FREILICH Ausgabe 13

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POLITIK

Interview: Der Publizist und GrünenMitgründer Rolf Stolz über seine Partei und schwindende Freiheit. S. 10 ISLAMISMUS

Die Metapolitik der Muslimbrüder Wie der politische Islam an der Veränderung der Gesellschaft arbeitet. S. 56 GIGANTISCHE PROJEKTE

Weiße Elefanten Wie Utopien Wirklichkeit werden sollen und an der Natur scheitern. S. 80

DAS MAGA ZIN FÜR SELBSTDENKER

SCHWERPUNKT

Das grüne Netz Die Kinder übernehmen das Kommando. Und wollen verbieten, umregeln und eine schöne neue Welt bauen. Das neue Bürgertum ist außen grün – und innen rot. Seite 20

Auf eigene Gefahr – Vom riskanten Wunsch nach Sicherheit. S. 66

Ausgabe No 13 / 2021

freilich-magazin.at � Ö & DE: € 13,00 / CHF 13,00

JULI 2021


WIR FORDERN:

KEINE INDIREKTE IMPFPFLICHT BEI DER „COVID-19-PANDEMIEBEKÄMPFUNG“! Bayerischer Landtag – Drucksache 18/11688

Die Menschen wollen ein Leben wie vor der Coronakrise zurück und sehr viele Menschen werden sich bei einem geeigneten Impfstoff gerne impfen lassen. Was aber mit den Freigeistern tun, die aus ihrer Sicht gute Argumente gegen eine Impfung zusammengetragen haben? Eine staatliche Zwangsimpfung verbietet sich natürlich, da jeder Mensch das Recht auf körperliche Unversehrtheit besitzt. Es deutet sich schon jetzt an, dass politische Entscheider diese Impfverweigerer als „Gefährder“ und potenzielle „Superspreader“ ausmachen werden. Die Gefahr für die zukünftigen Impfverweigerer besteht nun darin, dass sie bisherige Rechte einbüßen könnten.

Impressum: AfD-Fraktion im Bayerischen Landtag Bereich Presse & Öffentlichkeitsarbeit Maximilianeum - 81627 München Telefon: 089 – 4126 2960 info@afd-landtag.bayern V.i.S.d.P.: Vorsitzende: Katrin Ebner-Steiner Prof. Dr. Ingo Hahn

Möglicherweise werden sie ihre Berufe nicht mehr ausüben dürfen oder sie werden ihre Reisefreiheit verlieren, weil sie am Flughafen keinen Impfausweis vorzeigen können. Deshalb fordern wir die Staatsregierung dazu auf, sich dafür einzusetzen, dass die Grundrechte von Bürgern, die sich gegen eine Impfung entscheiden, geschützt, erhalten und garantiert werden. Die Bekämpfung von COVID-19 darf auf keinem Wege schleichende, versteckte oder im schlimmsten Fall langfristige Grundrechtseinschränkungen von Menschen, die sich gegen eine Corona-Impfung entscheiden, zur Folge haben.

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EDITORIAL

Werte Leser! E

ine Parole der ’68er-Bewegung in Frankreich lautete: „La politique est dans la rue“. Für die Historikerin Ingrid Gilcher-Holtey unter anderem Beleg dafür, dass die Neue Linke das Politische vom Staat und seinen Institutionen löste und auf eine Politisierung der Gesellschaft „von unten“ setzte. Das Politische wurde an den Diskurs im öffentlichen Raum geknüpft , was angeblich die gängigen Wahrnehmungsmuster der sozialen Welt auflöste. Die einst Neue Linke, die heute eine Arrivierte ist, weiß, „dass zur Aufrechterhaltung der linken Vorherrschaft in Politik und Gesellschaft , von der man selbst profitiert, ganz selbstverständlich die Fortsetzung linker Politik erforderlich ist“ (W. Knörzer). Hierzu wird die Politisierung des gesellschaft lichen Lebens, die ursprünglich von unten erfolgen sollte, herzhaft betrieben. Während für die gewalttätige Linke die Politik immer noch neben den Opfern des „antifaschistischen Kampfes“ auf der Straße liegt, werden die politischen Hegemoniebemühungen von der Arrivierten Linken allerdings weiter in möglichst alle Bereiche der Gesellschaft geführt. Das wiederum mit Vehemenz, sodass man in Abwandlung der oben genannten Parole und unter dem Eindruck der jüngsten Fußballeuropameisterschaft auch sagen kann: „la politique se fait dans les stades de sport.“ Dabei ist es natürlich nichts Neues, dass sich die Politik den Sport für ihre Zwecke als Kommunikationsplattform und Erfüllungsgehilfen auswählte. Die besondere körperliche und mentale Leistung, die sich im Spitzensport zeigt, hat von jeher dazu geführt, dass die Mächtigen die Athleten und ihr Tun als Projektionsfläche und Referenz der eigenen Leistungsfähigkeit nutzen wollten. Doch Dopingskandale und komplett vereinnahmte Sportlerbiografien in untergegangenen Diktaturen haben im Nachhinein weniger das Gefühl der Penetranz und Heuchelei vermittelt als etwa die Geschehnisse rund um

Meine Leseempfehlungen:

U LR ICH NOVA K Chefredak teur

Manuel Neuers Regenbogenarmbinde und die geplante Beleuchtung der Allianz Arena vor den Toren Münchens beim Spiel Ungarn-Deutschland im Juni. Während sich der Formel-1-Zirkus inbrünstig mit dem Fetisch des Maskentragens aller Beteiligten lächerlich macht und die politikseitig gepriesene Mobilitätswende knallhart ignoriert, toben sich im Fußballsport moralisierende Transhumanisten bei einem Gesinnungskampf rund um Sexualgewohnheiten und Veranlagungen aus.

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as Kulturgut Sport, das der Verhaltensforscher in einem bei Mensch und Tier angelegten Spieltrieb verursacht sieht, wird von Mainstreammedien, politischen Interessenvertretern der EU und einer scheinbar wild gewordenen LGBT-Lobby missbraucht. Der Politikwissenschaft ler Peter Filzmaier schreibt, dass Sport zur Stabilisierung politischer Herrschaft bzw. des Herrschaftssystems führt, „weil (fast) immer Regierende politisch profitieren und selten oppositionelle Artikulation stattfi nden kann“. Während Sportwettkämpfe nach einfachen und öffentlichen Regeln transparent und sofort quantifi zierbar ablaufen, sind politische Regeln nicht allgemein bekannt und meistens komplizierter. Der Professor für Politische Kommunikation an der Karl-FranzensUniversität Graz: „Politische Konfl ikte werden auf vielen und mehrheitlich nicht sichtbaren Ebenen ausgetragen. Konsequenzen der Politik sind selten in Sekundenschnelle messbar, sondern treten als mittel- bzw. langfristige Folgen mit weitreichender Wirkung auf. Es ist aber das scheinbar unpolitische Wesen des Sports, das der politischen Einflussnahme keine Grenzen setzt.“

Seite 56 / REPORT / Irfan Peci

Die Metapolitik der Muslimbrüder Seite 80 / KULTUR / Konrad Weiß

Weiße Elefanten N ° / 13/ J U L I 2021

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N ° 13 �J U L I 2 0 2 1

Linke Gewalt: den Tätern auf der Spur

Gebt den Kindern das Kommando: Die Grünen wollen mit Frau Baerbock in die Institution marschieren

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Editorial

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Inhalt

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Impressum

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Ansichtssache: Menschen in der Masse Sport bringt ganz viele zueinander. „Corona“ spielt da nicht immer eine Rolle. In Spielfeld sieht man keine Maske mehr.

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Kurz & bündig: aktuelle Neuigkeiten Neue FREILICH Politische Studien: über die Kickl-FPÖ einerseits, warum es keinen „Islamofaschismus“ gibt andererseits.

I N T E RV I E W

KO M M E N TA R

10 „Volksfeindlich und Anti-Deutschland“ Der Schriftsteller Rolf Stolz über seine Partei – die Grünen.

32 Zurück in die Zukunft Mit Kickl wird die freiheitliche „Familie“ wieder Partei. INTERNET

I N FO G R A F I K

18 Linke Gewalt FREILICH dokumentiert mit einer interaktiven Karte das linksextreme Treiben. R E P O R TAG E

20 Gebt den Kindern das Kommando Frau Baerbock als Symptom. GESELLSCHAFT

28 Politik und Medien Wenn Vierte Gewalt und die Mächtigen im Lande kollidieren.

Hausverwaltung

STROHMEIER

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34 World Wide Webzensur Wie wenig Freiheit es im Netz gibt und was die Alternativen sind. WIRTSCHAFT

42 Mach mich grün „Greenwashing“ heißt es, wenn Produkte als „öko“ verkauft werden. E S S AY

48 Alles muss in Flammen stehen? Akzelerationismus –was ist und was soll das?

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ILI


F O R M AT

AU S DE R R E DA K TI ON

80

56

Weiße Elefanten

Die Metapolitik der Muslimbrüder

REPORT

LESESTÜCK

56 Die Metapolitik der Muslimbrüder Wie politischer Islam funktioniert.

88 Einmal normal, bitte Und bei allen Utopien einfach mal den Satz „aber bedenke die Folgen“ wirken lassen.

FOTO S T R E C K E

66 Auf eigene Gefahr Vom riskanten Wunsch nach Sicherheit. K U LT U R G E S C H I C H T E

80 Weiße Elefanten Gigantische Projekte, die an der Natur scheiterten. I N T E RV I E W

94 Dummheit ist nicht ihre Stärke Cora Stephan war mal links. Heute kritisiert sie die Zustände. MEDIA

96 Bücher 99 Kolumne: Das Letzte Der Regenbogenkomplex.

76 „Eine glimmende Glut“ Der Philosoph Michel Onfray über die Gegenwart als Diktatur.

IMPRESSUM: Freilich – Das Magazin für Selbstdenker. Erscheinungsort: Graz. Medieninhaber und Herausgeber: Freilich Medien Ges.m.b.H., Chefredakteur: Ulrich Novak, Redaktion & Verlag: Mandellstraße 7, A-8010 Graz, Österreich. Bankverbindungen: Steiermärkische Graz, IBAN: AT38 2081 5000 0009 8004, BIC: STSPAT2G; Postbank München, IBAN: DE44 7001 0080 0120 1628 06. Abonnement-Preise: Österreich Euro 85,–, Deutschland Euro 94,–, Schweiz SFR 103,–. Tel.: +43(0)316/32 70 09, Internet: freilich-magazin.at, E-Mail: redaktion@freilich-magazin.at

N° / 13 / JULI 2021

Die Redaktion ist ein Babel Heute erregte Diskussion an der Kaffeebar über angeblich erlösende Herrscherfiguren des paternalistischen Weltverwaltungsregimes und Überlebensstrategien angstgesteuerter Sozialkollektive. Dazu soll ein Infantilitätsmodus gehören, der in Bedrohungslagen eingeschaltet wird. Denn Kinder gelten dann als die geborenen Führer, welche die Menschheit aus den Fängen der untergehenden alten Welt in einen lichten, von namenloser Angst entlasteten Kosmos führen sollen. So will es Jungredakteur Bennie jedenfalls gelesen haben. Aber wieso Kinder? Die Freiin, die keine mehr sein darf, plädiert für Katzen, die seien klüger. Und auch dann, wenn sie Kater seien, stecke in Katzen das weibliche Potenzial zur souverän irrationalen Welthandhabung. Alle Augen richten sich auf Gramschi, unseren Redaktionskater, Sie erinnern sich. Mit halb geschlossenen Augenlidern folgt er dem Gespräch. Er liegt am Fenster, sommerliches Licht und der windbewegte Laubschatten der Parkbäume spielen auf seinem Fell. Gramschi weiß natürlich: Das wirkliche Babel liegt nicht so sehr dort, wo verschiedene Sprachen gesprochen werden, sondern dort, wo alle glauben, die gleiche Sprache zu sprechen und ein jeder den gleichen Worten eine andere Bedeutung gibt.

redaktion@freilich-magazin.at freilich-magazin.at

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Foto: Getty Images / Red Bull Content Pool

ANSICHTSSACHE

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FR E I L I CH


ANSICHTSSACHE

Erstes Juli-Wochenende im österreichischen Spielfeld: 132.000 Menschen genießen das Formel-1-Weekend. Die kleine Freiheit bei den großen Dosen: Europa übt sich in Masken, in Attesten und Impfungen. Die „Basisarbeit“ der Pandemie wird von den Bevölkerungen nach einem Jahr der Lockdowns nicht mehr wirklich mitvollzogen. Und Red Bull verleiht Flügel …

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AKTUELL

Warum Islam kein Faschismus ist

Die Kritik am Islamismus und am politischen Islam führt zu einer „Hufeisentheorie“, die rechte Kritik und islamistische Strömungen gleichsetzt. Zentral ist dabei, den Islamismus als „Faschismus“ zu kennzeichnen. e be eg e s a o ob e , e e Kritik am Islam ausgeschaltet werden soll, soll durch „Islamofaschismus“ der „böse Anteil“ eines religiösen Extremismus, der auch Europa bedroht, mit einer politischen Bewegung gleichgesetzt werden, die in den 1930er-Jahren erfolgreich war. Doch inhaltlich haben Islam und Faschismus nichts gemein. Warum, wird in dieser FREILICH Politischen Studie untersucht.

Der neue Parteiobmann hat seine eigene Handschrift. Die Freiheitlichen können wieder in die Offensive gehen.

Jetzt neu: die Kickl-FPÖ Ist die Partei der Mann? Die Freiheitlichen sind so schnell benannt: die Steger-FPÖ in einer ungeliebten Koalition mit der SPÖ, die die FPÖ zum Verschwinden bringen sollte. Die Haider-FPÖ, die ein neues Politiko e ges a e a D e a e F Ö, e b a geb ebe s nun, seit dem 19. Juni 2021, die Kickl-FPÖ. Anlässlich der notwendigen Obmannwahl nach dem Rücktritt Norbert Hofers hat die TAGESSTIMME Autoren und politische Intellektuelle des Dritten Lagers gebeten, ihre Stellungnahmen abzugeben. Herausgekommen ist eine mehrstimmige Analyse des Ist-Zustandes der Freiheitlichen.

Dabei wird auch klar, dass der Islamismus als politische Ideologie dem klassischen Bolschewismus viel ähnlicher ist: sowohl in der egalitären Ideologie wie auch in der Praxis des Massenmordes sind diese Strömungen durchaus zu vergleichen.

Die FREILICH Politische Studie 9 „Islamofaschismus“ gibt es gratis zum Download unter: freilich-magazin.at/studien

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AKTUELL

Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir. Die „GegenUni“ hat politische Theorie am Lehrplan, die auf öffentlichen Unis keinen Platz mehr hat.

Die „GegenUni“ – hören, lernen, handeln

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or dem Handeln kommt das Verstehen: Der politische Gegner ist stark, weil er die ideologische Überlegenheit besitzt. Erst wenn Rechte die ideologische Hoheit für sich erlangen, kann es eine wirkliche politische Veränderung geben. Daher wurde die „GegenUni“ gegründet. Das Ziel der „GegenUni“ ist es, Konservativen und Patrioten qualitativ hochwertige Theoriearbeit zugänglich zu machen. Doch das kann nicht an den regulären Universitäten stattfi nden, die fest in linker und liberaler Hand sind. Für die Gründer ist dieser Zustand nicht länger hinnehmbar. Als ihre Aufgabe sehen sie es an, die metapolitische Dominanz von links zu brechen. Die „GegenUni“ soll eine Ergänzung, Alternative und Konkurrenz zu den etablierten Bildungseinrichtungen sein. Sie bietet Lesekreise und Seminare zu metapolitischen Schlüsselwerken und Themen – ausgearbeitet zum Anhören als qualitativ hochwertige Audio-

inhalte. So kann man sich zu Hause, beim Sport, auf dem Weg zur Arbeit bilden: Theorieansätze wie der Ethnopluralismus, die klassischen Autoren der „Konservativen Revolution“, welthistorische politische Strömungen wie der Liberalismus und Marxismus, aber auch deutsche Geschichte, Technikphilosophie, Umweltthemen und gegenwärtige Politik – all das und mehr umfasst das Curriculum der „GegenUni“. Damit wird es möglich, sich als Student nachhaltig mit einer Vielzahl an philosophischen und politischen Themen auseinanderzusetzen und Wissen auf einem kurzen Weg vermittelt zu bekommen. Die „GegenUni“ wird so zu einer Volkshochschule, die bewusst bewegen will. Das erworbene Wissen kann in Freundeskreise, Parteiverbände und Aktivistengruppen hineingetragen werden. So wirkt die „GegenUni“ direkt in die deutsche Gesellschaft .

Die „GegenUni“ ist ein Projekt, das der Ausarbeitung, Vertiefung und Popularisierung von „neurechten“ Bildungsinhalten dient.

Mehr über die „GegenUni“ erfahren: gegenuni.de

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Foto: imago / Friedrich Stark

INTERVIEW

Früher war alles anders: die Grünen als Basisbewegung, bevor sie das neue Bürgertum übernommen haben.

FR E I L I CH


INTERVIEW

„Volksfeindlich und Anti-Deutschland“ Er war Mitgründer der Grünen in Deutschland, hält ihren derzeitigen Kurs aber für falsch. FREILICH hat mit Rolf Stolz über seine Partei und die innere Sicherheit gesprochen.

INTERVIEW: BERND KALLINA

FREILICH: Herr Stolz, was sind im Rückblick der letzten Jahrzehnte die auffälligsten Veränderungen in Ihrer Partei?

Rolf Stolz: Es gab mehrere Veränderungen. Die Grünen waren zu Zeiten ihrer Gründung 1980 eine kleine Partei, aber sie drückten in ihrer Mitgliedschaft die Vielfalt des Lebens aus. Es gab Reiche und Arme, sowohl beruflich Etablierte als auch Suchende und gründlich Gescheiterte. Es gab neben vielen Intellektuellen durchaus auch Arbeiter, Hausfrauen, Handwerker und Bauern. Damals hatten die Grünen die Chance, eine Art Partei „von Gruhl bis Dutschke“ zu werden, Wertkonservative und nationale Linke, Ökolibertäre und demokratische Sozialisten zu vereinen. Dass dies scheiterte, machte aus den Grünen eine hundsgewöhnliche „FDP 2.0“. Gravierende Veränderungspunkte waren des Weiteren: Als 1985 der Agent der DDR-Staatssicherheit Dirk Schneider die Deutschlandpolitik der grünen Bundestagsfraktion an sich N° / 13 / JULI 2021

riss, als Joschka Fischer 1998 sich als Lieblingsschoßhund der US-Außenministerin Madeleine Albright das Rüstzeug für seine spätere Tätigkeit in der internationalen Beratungsfirma „Joschka Fischer and Company“ erwarb, wurde aus den Grünen nach und nach eine volksfeindlich-globalistische Antideutschlandpartei im Schlepptau der internationalen Hochfinanz. In ihren ersten Jahren boten die Grünen oftmals ein verwirrendchaotisches Bild. Bei ihnen gehe es zu „wie bei Hempels unterm Sofa“, meinten viele Beobachter kopfschüttelnd – und Sie?

Ich sehe das nicht nur negativ! Ja, die Grünen der Gründerjahre hatten mit oft quälenden Endlosdebatten zu kämpfen. Fraktionsweise und mit erhobenen Armen jagte ein Geschäftsordnungsantrag den anderen. Wer – wie ich – solchen Streit zu moderieren hatte, strapazierte dabei seine Nerven und seine Stimmbänder. Dennoch war

das Übermaß, bei dem oft auf hohem Niveau um Weg und Ziel gerungen wurde, hundertmal besser als die gegenwärtige, angeblich alternativlose Kirchhofsruhe, bei der jeder Zweifel an den parteioffiziellen Doktrinen – ich nenne die Stichworte Klima und Energieversorgung, Multikulturalismus, unbegrenzte Zuwanderung, friedlicher Islam, Gender-Ideologie und so weiter – für verboten erklärt und mit Ausgrenzung verfolgt wird. Zum aktuellen Höhenflug Ihrer Partei, der allerdings bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt deutlich unter den Erwartungen blieb: Werden die in Umfragen noch kürzlich erhobenen Spitzenergebnisse von „Bündnis 90/Die Grünen“ bis zur Bundestagswahl im September 2021 anhalten, oder müssen wir mit Abstürzen in der Wählergunst rechnen?

Manches deutet darauf hin, dass – wie der berühmte Schulz-Zug

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Foto: imago / Tim Wagner

Foto: imago / Robert Michael

INTERVIEW

Die Grünen definieren sich ganz stark über ihre Gegner.

der SPD von 2017 – nun auch der Baerbock-Zug von 2021 nicht weiter an Fahrt aufnimmt. Denken Sie nur an die fehlerhaften Angaben beim Lebenslauf der grünen Kanzlerkandidatin, die jetzt bekannt wurden. Offenbar wachsen grüne Bäume doch nicht in den Himmel! Hinzu kommt: Auch sinnvolle, nachvollziehbare und begründete Verbote – Stichwort höhere Benzinpreise – sind eher unangenehm, aber das wahre Problem sind die nur belastenden Verbote um des Verbietens willen. Im aktuellen 137 Seiten umfassenden Wahlprogramm erscheint vieles unklar und undurchdacht. Wenn zwei oder mehrere Populationen zusammenleben, die sich in ethnisch-kulturellen Gesichtspunkten deutlich unterscheiden, erwachsen daraus kaum mehr beherrschbare Schwierigkeiten, sobald eine gewisse Schwelle überschritten wird: Diskriminierung, Segregation, Kulturverlust, gewaltaffine Parallelgesellschaften usw. Es stellt sich also die grundsätzliche Frage, warum das etablierte Medien- und Parteienkartell in der Bundesrepublik, allen voran die Grünen, weder willens noch in der Lage ist, naheliegende Konflikt-Präventionsmaßnahmen in Richtung Zuwanderungs-

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Aus einer Partei der Alternativen ist eine Partei der Verbote geworden – gefangen in Fantasielosigkeit.

begrenzung offensiv zu fordern und politisch durchzusetzen?

Es gibt ein Bündel von Ursachen, und ich nenne einige besonders wichtige: ökonomisches Interesse an billigen, als Lohndrücker wirksamen Arbeitskräften sowie an ausländischen Fachkräften, ökonomisches Interesse an staatlich alimentierten Neukunden, ökonomische Befürchtungen wegen der Kosten aktiver deutscher Bevölkerungspolitik und ideologische Widerstände gegen „Kinder statt Inder“, das politische Interesse des „Teile und herrsche“ verbunden mit der Hoffnung, Ausländer und frisch Eingebürgerte als antideutschen Block gegen das patriotische Lager einsetzen zu können. Wie erklären Sie sich die Lageblindheit Ihrer Partei gerade in den vorhin erwähnten Fragen multikultureller Konfliktlagen, sie reichen ja bis hin zu zahlreichen antideutschen, nach innen gerichteten rassistischen Impulsen?

Ein weites Feld – ich habe 1989/90 ein ganzes Buch („Der deutsche Komplex. Alternativen zur Selbstverleugnung“) gebraucht, um Ursachen und Auswirkungen des deutschen Selbsthasses zu analysieren. Was die Grünen angeht, so haben die Führung und die Funktionäre der Partei kaum noch etwas zu tun mit Programmatik und Profil der Gründergeneration – mit Rudi Dutschke, Her-

bert Gruhl, August Haußleiter, Petra Kelly. Ausgewirkt haben sich vielmehr die Begrenztheiten der rheinischen Separatrepublik, die unreflektierte Übernahme der amerikanischen Reeducation und das geschichtlich weit zurückreichende Elend der deutschen Linken. Themenwechsel zur anderen Seite: Der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) bezeichnet den „Rechtsextremismus“ mantrahaft als größte Gefahr für die innere Sicherheit in Deutschland. Das erweckt doch im In- und Ausland den prekären Eindruck, dass im heutigen Deutschland nationalsozialistische und/oder völkisch-extremistische Gruppierungen eine bedrohliche Stärke erreicht hätten. Stehen wir denn kurz vor einem neuen 1933?

Diese Kassandrarufe eines CSU-Mannes erwecken ja wirklich derartige Eindrücke. Aber: Kaum etwas ist heute unwahrscheinlicher als eine Wiederholung der hitlerschen Machtergreifung. Weder gibt es einige Jahre einer andauernden und sich weiter verschärfenden Weltwirtschaftskrise, noch Erscheinungen eines offenen Bürgerkrieges, noch eine bei Wahlen erfolgreiche rechtsextreme Massenpartei, noch eine charismatische Führerfigur an deren Spitze. Die seehoferschen Behauptungen dienen nur dazu, mit der ebenso absurden wie FR E I L I CH


Zur Bekämpfung einer angeblich so großen „Gefahr von rechts“ steht inzwischen ein von der Bundesregierung beschlossenes Maßnahmenpaket gegen „Rassismus und Rechtsextremismus“ zur Verfügung, das einen Aktionskatalog von 89 Punkten ausweist, 1,1 Milliarden Euro kostet, den Zeitraum bis 2024 umfasst und der „Förderung der demokratischen Zivilgesellschaft“ dienen soll. Was signalisiert Ihnen diese enorme Kraftanstrengung?

Man hat es offenbar nötig. Steuergelder sollen massiv eingesetzt werden, um für eine Regierung, die kein Vertrauen verdient, und für den mit ihr vernetzten Altparteienblock Unterstützung zu erreichen. Gezielt sollen die gefördert werden, die für den „Great Reset“ als Manipulatoren bzw. als Stimmvieh gebraucht werden. Gemeint sind jene Kräfte, die sich den globalen Umgestaltungsplänen der Wirtschaft, Politik und Gesellschaft nach der COVID-19-Pandemie verschrieben haben. Interessant ist ja, dass vergleichbar umfangreiche Programme gegen „Linksextremismus“ oder „militanten Islamismus“ fehlen. Letztere scheinen, zumindest aus N° / 13 / JULI 2021

Foto: imago / Reiner Zensen

Brunnen vergiftenden Lüge, die AfD sei rechtsextrem, die für die CDU/CSU gefährlichste Konkurrenz auszuschalten.

INTERVIEW

„Bei den Grünen haben Führung und Funktionäre kaum noch etwas mit Programmatik und Profil der Gründergeneration zu tun.“

Sicht der etablierten Regierungsakteure, weniger gefährlich für unseren demokratischen Rechtsstaat zu sein. Überrascht Sie das?

Nein! Das war zu erwarten. Weltweit wird eine auf den Hund gekommene Pseudolinke – etwa die Antifa und „Black Lives Matter“ – immer mehr zum Werkzeug der machthabenden Kräfte. In Frankreich ist an „La France insoumise“ der Mélenchon-Leute bereits zu beobachten, wie sich diese Gruppen mit den Islamisten und den Straßenkriminellen der Vorstädte verbünden. In Deutschland werden die Antifanten mit Samthandschuhen angefasst und direkt sowie auf Umwegen staatlich alimentiert. Islamterroristen werden halbherzig, eher rhetorisch und ohne konsequente Abschiebung aller Gefährder verfolgt, während man gleichzeitig mit den sehr viel gefährlicheren legalistischen Islamisten, nicht zuletzt mit den großen Islamverbänden wie der DITIB, zusammenarbeitet.

Gefallener Verfassungsschutzengel: Maaßen. V E R FA S S U N G S S C H U T Z

Das Bundesamt für Verfassungsschutz ist der deutsche Inlandsnachrichtendienst,

dessen wichtigste Aufgaben die Sammlung

und Auswertung von Informationen über Be-

strebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und die Spionageab-

wehr sind. Das macht ihn zu einem politisch wichtigen Mitspieler, der – sozusagen als Politjustiz – entscheidet, wer dazugehört

oder überwacht und ausgegrenzt werden

soll. Maaßen verweigerte die Überwachung der AfD, sein Nachfolger Haldenwang geht darin auf.

verfassungsschutz.de

Hinzu kommt: Im Bereich politischer Straftaten gibt es nur beim „Rechtsextremismus“ sogenannte Propagandadelikte, die dann mehr als die Hälfte aller Straftaten ausmachen. Die gibt es im „linksextremen Bereich“ überhaupt nicht, was zu einer unrealistischen innenpolitischen Bedrohungsanalyse

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beiträgt. Die Einseitigkeit scheint staatlich gewollt zu sein, oder?

Ja, sie ist gewollt. Zumal niemand weiß, wie oft es einer der V-Leute des Verfassungsschutzes oder eines anderen Geheimdienstes ist, der da den Arm zum Hitlergruß hebt, und wie oft es sich um unpolitischen pubertären Trotz handelt, gerade das Verbotene zu tun. Oder gar – was auch immer wieder zu beobachten war – um Provokateure der Antifa, die eine vorgetäuschte rechtsextreme Gefahr durch von ihr gelieferte NS-Symbolik zusätzlich bedient! Eine weitere Eigentümlichkeit fällt auf: So werden zum Beispiel die kriminellen Taten der sich ausländerfeindlich und antisemitisch äußernden Mörder von Halle und Hanau als „rechts“ eingestuft. Wer jedoch ihre Bekenntnispamphlete durchliest, die voller abstruser Ideologieversatzstücke sind, könnte auch zum Ergebnis kommen, dass es sich bei den Mördern eher um Politpsychopathen handelt. Was meinen Sie?

Es sind Psychopathen. Es gehört zur Psychopathie, sich zur inneren Entlastung einen Begründungszusammenhang für das eigene Fühlen und Tun aufzubauen. Ein irrer Tierschützer als Mörder von Pim Fortuyn besagt nichts für oder gegen den Tierschutz, wohl aber alles gegen dessen Übersteigerung ins Extreme. Ein Rechtsextremist als Mörder besagt nichts für oder gegen die politische Rechte, aber alles gegen den Rechtsextremismus. Ganz bewusst werden derartig abscheuliche Gewalttaten von Politpsychopathen dann seitens des politisch-medialen Komplexes mit rechten Strömungen in Verbindung gebracht, um diese zu delegitimieren. Der frühere Chef des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, sprach im Rückblick auf seine langjährige Amtszeit unlängst von einem massiven persönlichen Druck auf ihn, „endlich die AfD zu N° / 13 / JULI 2021

beobachten“, wobei er den Eindruck gewann, „ich sollte hier für parteipolitische Zwecke instrumentalisiert werden“, so Maaßen wörtlich. Wie konnte es zu dieser Fehlentwicklung kommen?

Diese Entwicklung hat damit zu tun, dass die bundesdeutsche Politik immer stärker bestimmt wird von einem Altparteienclub, in den die SED-Nachfolgepartei durch Koalitionen auf Landesebene und die Anerkennung als demokratisch aufgenommen wurde. Diese Antinationale Front des Multikulti-Deutschlands versucht mit allen Mitteln, jede ernsthafte Opposition und vor allem die AfD als größte Oppositionspartei zu zerschlagen. Deshalb musste Hans-Georg Maaßen, der sich nicht als Werkzeug für solche Machenschaften missbrauchen lassen wollte, ausgeschaltet werden. Ich habe, seit ich politisch aktiv bin, also seit über 50 Jahren, den Verfassungsschutz ausgesprochen kritisch gesehen. Aber ich bemühte mich immer zugleich um Differenzierung. Hans-Georg Maaßen ist für mich jemand, der sich um Rechtsstaatlichkeit und Freiheitlichkeit bemüht hat – sein Nachfolger Thomas Haldenwang steht für das Alternativprogramm. Erinnert sei auch daran, dass es mit Peter Frisch in diesem Amt von 1996 bis 2000 einen Sozialdemokraten gab, der den Islamismus aktiv und ernsthaft bekämpfte, zu einem Zeitpunkt, als die SPD sich längst schon bei den Islamverbänden anbiederte. Er hatte den Mut, als Verfassungsschutzpräsident vor den rund 300 Teilnehmern einer Veranstaltung in der Godesberger Redoute, als ich mich in der Diskussion zu Wort meldete, zu erklären, in Sachen Islamismus sollten die Zuhörer mich fragen und meine Bücher („Kommt der Islam? Die Fundamentalisten vor den Toren Europas“, 1997/2001, und „Die Mullahs am Rhein. Der Vormarsch des Islam in Europa“, 1994/2005) lesen. Damals wurde ich – nicht zuletzt um muslimischer Wählerstimmen willen – auch aus seiner Partei bereits als „Islamhasser“ attackiert.

INTERVIEW

„Ein Rechtsextremist als Mörder besagt nichts für oder gegen die politische Rechte, aber alles gegen den Rechtsextremismus.“

Wegen seiner häufig wechselnden Positionen wird der CSU-Innenminister von seinen Kritikern inzwischen ironisch „Drehhofer“ genannt: Erst bezeichnete Seehofer z. B. den gesetzesbrecherischen Vorgang einer illegalen Masseneinwanderung seit 2015 ganz realistisch als „Herrschaft des Unrechts“, übrigens in Übereinstimmung mit einer Bewertung des früheren Richters am Bundesverfassungsgericht Hans-Jürgen Papier, der ebenfalls von „Rechtsbruch“ sprach. Dann ist Seehofer aber voll auf den Merkel-Kurs der offenen Grenzen eingeschwenkt. Eine erstaunliche Flexibilität, oder?

Das kann man wohl sagen! Wer ohne belastbare Beweise behaupten würde, er wisse, warum Horst Seehofer sich so und nicht anders verhält, gäbe sich einer Spekulation hin und würde als Verschwörungstheoretiker angesehen. Andererseits existieren im politischen Leben Fälle, in denen jemand z. B. erpressbar geworden ist. Mancher erklärt sich so etwa Joseph Fischers Wandel vom Sponti-Straßenkämpfer zu Börners Ministerialem in Hessen und später Madeleine Albrights Pudel. Wie leicht sich verbales Festhalten an der Wahrheit karriereschädigend auswirken kann, erlebten wir am erwähnten Beispiel Hans-Georg Maaßens. Der musste als Chef des Inlandsgeheimdienstes schließlich seinen Hut nehmen, weil er anlässlich der Ermordung eines Deutschen in Chemnitz durch Migranten im Sommer 2018 die linksextremen Antifabehauptungen standhaft zurückwies und bis heute -weist, dass es dort bei Demonstrationen zu ausländerfeindlichen „Pogromen und Hetzjagden“ gekommen sei. Es gab sie nicht. Was lehrt uns das?

Ob Zustrom von Fachkraft-Goldstücken oder die deutsche Alleinschuld an zwei Weltkriegen und einigem mehr – das System Merkel lebt in einer eigenen fikti-

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INTERVIEW

„Der Islam, wenn er sich erst einmal durchgesetzt hat, wird die nützlichen Linksidioten ausschalten.“

ven Welt, an deren Wahrheit zu zweifeln ein Majestätsverbrechen darstellt. In sich ist diese Machtstruktur so fragil, dass sie glaubt, sich keine öffentliche Selbstkritik und Korrektur von Falschmeldungen leisten zu können, ohne den Glauben an ihre absolute Moralität und an den Endsieg zu gefährden. Nochmals zu Maaßen: Gegen den erkennbaren Willen der bundesdeutschen Parteiführung wurde er als CDU-Mitglied in Thüringen als Bundestagskandidat für seine Partei gewählt, und schon prasseln Angriffe aller Art auf ihn hernieder. So erklärt Ex-Bundesumweltminister Jürgen Trittin im „Spiegel“Interview, dass „Maaßen offensiv mit Verschwörungstheorien argumentiert, die in der rechten Szene klar antisemitisch konnotiert sind“. Wird hier ein typisches Ausgrenzungsmuster bedient?

Ja. Mit diesen ungerechtfertigten Antisemitismusbeschuldigungen, die zum Teil leider auch von jüdischen Politikern wiederholt werden, wird das Geschäft der tatsächlichen Antisemiten besorgt. Erst kürzlich zogen antisemitische Mobs durch deutsche Straßen, attackierten Juden, beschädigten jüdische Einrichtungen und Synagogen. Dass es sich bei den Tätern größtenteils um arabisch-muslimische Einwanderer und Migranten handelte, wurde in den Mainstreammedien nur zaghaft berichtet – und gleichzeitig auf den angeblich dominanten rechtsex tremen Antisemitismus verwiesen, der, so die offizielle Statistik, eine Urheberschaft von über 90 % ausmachen soll. Kritische Zeitzeugen, auch und vor allem aus der jüdischen Community selbst, halten diesen Anteil für falsch – und Sie?

Er ist falsch und beruht auf einem direkten und bewussten Verfälschen der Statistiken. Aber es gibt – Gott

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sei Dank – auch jüdische Politiker in Deutschland, die dieses Desinformationstheater nicht mitspielen. Ich erwähne speziell Vera Kosova, die Vorsitzende der „Bundesvereinigung der Juden in der Af D“. In mehreren Stellungnahmen verwies die junge Ärztin auf die größte Gefahr für Juden in Deutschland, die eben nicht vom letzten Aufgebot weniger Rechtsextremisten ausgehe, sondern von den immer zahlreicheren Islamisten. Sie kritisierte dabei in scharfer Form auch die offizielle Politik des Zentralrates der Juden, der hier immer noch auf der primären Gefahr von deutschen Rechtsextremisten beharre und damit von der realen Bedrohungslage für Juden ablenke. Selbst dem inzwischen verstorbenen Modezaren Karl Lagerfeld platzte im Herbst 2017 angesichts haarsträubender Vorkommnisse bei der illegalen Masseneinwanderung in unser Land der Kragen. Im französischen Fernsehen hielt er der deutschen Bundeskanzlerin vor: „Wir können doch nicht Millionen von Juden töten und Millionen ihrer schlimmsten Feinde ins Land holen!“ Eine verständliche Zuspitzung, Herr Stolz?

Durchaus nachvollziehbar, auch wenn weder die Verfolgung und Vernichtung der Juden zwischen 1933 und 1945 noch die Aufnahme von Millionen Muslimen vor und nach 2015 von einer Mehrheit des deutschen Volkes beauftragt und gebilligt wurden. In Frankreich scheint die Dramatik bürgerkriegsähnlicher Konflikte schon weiter fortgeschritten zu sein als bei uns, wie ein aktueller Brandbrief hoher französischer Generäle an Präsident Macron belegt. Dort lautet das Stichwort „Islamo-Gauchisme“, also „LinksIslam“, womit eine Aktionseinheit von roten und islamistischen

Gruppierungen gemeint ist. Bahnt sich das auch in Deutschland an?

Leider ja! Die Gefahr besteht angesichts des geistig-moralischen Bankrottes eines Großteils der historischen Linken, der sich vollkommen vom deutschen Volk wie auch von der traditionellen Haltung der Arbeiterbewegung zur nationalen Selbstbestimmung gelöst hat und zum Werkzeug amerikanischer Imperialpolitik und der Technologiekonzerne herabgesunken ist. Der Gegensatz zwischen dem individualistischen Liberalismus der Westlinken und dem rabiaten Kollektivismus des Islam wird gegenwärtig überbrückt durch die gemeinsame Gegnerschaft gegenüber der Demokratie und den freien Völkern, zumal der Islam durch die Golfstaaten und andere muslimische Länder über ungeheure Finanzmittel verfügt. Natürlich wird der Islam, wenn er sich erst einmal durchgesetzt hat, wie 1979 unter Chomeini im Iran, die nützlichen Linksidioten ausschalten. Nach all den sicherheitspolitisch negativen Aspekten, Herr Stolz: Sehen Sie Licht am Ende des Tunnels?

