Fotografien aus einem Jahrhundert

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Fotografien aus einem Jahrhundert

Die Sammlung Foto Gross der Stadtarchive St. Gallen

Folgende Institutionen haben die Herstellung der vorliegenden Publikation grosszügig unterstützt:

– acrevis Bank AG, St. Gallen

– Ernst und Annelies Grossenbacher-Güntzel-Stiftung

– Margrit Wild-Stocker Fonds der Stiftung der Ortsbürgergemeinde St. Gallen – Mary und Max Steinmann-Stiftung des Rotary Clubs St. Gallen – Müller-Lehmann-Fonds der Stiftung der Ortsbürgergemeinde St. Gallen

Impressum:

© 2025 by Verlag FormatOst Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Radio und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

Verlagshaus Schwellbrunn, Appenzeller Verlag AG Im Rank 83, 9103 Schwellbrunn verlag@formatost.ch

Verlagsauslieferung in die EU: HEROLD Fulfillment GmbH, Daimlerstrasse 14, D-85748 Garching service@herold-fulfillment.de

Herausgeberschaft:

Stadtarchiv und Vadianische Sammlung der Ortsbürgergemeinde St. Gallen, Dorothee Guggenheimer

Stadtarchiv der Politischen Gemeinde St. Gallen, Thomas Ryser

Gestaltung: Nathalie Koller, Bureau Plus

Druckvorstufe: Verlagshaus Schwellbrunn

Druck: Appenzeller Druckerei, Herisau

ISBN: 978-3-03895-070-7 formatost.ch

Zum Geleit

Die Ortsbürgergemeinde St. Gallen führt mit Stadtarchiv und Vadianischer Sammlung zwei Gedächtnisinstitutionen. Die von ihnen überlieferten Dokumente sind sehr vielfältig und umfassen eine zeitliche Spanne vom Hochmittelalter bis ins 21. Jahrhundert. Eine wesentliche Aufgabe von Stadtarchiv und Vadianischer Sammlung besteht denn auch in der Erschliessung und der Erforschung dieses reichen städtischen und ortsbürgerlichen Erbes. Diese Tätigkeiten erfolgen stets mit dem Ziel, gesellschaftliche Themen der Gegenwart aus historischer Perspektive zu beleuchten und in einen Dialog mit der Bevölkerung zu bringen. Das ist auch mit dieser Publikation zur St. Galler Fotografie im 20. Jahrhundert eindrücklich gelungen. Dank der Fotografien aus der Sammlung Foto Gross können wir nachvollziehen, wie sich unser Leben verändert hat; die erläuternden Texte helfen uns, diese Entwicklung in einen grösseren Zusammenhang zu setzen. Klug haben die Autorinnen und Autoren Leitthemen ausgewählt, die das 20. Jahrhundert geprägt haben und uns im 21. Jahrhundert weiterhin beschäftigen. Damit vermag die Publikation die Identifikation der Bewohnerinnen und Bewohner mit ihrer Stadt zu vertiefen – etwas, das der Ortsbürgergemeinde sehr am Herzen liegt.

Zudem sind das Buch und seine Entstehungsgeschichte – die Sammlung Foto Gross ist ein gemeinsamer Besitz von Ortsbürgergemeinde und Stadt St. Gallen – ein Resultat der engen und guten Zusammenarbeit. Dafür danke ich Dorothee Guggenheimer, Co-Leiterin unseres Stadtarchivs, und ihrem Team sehr.

Dem Buch, in dem sich Aspekte der Lebensrealität von uns allen spiegeln, wünsche ich eine interessierte und zum Nachdenken angeregte Leserschaft.

