Am Wegesrand grosser Geschichte(n)

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Appenzeller Verlag Leseprobe

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Sabine August

Am grosserWegesrandGeschichte(n)

Das Gasthaus Krone Wald-Schönengrund

Die Herausgabe dieses Buches haben unterstützt:

Kanton St. Gallen Kulturförderung | Swisslos, St. Gallen

Stadt St. Gallen Kulturförderung, St. Gallen

Verein Kultur Toggenburg, Wattwil

Gemeinde Neckertal, Mogelsberg

Steinegg Stiftung, Herisau

Metrohm Stiftung, Herisau

Dr. Fred Styger Stiftung, Herisau

Jakob und Werner Wyler-Stiftung, Zürich

Lienhard-Stiftung, Degersheim

TISCA Tischhauser Stiftung, Bühler

Susanne und Martin Knechtli-Kradolfer-Stiftung, St. Gallen

Max und Erika Gideon-Stiftung, Zürich

Schweizerischer Israelitischer Gemeindebund SIG, Zürich

© 2022 by Appenzeller Verlag, CH-9103 Schwellbrunn

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Radio und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

Gestaltung Umschlag/Inhalt: Brigitte Knöpfel

Gesetzt in Source Serif und Source Sans

Druckvorstufe: Verlagshaus Schwellbrunn

ISBN 978-3-85882-859-0 www.appenzellerverlag.ch

Inhalt

Einleitung

Der Beginn einer neuen Ära

Der Bauherr und die nachfolgenden Besitzerinnen und Besitzer der «Krone»

Die «Kronen»-Paare seit 1918

Zur Architektur der «Krone»

Das Toggenburger und das Appenzeller Bauernhaus

Die Bedeutungen der einzelnen Bauelemente

Vom Ausbau der Toggenburger Landstrassen

Transport- und Verkehrsprobleme

Einfache Verbindungsstrecke oder bedeutende Kantonsstrasse?

Vom Postverkehr zur Postkutschen-Relaisstation

Cursus Publicus, Botendienste, Posita Statio

Posteinrichtungen und Postkutschenwesen ab Ende des 15. Jahrhunderts

Postkutschen-Relaisstation

Das «Post-Bureau Schönengrund» in der «Krone»

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57 Zur Geschichte des Gasthauses Krone

Erste Übernachtungsmöglichkeiten für Reisende

Äbtische «Wirthen-Ordnung»

Gaststätten als Orte des Gemeinschaftslebens und Meinungs bildungsstätte

Die Wirtinnen der «Krone»

Kulturelles Leben im «Kronen»-Saal – Versammlungsort, Aufführungsbühne und Vereinslokal

Rückblick und Zukunft für das Gasthaus Krone

Ferienkolonie für Zürcher Kinder aus ärmlichen Verhältnissen

Herausforderungen, aus denen die Ferienkolonien hervorgingen

Die Idee der Ferienkolonien – Pfarrer Walter Bions Fürsorge-Einrichtung

Körper und Geist der Kinder mit pädagogischen Massnahmen stärken

Organisationsstruktur der Stiftung Zürcher Ferienkolonien

Aufnahmekriterien und Auswahlverfahren

Alle Jahre wieder: Vorbereitungen, Anreise und Abschied in der Ferienkolonie

Die Prinzipien: Verpflegung – Körperhygiene –Bewegung und Ruhe

Die «Krone» wird Ferienkolonie

Krisenjahre: Die beiden Weltkriege und die Jahre dazwischen

Ende der Ferienkolonien in der «Krone» – Beginn der Spezialkolonien

Jahresberichte – Resümees

Das jüdische Flüchtlingslager Wald-Schönengrund

Der «Anschluss» Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich

Flucht in die Schweiz

Die offizielle Flüchtlingspolitik der Schweiz

Die humanitäre Hilfe des Polizeihauptmanns Paul Grüninger

Die Israelitische Flüchtlingshilfe in St. Gallen

Zuteilung zur Gemeinde St. Peterzell

Arbeitslager ab 1940

Das Gasthaus Krone wird Emigrantenlager

Verbotene Liebe und der Tod

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141 Militärinternierte während des Zweiten Weltkriegs