Was zu sehen ist, ist allenfalls ein schwacher Schein aus der Ferne, von hinter etlichen Tunnelkurven her. Wer es für notwendig hält, Widerstand zu leisten und zu kämpfen, der muss sich wappnen mit Geduld und einem langen Atem. Das Paradoxe unserer Situation ist, dass eine bewusste oppositionelle Minderheit, die für die geschichtlichen Interessen der Mehrheit eintritt, sich konfrontiert sieht mit einer in großen Teilen passiven und verwirrten Bevölkerung und einer herrschenden Minderheit, die den Staat und die Meinungsindustrie okkupiert hat. Wir haben Chancen – Garantien haben wir nicht. Was ist zu tun?

Es geht jetzt vor allem um umfassende Aufklärung – etwa über die Vorzensur und Einseitigkeit in den FR E I L I CH


Noch eine persönliche Frage: Im Interview mit der Wochenzeitung „Junge Freiheit“ haben Sie einmal Ihre politische Position als die eines „dissidentischen Linken“ beschrieben. Sie seien jemand, der „zwischen den Fronten steht“. Wie wirkt sich das für Sie im politischen Alltag aus?

Na ja, es lebt sich, aber es lebt sich nicht immer einfach, doch ich will nicht klagen oder mich beschweren. Wahrscheinlich ist das die Konsequenz aus einer freien und absolut unabhängigen Position. Ich muss damit leben, dass ich nach über einem halben Jahrhundert politischer Aktivität als unabhängiger und demokratischer Linker von Leuten, denen Denken ein Fremdwort und Denunzieren ihr Lieblingshobby ist und die mich weder persönlich kennen noch je eines meiner Bücher gelesen haben, nach Aufschnappen von einzelnen Zitatbrocken und Gerüchten aus dem Internet als „Rassist“, „Ultrarechter“, „Faschist“ und so weiter diffamiert werde. Von diesen Freunden einer korrekten, reinen und ultrabunten schönen neuen Welt wird man zwar zurzeit nur geschlagen und nicht erschlagen, aber ein bisschen Terror muss schon sein. Die Palette reicht von Mobbing, über den Ausschluss aus Vereinen, das Blockieren von Veranstaltungen und Boykottaufrufe bis zum gezielten Totschweigen. Herr Stolz, vielen Dank für dieses Interview! N° / 13 / JULI 2021

Foto: Archiv

öffentlich-rechtlichen Medien, über verschiedene Formen der Korruption und des Einwirkens von Lobbyisten und fremden Mächten. Es geht darum, die Gräben und die gezielt geschürten Gegensätze im Volk zu überwinden. Dass eine so klare und integre Persönlichkeit wie Max Otte an die Spitze der WerteUnion gewählt wurde, ist immerhin ein Hoffnungszeichen.

INTERVIEW

Zur Person

Mit allen zu reden, ist Grundlage der Demokratie

Deswegen versucht der Grünen-Politiker, Schriftsteller, Fotograf und Diplom-Psychologe Rolf Stolz, sich die Welt im Dialog zu erschließen. Doch das kommt nicht immer gut an. Die bundesdeutschen Grünen, J 1 0 U I

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Familie von Anfang an Krieg, Vertreibung, Flucht, Überlebenskampf mitbekam. I einfacher und freier auf als die allermeisten Kinder heute. […] Beginn des 1

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Rolf Stolz im Internet: rolfstolz.de

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INFOGRAFIK

Gewalt von links

Andersdenkende vielen Orten statt. ILI 201 1 00

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Sämtliche Eingaben werden gewissenhaft überprüft und mit Presseberichten oder Bildmaterial dokumentiert. linke-gewalt.info ist ein gemeinnütziges Projekt für Politik, Presse, Polizei, Justiz und Öffentlichkeit.

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einer interaktiven L

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Unterstützen Sie dieses wichtige Aufklärungsprojekt aus dem Freilich-Medienhaus mit Ihrer Spende! Konto: Freilich-Medien GmbH Verwendungszweck: Linke Gewalt IBAN: AT38 2081 5000 0009 8004

Würzburg

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am linken Rand

16. Mai 2020 / Stuttgart

Quelle: Deutscher Verfassungsschutzbericht 2020 (Bund)

Mordanschlag mit Gaspistole auf offener Straße

Linksextremistische Gewalttaten in Deutschland: Foto: Junge Freiheit

Andreas Ziegler und zwei Freunde von der Gewerkschaft „Zentrum Automobil“ befanden sich am Weg zu einer Grundrechte-Demo, als sie von rund 50 Linksextremisten in einer offensichtlich genau geplanten Aktion aus dem Hinterhalt überfallen wurden. Laut Augenzeugen wurde dem bereits niedergeschlagen auf der Straße liegenden Ziegler eine Gaspistole an den Kopf gehalten und abgedrückt. Zwei Tatverdächtige konnten ausgeforscht werden und sitzen in U-Haft.

INFOGRAFIK

Radikalisierung

Mordanschläge

+ 34,3 %

1237 921

Militantes Vorgehen der Antifa.

11. März 2021 / Eilenburg (Sachsen) Mit Masken und Polizeiwesten getarnt gaben sich die fünf Antifas als SEK-Kommando aus, woraufhin ihnen der 30-jährige Paul Rzehaczek um 5:25 Uhr die Wohnungstür öffnete. Das Opfer musste sich auf den Boden legen. Dann zertrümmerten sie mit einem Hammer seine Unterschenkel und Sprunggelenke, schlugen mit einem Nothammer zum Zertrümmern von Fahrzeugscheiben gezielt auf den Kopf. Nachdem sie die Wohnung durchsucht hatten, versprühten sie über dem blutüberströmten Opfer mehrere Dosen Pfefferspray.

Foto: Compact Magazin

Falsche Polizisten misshandeln jungen Familienvater 2020

Enormer Anstieg linker Gewaltdelikte in nur einem Jahr, darunter sechs versuchte Tötungsdelikte. Die Zahl linker Landfriedensbruch-Delikte stieg um 345,8 %.

Schwerste Misshandlungen des Opfers.

Opfer und Ziele

28. Mai 2021 / Erfurt

Brutaler Überfall durch falsche Polizisten

linker Gewalt Foto: Junge Freiheit

Die vier bis fünf als Polizisten getarnten Täter brachen in den frühen Morgenstunden die Tür zur Wohnung des 25-jährigen Julian F. mit einer Ramme auf. Dort überwältigten sie den schlafenden Bewohner und dessen Freundin. Beide wurden gefesselt, dem Mann zusätzlich ein Bein gebrochen. Bevor die Opfer am Tatort zurückgelassen wurden, wurden die Gefesselten mit einer unbekannten Flüssigkeit, mutmaßlich Chlor, übergossen.

2019

Bekennerschreiben auf „indymedia“.

Quelle: linke-gewalt.info

AfD Unionsparteien FDP FPÖ

Terrorismus

ÖVP Einsatzkräfte, Behörden und Ämter

Am 6. November 2020 wurde Lina Engel in Leipzig verhaftet. Zusammen mit neun mutmaßlichen Mittätern werden ihr die Gründung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung, besonders schwerer Landfriedensund Hausfriedensbruch, räuberischer Diebstahl und andere Delikte vorgeworfen. Ihre Terrorgruppe wude unter anderem vom „Netzwerk für Demokratie und Courage“ des Familienministeriums finanziert.

Foto: Berner Zeitung

Linksterrorismus: der Fall Engel

Lina Engel (25) bei ihrer Festnahme.

öffentliche Infrastruktur Gaststätten und Veranstaltungsorte „Identitäre Bewegung“ Studentenverbindungen zivilgesellschaftliche Initiativen Erinnerungskultur

Brandstiftung

Sonstige

25. Mai 2021 / München Ein Brandanschlag auf Kabel in einer Baugrube hinterließ 20.000 Haushalte stundenlang ohne Strom. Ein Bekennerschreiben wurde veröffentlicht, in dem sich die Täter eindeutig der linksextremen Szene zuordnen. Die abgefackelten Glasfaserkabel und auch der Strom sollten gekappt werden, weil in der Nähe eine Rüstungsfirma liegt. Der Rest war sozusagen ein Kollateralschaden großen Ausmaßes.

Foto: rosenheim24.de

Verheerender Brandanschlag auf das Stromnetz

Rund 20.000 Münchner wurden Opfer.

9. Oktober 2020 / Klagenfurt Foto: Wiener Zeitung

Stätte der Kärntner Einheit geschändet

N ° / 13/ J U L I 2021

über linke Gewalt

„Für mich ist die Antifa nicht per se eine linksextremistische Organisation.“ Annalena Baerbock, Die Grünen-Vorsitzende im ARD bei „Frag selbst!“, Juli 2021

Sachbeschädigung

Kärntens Kampf gegen die Teilung des Landes erregt noch immer Linksextremisten, die gern ihre Nostalgie für den mörderischen Titokommunismus zeigen. Die Landesgedenkstätte in Klagenfurt soll an sich Deutsche und Slowenen in Kärnten zusammenbringen, eine Aussöhnung, die auch von Linksextremisten gern gestört wird. Hammer und Sichel gegen die Selbstbestimmung und Volksgruppen.

Linke Politiker

Vandalismus als Vorstufe zur Gewalt.

„Fakt bleibt, man muss Position und Personal der Rechtspopulisten attackieren, weil sie gestrig, intolerant, rechtsaußen und gefährlich sind!“ Ralf Stegner, SPD-Generalsekretär auf Twitter, 8. Mai 2016

„Danke Antifa!“ Martina Renner, Die Linken-Abgeordnete im Bundestag 26.September 2019

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PORTRAIT

ANNALENA BAERBOCK

wurde am 15. Dezember 1980 in Hannover geboren und ist eine deutsche Politikerin (Bündnis 90/Die Grünen). Seit Januar 2018 ist sie gemeinsam mit Robert Habeck Bundesvorsitzende ihrer Partei. Baerbock ist die Kanzlerkandidatin der Grünen für die Bundestagswahl 2021; sie bildet mit Habeck das Spitzenduo der Partei für den Wahlkampf. Baerbock wird dem „Realo“Flügel ihrer Partei zugeordnet.

Gebt den Kindern das Kommando

VON WERNER REICHEL

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Foto: imago / photothek

Herbert Grönemeyers Vision von den lieben Kleinen an der Macht könnte Wirklichkeit werden. Die grüne Spitzenkandidatin Annalena Baerbock als Politikerin wird in ihren Zielen vor allem von zeitgeistigen Gefühlslagen bestimmt.

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PORTRAIT

Lieb, nett, sympathisch: die Kandidatin als verschwommenes Bild. Je genauer man hinschaut, desto weniger beeindruckend. Aber viele wollen gar nicht sehen, was da jenseits des Weichzeichners wirkt.

N° / 13 / JULI 2021

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PORTRAIT

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n ihrem Kinderzimmer auf dem Ökobauernhof bei Hannover klebte ein Greenpeace-Poster an der Wand, mit ihren Eltern demonstrierte die kleine Annalena gegen Atomkraft und NATO-Doppelbeschluss. Sie hat das grüne Lebensgefühl mit der Muttermilch aufgesogen. Eine Kindheit wie aus dem linken Bilderbuch, die Annalena Charlotte Alma Baerbock, kurz ACAB (All Cops Are Bastards), da verlebt hat. Ihre kindliche Naivität hat sie sich bis heute bewahrt, hat nie versucht, sie durch ein Zuviel an Bildung und Wissen zu verstellen. Ihre akademische Karriere, wenn man sie so bezeichnen möchte, von der die ARD bei Twitter schrieb: „Wenn das keine Bildung ist!“, ist nicht halb so glanzvoll, wie sie sie selbst dargestellt hat. Die linken Medien haben mit dem „aufpolierten“ Lebenslauf von Baerbock kein Problem. Das sei im urbanen, weltoffenen Milieu heutzutage üblich und schlimmstenfalls ein Kavaliersdelikt, jedenfalls nichts, was man in der Öffentlichkeit zu thematisieren oder gar problematisieren brauche. Auch die haarsträubende Unprofessionalität ihres Teams, das es selbst nach zwölf Adaptionen nicht hinbekommen hat, ihren Lebenslauf halbwegs mit der Realität in Einklang zu bringen, regte in der linken Öffentlichkeit niemanden auf. Eine bekannte Headhunterin in einem Interview: „Jede Form von Übertreibung oder Falschaussage im Lebenslauf führt bei der Personalberatung auf der Stelle zum Ausschluss. Ist eine Angabe im Lebenslauf unzutreffend, lässt das Rückschlüsse zu, dass der Kandidat es auch mit anderen Dingen nicht so genau nimmt. Es geht um das Prinzip der Ehrlichkeit“. Normalerweise. Jeden nicht linken Politiker hätte so ein Fake-Lebenslauf die Karriere gekostet. Beim grünen Shootingstar ist das anders. Kaum jemand, nicht einmal die Bürgerlichen und Konservativen, haben Baerbocks Vorgehensweise als das bezeichnet, was sie ist: Hochstapelei. Jemand, der mit Lügen und Falschangaben versucht, den Eindruck zu erwecken, eine höhere gesellschaftliche Stellung innezuhaben, ist schlicht ein Hochstapler. Würden die Medien das offen aussprechen, wäre Baerbocks Karriere beendet. So gibt es nur eine kleine Delle bei den Umfragewerten. Bis September ist alles längst vergessen. Jegliche Kritik an den Grünen ist in Deutschland nicht mehr erwünscht, nicht mehr salonfähig. Das Justemilieu will sich – gestärkt durch die Corona-Krise – nicht mehr mit Kritik, anderen Meinungen und Diskussionen herumschlagen müssen. Die Demokratie ist ein Auslaufmodell. Zumal grüne Politik, sprich linke Dogmatik, alternativlos ist. Noch bevor der Souverän, der Bürger, seine Stimme abgeben kann, scheint für die meinungs- und bewusstseinsbildenden Schichten im Land bereits festzustehen, dass die Grünen der nächsten Regierung angehören werden.

Deshalb ist das grüne Spitzenpersonal auch sakrosankt. Die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt: „Gegenwärtig arbeiten sich meist Männer, gerne in überheblichen Tweets, an dummen Nachlässigkeiten im offiziellen Lebenslauf der Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock ab.“ Sie steht als politische Erlöserfigur über solchen profanen Dingen. Das betrifft nicht nur ihre Selbstdarstellung, sondern auch die Qualität ihrer Argumente, ihrer Politik. Sie ist ein politisches Plappermaul, ihre Überzeugungen, ihr Weltbild und ihre Ideologie haben keine tiefen Wurzeln, kein intellektuelles Fundament. Sie ist eine Gefühlslinke, die mit Greenpeace, Umweltdemos, Müsli, Antifa und Bullenschweine-Parolen aufgewachsen ist. So jemand braucht keinen Marx, Adorno oder Gramsci für sein linkes Bewusstsein, so wie ein Muttersprachler auch ohne Grammatikstunden seine Sprache alltagstauglich und oberflächlich beherrscht.

E

ntsprechend flach und bei Sachfragen oftmals haarsträubend dumm sind Baerbocks Äußerungen, obwohl sie von den wohlgesinnten journalistischen Fragestellern nie in die Mangel genommen wird. Man denke an die Kobolde in den Akkus. Eine andere legendäre Feststellung, die ihre politische Unbekümmertheit und Unbelecktheit in Sachen Umweltpolitik demonstrierte, war ihre Antwort auf eine Frage bezüglich des unzuverlässigen Solar- und Windstroms: „An Tagen wie diesen, wo es grau ist, da haben wir natürlich viel weniger erneuerbare Energien. Deswegen haben wir Speicher. Deswegen fungiert das Netz als Speicher. Und das ist alles ausgerechnet.“ Auf dieser Aussage reiten seither „rechte Hetzer“ und „konservative Spießer“ herum, die tatsächlich wissen, was ein Stromkreis ist, und für die Bildung, Kompetenz und Wissen Fundamente einer zivilisierten Gesellschaft sind. Mitte Juni dieses Jahres gab ihr Anne Will in ihrer Talkshow die Gelegenheit, diese Aussage richtigzustellen. Baerbock: „Da gibt es nicht mehr Atomkraftwerke und Kohlekraftwerke, die laufen durch, sondern wir haben volatile Energie, das heißt, Wind ist nur, wenn Wind weht, logischerweise, und Sonne ist nur, wenn die Sonne scheint. Wir haben Grundlast durch Biomasse, und wir haben, und das ist neu, äh, das ist auch interessant für Start-ups und Unternehmen, zum Beispiel Rechenzentren, große Supermärkte, die dann als Energieerzeuger in den Markt reinkommen. Und wenn eine Kühlung, zum Beispiel, bei einem riesengroßen, äh, Produzenten von minus 22 Grad in Zukunft dann auf 20 Grad, minus 20 Grad runterkühlt, dann ist das Hühnchen immer noch kalt, aber wir können an der Grundlast das Netz, und das war mein Punkt, so stabilisieren, dass sich im Netz die unterschiedlichen Akteure ausgleichen.“ FR E I L I CH


PORTRAIT Foto: imago / Rüdiger Wölk

Das neue Bürgertum sind die Grünen: auf ihre Art Spießer, die sich in einer Verbots- und Gebotspartei gesammelt haben und ihren Marsch durch die Institutionen damit krönen, dass sie selbst Institution werden. Baerbock ist das knuffige Gesicht, mit dem sie das dem Wähler verkaufen.

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er erste Vorsitzende der SPD in der Nachkriegszeit, Kurt Schumacher, prägte den Satz: „Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit.“ So gesehen ist das, was Baerbock macht, gar keine Politik. Sie ignoriert die Gesetze der Natur und Ökonomie sowie die gesellschaftlichen Realitäten noch konsequenter, als es Linke gemeinhin tun. Baerbock sieht die Welt nicht, wie sie ist, sondern wie sie aus ihrer Sicht sein sollte, sie denkt stets von der Utopie her. Die Realität, der Mensch müssen an ihre Utopie angepasst werden, nicht die politischen Zielsetzungen an die Realität, an die menschlichen Bedürfnisse. Aus dieser Perspektive sind die Wirklichkeit und die menschliche Natur nur Zumutungen. Was die Kanzlerkandidatin einer der größten Industrienationen der Welt sagt, ist in vielen Fällen schlicht Schwachsinn oder, um es präziser auszudrücken: Bullshit. Bullshit ist ein Begriff, den der amerikanische Philosoph Harry G. Frankfurt in den 1980ern genau beschrieben und definiert hat. Jemand, der Bullshit verbreitet, lügt – laut Frankfurt – nicht, denn dazu müsste er die Wahrheit (aner-)kennen. Aber die Wahrheit, die Realität interessiert den Bullshitter nicht, sie spielt keine Rolle. Für ihn ist es unerheblich, ob das, was er sagt, falsch oder richtig ist. Beides ist ihm gleich willkommen. Es geht beim Bullshit-Erzählen nur darum, eine bestimmte Wirkung zu erzielen, sein Ziel zu erreichen. Frankfurt: „Da Bullshit nicht notwendig wahrheitswidrig sein muss, unterscheidet er sich von der Lüge durch die gefälschte Absicht. Der Bullshitter muss uns nicht täuschen und nicht einmal täuschen N° / 13 / JULI 2021

wollen, weder hinsichtlich der Tatsachen noch hinsichtlich seiner Vorstellung von den Tatsachen. Er versucht aber immer, uns über sein Vorhaben zu täuschen.“ Um ihre linken, gesellschaftspolitischen Ziele verwirklichen zu können, erzählt Baerbock Bullshit, zum Beispiel, dass gefrorene Hühnchen Strom erzeugen respektive speichern könnten. Es geht aber nicht um solche offensichtlich dummen Aussagen: Der Kampf der Grünen gegen den sauren Regen, die Atomkraft, das Ozonloch oder CO2 war von Anfang an Bullshit, um den kommunistischen Umbau der westlichen Gesellschaft mithilfe positiv besetzter Weltrettungsfantasien zu tarnen und schneller vorantreiben zu können. Was bei den Gründungsfiguren der Grünen, von Joschka Fischer über Rudi Dutschke bis Jürgen Trittin, Strategie und Vorwand war, hat sich in der Generation Baerbock soweit ideologisch abgesetzt und verfestigt, dass der Schaukampf gegen die Umweltapokalypse tatsächlich zu einem zentralen Anliegen grüner Politiker geworden ist. Selbstverständlich kann dieser Kampf aus Sicht der Grünen nur gewonnen werden, wenn die Menschen in mehreren, oder besser: einem weltumspannenden kommunistischen, planwirtschaftlich organisierten System leben.

O

b Baerbock die Rettung des Klimas vorschiebt, um die Gesellschaft nach neomarxistischen Vorstellungen umbauen zu können, oder sie die Gesellschaft verändern will, um das Klima zu retten, ist letztendlich egal. Vermutlich weiß sie es, im Gegensatz zu ihren Vorgängern,

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PORTRAIT

„Kobold – wo kommt das eigentlich her? Wie kann das recycelt werden?“

„Glatzenzimmer“ „An Tagen wie diesen, wo es grau ist, da haben wir natürlich viel weniger erneuerbare Energien. Deswegen haben wir Speicher. Deswegen fungiert das Netz als Speicher. Und das ist alles ausgerechnet.“

„Das war Mist …“

„So heilig war ich nie, sondern alle machen Fehler!“

„Lasst uns dieses Europa gemeinsam verenden!“ „Scheiße!“ Politiker müssen viel reden, und ohne Zweifel geht es da auch immer wieder um Themen, mit denen sie sich nicht so genau auskennen. Aber Baerbock übertreibt.

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„Und eigentlich sind wir die größte Volkswirtschaft der Welt, dann ist doch in der Vergangenheit offensichtlich was falsch gelaufen.“

„Super! Es geht, es geht!“

Foto: imago / teamwork

„Grundschauen schulen“

FR E I L I CH


PORTRAIT

selbst nicht. Das spielt bei Bullshit auch keine Rolle, was zählt, ist das Ergebnis. Wo die Grünen hinwollen, kann man in der vor wenigen Monaten erschienenen Studie der Heinrich-Böll-Stiftung ohne verharmlosende Wahlkampfrhetorik nachlesen: „A Societal Transformation Scenario for Staying Below 1.5°C“. In dem Positionspapier heißt es: „The current debate circles almost entirely around technological change and does not take into account the huge potential of societal and economic change.“ Es geht also nicht um umweltfreundliche Technologien, sondern um den gesellschaftlichen Wandel, den großen Umbruch: „Although these changes might not have a direct impact on GHG emissions, they are prerequisites to increasing human well-being while reducing material consumption.“ Weil das politmediale Establishment inklusive Mainstreampresse die gleichen Ziele und Strategien wie Baerbock und Co. verfolgt oder sich umgekehrt in diesem Milieu auch immer mehr geistige Baerbocks tummeln, bestimmt linker Bullshit mittlerweile die öffentliche Debatte, alle gesellschaftlichen Bereiche. Das wurde im Zuge der Corona-Pandemie deutlich sichtbar. Auch an den Unis wird immer mehr Bullshit verbreitet. Nicht mehr Wissen, Empirie und Erkenntnis, nicht der Versuch, die Welt zu verstehen, sondern sie zu verändern steht im Zentrum. Studienrichtungen wie Genderstudies sind sogar lupenreine Bullshit-Fächer, ohne jeglichen Erkenntnisgewinn und Realitätsbezug. Die linken Leitmedien von „Süddeutscher Zeitung“ bis „Spiegel“ waren von Baerbocks Auftritt und Aussagen bei Anne Will jedenfalls hingerissen. Selbst die einst bürgerliche „FAZ“ schrieb: „Baerbock zeigte sich inhaltlich gut vorbereitet“. Nochmals langsam, um die Dimension des Wahnsinns bzw. den Grad des Verfalls begreifen zu können: Eine aussichtsreiche Kanzlerkandidatin behauptet, Supermärkte bzw. Tiefkühlhühnchen könnten Strom produzieren und so die abgeschalteten Grundlastkraftwerke ersetzen. Kein relevantes Medium äußerte sich dazu kritisch, niemand stellte die Eignung Baerbocks als Kanzlerin in Frage, die „FAZ“ schrieb sogar, sie sei „gut vorbereitet“ gewesen.

A

uch die Mainstreampresse verbreitet vor allem Bullshit. Das linke Establishment erhebt gar nicht mehr den Anspruch, dass ein Bundeskanzler, dass das politische Spitzenpersonal zumindest ansatzweise eine Ahnung oder Überblick von dem haben sollte, worüber geredet, befunden und entschieden wird. Maßgebend sind richtige Haltung und Zielsetzung. Trotz oder gerade weil in der Politik derzeit so oft von „der Wissenschaft“ oder „evidenzbasierter Politik“ die Rede ist. Auch das ist nur Bullshit. „Die Wissenschaft“ dient den Linken aller Parteien dazu, ihrer Ideologie, ihren gedanklichen

N° / 13 / JULI 2021

INFANTILISMUS

Fakten, Argumente und Empirie zählen nicht mehr. Träume, Emotionen und Wünsche bestimmen das politische Handeln. Auf Kritiker reagiert die politisch korrekte Elite mit Verboten und Drohungen. Wir leben in einer infantilen Gesellschaft, in einer großen Villa Kunterbunt. In ihr sind Eigenverantwortung, Ernsthaftigkeit, Leistungswille, Disziplin, Authentizität und Wahrhaftigkeit verbotenes Terrain. Christian Günther / Werner Reichel (Hg.) Infantilismus Verlag Frank&Frei, Wien 2016. ISBN 978-3-9504081-6-4 A € 19,90 / D € 14,90

Im FREILICH-Buchladen erhältlich: freilich-magazin.at/ buchladen

Konstrukten mehr Glaubwürdigkeit und Gewicht zu verleihen. So wie die in den Mainstreammedien allgegenwärtigen Experten nur als solche gelten, wenn ihre Aussagen dem aktuellen Zeitgeist entsprechen, wenn sie linke Glaubenssätze wiederkäuen. Sie dienen nur als Phrasenlieferanten in einer Debattensimulation. Sie produzieren, was die Baerbocks dieser Welt zu ihrer Unterstützung brauchen. Für diese Politiker und ihre Helfershelfer sind die Folgen und Kollateralschäden ihrer Entscheidungen und Expertisen als Gesinnungsethiker zweitrangig. Angela Merkel, Mutti dieser Bullshit-Politik, hat diese Einstellung während der Flüchtlingskrise 2015 auf den Punkt gebracht. Ihren innerparteilichen Kritikern antwortete sie damals: „Ist mir egal, ob ich schuld am Zustrom der Flüchtlinge bin, nun sind sie halt da.“ Egal welche Schäden und Katastrophen solche Menschen verursachen, selbst wenn sie ein ganzes Land, einen ganzen Kontinent Richtung Abgrund führen. Von ihnen ist kein Verantwortungs- oder Schuldbewusstsein zu erwarten. Das zeigte Merkel auch mit einem anderen Statement bezüglich der von ihr befeuerten Masseneinwanderung. Sie verkündete im September 2015, wenn sie sich für ihre Politik der offenen Grenzen entschuldigen müsse, „dann ist das nicht mein Land“. Das ist hochgradig gestört, infantil. Die trotzige Angela betrachtet Deutschland als ihr Spielzeug, das sie, wenn es ihr nicht mehr gefällt, wegwirft. Nicht Merkel oder Baerbock wollen dem Land bzw. dem Volk dienen, das Land wird von ihnen als Spielwiese, Labor oder Feld zur Selbstverwirklichung missbraucht. Diese Verantwortungslosigkeit ist stets gepaart mit politischen Allmachtsfantasien. Zu ihren Hochzeiten ließ Merkel sich als „Weltkanzlerin“ feiern. Auch Baerbock will nicht weniger als den ganzen Planeten und die Menschheit retten. Dazu braucht man aus ihrer Sicht weder eine fundierte Ausbildung noch Erfahrung, sondern das Herz am linken Fleck und ein kindliches Gemüt. Auch Greta Thunberg fühlt sich berufen und befähigt, die Menschheit zu retten. Es gibt sehr viele, die ihr das zutrauen. Warum also nicht gleich Greta Thunberg zur Regierungschefin machen? Was heute noch absurd klingt, könnte schon morgen Realität sein. Auch die professionelle Schulschwänzerin beruft sich gern auf „die Wissenschaft“. Sie imitiert, wie alle Kinder, Verhaltensweisen, die im jeweiligen Referenzrahmen funktionieren. Weshalb Bildung, berufliche Erfahrung, Verantwortungsbewusstsein als Qualifikationskriterien immer weniger eine Rolle spielen. In den westlichen Gesellschaften zählen vor allem Haltung, Geschlecht, Herkunft, Hautfarbe, sexuelle Orientierung und Opfer-Rankings. Selbstverständlich wäre Robert Habeck – auch aus grüner Sicht – der bessere Kandidat gewesen, sein

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Foto: imago / localpic

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Der Lebenslauf war „aufgehübscht“, und es wird ihr nicht übel genommen. Die „kritischen“ Medien stellen keine kritischen Fagen mehr: Sie erkennen sich in der Kandidatin wieder und hoffen auf das Beste.

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Penis und der neulinke Zeitgeist standen ihm im Weg. Die ’68er werden nach und nach von den Baerbocks, Kühnerts und Thunbergs an den Schaltstellen der Macht und des Staates abgelöst. Die infantile, neosozialistische Politik mit ihren Auswüchsen wie Wokeness, Identitätspolitik, Gender-Mainstreaming, Modern Monetary Theory etc. findet dadurch immer mehr Transmitter, Verstärker und damit mehr Akzeptanz in breiten Teilen der Bevölkerung. Diese neuen Politiker, Aktivisten und Meinungsmacher („Influencer“), wie Carola Rackete, Annalena Baerbock, Luisa Neubauer, Kevin Kühnert, der YouTuber Rezo, Alma Zadić etc. verdrängen gerade die alte linke Garde, die ihnen den Weg bereitet hat. Sie sind die Vertreter einer linken Pippi-Langstrumpf-Politik. Sie trauen sich zu, Pferde zu stemmen, also ohne entsprechenden Hintergrund alles zu, sogar Kanzlerin zu werden, ein 80 Millionen Einwohner zählendes Land nach ihren Vorstellungen umzubauen. Wie ein Architekt, der ein Hochhaus entwirft, ohne je etwas von Statik, Materialkunde oder Bodenklassen gehört zu haben. Pippi ist eine literarische Figur, die nicht arbeitet, nicht in die Schule geht, bürgerliche Werte, den Staat und seine Institutionen (Lehrer, Dorfpolizisten etc.) ablehnt und von einem Goldschatz lebt, den ihr Vater, ein Pirat, anderen Menschen geraubt hat. Der perfekte linke Lebensentwurf. Und das Ganze in einem funktionierenden wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ethnisch homogenen Umfeld. Ein halbwegs stabiles politisches System verträgt viele Pippis, sogar in der Politik, aber eine Gesell-

schaft, die mehrheitlich aus Pippis besteht, muss kippen, was in Schweden gerade passiert. Vor allem, wenn es kaum noch Gegenmeinungen und Gegenströmungen gibt, wenn sozusagen die Eltern nicht mehr da sind, um dem kindlichen Treiben Grenzen zu setzen. Die linke „taz“ rechnet nach der Bundestagswahl mit einer Koalition von Union und Grünen und beschreibt sie als „Pakt zwischen altem und neuem Bürgertum“. Die Union in der bewahrenden, stabilisierenden (Eltern-)Rolle, die Grünen als ungestüme, progressive Kraft. Eine für viele scheinbar ideale Konstellation. Doch die Union ist schon lange nicht mehr das „alte Bürgertum“, die konservative Stimme der Vernunft, das politische Gegengewicht zu den infantilen Grünen. Die CDU ist unter Merkel so wie die Mainstreammedien nicht nur weit nach links abgedriftet, es hat sich dort ebenfalls eine politische Pippi-LangstrumpfMentalität breitgemacht: „Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt.“ Auch in der SPD haben die Eskens und Kühnerts die sozialdemokratischen „Realos“ weitgehend verdrängt. Es gelten neue Maßstäbe in Politik und Gesellschaft. Dass die Grünen als „neues Bürgertum“ gelten, zeigt, dass es kein Bürgertum mehr gibt, dass die konservativen und rechten Kräfte weitgehend verstummt sind. Merkel und ihr Nachfolger Armin Laschet sind Teil des linken Lagers, sie geben nicht mehr die politische Richtung vor, sie laufen linken Trends nach, weshalb Politiker vom Typus einer Baerbock zu den neuen Leit- und Führungsfiguren geworden sind. Die Eltern erziehen die Kinder nicht mehr, sie eifern ihnen nach. FR E I L I CH


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efreit vom Zwang, Politik, Standpunkte und Forderungen sachlich begründen und gegen Kritik verteidigen zu können, sind Baerbock und Co. die personifi zierten DunningKruger-Effekte, sie überschätzen sich und ihre Fähigkeiten und Potenziale maßlos. Zumindest nach bisher gültigen Maßstäben. Deshalb kann auch jemand mit einem lückenhaften und gefälschten Lebenslauf voller Überzeugung sagen: „Ja, ich traue mir die Kanzlerschaft zu.“ Wer sollte widersprechen? Das konservative, rechte Lager ist an den Rand der Gesellschaft gedrängt worden. Die AfD gilt als politisch aussätzige Partei, die nur noch als rechtes Schreckgespenst ge- und missbraucht wird. In allen richtungsweisenden politischen Fragen herrscht überparteiliche Einigkeit: Islamisierung ist Bereicherung, Umverteilung Gerechtigkeit, Impfzwang Solidarität, Atomkraft böse, Zuwanderung notwendig etc. Diese Gebote sind in Stein gemeißelt. Sie sind die Richtschnur des politischen Handelns, alles andere ist Bullshit. Insofern ist

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ie letzten nicht linken Stimmen, die es noch wagen, die Grünen zu kritisieren, werden von den Mainstreammedien und anderen Meinungswächtern als Ewiggestrige, Auslaufmodelle, Hetzer und Nazis diffamiert und vom öffentlichen Diskurs ausgegrenzt. Die „Süddeutsche“ über Baerbocks hochgestapelten Lebenslauf: „Seit Annalena Baerbock ihre Kandidatur für das Kanzleramt bekannt gegeben hat, zeigt sich jeden Tag, wie verbreitet Frauenhass noch ist – und wie eine ambitionierte Frau das Gefüge des Patriarchats allein dadurch stört, dass sie sich die Spitze zutraut.“ Auch eine Kampagne der deutschen Elektround Metallindustrie, die sich gegen die wirtschaftsfeindlichen Pläne der Grünen richtet, wurde von den linken Meinungswächtern in ähnlicher Weise diffamiert und delegitimiert. Baerbock wurde als Moses dargestellt, der zu den Deutschen herabsteigt und ihnen die Zehn grünen Gebote überbringt. Diese Ge- oder besser Verbote werden von den Grünen tatsächlich angestrebt, und die Initiative hat ihre Kritik gut argumentiert. Trotzdem wurde nicht auf die Inhalte und Kritikpunkte eingegangen, sondern die Kampagne an sich kritisiert. Man unterstellte der Industrie, Hass und Antisemitismus zu verbreiten. Die klassischen linken Totschlagargumente, um jegliche sachliche Diskussion abzuwürgen. Vermutlich glaubt Baerbock tatsächlich, dass in einem leistungs- und fortschrittsfeindlichen Hochsteuerland genügend Wertschöpfung generiert werden kann, um das aktuelle Wohlstandsniveau zu halten, dass man mit Windrädern und auftauenden Tiefkühlhühnchen eine Industrienation mit ausreichend Energie versorgen kann, dass eine westliche Gesellschaft auch nach der Massenzuwanderung von Muslimen eine westliche Gesellschaft bleibt.

Annalena Baerbock die ideale und logische Nachfolgerin von Angela Merkel. Das weiß auch Merkel. Selbst wenn Armin Laschet, die Light-Variante dieser Politik, Kanzler werden sollte, wird sich dadurch wenig ändern. Unsere Gesellschaft mit ihrem weit nach links verschobenen politischen Koordinatensystem produziert fast nur noch Baerbocks, die immer mehr wichtige Stellen in Staat und Gesellschaft übernehmen. Das Problem, das linke Bullshit-Politiker und eine linke Bullshit-Gesellschaft haben: Ihre Widewitt-Politik funktioniert nur, solange sie von einem rational denkenden und handelnden Teil der Gesellschaft, sozusagen den Eltern, fi nanziert versorgt und begrenzt werden. Kinder brauchen ein stabiles Elternhaus, in einer Villa Kunterbunt können sie nicht lange überleben. Infantile Politiker brauchen einen starken Staat und eine Gesellschaftsschicht, für die Werte wie Leistung, Verantwortung, Loyalität etc. zentral sind. Der amerikanische Schriftsteller Robert A. Heinlein hat in einem Essay darauf hingewiesen, dass unsere Zivilisation gar nicht funktionieren würde, wäre die überwältigende Mehrheit „einfacher Menschen“ nicht von einem tiefen Anstands- und Pfl ichtgefühl und einer intrinsischen Berufsethik geleitet. Diese Menschen sind aber mittlerweile in der Minderheit und müssen nach Ansicht der Baerbocks umerzogen werden. Wenn es aber keine Eltern mehr gibt, die den Baerbocks Grenzen setzen und ein geschütztes Umfeld bieten, wenn der deutsche Mittelstand in die Krise rutscht, die Industrie abwandert, Investoren sich erfolgversprechendere Regionen suchen, der Braindrain sich fortsetzt und die Sozialsysteme unter der Last der einströmenden Migranten zusammenbrechen, wird es düster. Wenn Baerbock und die Grünen versprechen, ihre grüne Politik schaffe Hunderttausende neuer Arbeitsplätze, Migranten aus dem Islamgürtel sicherten das Rentensystem, die Industrie werde von der Energiewende profitieren, Supermärkte und Tiefk ühlhühnchen könnten Atomkraft werke ersetzen, dann ist das Bullshit, hat mit Politik im eigentlichen Sinne, mit Staatsführung nichts zu tun. Deutschland braucht angesichts der Verschiebung der globalen Macht- und Kräfteverhältnisse, der massiven Konkurrenz aus Fernost intelligente Führungspersönlichkeiten mit Weitblick und strategischen Fähigkeiten. Stattdessen flüchtet sich ein Volk in eine infantile Scheinwelt, bewohnt von Politikern, die zwar mit Sachpolitik überfordert sind, aber die Welt retten wollen, die die Probleme, die Deutschland derzeit hat, potenzieren. Ohne Eltern und ohne Geld wird im Land mit seinen Millionen von Pippis und fordernden Gästen das Chaos ausbrechen. Das wird aber noch etwas dauern. Bis September geht es sich sicher aus.

Werner Reichel lebt und arbeitet in Wien. Er war rund 20 Jahre im Rundfunk tätig, unter anderem als Programmchef und Geschäftsführer mehrerer Radiosender, sowie als Lektor an der FH Wien. Er ist Autor und Verleger.

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POLITIK

Politik und Medien Die Vierte Macht macht gern Politik. Und kollidiert dann mit Politikern, die gern Medien wären. VON HANS-JÖRG JENEWEIN

Abseits der breiten medialen Berichterstattung lodert gerade ein Kleinkrieg zwischen der ÖVP und der Wiener Stadtzeitung „Falter“ – namentlich mit Chefredakteur, Mitherausgeber und Miteigentümer Florian Klenk. Der Anlass war eine flapsige Bemerkung der selbst ernannten Moralinstanz Klenk, der die Mitarbeiter des ÖVP-Blogs „Zur Sache“ als „hirnbescheuert“ bezeichnet hatte. So weit, so überschaubar und eigentlich keine große Sache. Konfliktpotenziale der politischen Kommunikation, die in der täglichen Berichterstattung unterschwellig Niederschlag finden, sind durch die Medienzentriertheit auf der Tagesordnung. Hauptakteure sind dabei jedoch in den seltensten Fällen die Politiker in Ausübung ihres Mandates; zu einem großen Teil findet dieser Kontakt bzw. Konflikt zwischen den Kommunikationsschnittstellen, den Generalsekretariaten oder den Pressesprechern mit den jeweiligen Redakteuren statt.