Katrin Meier Präsidentin der Ortsbürgergemeinde St. Gallen

Manchmal erzählt ein Bild mehr als tausend Worte. Mit der Sicherung der Sammlung Foto Gross im Jahr 2011 haben Stadt und Ortsbürgergemeinde St. Gallen ein einzigartiges Stück Stadtgeschichte bewahrt. Sie ergänzt das Stadtarchiv der Politischen Gemeinde, das im Wesentlichen Unterlagen der städtischen Verwaltung überliefert, in besonderer Art und Weise. Die Sammlung bringt Leben und Gesichter in die Geschichten.

Aus Akten wissen wir beispielsweise, dass mittellosen Stadtbewohnenden während des Zweiten Weltkrieges vielfältige Unterstützungsleistungen gewährt wurden. Dank der Bilder der Sammlung Foto Gross erhalten Empfängerinnen und Empfänger ein Gesicht. Wir sehen auf Fotografien, wie sich verkehrspolitische Entscheidungen auf Individual- und öffentlichen Verkehr ausgewirkt haben, wir sehen Infrastrukturanlagen, die Bewohnerinnen und Bewohner zur Ausübung ihrer Hobbies nutzen.

Die Sammlung regt nicht nur zum Blick zurück an, sondern auch zu Gedanken über die Zukunft. Wie wird sich St. Gallen entwickeln? Kommt das Tram, das über sechzig Jahre lang ein zentrales Verkehrsmittel war, eines Tages zurück? Die Fotografien laden dazu ein, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu verbinden – und unsere Stadt mit neuen Augen zu betrachten.

Mein besonderer Dank gilt Thomas Ryser, dem Leiter unseres Stadtarchivs, und seinem Team für die Aufarbeitung dieser Fotos, durch die die Geschichte unserer Stadt überliefert wird. Gemeinsam gestalten wir St. Gallen – damals, heute und in der Zukunft.

Siedlungs- und Stadtentwicklung

Veränderungen von Schule und Berufswelt

Von der Kriegswirtschaft zum Wirtschaftswunder

erfindungsreiches Jahrhundert

Einleitung Architektur Arbeit

Freizeit

Mobilität

Traditionen

Konsum Fotografie

Anhang

Feste und Bräuche im Wandel der Zeit

Vom Luxusgut zur Kommerzialisierung

En gros –das Unternehmen Foto Gross

Einleitung

Foto Gross und die Ostschweiz

Wer im 20. Jahrhundert in der Ostschweiz lebte, kam mit grosser Wahrscheinlichkeit mit der Foto Gross AG in Kontakt. Möglicherweise bereits als Kind, wenn ein Fotograf dieser Firma die eigene Kindergarten- oder Schulklasse besuchte und Gruppenfotos und Einzelporträts erstellte. Als Teenager vielleicht, wenn man sich gemeinsam mit Freundinnen in den von Foto Gross betriebenen Fotoautomaten am St. Galler Hauptbahnhof drängte, um ein Grimassen-Bild herzustellen. Vielleicht aber auch im Erwachsenenalter, wenn eine Mitarbeiterin von Foto Gross den Arbeitsort aufsuchte, um ein Betriebsjubiläum fotografisch festzuhalten oder um Werbeaufnahmen zu machen. Und auch an Kiosken oder in Papeterien war die Begegnung mit Foto Gross als Produzent von Postkarten sehr wahrscheinlich.