142 Die Internierungen nach dem Haager Abkommen

143 Internierungen im Toggenburg

145 Arbeitsverbot für Militärinternierte

146 Freizeitgestaltung gegen den «Lagerkoller» – Über Heimweh, Langeweile und Ungewissheit

147 Zwischen Interesse, Schaulust, Angst, Kritik und Ablehnung

149 Internierungen in Wald-Schönengrund

151 Ein deutscher Privatinternierter in der «Krone» 1950

153 Der Campingplatz im Kronenfeld

154 Wildes Zelten in den 1930er-Jahren – Lebensreformerische Freiheitsbewegung

156 Die Ideologie des Zeltens und die Grenzen der Freiheit

157 Ferien auf dem Campingplatz seit den Nachkriegsjahren

161 Die Komfortansprüche steigen

165 Der Campingplatz Kronenfeld – vor allem ein Residenzplatz

168 Gruppenbildung – Gruppendynamik

171 Die Rolle der «Krone» bei der Entwicklung des lokalen Fremdenverkehrs

179 Schlussbemerkung

183 Anmerkungen

Literatur- und Quellenverzeichnis 204 Abbildungsverzeichnis

Die Autorin

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10 Einleitung

Einleitung

Die KRONE in Wald-Schönengrund war seit jeher Mittelpunkt des gesellschaft lichen, kulturellen und gastronomischen Lebens im oberen Neckertal , so fasst es der «Kronen»-Wirt Willi Klauser 1993 im Vorwort seiner Chronik zum 75-Jahr-Jubiläum des Gasthauses zusammen. Darin erinnert er sich an zahlreiche Begebenheiten, Vorkommnisse und Überlieferungen bis in die 1960er-Jahre hinein, mit dem Wunsch, dass diese nicht in Vergessenheit geraten mögen. Die «Kronen»-Geschichte geht indessen viel weiter zurück. Sie beginnt am Anfang des 19. Jahrhunderts.

Das Hotel Krone liegt in Wald im Kanton St. Gallen, das mit dem ausser rhodischen Schönengrund eine Dorfgemeinschaft bildet, ein einmaliger Zusammenschluss. Trotz der Gemeinde- und Kantonsgrenzen wuchsen die beiden Orte zu Beginn des 19. Jahrhunderts dank des Textilgewerbes wirt schaftlich und gesellschaftlich zusammen. Darüber hinaus sind sie im Ver einswesen gemeindeübergreifend organisiert. So tragen fast alle Vereine die Doppelbezeichnung Schönengrund-Wald oder Wald-Schönengrund. Im Schulwesen sind beide Dörfer ebenfalls miteinander verbunden. Die Kin der gehen in die Schönengründler Primarschule, die älteren besuchen die weiterführende Schule in St. Peterzell.

Als Schauplatz und Zeitzeugin von über 200 Jahren Toggenburger Wirt schafts-, Sozial- und Kulturgeschichte ist die «Krone» eine wertvolle Quel le. In ihr spiegelt sich eindrücklich, wie die damaligen und heutigen Besit zer die Herausforderungen der jeweiligen Zeitströmungen kreativ meister ten. Während ihrer wechselvollen Vergangenheit hatte sie viele Funktio nen. Sie beherbergte nach dem Ausbau der Hauptverkehrsachse eine Post kutschenstation mit Pferdestallungen zum Wechseln der Pferde. Ebenfalls zu jener Zeit begann die «Krone» als Gasthaus, ein Ort der politischen Mei nungsbildung zu sein. Mit einem Veranstaltungssaal und einer Kegelbahn sorgte sie für gesellschaftliche und sportliche Vergnügungen.

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1918 wechselten die Besitzer, und eine neue Ära begann. Schon bald spielten und lachten Zürcher Kinder vor der «Krone», um über viele Jahre hinweg die Sommerfrische zu geniessen. Die Verfolgungen durch den deutschen Nationalsozialismus machten die «Krone» ab August 1938 jahre lang zu einem Auffanglager für jüdische Flüchtlinge aus Österreich. Die 1950er-Jahre brachten den wirtschaftlichen Aufschwung und mit ihm ein neues Phänomen, Ferien auf dem Campingplatz, so auch hinter dem Gast haus im Kronenfeld. Auf die Sommerfrischler folgten die Wintergäste, so dass die «Krone» in den 1960er-Jahren ein Treffpunkt der Skifahrer und Skifahrerinnen wurde.

In dieser Publikation wird die «Krone» nicht nur als geschichtsträchti ger Hotspot am Rande des Kantons St. Gallen verortet. Sie wird gleichzeitig in den Kontext sowohl der Toggenburger als auch der gesamteuropäischen Zeitgeschichte gestellt.

12 Einleitung

Der Beginn einer neuen Ära

Johann Ulrich Fitzis Ansicht Schönengrund und Wald, 1821.

Beginn einer neuen Ära

Auf einer 1821 entstandenen Aquarellzeichnung von Johann Ulrich Fitzi1 ist das Gebäude der heutigen «Krone» deutlich zu erkennen, somit besteht es mindestens seit 200 Jahren.