Der Mainstream regiert Andererseits leben Politiker und Journalisten auch in einer Art von Symbiose miteinander. Der Kommuni-

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Foto: imago / photonews.at

POLITIK

Florian Klenk (mit geschlossenem Visier) im „Ibiza“-Ausschuss: Journalist, Überzeugungstäter mit Mission, Vorsitzender der „Falter“-Partei Österreich. Und manchmal doch ein erstaunlicher Wille zur Objektivität.

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POLITIK

kationswissenschaftler Fritz Plasser hat diese Symbiose als „Produktionsgemeinschaft“ beschrieben, denn sowohl der Journalist einerseits als auch der Politiker auf der anderen Seite ist vom jeweiligen Gegenüber abhängig. Die typische „Verhaberung“ ist ein Produkt dieser gegenseitigen Abhängigkeit und findet sich bis zum heutigen Tage immer wieder. Gemeinsame Urlaubsreisen inklusive. Bis vor ein paar Jahren war man dem Mainstream bedingungslos ausgeliefert. Damals gab es nur „die Medien“, es gab in Österreich den ORF, die „Krone“, den „Kurier“, noch ein paar Zeitungen mit überschaubarer Auflage und – je nach regionaler Herkunft – die wichtigen Bezirksmedien. Seit durch die Etablierung sozialer Medien nahezu jeder seine eigene Zeitung erschaffen kann, seit das bewegte Bild nicht mehr im Monopol der staatlichen Verfügbarkeit steht, seit politische Blogs wie die sprichwörtlichen Schwammerl aus dem Boden schießen, hat sich die Medienland-

Der Konflikt zwischen dem Blog der ÖVP und Florian Klenk umreißt die Rollenverteilung am Feld ziemlich genau.

schaft grundlegend verändert. Und genau diese Veränderung ist es, die den „Alphamännchen“ unter den Journalisten graue Haare wachsen lässt. Die Problematik dieser Entwicklung, und wie etablierte Medien damit umzugehen versuchen, habe ich in einem Interview mit dem damaligen Chefredakteur der Monatszeitschrift „Datum“ im Dezember 2018 erörtert.

Der „Falter“ und seine bissigen Flügel Der Hintergrund des aktuellen Konfliktes zwischen ÖVP und dem „Falter“ liegt jedenfalls auch darin begründet, dass die Deutungshoheit mittlerweile eben nicht mehr bei der Vierten Kraft allein liegt. Zumindest nicht mehr ausschließlich. Die angesprochene Deutungshoheit sorgt seit jeher für Konfliktpotenzial, denn nicht selten versuchen Journalisten, selbst als Akteure am politischen Feld zu reüssieren. Der oben angesprochene Florian Klenk gilt als einer der großen selbst ernannten moralischen

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Karlheinz Weißmann zeigt die linken Wurzeln des Antisemitismus Marco Gallina über die heikle Annäherung von Rußland und China Architektur: Mäzen Richard H. Driehaus (†) und die Chicagoer Schule

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Hüter am Feld. Er versucht, zu benennen, was richtig und was falsch ist, und ein Gutteil der Kollegenschaft am Markt beugt sich – zumindest nach außen hin – diesem Meinungsdiktat. Denn er kann zubeißen. Das hat er schon oft bewiesen. Gegen Politiker genauso wie gegen Kollegen. Besonders dann, wenn diese für ein anderes Medium als den „Falter“ arbeiten. An solchen Entwicklungen ist aber nicht nur die Änderung des Marktumfeldes schuld. Die Parteien haben in den vergangenen Jahrzehnten den politischen Raum durch ihren selbst verschuldeten Bedeutungsverlust geöffnet; einen Raum, der etwa von Bürgerinitiativen oder NGOs genutzt wurde.

Alphajournalisten und Welterklärer Aber auch viele der selbst ernannten Alphajournalisten – neudeutsch gerne „Anchors“ genannt – haben die Initiative ergriffen und versucht, die politische Arena weg aus den Parlamenten und hinein in die Fernsehstudios zu verlegen. Längst vorbei sind die Zeiten, als Parlamentsübertragungen Gassenfeger waren. Und die Ursache dafür liegt möglicherweise auch darin, dass die Plenardebatten zwischen Franz Josef Strauss, Herbert Wehner und Helmut Schmidt eben noch ein anderes Niveau repräsentierten als zwischen Annalena Baerbock, Armin Laschet und Olaf Scholz, um ein Beispiel aus dem aktuellen deutschen Bundestagswahlkampf zu nennen. Der Konfl ikt zwischen dem Blog der ÖVP und Florian Klenk ist also – neben dem Eitelkeitsaspekt der Protagonisten – auch ein zutiefst politischer Konfl ikt, der den Umstand der Rollenverteilung am Feld ziemlich genau umreißt: Der Alphajournalist, der sich bei seiner Berichterstattung gleichzeitig in die Rolle von „Staatsanwalt, Zeuge und Richter begibt“, wird quasi als Ko-Politiker selbst Akteur im politischen Prozess, wobei er „auf eine beispiellose Kombination privilegierter Zugänge zurückgreifen kann“. Berufspolitiker sind hingegen auf die Dauerpräsenz im medialen Scheinwerferlicht angewiesen. „Daher unterwerfen sie sich – meist willig, manchmal widerstrebend – den Regeln der Inszenierung“. Dieses Dilemma wird im Buch „Die Unbelangbaren. Wie politische Journalisten mitregieren“ von Thomas Meyer (2015) sehr plastisch beschrieben. Und wir fi nden diese Konfl ikte allabendlich bei den Interviews von Armin Wolf und Martin Thür wieder. Sobald ein Politiker nicht bereit ist, sich diesem Diktat des Interviewverhörs zu unterwerfen, bekommt er die gesamte Breitseite der übrigen Journalistenkollegen ab. Von der Zerstörung der Kommunikation, von der Antwortverweigerung wird da schnell gesprochen. Aber ist jede Unterbrechung im Interview wirklich N ° / 13 / J U L I 2021

auch hinzunehmen? Soll der Politiker wirklich den Rahmen – das „Framing“ – der Vor- und Nachmoderation unbeantwortet lassen? Müssen die Form der Gesprächsführung, der Topos der journalistischen Interpretation wirklich als „gegeben“ hingenommen werden? Diese Fragen mit Ja oder Nein zu beantworten, wäre unseriös.

„Unsympathler vom Dienst“ Wenn etwa eine Hausdurchsuchung beim Finanzminister stattfi ndet und am Tag darauf die ausreitenden Politiker jede Frage im Interview dazu mit Frontalangriffen auf Justiz und Medien beantworten, dann ist die Strategie nicht nur durchschaubar, dann ist natürlich auch klar, dass hier so gut als möglich abgelenkt werden soll. Wenn ein politischer Gartenzwerg wie der aktuelle Fraktionsvorsitzende der ÖVP im Untersuchungsausschuss jede Diskussionssendung dazu missbraucht, um die Debatte zu zerstören, dann ist auch klar, dass er das im Auftrag seiner Fraktion macht, die mit dem Rücken zur Wand steht. Andererseits muss natürlich auch seine Rolle als das gewertet werden, was sie ist. Er, der „Unsympathler vom Dienst“, wird ja genau deswegen in diese Fernsehdiskussion geschickt, um eben nicht seriös über Korruption, über politischen Einfluss auf Institutionen oder die jüngsten Enthüllungen reden zu können. Er sitzt dort, um jede Kritik zu delegitimieren. Nur stellt sich eben dann auch die Frage: Warum wird er überhaupt eingeladen, wenn von Haus aus klar ist, in welche Richtung sich so eine Konfrontation entwickelt?

Hans-Jörg Jenewein war langjähriger Pressesprecher, acht Jahre Landesparteisekretär der FPÖ Wien, neun Jahre Parlamentarier in Nationalrat und Bundesrat mit verschiedenen Sprecherfunktionen (Medien, Inneres, Sicherheit).

Querfinanzierte Berichterstattung Neben dem Objektivitätsgebot wird eben auch vielerorts über die richtige Querfinanzierung die Berichterstattung mitgestaltet. Auch wenn es gebetsmühlenartig bestritten wird: Ein Gutteil der politischen Berichterstattung wird vom entsprechenden Inseratenvolumen jedenfalls mitbestimmt. Ein Gespräch der „Medienimpulse“ am Publizistischen Institut aus dem Jahr 2011 vor dem Hintergrund der vorab geschlagenen Wiener Landtagswahl hat diese Problematik schon vor elf Jahren gut beschrieben. Dass auch der ORF in dieser Frage keine blütenreine Weste hat, zeigt die Übertragung des Jugendtages der JVP vor ein paar Wochen. Hier gab es keinerlei Content, der entsprechend dem ORF-Gesetz zu berichten gewesen wäre; der Jugendtag wurde trotzdem über das Netzwerk des ORF in vollem Umfang gestreamt. Beim ORF geht’s halt nicht um Inserate, da geht es um politische Einflussnahme bei der Bestellung der Direktoren. Und die steht ja unmittelbar bevor.

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KO M M E N TA R

Zurück in die Zukunft Jedes Mal, wenn in letzter Zeit etwas mit den Freiheitlichen passiert ist, wurde eine „freiheitliche Familie“ beschworen. Es ist Zeit, wieder zur Partei zurückzukehren und Politik zu machen. Dazu braucht es Herbert Kickl als Parteiobmann.

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VON HEINRICH SICKL

amilien haben viel Heimeliges, da gehören alle zusammen, mögen sich und sind sich im Idealfall grün. Die Familie ist ein Zuhause, wo man dazugehört. Und wenn man es eskaliert, geht es ja auch noch über die Ein- bis Zweikindfamilie hinaus und wird zur Sippe oder zum Clan. Familie ist, wenn sie funktioniert, etwas wirklich Schönes … Nur: Eine Partei ist keine Familie. Letzten Endes gibt die jetzige Veränderung die Chance, die Freiheitlichen wieder als normale Partei zu begreifen. Statt dem emotionalen Homeland ist die Partei die Heimstatt für politische Ideen und Strömungen. Bei den Freiheitlich hat sich hier allerdings einiges gewandelt, von nationalliberal hin zur sozialen Heimatpartei. Und in dem Bündel sind noch mehr Begriffe drin: In Oberösterreich wirbt man mit liberalkonservativ für sich. Und es gibt vielleicht auch manche, die meinen, die Freiheitlichen seien die echten Türkisen. Ex-Obmann Hofer wurde so ein Zugang nachgesagt.

Bevor Familienstreitigkeiten ausbrechen: Die Freiheitlichen sind eine Partei, die aus Österreichs ältestem politischen Lager entstanden ist, dem Dritten Lager, die sich aber in die Breite entwickelt hat, weil sie nicht nur aus Honoratioren besteht, sondern die Identität des Landes bewahren und den „kleinen Mann“ verteidigen will.

Kickl steht für die FPÖ als politische Kraft Die Entscheidung darüber, wer der neue Obmann der Freiheitlichen werden soll, scheint trotz unterschiedlicher Bausteine im Mosaik klar zu sein: Herbert Kickl hat die besten Karten im Spiel um die Spitze. Er vertritt einen Kurs, der die Breite der Partei inhaltlich fasst, gerade weil er die letzten Jahre so stark mitgeprägt hat. Gleichzeitig hatte er als Innenminister eine zentrale Rolle im Staat, hat Wesentliches für die Sicherheit im Lande geleistet. Man sollte, auch bei einem SpitzenpoliFR E I L I CH


KO M M E N TA R

Vielfalt ist eine Stärke für die Partei, die allemal bei rund 19 % steht. Den Weg zurück ins traditionelle Lager gibt es nicht.

tiker, nicht vergessen, dass derjenige, der eine Funktion übernimmt, auch an ihr wächst. Im Falle Kickls geht es eben nicht nur darum, den besten Spruch zu klopfen und das letzte Wort zu haben. Kickl wäre eine Speerspitze, die auch die anderen Strömungen in einer Partei vereinte. Politik braucht das Zusammenbringen von Menschen, das wird der neue Obmann Kickl ebenso leisten, wie er gemeinsam mit anderen aus dem Familienmodell Freiheitliche wieder eine Partei macht. Die Verunsicherungen, die der undogmatische Abgang Norbert Hofers ausgelöst hat, können nur durch eine Einheit in Vielfalt gelöst werden, die auch wieder mehr Ruhe und Kraft in die Partei bringt. Eben auch, weil sie im Nachgang zur noch nicht überstandenen Corona-Krise eine kritische Kraft ist, die das beste für Land und Bevölkerung will. Niemand braucht Familienstreitigkeiten, aber Österreich braucht eine Freiheitliche Partei, die wieder das tut, was immer ihre Aufgabe war: Macht braucht Kontrolle.

Macht braucht Kontrolle – heute mehr denn je Und dazu braucht es einen starken Obmann, der im Team die Freiheitlichen wieder voranbringt, als Partei und als demokratische Kraft, die sich trotz aller Schläge der letzten Zeit stabil gefangen hat und neu auf baut; der im Team arbeitet, die Tradition der Freiheitlichen verkörpert und die Menschen im Engagement mit Herz und Hirn zusammenbringt: Herbert Kickl ist der richtige Mann für diese Aufgabe. Damit wird auch die Zeit der Doppelführung beendet, und es werden wieder eindeutige Zustände geschaffen, in denen eine klare Linie möglich ist. Im Moment der Krise – die FPÖ hat mit „Ibiza“ ihre Führungsspitze in einem Enthauptungsschlag verloren und wurde aus der Regierung gezwungen – waren es Norbert Hofer, Herbert Kickl, Manfred Haimbuchner und viele andere, die verhindert haben, dass dieser schwerste Anschlag auf die Glaubwürdigkeit freiheitlicher Politik die FPÖ vernichtet hat. N ° / 13 / JULI N° J U L I 2021 2021

Im Moment der Stafettenübergabe steht die Partei laut Meinungsumfragen bei 19 % und hat damit valides Gewicht als Oppositionspartei. Und je stärker sie sein wird, desto eher wird sie in die Verantwortung einer Regierungsbeteiligung zurückfinden. Und auch wenn sie nicht in der Regierung ist, wird sie das Land verändern, eben wegen ihres gewichtigen Erfolges. Die türkise Klonpolitik freiheitlicher Ziele ist in gewissem Sinne auch ein Erfolg der FPÖ, wenn auch einer, der Probleme aufwirft, die mit einer eindeutigen Handschrift beantwortet werden wollen. Gerade die Positionierung der FPÖ durch Kickl gegenüber den „Identitären“ ist ein Befreiungsschlag gegen jene Hetze, die von politisch aktiven Menschen permanente Distanzierung einfordert und eigentlich nur dazu benutzt wird, die Freiheitlichen als Sau durchs Dorf zu treiben. Manche haben sich treiben lassen. Mehr Selbstsicherheit wird dieses Einfallstor für eine permanente, dümmliche Demütigung verschließen. Und öffnet neue politische Perspektiven. Wobei man sagen muss: Die Linken und Türkisen werden das nicht mögen … Wir machen nicht Politik für sie. Mit Herbert Kickl wird die Freiheitliche Partei wieder einen eindeutigen Obmann haben, der die Partei einen und zusammenführen wird und ihr die Chance gibt, mit Glaubwürdigkeit aus dem belastenden Schatten „Ibiza“ zu treten. Die Vielfalt innerhalb der Partei ist eine Stärke, auf die diese Obmannschaft bauen kann. Wir hoffen auch, dass die Phase einer schwachsinnigen Ausrichtung überwunden wird und dass der Wert langfristiger inhaltlicher und intellektueller Arbeit neben einem vitalen Rechtspopulismus ohne jedes Sektierertum erkannt und umgesetzt wird. Heute die Konzepte für morgen schaffen, klar erkenntlich in den politischen Werten sein, stets auf der Seite der Schwachen und für eine lebenswerte Heimat, das ist freiheitlich. Herbert Kickl geht am rechten Weg voran. Gemeinsam mit allen, die freiheitliche Politik wieder erfolgreich machen.

Heinrich Sickl wurde 1973 in Kärnten geboren. Er lebt mit seiner Familie in Graz und leitet als Geschäftsführer die Freilich Medien GmbH. freilich-magazin.at

FREILICH P O L I T I KO N

Wir können die Freiheit nur erhalten, wenn es Grenzen gibt. Heinrich Sickl Das Lob der Grenze FREILICH Medien, Graz 2020, 96 Seiten ISBN 978-3-20007-260-2 A € 9,50 / D € 9,50

Im FREILICH-Buchladen erhältlich. freilich-magazin.at/buchladen

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R E P O R TAG E

World Wide Webzensur VON JULIAN SCHERNTHANER UND STEFAN JURITZ

Unsere Zeit ist digital. Wer keine Präsenz im Netz hat, findet nicht statt. Auf diese Weise können die Mächtigen unliebsame Akteure und Meinungen aus der öffentlichen Wahrnehmung bringen.

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Foto: imago / IPON

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Moderne Mittel im „Infokrieg“: Als „Bot“ wird schnell abgeschafft, wer zu schnell Einfluss erlangt und nicht zum Mainstream gehört.

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R E P O R TAG E

ls das Internetzeitalter anbrach, bot sich ein wahres Eldorado für Freigeister und alternative Meinungen. Erstmals war ein potenzielles Millionenpublikum nur mehr ein paar technische Fertigkeiten und einige Mausklicks weit entfernt. Es wurde dadurch möglich, auch nonkonforme Ansichten an mündige Bürger weiterzugeben, damit die sich ihr eigenes Bild machen könnten. Die Einführung weit verbreiteter sozialer Medien intensivierte dies noch: Plötzlich waren nicht nur Familie und Freunde wenige Mausklicks entfernt, sondern es bot sich die Chance, auch mit den Schönen und Reichen der Welt – und allerhand prominenten Wichtigtuern aller Couleur – in den Austausch zu treten. Man musste nicht mehr bei einer Zeitung arbeiten, um seine Botschaft der Welt mitzuteilen: Gewissermaßen war jeder, der genug Zeit und Verve mitbrachte, sein eigener Redakteur. Seit Jahren gibt es Menschen, die von ihrem Auftreten beispielsweise auf YouTube gut leben können – und Unternehmen setzen offen auf solche „Influencer“. Dass der dabei mitschwingende freie Meinungsmarkt den modernen Gesinnungswächtern missfallen würde, war klar. Und so war es nur eine Frage der Zeit, bis sich diese an legistische und logistische Mechanismen machten, um jene Meinungen, die sie für nicht erwünscht hielten, wieder aus der Geltung zu bringen. Dabei reicht das heutige Spektrum der Meinungsselektion von oben von sanften Mitteln, wie der Einschränkung der Reichweite, über irrwitzige Sperren und immer neue Willkürregeln bis hin zu offener Zensur und Verfolgung mit zivil- und sogar strafrechtlichen Rechtsnormen, die darauf abzielen, das alte Meinungsmonopol wiederherzustellen. Betroffen sind hiervon alle, die vom etablierten Narrativ abweichen. Momentan trifft es somit sowohl Coronamaßnahmen- als auch Migrationsund Islamkritiker. Verstärkt wird dies auch durch Gesetze wie das deutsche „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ (NetzDG) und das österreichische Paket gegen „Hass im Netz“, die Betreiber sozialer Medien mit hohen Geldstrafen bedrohen, wenn diese vermeintlich problematische Beiträge nicht zeitnah löschen. Die staatliche Zensur wird „ausgelagert“; diese Dienstleister neigen dazu, eher zu viel zu löschen als zu wenig.

Zensur als „Gesundheitskur“ Der schlimmste Fall ist die offene Löschung oder – und sei es nur eine temporäre – Sperre von Kanälen und

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Alleine zwischen Mai 2019 und Ende 2020 sperrte YouTube wegen „Hassrede“ mehr als 25.000 Konten.

Konten. Hierbei wird kein Unterschied gemacht, wie meinungsbildend die betroffene Person oder das betroffene Projekt sein mag. Der Infektionsepidemiologe und Bestsellerautor Sucharit Bhakdi war davon wegen seiner abweichenden Fachmeinung betroffen. Aber auch vor Journalisten macht man nicht halt. Eine Bezugnahme auf Bhakdi und dessen Warnung vor den im Eiltempo entwickelten Impfungen reichte im Dezember 2020 aus, um den Kanal des „Deutschland-Kurier“ mit fast 100.000 Abonnenten zeitweise abzudrehen. Mehrfach wurden auch Videos von „Wochenblick“-Chefredakteurin Elsa Mittmannsgruber gelöscht. Möglich macht all dies ein Passus in den Nutzungsbedingungen, wonach Ansichten der WHO und/oder Regierungsmaßnahmen zur Pandemiebekämpfung nicht widersprochen werden darf. Der freie Journalist Boris Reitschuster – immerhin früher jahrelang Russlandkorrespondent für den „Focus“ – machte die gleiche Erfahrung, es verschwanden sogar seine kritischen Vor-Ort-Berichte zu Pressekonferenzen der deutschen Bundesregierung. Zwischenzeitlich folgte auch bei ihm eine temporäre Sperre.

„Hassrede“ im (a-)sozialen Netzwerk Eine Masche, die schon länger zieht, ist der Vorwurf der „Hassrede“. Seit Jahren zurrt der IT-Riese die Bestimmungen, was er unter diesem in keiner westlichen Rechtsordnung definierten Begriff versteht. Allein zwischen Mai 2019 und Ende 2020 sperrte YouTube deshalb mehr als 25.000 Konten. Der Rechtsweg dagegen ist kostspielig und schwierig – und der Erfolg hängt vom Einzelfall ab. Sogar der Vlogger Niklas Lotz („Neverforgetniki“), der ein eher liberalkonservatives Publikum anspricht, musste die Rücknahme seiner Löschung anwaltlich bezwecken. Ein in Bezug auf die direkten Konsequenzen minder schwerer Fall ist die Löschung einzelner Videos, die gleichwohl aber eine Selektion der Inhalte bedeutet. Hier macht die Plattform keinen Unterschied, wer sich äußert. Das Portal löschte im Jänner sogar eine Parlamentsrede des damaligen FPÖ-Klubchefs Herbert Kickl. Auf Facebook wiederum widerfuhr das gleiche Schicksal bereits dem freiheitlichen Generalsekretär Michael Schnedlitz wegen einer asylkritischen Rede. FR E I L I CH


Foto: Grzegorz Brzeczyszczykiewicz / Alamy Stock Foto

R E P O R TAG E

Eine Rede der FPÖ-Abgeordneten Dagmar Belakowitsch zu den Corona-Maßnahmen bekam einen absurden Warnhinweis: Das Video enthalte angeblich „Gewaltdarstellungen“. Im Laufe der Jahre sperrte Facebook auch mehrere Medien – darunter die Magazine „Info-DIREKT“ und „COMPACT“. Die Sperre für „Unzensuriert“ wurde nach drei Tagen wieder zurückgenommen, dennoch wissen die Betreiber seitdem wohl, dass auch sie auf diesem Meinungsmarkt bestenfalls geduldet sind. Der bekannte Islamkritiker Hamed Abdel-Samad wiederum wurde zeitweise auf Facebook gesperrt, weil er die Radikalisierung muslimischer Jugendlicher in der zweiten und dritten Generation kritisiert hatte. Im Sommer 2019 war sein YouTube-Kanal nach der Nachschärfung der „Hassrede“-Richtlinien einer jener, die dem Rotstift zum Opfer fielen – ohne Vorwarnung oder vorherige Verwarnung. Erst nach der Androhung rechtlicher Schritte schaltete die Plattform das Konto wieder frei.

Kein Amt schützt vor Zensur Die Zensoren sind keine neutralen Akteure. Die Amadeu-Antonio-Stiftung der ehemaligen Stasi-Mitarbeiterin Anetta Kahane gehörte einst einer Taskforce mit Facebook und der deutschen Regierung zur N° / 13 / JULI 2021

Bekämpfung von „Hassbotschaften im Netz“ an. Die Leiterin der nahe am linken Rand operierenden Stiftung dementiert jede Einflussnahme, Kritiker kaufen ihr die Beteuerung angesichts der einseitigen Löschpraxis aber nicht ab. Der wohl bekannteste Fall einer Totalsperre in sozialen Medien ist Ex-US-Präsident Donald Trump. Nach den in herkömmlichen Medien zum „Sturm auf das Kapitol“ aufgebauschten Tumulten einiger Tausend aufgebrachter Pro-Trump-Demonstranten wurde das zu diesem Zeitpunkt noch amtierende Staatsoberhaupt unter beträchtlicher Elastizität der Fakteninterpretation wegen eines vermeintlichen Aufrufes zu Gewalt von Facebook und Twitter verbannt. Dabei hatte er eigentlich das Gegenteil getan, die Protestierenden zum friedlichen Heimweg animiert. Nur weil auch diese Videobotschaft ein Raub der Zensur wurde, konnte der Mainstream dann ungehindert das Bild des Umstürzlers zeichnen. Schon zuvor waren seine Hinweise auf mögliche Manipulationen bei der verlorenen Präsidentschaftswahl im November 2020 zensiert oder mit Warnhinweisen versehen worden. Zum Vergleich: Als seine politischen Gegner einst die falsche Unterstellung lancierten, Russland habe vier Jahre zuvor zugunsten seiner Wahl interveniert, gab es keine solchen Eingrif-

Freie Rede auf den Plattformen von Unternehmen ist keine Selbstverständlichkeit: Kritische Meinungen sind schnell raus, weil sie den Konsens und das Geschäft stören.

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R E P O R TAG E

TELEGRAM

PA R L E R

BITCHUTE

GAB

web.telegram.org

parler.com

bitchute.com

gab.com

Alternative Nr. 1: im Moment noch die App der freien Rede und mit wenig Zensur.

fe. Die Verschwörungstheorie wurde sogar zur Basis für ein letztlich gescheitertes Amtsenthebungsverfahren.

Crux der alternativen Fakten Mit Warnhinweisen operieren auch sogenannte Faktenchecker, die sich bevorzugt an freien und alternativen Medien abarbeiten. Wenn die Checks der dpa oder von „Correctiv“ auch nur kleine Recherchefehler orten, versehen sie entsprechende Facebookbeiträge mit einem Pop-up, das darauf hinweist. Der eigentliche Schaden ist aber, dass die Beiträge einer betroffenen Seite danach weniger Nutzer erreichen – eine Maßnahme im Kampf gegen angebliche „Fake News“. Im Zweifelsfall kann auch schon einmal ein „fehlender Kontext“ behauptet werden. Besonders perfide ist es, wenn „Correctiv“ Exklusivrecherchen als „unbelegt“ brandmarkt. In einem Fall hatte der „Wochenblick“ einen solchen „Faktencheck“ über eine regionale Exklusivstory erhalten, die über angedrohte Führerscheinentzüge für Inhaber von Maskenbefreiungsattesten berichtete. Ein im CoronaWiderstand bekannter heimischer Anwalt hatte belegbar mehrere Klienten deshalb vertreten, der Hinweis kam von einem internen Tippgeber. Weil ein Polizeisprecher aber dementierte, behauptet „Correctiv“ infolge seiner eigenen verkürzten Recherche bis heute, dass die Darstellung „unbelegt“ sei. Das Magazin „Tichys Einblick“ musste sogar (erfolgreich) Klage einlegen, weil „Correctiv“ einen Meinungsbeitrag gebrandmarkt hatte – und dabei nicht einmal den eigentlichen Artikel bewertete, sondern dessen Quelle. Es ging um einen Beitrag über „500 Wissenschaft ler“, die einen „Klimanotfall“ für irrig hielten. Während man hier kleinlich ist, hat der Mainstream einen Freibrief – oder zumindest Vertrauensvorschuss. Denn die etablierten Medien sind nicht im Visier, gab „Correctiv“-Chef David Schraven bereits 2017 zu. Folgerichtig wundert es nicht, dass keine einzige der leicht als Fälschungen entlarvbaren Relotius-Geschichten beim „Spiegel“ jemals einen „Faktencheck“ erhielt. Wenn etablierte Medien eine noch so abstruse Behauptung aufstellen, pfuscht ihnen niemand in die Reichweite.

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Alternative Nr. 2: a o , e nach dem Sturm aufs Kapitol fast weg war.

Alternative Nr. 3: Man muss schon ziemlich jung sein, um das zu kennen.

Alternative Nr. 4: Man kann nie genug Alternativen haben, wenn man rechts ist.

„Tichys Einblick“ Einfach digital „leiser“ gedreht Die Beschneidung von Reichweiten kann auch vermusste sogar steckt geschehen – durch „Shadowbans“. Hierbei (erfolgreich) blenden soziale Netzwerke die Beiträge respektive Klage einlegen, Seiten unliebsamer Akteure für andere Nutzer aus. Kommentare werden versteckt, die Seite in der Suchweil „Correcfunktion nicht vorgeschlagen, die Algorithmen spülen tiv“ einen Meidie Beiträge selten in die Timeline der Nutzer. Auf den nungsbeitrag ersten Blick sieht das Konto aber unbehelligt aus – und als „unbelegt“ es kann dauern, bis es dem Betroffenen selbst auff ällt. Das Phänomen wurde zuerst auf Twitter bekannt, gebrandmarkt wird aber mittlerweile ebenfalls auf Facebook und hatte. Instagram angewandt. Auch auf YouTube bemerken Nutzer Indizien dafür; die Firma dementiert den Einsatz dieser Methode vehement. Besonders effektiv wird eine solche Methode aber mit dem „Strike“-Modell von Facebook und YouTube: Seiten mit Verstößen gegen angebliche „Fake-News“-Richtlinien oder „Hassrede“ werden weniger stark ausgeliefert. Solche Verstöße können schon einmal monatelang einschränken. Eine problematische Abart des „Shadowban“ fi ndet sich in der Suchmaschine des Quasimonopolisten Google. Vor drei Jahren gerieten interne Dokumente an die Öffentlichkeit, in denen offen über die gezielte Schlechterreihung kritischer Inhalte kommuniziert wird. Der Onlineriese räumt im Briefi ng mit dem Titel „The Good Censor“ ein, dass der Konzern – so wie andere Big-Tech-Konzerne – den Löwenanteil der Unterhaltungen im Netz überwacht. Die freie Rede im Netz wird im Papier als „überholt“ bezeichnet.

Ausreden als Löschungsgründe Wie sehr die öffentliche Meinungsbildung verzerrt wird, zeigte sich im Fall der Investigativplattform „Project Veritas“. Das Medium des Journalismus-Urgesteins James O’Keefe rührte mehrfach mit brisanten Undercoverrecherchen um. Von Belegen über AntifaKampftrainings bis zu Fantasien des Medienanwaltes eines öffentlich-rechtlichen TV-Senders, Kinder von Trump-Wählern in Umerziehungslager zu stecken – immer enthüllte sein Projekt Unfassbarkeiten. Der jüngste Coup gelang, als eine Journalistin des „Project Veritas“ einen hochrangigen CNN-Mitarbeiter bei vermeintlichen Tinder-Dates dazu brachte, aus dem Nähkästchen über gezielte Meinungsmache zum ILI


R E P O R TAG E

Meme sind die Karikaturen unserer Zeit. Kein Wunder, dass gute Menschen etwas gegen bösen Humor haben. Ebenfalls gekündigt: Donald Trump muss auf sein Leibmedium Twitter verzichten. Auch andere Meinungen finden nur wenige Plattformen, die sie mögen.

A LT E R N AT I V E P L AT T F O R M E N

N° / 13 / JULI 2021

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„Identitären“-Chef Martin Sellner, der auch unzählige Bankkonten verlor, ist von den Entwicklungen nicht überrascht. „Seit einigen Jahren zeigt sich, dass die globalen Eliten das Internet nicht mehr als ‚Chance‘, sondern als ‚Gefahr‘ betrachten. Begriffe wie ‚Fake News‘ und Delikte wie ‚Hatespeech‘ wurden bewusst kreiert, um die Freiheit, die neue Medien ermöglichen, rückgängig zu machen“, zeigt er sich im Gespräch überzeugt. Alternativen zu den großen Social-MediaPlattformen gibt es natürlich. In den letzten Monaten hat sich vor allem Telegram zur wichtigsten Alternativplattform entwickelt. Der Messenger-Dienst wurde von seinen Nutzern zu einem sozialen Medium umfunktioniert. Man findet dort unzählige Kanäle von politischen Organisationen, Medien und Bloggern, die ihre Botschaften, Nachrichten und Videos veröffentlichen. Im Januar 2021 erreichte Telegram die Marke von 500 Millionen aktiven Nutzern und etablierte sich endgültig als ernsthafte Konkurrenz für WhatsApp.

In den letzten Jahren entwickelten sich darüber hinaus noch einige andere Alternativplattformen, die sich ihrem Selbstverständnis nach als Orte der freien Rede sehen und deshalb auf Zensur weitgehend verzichten. Als Ersatz für YouTube gibt es etwa die Videoplattform Bitchute, als potenzielle Alternativen zu Facebook und Twitter entstanden Gab, Parler und das russische Netzwerk vk. Den von Zensur Betroffenen bleiben nur noch die „Katakomben der Informationsgesellschaft“, wie Sellner betont. Die Not macht eben erfinderisch, und so gründen sich stetig neue Plattformen. Doch sie sind kein gleichwertiger Ersatz. „Ihnen fehlt der ‚Netzwerkeffekt‘, den die großen digitalen Monopole aufweisen. Diese kann man mit einer großen, gut besuchten Einkaufsstraße vergleichen: Wer von dort verbannt wird und sich im Industriegebiet am Stadtrand ansiedeln muss, erreicht notwendig weniger Leute“, erklärt der identitäre Aktivist. Auf YouTube hatte er über 100.000 Abonnenten, auf Bitchute sind es nur noch knapp 18.000. Sellners Hauptmedium wurde Telegram, wo er bisher immerhin mehr als 57.000 Abonnenten sammeln konnte.

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R E P O R TAG E

Zurück zur Basis: klassischer Aufkleber, klassisches Plakat. Analoger Widerstand erreicht ebenso die Menschen, auch wenn er mühsamer ist.

Thema „Corona“ und gegen Donald Trump und seine Republikaner zu plaudern. Diese Anordnungen seien jeweils von der Senderleitung gekommen. Nur Stunden nach der Enthüllung sperrte Twitter das Konto von O’Keefe mit mehr als einer Million Abonnenten. Der angebliche Grund: Er habe mehrere Accounts betrieben. Seine Anwälte stellten klar, dass dies nicht der Wahrheit entspreche, und klagten die Plattform. Es wäre nicht der erste Rechtsstreit nach einer Löschung seiner Portale – bislang rettete stets der Rechtsstaat im Nachhinein seine Reichweite. Auch zahlreiche US-Konservative sahen einen Zusammenhang zwischen der Undercoverrecherche und der Sperre durch den Big-Tech-Konzern. Ihr Argument: Beide stünden den linksliberalen US-Demokraten nahe, hätten somit ähnliche Interessen.

Auf zur „Damnatio memoriae“ Der äußerste Fall digitaler Zensur ist der völlige Kahlschlag. Dieser traf bereits mehrere Akteure aus dem rechten bzw. migrationskritischen Lager. Der erste prominente Fall war der Engländer Tommy Robinson, der sich als scharfer Islamkritiker einen Namen machte und einst für einen Livestream vor dem Gerichtsgebäude eines Prozesses gegen einen Kinderschänderring im Migrantenmilieu mehrere Wochen in Haft verbrachte. Er verlor sukzessive sämtliche Onlinepräsenzen. Ein ähnliches Schicksal widerfuhr den „Identitären“ und deren langjährigem Österreich-Leiter Martin Sellner. Facebook, Twitter und YouTube verbannten den weiterhin rechtlich unbescholtenen Wiener und seine programmatisch gewaltfreie Gruppe. Sellner versuchte im Fall von YouTube zu klagen, ein Wiener Gericht urteilte im Vorjahr aber letztendlich, dass die Löschung von Migrationskritik prinzipiell rechtmäßig sei, da Migration gemeinhin als „Bereicherung“ gelte. Zuvor hatten Rechtsexperten wegen der Monopolstellung der Plattform dem Rechtsweg noch gute Erfolgsaussichten eingeräumt. Auf Facebook geht der Bann so weit, dass Nutzern eine Sperre droht, wenn sie Sellners Namen auch nur erwähnen oder ein Bild teilen, welches das LambdaEmblem der „Identitären“ zeigt – egal ob diese Bezugnahme kritisch oder wohlwollend ist. Der Grund dafür ist, dass Facebook die Gruppe für eine „gefährliche

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Auf Facebook geht der Bann so weit, dass Nutzern eine Sperre droht, wenn sie Sellners Namen auch nur erwähnen.

Organisation“ hält und damit auf eine Stufe mit dem „Islamischen Staat“ stellt. Eine ordentliche Beweisführung muss der Monopolist dafür nicht abliefern: Es gilt das digitale Hausrecht. Jegliche Form der positiven oder neutralen Berichterstattung ist für alternative Medien tabu, sonst müssen sie mit Sperren oder „Shadowbans“ rechnen. Einzig verifizierte Mainstreammedien sind hiervon ausgenommen – allerdings nicht zwingend Nutzer, welche deren Inhalte etwa in Facebookgruppen teilen. Dadurch ist eine echte Debatte über die im eigenen Lager und darüber hinaus polarisierende Aktivistengruppe vorab gänzlich unmöglich – und der Nutzer beginnt irgendwann mit der „Zensur im Kopf “. Die Konten des radikalen Islamistenpredigers Pierre Vogel sind hingegen weiterhin unbehelligt auf Facebook und YouTube zu finden.

Kontaktschuld als Zensurhebel Bei den „Identitären“ reicht hingegen eine konstruierte Kontaktschuld für eine Sperre aus. Diese war der Hebel, mit dem Facebook im Vorjahr das Bürgernetzwerk „Ein Prozent“ inmitten von dessen Kampagne zur Wahlbeobachtung löschte. Der offizielle Grund war, dass es zur patriotischen Solidarität mit den – wie sich herausstellte, zu Unrecht – in einem Rechtsstreit angeklagten „Identitären“ aufgerufen hatte. Die Gruppe gilt auf Facebook ohne die Notwendigkeit einer Beweisführung als „gefährliche Organisation“. Zwei gerichtliche Instanzen erklärten diese Sperre für rechtmäßig, der Rechtsweg dauert an. Keinen Spaß verstanden die Zensoren in der Folge auch bei allen möglichen Projekten rechter Gegenkultur, die von „Ein Prozent“ unterstützt wurden. Die Satiresendung „Laut Gedacht“ mit und von Alex Malenki und Philip Thaler verschwand nach fast 200 Folgen von YouTube. Wenige Tage zuvor hatte es bereits das Format „Wir klären das“ mit der AfD-Jungpolitikerin Marie-Thérèse Kaiser getroffen. Auch jede Werbung für das Retro-Spiel „Heimat Defender: Rebellion“, vom Linzer Roland Moritz mithilfe von „Ein Prozent“ entwickelt, wurde zum Opfer digitalen Kahlschlages. Nach der Spieleplattform „Steam“ löschte auch YouTube alle Videos – von Werbefilmen bis zum Soundtrack. Dass die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) den Erfolgstitel FR E I L I CH


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Foto: Patrioten in Bewegung

Stefan Juritz

später sogar auf den Index setzte, setzte dem Ganzen die Krone auf. All diese betroffenen Akteure werden früher oder später dazu genötigt, sich Alternativen zu suchen oder aufzubauen. Das ist ein schwieriger Prozess – aber am Ende die einzige Möglichkeit, irgendwie gegen das Mundtotmachen im Netz ankämpfen zu können. Betroffen sind eben nicht bloß irgendwelche Randgestalten oder Spinner, sondern auch alle, die in wesentlichen Fragen der linksliberalen Hegemonie entgegenstehen. Der Kampf um digitale Meinungsfreiheit und -hoheit wird von den Mächtigen mit harten Bandagen ausgefochten – und wer dagegen bestehen will, braucht sattelfestes Rüstzeug.