Foto Gross und das Stadtarchiv der Ortsbürgerund der Politischen Gemeinde

Hans Gross eröffnete 1921 ein Geschäft an der Grossackerstrasse im Osten von St. Gallen. Das daraus hervorgehende Unternehmen Foto Gross wuchs ständig und wurde zu einem der grössten Fotounternehmen der Schweiz. Dank Stadt und Ortsbürgergemeinde St. Gallen sowie dank der grosszügigen Unterstützung von Arthur Eugster (†) konnten 2011 grosse Teile des Archivs von Foto Gross gesichert werden. Hunderttausende Bilder und Geschäftsunterlagen wurden dem Stadtarchiv der Ortsbürger- und der Politischen Gemeinde als gemeinsamer Besitz übergeben. Das Bildmaterial umfasst die Zeitspanne vom beginnenden 20. Jahrhundert bis 2010. Entsprechend der Sammlungsprofile der Stadtarchive St. Gallen wurden vor allem Aufnahmen übernommen, auf denen die Stadt St. Gallen, Wittenbach, Mörschwil, Winkeln, Engelburg, Abtwil und St. Josefen zu sehen sind. Dazu kommen – mit weitaus grösserem geografischen Radius – Sach-, Porträt-, Reportage- und Werbeaufnahmen sowie Fotonachlässe anderer Fotografen. Abgelegt in Archivschachteln umfasst das Fotomaterial insgesamt mehr als 100 Laufmeter. Darüber hinaus finden sich Foto-Gross-Bestände auch in den Staatsarchiven St. Gallen, Appenzell Ausserrhoden, Thurgau, Graubünden und Glarus und sind dort in den jeweiligen Archivkatalogen einsehbar. Der Bestand der St. Galler Stadtarchive wurde in einem mehr als zehnjährigen Erschliessungsprojekt bewertet, gereinigt, digitalisiert, archivgerecht verpackt und grob in einer Datenbank aufgenommen. Der Abschluss dieser Groberschliessung war Anlass dazu, 2025 im Kulturmuseum St. Gallen eine Ausstellung mit Foto-Gross-Bildern auszurichten und dazu die vorliegende Publikation zu verfassen.

Foto Gross und das 20. Jahrhundert

Wie wählt man aus einem Bestand von Hunderttausenden Bildern rund 450 aus, um sie in einem Buch zu präsentieren? Mitarbeitende des Stadtarchivs der Ortsbürgergemeinde, der Politischen Gemeinde und des Kulturmuseums haben als ersten Schritt gemeinsam Themen herausgearbeitet, die prägend waren für das 20. Jahrhundert als Überlieferungsschwerpunkt von Foto Gross. Der Fokus bei der Auswahl lag dabei nicht auf der Ereignisgeschichte, sondern auf eigentlichen Leitthemen, die zentral sind sowohl für Kontinuität als auch für Wandel im Zeitraum, den die Fotosammlung umfasst. Ausgewählt wurden die Themen Architektur, Konsum, Mobilität, Arbeit, Freizeit und Traditionen, die nun sowohl das Buch als auch

die Ausstellung gliedern. In ihnen spiegeln sich zentrale Aspekte des 20. Jahrhunderts wie Globalisierung, Umwelt, Digitalisierung, Energie, Migration oder auch Klima. Das Buch hat also einen Ostschweizer Fotobestand zum Thema und arbeitet dementsprechend auf der visuellen Ebene mit einem lokalen und regionalen Bezug, ist inhaltlich aber deutlich breiter gefasst. Dazu gibt es Themen, die das 20. Jahrhundert zwar ebenfalls prägten, aber dennoch keinen Eingang in Ausstellung und Buch fanden. Dies, weil sie auf den Fotografien nicht abgebildet sind. Dazu zählen unter anderem die Aspekte Sexualität bzw. Pornografie, welche im 20. Jahrhundert einen Wandel erfuhren. Auch politische Kundgebungen, das Ringen um Jugendund kulturelle Treffpunkte oder weitere sozialpolitisch prägende Themen – wie beispielsweise das Ende der Achtzigerjahre in Erscheinung tretende Drogenelend – haben auf den Bildern von Foto Gross, der Aufträge von Kundinnen und Kunden wahrnahm, aber keine eigene Pressefotografie-Abteilung führte, keinen Niederschlag gefunden.