Die Konsultationen der Lagerbücher der kantonalen Brandversiche rungsanstalt im Staatsarchiv St. Gallen2 förderten zutage, dass das Wohnhaus um 1815 erbaut worden ist – genau zu Beginn der Biedermeierzeit, dem An brechen einer neuen Ära nach den politischen Umwälzungen durch die Fran zösische Revolution. Das atmosphärische Klima der Schweiz jener Epoche beschreibt der Heidener Biedermeier Verein folgendermassen:

Die Französische Revolution von 1789 brachte Napoleon Bonaparte an die Macht. Die Kriege, die er führte, ruinierten Europa. Der Wiener Kon gress löste in den Jahren 1814/1815 das Kaiserreich von Napoleon auf. Die Menschen sehnten sich nach einer neuen Zeit, die Frieden, Sicherheit und Wohlstand bringen sollte. Doch die österreichischen und preussi schen Regierungen befürchteten, dass die Ideen der Französischen Re volution auch in den neuen Reichen Fuss fassen könnten und Unruhen

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verursachen würden. Deshalb verhängten sie sofort eine strenge Zensur. Stark eingeschränkt wurden insbesondere die Versammlungsfreiheit, die Redefreiheit und die Pressefreiheit. Das Volk beugte sich der Zensur und begann, sich auf innere Werte zu besinnen. Werte wie Familie, Tra ditionen und Kunsthandwerk, aber auch des Gesellschaftslebens im klei nen häuslichen Kreise und damit die Hausmusik standen im Mittelpunkt des Alltags. Diese neuen Sinnes- und Lebensformen beendeten die Zeit des Rokokos und führten in die Biedermeier-Zeit.3

Zu dieser Zeit pflegten gutsituierte Familien ihr gesellschaftliches und reli giöses Leben in der privaten Zurückgezogenheit. Die Grosszügigkeit der Liegenschaft Krone war durchaus für diese Zwecke geeignet.

Der Bauherr und die nachfolgenden Besitzerinnen und Besitzer der «Krone»

Um 1815 liessen Josua Scherrer (1768–1836)4 und seine Frau Anna Barbara Meier (1767–1823) die Liegenschaft im Toggenburger und Appenzeller Bau ernhausstil erbauen. Josua Scherrer wurde als Doktor von St. Peterzell be zeichnet. Ob er dort als Arzt tätig war oder diesen Titel anderweitig erhielt, lässt sich nicht eruieren. Er fungierte von 1809 bis 18315 als «mittelbar»6 ge wählter Kantonsrat. Politiker jener Zeit erhielten für ihre Tätigkeit auf grund des Milizsystems kein Gehalt, lediglich Sitzungsgelder. Die Vorteile eines solchen Amtes lagen vor allem in der vorzeitigen Kenntnisnahme über diverse Vorgänge in der Gemeinde wie zum Beispiel über Landver käufe oder andere Geschäfte. Dieses Wissen konnten sie zu ihrem Vorteil nutzen oder für Neuregelungen einsetzen. In jedem Fall verfügten Politi ker über Einfluss und grosses Ansehen. Josua Scherrer war indessen ver mögend genug, um ein ansehnliches und grosses Gebäude errichten zu las sen. Es ist zu vermuten, dass er sein Vermögen im Textilgewerbe von WaldSchönengrund erwarb.7

Josua Scherrers jüngster Sohn Christian (1801–1867) erbte das Haus nach dem Tod seines Vaters 1836. Auch er hatte ein politisches Amt inne und war als Ammann und Verwaltungsratspräsident der St. Peterzeller Ortsbürgergemeinde tätig. Doch schon bald, im Jahr 1838, gab er die Lie genschaft wieder auf. Aus welchen Gründen geht aus den Lagerbüchern nicht hervor.

Christian Scherrer verkaufte an Isaak Büchler. Zur gleichen Zeit ent standen eine Postablagestelle und ab 1839 eine Postkutschenstation für Wald-Schönengrund in der Herberge und Gaststätte zur Krone,8 die sich damals fünfzig Meter unterhalb des heutigen Hauses befanden.9 Dort ar

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Der Beginn einer neuen Ära

beitete Isaak Büchler ab 1849 dreizehn Jahre – bis er 1862 sein Haus ver kaufte – als Posthalter.10

Er und seine Frau Anna Katharina Steiger (1806–unbekannt) liessen 1852 östlich vom Haupthaus einen Anbau mit Saal errichten, den sie 1855 erweiterten. Der Veranstaltungssaal war in der Bevölkerung beliebt. Das geht aus einem Brief einer Schönengründlerin an ihre Freundin in Winter thur hervor, die von einer gut besuchten Theateraufführung berichtete. Auch fanden dort öffentliche Versammlungen an Sonntagnachmittagen statt.11 Damit schaffte sich das Ehepaar ein zweites Einkommen.

Bis 1862 blieb die Liegenschaft in Isaak Büchlers Besitz. Danach wech selte das Gebäude für zwei Jahre die Besitzerin. Susanna Scherrer, eine Witwe, löste Isaak Büchler auch beruflich ab und übernahm die Postabla gestelle, bis sie die Liegenschaft an Johannes Anderegg verkaufte.

