanken sucht, wird enttäuscht. Das Gleiche gilt für jene, die von Kapitalismuskritik nichts wissen wollen, weil sie diese für ein klassisch linkes Metier halten. Denn die rechtskonservative Denktradition, in die sich Benedikt Kaiser mit seinem Werk einreiht, reicht bis in die Anfänge des 19. Jahrhunderts zurück, als sich in Preußen ein sozial orientierter Konservatismus entwickelte. Fraglich ist, welchen Einfluss Benedikt Kaisers Solidarischer Patriotismus auf die Entwicklung des rechten Lagers nehmen wird bzw. haben kann. Denn jenes heterogene Konglomerat, das Kaiser selbst als „Mosaik-Rechte“ (vgl. FREILICH No. 2) bezeichnet, beweist gegenwärtig eine bemerkenswerte Unfähigkeit

N ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

zum intellektuellen Disput. Interne Kabale und externe Kriminalisierungsbemühungen durch den Geheimdienst tragen das Ihre dazu bei, um einen fruchtbaren Dialog zu behindern. Ein solcher ist allerdings dringend notwendig, will man nicht das gleiche Schicksal erleiden, das eine von Dogmen und politischer Korrektheit beherrschte Linke zunehmend ereilt. Die aktuellen Entwicklungen in AfD und FPÖ verdeutlichen die Dringlichkeit einer Inhaltsdebatte ohne Scheuklappen. Beide Parteien leiden an inhaltlichen Schwächen, Folgen einer anhaltenden Diskursverschleppung. Eine Profilschärfung tut not, wird jedoch durch fragwürdige Personalentscheidungen und Skandale verhindert, sodass sich die Umfragewerte der Parteien konstant nach unten bewegen – und das, obwohl die etablierten Parteien keine Anstalten machen, in das Vakuum rechts der Mitte vorzustoßen. Wer Mehrheiten erreichen will, muss für seinen Wiedererkennungswert sorgen. Was mit Parteien passiert, die ihre Marke an die Konkurrenz abgeben, verdeutlicht die deutsche Sozialdemokratie, die trotz halb garer Sozialismus-Wiederbelebungsversuche à la Kühnert von den Unionsparteien aufgerollt wird. Damit gewinnt Kaisers Konzept eines Solidarischen Patriotismus auch eine weitere – dezidiert realpolitische – Dimension: Insbesondere im Osten der Republik, aber auch im Westen erhält die AfD bei Arbeitern und mittelständischen Selbstständigen großen Zuspruch, während die globalisierten „Any-wheres“ (David Goodhart) ihr Heil bei den Grünen und der Union suchen. Fazit: Man muss sich nicht gleich von Kaisers Ideen anstecken lassen. Er verdient auch Widerspruch. Viel wäre aber schon gewonnen, wenn sich der eine oder andere von dem Entdeckergeist anstecken ließe, mit dem Benedikt Kaiser regelmäßig lieb gewonnene Denkmuster überwindet, Althergebrachtes auseinandernimmt und ausgewählte Teile zu neuen Ideen und Konzepten synthetisiert.

Benedikt Kaiser: Marx von rechts Jungeuropa Verlag, Dresden 2018, 144 Seiten ISBN 978-3-9817828-6-8 A € 22,70 / D € 22,00

Benedikt Kaiser: Blick nach links Verlag Antaios, Schnellroda 2019, 104 Seiten ISBN 978-3-944422-61-9 A € 8,80 / D € 8,50