Vom Digitalen zurück ins Analoge? Fortschreitende Zensur und „Deplatforming“ zerstören die Hoff nung vieler Menschen auf eine offene und freie Debatte in den sozialen Medien. Der „freie Markt der Ideen“ entpuppt sich immer mehr als Wunschtraum. Durch die Digitalisierung ist man auch der digitalen Macht der „woken“ – das heißt heute: linksliberalen – monopolartigen Großkonzerne N° / 13 / JULI 2021

praktisch ausgeliefert. Denn ob nun Aktivistengruppe, Zeitschrift oder Partei: Wer im digitalen Medienzeitalter auf den großen Social-Media-Plattformen nicht vorhanden ist, der existiert nur noch unter der Wahrnehmungsgrenze der meisten Bürger. Der komplette Rückzug von der digitalen in die analoge Welt ist deshalb keine Alternative. „Ist Reisen heute ohne Internet denkbar? Kann ein Unternehmen auf eine Homepage und Präsenz auf großen Plattformen verzichten? Nein, der digitale Raum ist längst ein effektiver Bestandteil des analogen Raums geworden. Wer aus ihm verbannt wird, hat einen uneinholbaren Nachteil gegenüber Konkurrenten“, erklärt Martin Sellner. Weder „Black Lives Matter“ noch „Fridays for Future“ seien als Massenphänomene denkbar, wenn sie nicht auf soziale Medien zurückgreifen könnten. „Durch die einseitige Zensur gegen rechts entsteht de facto ein totalitärer Zustand.“ Das Dilemma bleibt bestehen, und man muss sich offenbar mit der Erkenntnis anfreunden, dass man auch in der digitalen Welt nur ein Geduldeter ist. Der eigene Kanal, die eigene Seite, die eigenen Videos können jederzeit verschwinden – und es kann auch jeden treffen.

Jahrgang 1988. Der gebürtige Kärntner lebt in der Steiermark und ist seit 2018 Chefredakteur der Nachrichtenseite „Die Tagesstimme“. Neben der journalistischen Arbeit gilt sein besonderes Interesse der konservativen Ideengeschichte, Literatur und Popkultur.

Julian Schernthaner Der 1988 in Innsbruck geborene studierte Sprachwissenschaftler lebt mittlerweile im Innviertel und ist Redakteur der Online-Zeitung „Die Tagesstimme“. Als Kenner alter Schriften und Kulturen schmökert er gern zu harten Klängen in seiner ausgiebigen Bibliothek und erkundet mit Leidenschaft jeden versteckten Winkel der österreichischen Heimat.

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WIRTSCHAFT

Mach mich grün Gutes Gewissen regiert auch die Welt der Wirtschaft. Mit „Greenwashing“ gibt es das sogar als grüne Konsumlüge.

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„Was wir nun brauchen, ist eine neue Form des ökonomischen Wachstums – kraftvolles Wachstum, das zur selben Zeit sozial und ökologisch nachhaltig ist.“ Dieser Satz findet sich im berühmten Brundtland-Bericht der Vereinten Nationen, der 1987 unter der Leitung der ehemaligen norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland von einer Expertenkommission erarbeitet wurde. Das Papier mit dem Titel „Our Common Future“ („Unsere gemeinsame Zukunft“) suchte über die Etablierung eines modernen Nachhaltigkeitsbegriffes die Gegenläufigkeit kapitalistischer Ökonomie und Ökologie aufzuheben und damit eine Antwort auf die immer drängenderen Umweltprobleme des ausgehenden 20. Jahrhunderts zu finden. Dabei wurde im Bericht der Grundstein dafür gelegt, was heute unter der Bezeichnung „Grünes Wachstum“ firmiert: „Das Konzept der nachhaltigen Entwicklung im-

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pliziert Grenzen – jedoch keine absoluten Grenzen, sondern nur Einschränkungen, die vom aktuellen Entwicklungsstand der Technologie, der sozialen Organisation sowie der Absorptionsfähigkeit der Biosphäre gegenüber menschlichen Aktivitäten bestimmt werden. Aber sowohl die Technologie als auch die soziale Organisation können so beeinflusst werden, dass eine neue Ära ökonomischen Wachstums anbricht“, heißt es auf Seite 24 der Ausarbeitung. Damit wird die Ökologie wachstumsorientiert aufgeladen und ökonomisiert – nicht die Konsumfixierung des liberalen und global gewordenen Wirtschaftssystems ist der entscheidende Faktor, der die Umweltkrise unserer Zeit hervorruft, sondern deren vermeintlich dysfunktionale Organisation, die sich bisher nicht an ökologischen Kriterien orientiert hätte. Aus diesem Ökologieverständnis heraus ist es grundsätzlich möglich, umweltverantwortlich zu konsumieren, es müssen eben nur die „richtigen“ Waren sein. Mittlerweile existiert ein riesiger Markt für „grüne“ Produkte, der vom „Ökostrom“ bis zum „A+-PKW“ reicht. Im Konsum-

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VON JONAS SCHICK

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indikator der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie des Umweltbundesamtes erfreuten sich „umweltfreundliche“ Produkte im Jahr 2017 eines Marktanteils von 8,3 % in den erfassten Produktgruppen Pkw, Haushaltsgroßgeräte, Leuchtmittel und Fernseher (Energieverbrauchskennzeichnung), Lebensmittel (Biosiegel) sowie Hygienepapiere, Wasch- und Reinigungsmittel („Blauer Engel“), was einem Ausgabenvolumen von rund 47 Mrd. Euro gleichkommt. Das gibt Unternehmen wiederum den Anreiz, neue Produkte entlang „nachhaltiger“ Kriterien zu konzipieren, um diese als ökologische Wohltat zu vermarkten bzw. alte Produkte nachträglich zur „Nachhaltigkeit“ mit eigens dafür geschaffenen Zertifikaten aufzuetikettieren. Ferner wird diese Dynamik dadurch verstärkt, dass man den Konsumenten einmal den Eindruck vermittelt, sie könnten per „nachhaltigen“ Konsum die Umweltkrise beseitigen, und zum anderen die Suggestion aufrechterhält, ihr Kaufverhalten sei der maßgebliche Auslöser für Artenschwund und Naturzerstörung. Anders ausgedrückt: N ° / 13 / J U L I 2021

Kaufe das richtige Produkt, und du rettest die Welt! So wird die ökologische Verantwortung von den Produzenten auf die Konsumenten abgewälzt. Zwar trifft es durchaus zu, dass ein verändertes Konsumverhalten positive ökologische Auswirkungen zur Folge hat. Diese sind jedoch nur dann von substanzieller Bedeutung, wenn es um ein grundsätzliches Weniger an Konsum geht. Eine „grüne“ Substitution oder gar Steigerung des derzeitigen Verbrauchsniveaus ist reine Selbsttäuschung, die die schwerwiegenden Umweltprobleme – wenn überhaupt – abmildert und den Ablauf der ökologischen Krise allerhöchstens verlangsamt. Vielmehr gründet das Umweltproblem in der kapitalistischen Produktionsweise, die ohne Wachstumsstreben nicht auskommt. Daher wird der Konsument das ökologische Problem nie aufheben können, denn bereits am Anfang der Kette liegt der Krisen induzierende Faktor. Die Unternehmen verstehen sich derweil überaus gut darauf, neue „Bedürfnisse“ zu wecken und die Intervalle für deren Befriedigung erheblich

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Die Wirtschaft ist ein Chamäleon. Geht es um den schnellen Dollar, sind auch ganz normale Produkte ganz schnell „grün“ umgefärbt und besonders wertvoll.

DIE GRÜNE LÜGE

Greenwashing, also das Bemühen der Konzerne, ihr schmutziges Kerngeschäft hinter schönen Öko- und Sozialversprechen zu verstecken, ist erfolgreicher denn je. Kathrin Hartmann: Die grüne Lüge Blessing Verlag, München 2018. ISBN 978-3-89667-609-2 A € 15,90 / D € 15,00

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WIRTSCHAFT FA S T FA S H I O N

Vom Laufsteg in die Filialen der großen Modehändler, in wenigen Wochen. Kaum präsentieren Modeschöpfer neue Kollektionen, arbeiten die Designer der Discountketten eifrig daran, diese weitestgehend zu imitieren und so schnell wie möglich der breiten Masse verfügbar zu machen. Und das im Wochentakt. So erscheinen nicht mehr wenige, sondern unzählige Kollektionen jährlich. Kleidung wird von den Herstellern so gefertigt, dass sie nur wenige Monate übersteht, echte Wegwerfkleidung. Fast Fashion ist ein Trend zulasten der Umwelt.

zu verkürzen. Ein paradigmatisches Beispiel für diese Konsumdynamik ist das Prinzip der „Fast Fashion“, welches beispielsweise das schwedische Textilunternehmen Hennes & Mauritz (H&M) perfektioniert hat: Anstatt der üblichen Kollektionsabfolge der Modebranche von zwei Zyklen – Frühjahrs-/Sommer- und Herbst-/Winterkollektion – erscheinen bei H&M bis zu 24 Kollektionen im Jahr. Diese müssen natürlich auch gekauft werden, will das Unternehmen nicht an seiner Überproduktion pleitegehen. Und so ist es essenziell, dass die Kleidung nicht als dauerhafte Investition, sondern als klassisches Wegwerfprodukt wahrgenommen wird – ein paar Mal tragen und danach ab in den Mülleimer. Laut einer Studie des Unternehmensberaters McKinsey hat sich die jährliche globale Kleidungsproduktion seit dem Jahr 2000 fast verdoppelt und überstieg 2014 das erste Mal die „100-Milliarden-Stück“-Marke. Diese Entwicklung ist maßgeblich auf das Phänomen der „Fast Fashion“ zurückzuführen. Derweil wirbt H&M auf seiner deutschen Netzpräsenz mit „Seltener waschen, mehr reparieren, re-

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cyceln und weiter tragen“ – in Anbetracht des eigenen Geschäftsmodells der Inbegriff schamloser Heuchelei. Erst kurbelt man die Produktion und den Verbrauch in ungeahnte Höhen, um danach einen minimalen Prozentsatz dieser Stoffberge „nachhaltig“ zu produzieren. Besonders zynisch wird es an der Stelle, wo man sich an die Spitze der Plastikrecycler aufschwingt und damit die eigene Polyesterspur verwischt. Ohne die synthetische Plastikfaser Polyester sind die schnell wechselnden Kollektionen nämlich nicht zu realisieren. Das Fatale: Bei jedem Waschgang löst sich eine gewisse Menge dieser Fasern aus der Kleidung und gelangt ins Abwasser. So trägt jeder Haushalt, ohne es zu wissen, zur Anreicherung von Mikroplastik in unseren Gewässern bei. Bildlich gesprochen kippen die Produzenten von „Fast Fashion“ am oberen Ende des Flusses lasterweise Plastik ins Wasser, während sie in Form ihrer Plastikrecyclinginitiativen an seiner Mündung lediglich eine Mülleimermenge wieder herausfischen. Im Grunde funktioniert ein Großteil der grünen Konsumlügen nach diesem

Prinzip der massiven Mehrproduktion, mit der man jeglichen Hauch von „Nachhaltigkeit“ hinter sich lässt, der dann jedoch nachträglich per wohldosierter Marketingkosmetik den eigenen Produkten wieder aufgetragen werden soll. Ungeachtet dessen liegen auch die klassischen zwei Zyklen der Modeindustrie nicht im Rahmen einer konsequent ökologischen Kleidungsproduktion. Ein stringent konservativer Ansatz hat darüber hinauszugehen und auf eine signifi kante Langlebigkeit der Kleidung von mindestens mehreren Jahren abzuzielen – „Moden“ als kurzfristige Äußerungen des Zeitgeistes stehen diesem Anspruch diametral entgegen. Nichtsdestoweniger endet das Phänomen der grünen Konsumlügen nicht bei der Kleidung, sondern zieht sich durch sämtliche Produktsektoren. Zwei weitere „nachhaltige“ Augenwischereien, die das Problem veranschaulichen, seien hier exemplarisch dargelegt:

Nachhaltiges Palmöl 66 Millionen Tonnen Palmöl werden pro Jahr produziert. Damit gehört es zum meistproduzierten Pflanzenöl auf der Welt. Eine derart große Produktion benötigt jedoch Fläche – 2014 belief sich diese laut EurObserv’ER auf 18,7 Millionen Hektar. Insbesondere in Indonesien und Malaysia werden Ölpalmen angebaut, und dafür muss(te) zwangsläufig Regenwald weichen. Die einst zu 95 % mit Regenwald bedeckte indonesisch-malaysische Insel Borneo hat die Hälfte ihres Waldbestandes verloren. Für sich genommen ist die Palme hinsichtlich der Ölproduktion eine der ergiebigsten Pflanzen und übertrifft vergleichbare Öllieferanten wie Raps oder Sonnenblumen bei Weitem. Daher benötigt man pro Liter Öl im Vergleich zu anderen Öl produzierenden Pflanzen auch am wenigsten Fläche, doch ist die Nachfrage nach Palmöl in den letzten Jahrzehnten explodiert. Das führt selbst bei einer der produktivsten Ölpflanzen pro Hektar zu einem exorbitanten Flächenfraß. Der wesentliche Antreiber für diese Entwicklung ist weniger die Lebensmittelindustrie, die man allgemein mit Palmöl in Verbindung bringt (Nutella, Fertigpizzen, Margarine etc.), als vielmehr die gestiegene Verwendung von Biokraftstoffen. 2018 wanderten 65 % des in die EU importierten Palmöls in die Energieerzeugung: 53 % landeten in der Produktion von Biodiesel und ILI


GRÜNE VERSPRECHEN – W I E V E R B R AU C H E R G E TÄU S C H T W E R D E N Das Ziel: mit dem Umweltbewusstsein der Verbraucher den Umsatz steigern. Die Marketingstrategie dahinter heißt Greenwashing, und sie geht auf. Aber was steckt hinter dem grünen Versprechen? Ein echter Bewusstseinswandel hin zur Nachhaltigkeit – oder Täuschung? Eine Doku klärt auf.

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Hier online anzuschauen: bit.ly/3pAE4Nw

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WIRTSCHAFT

Ein Großteil der grünen Konsumlügen funktioniert nach dem Prinzip der massiven Mehrproduktion, mit der man jeglichen Hauch von „Nachhaltigkeit“ hinter sich lässt.

12 % in Kraft werken zur Strom- und Wärmeerzeugung. Auf diese Weise sorgt der Sprit, der angeblich umweltverträglicher (im modernen Umweltschutz also klimaverträglicher) als Kraftstoffe aus Erdöl sein soll, für die Zerstörung von Urwäldern – „grün“ und ökologisch sieht anders aus. Dieses Problem soll nun über die nachträgliche Überführung der Palmölproduktion in nachhaltige Maßstäbe erreicht werden. Dazu hat man Zertifizierungen für „nachhaltiges“ Palmöl ins Leben gerufen. Das zentrale Gremium für dieses Vorhaben ist der Runde Tisch für nachhaltiges Palmöl (RSPO). Gegründet wurde er im Jahr 2004 vom World Wide Fund For Nature (WWF), der Palmöl verarbeitenden Industrie in Gestalt der Firma Unilever (mit einem Verbrauch von 1,5 Millionen Tonnen Palmöl größter Einzelverbraucher) und den Palmölproduzenten selbst. Entsprechend lasch sehen die Standards des RSPO aus: — keine Rodung von besonders schützenswerten Wäldern für neue Plantagen, — Schutz gefährdeter Tier- und Pflanzenarten auf der Plantage, — Schutz von Wasser, Boden und Luft (das bedeutet unter anderem: kein Abbrennen von Wald), — Einhaltung gesetzlicher Regelungen, darunter Landnutzungs- und Eigentumsrechte. Schon im ersten Punkt zeigen sich die völlig unzureichenden Standards des RSPO, da nur „besonders schützenswerte“ Wälder nicht gerodet werden sollen. Ein genereller Stopp der Regenwaldabholzung wird durch das vom RSPO als „nachhaltig“ zertifizierte Palmöl nicht gewährleistet. Der zweite Punkt, „Schutz gefährdeter Tier- und Pflanzenarten auf der Plantage“, kommt angesichts der für den Anbau der Ölpalme notwendigen Zerstörung artenreichen Lebensraumes einer Beleidigung menschlicher Intelligenz gleich. Mit der Schaff ung monokultureller Plantagen hat man diesen Aspekt bereits tiefgreifend verletzt. Ferner verbietet der RSPO nicht den Einsatz hochgiftiger Chemikalien und Pestizide auf den Plantagen, was dem angestrebten Schutz von Tier- und Pflanzenarten zusätzlich diametral entgegensteht. Kurzum, es ist ein Siegel von der Industrie für die Industrie, ganz abgesehen davon, dass Naturschützer stichhaltige Indizien dafür haben, dass sich mit

dem Siegel zertifizierte Firmen nicht einmal an diese minimalen Vorgaben halten. Das elementare Problem, das keines der existierenden Siegel – ob nun Bio- oder Nachhaltigkeitszertifi kat – beseitigen kann und dessen Wurzel diese auch nicht berühren, ist der exorbitante weltweite Verbrauch von pflanzlichen Ölen (Chinas geweckter Energie- und Konsumhunger verschärft die Lage obendrein). Speziell der Komplex „Biokraftstoff “ führt die Unvereinbarkeit industrieller Gesellschaften mit einer ökologischen Stabilität ausdrücklich vor Augen, denn die vergleichsweise geringe Beimischung von Biodiesel und -benzin zu den klassischen, erdölbasierten Treibstoffen führt schon beim europäischen Energieverbrauchsniveau zu extremen Umweltproblemen. Das Versiegen der Quellen fossiler Energieressourcen macht den Rückgriff auf die Fläche als Energieproduzent wieder notwendig und veranschaulicht, dass unser Energiehunger der letzten Jahrhunderte zu keinem Zeitpunkt nachhaltig, dauerhaft oder stabil war. Zurück in die Fläche gelegt konkurriert er außerdem mit unserer Lebensmittelproduktion – wir bräuchten mehrere Erden, um beide Bedürfnisse (Energiebereitstellung und Lebensmittelkonsum) auf dem aktuellen Verbrauchsniveau über eine agrikulturelle Produktion zu stillen. Der Wechsel auf andere pflanzliche Öle ist dabei keine Lösung, da er den Flächenfraß infolge des geringeren Ertrages pro Hektar bei anderen Ölpflanzen nur steigern würde. In diesem Zusammenhang ist die Nutzung fossiler Ressourcen sogar umweltfreundlicher als die biologische Alternative: Eine im Auftrag der Europäischen Union durchgeführte Studie, die die antizipierten Auswirkungen einer vermehrten Nutzung von Biokraftstoffen auf der Basis der Nationalen Aktionspläne (NAP) für Erneuerbare Energien von 23 EU-Mitgliedsstaaten analysierte, kam zu dem Ergebnis, dass die in den NAP angestrebte Steigerung der Biokraftstoffnutzung zu 80,7 bis 166,6 % mehr Emissionen als bei einer gleichbleibenden Verwendung fossiler Rohstoffe führen würde. Wer das ganze ökologische Dilemma moderner Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften durchdringen möchte, dem reicht schon ein eingehender Blick auf die Causa „Palmöl“. „Nachhaltigkeit“ wird man hier nicht finden.

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WIRTSCHAFT Foto: EyeEm / Alamy Stock Foto

Jeglicher Lösungsansatz der Umweltkrise, der Wachstumsgewinne im Einklang mit ökologischen Parametern verspricht, mündet zwangsläufig in Betrug.

Strom kommt aus einer einzigen Leitung, dennoch kann man „grünen Strom“ kaufen. Auch solchen aus Atomkraftwerken. Der Mix mit „Natur“ ist natürlich teurer.

Schwefelhexafluorid und Stickstofftrifluorid Die beiden chemischen Verbindungen Schwefelhexafluorid (SF6) und Stickstofftrifluorid (NF3) sind keine reinen grünen Konsumlügen wie „nachhaltiges“ Palmöl oder recycelte „Fast Fashion“, es gibt kein als „nachhaltig“ vermarktetes SF6 oder NF3. Die wenigsten Personen werden diese Gase überhaupt kennen. Beide sind eher mit dem Biodiesel als vermeintlichem ökologischem Heilsbringer vergleichbar und dadurch besser als grüne Unfälle zu kategorisieren. Sie finden hier Erwähnung, weil sie die mit dem Prinzip „Lösung der Umweltkrise über Technik“ verbundenen Unzulänglichkeiten mustergültig exemplifizieren und damit eine grüne Lüge des eingangs erwähnten Brundtland-Berichtes – die der (technischen) Machbarkeit aller Dinge – dekuvrieren. SF6 und NF3 sind Treibhausgase mit einem gewaltig hohen Treibhausgaspotenzial. SF6 stellt sogar das stärkste bekannte Treibhausgas dar. Während NF3 nur auf ein Potential von 19.700 kommt – ein Kilogramm NF3 wirkt demzufolge 19.700-mal so stark wie ein Kilogramm CO2 auf das Klima ein –, ist die Treibhauswirkung von SF6 22.800-

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mal so groß wie die von CO2 . Ihre atmosphärische Lebensdauer ist dabei sehr lang: Einmal freigesetzt, verbleibt NF3 für 550 bis 740 Jahre und SF6 für rund 3200 Jahre in der Atmosphäre. Zwar kommen die beiden Gase in der Atmosphäre aktuell lediglich in sehr geringen Konzentrationen vor, weswegen ihr Einfluss auf die globale Erderwärmung als moderat eingestuft wird, jedoch steigen diese bei SF6 seit den 1970ern und bei NF3 seit den 1990ern unentwegt an. Die Anwendungsbereiche sind vielfältig: SF6 wird insbesondere als Isolationsgas in der Mittel- und Hochspannungstechnik verwendet. Es unterbindet durch seine chemischen Eigenschaften Lichtbögen sowie Kurzschlüsse. Umspannwerke und kleine Schaltanlage auf engstem Raum – wie in Windgeneratoren – kommen ohne SF6 nicht aus. Daraus resultiert wiederum das entscheidende, SF6 betreffende Paradoxon: Es derzeit für die Energiewende noch unerlässlich. Aufgrund der dezentralen Erzeugung schießen allerorts kleine Umspannwerke aus dem Boden, und die Schaltanlagen in den Windrädern arbeiten mit SF6. Zwar wird SF6 in geschlossenen Systemen verwendet, jedoch kommt es dabei trotz aller Vorsicht zu Leckagen. Die Europäische Umweltamt beziffert die EU-weiten FR E I L I CH


Foto: Zoonar GmbH / Alamy Stock Foto

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Auf der Suche nach Energiealternativen bereichern auch Windräder die Landschaft. Effizient arbeiten sie aber nur mit Förderungen.

SF6-Emissionen für das Jahr 2017 auf 6725 (Mt.) CO2-Äquivalent, was dem CO2-Ausstoß von 1,3 Millionen zusätzlichen Autos auf europäischen Straßen gleichkommt. Derweil hat eine Studie der amerikanischen Forscher Ray F. Weiss und Ronald G. Prinn ergeben, dass zwischen den offiziell ausgegebenen Emissionszahlen und den tatsächlich in die Atmosphäre abgegeben Emissionen signifi kante Diskrepanzen zu verzeichnen sind. Demzufolge gelangen weit mehr SF6 und NF3 in die Umwelt, als die Zahlen der Behörden indizieren. Simultan geht man davon aus, dass die global verwendete Menge von SF6 bis zum Jahr 2030 um 75 % steigen wird. In diesem Kontext sollte nicht verschwiegen werden, dass man bei der Eindämmung der SF6-Emissionen in den 1990ern bereits achtungsvolle Erfolge erzielen und mit konsequenten Verboten des Gases in Autoreifen, Glasscheiben und Tennisbällen die ausgestoßene Menge erheblich verringern konnte: 1995 lagen die EU-weiten SF6-Emissionen noch bei 15.227 (Mt.) CO2-Äquivalent. Diese positive Entwicklung droht nun durch die vermehrte SF6Verwendung nicht zuletzt aufgrund des Ausbaus erneuerbarer Energien konterkariert zu werden. N ° / 13 / J U L I 2021

Für NF3 sieht die Lage ähnlich aus. Es wird bei der Produktion von Flachbildschirmen und Solarpanels verwendet und ersetzte in dieser Funktion die Perfluorcarbone, die man wegen ihrer Klimawirksamkeit ausgetauscht sehen wollte – welche Ironie. Gleichwohl wird mit Nachdruck an Ersatz für SF6 und NF3 gearbeitet. NF3 wurde in der EU dahingehend schon reglementiert, und die EU-weiten NF3-Emissionen waren zwischen 2011 und 2017 substanziell rückläufig. Global betrachtet divergieren die Einsparungsbemühungen indes erheblich. Der ostasiatische Raum wird aller Voraussicht nach weiter unbeirrt auf die beiden chemischen Verbindungen setzen, was in Anbetracht eines wachsenden ostasiatischen Marktes auch im Sektor der Erneuerbaren die europäischen Selbstrestriktionen konsequent torpediert. Insgesamt zeigt die SF6 - und NF3 -Problematik, dass neue Techniken mit äußerster Vorsicht zu behandeln sind, denn was im ersten Moment als ökologische Lösung erscheint, kann sich in der Langzeitperspektive zum tückischen Bumerang entwickeln, der mehr Schaden anrichtet, als er vermeidet. Anhand der hier entlang einzelner Konsumgüter dargelegten Mechanismen „grüner“ Ökonomie bleibt zu konstatieren, dass jeglicher Lösungsansatz der Umweltkrise, der Wachstumsgewinne im Einklang mit ökologischen Parametern verspricht, zwangsläufig in Betrug mündet. Der entscheidende Faktor, der in unseren kapitalistischen Ökonomien einer genuin nachhaltigen Wirtschaftsweise entgegensteht, ist die grundsätzliche Abhängigkeit von einem stetig anwachsenden Verbrauch. In dem Moment, wo diese Dynamik unterbrochen wird, fällt die kapitalistische Ökonomie wie ein Kartenhaus in sich zusammen – sie ist zum dauerhaften Wachstum verdammt. Die letzte Gesellschaftsform, die noch in einer genuinen Nachhaltigkeit gründete, war die bis ins 18. Jahrhundert weltweit dominante Agrargesellschaft . Die auf sie folgende „Moderne“ defi nierte sich gerade über die Verletzung der agrikulturellen Nachhaltigkeit. Und so ist jedes nachträglich aufgetragene grüne Versprechen der Wohlstands- und Konsumgesellschaften ein den Konsumenten betörender Selbstbetrug, der sich von Anfang an nahtlos in das vernutzende System einfügt, das ihn geboren hat.

DER BRUNDTLANDBERICHT

Die Brundtland-Kommission, auch Weltkommission für Umwelt und Entwicklung genannt, veröffentlichte 1987 den Bericht „Unsere gemeinsame Zukunft“, in dem erstmals das Konzept der nachhaltigen Entwicklung formuliert und definiert wurde. Der Bericht wurde damit der Anstoß für einen weltweiten Diskurs und öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema Nachhaltigkeit. Online gratis: en.wikisource.org/wiki/Brundtland_Report

Jonas Schick Geboren 1989 in Berlin, aufgewachsen bei Mannheim, arbeitet als freier Publizist und Lektor. Er studierte Politikwissenschaft an der Universität Mannheim sowie Soziologie und Sozialforschung an der Universität Bremen (M.A.). Schick gibt die konservative Umweltzeitschrift „Die Kehre“ heraus. die-kehre.de

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Politische Ruinenästhetik glaubt an den Nutzen der Zerstörung und, dass das Neue nur durch den Untergang des Alten entstehen kann. Man hat schon kreativere Vorschläge vernommen.

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Alles muss in Flammen stehen? Wo immer es knallt, Klatschaffen sind nicht weit: Krisen sollen Chancen sein, je ärger, desto besser. Gern wird das mit dem sperrigen Wort „Akzelerationismus“ belegt. Was ist und was soll das? VON NILS WEGNER

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m freiheitlichen Milieu mag man da derzeit als Erstes an den Weltwirtschaftsforum-Vorsitzenden Klaus Schwab mit seinen Vorstellungen von einem durch die CoronavirusPandemie ermöglichten „Great Reset“ der internationalen Wirtschaftspolitik denken. In gleicher Weise ließe sich die Antiterrorgesetzgebung in der gesamten westlichen Welt nach dem 11. September 2001 interpretieren, in deren Rahmen die Regierungen das allgemeine Entsetzen und die Empörung als Vehikel benutzten, um sich umfangreiche Überwachungs- und Durchgriffsrechte nicht nur gegen islamistische Gefährder, sondern potenziell gegen alle unliebsamen Bürger zu verschaffen (tatsächlich werden die damals neu geschaffenen Gesetze heutzutage meist gegen „Rechtsextremisten“ in Stellung gebracht). Gleichwohl geht es in solcherlei Fällen aber eher darum, eine fatale Lage zur Umsetzung oder Verschärfung bereits laufender Pläne zu

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instrumentalisieren – es wäre sinnvoller, hier etwa von „okkasioneller Erpressung“ zu sprechen. Ein anderes Kaliber sind da schon die globale Ausbreitung von SARS-CoV-2 sowie, im kleineren Maßstab, etwa die Havarie des Containerschiffes „Ever Given“ im Sueskanal am 23. März mit ihren internationalen Auswirkungen. Der bis zum bitteren Ende optimierte Globalkapitalismus erweist sich als fatal störungsanfällig, und schon die kleinsten Arrhythmien sorgen für schwere Erschütterungen. Noch härter treffen nur noch blutige Anschläge. Und siehe da: Mit dem Christchurch-Attentäter Brenton Tarrant hat der aufsehenerregendste politische Attentäter der letzten Jahre in seinem Manifest „Destabilisierung und Akzelerationismus“ als „Taktiken für den Sieg“ genannt. Was er dazu allerdings weiter ausführt, hat in Wahrheit rein gar nichts mit tatsächlichem Akzelerationismus

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zu tun, auch wenn das gleiche Wort gebraucht wird. Es würde schließlich auch niemand dem Schriftsteller Douglas Coupland unterstellen, dem Terrorismus Vorschub zu leisten, indem er 1991 seinen Debütroman „Generation X“ mit „Tales for an Accelerated Culture“ (dt. Ausgabe: „Geschichten für eine immer schneller werdende Kultur“) untertitelte. Solche Taten bedienen vielmehr die exakt gleiche „Strategie der Spannung“, die von NATO und CIA finanzierte europäische Terrorzellen sich in den 1970ern auf die Fahne geschrieben hatten – und die schon damals nicht funktioniert hat, weil man die Masse schlicht nicht zur Revolution hochreißen kann, fertig. Wer sich heute einem derartigen „Eskalationismus“ hingibt und den übermächtigen

Staat zum noch härteren Dreinschlagen reizen will, der macht sich höchst verdächtig und besorgt sehenden Auges die Arbeit des Feindes. Wenig hilfreich ist da, dass nach solchen Vorkommnissen auf der Rechten oft reflexartig in das liberale Geheul über die „obskure Idee, die rassistische weiße Mörder auf der ganzen Welt inspiriert“ (so das linksliberale US-Nachrichtenportal „VOX“), eingestimmt wird, um sich dann davon distanzieren zu können. Schnellschusspostulate wie „Die Kernideologie hinter den Aktionen dieser Leute ist Akzelerationismus“ (M. Sellner) oder „Akzelerationismus pur. Das Böse pur.“ (C. Sommerfeld-Lethen) sollen einen Zusammenhang zur anarchistischterroristischen „Propaganda der Tat“ ziehen.

Zur Klarstellung

„Die Ausgleichung des europäischen Menschen ist der große Proceß, der nicht zu hemmen ist: man sollte ihn noch beschleunigen. Die Notwendigkeit für eine Kluftaufreißung, Distanz, Rangordnung ist damit gegeben: nicht die Notwendigkeit, jenen Proceß zu verlangsamen.“ — Fr iedr ich Niet z sche

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So werden einmal mehr die Denkmuster des Gegners übernommen, und so bilden von Zeit zu Zeit alternative „Vordenker“ ein seltsames Gespann mit dem polit-medialen Mainstream, der z. B. im November 2019 „den Akzelerationismus“ als Agenda der nach wie vor vorrangig in Medienberichten existierenden Terrororganisation „Atomwaffen Division“ zu „enthüllen“ versuchte. Hohe Zeit also, dem Geschwafel ein Ende zu bereiten und klarzustellen, was diese seltsame politisch-philosophische Melange für unaufgeregte Leser unserer Feldpostnummer an Denkanstößen bereithalten mag. Nicht umsonst vom lateinischen acceleratio für „Beschleunigung“ abgeleitet, spielt das mit dem Aufkommen der internationalen zivilen Nutzung des Internets in den frühen 1990er-Jahren entstandene Ideologem auch auf die wahrnehmbare Verzerrung des Verhältnisses von Raum und Zeit durch die ständigen Entwicklungen der Hochtechnologie in den Bereichen Kommunikation und (Waren-)Verkehr an. Ganz ähnlich sieht das die aus Frankreich stammende „Dromologie“, die „Lehre vom Rennen“, die bei gleicher Zeitdiagnose – Gegenwart eines scheinbar erstarrten krisenhaften Stadiums vor dem Eintreten eines so oder so gearteten Endes – jedoch zu einer ganz anderen Folgerung ge-

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Der heutige Globalkapitalismus ist eine Funktion von Finanz- und Technologiesektor. Wohin geht die Reise? Wo liegen die Grenzen? Ist eine Alternative denkbar? Gesucht: neue Wege aus der Trance. Armen Avenassian (Hg.) #Akzeleration Merve Verlag, Berlin 2013, 95 Seiten. ISBN 978-3-88396-350-1 A € 10,90 / D € 10,00

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Bereits im Spätsommer 2018 und dann nochmals Ende 2019 wies der „Spiegel“ auf die in den USA entstandene „Atomwaffen Division“ hin. Von dieser vorgeblichen rechtsextremen Untergrundgruppe gehe unmittelbare Terrorgefahr auch in Deutschland aus. U. a. diese Berichterstattung prägte das Konzept des Akzelerationismus zu einem scheinbaren terroristischen Ideologiefragment um, was in der Folge auch rechte Multiplikatoren verfälschend verbreiteten. Die derzeit wichtigsten angeblichen Rechtsterroristen im Zeichen des „#Acc“:

Katz-und-Maus mit dem Staat ist ein beliebtes Spiel in Deutschland. Am 6. Juli 2017 stürmt die Polizei in die „Welcome-to-Hell“-Demo vor dem G-20-Gipfel in Hamburg.

langt: Sie identifi ziert ausgehend von der marxschen Analyse in den „Grundrissen der Kritik der politischen Ökonomie“ die Geschwindigkeit als bestimmenden Faktor einer dem hochmobilen Kapital entspringenden „Vernichtung des Raums durch die Zeit“, welche die Distanz, also den Raum, eliminiere und die Zeit immer weiter verdichte. Diesem angesichts von Globalisierung und weltweiter Echtzeitkommunikation längst gegenwärtigen Zustand gegenüber nimmt sie eine kritisch-analytische Position ein und möchte den Sinn des Einzelnen für die Folgen, insbesondere im medialen Bereich, schärfen. Für den postmarxistischer und poststrukturalistischer Denktradition entstammenden Akzelerationismus hingegen stehen alle Zeichen auf Sturm. Er will den von Werner Sombart sogenannten Spätkapitalismus nicht einhegen oder zurückdrängen, sondern vielmehr möglichst rasch und radikal dem zwangsläufigen, ihm immanenten Ende zutreiben. Grundlagen dieser Erwägung fi nden sich nicht nur in Marx’ „Rede über die Frage des Freihandels“ („Aber im Allgemeinen ist heutzutage das Schutzzollsystem konservativ, während das Freihandelssystem zerstörend wirkt. […] Mit einem Wort, das System der Handelsfreiheit beschleunigt die soziale Revolution.“), sondern – der Rechte atmet auf – ebenso auch in der Krisendiagnose Nietzsches im „Willen zur Macht“ (§ 898): „Die Ausgleichung [gemeint ist: Gleichmacherei] des europäischen Menschen ist der große Proceß, der nicht zu hemmen ist: man sollte ihn noch beschleunigen. Die Notwendigkeit für eine Kluft aufreißung, Distanz, Rangordnung ist damit gegeben: nicht die Notwendigkeit, jenen Proceß zu verlangsamen.“ N ° / 13 / J U L I 2021

Ihren „postmodernen“ Einfluss empfängt diese abstrakte Wiederbelebung des Grundsatzes „Was fällt, das soll man auch noch stoßen“ aus der eigenwilligen Nietzscherezeption des Philosophen Gilles Deleuze. Dieser forderte zusammen mit dem Psychiater Félix Guattari im ersten Teil ihres berühmt-berüchtigten gemeinsamen Hauptwerkes „Kapitalismus und Schizophrenie“, dem „AntiÖdipus“ (1972), einen völligen Bruch mit den überkommenen Denkschablonen nicht nur in der Philosophie, die „Deterritorialisierung“: Selbst das revolutionärste Denken bleibe andernfalls weiter in formalen Strukturen und Codes seines konkreten Raumes – kultureller und sonstiger Art – befangen und könne deshalb wenig mehr leisten, als Neuauflagen längst bekannter und überholter Thesen vorzubringen. Dieser geistigen Erstarrung stehe eine zunehmend entgrenzte reale Welt entgegen, deren Ent-Territorialisierung der Menschen (besonders infolge der Unterschichtenmigration) eine parallele Deterritorialisierung und Flexibilisierung des Denkens erzwinge, um eine neue Zukunft splanung überhaupt erst zu ermöglichen. Diese Ent-Bindung der akzelerationistischen Theorie, deren Vertreter alle „zurückgebliebenen“ Anhänger der ideologischen und konzeptionellen Fliegenfänger des 19. Jahrhunderts als selbstgefällige Langweiler verhöhnen, schlägt sich u. a. in einer selbstbewusst-provokanten Breite des eigenen Horizontes nieder. So enthält der umfangreiche Reader „#ACCELERATE#“, den der britische Szene-Hausverlag Urbanomic 2014 gemeinsam mit dem deutschen Merve-Verlag herausgegeben hat, neben Einlassungen aller oben Genannten und weiterer üblicher Ver-

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Der echte Rand

Atomwaffen Division (USA, angeblich international) Teils mit dem „Aufwind“ rechter Gruppen unter Donald Trump assoziiert, wurde die AWD tatsächlich bereits 2015 von jugendlichen Nutzern rechter Internetforen gegründet. Fest steht ein wesentlicher Einfluss der satanistischen Sekte „Order of Nine Angles“. Die AWDMitgliedern zur Last gelegten acht Todesopfer seit 2017 waren teils selbst Angehörige der Gruppe. The Base (USA) Das selbst ernannte Netzwerk für „Überlebens- und Selbstverteidigungsenthusiasten“ zur „Vorbereitung auf Krisensituationen“ wurde im Juni 2018 von einem Dienstleister für FBI und Pentagon (!) gegründet; der Name ist möglicherweise an al-Qaida („die Basis [des Dschihad]“) angelehnt. Bemühungen um intensive Kontakte zu diversen anderen radikalen politischen Gruppen sowie eine ungewöhnlich intensive Beobachtung durch das FBI samt zahlreicher Verhaftungen nähren Vorwürfe, es handele sich bei der Gruppe insgesamt um einen „Honeypot“ der Behörden.