1864 erwarb Johannes Anderegg (1830–1905) 34-jährig das Anwesen und heiratete Louise Küchle (1838–1895). Die Postablagestelle und die Postkut schenstation wechselten nun auf sein Grundstück,12 und er wurde Susanna Scherrers Nachfolger als Posthalter. Unter seiner Eigentümerschaft ent

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stand auch das neue Gasthaus zur Krone. Vermutlich hatten die Gastwirte der alten «Krone» die Herberge und die Postablagestelle aus Altersgründen aufgegeben. Bereits zu dieser Zeit ist Johannes Anderegg auch in den Un terlagen des Bundespost-Archivs als Wirt 13 aufgeführt. Doch aus den La gerbüchern ist anderes zu erfahren, nämlich dass die «Krone» erst 187014 in seinem Wohnhaus in Betrieb ging.

Um die «Krone» neben dem Veranstaltungssaal noch attraktiver zu ma chen und um eine weitere Vergnügungsmöglichkeit zu verwirklichen, schuf Johannes Anderegg in der hinteren Scheune, der von Isaak Büchler erbauten Remise, eine Kegelbahn.15 Vermutlich gab ihm seine Wirtstätig keit inzwischen ausreichend zu tun, denn ab März 1872 wurde eine eigene Briefträgerstelle16 für den Zustelldienst geschaffen. Die Postablagestelle verblieb in seinem Haus, und er arbeitete weiterhin als Posthalter bis 1876.

Von links

Gasthaus Krone auf einer Postkarte, um 1901.

Kegel und Kugeln, Ende 19. Jahrhundert.

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Beginn einer neuen Ära

Ein Jahr nach dem Tod seiner Frau Louise 1895 übertrug Johannes An deregg die Liegenschaft, die sich 32 Jahre lang in seinen Händen befunden und die er massgeblich gestaltet hatte, auf seinen Sohn Jean (1868–1926). Er betätigte sich danach aktiv als Gemeinderatsmitglied.17

Jean Anderegg war bereits verheiratet mit Anna Rotach (1863–1933), als er 1896 die «Krone» übernahm. Schon vor der Übernahme bediente er die Postablage seit 1889.18 Er war ein ebenso geschäftstüchtiger Mann wie sein Vater. 1898 machte er aus der Postablagestelle das «Post-Bureau Schö nengrund». Mit einem darin untergebrachten Telegrafen hielt die Moder ne Einzug. Ein Jahr später erweiterte er den östlichen Anbau um ein Fens ter für eine breitere Bühne im Veranstaltungssaal. Ein Eiskeller für die Wirtschaft kam hinzu. Auf der Westseite vergrösserte er die Pferdestal lungen, um zusätzlich seine Grossfuhrhalterei weiterzuentwickeln.19

Jean Anderegg soll eine integre und starke Persönlichkeit gewesen sein, weshalb er ab 1906 in den Gemeinderat St. Peterzell gewählt wurde und so in die Fussstapfen seines Vaters trat. Von 1909 bis zu seinem Tod 1926 am tete er noch als Posthalter und zugleich als Gemeindeammann.20

Anstatt seinem Sohn das Grundstück und die Gebäude zu vermachen, verkaufte Jean Anderegg die Liegenschaft, wie Willi Klauser vermutet aus gesundheitlichen Gründen, am 2. Juni 1909 nach dreizehn Jahren Eigentü merschaft an Ernst Biehler, einem deutschen Staatsangehörigen. 21 Dieser übernahm darüber hinaus eine Benzinhütte, die auf dem Grundstück 1905 von der Automobilgesellschaft St. Peterzell-Herisau erbaut worden war.22 Ernst Biehler verwendete diese allerdings nicht mehr zur Lagerung von Benzin, sondern als Magazin.

Ab 1914, als der Erste Weltkrieg begann, musste Ernst Biehler mehr mals ins Deutsche Heer einrücken. Dadurch vernachlässigte er zwangsläu fig das Geschäft, was das vorläufige Aus für das Gasthaus Krone bedeutete. Generell waren die Zeiten in der Schweiz während des Kriegs turbulent und unsicher. Ernst Biehler meldete 1918 Konkurs an. Kurz bevor er auf gab, errichtete er jedoch noch ein kleines Gebäude für eine Acetylen-Anla ge zur Lichterzeugung.23

Am 20. März 1918 veröffentlichte das Amtsblatt des Kantons St. Gallen24 eine Anzeige des Konkursamtes Neutoggenburg zur Versteigerung der «Krone»:

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I. Versteigerung am 23. April 1918 Besitzer: Ernst Biehler, Wirt zur «Krone», Wald-Schönengrund

Grundpfand:

1. Das Gasthaus zur «Krone» Nr. 287, mit Anbau und Hintergebäude, assekuriert für Fr. 24 500.–

2. ein angebauter Saal mit Remise und Kegelbahn nebst Eiskeller, Nr. 288, assekuriert für Fr. 12 800.–