91


K U LT U R

BÜCHER

Lebensreise, Reiseleben R

Foto: shutterstock / 392644753

S

R

eisetätigkeiten sind aktuell verpönt, man könnte nach seiner Rückkehr ein „Superspreader“ sein. Fernweh muss ein ungestilltes Weh bleiben. Was bleibt, ist die televisionäre Durchmessung unseres Globus oder die literarische Reise durch fremde Kulturen und Weiten. Die Gattung des Reiseberichts ist alt, beginnend mit den Griechen, literarischer Kartographie, mit Berichten von Entdeckungs-, Eroberungs- und Handelsfahrten im Corpus der altisländischen Sagas bis über Bildungsreisen, die Grand Tour europäischer Adliger und die Berichte der George Sand, des Mark Twain bis zu den Reiseblogs unserer Tage. Ex-Devisenhändler Michael Bahnerth schrieb unlängst: „So sitze ich jetzt da […] und träume mich nach Mikronesien und denke, dass keine Existenz leicht, es aber immer noch angenehmer ist, Probleme unter Palmen zu haben als unter Platanen.“ Weshalb sich Stefan von Kotze wohl nach seiner Militärzeit als Reiseautor auf den Weg um die Welt machte. Bald gehörte er zu den beliebtesten Reiseschriftstellern, wobei insbesondere sein Sarkasmus und sein Gespür

92

Wenn wer eine Reise tut, hat er was zu erzählen: Stefan von Kotze tat es.

für grotesk-komische Situationen gut ankamen. Tucholsky schrieb über ihn: „Ihm schlug in der Brust das ewig unruhige, nie zufriedene, in Sehnsucht emporverlangende Herz des Deutschen. Und in einer Kammer dieses Herzens: Da wohnt der Humor.“ Die damalige Kolonisation mit teils bizarren Aufeinandertreffen zwischen sogenannten „Zivilisierten“ und „Wilden“ erregten v. Kotzes besondere Aufmerksamkeit, sehr zur Freude der Leser. Die dargestellten politischen Verhältnisse zeigen seinen unbestechlichen Blick auf die europäischen Handelsmächte und Kolonisatoren. Im kürzlich neu aufgelegten „Im europäischen Hinterhaus“ berichtet der Autor von seiner Reise Anfang des 20. Jahrhunderts durch den Balkan und die Türkei und schreibt hellsichtig: „Uns Deutschen muß es klar werden, daß nur eine politisch und wirtschaftlich starke Türkei für uns von Nutzen sein kann. [Unsere] Politik [weist uns] auf die Aufgabe hin, durch unsere Vertrauensstellung in Anatolien heute und in Mesopotamien später, die [Bagdad-Bahn] zur Kräftigung des gesunden türkischen

Elementes daselbst zu verwenden. Eine Besiedlung der menschenarmen Regionen, […], ist die vornehmste und erste Notwendigkeit. […] Aber – die Siedler müssen Türken sein! […] Sonst wäre es schnell vorbei mit unserer freundlichen Stellung im Orient. Der Islam will im allgemeinen nichts wissen von einem Zusammenleben mit dem Giaur. Und wo er muß, da tut er es zähneknirschend und ist jederzeit bereit, der grünen Fahne des Propheten in einen heiligen Krieg oder eine heillose Metzelei zu folgen.“ Soweit Stefan v. Kotze 1907/1908, über dessen Leben nicht allzu viel bekannt ist. Eine Biografie ist im Verlag Factum Coloniae in Vorbereitung.

Stefan von Kotze: Ein afrikanischer Küstenbummel CreateSpace, 2020, 232 Seiten ISBN 978-1718892385 A € 15,50 / D € 14,91

FR E I L I CH


DE R B U C H TI PP

BÜCHER

… dann sei du ganz bereit

Der Autor, tätig im Krisenmanagement und Katastrophenschutz, ist bereits durch entsprechende Ratgeberliteratur hervorgetreten. Unter dem Eindruck von „Corona“ zeigt er nun allgemein verständlich auf, wie Stress und Not vermeidbar sind: Planung und sinnvolle Bevorratung erleichtern den Alltag, umso mehr die Krise. T. C. A. Greilich: Vorsorgen statt Hamstern Leopold Stocker Verlag, Graz, 2020, 112 Seiten, € 12,95

Schluss mit dem perversen Opferkult

In den ständigen Debatten über die „Verantwortung“ der Ersten für all die Probleme der Dritten Welt gewinnt man den Eindruck, Europäer seien stolz darauf, an allem Bösen der Welt schuld zu sein und büßen zu müssen. Diesen Mythos hat der Germanist Kohlhammer bereits 1993 dekonstruiert. Hohe Zeit für eine Nachlese! Siegfried Kohlhammer: Auf Kosten der Dritten Welt? Manuscriptum, Lüdinghausen u. Berlin, 2020, 220 Seiten, € 21,60