Foto Gross und sein Einfluss auf die Gestaltung dieses Buches Über Jahrzehnte befassten sich Mitarbeitende von Foto Gross mit der analogen Fotografie. Diese prägt dementsprechend den in den Stadtarchiven überlieferten Bestand. Sie fliesst auch in die Gestaltung des vorliegenden Buches ein. Massgebend waren dafür Aspekte, welche typisch sind für die analoge Fotografie: So verweist das Seitenverhältnis des Buches auf die 10 x 18 Zentimeter grossen (Glas-)Negative, die von Mitarbeitenden von Foto Gross mehrheitlich genutzt wurden. Das Buchlayout insgesamt orientiert sich an der Gestaltung von Fotoalben, die Foto Gross auf Wunsch von Kundinnen und Kunden ebenfalls herstellte. Solche Alben sind geprägt durch hoch- und querformatig eingeklebte rechteckige Abzüge, teils mit Bildlegenden versehen. Abgesehen von den Bildern wurde die Abfolge von Rechtecken auch für die Texte übernommen, indem diese als «Textflächen» gestaltet und gegeneinander versetzt wiedergegeben sind.

Das Coverbild wurde auf eine silberne Oberfläche gedruckt, um so an den Duktus eines Schwarz-Weiss-Negativs zu erinnern. Ein typisches Merkmal der analogen Fotografie, das ebenfalls Eingang in die Buchgestaltung fand, ist das sogenannte Filmkorn. Dieses zeigt sich, wenn ein Negativ oder ein Abzug unter starker Vergrösserung betrachtet wird. Beim Filmkorn handelt es sich um unter Lichteinwirkung geschwärzte Silberpartikel, die in der analogen Schwarz-Weiss-Fotografie zusammengeballt die geschwärzten Flächen ergeben. Jedes Kapitel wird mit einer «Filmkorn-Doppelseite» eingeleitet.

Dank

Unser erster Dank geht an die Ortsbürgergemeinde und die Politische Gemeinde

St. Gallen. Ohne ihr Wohlwollen und die für den Erwerb und die Erschliessung zur Verfügung gestellten Mittel könnten die beiden Stadtarchive heute nicht auf das Fotomaterial zurückgreifen, das die Grundlage dieses Buches bildet. Ohne Stefan Sonderegger und Marcel Mayer – die beiden früheren Stadtarchivare –hätte dieses Buch ebenfalls nicht erscheinen können. Sie waren es, die 2011 durch ihr Handeln sichergestellt haben, dass die Bilder der Sammlung Foto Gross heute der interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Nur dank ihres überzeugenden Wirkens wurden Finanzierung, Erschliessung und Erforschung ermöglicht. Grosser Dank gebührt auch heutigen Mitarbeitenden der beiden Stadtarchive. Noëmi Schöb vom Stadtarchiv der Ortsbürgergemeinde St. Gallen und Oliver Ittensohn sowie Vera Zürcher vom Stadtarchiv der Politischen Gemeinde haben mit grossem Einsatz Texte für die vorliegende Publikation verfasst und Bilder zu ihren Kapiteln ausgewählt.

Diese Publikation erscheint zu einer Foto-Gross-Ausstellung im Kulturmuseum

St. Gallen. Den Mitarbeitenden – insbesondere Monika Mähr und Peter Fux – gebührt ebenfalls unser herzlichster Dank für die Zusammenarbeit. Bedanken möchten wir uns auch bei der Buchgestalterin Nathalie Koller (Bureau Plus). Ihr Interesse am Medium Fotografie und ihre sowohl inspirierende als auch strukturierte Begleitung waren sehr gewinnbringend. Weiterer Dank gebührt dem Verlagshaus Schwellbrunn, namentlich Mike Müller, Daniela Saravo und Susanna Schoch.

Selbstverständlich könnte ein solches Buch auch nie ohne finanzielle Unterstützung erscheinen. Der Müller-Lehmann-Fonds der Stiftung der Ortsbürgergemeinde

St. Gallen sowie der Margrit Wild-Stocker Fonds der Stiftung der Ortsbürgergemeinde

St. Gallen haben die vorliegende Publikation besonders grosszügig unterstützt. Weiter haben die acrevis Bank AG, die Ernst und Annelies Grossenbacher-GüntzelStiftung sowie die Mary und Max Steinmann-Stiftung des Rotary Clubs St. Gallen Buch und Ausstellung mitermöglicht.