3. ein Waschhaus mit Acetylenanlage Nr. 544, assekuriert für Fr. 1800.–

4. eine feuerfeste Hütte Nr. 551, assekuriert für Fr. 700.–

5. Gebäudegrundfläche und Hofraum, 12 à 71 m2 messend.

6. Gartenland, 2 à 41 m2 messend. Schätzungssumme Fr. 38 000.–

Das Höchstgebot bei der Versteigerung lag bei 23 600 Franken. Entweder gab es noch kein echtes Kaufinteresse für die «Krone» oder der Preis war zu hoch. Für die Zwischenzeit konnte zumindest ein Pächter eingesetzt werden. Einen Monat später, am 28. Mai 1918, fand die zweite Versteige rung statt, die diesmal erfolgreich verlief.25

Von Irma Schwab-Klauser bemalte Kommode, 1975.

einer neuen Ära

An diesem Tag erwarb Johannes Steiner, ein Weinhändler aus Scheften au bei Wattwil, die Liegenschaft. Durch seine Reisetätigkeit kannte er Katha rina Klauser-Schafflützel, deren Eltern das Restaurant Sternen im Bendel in Kappel führten. Er machte ihr und ihrem Ehemann Ernst den Vorschlag, die «Krone» in vorläufiger Pacht zu übernehmen. Ab 1. Juli 1918 begann der Vertrag. Denn ob sich der Gasthausbetrieb rentieren würde, war nicht sicher. Durch den vorherigen Konkurs der «Krone» und die Krise der Nachkriegszeit zögerte das Ehepaar mit dem Kauf der Liegenschaft.

Die «Kronen»-Paare seit 1918

Die neuen Wirtsleute konnten durch die grosszügige Haltung Johannes Steiners einen Probelauf durchführen, bevor das Ehepaar die Liegenschaft am 1. Juli 1919 kaufte. Der hohe Zins für die Hypothek drückte, dennoch hielt sie die schwierige Zeit kurz nach dem Kriegsende nicht davon ab, sich auf Neues einzulassen. Tatkräftig machten sie sich daran, den Betrieb nach ihren Vorstellungen und Plänen einzurichten und zu führen.26

Der Scheunentrakt westlich des Wohngebäudes, die Scheune oberhalb der «Krone» sowie das dazugehörige Land im Kronenfeld hätten sie von den damaligen Besitzern, den Erben Andereggs, zwar ebenfalls erwerben können, doch das Ehepaar pachtete zunächst die Gebäude und das Land, bis ihnen der Zukauf dieses Kronenteils 1943 möglich war.27

20 Der Beginn
Fuhrunternehmen von Ernst Klauser mit Sohn Willi, 1930er-Jahre.

Von links

Tankstelle/Zapfsäule vor der «Krone», zwischen 1930er- und 1940er-Jahre.

Krone mit Zapfsäule und Brückenwaage, zwischen 1930er- und 1940er-Jahre.

Die neuen Eigentümer waren bereits 1918 mit einer Lichtquelle versorgt und damit auf die Zukunft vorbereitet. Strom gab es damals zwar noch nicht in Wald und Schönengrund, jedoch hatte der Vorbesitzer der Liegen schaft, Ernst Biehler, in einem kleinen, etwas entfernt liegenden Gebäude eine mit Acetylen betriebene Beleuchtungsanlage eingebaut. Ob es die ers te im Dorf war, ist nicht bekannt. Reibungslos schien sie nicht zu funktio nieren, denn Willi Klauser erzählt in seiner Chronik amüsiert über diese Kuriosität:

Im alten Waschhaus befand sich in einem gesicherten Nebenraum eine Acetylen-Anlage (Karbid-Kessel), welche das ganze Haus mit Leuchtgas belieferte. Alle 6 bis 8 Stunden, je nach Bedarf, musste ein neuer Korb mit Karbid in den Kessel eingefüllt werden. Während dieser Einfüllzeit und bis sich wieder genügend Gas gebildet hatte, war das Haus jeweils ohne Licht. Bei Abendunterhaltungen im Saal war es so, dass circa um Mitternacht das Leuchtgas ausging und der Saal für ungefähr 10 Minuten dunkel war oder mit Kerzen beleuchtet wurde. Während den verschiede nen Umbauten und Renovationen fanden wir immer wieder alte Gaslei tungen als Zeugen jener «guten, alten Zeit».28

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Beginn einer neuen Ära

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Bald kamen Neuerungen hinzu. Katharina Klauser besass ein gutes Ge spür für eine zeitgemässe Einrichtung der Pension. So konnte sie sich rüh men, in den Gästezimmern die ersten Waschtische mit fliessend kaltem und warmem Wasser im Dorf installiert zu haben. Damit konnte die Fami lie bereits einen gewissen Komfort für ihren Übernachtungsbetrieb anbie ten. Ebenfalls waren sie die ersten, die Wasserklosetts in Wald-Schönen grund eingebaut hatten.