Rasender, tobender Archäofuturismus

Beklagt wurde schon oft, dass Rechte keine Belletristik schrieben – kokettierende bürgerliche Autoren zählten nicht. In diesem Buch (franz. Original: 1998) wird ein fantastisch-rückschauender Gegenbeweis versucht. Hier tauchen Sie ein in ein nachmodernes europäisches Feudalreich – ein Höllenritt auf der Schwebebahn! Guillaume Faye: Ein Tag im Leben des Dimitri Leonidowitsch Oblomow Jungeuropa Verlag, Dresden, 2020, 128 Seiten, € 15,50

Dämon der „offenen Gesellschaft“

Von Mainstreampresse bis Verfassungsschutz – ein Schlagwort lässt alle zittern. Interessiert? Wo von einem wirtschaftlich motivierten Nationalpopulismus à la Donald Trump bis hin zum schon ewig beschworenen Kinderschreck des „Neonazis in Nadelstreifen“ sämtliche nicht grün-alternativen Konkurrenten der strauchelnden Volksparteien als „Neue Rechte“ etikettiert werden, haben Überblicksdarstellungen Hochkonjunktur. Seit dem sachlich-interessierten Pionierwerk „Revolution von rechts?“ (1975) meist von linken „Experten“ verfasst, liefern sie oft nur Denunziation und Betroffenheitsprosa. Alexander Markovics, selbst seit bald zehn Jahren in „neurechten“ Kreisen unterwegs, präsentiert nun eine Innenansicht: Während man über den ständigen Bezug auf den russischen Skandalphilosophen Alexander Dugin – ein Steckenpferd des Autors – angesichts des Themas streiten mag, bilden doch die einzelnen Kapitel wertvolle (und konzise) Insider-Einblicke in eine schillernde Denkschule, die in den Medien vielfach nur als finstere Bedrohung präsentiert wird. N ° / 10 / S EP T E M B ER 2020

Alexander Markovics: Der Aufstieg der Neuen Rechten

Arcadi Verlag, Dresden 2020, 144 Seiten, A € 20,60 / D € 19,99

„Neues“ aus der roten Blase Wenn nicht gerade die Bude brennt, dann reiten die wackeren Recken aus dem kleinen Berliner Verbrecher Verlag stets gern gegen die üblichen Windmühlen von wegen Rassismus, Sexismus usw. usf. ad nauseam. Nur allzu verständlich, dass man sich dabei in der Gesellschaft von „taz“ und der antideutschen „Jungle World“ wohlfühlt und rückhaltlos auch mit so unappetitlichen Gesellen wie dem für Terrorpropaganda verurteilten Deniz Yücel solidarisiert. Zu dieser illustren Runde hat sich nun Friedrich Burschel gesellt, Referent der Rosa-Luxemburg-Stiftung der deutschen Linkspartei für „Neonazismus und Strukturen/Ideologien der Ungleichwertigkeit“. In dem von ihm herausgegebenen Sammelband versammeln sich lauter Überzeugungstäter, von der unvermeidlichen Natascha Strobl über den Soziologie-Doktoranden Felix Schilk von der TU Dresden bis hin zum Szeneveteranen Volkmar Wölk, der noch bis 2018 bei der Linkspartei angestellt war. Wie der angesehene britische Historiker Roger Griffin in dieses Kuriositätenkabinett hineingeraten ist, weiß wohl nur das Lektorat … Herausgeber Burschel jedenfalls weiß offenbar insgesamt nicht allzu viel, wie aus seinem theatralischen Vorwort hervorgeht: Demnach stehe die nächste Machtergreifung nicht nur unmittelbar bevor, wie wir das aus linksradikalen Publikationen gewohnt sind, sondern liege tatsächlich bereits hinter uns. Zumindest im Geiste. Und die von den Fachwissenschaftlern im Buch beleuchteten Denkfiguren, etwa „Abendland“, seien allesamt „wahnhaft“, denn Rechte wollten nicht nachdenken, sondern bloß „Gewalt“ und „Terror“, „Blutgeruch“ und „Massenmord“. Nun, warum sie dann „analysieren“? Offenbar lebt auch der tapferste antifaschistische Tastaturheld nicht von Luft und Liebe allein – erst recht nicht im real existierenden Faschismus! Logisch, oder? Burschel (Hg.): Das faschistische Jahrhundert Verbrecher, Berlin 2020. 264 Seiten, A € 19,60 / D € 19,–