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dächtiger auch unerwartete Stimmen, etwa jene des dystopischen Schriftstellers J. G. Ballard oder des eigenwilligen Gesellschaftstheoretikers Thorstein Veblen.

Wider die Verzweiflung Am Beginn dieses Denkungetüms stand „ein junges Genie“, „ein Mann mit sanfter Stimme und stählernen Ansichten“ (so ausgerechnet der stramme Neokonservative Hannes Stein 2017 in der „Welt“): der britische Philosophiedozent Nicholas „Nick“ Land, der bereits mit 25 Jahren über Martin Heideggers „Die Sprache im Gedicht“ promoviert worden war. 1995 gründete er, damals Anfang dreißig, zusammen mit der Kulturwissenschaftlerin Sadie Plant und einigen – heute teils prominenten – Studenten an der Universität Warwick in Coventry unter dem Eindruck der hereinbrechenden digitalen Revolution die „Cybernetic Culture Research Unit“ (Ccru), die zwei Jahre lang mit ihren futuristisch-provokanten Happenings und Publikationen für Furore sorgte, ehe alle wesentlichen Mitglieder die Universität (teils unter Druck) verlassen hatten und die private, informelle „Forschungsstelle“ ihre Campus-Zulassung verlor. Land behandelte in seinen damaligen weit verstreuten und bemerkenswert scharfsichtigen Schriften – von Zeitgenossen wahlweise als „tollwütiger Nihilismus“ oder „CyberSchauerliteratur“ bezeichnet – heute allgegenwärtige Themen wie Biotechnologie, das Internet als Suchtmittel oder den wirtschaftlichen Aufstieg Chinas zur Großmacht. Sie lassen sich in der von zwei alten Weggefährten zusammengestellten Sammlung „Fanged Noumena“ (in etwa „abstrakte Gedanken mit scharfen Zähnen“) nachlesen; Nick Land selbst hat sich längst vom universitären Apparat verabschiedet und lebt mittlerweile als Publizist in Schanghai, von wo aus er das Weltgeschehen bei Twitter als @Outsideness unnachahmlich surreal-kühl kommentiert und nach eigenem Bekunden überhaupt nicht versteht, weshalb sich gerade junge Menschen verstärkt für seine Bonmots interessieren.

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Tatsächlich stellt sich die Frage: Woher die Aufmerksamkeit, und wohin soll das alles führen? Von der marxistischen Basis-Überbau-Dialektik haben die philosophischen Akzelerationisten gelernt, vom realpolitischen Anspruch Abstand zu nehmen. Vielmehr wird die Entkoppelung von Politik und Verantwortung, die aus der Verwertungslogik – aus dem Gegebenen den höchsten persönlichen Nutzen zu ziehen – entspringt, in ihrem Modell bis zur Implosion auf die Spitze getrieben. Wozu auch gekünstelt taktieren, statt gleich zum Blattschuss anzusetzen? Tatsächlich existierten die rein (medien-)philosophischen Visionen Lands und der Ccru bereits rund 15 Jahre lang gänzlich außerhalb der politischen Sphäre, ehe 2010 der Anglist Benjamin Noys den Begriff „Akzelerationismus“ erstmals ins Politische einbrachte. Dort ist er – erwartbarerweise – bis heute wenig thematisiert und noch weniger verstanden worden. Kein Wunder, wo doch dort ernst zu nehmende Denker reichlich rar gesät sind, von wirklich radikalen ganz zu schweigen. Als Paukenschlag gedacht war zuletzt die Publikation des „Manifestes für eine akzelerationistische Politik“ 2013: Die Autoren reklamierten den Technopositivismus der Ccru für eine noch zu schaffende, undeutliche „neue globale linke Hegemonie“ im Angesicht von Klimawandel, Ressourcenverknappung und zyklischen Weltfinanzkrisen. Von (unterschiedlich getönten) internationalen Prominenten der marxistischen Seite gab es dafür teils Tadel, weil vom ruhigen akademischen Standort aus lediglich der alte, langweilig gewordene Gramscismus akzelerationistisch umlackiert worden sei, teils auch Lob für die Unterstreichung einer unversöhnlichen Haltung gegenüber den Futtertrögen des Kompromisssystems.

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Elastizität statt Gegenschlag Weiter auf eine Selbstzerstörung des heutigen Kapitalismus zu spekulieren, liegt nicht erst seit COVID-19 nahe: Längst treten in Gestalt von „abtrünnigen“ WirtschaftswissenschaftFR E I L I CH


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Der echte Rand

Die derzeit wichtigsten angeblichen Rechtsterroristen im Zeichen des „#Acc“:

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Boogaloo Bois (USA)

„Boogaloo“ steht für die Fortsetzung des Amerikanischen Bürgerkrieges. Libertäre US-Milizen zeigen gern Hawaiihemden und Waffen und sind gegen den Zentralstaat.

lern wie Niko Paech mit seiner „Befreiung vom Überfluss“ Propheten einer Postwachstumsökonomie auf den Plan, die ebenjene Sprengkraft abfedern soll, mit der sich die Akzelerationisten Richtung Zukunft schießen wollen. Zumindest in den allmählich wankenden Hochburgen des Spätkapitalismus steht die Politik der Theorie nicht mehr nach: An die Macht strebende Klassenkämpfer wie Jeremy Corbyn in Großbritannien oder Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez in den USA fordern unter Wortgeklingel wie „Green New Deal“ eine Umverteilung von oben nach unten, die strenge Besteuerung großer Vermögen und eine Beschneidung der faktischen Oligarchie von Parteispendern und -förderern – allerdings mit dem Endziel, durch titanische Investitionsprogramme eben doch nur wieder den gewohnten Kapitalismus aus seiner jeweils aktuellen Krise zu führen. Diese unflexible Betrachtungsweise entlang der wirtschaftspolitischen Deutungsmuster des frühen 20. Jahrhunderts ist jedoch weder in der Lage, den hybriden Charakter der postindustriellen Krisenentfaltung zu erfassen, noch radikal genug, um statt bloßer Vermittlung bis hin zu staatlichen Eingriffen echte Lösungen anbieten zu können. Bleibt nur noch ein quasi einer „nihilistischen“ Logik folgender dritter Anlauf zur Erstürmung der Festung des Kapitals: Die Erwartung eines proletarischen Aufstandes ist im industriellen Zeitalter enttäuscht worden, und auch Gramscis Hegemonialtheorie hat sich totgelaufen an der Elastizität einer globalen Wirtschaft , die jeden Gegendruck und alle Symptome der Entfremdung wiederum in kommerzielle Produkte umzuwandeln vermag – von Ramschklamotten mit „Smash-Capitalism“-AufN ° / 13 / J U L I 2021

druck über Fast Food speziell für Depressive bis hin zur florierenden Gegen-rechts-Industrie für all die ganzen ach so „Alternativen“. Auf Kritik an der Verfemung zeitgenössischer Dissidenz gerade durch die Medien folgt als höhnische Antwort oft: „Freiheit der Meinung bedeutet nicht Freiheit von Konsequenzen!“ Die Damen und Herren von der (be-) schreibenden Zunft daran zu erinnern, dass das natürlich mindestens genauso sehr auch für die Freiheit der Presse gilt, könnte ein erster Ansatzpunkt für ergebnisorientierten rechten Akzelerationismus sein: Die gewohnheitsmäßigen Entstellungen und Kunstfehler etablierter Pressbengel weitläufig bekannt zu machen wäre eine der wenigen sinnvollen Nutzungsmöglichkeiten sozialer Netzwerke, denn auch der klassische Journalismus ist als nutzenorientierter Wirtschaftszweig nicht vor Selbstdemontage und Implosion gefeit. Nur gilt es eben, dabei nicht in das übliche Gejammer à la „Seht nur, wie sie uns diskriminieren!“ zu verfallen, sondern die Defensive zu verlassen und – zu beschleunigen.

Die konservative Sackgasse Der Vorkämpfer einer Selbstverharmlosung der amerikanischen Rechten hin zum biederen „Conservative Movement“, William F. Buckley jr., prägte 1955 für die Funktion seines Zeitschriftenprojektes „National Review“ das vielsagende Gleichnis: „sich der Geschichte in den Weg stellen und ‚Halt!‘ schreien“. Das mag dem einen als Beharrlichkeit imponieren, doch ebenso dem anderen als stumpfsinniges Verbeißen in längst Überlebtes erscheinen. In jedem Fall steht ein derart

Oft als rechtsextreme Provokateure dargestellt, handelt es sich bei diesen milizähnlichen Kleingruppen in Wahrheit um antirassistische Anarcholibertäre, die das administrative System der USA insgesamt ablehnen. Sie nennen sich in Anlehnung an die islamischen Gotteskrieger teils selbst „Boogahedin“, halten das Aufflammen eines neuen Bürgerkrieges („Boogaloo“ steht – von einem Filmtitel abgeleitet – für „Fortsetzung“) für unvermeidlich und suchen die Nähe anderer systemfeindlicher Gruppen, etwa „Black Lives Matter“, deren Ausschreitungen ihnen als Deckung für Feuerüberfälle auf Polizeigebäude dienten. Ende Mai und Anfang Juni 2020 wurden dabei mindestens zwei Beamte getötet; beim mutmaßlichen Schützen handelt es sich um einen Feldwebel der US-Luftwaffe. Komplex „Franco A.“ (Deutschland) Seit dem 20. Mai 2021 steht der ehemalige Bundeswehr-Oberleutnant Franco Albrecht wegen „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ vor Gericht – auf Anordnung des Bundesgerichtshofes, nachdem das OLG Frankfurt die Anklage zuerst nicht annehmen wollte. Der Anfang 2017 Festgenommene soll Anschläge auf linke Politiker und Aktivisten geplant und sich dafür eine falsche Identität als syrischer Flüchtling verschaff t haben, um die Bevölkerung gegen Ausländer aufzuwiegeln. Sein Fall diente als Anlass zu umfangreichem exekutiven Vorgehen gegen die bundesdeutsche „Prepper“-Szene sowie „Rechtsextremisten“ innerhalb der Bundeswehr. Albrecht beteuert seine Unschuld; er sei Opfer politisierter Justiz. Für den Prozess waren anfangs zwölf Verhandlungstage angesetzt; mit Stand von Ende Juni wird er sich jedoch noch mindestens bis in den Oktober hinziehen.

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Anders als konservative oder militante Träumer zielt der Akzelerationismus nicht auf den krisenbedingten Rückschritt hin zu irgendeiner „guten alten Zeit“.

verstandener Konservatismus rechter- wie linkerseits auf dem Weg zu einem akzelerationistischen Standpunkt als gewichtiges Hindernis quer. Ob eine dermaßen zum Politikum erhobene geistige Unbeweglichkeit angesichts der heutigen Lage noch vertretbar ist? Nicht ohne Grund kursieren besonders in der amerikanischen parteifreien rechten Dissidenz (ehedem „Alt-Right“) böse Bonmots wie „Konservative wollen Bewahrer sein, aber konnten noch nicht einmal nach Geschlechtern getrennte Toiletten bewahren“, oder, zum Gnadenstoß zugespitzt: „Konservativ sein, das heißt, ängstlich am Spielfeldrand der Geschichte zu stehen und die Spieler zu bitten, etwas langsamer zu machen.“ Ganz anders – regelrecht radikal – nimmt sich da doch eine Bejahung der Beschleunigung, der Zentrifugalkräfte und der freigesetzten Selbstverzehrung der Systeme aus! Nichtsdestoweniger: Neben all seinen utopisch-technosophischen Aspekten, die ihn teils als politphilosophischen Abklatsch von Frank Herberts „Wüstenplanet“-Epos oder William Gibsons wegweisender „Neuromancer“-Trilogie erscheinen lassen, mag der für den Durchschnittsrechten befremdlichste Aspekt am klassischen Akzelerationismus dessen Absage an die heroische Untergangspose, den Opferstolz des ewig Untergebutterten sein. Doch alle Theorie sollte von Ergebnis und Effi zienz her gedacht werden. Das heißt eben oft , sich nicht wie ein bockiges Kind über mangelnde Fairness und Aufrichtigkeit

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des politischen Gegners zu beklagen oder gar einen hochnäsigen Kulturpessimismus zu pflegen, der in aller Regel nur die eigene Untätigkeit bemänteln soll. Stattdessen gilt es, die im Informationszeitalter extrem instabilen Entscheidungsund Machtprozesse zu durchschauen und ihre inneren Widersprüche zu verschärfen. Ein ansehnliches Beispiel „akzelerationistischer“ Parteipolitik stellte aus dieser Perspektive, wenn man so will, die taktische Stimmabgabe der thüringischen AfD-Landtagsfraktion bei der Wahl des Ministerpräsidenten am 5. Februar 2020 dar: Die unverhoffte Wahl des FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten „von Höckes Gnaden“ versetzte das gesamte bundesrepublikanische Parteiensystem in gewaltige Torsionsschwingungen, mit (vorübergehend) katastrophalen Folgen für FDP und CDU. Das morsche System begräbt die eigenen Sprechpuppen unter seinem betroffenheitsschweren Gewicht.

Durchbruch ins Freie Anders als konservative oder militante Träumer zielt der Akzelerationismus nicht auf den krisenbedingten Rückschritt hin zu irgendeiner „guten alten Zeit“. Es geht darum, einen als unabwendbar betrachteten Zusammenbruch zu akzeptieren und darauf zu schauen, was danach Neues aufzubauen sein wird. Eine lohnende Perspektive, zeichnet sich unsere Gegenwart doch besonders im politischen Bereich durch eine quälende Gleichförmigkeit und Bewegungslosigkeit aus. Gerade vor dem Hintergrund der fortwährenden Ummünzung auch politischer Dissidenz in Konsumgüter – der viel gerühmte „Widerstand“ erschöpft sich oft schon in einem „mutigen“ Anstecker oder Jutebeutel – liegt eine Beschäftigung mit dem so ganz anderen Blickwinkel des Akzelerationismus nahe, mit dem lachenden Umrennen dessen, das bereits schleichend fällt. Neue Blickwinkel eröff net ein solcher geistiger Ausflug allemal, besonders auf das eigene Verhältnis zu potenziellen echten Umwälzungen.

Nils Wegner wurde 1987 in Niedersachsen geboren und studierte Geschichts- sowie Kulturwissenschaften in Gießen und Hamburg. Ab 2008 als freiberuflicher Journalist und Autor tätig; nach Tätigkeit als Lektor für den Verlag Antaios 2015–2018 heute Schwerpunktarbeit als Übersetzer. Interessengebiet ist die dissidente Politiklandschaft in den USA. Persönliche Website: altwritewegner.com

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Die Metapolitik der Muslimbrüder Ein Netzwerk von Männern, die sich geschworen haben, der Sache des Islams zu dienen, ohne in der Öffentlichkeit zu stehen.

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VON IRFAN PECI

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R E P O R TAG E

Westliche Demokratien stehen vor der Herausforderung eines neuen Mitspielers, des politischen Islam.

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pricht man von der zunehmenden Macht der Muslimbruderschaft in Europa, stößt man bei vielen Menschen selbst im Wissenschaftsbereich auf Skepsis. Wer oder was soll die Muslimbruderschaft sein, und wie zeigt sich deren Einfluss und Macht? Schließlich gibt es keinen offiziell eingetragenen Verein, Institut, Partei, Stiftung oder ähnliche Organisationsform in Europa, die sich als „die Muslimbruderschaft“ zu erkennen gibt. Anhand des Umgangs mit den Muslimbrüdern kommt die heutige europäische Naivität und Gutgläubigkeit besonders stark zum Vorschein, denn eine Organisation, die seit ihrer Gründung immer schon stark auf Konspiration, Unterwanderung und Subversion gesetzt hat, ist natürlich auf den ersten Blick nicht klar erkennbar. Sie will ja auch nicht erkennbar sein, gerade darin besteht ihre Gefährlichkeit. Ihre Mitglieder bekennen sich in der Öffentlichkeit auch nicht dazu, Muslimbrüder zu sein, weil es gegen jede Konspiration verstößt und der Verwirklichung ihrer Pläne hinderlich wäre. Doch nur weil die Muslimbruderschaft versucht, sich unsichtbar zu machen, heißt das nicht, sie würde es gar nicht geben. Genauso wie sich kein italienischer Mafioso öffentlich zur ’Ndrangheta bekennen würde und die ’Ndrangheta auch nicht öffentlich als ’Ndrangheta auftritt. Wir wissen jedoch vor allem durch internationale Ermittlungsbehörden, die die Mafia bekämpfen, sehr genau, dass es die ’Ndrangheta gibt und wie sie vorgeht und organisiert ist. Das Gleiche gilt für die Muslimbruderschaft und jede andere konspirativ vorgehende Geheimorganisation. Auch die Muslimbruderschaft wirkt aus dem Hintergrund und mittels unzähliger Vereine, Stiftungen, Thinktanks, Parteien, die sich zwar alle verschiedene Namen geben und unterschiedliche Wirkungsbereiche haben, doch dasselbe Ziel verfolgen. Der heutige liberale europäische Rechtsstaat tut sich mit einer konspirativ vorgehenden islamistischen Organisation wie der Muslimbruderschaft viel schwerer als mit den islamistischen Terrororganisation wie al-Qaida oder dem „Islamischen Staat“ (IS), nämlich aus folgendem Grund:

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Zwar gehen die islamistischen Terrororganisationen ebenso konspirativ vor, jedoch gehören straf bare Handlungen und Gewalt zu ihren Methoden, um ihre Ziele zu verwirklichen, und genau dort liegt ihre Schwäche, über die dann auch der liberale Rechtsstaat durchgreifen kann. Wie der Autor Gene Sharp in seinem Buch „Von der Diktatur zur Demokratie“ klar beweist, zeigt die Geschichte, dass gewaltsame Widerstandsbewegungen fast immer gescheitert sind, während gewaltlose oft erfolgreich waren. Er untersucht hier zwar meistens legitime Widerstandsbewegungen, die sich gegen eine Diktatur wehren, jedoch kann man diese Schlussfolgerung auch auf unsere heutige Situation anwenden. Die legalistischen islamistischen Organisation in Europa sind deutlich mächtiger, effektiver und daher auch gefährlicher als ihre illegalen Partnerorganisationen. Durch ihre Gewaltlosigkeit und ihr legales

Die legalistischen islamistischen Organisation in Europa sind deutlich mächtiger, effektiver und daher auch gefährlicher als ihre illegalen Partnerorganisationen. Vorgehen machen sie sich kaum angreif bar und sind daher in einer liberalen Demokratie schwer zu fassen. Bei verbotenen islamistischen Terrororganisationen hat selbst der liberale Rechtsstaat leichtes Spiel. Der Staat fasst sie bei der Vorbereitung von Terroranschlägen, der Ausreise zu Terrororganisationen, Propagandadelikten, Terrorunterstützung, kriminellen Aktivitäten zur Finanzierung ihrer terroristischen Bestrebungen oder kleineren Delikten wie Volksverhetzung und Ähnlichem. All das fällt jedoch bei der Muslimbruderschaft in Europa größtenteils weg! Denn in den meisten Ländern gilt sie nicht als Terrororganisation, sie hat verschiedene Ableger mit unterschiedlichen länderspezifischen Agenden. Im Gazastreifen tritt die Muslimbruderschaft als Terrororganisation Hamas auf, in Tunesien – in Gestalt der Ennahda-Partei – ist sie an der Regierung beteiligt, in Libyen ist sie mit der „Partei für Gerechtigkeit und Auf bau“ eine der Bürgerkriegsparteien. Sie nimmt je nach Ort und Situation verschiedene Formen an. Sie ist in dem Sinne mehr eine Ideologie und Weltanschauung als eine konkrete hierarchische Organisation. Ähnlich wie bei den dschihadistischen Organisationen muss man kein formales Mitglied sein, um Teil der Sache zu werden, es reicht aus, sich FR E I L I CH


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geistig dazu zu bekennen und im Sinne ihrer Ideologie zu handeln. Daher bekennen sich dschihadistische Terrororganisationen auch zu Anschlägen in Europa, die von Sympathisanten ausgeführt wurden, die sie persönlich gar nicht kennen; es reicht aus, dass sie in ihrem Sinne gehandelt haben. Genau so muss man wohl einen Großteil der Muslimbrüder-Akteure im deutschsprachigen Raum betrachten. Es kann gut sein, dass sie formal gar keine Mitglieder der Muslimbruderschaft sind, aber sie handeln und agieren in ihrem Sinne und genießen so die Unterstützung des weitreichenden Muslimbrudergeflechtes. Einigen von der Muslimbruderschaft rekrutierten Akteuren scheint vielleicht nicht mal selbst bewusst zu sein, dass sie im Sinne der Muslimbruderschaft agieren. Denn sie wurden nicht für eine gewisse Organisation rekrutiert; wer denkt, dass die Rekrutierung so plump abläuft, irrt sich. Die Muslimbruderschaft wirbt für eine Idee, eine Ideologie, ein Ziel, nicht für ihre Organisation selbst. Dieses Prinzip der Anwerbung kennt man vor allem bei Nachrichtendiensten. Jemand kann unter falscher Flagge angeworben werden, wie zu Zeiten des Kalten Krieges oft geschehen. KGB-Agentenführer rekrutierten Idealisten aus den Friedensbewegungen, die im Sinne des KGB agierten, ohne dass es ihnen selbst bewusst war. Ihre Motivation war der Weltfrieden, ihr Pazifismus und Idealismus trieben sie persönlich an, sie erkannten gar nicht, dass sie sich in den Dienst des Kommunismus gestellt hatten. Ähnlich mag das bei heutigen Muslimbruder-Akteuren der Fall sein. Idealistische, gebildete muslimische Akademiker, die an europäischen Universitäten rekrutiert werden. Sie persönlich mag etwas ganz anderes antreiben, als es die Drahtzieher der Muslimbruderschaft im Hintergrund im Sinn haben, jedoch agieren sie vor allem als Einflussagenten trotzdem in ihrem Sinne.

Arbeit mit Einflussagenten Der rekrutierte muslimische Akademiker verspürt Eifersucht gegenüber seiner Religion, wie es in islamistischen Kreisen so schön heißt, er engagiert sich gegen die „Islamophobie“, für die Gleichberechtigung, gegen Muslimfeindlichkeit und für mehr Rechte von Muslimen. Das treibt ihn an. Beschuldigt man ihn nun, ein Muslimbruder zu sein, lacht er nur darüber, denn was bitte hat er mit dieser 1928 in Ägypten gegründeten Organisation zu tun? Dass jedoch der Imam in der Moschee, der die islamische Religiosität in ihm geweckt hat, oder die N ° / 13 / J U L I 2021

islamische Stiftung, die sein Stipendium gezahlt hat, zum Aktionsgeflecht der Muslimbruderschaft gehören, ist ihm nicht bewusst. Daher versteht er den gegen ihn gerichteten Vorwurf auch nicht. Es sind hauptsächlich „Einflussagenten“, die an einer sehr langen Leine geführt werden. Die Verschwiegenheit und Konspiration der Muslimbrüder gehen so weit, dass sie sich auch gegenüber von ihnen rekrutierten Muslimen nicht zu erkennen geben. Die so rekrutierten Einflussagenten machen dann Karriere und steigen in immer höhere Positionen auf, in denen sie auf metapolitischer Ebene unheimlich viel Macht ausüben. Sie sitzen dann in den wahren Zentren der heutigen Macht, in den wissenschaftlichen Beiräten, Universitäten, Redaktionen, Ministerien, NGOs usw., durch die sie zur Meinungsund Deutungshoheit gelangen. Dort wird nämlich definiert, was unter „Islamfeindlichkeit“ fällt und was nicht, welche Islamkritik legitim ist und welche nicht, wer in den Medien auftritt und Bekanntheit erlangt und wer nicht, wer gefördert wird und wer nicht. Bei der Benennung des Personengeflechtes der Muslimbruderschaft im deutschsprachigen Raum muss man aus diesem Grund sehr vorsichtig sein. Der eine oder andere Islamexperte hat sich hier schon eine blutige Nase geholt, wie der Fall von Michael Ley und Farid Hafez anschaulich zeigte. Ley behauptete, Hafez sei ein Muslimbruder, daraufhin klagte Hafez gegen Ley. Vor Gericht konnte Ley den Beweis, dass Hafez tatsächlich ein Muslimbruder sei,

WIDER DIE ISLAMISTEN

Was kann man tun gegen islamischen Extremismus? Eine Anleitung zur Auseinandersetzung mit dem politischen Islam und seinen Anhängern. Irfan Peci Wider die Islamisten Freilich, Graz 2020. ISBN 978-3-200-07572-6 A € 9,50 / D € 9,50

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„Wenn es aussieht wie eine Ente, schwimmt wie eine Ente und quakt wie eine Ente, dann ist es wahrscheinlich eine Ente.“ nicht erbringen, seine Argumentation, man wisse das in Fachkreisen oder anhand von dessen Auftritten bei „muslimbrudernahen“ Organisationen, reichten natürlich nicht aus. Hafez konnte den Vorwurf vor Gericht entkräften, indem er schlicht auf die Frage, ob er ein Muslimbruder sei, mit „Nein“ antwortete; das Ergebnis war eine Geldstrafe für Ley wegen übler Nachrede. Statt über einzelne Personen zu sprechen, plädiere ich daher lieber dafür, über die Ideologie und Ziele der Muslimbruderschaft aufzuklären. Denn wer ihre Ideologie und Strategien kennt, wird von selbst erkennen, wer zu ihnen gehört und wer nicht. Es ist mühsam und in vielen Fällen quasi unmöglich, einen

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300 Imame der Islamischen Glaubensgemeinschaft Österreich (IGGÖ) haben im Juni 2017 in Wien eine Deklaration gegen Extremismus und Terror unterzeichnet. Die Positionen des Verbandes zum politischen Islam sind nicht immer klar.

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tatsächlich gerichtsfesten Beweis zu erbringen, dass eine gewisse Person Teil einer konspirativ vorgehenden Geheimorganisation ist. Hier gilt die Anwendung des „Ententests“, der lautet: „Wenn es aussieht wie eine Ente, schwimmt wie eine Ente und quakt wie eine Ente, dann ist es wahrscheinlich eine Ente.“ Nicht zufällig ist dieser Test auf die Zeit des Kalten Krieges zurückzuführen, als man im Westen mit den Kommunisten eine ähnlich konspirativ vorgehende Bewegung hatte wie heute die Muslimbruderschaft. Auch die Kommunisten wandten Täuschung, Konspiration und Subversion an, um ihre Ziele zu erreichen, und haben sich gleichzeitig in der Öffentlichkeit nicht zum Kommunismus bekannt.

Unsichtbar und doch da Das europäische Denken und vor allem die momentan nicht besonders wehrhaften liberalen europäischen Demokratien tun sich sehr schwer mit solchen subversiven Bewegungen. Sehen wir uns beispielsweise die Hürden an, um eine Organisation wie die Muslimbruderschaft zur Terrororganisation zu erklären, versteht man, warum dies noch nicht geschehen ist. Selbst Trump als amerikanischer Präsident, der kurze Zeit unter dem Einfluss des ägyptischen Präsidenten Al-Sisi davon sprach, die Muslimbruderschaft zur Terrororganisation zu erklären, nahm davon wieder Abstand. Die Gesetzeslage gibt es einfach nicht her, es ist ein grundlegender Systemfehler, dass der Staat sich kaum gegen solche konspirativ vorgehenden, aber legalistischen islamistischen Organisationen wehren kann. Ähnliches gilt auch für die Antifa, bei der es zur Begründung, warum sie nicht verboten werden könne, heißt, dass es ja schließlich nicht „die Antifa“ gebe, sie sei keine hierarchisch aufgebaute Organisation, sondern eher eine „Idee“ und „Weltanschauung“. Die zunehmende Macht der Muslimbruderschaft und allgemein der legalistischen islamistischen Organisationen liegt darin begründet, dass sie sich quasilegal auf demokratischem Wege immer mehr Einfluss verschaffen. Woran ist dies erkennbar? Zum Beispiel, wenn es um die Muslimbruderschaft selbst geht: Ein relativ kleiner Kreis an staatlichen Akteuren, wie Staatsanwaltschaft, Ermittlungsbehörden, Experten und Politiker, steht einem großen Kreis an Skeptikern gegenüber, die die Gefahr durch die Muslimbruderschaft entweder komplett leugnen, in Abrede stellen oder relativieren. Anhand der medialen Berichterstattung sehen wir ganz klar, dass die „Relativierer“ in der Mehrheit sind. Bestes Beispiel ist die N ° / 13 / J U L I 2021

Operation „Luxor“, bei der in einem bisher nicht bekannten Ausmaß österreichweit gegen Strukturen der Muslimbruderschaft vorgegangen wurde. Schon kurz nach der bundesweiten Razzia mehrten sich skeptische Stimmen und stellten die gesamte Operation, der jahrelange Ermittlungen vorausgegangen waren, infrage. Einer der Beschuldigten verglich die Razzia mit der „Reichskristallnacht“, und die Medien stellten sich bereitwillig zur Verbreitung nachweislich falscher Informationen zur Verfügung, alles mit dem Ziel, die gesamte Operation „Luxor“ infrage zu stellen. Bisheriger Höhepunkt dieser sehr einseitigen Berichterstattung war die Verbreitung von diskreditierenden Falschinformationen über die beiden Sachverständigen der Ermittlungen, Heiko Heinisch und Nina Scholz. Ihnen wurde vorgeworfen, den ermittelnden Grazer Staatsanwalt persönlich zu kennen und mit ihm per „Du“ zu sein, und dass aufgrund dessen beide nun als Sachverständige abberufen wurden. Ungeprüft wurden diese Fake News von mehreren österreichischen Zeitungen verbreitet, die sich erst auf Nachfrage des Onlinemediums „Exxpress“ bei der zuständigen Staatsanwaltschaft als falsch erwiesen haben. Einer der Beschuldigten startete sogar eine massive Kampagne, bei der bislang bereits über 20.000 Euro gesammelt wurden und der sich Dutzende einflussreicher Wissenschaftler

DIE MUSLIMBRUDERSCHAFT

auch Muslimbrüder, ist eine der einflussreichsten sunnitisch-islamistischen Bewegungen im Nahen Osten. Sie wurde 1928 von Hasan al-Banna in Ägypten gegründet. Seitdem hat sich die Muslimbruderschaft in andere Länder verbreitet, insbesondere Syrien und Jordanien. Ihre beiden Ableger Ennahda und Hamas (Algerien) sind Teil der Regierungen von Tunesien und Algerien und des dortigen politischen Prozesses. Im Gazastreifen hingegen errichtete die Hamas nach einer demokratischen Wahl eine islamistische Diktatur, während ihr libyscher Ableger (die „Partei für Gerechtigkeit und Aufbau“) im Zweiten Libyschen Bürgerkrieg als eine der Hauptfraktionen gilt. Auch die bis 2019 im Sudan herrschende Nationale Kongresspartei sieht ihre Wurzeln in der Muslimbruderschaft. Sie gilt als die erste revolutionäre islamische Bewegung. Die Muslimbruderschaft gilt in westlichen Ländern als radikalislamistische Organisation. Nach dem Umsturz in Ägypten 2013 und der darauffolgenden Absetzung Mohammed Mursis wurde die Muslimbruderschaft in Ägypten verboten und als Terrororganisation eingestuft.

Wenn die Muslimbruderschaft gar nicht existent ist oder keinerlei Einfluss besitzt, warum dann jedes Mal dieser Aufschrei und diese heftige Gegenwehr bei Maßnahmen gegen Strukturen der Muslimbruderschaft?

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anschlossen, um gegen die bundesweite Razzia zu protestieren. Wenn die Muslimbruderschaft gar nicht existent ist oder keinerlei Einfluss besitzt, warum dann jedes Mal dieser Aufschrei und diese heftige Gegenwehr bei Maßnahmen gegen Strukturen der Muslimbruderschaft? Wir müssen davon wegkommen, in starren Organisationsformen zu denken. Es handelt sich vielmehr um eine Auseinandersetzung der Ideen, nicht zwischen verschiedenen Staaten oder Organisationen. Es ist völlig gleichgültig, wer direkt oder indirekt für die Muslimbruderschaft arbeitet, ob bewusst oder unbewusst, es geht um die dahinter liegenden Ideen. Auch den Islamisten selbst sind Organisationen völlig egal, sie sind nur eine Form, sich zu organisieren, um das endgültige Ziel des weltumspannenden Kalifats zu erreichen, mehr nicht.

Keine geistige Abwehr vorhanden Dies verdeutlicht uns erneut die Schwäche des Staates, der in Sachen „geistiger Abwehr“ fast völlig wehrlos ist und somit der metapolitischen Macht der Muslimbruderschaft kaum etwas entgegenzusetzen hat, bis auf langweilige Broschüren und wissenschaftliche Abhandlungen, die außerhalb von Expertenkreisen kaum gelesen werden. Die Publikationen der Verfassungsschutzämter veranschaulichen das sehr gut. Wissenschaftliche, langweilig geschriebene und für die meisten auch kaum verständliche Texte, die ebenso langweilig in Form veralteter Broschüren präsentiert werden. Das staatliche Personal dazu scheint auch passend ausgewählt in Form von grauen Bürokraten, die alle irgendwie gleich aussehen. Schauen wir uns die Propaganda der Muslimbruderschaft an bzw. auch die islamistische Propaganda im Geiste der Muslimbruderschaft, so sehen wir genau das Gegenteil. Die islamistische Botschaft ist bestens ausgearbeitet, modern, spannend, unterhaltsam und kommt in den neuesten Formaten daher, ob auf

Instagram oder in zahlreichen Podcasts, für jeden ist etwas dabei. Allein dieser Vergleich zwischen der Medienarbeit der Muslimbruderschaft und ihr nahestehender Akteure mit der Aufklärung und Gegenbotschaft des Staates spricht Bände. Doch die Frage ist auch: Will eine Bundesregierung, wie wir sie derzeit in Deutschland haben, dem tatsächlich gegensteuern und die metapolitische Macht der Muslimbruderschaft brechen? Vieles spricht dagegen. Denn zu einflussreich sind mittlerweile einige Akteure, die der Muslimbruderschaft zugerechnet werden, und der Staat hat sich aus Mangel an muslimischen Partnern durch Kooperationen mit diesen Akteuren gleichzeitig von ihnen abhängig gemacht. Was wäre die „Islam-Konferenz“ in Deutschland, wenn die Organisationen, die der Muslimbruderschaft zugerechnet werden, verbannt würden? Was würde da noch großartig übrig bleiben? Dies ist auch gleichzeitig eine der effektivsten Unterwanderungsmethoden der legalistischen islamistischen Organisationen und einer der Pfeiler ihrer Macht, nämlich die unzähligen Kooperationen und die damit einhergehende Verbandelung! In Integrationsfragen, interreligiösen Dialogen, Glaubensfragen, Migrationsthemen, in all den vielen Punkten, die dazugehören, konnten sie sich als Kooperationspartner in irgendeiner Form etablieren. Wenn wir uns anschauen, wie viele Unterpunkte allein die Themen Islam, Migration und Integration aufwerfen, wird vielleicht klar, von welchem Umfang wir hier reden. Der linke Staat erschuf ein Problem, und in diese Lücke stießen dann legalistische islamistische Organisationen wie die Muslimbruderschaft, die sich als Problemlöser darstellen. Ähnlich wie derjenige, der ein Feuer legt oder beschleunigt und dann als Feuerwehr angerast kommt. In all diesen Fragen, zu denen unzählige Beiräte, Expertenrunden, Dialogveranstaltungen, also zusammengefasst irgendeine Form der Kooperation zwischen staatlichen und halbstaatlichen Stellen mit einem muslimischen Akteur der Gegenseite existieren, schleichen sich die Islamisten herein. In meinen vielen Recherchen, bei denen ich schwerpunktmäßig die Verbindungen zwischen Islamisten und linken Akteuren beobachte, wird mir immer wieder bewusst, welch ungeheures Ausmaß dies angenommen hat.

Der linke Staat erschuf ein Problem, und in diese Lücke stießen dann legalistische islamistische Organisationen wie die Muslimbruderschaft, die sich Islamismus mitten in der Gesellschaft Ob in Deutschland oder in Österreich, ob in der als Problemlöser darstellen. Großstadtmetropole, einer mittelgroßen Stadt, der Kleinstadt oder gar dem Dorf, es ist immer das gleiche Muster. Es leben an einem Ort Muslime und

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schaffen dort dann Strukturen in Form von Vereinen, Moscheen, Bildungseinrichtungen und Ähnlichem. Oft mals jedoch sind hierbei von Anfang an Islamisten beteiligt, oder sie setzen sich an die Spitze dieser Strukturen und diktieren dann den Kurs. Gleichzeitig schaffen islamistische Organisation – vor allem die Muslimbruderschaft selbst – solche Strukturen, in dem sie in Gebiete vordringen, in denen Muslime leben. Das heißt, solche Kooperationen gibt es tausendfach überall im Land. Sie sind eine der effektivsten Methoden zur Vergrößerung der metapolitischen Macht. Denn gerade in der Bundesrepublik obliegt die Entscheidung und die tatsächliche Macht vor Ort oft den örtlichen Strukturen, wie dem Stadtrat oder dem Bürgermeister, der in seiner Stadt wohl mehr zu sagen hat als Angela Merkel persönlich. Das Perfide daran ist, dass man durch eine Kooperation automatisch im selben Boot sitzt, und wenn man im selben Boot sitzt, ist es so, dass man auch gemeinsam untergeht, wenn das Boot sinkt. Das heißt, aus dieser Kooperation ergeben sich erstens eine Abhängigkeit und zweitens eine gewisse Erpressbarkeit. Abhängigkeit, da man in der Partnerwahl kaum Alternativen hat, denn die „liberalen Muslime“ sind wohl eine der am schlechtesten organisierten Interessengruppen, die es gibt. Erpressbar, weil nach Eingehen einer Kooperation bei Entlarvung der muslimischen Partner als verkappte Islamisten gerade ein staatlicher oder halbstaatlicher Akteur auf keinen Fall lesen will: „XY kooperierte mit Islamisten“. Auch Linke geben nicht gern zu, mit Islamisten zu kooperieren, und dass man sich hat täuschen lassen und auf etwas hereingefallen ist, geben die meisten Menschen naturgemäß ungern zu. Dieses sture Leugnen, Totschweigen oder Relativieren, obwohl man dabei ertappt wurde, ist mir auch durch meine Enthüllungen bestens bekannt. In keiner Enthüllung gab eine der beiden Parteien irgendetwas zu, selbst als es Konsequenzen gab, wie beim österreichischen Militärimam, der entlassen wurde, oder dem zurückgetretenen DITIB-Vorsitzenden in Rheinland-Pfalz. Bei meiner ersten Enthüllung zum Besuch von Zadić beim IKZ Graz war die Strategie anfangs, es totzuschweigen und nicht dazu Stellung zu nehmen. Erst durch Medien damit konfrontiert war Leugnen die nächste Verteidigungsstrategie, indem die Eigenschaft „islamistisch“ schlicht geleugnet und die entsprechende Moschee als harmlos und liberal dargestellt wurde. Wieso dann aber ausgerechnet die „harmlose“ und „liberale“ Moschee bei der Operation „Luxor“ und mit Zadić als Justizministerin durchsucht wurde, bleibt wohl ein Rätsel. N ° / 13 / J U L I 2021

Ähnlich bei meiner Enthüllung zum SPÖ-Bezirksvorsteher von Favoriten, Marcus Franz, der ebenfalls in einer nicht gerade „liberalen“ und „harmlosen“ Moschee in Favoriten zu Besuch war, in der man den Dschihad verherrlichte und gegen Nichtmuslime hetzte, und zu der Franz nach eigener Aussage „eine besondere Beziehung“ hat. Hier wurde im Nachhinein stur geleugnet und auf die entsprechenden Sequenzen aus der Moschee gar nicht eingegangen. Alles nur eine „FPÖ-Schmutzkampagne“, war der Kommentar. Gerade Parteien können es sich gar nicht erlauben, dies zuzugeben, da es personelle Konsequenzen nach sich ziehen würde, also besteht ihr ureigenes Interesse darin, den islamistischen Partner als „nichtislamistisch“ darzustellen, denn nur so waschen sie sich selbst rein. Ein anderes Beispiel dazu ist meine jüngste Enthüllung über die SPD in Hessen, die dort Wahlkampf in einer Islamistenmoschee betrieb, die gleich zweimal Ziel von Terrorrazzien war. Komplett leugnen konnten sie es nicht, also war Relativierung angesagt: Man gab zwar zu, dass es in der Vergangenheit mal „Probleme gegeben“ habe, aber seitdem sei vieles passiert – und, kurz gesagt: Die Moschee sei einfach nicht mehr als islamistisch zu betrachten. Die Islamisten müssen sich quasi gar nicht mehr selbst verteidigen, da ihr viel mächtigerer Kooperationspartner sie schon aus Eigeninteresse reinwäscht. Dies sind einige der Pfeiler, auf denen die metapolitische Macht islamistischer Organisationen wie der Muslimbruderschaft ruht, doch noch längst nicht alle.