1932 schafften sie sich zu den beiden Zugpferden einen Lastwagen an, der zweite im Dorf, mit dem Ernst Klauser einen Handel mit Landespro dukten begann. 1945 übernahm der erstgeborene Sohn Willi das Geschäft des Vaters. Wegen des Fuhrunternehmens liess Ernst Klauser das Maga zingebäude wieder in eine Benzinhütte umwidmen und begann, eine Zapf säule zu betreiben. Die «Krone» erhielt somit die erste Tankstelle im Dorf und in der weiteren Umgebung. Er betrieb sie bis 1947. Zu diesem Zeitpunkt bauten die Besitzer auch eine Brückenwaage mit zehn Tonnen Tragkraft ein.29 Nach Ernst Klausers Tod 1954 führte die Witwe Katharina die «Kro ne» weiter und errichtete ein Jahr später einen Campingplatz, bis sie 1962 an einem Krebsleiden verstarb. Ihr erstgeborener Sohn Willi kaufte ihr das Anwesen kurz vor ihrem Tod ab.

Ein Jahr später, im Frühjahr 1963, nachdem Willi Klauser sein Geschäft in Zürich aufgegeben hatte, führten er und seine Ehefrau Irma SchwabKlauser Neuerungen ein: einen Öltank und eine automatische Vollwasch maschine der Marke Lavella. Laut Beschreibung im Magazin Wohnen war sie insbesondere für Mehrfamilienbetriebe und Gastwirtschaften eine Er leichterung.30 Wäsche zu waschen, war ohne eine Waschmaschine auf wendig und mühsam. Bislang gab es für diesen Arbeitsaufwand ein Wasch haus. Nur ein Drittel aller schweizerischen Haushalte konnte sich zu jener Zeit eine solche Wascherleichterung leisten.31 Doch inzwischen erlaubte sich Familie Klauser, eine solch teure Investition zu tätigen.

Der Waschautomat Lavella, 1956.

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1975 wurde die «Krone» in eine Aktiengesellschaft überführt, die Klauser AG. 1986 zogen Irma und Willi Klauser aus der «Krone» in den zur Wohnung umgebauten oberen Teil der Scheune, um dem jungen Ehepaar Maya und Martin Klauser sowohl den Gasthausbetrieb zu überlassen als auch in der unteren Liegenschaft Platz für sie zu schaf fen. Martin Klauser hatte sich in den 1970er-Jahren zum Koch ausbilden lassen und führte das Restaurant. Maya betreute die Pensionsgäste, den seit 1955 entstandenen Campingplatz, ihre drei Kinder sowie das im ehemaligen Postbüro eingerichtete Verkehrsbüro. Zudem gab sie das «Krone»-Bulletin heraus mit den neusten Familienereignissen, Küchenkreationen, hauseigenen Ausstellungen und touristischen Akti vitäten.32

Im Januar 2021 fand der dritte Wechsel innerhalb der Familie statt. Nun befindet sich zwar nicht das Gasthaus Krone, aber der Camping platz in den Händen der vierten Generation mit Bernhard Klauser, dem erstgeborenen ledigen Sohn. Seine Eltern sowie seine Geschwister Ale xander und Charlotte unterstützen ihn tatkräftig. Dabei bespricht der Familienrat, welche Neuerungen anstehen, was die Gemeinde plant und wie sie dies umsetzen. Die Coronapandemie seit 2020 hat einiges verändert. Der Gasthausbetrieb lag lange brach. Im Gegenzug begann ein Übernachtungsboom von Paaren, Singles und Familien mit Wohn mobilen auf dem Campingplatz. Die Besitzer gehen auf diesen Trend ein und haben seit 2021 vermehrt Plätze dafür hergerichtet.

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Der Beginn einer neuen Ära

Zur Architektur der «Krone»

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1821 hielt Johann Ulrich Fitzi in einer Aquarellzeichnung die Dörfer Wald und Schönengrund aus der südlichen Perspektive in Richtung Norden fest. Darauf ist deutlich das Wohnhaus mit seinem geschweiften Mansartdach zu erkennen sowie links davon der nach Westen angebaute Scheunentrakt. Das östliche Nebengebäude kam erst später hinzu. Noch war die Liegen schaft kein Gasthaus.