Peter Stahlberger sei für das grosszügig zur Verfügung gestellte Manuskript seiner eigenen, im Herbst 2025 erscheinenden Publikation zur Geschichte der Stadt St. Gallen seit dem Zweiten Weltkrieg sehr gedankt, Anton Heer für seine Unterstützung bei der Auflösung von technischen Bildinhalten.

St. Gallen, im Januar 2025

Dorothee Guggenheimer und Thomas Ryser

Stadtarchiv und Vadianische Sammlung der Ortsbürgergemeinde St. Gallen / Stadtarchiv der Politischen Gemeinde St. Gallen

Architektur Siedlungs- und

Stadtentwicklung

Oliver Ittensohn

Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt St. Gallen im Jahr 1820 hätten ihre Lebenswelt hundert Jahre später kaum wiedererkannt: Die Mauern und Tore abgebrochen, die Altstadt vielarmig in Aussenquartiere zerflossen, ein monumentales Bahnhofsquartier sich zum Himmel erhebend. Getragen vom wirtschaftlichen Aufschwung der Stickereiindustrie entwickelte sich die Stadt an der Wende zum 20. Jahrhundert zur Grossstadt. Gefragt und gefordert waren Bauwerke, die das gesteigerte Selbstbewusstsein der Stadtbürgerinnen und -bürger zum Ausdruck brachten. Der Jugendstil hielt Einzug; Vorbilder waren alte florentinische und venezianische Bank- und Handelshäuser. Im Gegensatz zum engen Häusergewirr der Altstadt verwirklichten sich nun andere Ideale einer Stadt: grosse Flächen, rechtwinklige Strassen, gerade Baufluchten, symmetrische Baukörper. Tempelfronten waren Ausdruck der Stärke von Kapital. Händler und Investoren aus aller Welt kamen am Bahnhof St. Gallen an, man wollte sie entsprechend beeindrucken. Ein monumentales Bahnhofsgebäude mit grosszügiger Schalterhalle empfing die Reisenden. Daneben nahm sich der Vorgängerbau aus der Mitte des 19. Jahrhunderts wie ein «Provinzbahnhof» aus. Der Güterverkehr wurde gegenüberliegend im ausladenden Postgebäude mit Turm erledigt, zur Warenabwicklung breiteten sich in Bahnhofsnähe festungsartige Lagerhäuser aus. Abgestiegen wurde im nahegelegenen Hotel Walhalla. In die Altstadt gelangte man über eine breite Allee. In den Kaufhäusern und Boutiquen der Multer- und Spisergasse fand man Waren aus aller Welt. Wandte man sich gegen Westen, so wandelte man zwischen Stickereigeschäftshäusern, vorbei an Bank- und Versicherungsgebäuden, an Büros von Architekten, Ingenieuren und Agenten. Kapitalkraft und Investorenmut trafen sich an der Stickereibörse am Multertor. Die eigentliche Produktion – es dominierten die Uhren-, Maschinen- und vor allem die Stickereiindustrie – wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts in die Nachbargemeinden Straubenzell und Tablat ausgelagert. Es bildeten sich Fabrikareale mit effizienter Transportanbindung. Täglich strömten die Arbeitskräfte in die Fabriken. Rauchende Schornsteine, das Dröhnen und Hämmern von Maschinen, waren die Zeugen ihrer Arbeit. Die Schubkarren und Pferdewagen wurden seit 1897 von Tramwagen überholt. Bereits vier Jahrzehnte früher war die Stadt an die Gleise der Eisenbahn angeschlossen worden. Die Schienen mochten für einige wie Narben durch das alte Stadtgebiet gewirkt haben. Für die meisten allerdings waren sie Symbole des technischen Fortschritts, und sie stärkten den unerschütterlichen Zukunftsglauben an Wohlstand und Prosperität. Hatte das Schienentrassee den Nordrand der Stadt durchschnitten, folgten nun hochtrabende Ideen auf dem Reissbrett. Der Innerschweizer Architekt Bernhard Simon (1816 – 1900) hatte bereits Mitte des 19. Jahrhunderts grossstädtisch anmutende Pläne und wollte in St. Gallen eine Promenade in Wienerischem Stil vom Hauptbahnhof direkt zum Marktplatz ziehen und in diesem Zuge einen Grossteil der alten Bausubstanz abreissen. Dies ging den Behörden zu weit. Was Simon realisierte, war eine herrschaftliche Boulevardstrasse vom Schibenertor zum Bahnhof mit repräsentativen Gebäuden, unter anderem einer neuen Post. Nicht weniger ambitioniert waren die Bauten des St. Galler Architekten Johann Christof Kunkler (1813 – 1898), der das Natur- und Kunstmuseum im Stadtpark, das Versicherungsgebäude Helvetia an der Ecke Kornhaus- und St. Leonhard-Strasse sowie das Bürgerspital an der Rorschacher Strasse entwarf. Umfangreiche Umbauten in der Altstadt erfolgten um die Jahrhundertwende durch den in Böhmen geborenen Schweizer Architekten Wendelin Heene (1855 – 1913). Die Erbauer dieser Gebäude gehörten einem sich neu herausbildenden Berufstypus an. Es waren weitgereiste und akademisch ausgebildete Architekten und Ingenieure. Sie lösten die traditionellen Handwerksmeister ab. Ihre Ausbildung hatten sie vor allem in