93



KOLUMNE

Das Letzte (10):

Alle Menschen, welche leben, Alle, wie sie sich auch geben, Tragen Masken bis zum Grab; Nur in tollen Faschingstagen, Wenn sie Narrenmasken tragen, Da nur fällt die Maske ab

Die Maske ist die neue Normalität. Das ist eine seltsame Erfahrung für eine Gesellschaft, in der wir uns über den Gesichtsausdruck austauschen.

Jahrelang hatte ich einen wiederkehrenden Traum, der etwa so ablief: Ich sah, wie Massen von Menschen auf eine Tribüne blickten, auf der einige Redner vor Mikrofonen standen. Die Menschen waren weniger gebannt als passiv und apathisch. Sie bemerkten nicht, dass die Redner ihnen ungeheuerliche Lügen auftischten. Allein mir fiel es auf, und ich war entsetzt und empört über diese Dreistigkeit. Kurz entschlossen stieg ich auf die Bühne und riss das Mikrofon an mich. „Glaubt ihnen nicht, sie führen Böses im Schilde, sie belügen und manipulieren euch!“, wollte ich heroisch in die Menge rufen. Aber in diesem Moment überkam mich eine Welle der Angst und schnürte mir die Kehle zu. Meine Stimme wurde heiser und leise, blieb mir im Hals stecken. Ich wurde von der Bühne gezerrt, und der Traum war zu Ende. An diese Träume muss ich nun immer wieder denken, wenn ich in die Straßenbahn oder U-Bahn einsteige und mich ausnahmslos verhüllte Gesichter anblicken. Was ist es, das daran so beklemmend ist? Einen Aspekt hat Thorsten Hinz in der „Jungen Freiheit“ (15.08.2020) auf den Punkt gebracht: Die „Mund-NasenMaske“ markiert einen Bruch mit der „tradierten Alltagskultur“, in der wir nonverbal über den Gesichtsausdruck kommunizieren: „Durch ihn tauschen wir uns mit dem unbekannten Gegenüber aus, dass wir nichts voneinander zu befürchten haben. Eben deshalb empfinden wir den islamischen Gesichtsschleier auf unseren Straßen als so bedrohlich.“ Die optische Angleichung zwischen verhüllten muslimischen Frauen und nichtmuslimischen Normalbürgern, die man nun täglich in der U6 und anderswo beobachten kann, ist in der Tat ebenso kurios wie verstörend. Hinz fährt fort: „Die Maskenpflicht – ob sinnvoll oder nicht – enthält den Zwang zur kulturellen Selbstentfremdung.“ Dieser Eindruck verschärft sich, sobald man die medizinische Sinnlosigkeit der Tragepflicht erkannt hat. „Die Masken tun nicht, was sie tun sollten“, äußerte der Virologe Sucharit Bhakdi in einem Interview mit ServusTV. „Wenn ich das schon sehe, was die Leute glauben, das die Masken tun, ist es nahezu peinlich.“ Hinzu kommt die offenbar völlige Willkür der Tragepflicht. Die Regeln, wann und wo der „Mund-Nasen-Schutz“ zu tragen sei, sind von Land zu Land verschieden und haben sich seit Beginn der „Corona-Krise“ ständig

Martin Lichtmesz wurde 1976 in Wien geboren. Nach Jahren in Berlin lebt er inzwischen wieder in seiner Heimat und arbeitet als freier Publizist.