Durch Johann Ulrich Fitzis getreue Wiedergabe ist es möglich, die bei den zur Liegenschaft gehörenden Gebäude eindeutig zu identifizieren. Die aus beachtlicher Entfernung gezeichneten architektonischen Details der «Krone» wie die Anzahl der Stockwerke, das barocke Dach, die Fensterrei hen und die Scheune sind exakt dargestellt. Bis zum Aufkommen der Foto grafie in der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden Ansichten von Dörfern, Siedlungen und Gebäuden – und hier sogar eine dynamisch anmutende Strassenszene, mit einer nach Herisau fahrenden Postkutsche mit Postil lon – in Lithografien zuverlässig wiedergegeben.1 Sie gelten daher als erst klassige Quellen und sind als kulturhistorische Zeitdokumente sehr wert

26 Zur Architektur der «Krone»
Ausschnitt aus Johann Ulrich Fitzis Aquarellzeichnung, 1821.

voll.2 Johann Ulrich Fitzis Aquarell zeigt das entlang der Hauptstrasse ste hende stattliche Wohnhaus mit angebauter fast gleich grosser Scheune, die sowohl typische Elemente eines Toggenburger als auch eines Appenzeller Bauernhauses aufweist.

Das Toggenburger und das Appenzeller Bauernhaus

Die Architektur der «Krone» offenbart beide Gestaltungstraditionen sowie die gegenseitige Einflussnahme der Grenzsituation zum Appenzellerland. Auf der einen Seite ist das repräsentative Gebäude ein typisches Toggen burger Bauernhaus. Dessen auffällige Elemente sind ein hoher Dachfirst, ein geschweiftes Mansartdach, eine mehrteilige Fensterreihe – der Fens terwagen –, eine weisse Fassadentäferung sowie durchgehend verschalte Klebdächer über den Fensterreihen. Im obersten Geschoss befindet sich der grösste Raum des Hauses, auch Firstkammer genannt.3

Zugleich weist es grosse Ähnlichkeiten mit einem Appenzeller Bauern haus auf. Dazu gehört vor allem, dass das Wohnhaus in Giebelstellung zur Strasse und die traufbetonte Stallscheune so miteinander vereint sind, dass die Firste beider Hausteile im rechten Winkel zueinanderstehen.

Dass Josua Scherrer, der die «Krone» um 1815 erbauen liess, von den be kannten Baumeistern Jakob, Johannes und Hans Ulrich Grubenmann4 in spiriert war, ist offensichtlich. Fast alle ihre Bauten5 des vorangegangenen 18. Jahrhunderts zeichnen sich durch einen geschweiften Giebel oder ein geschwungenes Mansartdach und zunehmende Stockwerkhöhe aus. Fer ner lässt auch die Fassadentäferung den Einfluss der bekannten Baumeis ter erkennen.6 Die Klebdächer gehen allerdings nicht auf sie zurück.

Die Bedeutungen der einzelnen Bauelemente

Häuser sind im Allgemeinen Schutzvorrichtungen für ihre Bewohner und Bewohnerinnen. Ihr Stil folgt Zeitströmungen, deren Symboliken unter schiedlichen Jahrhunderten, Jahrzehnten oder einer bestimmten Geistes geschichte zuzuordnen sind. Im Folgenden werden die wichtigsten Bauele mente vorgestellt.

Eine Toggenburger Besonderheit sind die steilen Dächer im 90-GradWinkel7 mit barocken Schweifgiebeln oder geschwungenen Mansart dächern,8 die im 18. Jahrhundert zur Modeerscheinung wurden. Die Bau meisterbrüder Grubenmann hatten sie bereits vielfach im Appenzeller land umgesetzt.9 Ab 1770 gewannen barocke Elemente stark an Bedeutung. Schweifformen aller Art entstanden so wie bei der «Krone», die zwar kei nen Schweifgiebel aufweist, aber ein barock anmutendes Mansartdach.

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Von links Geschweiftes Mansartdach, 2022. Fensterwagen, 2022.

Ihr Variantenreichtum repräsentierte das neue Bedürfnis nach Individua lität und diente dem Ausdruck eines, wie Jost Kirchgraber es nennt, neuen Kulturgefühls 10 .

Durch die Blütezeit des Textilgewerbes kam Wohlstand11 auf, und die Bauherren konnten es sich leisten, neuartige und fremd erscheinende Bau elemente umzusetzen. Durch Textilgeschäfte in den Städten – den Zentren des Textilhandels – trat man regelmässig mit Fremden in Kontakt, sei es mit reisenden Händlern oder durch andere Lebens- und Baustile. So liess man sich inspirieren und setzte dies baulich um.12

Bei der «Krone» war diese Modeerscheinung – ein stark geschweiftes Mansartdach zu gestalten – noch im frühen 19. Jahrhundert beliebt. Dieses bauliche Element zeigte die gesellschaftliche Stellung des Bauherrn, zum Beispiel die eines ranghohen politischen oder militärischen Amtes wie das von Ammännern, Räten, Säckelmeistern und Offizieren.13 Auch waren rei che Wirte und Textilkaufleute darunter.14 Ein solch ausgefallenes Dach machte ihren Reichtum nach aussen hin weit sichtbar. Kantonsrat Josua Scherrer dürfte ebenfalls sein Vermögen in der Textilbranche verdient ha

28 Zur Architektur der «Krone»

ben.15 So wird ersichtlich, dass sich das Toggenburger Bauernhaus nicht aus rein bäuerlichen Verhältnissen und Funktionen heraus entwickelt hat.