Deutschland erhalten, sie hatten Gebäude und deren Bautechniken vor Ort studiert und waren so mitunter zu Kunsthistorikern geworden. Felix Wilhelm Kubly (1802 – 1872), der später unter anderem das Geschäftshaus Washington plante, unternahm von 1827 bis 1830 eine Italienreise und hielt seine Eindrücke in Skizzen und Plänen fest. Auch Kunkler reiste an den Rhein, um die Baukunst der romanischen Kirchen zu studieren. Durch die Verbreitung der Fotografie wurden Abbildungen fremder Bauten aus aller Welt greifbar und fanden bei den zahlreichen neu gegründeten Vereinen regen Absatz. Auch die St. Galler Architekten organisierten sich 1844 in einer eigenen Sektion des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins. Man traf sich, diskutierte, philosophierte. Man arbeitete zusammen, konkurrenzierte und beeinflusste sich. Die allermeisten ihrer Bauten wurden von Institutionen oder privater Hand finanziert. Nicht Aristokraten wie im übrigen Europa flanierten auf St. Gallens Strassen; hier hatte das Bürgertum das Sagen. Leistungsethos und Sozialmoral gingen Hand in Hand mit beruflichem Ehrgeiz. Die Wirtschaft florierte. Währenddessen bemühte sich die Stadtverwaltung, Schritt zu halten. Ihre Aufgaben erledigte sie bis 1877 im stattlichen gotischen Rathaus am Marktplatz, das noch aus dem ausgehenden Mittelalter stammte. Repräsentationsbauten im veralteten Stil waren allerdings kaum mehr erwünscht. Im Zuge des Abrisses der Stadtmauern und -tore wurde eine Öffnung der Marktgasse Richtung Norden angestrebt. Das Rathausgebäude, inzwischen ohnehin baufällig geworden, passte nicht mehr. Obwohl Pläne für eine Renovation oder einen Ersatz am gleichen Ort vorlagen, wurde es schliesslich abgerissen, ohne einen Nachfolgebau in Aussicht zu haben. Die Verwaltung zog provisorisch an die St. Leonhard-Strasse um. Der wirtschaftliche Aufschwung hatte jedoch eine Vergrösserung des Beamtenapparats zur Folge, man stand sich in den engen Büros auf die Füsse. Glücklicherweise wurde auf dem Bahnhofplatz das neue Postgebäude mit Turm fertig. Das alte, trapezförmige Bauwerk auf dem Kornhausplatz – das bisherige Postgebäude – wurde frei und zum Rathaus umgenutzt. Nun war die Politik gleichsam zufällig ins ökonomische Ensemble der Stadtbauten integriert worden.