Irfan Peci Geboren 1989 in Serbien, aufgewachsen in Bayern, schloss sich als Jugendlicher der islamistischen Bewegung an und wurde 2007 zum DeutschlandChef der „Globalen Islamischen Medienfront“ (GIMF), eines islamistischen Propagandanetzwerkes. In Haft fand eine weltanschauliche Umorientierung statt, von da an arbeitete er verdeckt in der Dschihadistenszene für den deutschen Inlandsnachrichtendienst. Aufgrund dieser Zusammenarbeit konnten Dutzende Dschihadisten an der Ausreise in Kriegsgebiete gehindert werden, obendrein wurden ein geplanter Terroranschlag im Anfangsstadium verhindert und mehrere Finanzströme verschiedener Terrorgruppen trockengelegt. Heute engagiert sich Peci hauptsächlich in der Aufklärung über die Gefahren des Islamismus und arbeitet als Autor und Politikberater. irfan-peci.de

Die Islamisten müssen sich quasi gar nicht mehr selbst verteidigen, da ihr viel mächtigerer Kooperationspartner sie schon aus Eigeninteresse reinwäscht.

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ISLAMKARTE

Wir schaffen die echte Islamkarte! Wir machen den politischen Islam wirklich sichtbar und zeigen uneingeschränkt und ungeschönt die drastische Lage.

Die türkis-grüne Bundesregierung inszenierte sich mit einer „Islam-Landkarte“ als Kämpferin gegen den politischen Islam. Als dieser sich im Bündnis mit Linken empörte, wurde die Karte reduziert und verschwand teilweise sogar komplett vom Netz. Trotz riesigem Budget bleibt die Karte weit hinter ihren Möglichkeiten und dient vorwiegend der Inszenierung. Deshalb schaffen wir eine neue, echte Islamkarte, die Klarheit über die Zusammenhänge des politischen Islam und der von ihm beabsichtigten Islamisierung bietet. Wir wollen die Strömungen und wichtigsten Vertreter kennen, die hier am Werk sind. Das Projekt ist modular aufgebaut; die Karte kann dann auf den gesamten deutschsprachigen Raum erweitert werden. Sinn und Zweck ist nicht, den Islam zu attackieren, aber sehr wohl, ihn zu dokumentieren und das Wissen um aktuelle Entwicklungen und grundsätzliche Tendenzen der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Bei der Definition des politischen Islam halten wir uns vollständig an die Definition der „Dokumentationsstelle Politischer Islam“. Im Gegensatz zur gekaperten Karte der Universität Wien, die die Regierung benutzt, um Ergebnisse zu zeigen, die sie nicht geschafft hat, wollen wir aber realistisch dokumentieren, wo der politische Islam wirkt und die Gesellschaft wandelt.

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Islam-Aktion in Wien Bei Protestaktionen gegen den politischen Islam wurden Einrichtungen, die auf der Islamkarte eingezeichnet und entsprechend benannt waren, von Aktivisten mit Warntafeln symbolisch markiert. Das mediale Echo war groß.

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Aufklärung Die Karte führt jedem Bürger eindrücklich vor Augen, wie stark der politische Islam in Österreich ist.

Recherche Die Datenbank wird für die weitere Verwendung mit einer Recherchefunktion ausgestattet.

echte Experten An der neuen Islamkarte arbeiten Experten mit, die bereits für Enthüllungen verantwortlich waren.

aktuelle Meldungen Die Islamkarte informiert auch über aktuelle Ereignisse und Nachrichten zum Thema Islamismus.

Interaktivität Informationen, die bisher nur schwer zugänglich waren, werden für jeden Bürger leicht verfügbar.

alle Akteure Wir werden alle wichtigen Akteure erfassen und ihre politischen Hintergründe analysieren.

Meldestelle Menschen können uns Vorfälle melden – unsere Experten übernehmen die weitere Recherche.

DAS ULTIMATIVE WERKZEUG GEGEN DEN POLITISCHEN ISLAM

ISLAMKARTE

Unabhängigkeit Die türkis-grüne Regierung versuchte, das eigene Versagen herunterzuspielen. Wir hingegen schauen genau hin.

Wir werden alle wichtigen Akteure erfassen und ihre politischen Hintergründe analysieren. Wir werden mit wissenschaftlichem Erkenntniswillen und inhaltlich sattelfest die neue Karte umsetzen.

FRAGEN UND ANTWORTEN Richtet sich die Islamkarte gegen Muslime? Nein! Die Karte zeigt das islamische Leben in Österreich und schafft so die Voraussetzung dafür, brisante Zusammenhänge zu erkennen, in denen der politische Islam eine Rolle spielt. Auch Muslime haben ein Interesse daran, vor dem politischen Islam gewarnt zu sein, und können die Karte nutzen. Es ist eine Strategie des politischen Islam, seinen Kritikern pauschal „Islamophobie“ zu unterstellen. Wann wird die Islamkarte fertig sein? Je mehr Unterstützer wir gewinnen, desto eher können die inhaltlichen und technischen Arbeiten abgeschlossen werden. Wir möchten die Karte noch im dritten Quartal 2021 veröffentlichen. Dass wir interaktive Karten umsetzen können, haben wir bereits mit linke-gewalt.info bewiesen – nun möchten wir einen Schritt weitergehen und noch besser werden. Wer steckt hinter der neuen Islamkarte? FREILICH Medien aus Österreich schafft ein umfangreiches Informationsangebot für alle Bürger, denen unser Land am Herzen liegt. Die neue Islamkarte ist ein folgerichtiges Puzzlestück dieses Angebotes, das allen Bürgern und Entscheidungsträgern kostenlos zur Verfügung steht. Braucht es wirklich eine neue Islam-Landkarte? Ja! Die Islam-Landkarte der türkis-grünen Regierung ist zu begrüßen, bleibt aber weit hinter den Erwartungen, die sie erfüllen müsste. Sie ist auf Österreich beschränkt, erfasst nicht alle wichtigen Akteure und verknüpft die Daten nicht mit aktuellen Ereignissen. Deshalb müssen wir diese wichtige Informationsarbeit selbst in die Hand nehmen.

Ihre Unterstützung macht dieses Projekt möglich! Freilich Medien GmbH AT38 2081 5000 0009 8004 Verwendungszweck: Islamkarte islamkarte.info

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Auf eigene Gefahr!

Vom riskanten Wunsch nach Sicherheit T E X T: S I E G FR I E D WA S C H N I G

FOTOS: VORARLBERG MUSEUM

Die Sonderausstellung „Auf eigene Gefahr – Vom riskanten Wunsch nach Sicherheit“ des vorarlberg museum eröffnet wegen der Pandemie ein Jahr später als geplant. In der Zeit von Lockdown und Impffrage konfrontierte das Coronavirus die Menschen in den letzten Monaten mit Ängsten, Risiken, dem Gefühl des Kontrollverlustes – und dem Wunsch nach Sicherheit. Genau bei diesen Themen hakt die Ausstellung nun ein.

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Arbeitshandschuh eines Metzgers (als Original in der Ausstellung) Fotografie: Petra Rainer 2015, Reproduktion Im Bereich Regulierte Körper stehen Regeln, Codes und Normen im Fokus, die den Leib für die Gesellschaft konform, schön oder „sicher“ machen. Thematisiert werden auch Hygieneund Gesundheitskonzepte, wie etwa Impfungen oder Unfallverhütung, sowie Disziplinierungs- und Normierungsmaßnahmen.

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Regulierte Körper Johannes Kaufmann Der Nichtschwimmer Öl auf Leinwand, 2012 Foto: Markus Tretter

Denn Sicherheit ist ein Gefühl, jenseits von Fakten und Statistiken.

Vertrauen ist die Basis unseres Sicherheitsgefühles. Vertrauen auch in Maßnahmen, die Freiheitsbeschränkungen zugunsten von Sicherheit bringen sollen – so die Hoffnung. Vertrauen auf Kooperationen, nicht nur als Überlebensstrategie, sondern auch als Fähigkeit, in schwierigen Situationen zusammenzuarbeiten. Das alles führe zu Höchstleistungen in der Anpassung an Gegebenheiten und in der Entwicklung von Neuerungen, sind sich die Macher der Sonderausstellung sicher. Eine dieser Neuerungen sei auch der viel diskutierte Coronaimpfstoff. Auch bei ihm geht es um Vertrauen und Sicherheit. Angst und Unsicherheit sind unsere ständigen Begleiter und gehören zu unserem Leben einfach dazu. Gerade wir Menschen haben unterschiedliche Strategien entwickelt, mit diesen ständigen Begleitern umzugehen – ob mit weltlicher oder transzendenter Hilfe. Doch auch wenn Sicherheit herrscht, regiert die Angst immer ein bisschen mit.

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Schnürmieder Leinen, Seide, Fischbein, 18. Jh. Foto: Markus Tretter

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Der Bereich Unvorhersehbare Natur beschäftigt sich mit dem widersprüchlichen Verhältnis des Menschen zur Natur: einerseits ein Teil von ihr zu sein und sich vor Naturereignissen schützen zu müssen, andererseits sie zurückzudrängen, auszubeuten oder gar zu zerstören. Lois Hechenblaikner BergWerk/Set 12 Fotografie, 2005

So können zum Beispiel die erst rund 100 Jahre alten sozialen Sicherheitsgarantien des Staates zwar die Folgen von individuellen Schicksalen oder Katastrophen lindern, aber nicht von Angst befreien. Sicherheit ist wichtig, sie ermöglicht erst unsere Existenz. Doch auch wenn Sicherheit hergestellt ist, bleibt sie immer eine subjektive Wahrnehmung. Sie lässt sich nicht „beweisen“, Sicherheit muss man spüren. Das Gefühl der Sicherheit hat viel mit persönlichen Befindlichkeiten, medialer Berichterstattung, mit kollektiven Erwartungshaltungen und mit individuell gemachten Erfahrungen zu tun – insbesondere mit Vertrauen. Vertrauen in ein Kollektiv, zu dem wir uns zugehörig fühlen, Vertrauen in Personen, die wir gewählt – oder sogar nicht gewählt – haben, Vertrauen in Wissenschaftler oder auch nur in den Menschen, der vor mir in der Reihe steht und der sich gezwungen sieht, einen „Babyelefanten“ Abstand zu halten. N° / 13 / JULI 2021

„Schadensfoto“ dokumentiert von der Vorarlberger LandesVersicherung V.a.G., 20. Jh.

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Die Ausstellung in Vorarlberg ist ein Kaleidoskop vieler Geschichten. Erzählungen über den Wunsch, das Bedürfnis und Bemühen, Unsicherheiten zu minimieren. Diese Geschichten erzählen von der Unerreichbarkeit oder Illusion von Sicherheit, von rechtlichen und transzendenten Konzepten, vom Wert der Sicherheit – und berichten schließlich auch vom Preis derselben. Sie zeigen auf, wie Freiheiten zugunsten von Sicherheit aufgegeben werden, durch Überwachung, Bevormundung und die Beschneidung der eigenen Autarkie. Um sich des eigenen Sicherheitsgefühles bewusst zu werden, bietet die Ausstellung jenseits aller kognitiv erfassbaren Erzählungen Möglichkeiten, spezielle Erfahrungen zu machen: in interaktiven Zonen, mit spielerischen Vermittlungsangeboten oder in besonderen Räumen. Ein Spiegelkabinett ist mit Fragen bestückt, unter welchen Bedingungen man sich sicher fühlen kann. Es gibt ein „entnormtes“ Zimmer, in dem nichts den Erwartungen entspricht – die Türen sind zu klein, Ausgänge muss man erst suchen. Ein weiterer Raum täuscht durch einen optischen Trick vor, über einen schmalen Grat wandeln zu müssen. Die Besucher können spielerisch das Prinzip einer Versicherung kennenlernen, eigene Schutzobjekte mit anderen teilen oder interaktiv erfahren, was es bedeutet, beim Lawinenwarndienst zu arbeiten. Das Spektrum an Themen auf dem Gebiet der Sicherheit ist schier unendlich. Die Ausstellung konzentriert sich auf fünf Themenbereiche und bewegt sich in konzentrischen Kreisen ausgehend vom Körper über den unmittelbaren Lebensraum hin zu Natur, Gesellschaft und Staat sowie Gott bzw. transzendenten Mächten. Es stehen Regeln, Codes und Normen im Fokus, die den Leib für die Gesellschaft konform, schön oder „sicher“ machen. Thematisiert werden Hygiene- und Gesundheitskonzepte, wie Impfungen oder Unfallverhütung, sowie Disziplinierungs- und Normierungsmaßnahmen.

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Judith Saupper Meine Nachbarschaft 2007, Foto: Markus Tretter

Unser Sicherheitsgefühl ist manipulierbar – oder, positiv formuliert: veränderbar. FR E I L I CH


FOTOSTRECKE

Franz Beer, Der Speicher in einem Bauernhaus in Schwarzenberg, Fotografien, 1940, Reproduktionen Maria Ender im Brautkleid Fotografie, 1908, Reproduktion

Der Ausstellungsbereich Normierte Räume erzählt von gebauten Schutzhüllen wie dem Wohnraum, Gebietsgrenzen, überwachten öffentlichen Räumen und der Ambivalenz beider Positionen, entweder aus- oder eingesperrt zu sein.

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FOTOSTRECKE

Angst und Unsicherheit gehören zum Leben dazu.

Tone Fink Hausgeist, 1980–1982 Foto: Markus Tretter

Die Ausstellung erzählt von gebauten Schutzhüllen wie Wohnraum, Gebietsgrenzen, überwachten öffentlichen Räumen und der Ambivalenz beider Positionen. Man kann nachvollziehen, wie es ist, entweder aus- oder eingesperrt zu sein. Auch das widersprüchliche Verhältnis des Menschen zur Natur ist Thema: Wir sind einerseits ein Teil von ihr und müssen uns dennoch vor Naturereignissen schützen, Natur immer wieder zurückdrängen, ausbeuten oder gar zerstören. Es stehen auch „aktuelle“ Ängste im Fokus von „Auf eigene Gefahr – Vom riskanten Wunsch nach Sicherheit“: Verlust von Arbeit, Armut, Einsamkeit. Und so bleibt am Ende doch nur die Hoffnung als positive Antwort auf die Angst. Vielleicht ist nur sie es, die uns wahrhaftig frei von unseren Ängsten macht …

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Im Ausstellungsbereich In-Sicherheit-Wiegen wird von der Obhut transzendenter Mächte jenseits menschlicher Möglichkeiten erzählt und mit religiösen, spirituellen, esoterischen, sogar psychoaktiven Hilfspaketen an eine wesentliche menschliche Überlebensfähigkeit appelliert: die Hoffnung als positive Antwort auf Angst.

Lothar Ämilian Heinzle Apotropaic Symbols Acryl auf Leinwand, 1987

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Votivbild von einem Holzfäller aus Dank für die Genesung nach seinem Unfall gestiftet, Öl auf Holz, St. Arbogast, 1657

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Irren im Spiegelkabinett als erlebbares Experiment. Wie sicher ist der Weg, den wir finden? Was gibt uns die Sicherheit, eine Entscheidung zu fällen?

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Sonderausstellung

AUF EIGENE GEFAHR. VOM RISKANTEN WUNSCH NACH SICHERHEIT Ausstellungsort:

vorarlberg museum, Kornmarktplatz 1, 6900 Bregenz Austellungsdauer: bis Frühjahr 2023 Di.–So.: 10–18 Uhr, Do.: 10–19 Uhr, Mo.: geschlossen vorarlbergmuseum.at

Was macht Ihnen Angst? Wo fühlen Sie sich sicher? Wer oder was beschützt Sie? Die Strategien im Umgang mit Gefahren haben sich im Laufe der Zeit verändert. Unsere Vorfahren begannen, Hänge zu sichern und Flüsse zu verbauen. Sie gründeten Feuerwehren und Versicherungen, die Polizei wachte und wacht über die Einhaltung der Regeln. Mittlerweile scheint die größte Bedrohung für den Menschen der Mensch selbst zu sein: Klimakatastrophen, Kriege, die Pandemie. Sicherheit hat in erster Linie mit Vertrauen zu tun – früher in den lieben Gott, heute in den Staat. Wie sicher fühlen Sie sich? Begeben Sie sich durch diese Ausstellung … Auf eigene Gefahr. Kuratoren: Lisa Noggler

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INTERVIEW THEORIE DER DIKTATUR

Unser aller Freiheit ist bedroht. In Zeiten des digitalen Überwachungskapitalismus, der sich mit der linken politischen Korrektheit vermählt hat, wird die Dystopie „1984“ von George Orwell auf erschreckende Art und Weise aktuell.

Foto: Photo 12 / Alamy Stock Foto

Michel Onfray Theorie der Diktatur

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Jungeuropa Verlag, Dresden. 224 Seiten. ISBN 978-3-948145-08-8 A € 22,95 / D € 22,00

Im FREILICH-Buchladen erhältlich. freilich-magazin.at/shop

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INTERVIEW

„Eine glimmende Glut“ Sind wir 2021 bereits „1984“? Der französische Philosoph Michel Onfray sieht das so und belegt das mit seiner „Theorie der Diktatur“.

INTE RVIE W: ULRICH NOVAK

FREILICH: Monsieur Onfray, in Ihrem kürzlich auf Deutsch erschienenen Werk „Theorie der Diktatur“ schreiben Sie, dass in „unserer post-totalitären Zeit eine neue Form des Totalitarismus nicht ausgeschlossen“ sei. Andererseits lassen sich die mitteleuropäischen Zustände nahezu vollständig unter Ihre „sieben Gebote“ eines totalitären Systems subsumieren. Wann können wir also von einer „neuen Form des Totalitarismus“ sprechen? Erleben wir ihn bereits?

Michel Onfray: Ja, natürlich, wir erleben bereits einen Totalitarismus nach den Totalitarismen des 20. Jahrhunderts. Es wäre lächerlich, von Caesars Rom, Tamerlans Timuridenreich, Nazideutschland, Sowjetrussland oder dem maoistischen China zu verlangen, dass sie uns erlauben, über den Totalitarismus des 21. Jahrhunderts nachzudenken. Die technologische Revolution hat Computer, Mobiltelefone, soziale Netzwerke, digitale Überwachung, GesichtsN° / 13 / JULI 2021

erkennung und digitale Verfolgung mit sich gebracht. Von da an zwingt uns das, was ich als Zivilisation des Bildschirms bezeichnen würde, auf eine neue Weise über Totalitarismus nachzudenken. Der Totalitarismus ist nicht mehr behelmt, bewaffnet und gestiefelt wie früher, er stützt sich nicht mehr auf die gleichen Quellen repressiver militärischer Zwangsmaßnahmen, er droht nicht mehr mit dem physischen Tod, körperlicher Folter, Einweisung in Lager, um die freie Rede zu verbieten. Er bedient sich vielmehr der Logik der freiwilligen Knechtschaft, die durch die damit verbundenen Instrumente ermöglicht wird, die eine totale Kontrolle des privaten, intimen, liebenden, emotionalen, politischen, beruflichen, familiären, intellektuellen, spirituellen und philosophischen Lebens erlauben. Überredung, Rhetorik, Propaganda, Informationskontrolle, Desinformation, öffentliche Bloßstellung des Privatlebens, Verleumdungskampagnen, Werbung, Indoktrination in Schulen und Universitäten,

all das ersetzt Khakis, Kampfanzüge, Ranger. Der soziale Tod, die Verdrängung aus den sozialen Netzwerken, das digitale Bashing, die Konstruktion einer falschen digitalen Reputation, all das zeichnet die Konturen dieses neuen Totalitarismus, der bei Orwell vollumfänglich in fiktiver Form zu finden ist. Gendersprache, Sprechverbote für Regierungskritiker, Meinungsmonopole, Cancel Culture, Gewalt gegen Andersdenkende, soziale Kontrolle durch Allgegenwärtigkeit des Internets, Impfzwang, Alternativlosigkeit und Fortschrittsglaube – all diese Maßnahmen werden jedoch gerade von diesem Establishment mit einer antitotalitären Grundhaltung gerechtfertigt. Ist das für Sie ein Widerspruch oder gar Teil des Problems?

Ich finde es erstaunlich, dass das Volk, das durch Indoktrination zum Pöbel geworden ist (der Pöbel meint das Volk, wenn es nicht mehr denkt …), nach

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INTERVIEW

freiheitlichen Entscheidungen schreit, wenn seine Vorstellung von Freiheit darin besteht, andere kontaminieren zu können! Wenn es darum geht, die „Freiheit“ abzuschaffen, zu vergewaltigen, zu töten, zu verletzen, zu morden, z. B. einen gesunden Partner mit AIDS anzustecken, obwohl man (möglicherweise) weiß, dass man infiziert ist, dann bin ich nicht gegen das, was als freiheitsfeindliche Maßnahmen dargestellt wird. Die Freiheit zur Vergewaltigung einzuschränken, ist für mich nicht freiheitsfeindlich, das Gleiche gilt auch für die Freiheit, mit dem Jagdgewehr das Recht in die eigenen Hände zu nehmen, oder die Freiheit, den Hund des Nachbarn zu töten, weil er zu oft bellt … Wir verwechseln Freiheit, die „Gehorsam gegenüber dem Gesetz ist, das wir uns selbst verschrieben haben“, um die Definition von Rousseaus „Gesellschaftsvertrag“ zu verwenden, mit der Erlaubnis, die die Macht ist, zu tun, was wir wollen, wann wir wollen, wie wir wollen. Freiheit ist eine Angelegenheit für Erwachsene; Erlaubnis ist eine kindliche Forderung. Die Freiheit, „etwas zu trinken“, nach diesem Ausdruck, den ich eminent trivial finde, und auf der Terrasse zu rauchen, während man sein Handy konsultiert, scheint mir keine große Freiheit für diejenigen zu sein, die durch ihre Sucht nach ihrem Handy meist schon alle Aspekte ihrer Existenz GAFAM [Google, Amazon, Facebook, Apple, Microsoft] bekannt gegeben haben, wodurch der globale freiheitsfeindliche Apparat installiert wird! Trotz der zunehmenden Auflösung anthropologischer Grundkonstanten wie Familie, Volk, Nation ist der Widerstand gegen diese Entwicklung weitgehend marginalisiert. Wie erklären Sie sich den großen Zuspruch für dieses System, der sich etwa in den Mobilisierungserfolgen der radikalprogressiven Gruppierungen wie „Black Lives Matter“ oder „Fridays for Future“ zeigt?

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Die Ideologie des Austausches ist erfolgreich, weil sie wie eine Religion funktioniert und die meisten einen Meister wollen, dem sie gehorchen können, in diesem Fall die Ideologie der Cancel Culture. Zu gehorchen, eine binäre Weltanschauung, das Gute hier, bei uns, das Böse gegenüber, bei den anderen, eine einfache, wenn nicht vereinfachende Lesart der Welt zu haben, hier das Wahre, bei uns, gegenüber das Falsche, bei den anderen, das ist es, was das Denken überflüssig macht. Was für eine Freude ist es, nicht selbst denken zu müssen und eine fertige Ideologie zur Verfügung zu haben, die man nur regelmäßig rezitieren muss, während man glaubt, zu denken! Mutmaßlich bekommt jeder Leser ein mulmiges Gefühl bei der Lektüre von Orwells „1984“. Gleichzeitig sind die Parallelen in der Gegenwart frappierend. Warum problematisieren wir diese Annäherung von Dystopie und Wirklichkeit nicht?

„Theorie der Diktatur“ soll genau diese Arbeit leisten: Ich zeige, dass Orwells „1984“ (zu dem noch Aldous Huxleys „Schöne neue Welt“ hinzuzufügen wäre) weniger politische Fiktionen sind als vielmehr die zivilisatorischen Programme der Verfechter des totalen Staates, des Global Government, des universellen Imperiums. Für mich ist Orwell ein politischer Denker auf dem gleichen Niveau wie Machiavelli, Hobbes und Rousseau. Er vermittelt seine Gedanken über den totalitären Apparat seiner Zeit, des 20. Jahrhunderts, aber auch und vor allem der Zeiten, die auf diese Zeit folgen – nämlich: unsere und die kommende – durch eine Fiktion, weshalb er von den Berufsphilosophen nicht ernst genommen wird. Populistische Parteien und Bewegungen und antiglobalistische Aktivistengruppen haben in den vergangenen Jahren immer wieder für Aufsehen gesorgt. Geändert hat sich nichts. Stattdessen ging das Establishment in die Offen-

sive. In Deutschland wurde nun die Internetzensur eingeführt, und man arbeitet an Gesetzen, um „Hass und Hetze“ unter Strafe zu stellen. Sind die Bürger in Wahrheit ohnmächtig? Wie verhält man sich unter solchen Umständen? Sind wir dazu verdammt, schlussendlich wie Winston, der Protagonist aus „1984“, zu enden?

Im Moment sehen die Bürger, beobachten und rebellieren verbal. Aber das Paradoxe ist, dass sie, wenn sie rebellieren, Widerstand leisten wollten, das aufgeben müssten, was sie als Übergangsobjekte schätzen, ihre Kuscheltiere: nämlich ihr Handy, das ihr Teddybär oder ihre Puppe ist, wenn nicht sogar ihr Sexspielzeug, das sie nicht kennen, nicht loswerden können oder nicht loswerden wollen. Sie befinden sich in der süchtigen Situation des Alkoholikers oder des Drogenabhängigen: Sie verkörpern Baudelaires heautontimoroumenos, sie sind zugleich Henker und Opfer ihrer selbst. Außer Luddismus, also der Zerstörung der Maschinen, die die Vektoren der Knechtschaft sind, gibt es keinen Ausweg. Aber die Sabotage dieser Maschinen verbietet das tägliche Leben: So wird das Telefonieren, das Bestellen von Lebensmitteln, das Bezahlen, das Begleichen unserer Schulden, das Wohnen, das Heizen, das Reisen mit dem Zug, dem Auto, dem Flugzeug, dem Bus, der U-Bahn, dem Taxi, das Bezahlen unserer Steuern unmöglich … Die Falle hat sich mit unserem Einverständnis über uns geschlossen. Der totale Zustand ist nun unausweichlich. Was bleibt Ihrer Ansicht nach von populistischen Protestbewegungen wie den „Gilets Jaunes“ in Frankreich oder der nun vom Inlandsgeheimdienst beobachteten „PEGIDA“-Bewegung in Deutschland?

Eine glimmende Glut unter der Asche. Bei der Rückkehr des Windes wird die Flamme wieder auflodern. Und bei Flammen ist alles möglich, vom harm-


Abschließend: Historisch betrachtet könnte man den Eindruck gewinnen, dass der Totalitarismus der Normalzustand einer modernen Massengesellschaft ist. Wo könnte man ansetzen, um dieses Paradigma zu durchbrechen? Kann man es überhaupt?

Ich wiederhole mich, aber dieses Mal ist der Apparat nicht zu stoppen. Ein bewaffneter, behelmter, gestiefelter Totalitarismus, zentralisiert an sichtbaren Orten, wird mit Waffen, Helmen, Stiefeln bekämpft. Wie kann man gegen eine unsichtbare und allmächtige Macht kämpfen, die man selbst mit installiert hat? Malapartes „Technik des Staatsstreichs“ ist heute ein totes Buch! Es gibt keinen Ausweg. Nur individueller Widerstand scheint möglich. Dass der Einzelne eines Tages den Lauf der Dinge umkehren kann, ist im Moment nur Science-Fiction! Ich für meinen Teil neige dazu, es nicht zu glauben. Wir kehren zu der von Darwin beschriebenen primitiven Horde zurück: Das Recht des Stärkeren wird herrschen. Die Zukunft des Menschen ist der Affe. Monsieur Onfray, vielen Dank für das Gespräch!

Foto: Abaca Press / Alamy Stock Foto

losen Zischen bis zur alles verzehrenden Glut …

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Zur Person

Der Philosoph mit der gelben Weste

Ein Denker mit Lust zur offenen Diskussion: Michel Onfray hat sich einen Namen gemacht, mit dem er sich auch getraut, gegen das Establishment zu stehen. I

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J L stichhaltigen Positionen für Aufsehen gesorgt. Einer, der in dieser Runde nicht fehlen darf, ist der Philosoph Michel Onfray. Nicht links, nicht rechts L

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Volksfront statt Establishment I

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Michel Onfrays Blog: michelonfray.com Zeitschrift „Front Populaire“: frontpopulaire.fr N° / 13 / JULI 2021

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* So werden in der Sprache der Entwicklungshilfe gescheiterte technische Großprojekte und Investitionsruinen genannt, die – wie im alten Siam das Schenken der äußerst seltenen Albino-Exemplare – den „Beschenkten“ mit aufwendigen Unterhaltskosten ruinieren.

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Klimawandel stoppen, neue Kontinente schaffen, Flüsse rückwärts fließen lassen: Der Mensch will eingreifen in den Lauf der Natur und nimmt sich Gigantisches vor. VON KONRAD MARKWARD WEISS

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ean-Claude Juncker ist ein pfiffiger Kopf “, lobte der „Spiegel“ den späteren Präsidenten der EUKommission schon 1999: „‚Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert‘, verrät der Premier des kleinen Luxemburg über die Tricks, zu denen er die Staats- und Regierungschefs der EU in der Europapolitik ermuntert. ‚Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.‘“ 2015 buchstabiert der damalige bundesdeutsche Finanzminister Schäuble diese Methode näher aus, zur Anwendung in Ausnahmesituationen: „Ich bin bei aller krisenhaften Zuspitzung im Grunde entspannt; weil wenn die Krise größer wird, werden die Fähigkeiten Veränderungen durchzusetzen größer.“ Und derselbe, im August 2020: „Die Corona-Krise ist eine große Chance. Der Widerstand gegen Veränderung wird in der Krise geringer.“

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Eine „Veränderung“ aber war bisher Tabu, auch kraft der EU-Verträge, wie dem Bürger auch in Österreich jahrzehntelang gebetsmühlenartig versichert wurde: eine Vergemeinschaftung der Schulden. Nun wird diese Realität – jetzt, wo die EU zum ersten Mal sehr wohl selbst Geld auf den Kapitalmärkten aufnimmt, für einen „Wiederaufbaufonds“ im Gefolge von COVID-19. Gemeinsam mit dem „Mehrjährigen EU-Finanzrahmen“ 2021–2027 ergibt sich so ein Volumen von über 1,8 Billionen Euro, von denen wiederum 30 %, die „Klimaquote“, in „klimaschutzrelevante Maßnahmen“ investiert werden sollen. Gigantische Summen also, wobei die „Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel“ unter anderem, so die Netzseite des Europäischen Parlamentes, „sanfte und kostengünstige Maßnahmen“ wie die „Sensibilisierung der Öffentlichkeit seitens des Staates“ umfassen. Wie diese „Sensibilisierung der Öffentlichkeit seitens des Staates“ aussehen könnte, wurde in Österreich soeben im Zuge der COVID-Krise deutlich: Die drastische Einschränkung wichtiger Grundrechte beispielsweise wurde von öffentlich-rechtlichen und anderen, gerade in der Krise noch einmal verstärkt subventionierten Mainstreammedien kaum hinterfragt, abweichende Meinungen hingegen teils verhöhnt oder sogar kriminalisiert. Die sozialen Medien waren entgegen ihrem Gründungsmythos weit davon entfernt, hier ein Korrektiv zu bilden, und zensurierten Nutzer bis hin zur Löschung von Beiträgen oder ganzen Profilen und Kanälen. Freilich kamen dort – und damit zurück zum Klima – auch „sanfte Maßnahmen“ zur Anwendung: Der Schriftsteller und AfD-Bundestagskandidat Michael Klonovsky protokolliert auf seinem Blog klonovsky.de, YouTube habe seinem Wahlkampfvideo zum Klimawandel eigenmächtig den Beginn des entsprechenden Wikipedia-Artikels vorangestellt, ohne dass Klonovsky diesen Eingriff wieder rückgängig machen konnte. Aber auch die zum Schutz der Grundrechte berufenen Höchstgerichte tragen durch kühne Grundrechtsinterpretation ihren Teil zu einer sich stetig verhärtenden Klimadoktrin bei: Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat jüngst mit dem bundesdeutschen eines der tiefgreifendsten Klimaschutzgesetze weltweit für verfassungswidrig erklärt, weil ihm die staatlichen Maßnahmen zur CO2-Reduktion bis 2030 unzureichend erschienen. Die beiden österreichischen Juristen H. Meditz und G. Negwer führen dazu in einem Gastkommentar in der Tageszeitung „Die Presse“ aus: „Wie die schöne neue Welt aussieht, verbergen die Richter nicht einmal. Jeder ‚CO2-relevante Freiheitsgebrauch‘ müsse früher oder später unterbunden werden, weil sich die Erderwärmung sonst nicht aufhalten ließe. Auch müssen die Grundrechte der Deutschen umso stärker beschränkt werden, je mehr der Klimawandel weltweit voranschreitet. Es wird also ein Sonderopfer deutscher Bürger gerade dann gefordert, wenn andere

Das Luftanhalten hält die Luft am reinsten.

Womöglich sind die heutigen gigantischen Pläne zur „Klimarettung“ gleich finanziell riskant und naturwissenschaftlich spekulativ wie frühere tollkühne Entwürfe, die den Lauf der Natur verändern wollten.

Länder weniger radikal mitziehen.“ Und weiter: „Weil eine CO2-freie Lebensweise plötzlich im Verfassungsrang steht, kann man praktischerweise auch alle Gegner dieser Politik als Verfassungsfeinde behandeln.“ Womöglich auch eine der „sanften und kostengünstigen Maßnahmen zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit seitens des Staates“ im Sinne des Europäischen Parlamentes? Niemand – und gewiss nicht das Europäische Parlament – weiß letztlich, wie hoch der menschengemachte Anteil an den derzeitigen unbestreitbaren Klimaveränderungen wirklich ist; geschweige denn, wie sehr sich in Zukunft noch so kostspielige menschliche Gegenmaßnahmen auf schon früher wiederholt eingetretene natürliche Klimaschwankungen auswirken können.

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igantische Projekte, die in den Lauf der Natur eingreifen wollten, gab es freilich schon in früheren Zeiten; regelmäßig scheiterten diese Vorhaben aber – wohl zum Besten von Mensch und Natur – bereits an ihrer Unfinanzierbarkeit. Damals aber hatten Staaten und Staatenbünde wie die EU offenbar den Stein der Weisen noch nicht gefunden: Jene Zauberformel, die es ihnen heute, bislang ohne gröbere Verwerfungen für die einzelnen Währungen und das globale Finanzsystem, ermöglicht, fast beliebig Geld zu schöpfen und auszugeben – auch in Krisenzeiten und unter Durchbrechung aller selbst erlassenen Schranken, wie der EU-Konvergenzkriterien. Womöglich sind also die heutigen gigantischen Pläne zur „Klimarettung“ insgesamt finanziell ebenso riskant und naturwissenschaftlich ebenso spekulativ wie frühere tollkühne Entwürfe, die den Lauf der Natur verändern wollten. Diese oft geradezu abstrusen EntFR E I L I CH


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würfe aber waren in einer bestimmten Hinsicht von ganz anderem Geist: Der Vergleich zwischen beiden – im wesentlichen abendländischen – Kategorien von Vorhaben unterstreicht einen auch sonst überdeutlichen Mentalitätswandel. Heute soll möglichen, aber schwer quantifizierbaren zukünftigen Bedrohungen im Voraus ängstlich bis hysterisch abgeholfen werden – nicht zuletzt unter dem überwältigenden Druck schwedischer Schulmädchen; früher besaß der Westen noch die Zuversicht und das Selbstbewusstsein, sich die Elemente proaktiv und im Vertrauen auf die eigene Gestaltungskraft unterwerfen zu wollen. Gewiss: So mancher Kelch ist durch das Scheitern früherer monumentaler Bauvorhaben an der Erde und ihren Bewohnern vorübergegangen, und die unten geschilderten Pläne sind zwar teils faszinierend, aber meist erschreckend; die Ängstlichkeit und Abdankung des Westens und insbesondere Europas in unseren Tagen insgesamt ist indes erschreckend, ohne auch nur irgendwie faszinierend zu sein.