geändert. Dennoch scheint sich die Herde in jede beliebige Richtung steuern zu lassen. Man fragt sich, ob die offenkundige Absurdität der Regelungen nicht Teil des Programmes ist, mit dem Zweck, eine lähmende kognitive Dissonanz zu stiften. Unaufhörlich wettern die Medien gegen „Verschwörungstheoretiker“, die es wagen, an den Maßnahmen der Regierung zu zweifeln. Dann taucht plötzlich in der „Welt“ ein Artikel von Stefan Aust auf, in dem festgestellt wird, dass die aktuellen Sterberaten in Deutschland unter denen von 2017 und 2018 liegen. Die Gefährlichkeit des Virus wird offenbar krass übertrieben, die angebliche Pandemie ist ein Phantom, das wie ein Chip in unsere Köpfe eingepflanzt wurde. Globalistische Großorganisationen wie die UNO, die WHO, das Weltwirtschaftsforum oder die Bill & Melinda Gates Foundation verrühren COVID-19, den „Klimawandel“ und „andere globale Veränderungen, die uns bevorstehen“, in einem einzigen apokalyptischen Topf und fordern zu ihrer Prävention ganz offen den radikalen Umbau der ganzen Welt in „gleichere, inklusivere, widerstandsfähigere Gesellschaften”. UNO-Generalsekretär António Guterres, ein tiefroter Sozialist, behauptete gar: „Die COVID-19-Pandemie zeigt auf, was wir alle wissen: Jahrtausende des Patriarchats haben eine männlich dominierte Welt mit einer männlich dominierten Kultur hervorgebracht, die allen schadet – Frauen, Männern, Mädchen und Jungen.“ Die Surrealität dieses Satzes ohne jeglichen logischen Sinn wird durch die Tatsache erhöht, dass er von der Führungsspitze der Vereinten Nationen stammt, die mit Sicherheit bestens darüber informiert ist, wie gefährlich COVID-19 tatsächlich ist. Verkündigungen dieser Art bilden den Hintergrund zu einer flächendeckenden Verhaltenskonditionierung, die auf Panikmache und Strafandrohung beruht und kritisches Denken ausschalten soll. Wir sind alle zu dressierten Hündchen geworden, die springen, wenn die Corona-Ampel das Signal gibt. Das eigentlich Beunruhigende an den gesichtslosen Augen hinter den anonymisierenden Maulkörben ist die Evidenz, wie gründlich und reibungslos die Manipulation funktioniert hat. Das ganze Land scheint sich in Trance zu befinden, und wer aufgehört hat, zu schlafwandeln, mag den Eindruck haben, sich in einem bösen Wachtraum zu befinden.


www.fpoe-parlamentsklub.at

Klubobmann Herbert Kickl:

Bundesregierung gefährdet Österreich!

Die schwarz-grüne Bundesregierung schürt mit kuriosen Ampel Ampelschaltungen, unerträglichem Maskenzwang und willkürlichen Freiheitseinschränkungen die Corona-Panik, statt MassenarbeitsMassenarbeits losigkeit und Pleitewelle wirksam zu bekämpfen. Wir wollen: Österreich-Tausender zur Ankurbelung der Wirtschaft Regionalitätsoffensive als Hilfe für lokale Produzenten und den Handel Höheres Arbeitslosengeld und Österreicher zuerst am Arbeitsmarkt Preismonitoring und Teuerungsstopp in Corona-Zeiten Nein zu Überwachungsstaat Überwachungsstaat, Masken- und Ampeltheater Volle Entschädigung der vom Lockdown betroffenen Betriebe Volle medizinische Versorgung für alle Bürger unabhängig von Corona Bessere finanzielle Förderung für die Schaffung von Lehrplätzen Keine staatliche Schnüffelei in privaten Wohnungen und Vereinslokalen

²0

Doppelte Familienbeihilfe Familienbeihilfe, wenn Schulen und Kindergärten geschlossen sind

Jetzt unterzeichnen!


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.