Zum Toggenburger und zum Appenzeller Bauernhaus gehört ebenfalls die Firstkammer. Sie lässt sich erreichen durch einen hohen Dachfirst und eine Reihe von Fenstern, die sogenannten Fensterwagen. Häuser mit stei len Dächern entstanden ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts.16 Dabei erreichen die Giebel einen Winkel von neunzig Grad. Das Steildach unter scheidet sich erheblich von der flachen Form des zuvor gebauten Tätsch dachs. Es hat dem Toggenburger Haus erst seine anmutige und elegante Ge stalt 17 gegeben oder, wie es Jost Kirchgraber ausdrückt, ein klassisches, stol zes und aufgewecktes Gepräge 18 .

Heutzutage ist der Fensterwagen ein Wahrzeichen sowohl des typi schen Appenzeller als auch des Toggenburger Bauernhauses. Er bestimm te bis ins 19. Jahrhundert hinein die Hausfronten.19 Sieben- bis zehnteilige Reihen sind dabei nicht ungewöhnlich,20 so auch bei der «Krone». Je grösser und herrschaftlicher ein Toggenburger Bauernhaus ist, desto grosszügiger ist die Befensterung, steht in Armin Eberles Sammelband über St. Galler Bau ernhäuser. Die Reihenfenster können bei besonders grossen Wohnhäusern[21] bereits im Erdgeschoss die gleiche Vielteiligkeit erreichen wie die mächtigen Firstkammern . 22

Was verbarg sich damals hinter den Fensterwagen? Wozu diente die Firstkammer?

Es gibt sie überall in der Schweiz. Einzigartig ist jedoch, dass ab Mitte des 17. Jahrhunderts die grosse Firstkammer zu einem typischen Bestand teil des reformierten Toggenburger Bauernhauses wurde. Die Gründe dafür sind laut Eberle wirtschaftlicher Reichtum sowie tiefgreifende religionspo litische Auseinandersetzungen des Toggenburgs mit dem Kloster St. Gallen: Einerseits sind sie Ausdruck eines allgemeinen Wohlstands […], basie rend auf der ab dem 17. Jahrhundert prosperierenden Leinwandweberei. […] Andererseits spielen die Firstkammern in sozio-kultureller Hinsicht eine wichtige Rolle. Nach 1648 nahm der Druck auf die Protestanten stark zu. Äbtische Mandate, Verordnungen sowie das Verbot des Psal mengesangs im Jahr 1673 zwangen die Protestanten, ihre Religionsaus übung immer mehr in den privaten Raum zu verlagern. Die grosse und dank der vielen Fenster helle Firstkammer – oft mit Hausorgel – wurde zum neuen religiösen Zentrum.23

Denn die Fürstabtei fürchtete mehr und mehr, die freiheitsliebenden Toggenburger aus der Untertanenabhängigkeit zu verlieren und verstärkte daher zunehmend seine gegenreformatorischen Restriktionen. Auch strebten die reformierten Protestanten unablässig nach Unabhängigkeit, je besser es ihnen wirtschaftlich ging:

Nach 1648 verstärkten die Äbte ihre Bemühungen zur Unterdrückung des evangelischen Glaubens. Die Reformierten, welche sich auch wegen des zunehmenden Wohlstandes immer unabhängiger aufführten, sahen sich immer häufiger Verordnungen und Mandaten ausgesetzt, welche sie in ihrer Religionsausübung einschränkten und welche sie häufig als Schi kane empfanden. […] Mit der Einrichtung einer grossen Kammer im Dachgeschoss wurde ein Ort geschaffen, wo sich alle Angehörige des Haushalts regelmässig und ungestört zur Ausübung der Religion treffen konnten – zum Gebet, zur Lesung, zum Psalmengesang. […] Der «Frei raum Firstkammer» diente den Reformierten auch als Räumlichkeit für Feiern jeder Art: Hochzeiten, Tauffeste, Tanzanlässe.24

Bei der Firstkammer handelte es sich also um einen grossen Saal, das «Sää li», wo sich die ganze Familie und die Bediensteten sowie die Kinder der Umgebung ungestört versammeln konnten. Hier traf sich der gesamte Haushalt gefahrlos zum Gesang der Lieder und Psalmen, zur Lesung und zum Gebet. Mit den vielen Fenstern war das Zimmer hell und genug Licht vorhanden, um aus der Bibel zu lesen. Es handelte sich also um einen Raum fürs Gemeinschaftsleben am Sonntagnachmittag.

Das Firstzimmer diente einem weiteren Zweck. Jedes vierte private Bauernhaus beherbergte eine Lernstube, da es im 17. und 18. Jahrhundert

30 Zur Architektur der «Krone»

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