In den grosszügigen Büros der Geschäftshäuser – sie tragen Namen wie «Oceanic» oder «Washington» – liess es sich zwar bequem arbeiten, aber wohnen konnte man darin nicht. Der Rosenberg wurde zum begehrten Wohngebiet wohlhabender Unternehmerfamilien. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts schmiegten sich vermehrt Fabrikantenvillen an die Nordhänge der Stadt. 1896 erliess die Stadt ein Spezial-Baureglement, um dem Rosenberg seinen Status als vornehmes Quartier zu sichern.

Ausserhalb des Stadtkerns und fern der sonnigen Hänge begegnete man den Schattenseiten des Wirtschaftswunders. Die städtische Entwicklung folgte der Topografie, die Quartiere wuchsen der Talsohle folgend in die Breite. Auf dem Boden der ehemaligen ländlichen Gemeinden Straubenzell (West) und Tablat (Ost) breiteten sich Häuserblocks aus, von Bauspekulanten in billiger Bauweise innerhalb kurzer Zeit hochgezogen. Der Volksmund nannte sie «Mietskasernen». Auf diese Weise entstanden Überbauungen in St. Fiden, in St. Otmar oder im Lachenquartier. Mit der Anbindung dieser Neubauten an die städtische Infrastruktur waren die Behörden überfordert. Die Hygiene war schlecht, Krankheiten grassierten. Aber das Reservoir an Arbeitskräften, die diese Bauten bewohnten, wurde dringend benötigt. Vor allem auf die Zuwanderung aus Italien und Deutschland war man angewiesen. Zwischen 1870 und 1920 verdreifachte sich die Bevölkerung auf über 70’000 Personen, rund ein Viertel davon stammte aus dem Ausland. Die Überbauungen in St. Fiden wurden bald abwertend «Klein-Venedig» genannt. Und der Zustrom brach nicht ab. Die Wohnungen waren überbelegt. Dem gegenüber