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er umfassendste Plan zum Eingriff in die Natur, der jemals erdacht worden ist, stammt wohl vom bundesdeutschen Architekten Hermann Sörgel (1885–1952). „Getragen vom unbegrenzten Glauben an den technischen Fortschritt erhob sein […] Projekt einen nahezu universellen Lösungsanspruch“, schreibt Alexander Gall in „Das Atlantropa-Projekt. Die Geschichte einer gescheiterten Vision“. Sörgels Überlegungen basierten darauf, dass Regenfälle und ins Mittelmeer mündende Flüsse nicht ausreichten, den negativen Wassersaldo dieses „Verdunstungsmeeres“ ohne Zuflüsse aus dem Atlantik und dem Schwarzen Meer auszugleichen. Diese Zuflüsse aber wollte Sörgel drastisch reduzieren – durch Staudämme an den Mündungen von Rhone, Po oder Nil sowie am Bosporus, vor allem aber, so das Deutsche Museum in München, wo sich der Nachlass des Architekten befindet, durch „das Herzstück von Sörgels Plan: Ein 2,5 Kilometer breiter, 300 Meter hoher und 35 Kilometer langer Staudamm an der Straße von Gibraltar. Damit wollte er das Mittelmeer vom Atlantik trennen und langsam trockenlegen – um bis zu 200 Meter sollte der Meeresspiegel abgesenkt werden. […] nebenbei hätte sich mit dem Staudamm eine Dauerleistung von rund ‚70 Millionen PS‘ erzeugen lassen. Der Bau sollte in zehn Jahren zu schaffen sein, dafür kalkulierte Sörgel mit je 200.000 Arbeitern in vier Schichten“. Auf diese Weise wären einerseits über 660.000 Quadratkilometer Neuland im Mittelmeerbecken geschaffen worden – eine Fläche in der Größe von Frankreich zuzüglich der Schweiz, Belgiens und der Niederlande; andererseits wären Afrika und Europa zusammengewachsen zu „Atlantropa“, das dem Projekt seinen Namen gab. Von Gibraltar aus sollten Hochspannungsleitungen ganz Europa und weite Teile Afrikas mit Elektrizität versorgen, wo durch N° / 13 / JULI 2021

weitere Staudämme das „Tschad-Meer“ und das „Kongo-Meer“ entstehen sollten, sowie Millionen Quadratkilometer kultivierbares Land, vor allem in der Sahara. Hinter diesen Plänen bloß den Größenwahn eines Fantasten zu vermuten, wäre allerdings verfehlt: Zahlreiche angesehene Architekten und Ingenieure bis hin zum damaligen Siemens-Generaldirektor Bruno Siegwart schlossen sich Sörgel begeistert an, entwarfen, planten und berechneten das Projekt in all seinen Facetten und trugen so dazu dabei, dass „Atlantropa“ über die Medien und eine Wanderausstellung jahrelang massiven Widerhall fand. Für Sörgel war „Atlantropa“ schon bald Lebensmittelpunkt und schließlich Lebenswerk geworden – und sein Projekt reichte über dessen ohnehin schon gewaltige technisch-logistische Implikationen weit hinaus. Diesen Umstand versuchte der von seiner Mission tief beseelte Sörgel im Laufe der Jahrzehnte zu nutzen, indem er je nach politischer Großwetterlage unterschiedliche, jeweils anschlussfähig scheinende Aspekte betonte. Dirk van Laak führt in seinem Buch „Weiße Elefanten“ etliche „Nebeneffekte“ des Projektes an; manche davon dürften Anknüpfungspunkte mit der Weimarer Republik dargestellt haben: „Die zunehmende Kooperation auf allen Gebieten hätte eine langfristige Friedensgarantie bedeutet. Damit sollte die Technik ihre politischen Vorzüge gegenüber der von Egoismus und Zerstörungswut geprägten professionellen Politik ausspielen, aber auch gegenüber der vermeintlich von Habsucht und Kartellbildung geprägten Welt des Kapitals“; oder die „Perspektive für das Millionenheer von Arbeitslosen und die Verlierer der Weltwirtschaft nach den Erfahrungen der Krise von 1929“. Damals fand Sörgel laut „Jüdische Allgemeine“ auch massive Unterstützung durch überzeugte Zionisten wie den berühmten Architekten Erich Mendelsohn und den Frankfurter Nationalökonomen Franz Oppenheimer. Die „New York Times“ allerdings bezeichnete „Atlantropa“ bereits 1928 als „teutonic phantasy“ – und Sörgel sollte es in der Tat später auch dem Nationalsozialismus andienen. Dabei rückte er wiederum einen anderen Aspekt seines titanischen Plans in den Vordergrund: „Die Verbindung der beteiligten Gebiete zu einem europäisch-afrikanischen Großraum, der als dritte Kraft ‚Atlantropa‘ sich langfristig gegenüber den beiden anderen Großräumen Amerika und Asien hätte behaupten können“, so Dirk van Laak mit Bezug auf die „Großraumphantasien“ des Dritten Reichs. Auch zur „Volk-ohne-Raum“-Ideologie der Nationalsozialisten hätten sich durch die Gewinnung, Besiedelung und Urbarmachung von Land im Mittelmeer, so die „Jüdische Allgemeine“, Anknüpfungspunkte ergeben. Das Blatt verzeichnet allerdings auch, dass Sörgels Werben gänzlich erfolglos geblieben sei, weil sein Projekt laut NSDAP-Reichsparteileitung „schon zu oft als

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So werden in der Sprache der Entwicklungshilfe gescheiterte technische Großprojekte und Investitionsruinen genannt, die – wie im alten Siam das Schenken der äußerst seltenen Albino-Exemplare – den „Beschenkten“ mit aufwendigen Unterhaltskosten ruinieren. Eine Darstellung der meist gescheiterten Projekte zeigt, dass kein politisches System des 20. Jahrhunderts dagegen gefeit war, dem Technikwahn zu erliegen. Dirk van Laak Weiße Elefanten. Anspruch und Scheitern technischer Großprojekte im 20. Jahrhundert DVA, Stuttgart 1999. ISBN 978-3-421-05185-1 A € 14,90 / D € 14,90

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eine Angelegenheit internationaler Friedensfreunde behandelt“ worden sei. Der Architekt wurde von der Gestapo verhört, einer Hausdurchsuchung unterzogen und 1943 schließlich mit einem Publikationsverbot belegt. Nach dem Krieg nahm Sörgel einen Gedanken wieder auf, den er schon lange davor zionistischen Planern angetragen hatte – durch Absenkung des Mittelmeers „Palästina derart zu erweitern, dass die Schaffung eines jüdischen Nationalheimes ohne Beeinträchtigung des von den Arabern beanspruchten Landes möglich wäre“. Auch dazu kam es bekanntlich nicht; verwirklicht wurde „Atlantropa“ nur in der Literatur. Die berühmteste stammt aus der Feder des US-amerikanischen Schriftstellers Philip K. Dick, eines der bevorzugten Vorlagengeber Hollywoods für zahlreiche Erfolgsfilme: In Dicks alternativgeschichtlichem Klassiker „The Man in the High Castle“ (dt. „Das Orakel vom Berge“) haben Deutschland und Japan den Zweiten Weltkrieg gewonnen und den Osten bzw. Westen der USA besetzt. Technologisch ist das Reich seinem asiatischen Noch-Bundesgenossen weit voraus und kolonisiert bereits den Weltraum; auf der Erde aber hat – mit ausdrücklichem Bezug des Autors auf Sörgel und „Atlantropa“ – Deutschland das Mittelmeer trockengelegt und in Ackerland umgewandelt. Der Grundgedanke von „Atlantropa“ war aber auch realiter mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem Unfalltod seines Schöpfers nicht ganz vergessen: 2007 veröffentlichte eine Gruppe von Wissenschaftlern an der Universität Utrecht in den Niederlanden – die ja reichlich Erfahrung mit Landgewinnungsmaßnahmen besitzen – eine Studie zu einem Damm im Roten Meer, der dessen südlichen Ausgang zwischen Afrika und der arabischen Halbinsel absperren sollte. Die Autoren heben die Menge der durch den Staudamm erzeugten Energie aus Wasserkraft hervor sowie den daraus folgenden geringeren Verbrauch fossiler Energieträger und damit die Reduzierung entsprechender Emissionen; dabei verhehlen die Wissenschaftler die resultierenden massiven Umweltzerstörungen ebenso wenig wie die schwerwiegenden Probleme, die das Projekt auf politischem, ethischem und menschenrechtlichem Gebiet aufwerfen würde. mweltschutzbedenken, ethische und menschenrechtliche Skrupel plagten die Führung der sozialistischen Staaten des 20. Jahrhunderts bekanntlich kaum – und das galt insbesondere für die Sowjetunion und den Namensgeber des 1950 verkündeten „Großen Stalinschen Plans zur Umgestaltung der Natur“. Zahlreiche riesenhafte Infrastrukturmaßnahmen sollten das Territorium der UdSSR und sogar den Lauf der Natur auf ihrem Boden tiefgreifend verändern. Das Herzstück war ein Vorhaben, das nach seinem führenden Entwickler, dem WasserbauIngenieur Mitrofan Dawydow, benannt worden war:

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„Sein Plan zielte darauf ab, die ostsibirischen Ströme Irtysch, Ob und Jenissei, statt sie ‚nutzlos‘ ins Eismeer abfließen zu lassen, aufzustauen und in ihrer Fließrichtung nach Süden umzuleiten“, fasst van Laak in „Weiße Elefanten“ zusammen. Wasser aus diesen Flüssen sollte gesammelt und in einen Stausee in der Größe des ehemaligen Westdeutschland gepumpt, dann von dort über einen 2500 Kilometer langen Kanal Richtung Süden abgeleitet werden, über unzählige Verzweigungen Steppen und Wüsten bewässern und schließlich den Aralsee speisen. Dadurch sollte elektrische Energie gewonnen, das gesamte Klima in Sibirien sowie im zentralasiatischen Süden der Sowjetunion gemildert und vor allem die Nahrungsmittelproduktion gesteigert werden. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass die UdSSR und ihre Planwirtschaft als Antithese zum Kapitalismus trotz unermesslicher fruchtbarer Flächen nicht in der Lage waren, ohne Getreideimporte aus den Ländern des kapitalistischen Klassenfeindes auszukommen und die Nahrungsmittelversorgung der eigenen Bevölkerung sicherzustellen.

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er „Plan zur Umgestaltung der Natur“ war mit Stalins Tod keineswegs vom Tisch, im Gegenteil – einzelne Vorhaben gelangten vom Planungsstadium sogar zur Ausführung: 1971 berichtete die Sowjetunion auf einer Sitzung der Internationalen Atomenergie-Organisation in Wien über ein Bauvorhaben, das mit typisch sowjetischen, umweltmäßig „minimalinvasiven“ Methoden vorangetrieben worden war: Für Aushubarbeiten im Rahmen des Kama-PechoraKanalprojektes waren unweit eines Dorfes unterirdisch drei 15-Kilotonnen-Atomsprengköpfe zur Detonation gebracht worden, die einen 700 Meter langen und 300 Meter breiten Krater entstehen ließen. Trotz dieses vielversprechenden Beginns wurde die Methode nicht weiter zur Anwendung gebracht. Zum oben erwähnten „Sib-Aral-Kanal“ hingegen bekannten sich noch 1984 der damalige Vorsitzende des Ministerrats der UdSSR Nikolai Tichonow sowie Staats- und Parteichef Konstantin Tschernenko. Das Vorhaben war umstritten – allerdings, so der „Spiegel“ im selben Jahr: „Es gibt freilich ein Argument für die Genossen, das alle Einwände schlägt: […] sie brauchen wieder etwas Gigantisches, um tagtäglich, landauf und landab die Überlegenheit des Systems über den Kapitalismus demonstrieren zu können. Da bietet sich als Großtat an, daß Wasser rückwärts fließt.“ Selbst lange nach dem Ende der Sowjetunion waren entsprechende Pläne nicht ganz vergessen: Der kasachische Präsident Nursultan Nasarbajew forderte noch im letzten Jahrzehnt, „den Lauf der sibirischen Flüsse in den Süden Russlands und nach Kasachstan umzuleiten“. Der „Sib-Aral-Kanal“ hätte unter anderem die Hauptzuflüsse des Aralsees wieder auffüllen sollen, die seit der Stalinära im großen Stil zur Bewässerung von Baumwollplantagen angezapft worden waren – mit ka-

Technische Machbarkeit und natürliche Reaktion passen nicht zusammen: Statt der verwirklichten Utopie einer grünen Landschaft, die die Menschen ernährt, durch Bewässerung hat der Sowjetmensch am Aralsee nur eine Katastrophe im lokalen Klima geschaffen.

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Foto: Eddie Gerald / Alamy Stock Foto

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DER ARALSEE

war im Altertum ein großer, abflussloser Salzsee in Zentralasien. Durch lang andauernde Austrocknung zerfiel der See um die Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert in mehrere erheblich kleinere Teile. Die Hauptzuflüsse sind traditionell die Flüsse Amudarja (vom Süden her kommend) und Syrdarja (von Osten). Ihnen werden seit der Stalinära (1929–1953) große Wassermengen für die künstliche Bewässerung riesiger Anbauflächen für Baumwolle in Kasachstan und Usbekistan entnommen. Durch den geringeren Zufluss sank seitdem der Wasserspiegel des Sees kontinuierlich. Die seit etwa 1960 zunehmende Austrocknung des Sees stellt weltweit eine der größten vom Menschen verursachten Umweltkatastrophen dar. Mit ursprünglich rund 68.000 Quadratkilometern Ausdehnung (beinahe die Fläche Bayerns) war der Aralsee bis Anfang der 1960er-Jahre der viertgrößte Binnensee der Erde. 19 6 0

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KASACHSTAN Seyhun

USBEKISTAN

Ceyhun

Wasserfl äche Sumpffl ächen und ausgetrocknete Schlickfl ächen

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tastrophalen Folgen für Umwelt und Wirtschaft sowie die Gesundheit der Anwohner: Der See versalzte und fiel größtenteils trocken, die zahlreichen Fischer verloren ihre Existenzgrundlage. Die resultierende Staubwüste war durch Herbizide und Pestizide verseucht, die sich selbst im Blut der Pinguine in der Antarktis noch nachweisen ließen; die Säuglings- und Kindersterblichkeit am Aralsee explodierte. Als traurige Krönung betrieb die UdSSR dort bis zu ihrem Ende „ein Geheimlabor für die Erforschung und Tests von Biowaffen, das nicht nur das sowjetische Militär nutzte, sondern auch die sowjetische Behörde für biochemische Kriegsführung, Biopreparat. […] Die Stoffe, mit denen Forscher hier experimentierten: Erreger von Milzbrand, Pocken, Tularämie, Pest“, berichtet die „WirtschaftsWoche“. Die Einrichtung, wo teils unter freiem Himmel entsprechende Versuche betrieben worden waren, befand sich ausgerechnet auf der „Insel der Wiedergeburt“. Angesichts dieses ökologisch-wirtschaftlich-gesundheitspolitischen Desasters, nur einem von vielen in der ehemaligen Sphäre des antikapitalistischen Ostblocks, muten die Aussagen heutiger führender Klimaaktivisten umso befremdlicher an: „Der Kapitalismus zerstört unsere Lebensgrundlage“, so Carola Rackete, neben ihrer De-facto-Schleppertätigkeit auch eines der bundesdeutschen Aushängeschilder der „Fridays-forFuture“-Bewegung; auf deren Kundgebungen sind regelmäßig Parolen wie „Kapitalismus tötet“ und „Burn Capitalism“ zu sehen. Bernd Riexinger, langjähriger Parteichef von „Die Linke“, sekundiert: „Kapitalismus verträgt sich nicht mit Klimaschutz“. Antikapitalismus allerdings noch deutlich weniger, das zeigt auch die seiner Gesinnungsgemeinschaft so teure DDR, die selbst in der linken „taz“ als umweltmäßige „Kloake“ bezeichnet wurde. Die in der antikapitalistischen DDR gepflogene programmatische Wendung: „Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen“, muss also auch in umwelt- und klimaschutzmäßiger Hinsicht als widerlegt gelten, wie zwei weitere Beispiele aus „Weiße Elefanten“ zeigen: „So hatte es seit den späten vierziger Jahren immer wieder Berichte über gezielte Schneeschmelzen durch das Ausstreuen von Holzkohlenstaub auf Gletschern gegeben. Damit sollte auf leichte und billige Weise […] die periodisch auftretende Wasserarmut nach milden Wintern ausgeglichen werden, die in kritischen Gebieten der südlichen Sowjetunion oft fatale Folgen für die Ernten hatte. In ähnlicher Weise wollte man gegebenenfalls auch die Eiskappen des Nord- und Südpols abschmelzen.“ Das sowjetische „Nonplusultra“ aus der Sicht heutigen Klimaschutzes kam zum Glück nie über vage Pläne hinaus, die sich im Ostblock allerdings jahrelang in zahlreichen Publikationen fanden: die Absperrung der Beringstraße zwischen Sibirien und Alaska und Errichtung eines Atomkraft werkes auf dem entsprechenden Damm. „Weite Gebiete, in denen heute kaum eine

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Guter Journalismus ist eben auch eine Frage des Standpunktes.

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tagesstimme.com


Vegetation gedeiht, könnten in blühende Landschaften verwandelt werden“, schwärmte die Zeitschrift der DDR-Volkspolizei mit Bezugnahme auf ein Mitglied der sowjetischen Akademie der Wissenschaften; denn durch die Abwärme des Atommeilers sollte das nördliche Eismeer erwärmt werden und ein künstlicher Golfstrom entstehen. Was den tatsächlichen angeht, so „beobachten Forscher mit Sorge, wie der Golfstrom sich verlangsamt. Eine Studie untermauert das nun. Die Entwicklung könnte extreme Wetterereignisse begünstigen“, vermerkt die „Zeit“ und zitiert den Initiator der Studie: „Das Golfstromsystem funktioniert wie ein riesiges Förderband, das warmes Oberflächenwasser vom Äquator nach Norden transportiert und kaltes, salzarmes Tiefenwasser zurück in den Süden schickt.“ Eine Abschwächung des warmen Golfstromes könnte unter anderem dazu führen, dass sich die Temperaturen vor allem in Westeuropa bis hinauf zum Nordkap deutlich reduzieren – etwa auf das Niveau in den gleichen Breiten der USA und Kanadas. Peter Flynn, Professor der dortigen University of Alberta, schlug ein Verfahren vor, um das „Förderband Golfstrom“ wieder stärker laufen zu lassen: Schiffe sollten im Herbst Wasser aus dem Nordmeer pumpen, in der Luft versprühen und so die Bildung von mehrere Meter dickem Packeis beschleunigen; im Frühjahr wiederum sollte zum Auftauen Wasser über die Eisschicht gepumpt und dadurch riesige Mengen zusätzlichen kalten Wassers erzeugt werden – zur Intensivierung der kalten Tiefenströmung nach Süden. Flynn sah sein Modell in Teilen kritisch und insgesamt bloß als Notfallmaßnahme; umzusetzen wäre es mit 8000 Schiffen und 50 Milliarden Dollar Kosten gewesen, so das Onlinemagazin „Telepolis“. Seinerzeit mag ein solcher Aufwand ebenso absurd wie unbezahlbar erschienen sein – wurde inzwischen jedoch vergleichsweise verzwergt: Schließlich beträgt die eingangs erwähnte 30-Prozent-Klimaquote der EU in ihren Gesamtausgaben bis 2027 mehr als das Zehnfache der für Flynns Vorschlag kalkulierten Kosten. Angesichts dieser pharaonischen Dimensionen ist der abermalige Sprung zur Literatur kein allzu großer – umso mehr, als es sich beim Autor um Jules Verne handelt: Der französische Schriftsteller (1828–1905) gilt ausweislich seiner wissenschaftlich-fantastischen Abenteuerromane zu Recht als einer der Väter der Science-Fiction. Zu seinen bekanntesten Werken dieser Kategorie zählen unter anderen „Von der Erde zum Mond“ oder „Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer“ mit Kapitän Nemo und seiner „Nautilus“; deren Namen sollte später nicht von ungefähr das erste reale Atom-UBoot der Welt tragen. N° / 13 / JULI 2021

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So manche Klimaschutz-Suppe wurde also schon bisher nicht so heiß gegessen wie gekocht …

Verne nahm in seinen Romanen zahlreiche technische Entwicklungen vorweg; anders als zu seinen Anfängen zeigt sich im Spätwerk eine gewisse Skepsis und Ernüchterung gegenüber dem Fortschritt der Technik – auch in „Der Schuss am Kilimandscharo“. Der „Gun Club“ aus Baltimore erwirbt darin die Schürfrechte für Bodenschätze am Nordpol, die jedoch unter Packeis und Nordmeer gelegen und daher nicht zu heben sind. Die findigen Spekulanten entwickeln eine gigantische Kanone, die durch den Rückstoß eines einzigen Schusses die Erdachse verrücken soll, damit das Polareis abschmilzt und sich die Lage der Weltmeere so verändert, dass die Steinkohlevorkommen am Pol abgebaut werden können; für andere Erdteile katastrophale Folgen wie die Überschwemmung halber Kontinente hindern den „Gun Club“ nicht an der Verwirklichung seiner Pläne: In einen Hang des Kilimandscharo wird ein Hunderte Meter langer Stollen gegraben, der mit Metall zum Geschützrohr ausgekleidet wird. Die gigantische Baustelle erinnert frappierend an Sörgels Pläne zum Bau des Gibraltar-Staudammes im Rahmen von „Atlantropa“. Schließlich wird das riesige Projektil abgefeuert, was allerdings folgenlos bleibt: Die Natur selbst hatte durch ein heftiges Gewitter den Mathematiker des Projektes bei seinen Kalkulationen gestört und ein resultierender Flüchtigkeitsfehler sich im Zuge der weiteren Berechnungen potenziert.

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ules Verne blickt hier und anderswo mit einer gewissen Ironie und Skepsis auf seine Helden und Antihelden sowie auf die blinde Technikund Wissenschaftsgläubigkeit seiner Zeit – womöglich auch ein Fingerzeig für entsprechende Tendenzen in unseren Tagen. Schließlich stehen Abenteuerromane oder die geschilderten Mammutprojekte hinsichtlich ihrer Gigantomanie den im Rahmen des gegenwärtigen Klimaschutzes aufgerufenen Summen und Plänen kaum mehr nach. Auch die häufig absolute Gewissheit heutiger Wissenschaft ler gegenüber ihren Erklärungsmodellen und Prognosen ist nicht neu: Zu allen Zeiten waren Forscher jeglicher Couleur der Überzeugung, nun endgültig den Stein der Weisen entdeckt zu haben. So ist es auch noch nicht allzu lange her, dass für die Gegenwart als Folge des Waldsterbens eine Versteppung des Wienerwaldes vorhergesagt wurde; Jahrzehnte später aber gedeiht dieser prächtig und spendet dem Autor dieses Artikels bei dessen Abfassung angenehmen Schatten. So manche Klimaschutz-Suppe wurde also schon bisher nicht so heiß gegessen wie gekocht. Wird das Rezept des vermeintlich heilsamen Gebräus unserer Tage womöglich seinerseits in wenigen Jahrzehnten als untauglich erkannt? Schon heute stellt sich die Frage, ob die Radikalkur auf dem Rücken Europas dem Patienten Erde wirklich hilft – oder bloß den kranken Mann zwischen Bosporus, Nordkap und Gibraltar endgültig ruiniert.

Konrad Markward Weiß Jahrgang 1977, lebt und arbeitet in Wien jeweils selbstständig als Verleger, Übersetzer und Publizist sowie in der Unternehmenskommunikation. Karolinger Verlag: karolinger.at

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LESESTÜCK Foto: iStock / Nick_Thompson

Cora Stephan: Lob des Normalen. Vom Glück des Bewährten FinanzBuch Verlag, München 2021, 240 Seiten, gebunden. ISBN 978-3-95972-400-5 A € 17,50 / D € 16,99

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„LOB DES NORMALEN. VOM GLÜCK DES BEWÄHRTEN“

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AUS DEM BUCH

Einmal normal, bitte. Und bei allen Utopien einfach mal den Satz „aber bedenke die Folgen“ wirken lassen.

VON CORA STEPHAN

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och, ja, auch ziemlich große Minderheiten, wenn nicht gar Mehrheiten, kann man beleidigen. Die „baskets of deplorables“, wie Hillary Clinton sie taufte, all jene also, die keine besonderen schützenswerten Identitäten vorweisen können, etwa, weil sie weiße Männer sind, wählen dann womöglich einen Donald Trump zum Präsidenten der USA, den Brexit im Vereinigten Königreich oder die Schwefelbrüder und -schwestern von der AfD in Deutschland. Selbst mit einer Wahlniederlage von Donald Trump ist das Land mitnichten „geeint“, im Gegenteil: Der knappe Ausgang der Wahlen 2016 wie 2020 macht erst recht deutlich, wie gespalten es ist. Statt sich also über „Populisten“ und ihren Erfolg zu echauffieren, sollte man sich mit jenen beschäftigen, die sie wählen – das ist, siehe USA, doch eine beachtliche Zahl, die man nicht ignorieren kann. Sie zu diffamieren ist nicht intelligenter, als Minderheiten zu diskriminieren. Auch sind die „Normalen“ ebenso wenig die Bösen, wie sie die Guten sind. Unter ihnen findet sich alles Mögliche, und wer will, mag das immer weiter aufschlüsseln: Da sind die Naiven, die Gemeinen, die Harmlosen, die Fiesen, die Pedanten, die Gut-

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willigen, die Hausmeister, die Misanthropen … und so weiter. Normal ist weder besser oder edler oder moralisch besonders hochstehend noch immer nur reaktionär und verspießert, normal ist das, was man gewohnt ist, was nicht ständig ausdiskutiert werden muss, was man voraussetzen darf, was nicht jeden Tag neu ausgehandelt werden muss. Vieles vielleicht überholt, vieles womöglich bloß Routine, vieles einfach nur praktisch. Normal vereinfacht das Leben – wie das Auto oder die Waschmaschine. Natürlich hat die Mehrheit nicht immer recht – „Millionen Fliegen können nicht irren, esst Scheiße!“ ist ein alter Sponti-Spruch, der die Verachtung für die bloße Mehrheit anschaulich auf den Punkt bringt. Doch Mehrheitsentscheidungen sind das Funktionsprinzip der Demokratie, one man one vote gilt seit 100 Jahren auch für Frauen. Sofern man nicht das Losverfahren bevorzugt, ist die Mehrheitsentscheidung die einfachste Art, wie Gesellschaften sich auf etwas einigen. Mit der Karriere der These von der „strukturellen Gewalt“ aber ist die Mehrheit geradezu zum Gegner geworden. Von Johan Galtung stammt die These, dass Gewalt auch gesellschaftlichen Strukturen innewoh-

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nen könne, ohne dass es dafür der Person eines Täters bedarf. Strukturelle Gewalt im Sinne Galtungs wäre etwa die ungleiche Verteilung von Einkommen und Lebenserwartung, Umweltverschmutzung bis hin zur Behinderung emanzipatorischer Bestrebungen. Im Kampf dagegen sei auch physische „Gegengewalt“ zulässig. Solche Thesen des Friedensforschers haben ab 1971 Karriere gemacht, insbesondere bei der bewegten Jugend. Sie dienten dem, was man damals Politisierung nannte: Es galt zu erkennen, dass man nicht allein war mit seinem Leid oder seinem Ungenügen, sondern dass man unter den Verhältnissen litt, die daher zu verändern seien. Ein Opfer der Verhältnisse zu sein, die einen an der Entfaltung hinderten, war nachgerade ein Geschenk des Himmels, bedeutete das doch die auch noch theoretisch gültig hergeleitete Befreiung von allen Selbstzweifeln. Noch heute operieren Kampagnen gekränkter Minderheiten nach diesem Muster: Die Gesellschaft ist uns etwas schuldig. Gewalt ist dieser Theorie nach nicht hauptsächlich ein physischer Akt, es genügen schon mindere Zeichen der Missachtung, um Empörung zu rechtfertigen. Der Publizist Markus Vahlefeld meint, das Prinzip der strukturellen Gewalt gehe „davon aus, dass grundsätzlich die Mehrheit allein dadurch, dass sie Mehrheit ist, bereits Gewalt ausübt und die freie Entfaltung von Minderheiten vereitelt. Das Grundprinzip der Demokratie – der Mehrheitsentscheid – wurde noch nie eleganter ausgehebelt als mit dem Glauben an die strukturelle Gewalt.“ Strukturell heißt neuerdings auch systemisch, also systembedingt. Die Strukturen müssten verändert, das System abgeschafft werden, dann seien die Menschen frei. Demnach ist nicht der Mensch seines Glückes Schmied, es sind die Verhältnisse, die über ihn entscheiden. Er ist, egal, wie man es dreht und wendet, ein Opfer. Es gibt nur eine Macht, die ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen kann: die Systemüberwindung, also die Revolution. Doch was folgt darauf? Ein starker, diesmal die Richtigen unterdrückender Staat? Eine wohlwollende Diktatur, in der die Opferanwälte das Sagen haben? Die Mehrheit jedenfalls hat dann nichts mehr zu melden. In welchen Wahnsinn dieses Denken führen kann, zeigt die Opferhierarchie, die auf der exzentrischen Seite der Linken gepflegt wird. Das Wort dafür ist „intersektional“, was besagen soll, dass Menschen auf vielen Ebenen diskriminiert sein können – etwa nicht nur durch Sexismus, sondern auch durch Rassismus und Klassismus. Danach stünde ein Opfer der Verhältnisse über einem Opfer realer Gewalt. Das hieße etwa: Die Gewalttat eines Migranten wiegt weniger schwer, weil er ja nicht nur Täter, sondern vor allem Opfer ist, Opfer struktureller Gewalt. So schrieb etwa der Journalist Jakob Augstein über jene Kölner Silvesternacht 2015, in der es massenhafte sexuelle Übergriffe von Migranten auf Frauen gab, diese Frauen seien ihren

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Manche Minderheitsaktivisten sehen das so: Gegen Weiße ist Hatespeech erlaubt. Bei allen anderen kommt die Gedankenpolizei.

Tätern außer im Moment des Übergriffs auf allen Ebenen weit überlegen gewesen. Was soll man daraus schließen? Dass Übergriffe auf „Privilegierte“ weniger widerlich sind? Manche Minderheitsaktivisten sehen das so: Die von der strukturellen Gewalt der Mehrheitsgesellschaft unterdrückte Angehörige der Mehrheit ist als solche ebenfalls Teil der Gewalt, als deren Opfer sie sich eben noch gefühlt hat. Die permanente Aufforderung an Weiße, „ihr Privileg zu checken“, der Wunsch nach ihrer Kniefälligkeit und anderen Bußübungen, ja auch die stolze Behauptung einer Professorin im englischen Cambridge, „White lives don’t matter“, die von der Universität unterstützt wird, weisen ihnen ihren Platz zu. Gegen Weiße ist Hatespeech erlaubt. Bei allen anderen kommt die Gedankenpolizei. Normalos mögen das alles für abseitige Spinnereien halten. Doch der Hass auf die weiße (männliche!) Kultur, die ihre sämtlichen Errungenschaften nicht erst seit der Aufklärung einschließt, die Entwertung der Vergangenheit und des europäischen Erbes, ist ein Gift, das ans Gewebe der Gesellschaft geht. Ebenso die Verwischung des Unterschieds zwischen Gedanken und Tat. Das Strafgesetzbuch unterscheidet bekanntlich zwischen beidem. Das ist offenbar aus der Mode. Wer musste sich nicht alles den Vorwurf anhören, er sei für den Angriff auf Henriette Reker mitverantwortlich, nur weil er sich zuvor kritisch über die Einwanderungspolitik der Regierung geäußert hatte? Zur Erinnerung: Henriette Reker kandidierte 2015 für den Posten des Oberbürgermeisters in Köln und wurde beim Wahlkampf mit einem Messer attackiert. „Pegida hat in Köln mitgestochen“, titelte daraufhin der Berliner Tagesspiegel. Wenn die Grenzen zwischen Wort und Tat verschwimmen, tut das der nötigen gesellschaftlichen Auseinandersetzung nicht gut. Denn genau dafür, für den Fall des Konflikts, haben Menschen sich Regeln gegeben, nicht, um Streit auszuschalten, sondern um ihn auszuhalten.

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Das hilft beim Überleben in feindlicher Umgebung. „Wir sind alle hochsensible Normalitätserspürer“, sagt der Soziologe Gerhard Schulze. „Ohne unsere Antenne für das regelmäßige wären wir nicht lebensfähig.“ Gewiss hat das seinen Nachteil: Die Suche nach vertrauten Mustern engt das Wahrnehmungsspektrum ein. Pluralistische Gesellschaften sind demgegenüber weit anstrengender und wirken vielleicht deshalb oft so neurotisch. Doch geteilte Gewohnheiten erleichtern das Leben mit anderen. Wir einigen uns darauf, es einfach so zu machen, wie es hier oder hierzulande normal ist. Das erspart lange Verhandlungen und manchen Konflikt – und hilft auch den Hinzugekommenen, den Fremden, bei der Orientierung. Und warum auch nicht? Nicht immer ist das Gewohnte falsch, veraltet, unmodern, auch wenn in jeder Generation die Jungen das Rad neu erfinden wollen. Gewohnheiten, sagt Enzensberger, „sind vor allem Sedimente, in denen sich eine unermesslich alte Lebenserfahrung niedergeschlagen hat, im Guten und im Bösen. Die Normalität ist das kollektive Gedächtnis in seiner massivsten Form, und insofern ist sie immer veraltet.“ Veränderung? Die scheitert regelmäßig an der „Renitenz der Mehrheit“. „Die Normalität ist eine defensive Kraft, aber sie ist unfähig zu resignieren. Mit Meinungen, Weltanschauungen, Ideologien ist ihr nicht beizukommen (…). Sofern die Gattung fähig ist zu überleben, wird sie ihre Fortdauer vermutlich nicht irgendwelchen Außenseitern verdanken, sondern ganz gewöhnlichen Leuten.“ Ganz gewöhnlichen Leuten, genau. Den Normalen eben, den eher konservativen Kräften, die keinen Bedarf für radikale Reformen oder gar Revolution haben, die nicht die Welt retten möchten, sondern, wenn’s mal nötig wird, ihre nächsten Angehörigen und die bei allen großen Utopien leise „aber bedenke die Folgen“ murmeln. Den Satz von Enzensberger sollte man sich merken. Die damalige Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration im Rang einer Staatsministerin, Aydan Özoğuz, forderte in einem Thesenpapier von 2015: „Unser Zusammenleben muss täglich neu ausgehandelt werden“, nicht nur die neu Hinzukommenden müssten sich integrieren. Eine sol-

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Das ist, neben dem, was biologisch als normal gelten darf, die andere Seite der Normalität: das, was man Normen nennt, also das, was tatsächlich nicht naturgegeben ist. Doch die gilt es ebenso zu verteidigen wie Regeln und Grenzen. Normen sind Fesseln und rettende Reling zugleich. Ihre Wurzeln liegen weit zurück, einiges ist überholt, anderes lebenswichtig. Sie sind Bemessungsgrundlagen, in Formen gegossene Übereinkünfte, die zur Gewohnheit geworden sind. Genau: Gewohnheit. Auch so eine zwiespältige Angelegenheit. Gewohnheiten, heißt es auf der Seite der progressiven und modernen Kräfte, machen bequem und unbeweglich, Gewohnheitstiere folgen ihrem täglichen Trott, ohne eine Vorstellung davon zu haben, dass es auch anders gehen könnte. Sie scheuen das Risiko, verweigern sich dem Neuen und Modernen – und deshalb müssen sie beständig aufgerüttelt werden, in aufklärerischer Absicht, na klar. Das wird den Normalos nun schon seit Jahrzehnten gepredigt: „›Dieser Roman ist eine Provokation!‹ – ›Diese Inszenierung ist ein radikaler Versuch, mit eingefahrenen Verhaltensmustern zu brechen.‹ – ›Diese Ausstellung ist ein Verstoß gegen die Sehgewohnheiten des Publikums.‹ Das Publikum nimmt all diese Provokationen, Brüche und Verstöße mit unerschütterlicher Gelassenheit hin, ebenso wie die Werbespots, die ein völlig neues Duschgefühl, Fahrgefühl, Zahnputzgefühl verheißen“, schrieb der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger bereits 1982. Auch Architekten und andere große Geister belästigen uns seit Jahrzehnten mit ihrem Anliegen, Sehgewohnheiten brechen zu wollen. Erst langsam gibt es beim Bauen wieder eine gewisse Renaissance des Überkommenen, der Tradition, des Üblichen, darf das menschliche Maß wieder gelten, jedenfalls ab und an. Im 21. Jahrhundert besinnen sich Stadtplaner wieder auf frühere Leitbilder der Urbanität, in der Arbeit, Konsum und Wohnen noch nicht scharf getrennt sein mussten. Gewohnheiten beruhigen, verorten, beheimaten. Sie erleichtern das Leben und entlasten das Gehirn, das seine Ressourcen braucht, um in Stressituationen schnell reagieren zu können. Menschen sind gewohnt, in Sekundenbruchteilen Muster zu erkennen und Schlüsse daraus zu ziehen: harmlos oder gefährlich?

Geteilte Gewohnheiten erleichtern das Leben mit anderen. Wir einigen uns darauf, es einfach so zu machen, wie es hier oder hierzulande normal ist. Das erspart lange Verhandlungen …

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che Forderung wäre in jeder anderen Gesellschaft als der deutschen wohl für völlig abseitig gehalten worden. Denn eine Gesellschaft braucht das Gewohnheitsmäßige, um zu funktionieren, eine verlässliche Ordnung, einen verlässlichen Code, eine unmissverständliche Sprache und Gestik. Mehr noch: Vertragssicherheit, die Ehrlichkeit des Kaufmanns, die Gleichheit vor dem Gesetz. Kurz: all das, was Vertrauen erlaubt. Und das soll täglich neu verhandelt werden? Undenkbar. Unpraktikabel. Unnormal. „Genau darin besteht ja der Zweck der Hausordnung, dass man sich nicht ständig um alles kümmern muss. Ihr Hauptgedanke ist Vergessendürfen“, so Gerhard Schulze. Das Normale, Gewohnte ist der Kitt einer Gesellschaft, die das Nichtnormale respektiert und schätzt, solange es ihre Kreise nicht stört. Freundlicher gesagt: solange es den alltäglichen Umgang miteinander nicht behindert. Die Menschen geben sich Regeln, um es miteinander aushalten zu können. Die Klagen der sich schon bei Nichtigkeiten beleidigt und entrechtet Fühlenden sind da alles andere als friedensstiftend. Das heißt natürlich nicht, dass diese Regeln nicht verändert werden können, sie ändern sich ja immer wieder, es geht hier wie bei vielem anderen lediglich um das Maß. Der beflissene Versuch von Politikern und Behörden, den Forderungen all derjenigen nachzukommen, die sich sprachlich nicht mitgenommen fühlen, und den ohnehin schon sperrigen Behördensprech durch „gerechte“ Sprache noch unverständlicher zu machen, trifft bei den meisten Menschen auf wenig Gegenliebe, auch wenn Rundfunk- und Fernsehmoderatoren ihnen mittlerweile vormachen, wie ein Unterstrich klingt. Die Mehrheit der Männer und Frauen lehnt diese Sprachverhunzung ab. Die Genderista und die politisch korrekten Aktivisten sorgen nicht für Respekt, sondern für das Gegenteil, wenn sie mit sektiererischer Strenge meinen, den widerspenstigen Normalos Saubersprech einbleuen zu müssen. Das Normale aber ist nun mal fleckig und schmutzig wie der Blaumann in der Autowerkstatt. Der Autor Nassim Nicholas Taleb spricht vom „Terror der kleinen Minderheit“: „Es genügt für eine kompromisslose Minderheit (…) ein winzigkleines Ausmaß zu erreichen, sagen wir drei oder vier Prozent der Gesamtbevölkerung, damit die gesamte Bevölkerung sich ihren Vorlieben unterwerfen muss.“ Man brauche nichts weiter „als einige (motivierte) Aktivisten, um einige Bücher zu verbieten oder einige Leute auf die schwarze Liste zu setzen.“ Die eine Norm soll durch eine andere Norm ersetzt werden, und das alles im Geiste der Toleranz. „Also“, schließt Taleb, „müssen wir mehr als intolerant mit manchen intoleranten Minderheiten sein.“ Doch so weit sind wir noch lange nicht, die gewohnheitsliebende Mehrheit ist noch im Stadium der Alltoleranz. Und das ist ja erst einmal auch gut so: Auf Abweichendes wird schon längst nicht mehr so pa-

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nisch und strafend reagiert wie in früheren, formelleren Zeiten, obwohl sich paradoxerweise die Rebellion gegen das angeblich so einengende und intolerante Normale gerade wieder hochschaukelt. Was hat sich nicht alles in der Nachkriegszeit verändert: durch die Pille und die Straffreiheit von Abtreibungen, durch die volle Geschäftsfähigkeit der Frau und den Abschied vom Schuldprinzip bei Scheidungen. Alleinerziehende sind nicht mehr geächtet und werden vom Sozialstaat unterstützt, Scheidung ist kein Makel mehr, die Kirche hat ihren Einfluss deutlich eingebüßt. Und doch hat sich vieles nicht so tiefgreifend verändert, wie man vor einigen Jahrzehnten noch angenommen hat. Obwohl die Zahl der Eheschließungen sich seit den fünfziger Jahren halbiert hat, wird noch immer und, soweit man sieht, nicht mehr in abnehmendem Maß geheiratet, zumal ja nun auch Homosexuelle heiraten dürfen. Selbst die Scheidungsquote ist zurückgegangen. Man täuscht sich womöglich über das Ausmaß, in dem sich das, was als normal gelten kann, verändert hat. Das dürfte daran liegen, dass der neue Tribalismus, der identitätspolitische Diskurs, mittlerweile einen großen Platz einnimmt, in der Politik wie in den Medien. Der linksliberale amerikanische Politikwissenschaftler Mark Lilla fühlt Demokratie und Politik davon bedroht: Mit ihrer Hinwendung zu Identitätspolitik habe die amerikanische Linke jeden Sinn für das verloren, was Amerikaner als Bürger teilen und was sie als Nation zusammenhält (und was bei Wahlen Mehrheiten verschafft). Er konstatiert eine „moralische Panik, was Rasse, Gender und sexuelle Identität betrifft“, die die Linke daran hindere, eine übergreifende, verbindende Kraft zu werden, die in der Lage wäre, das Land zu regieren. Das Resultat: Zwei Drittel der weißen Wähler ohne Collegeabschluss hätten 2016 für Donald Trump gestimmt, wurden also von der Linken nicht mehr erreicht. Bei nationaler Politik gehe es nicht um Differenz, sondern um Gemeinsamkeit. Die aber werde nur noch unter Gleichartigen gesucht. Doch normal im Sinne von gewohnheitsmäßig und akzeptiert sei die Grundlage für eine stabile Regierung. Es könne nicht stets alles neu verhandelt werden, je nachdem, wer sich gerade beleidigt und benachteiligt fühlt. Dies sei auch der deutschen Sozialdemokratie nachgerufen. Man findet Mehrheiten nicht bei den Minderheiten, und wenn sie noch so sehr von den Medien umschwärmt werden – und noch nicht einmal bei den Frauen, denen sich die Partei so emsig anbiedert. Die meisten Frauen ticken anders als sozialdemokratische Funktionärinnen. Woran liegt es denn, dass wir das Gefühl für gemeinsame Interessen und gemeinsames Handeln verloren haben? Weil wir alle Individualisten sind und, erfreulicherweise, dem Kollektivgeist nicht trauen? Es hat ja seine gewaltigen Vorzüge, nicht gemeinsam mit

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Die Stimmen für Trump, für den Brexit, für die AfD, alles, was man Populismus schimpft, sind Zeichen an der Wand … Man sollte das Menetekel nicht missachten.

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anderen im Gleichschritt einer Fahne hinterherlaufen zu müssen. Doch das Leben war gewiss einfacher, als man noch Schichten unterschied oder auf Klassenunterschiede setzte, als das Proletariat als Speerspitze der Weltrevolution galt oder man wenigstens noch vom Sieg im Volkskrieg träumte. Das ist vielleicht das Verblüffendste an den moralisch guten Kräften, die sich überwiegend als grün bis links verstehen: Weder das einst so vergötterte Proletariat noch die Unterschichten oder materiell weniger Begünstigten kommen mehr in den Blick – und wenn, dann figurieren sie, wie bei Hillary Clinton, als Deplorables, als bedauernswerte Zukurzgekommene. Einst bekamen westdeutsche Salonkommunisten leuchtende Augen, wenn sich die Arbeiterklasse das ungewaschene Maul nicht verbieten ließ. Heute schreien edle Seelen bei jedem kräftigeren Wort auf und nennen „Hass“ und „Hetze“, was einst als so authentisch galt. Der Journalist David Goodhart ist Hillary Clintons Deplorables auch für Großbritannien nachgegangen, in seinem sehr lesenswerten Buch „The Road to Somewhere“, das es mittlerweile in deutscher Übersetzung gibt. Er unterscheidet zwischen den Somewheres und den Anywheres, zwischen den Verwurzelten und den Kosmopoliten, also jenen, die überall zu Hause sind. Diese hierzulande vielleicht 20 Prozent dominieren seit einigen Jahren die politische Agenda, verkörpern sie doch, glaubt man, das Weltoffene, Bunte, Vielfältige, dessen sich heute jedes Provinznest rühmt. Sie sind die Globalisierungsgewinner. Die Somewheres aber, die eher Ortsgebundenen, etwa die Hälfte der Bevölkerung, erscheinen als die Verhockten, mit engem Horizont, womöglich fremdenfeindlich, zumal, wenn sie sich als Vaterlandsliebende oder Heimatverbundene outen. Diese Menschen denunziert der aufgeklärte Kosmopolit gern als „völkisch“ oder gar „nationalistisch“. Die solcherart Beleidigten und Erniedrigten aber stecken Goodharts Analyse zufolge hinter der „populistischen Revolte“, die den Erfolg von Trump, Brexit oder AfD möglich gemacht habe. Es ist auch eine Revolte der Männer, ein Aufbegehren des Landes gegen die Städte, der Arbeiter und Angestellten gegen die Akademiker. Genau: der Normalos gegen die Verkünder der herrlich bunten Vielfalt. Für seine Kritiker ist der einst linke Goodhart damit nach rechts gewandert. Im Grunde aber ist er, wie in ferner Vergangenheit Labour (oder die SPD), noch immer auf Seiten derjenigen, die die nötige Arbeit tun. Der Normalos eben. Der Vormarsch der Frauen hat die Männer ohne akademischen Lorbeer marginalisiert, die Provinz fühlt sich wie in den Tributen von Panem als Versorgungseinrichtung und Müllhalde für die dekadenten Städter, das Handwerk und andere Lehrberufe finden keinen Nachwuchs, weil alle Abitur haben und studieren wollen. Das sind die Kollateralschäden des

Gutgemeinten. Und trotz aller Revolutionen der vergangenen Jahrzehnte hat sich, was die Geschlechterrollen betrifft, gar nicht so viel verändert. Seit Frauen die Freiheit haben, zu tun, was sie wollen, entscheiden sie sich keineswegs massenhaft für das, wovon man glaubte, die Männer hätten sie daran gehindert: nämlich deren Jobs zu übernehmen. Noch immer sind es hauptsächlich Männer, die im Maschinen- und Metallbau arbeiten, im Hoch- und Tiefbau, in Mechatronik und Elektroberufen oder in Verkehr und Logistik, während Frauen überwiegend im Gesundheits- und Sozialwesen oder Erziehung und Unterricht beschäftigt sind. Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung? Ja, warum nicht? Kann es sein, dass der Frauendiskurs der vergangenen Jahrzehnte da etwas ausgelassen hat? Männer sind womöglich nicht nur als Vergewaltiger und Unterdrücker beachtenswert, sondern auch als rastlose Malocher und risikofreudige Erfinder. Und die werden durchaus noch gebraucht. Der Genderista aber sind Biologie oder gar Natur suspekt, das verdirbt ihnen ihr Wunschkonzert. Sie haben das alles längst „entlarvt als Teil eines ‚heteronormativen‘ Machtapparates, dessen wissenschaftliche Methoden kulturell vorgegeben und von bestimmten – patriarchalischen – Interessen geleitet seien. ‚Biologismus‘ ist in diesen akademischen Kreisen ein schwerwiegender Vorwurf. Schlimmer als ein Biologist ist eigentlich nur noch ein Rassist“, schreibt der Journalist und Historiker Ferdinand Knauß. Mit Wissenschaftsfeindlichkeit einhergehende Männerfeindlichkeit macht auch gutwillige Normalos langsam, aber sicher zu „Wutbürgern“. Die Stimmen für Trump, für den Brexit, für die AfD, alles, was man Populismus schimpft, sind Zeichen an der Wand. Dabei sind es im Grunde die herrschenden Parteien, die sich opportunistisch nach Meinungsumfragen, also nach dem vermuteten Populus richten. Man sollte das Menetekel nicht missachten.

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„Ich bin nicht immer meiner Meinung“, meint Cora Stephan mit Paul Valéry auf ihrer Homepage. Eine schöne Erklärung für ein freies Nachdenken.

Foto: Archiv

cora-stephan.de

Dummheit ist nicht ihre Stärke Denn Cora Stephan war mal links, und sie hält viel von Paul Valéry. Irgendwann begann sie, am Mainstream der bundesdeutschen Redaktionen vorbeizupublizieren. Der Linken laufen die klugen Leute weg.

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igentlich hätte für die Schriftstellerin und Publizistin, die Politikwissenschaft, Geschichte und Volkswirtschaftslehre studierte und 1976 über die Geschichte der Sozialdemokratie promoviert wurde, alles zu einer reibungslosen Karriere im bundesdeutschen Kultur- und Politikestablishment gepasst. Nach Studienjahren in Hamburg und Frankfurt am Main hatte sie von 1976 bis 1983 einen Lehrauftrag an der Frankfurter Johann-Wolfgang-Goethe-Universität inne. Sie arbeitete als Lektorin beim Suhrkamp-Verlag, als Übersetzerin und Rundfunkmoderatorin. Obwohl sie heute angeblich „Bausteine rechtsnationaler Publizistik“ liefert (D. Ganser), war sie 1980 Redakteurin beim Frankfurter Sponti-Magazin „Pflasterstrand“ und 1983 Kulturredakteurin beim Hessischen

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Rundfunk, dem der hessische CDUler Roland Koch noch 2000 attestierte: „Der Hessische Rundfunk ist ein Rotfunk.“ 1985 bis 1987 arbeitete sie in Bonn als Hauptstadtkorrespondentin für den „Spiegel“. Zu anderen Publikationsplattformen Cora Stephans gehörten etliche Zeitungen. So auch Hans Magnus Enzensbergers „Kursbuch“, zu dem sie viel beigesteuert hat, von ihrem Essay „Dessouveränität“ über „Im Drüben fischen“ bis hin zu „Wir pfeifen auf den Fortschritt“. Sie schrieb auch für den „Merkur“, die „Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken“, in der unter anderem Hannah Arendt, Arnold Gehlen und Ernst W. Eschmann Beiträge veröffentlicht hatten. Bis 2017/18 war sie Kolumnistin für die „Wirtschaftswoche Online“ und die „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ). Unter dem Pseudonym Sophie Win-

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PORTRAIT

ter veröffentlichte Stephan drei sogenannte Katzenromane um den Kater „Filou“, als Anne Chaplet schrieb sie preisgekrönte Krimis, und unter Klarnamen kamen die Romane „Ab heute heiße ich Margo“ und „Margos Töchter“ auf den Buchmarkt. Neben Radiobeiträgen erschien 1998 aufmerksamkeitsstark das Sachbuch „Das Handwerk des Krieges“. Über ihr Buch „Weiterhin unbeständig und kühl. Nachrichten über die Deutschen“ schrieb Iring Fetscher: Sie beweist „Mut und unerschrockene Bereitschaft, auch diejenigen Klischees zu korrigieren, denen sie selbst vorübergehend Tribut gezollt hat: Durch ihre zeitgeschichtlichen und sozialwissenschaftlichen Arbeiten ausgewiesen, erlaubt sie sich, mit Lockerheit und ironischer Distanz auf die Gegenwart zu blicken.“ Über den Verfall der guten Sitten schrieb sie 1996 mit „Neue deutsche Etikette“, danach „Der Betroffenheitskult. Eine politische Sittengeschichte“, womit Stephan eine Bilanz politischer Orientierungssuche in der Zeitspanne zwischen den zwei Zäsuren der bundesrepublikanischen Geschichte, nämlich 1968, dem Jahr des „Aufbruchs“, und 1989, dem Jahr der „Wende“, vorlegte. Damit nicht genug: Es erschien das Buch, das die alternativlose „Weltkanzlerin“ (W. Herles) nie lesen will: „Angela Merkel. Ein Irrtum“. In der „Presse“ hieß es dazu: „Wann kommt schon einmal ein neues Buch auf den Markt, das schon vor seinem Erscheinen von Regierungssprecher Steffen Seibert regierungsamtlich als unlesbar bezeichnet wird? Der Publizistin Cora Stephan ist es geglückt, mit ihrem Buch […] mit dieser spezifischen Form der Werbung beglückt zu werden, dass die Kanzlerin amtlich erklären ließ, sie werde das im Münchner Knaus-Verlag erschienene Buch weder kaufen noch lesen.“ Auch das im Münchner FinanzBuch-Verlag erschienene „Lob des Normalen. Vom Glück des Bewährten“ dürfte „Muttis“ Wohnsitz eher nicht als Kaffeetischzier schmücken. Denn darin geht es um die „Normalen“, die „verlässliche Steuerzahler [sind]; gutmütige Menschen, die das Abweichende schätzen, das sie sich selbst längst nicht mehr erlauben. Weltoffen und bunt, tolerant bis zur Selbstaufgabe, und sie haben es sich lange geduldig gefallen lassen, zum Auslaufmodell erklärt zu werden. Doch das ist vorbei. Sie wehren sich – durch stille Verweigerung oder über den Wahlzettel. Lob des Normalen ist kein ‚zurück zu vergangenen Verhältnissen‘, sondern die Wiederge-

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winnung des Sinns für die Wirklichkeit – für das Bewährte“. Ein Ansatz, der so gar nicht zur linken, verquasten „Identitätspolitik“ passen will und der auch mit der Fiktionalisierung der Realität durch bundesdeutsche Berufspolitiker und in Folge durch ihre Wähler aufräumt. Eine Fiktionalisierung, die sich nicht um die Tagesordnung schert, denn es ist, wie Henryk M. Broder meint, egal, „ob die Energiewende, die Autobahnmaut oder das ‚Projekt Europa‘, der Turmbau zu Babel des 21. Jahrhunderts. Wenn wir nur richtig wollen, könnten wir sogar den Rhein nach Süden fließen lassen“. Wohl aufgrund einer gewissen Analysenähe zählt Cora Stephan zu den Autoren des Weblogs „Achse des Guten“ und liefert Beiträge für André F. Lichtschlags Zeitschrift „eigentümlich frei“. Letztere wird von der linkslinken Schweizer „Wochenzeitung“ „einer Schnittmenge zwischen Libertarismus und neuer Rechter zugeordnet“. Die linksradikalen Tugendwächter des Blattes meinten, in der Zusammenarbeit zwischen Cora Stephan und der liberal-bürgerlichen „NZZ“ auch zu erkennen, „wie die neue Rechte journalistisch argumentiert. Und wie durch immer durchlässigere publizistische Grenzen zwischen sogenannt gutbürgerlichen Zeitungen und rechten Blogs reaktionäres und rassistisches Gedankengut beharrlich normalisiert wird“. Dieser verbrämte Aufruf zu Zensur und zur Ausgrenzung politisch Andersdenkender durch linksintellektuelle Meinungstotalitaristen lässt die Publizistin und Schriftstellerin offenbar unbeeindruckt. Der Onlineauftritt von „Tichys Einblick“ zeigte Cora Stephan jüngst beim Videogespräch mit Roland Tichy zu ihrem Buch „Lob des Normalen“ mit unaufgeregter Ironie und einem Glas Wein. War es 2016 in einem Gastkommentar der postheroische, „westlich metropolitane“ Mann, dessen Schwächen Cora Stephan mit scharfem Blick entlarvte, so ist es heute auch gern mal der deutsche Untertan, dem sie den Spiegel der Erkenntnis vorhält. Im Eintrag vom 23. März heißt es: „Als Staatsbürger verhalten wir uns wie Untertanen und lassen uns gefallen, als solche behandelt zu werden. Es ist verblüffend, welches ‚neue Normal‘ viele hierzulande hinzunehmen bereit sind. Und wie bereitwillig hart erkämpfe Errungenschaften aufgegeben werden. […] Doch nicht die Freiheit muss sich rechtfertigen, sondern ihre Beschränkung.“

COR A STEPHAN

wurde 1951 in Strang bei Bad Rothenfelde geboren und verbrachte ihre Kindheit im niedersächsischen Osnabrück, bevor sie 1971 zum Studium zunächst nach Hamburg, dann nach Frankfurt am Main zog. Sie studierte Politikwissenschaft, Geschichte und Volkswirtschaftslehre und promovierte 1976 über die Geschichte der Sozialdemokratie im 19. Jahrhundert. Neben einem Lehrauftrag an der Frankfurter Johann-Wolfgang-GoetheUniversität von 1976 bis 1983 arbeitete sie als Lektorin, Übersetzerin und Rundfunkmoderatorin. Neben mehr als zehn Sachbüchern hat Cora Stephan ein gutes Dutzend Romane veröffentlicht.

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Foto: Einprozent.de

BÜCHER

Klug und pointiert: Thor v. Waldstein reflektiert das Eigene.

Zurück zu uns selbst

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m häufigsten müssen sich Konservative und Rechte wohl fragen lassen – vom Verhältnis zu „Menschenrechten“ einmal abgesehen –, was genau es eigentlich ist, das sie zu bewahren bzw. (wieder) zu erkämpfen wünschen. Manch einer kommt da schnell ins Schwimmen: Wie wollen deutsche Rechte die realpolitischen Bedürfnisse des Stuttgarters mit jenen eines Einwohners des „Chemiedreiecks“ in Sachsen-Anhalt in Einklang bringen, vom gänzlich unterschiedlichen kulturellen Selbstverständnis einmal abgesehen? Wie positionieren sich österreichische Rechte und österreichische Konservative zueinander, die theoretisch ungefähr gleiche Interessen haben sollten, aber realiter aus anderen Sternensystemen zu stammen scheinen? Ein wesentlicher Schwachpunkt dieser Milieus mag sein, dass in unseren „diskursfreudigen“ Zeiten jeder kontroversielle Standpunkt schnell in Scheinargumenten und Endlosdebatten aufzulösen ist. Das gilt umso mehr im deutschsprachigen Raum: Wohl nirgends ist das spezifisch abendländische seltsame Unbehagen am Eigenen so

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L intensiv ausgeprägt wie im Herzland Europas. Wird überhaupt von „Volk“ gesprochen, verziehen viele Zeitgenossen bereits das Gesicht; geht es konkret um das „deutsche Volk“, wird die Situation erst recht ungemütlich. Nicht viel anders ergeht es dem Schlagwort „Nation“, und der doch eigentlich unmittelbar damit verbundene „Staat“ darf maximal noch als passives, zahn- und rückgratloses Gehäuse bestehen, aus dessen Reserven sich die verschiedenen Interessengruppen freimütig bedienen. Einer möglichen Rückbesinnung auf den ursprünglichen Bestand der Unsrigen den Weg zu bereiten, schickt sich der politische Publizist Thor v. Waldstein mit seinem Grundlagenwerk „Der Zauber des Eigenen“ an. Dass dafür eine schmale Broschüre nicht ausreicht, ist klar – Interessenten sollten sich von den über 350 Seiten nicht schrecken lassen, ist dieses Buch doch ebenso reichhaltig wie kurzweilig verfasst. In neun Abschnitten, die sich von der Zeit Rousseaus (1712–1778) bis in unsere unmittelbare Gegenwart erstrecken, folgt Waldstein dem Echo des Dreiklanges Volk-Nation-

Staat durch die deutschen Epochen, herausgearbeitet an ihren jeweiligen Dichtern und Denkern. Interessant ist dabei die Einstufung des Wilhelminischen Kaiserreiches als „Interregnum“; der wahre Verfall setzt für den Autor dann mit der physischen und psychischen Zersplitterung des deutschen Volkes und Staates nach 1945 ein, wiewohl bis heute die Stimme des Widerstandes klingt. So klingen auch die Stimmen der Schriftsteller, die Waldstein virtuos (be-) greifbar macht. Ihm ist ein glänzendes Stück nationaler Bildung gelungen, zu dem man aus Sehnsucht nach Schicksal und Tiefe ebenso wie aus gelegentlicher Muße greift.

Thor v. Waldstein Der Zauber des Eigenen Landt Verlag, Berlin 2021, 364 Seiten ISBN 978-3-948075-62-0 A € 37,10 / D € 36,00

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DE R B U C H TI PP

BÜCHER

Schluss mit lustig – Grosz dreht auf

Gerald Grosz legt eine beachtliche Schlagzahl an den Tag: Dies ist schon sein drittes politisches Buch, und der Stoff wird ihm dank türkisem Sumpf und „Corona“-Wahnsinn sicher auch weiterhin nicht ausgehen. Die schärfsten Kommentare diesseits der Hofburgmauern – mit einem flammenden Plädoyer für die Freiheit! Gerald Grosz: Freiheit ohne Wenn und Aber Ares Verlag, Graz, 2021, 186 Seiten, € 20,00

Ende mit Schrecken – oder umgekehrt?

Der Journalist Robin Alexander – ehemals „taz“, heute stellvertretender Chefredakteur der Springer-„Welt“ – sorgte 2017 mit „Die Getriebenen“ für Aufregung, in dem er das Dilemma der MerkelRegierung angesichts der Migrantenwelle aufdeckte. Mit dem Niedergang der CDU als Folge beschäftigt er sich nun – ein Lehrstück. Robin Alexander: Machtverfall. Merkels Ende und das Drama der dt. Politik Siedler Verlag, München, 2021, 384 Seiten, € 20,60

Denkt denn niemand an die Kinder?

Schon seit Längerem wird die Frage gestellt, ob wir uns nun mit einer „Generation Corona“ konfrontiert sehen. Kinder und Jugendliche, die mehr als ein Jahr lang nicht sorgenfrei Zeit mit Freunden verbringen konnten, ausgefallene Schulprüfungen … Was kann das für Langzeitfolgen haben? Dieser Immunologe spricht Klartext! Stefan W. Hockertz: Generation Maske.Corona:Angst und Herausforderung Kopp Verlag, Rottenburg, 2021, 190 Seiten, € 20,60

Was vom Barras übrig blieb

Wo „Heimat“ ein Tabubegriff ist, gibt es auch keine Heimatfront. Gekämpft wird trotzdem. Gerade erst hat Sönke Neitzel im „Spiegel“ die Deutschen bzw. ihre Regierung als außenpolitisch „hilflose Zuschauer“ gescholten. Das ist kein allzu mildes Urteil vom einzigen Universitätsprofessor für Militärgeschichte der Bundesrepublik. Ende letzten Jahres hat der Potsdamer Ordinarius mit „Deutsche Krieger“ so etwas wie eine identitätsgeschichtliche Studie des deutschen Soldaten vorgelegt – mit Fokus auf dessen Existenz im Spannungsfeld von (zumindest potenziellem) Kämpfen, Töten und Sterben sowie einem Ethos des Kriegers. Das ist eine Position, die viele Bundesbüger nur allzu gern zu verdrängen scheinen. In diesem Sinne liegt die teils untergriffige Kritik einschlägiger Fachkollegen an Neitzels Quellenwahl, der kein „substanzielles Korrektiv“ gegenübergestellt sei, auf einer Linie mit Berliner Berufspolitikern, die Bundeswehrsoldaten im Auslandseinsatz das Tragen bequemer, aber nicht vorschriftsgemäßer Kleidung nicht zugestehen wollen. Hochinteressant! N° / 13 / JULI 2021

Sönke Neitzel: Deutsche Krieger Propyläen, Berlin 2020, 816 Seiten, A € 26,80 / D € 26,00

Nach der Wahl ist … … nicht nur vor der Wahl. Es ist auch ein Zustand höherer Klarheit über Dinge. So verhält es sich bei den Deutschen jetzt – nach der Landtagswahl in SachsenAnhalt und vor der Bundestagswahl im September – auch mit all den wohlfeilen „Analysen“ von Mainstream-„Experten“ zur Alternative für Deutschland (AfD). Tragisch ist das für engagierte Journalisten, wie hier Katja Bauer, „Stuttgarter Zeitung“, und Maria Fiedler, „Tagesspiegel“. Natürlich sind sie nicht die einzigen (Berufs-)Betroffenen, haben das unerwartete Entstehen, der unerwartete Aufstieg und die ebenso unerwartete Beharrlichkeit der AfD seit 2013 doch mittlerweile einige Hundert Bücher gezeitigt, die sich in ihrer Weisheit und Hysterie gegenseitig zu überbieten suchen. „Die Methode AfD“ bildet da keine Ausnahme, versucht sich jedoch an Grundlagenarbeit im Sinne des im „Kampf gegen rechts“ schon länger beliebten Spagats zwischen „Die sind so gefährlich!“ und „Die sind so lächerlich!“. Da soll dann die Partei sich beständig „selbst radikalisieren“, die „Erinnerungskultur in Gefahr“ bringen und kämpferisch für ein „Kammerflimmern im Herz der Demokratie“ sorgen – drunter macht man’s nicht! (Hämische Betrachter könnten angesichts der letztgenannten Formulierung ganz reaktionär meinen, es gäbe tatsächlich nur zwei Geschlechter, von denen lediglich eines zu solch einer Windung imstande wäre …) Nach der LSA-Wahl ist allemal klar, dass auch die ständigen medialen Spaltversuche („Richtungskampf “, „zwei Parteien in einer“) nicht verfangen und die Weichspüler im Zweifel für die schlechteren Ergebnisse sorgen. Bauer und Fiedler, tatsächliche Vorzeigedamen ihrer (v)erklärenden Zunft, sind mit ihrem so neuen Buch bereits wieder frappierend unaktuell – und sollten vielleicht umschulen, ihre bestürzend biodeutschen Namen wären da bereits eine Anregung. Katja Bauer / Maria Fiedler: Die Methode AfD Klett-Cotta, Stuttgart 2021, 326 Seiten, A € 20,60 / D € 20,00

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Die seit vielen Jahren monatlich erscheinende Zeitschrift

SCHIFFE - MENSCHEN - SCHICKSALE

hat sich mit spannenden auf Tatsachen beruhenden Darstellungen und vielen Informationen einen sicheren Platz bei allen Schiffahrtinteressierten geschaffen. Der Leser wird über das Schicksal von Seglern, Tankern, Passagier-, Handels- und Kriegsschiffen aller Klassen, Epochen und Nationen informiert, besonders über Hintergründe und Ursachen spektakulärer Schiffsuntergänge und -unglücke sowie über denkwürdige Ereignisse zur See in Friedens- und Kriegszeiten. Augenzeugenberichte, die Mitarbeit bedeutender Sachbuch autoren und umfangreiche Illustrierung mit zum Teil noch unveröffentlichten Bildern runden die beeindruckenden Dokumentationen ab. Die Sammlung umfaßt nunmehr über 260 Ausgaben und 10 Sonderhefte, die sich mit speziellen Themen, wie z.B. besonderer Seeschlachten oder dem Schicksal in den Weltmeeren gestrandeter deutscher Seeleute beschäftigen.

WWW.DENKMAL ERHALTUNGSVEREIN.DE

HIER KÖNNEN SIE HELFEN!

BURSCHENSCHAFTSDENKMAL EISENACH Bitte unterstützen Sie unsere Arbeit mit einer Spende und werden Sie Mitglied im Denkmalerhaltungsverein (DEV. e.V.)

WIEDERHERSTELLUNG DER STATUEN UND GEDENKTAFELN IM INNENRAUM

Hier können Sie Wir fanden Sponsoren für die helfen!

RESTAURIERUNG DES RELIEFS IM GRUNDSTEIN Der schwer beschädigte Zirkel mit zentralem Grundstein soll wieder hergestellt werden und erneut den Denkmalmittelpunkt bilden. Spender gesucht.

5 Statuen von Kaiser Wilhelm Bitte unterstützen I., Großherzog Carl-August von Sie unsere Arbeit mit einer Spende Sachsen-Weimar-Eisenach, damit wir Projekte wie dieses realisierenund können Reichskanzler Bismarck die Spendenkonto: beiden Feldmarschalle Moltke IBAN DE66 8405 5050 0000 2077 72 BIC HELADEF1WAK, und Roon. Herzlichen Dank! Wartburg Sparkasse, Verwendungszweck: PR010-2022Grundstein

Projektdaten: Kosten: 9.000,- € Geplante Umsetzung zurzeit unbekannt

oder e! Projektdaten: onlin Kosten pro 3D Statue: 2.190,- € www.denkmalerhaltungsverein.de/spende Fertigstellung im März 2021

Projektdaten:

Kosten für Erneuerung rd. 10.000,-€ geplante Umsetzung: unbekannt

Bitte verwenden Sie folgenden Verwendungszweck: PR001-2020Wandtafel

Bestellformular

Ich möchte folgende Ausgaben von SMS bestellen: Heft-Nr.: Name Anschrift PLZ Ort

Bitte verwenden Sie folgenden Verwendungszweck: weise aus. Örtliche Wiesenbesitzer benutzten das PR010-2022Grundstein Denkmal zweckentfremdent als Batterie Zwischen-

AUSBAU EINES PLATEAUS ZUR TERRASSE FÜR GÄSTE UND WANDERER

lager. Die austretende Batteriesäure setzte dem Stein zusätzlich zu. Auch heute sind noch Reste von einzelnen Säurespritzern am Boden erkenntlich. Somit ist der heutige Zustand auf dem obigen Bild zu erklären. Der große Burschenschafterzirkel, ursprünglich als Erkennungszeichen erfunden in seinen Kurzformelementen Ehre-Freiheit-Vaterland weist starke Beschädigungen auf, die trotz provisorischer Ausbesserungsarbeiten nicht behoben werden konnten.

WIEDERHERSTELLUNG DER BLEIVERGLASTEN FENSTER Hier können Sie Die aufwendig mit Originalscherhelfen! www.denkmalerhaltungsverein.de/aktuelle-projekte

Auf dem Plateau vor dem Wir planen daher, den Grundstein bis zu 5 cm abzuHier können fräsen Sieund eine restaurierte Steinplatte einzulassen. Denkmal soll eine zusätzliche Um künftig den Stein vor Substanzverlust zu schüthelfen! zen,für wird die Oberfläche mit einer 1 cm SicherheitsBewirtungseinrichtung glasplatte versehen. www.denkmalerhaltungsverein.de/Spenden-Förderer Bitte unterstützen Sie unsere die Besucher entstehen. Arbeit mit einer Spende Spender damitgesucht. wir Projekte wie dieses

ben renovierten Mosaikfenster Bitte unterstützen Sie unsere werden mit Panzerglas gegen Arbeit mit einer Spende damitVandalismus wir Projekte wievon dieses zukünftigen realisieren können außen geschützt. Spendenkonto:

realisieren können

IBAN DE66 8405 5050 0000 2077 72 BIC HELADEF1WAK, Wartburg Sparkasse, Verwendungszweck: PR003-2021Glas

Spendenkonto:

IBAN DE66 8405 5050 0000 2077 72

BIC HELADEF1WAK, Wartburg Sparkasse, Projektdaten: Verwendungszweck: PR009-2030Rastplatz Kosten: 40.000,- € er e! lin GeplanteodonUmsetzung zurzeit unbekannt www.denkmalerhaltungsverein.de/spende

er

Projektdaten:odonline! Kosten: 52.000,- € www.denkmalerhaltungsverein.de/spende Umsetzung im Mai 2021 Projektdaten:

Kosten des Sicherheitsglases rd. 60.000,-€ geplante Umsetzung: bereits in Umsetzung

Projektdaten:

Kosten für Erschließung rd 20.000,-€

Datum

Nach der Entfernung des beschädigten Mobiliars kam das Relief des „vergessenen Burschenschafterzirkels“ als Teil des Grundsteins in der Bodenmitte des Burschenschaftsdenkmals wieder zum Vorschein. Es hat die vergangenen 119 Jahre nicht unbeschädigt überstanden und soll bis zur 120 Jahrfeier 2022 restauriert werden.

Der Grundstein wurde ursprünglich 1897 auf dem städtischen Wartenberg gelegt, weitab von der Stadt. Nach erfolgter Schenkung des Grundstückes auf der Göpelskuppe an die Deutsche Burschenschaft durch die Erben der Familie Bornemann wurde dieser im Jahre 1900 dorthin verlegt. Seit der Eröffnung des Burschenschaftsdenkmals 1902 bildet er den Mittelpunkt des Denkmalinneren. Er hat seitdem Kriege, Wirtschaftsdepressionen, Diktaturen, Vernachlässigungen, Teilungen und Vandalismus überstanden und nationale Teilwiedervereinigungen miterlebt. Während der 40jährigen DDR-Zeit kamen schwerwiegende Substanzverluste hinzu. Eintretendes Regenwasser höhlte den Grundstein über die Zeit teil-

geplante Umsetzung: unbekannt Bitte verwenden Sie folgenden Verwendungszweck: PR009-2030Rastplatz

Bitte verwenden Sie folgenden Verwendungszweck: PR003-2021Sicherheitsglas

Unterschrift Anzeige ausschneiden und in einem ausreichend frankierten Kuvert an den Verlag senden (Anschrift siehe unten)

SMS Verlag für Marinegeschichte UG (haftungsbeschränkt) 10783 Berlin · Postfach 30 22 26 · Tel. 0171/ 74 66 000 E-mail: VerlagSchiffeMenschenSchicksale@gmx.de Eine komplette Übersicht aller erschienenen Hefte sowie Bestellmöglichkeiten im Internet:

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Die Vierteljahresschrift T UMULT ist heute für rechte Intellektuelle das, was Enzensbergers KURSBUCH 1968 für die Linke war. Brillante Essays, Forschungen und Tiefengrabungen im Zeitgeist … Matthias Matussek, Tichys Einblick

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KOLUMNE

Das Letzte (13):

„Girls will be boys and boys will be girls It’s a mixed up, muddled up, shook up world …“

Martin Lichtmesz wurde 1976 in Wien geboren. Nach Jahren in Berlin lebt er inzwischen wieder in seiner Heimat und arbeitet als freier Publizist.

Die Toleranz gegenüber sexuellen Minderheiten wird missbraucht, um die Gesellschaft in ein radikaleres Fahrwasser zu führen und zu indoktrinieren.

Im Juni war ganz Wien mit der „Regenbogenfahne“ beflaggt. Es gab kaum eine öffentliche Institution, die davon verschont blieb: Ich sah schwule Rathäuser, schwule Krankenhäuser, schwule Altenheime, schwule Kindergärten, schwule Straßenbahnen, schwule Zebrastreifen, schwule Kirchen, schwule „Begegnungszentren“, schwule Geschäfte und schwule Fahrkartenautomaten, ganz zu schweigen von den schwulen Ampeln, deren Händchen haltende Männchen uns das ganze Jahr hindurch zur „Toleranz gegenüber anderen Lebensformen“ ermahnen. Als wäre es niemals anders gewesen, „feierte“ auch die Stadt Wien den aus den USA stammenden „Gay Pride Month“, der erstmalig 1999 von Bill Clinton ausgerufen wurde. Damit wurde der „Christopher Street Day“, ein „Feiertag“ der New Yorker Schwulenszene, auf einen ganzen Monat ausgedehnt und in den Rang eines Nationalheiligtums erhoben. 20 Jahre später bekräftigte Joe Biden diese Agenda, indem er einen prominenten Posten im amerikanischen Gesundheitsministerium mit einem Transsexuellen besetzte, der aussieht, als hätte er in „Das Schweigen der Lämmer“ mitgespielt. Die internationale Presse spielt die Scharade mit und bezeichnet dieses offenkundig männliche Lebewesen geschlossen als „Frau“. Aus der Sache einer kleinen, aber lautstarken Subkultur ist ein maßloser Homo- und Transsexuellenkult erwachsen, der weltweit von Regierungen angeordnet und von Großkonzernen und der Unterhaltungsindustrie propagiert wird. Die Glorifizierung der „LGBTIQ*-Community“, wie es aktuell korrekt heißt (Lesbian, Gay, Bi, Trans, Intersex und Queer), ist nun auch in Österreich offizielle Staatsideologie. Der Staat nötigt seine Bürger zur Anerkennung und Zustimmung zu dieser Ideologie, egal ob sich diese mit den Werten, dem Lebensstil oder dem Selbstverständnis der Repräsentanten und Lobbyisten der Buchstabensuppe identifizieren oder nicht. Als Teilbereich der „Diversity“-Doktrin steht die LGBT-Agenda hierarchisch nur knapp unter dem „Antirassismus“, der auf ähnliche Weise permanent rituell beschworen wird. Schwule, Lesben, Transsexuelle und „Genderfluide“ werden zur Avantgarde eines neuen, progressiven Menschentums stilisiert, gleichsam zu höheren Lebewesen, deren Neigungen, Neurosen und Zumutungen nicht kritisiert

werden dürfen. Wer sich ablehnend äußert oder auch nur den Jubel verweigert oder gegenüber „nonbinären“ und sonstigen Vertretern dieses Genres falsche Geschlechtspronomen benutzt, läuft Gefahr, sozial stigmatisiert zu werden. Somit ist die Regenbogenfahne zum Symbol einer totalitären Praxis und einer wachsenden sozialen Kontrolle geworden. „Die neuen Schwulen“ sind die „Homophoben“ und „Rassisten“, Etiketten, die allen verpasst werden, die sich dieser und anderen globalistischen Doktrinen nicht fügen wollen. Die Ideologie hinter den bunten Farben wird der breiten Öffentlichkeit oft nur vage und verwässert kommuniziert. Die meisten Menschen assoziieren mit dem LGBT-Regenbogen Schlagworte wie „Toleranz“, „sexuelle Freiheit“, „Vielfalt“ oder „Respekt“, Begriffe, die jeden konkreten Sinn verloren haben oder orwellianisch in ihr Gegenteil verkehrt wurden. Der Kern des LGBT-Kultes ist jedoch ein radikaler Konstruktivismus, der die biologischen Voraussetzungen von Geschlechterrollen und -identitäten negiert und danach trachtet, die mit ihnen verbundenen traditionellen Wertvorstellungen aufzulösen und umzukehren. Es geht hier schon lange nicht mehr um die Rechte von sexuellen Minderheiten, sondern um einen Generalangriff auf die „heterosexuelle“ Normalität, auf die Institution der Ehe, auf die Kernfamilie, auf den Sinn der Begriffe „Mann“ und „Frau“ überhaupt. Die abweichende „sexuelle Identität“ wird zum Zentrum einer narzisstischen „Selbstverwirklichung“ und dient zugleich als Ausweis und Gradmesser der eigenen „progressiven“ Moral. Die ohnehin schon reichlich vorhandene und kaum mehr infrage gestellte Bereitschaft der meisten Menschen zur Toleranz gegenüber sexuellen Minderheiten wird missbraucht, um die Gesellschaft in ein radikaleres Fahrwasser zu führen und eine neurotisierende Indoktrination vor allem von Kindern und Jugendlichen voranzutreiben. Wohin die Reise geht, zeigen erschreckende Entwicklungen in Nordamerika, wo bereits mit Hilfe von Pubertätsblockern und anderen hormonellen Behandlungen ganze Heerscharen von „Transgender-Kindern“ herangezüchtet werden. Hinter „LGBT“ steckt ein riesiger politisch-akademisch-medial-industrieller Komplex, in dem es um sehr viel Macht und sehr viel Geld geht.


Dagmar Belakowitsch FPÖ-Klubobmann-Stv.

Susanne Fürst FPÖ-Klubobmann-Stv.

„Impf-Finger weg von unseren Kindern!“

Die WHO gibt keine Empfehlung für die Impfung von Kindern und Jugendlichen ab Schwere Verläufe sind bei Kindern extrem selten Zahlreiche Ärzte sehen die Impfung von Kindern äußerst kritisch Keine Langzeitstudien betreffend Nebenwirkungen bei Kindern und Jugendlichen

www.fpoe.at


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Bücher

10min
pages 96-98

Kolumne: Das Letzte

3min
pages 99-100

Einmal normal, bitte

16min
pages 88-93

Dummheit ist nicht ihre Stärke

4min
pages 94-95

Eine glimmende Glut“

7min
pages 76-79

Die Metapolitik der Muslimbrüder

19min
pages 56-65

Weiße Elefanten

18min
pages 80-87

Alles muss in Flammen stehen?

22min
pages 48-55

Mach mich grün

14min
pages 42-47

World Wide Webzensur

15min
pages 34-41

Editorial

2min
page 3

Volksfeindlich und Anti-Deutschland“

16min
pages 10-17

Zurück in die Zukunft

4min
pages 32-33

Kurz & bündig aktuelle Neuigkeiten

3min
pages 8-9

Politik und Medien

7min
pages 28-31
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