standen Zielvorstellungen bezüglich Wohnqualität, die von genossenschaftlichen Wohnbauprojekten vorangetrieben wurden, doch im liberalen Markt kaum durchschlugen. Vereinzelte Projekte wurden dennoch realisiert. Am bekanntesten ist die an den Hang geschmiegte Schorensiedlung, in den Jahren 1911 bis 1914 von der Eisenbahner-Baugenossenschaft für die Bahnarbeiter und ihre Familien bereitgestellt. Die St. Galler Sektion des Schweizerischen Verbandes für das gemeinnützige Wohnungswesen realisierte zwei Doppelhäuser an der Heiligkreuzstrasse, daneben gab es kleinere Projekte wie das Quartier Hagenbuch. Verschiedene andere Genossenschaften bauten in der Folge Siedlungen in den Gegenden Kreuzbühl, Haggenhalde, Bernhardswies und Schönenwegen im Westen sowie im Heiligkreuz und Neudorf im Osten der Stadt. Schule machten sie alle nicht. Die schwierige Balance zwischen der exportorientierten, hauptsächlich auf Stickerei ausgerichteten Industrie und den sich zuspitzenden sozialen Spannungen blieb so lange im Gleichgewicht, wie die Geschäfte florierten. Als im Jahr 1914 die Welt in den Strudel des Ersten Weltkriegs gerissen wurde, stürzte St. Gallen mit. Die kriegsbedingten Handelshemmnisse trafen die Stadt hart. Fast mehr als der fehlende Export von Waren war der fehlende Import von Nahrungsmitteln ein Problem; in den Quartieren herrschte permanenter Hunger. Nach einer kurzen Erholungsphase nach Ende des Krieges ritt schliesslich der Zweite Weltkrieg die St. Galler Wirtschaft in den Abgrund. Der Einbruch der Im- und Exporte, gepaart mit der Massenarbeitslosigkeit, zwangen die ehemals selbstbewusste Textilstadt in die Knie. Abhilfe schafften die eidgenössischen Arbeitsbeschaffungsprogramme, durch Steuererhöhung finanziert. Die Bauförderung löste in den 1940er-Jahren ein Investitionsvolumen von mehreren Millionen Franken aus. Eine ganze Reihe gemeinnütziger Bauwerke für die Region entstanden in diesem Förderprogramm durch die Arbeit von Arbeitslosen, so die Fürstenlandbrücke, die Frauenklinik des Kantonsspitals oder die Turnhallen der Schulhäuser Talhof und Blumenau. Im Grossen und Ganzen stockte die städtebauliche Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg. Projekte wurden, von kleinen Ausnahmen abgesehen – dem neuen Amtshaus an der Neugasse und kleineren Umbauten in der Altstadt –, keine geplant. Es galt, sich der neuen wirtschaftlichen Realität anzupassen, sich neu auszurichten. Allmählich stieg ins Bewusstsein, dass die einstige Stickereiblüte nicht wiederkommen würde. Viele Repräsentationsbauten bedurften der Sanierung, die Fassaden waren dunkel und schmutzig geworden, die Räume standen leer. Überhaupt der Baustil: Ab den 1930er-Jahren änderte sich der Geschmack. Einfachheit und Klarheit wurden neue Architekturleitsätze. Besonders gut lässt sich dies an den Schulhausbauten der 1950er- und 1960er-Jahre zeigen. Die Schulhäuser vom Ende des 19. Jahrhunderts wie St. Leonhard, Bürgli oder Talhof strahlen bildungsbürgerliche Moral aus und sind dem Klassizismus mit Barockanleihen verpflichtet. Sie wirken monumental. Nun sollte nicht länger repräsentativer Schmuck das Schulhaus überziehen, sondern es sollte ganz auf die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen zugeschnitten sein. Die Schulhäuser Feldli und Grossacker waren nach diesem Konzept entworfen: Bei Letzterem gruppierten sich vier untersetzte Gebäudetrakte um einen zentralen Pausenhof. In den Folgejahren wuchsen die Bauten in die Höhe und es wurden neue Materialien, beispielsweise Sichtbeton, verbaut.

In den 1950er- und 1960er-Jahren herrschte Hochkonjunktur. Moderne Konsumgüter erreichten die Stadt. Neue Haushaltsgeräte wie Waschmaschine und Kühlschrank eroberten die Massen und gehörten mittlerweile zur allgemeinen Familienausstattung und beeinflussten den Wohnungsbau. Der Wohlstand wuchs. Und mit ihm die Bautätigkeit, diese explodierte geradezu. Zwischen 1950 und 1965 wurden rund 400 Häuser abgebrochen und 780 neu erstellt. Die Anzahl Woh-

nungen auf Stadtgebiet wuchs zwischen 1950 und 1982 von 20’000 auf 34’000. Als augenfälliges Merkmal der Zeit trafen die Sanktgallerinnen und Sanktgaller auf Stadtspaziergängen zunehmend auf Sichtbeton, ein leicht formbares und universell einsetzbares Material. Die zahlreichen Arbeiten des Architekten Otto Glaus (1914 – 1996) sind bis heute fest in der Stadttopografie verankert, so die Wohnhochhäuser an der Lämmlisbrunnenstrasse oder der Erweiterungsbau der Kantonsschule St. Gallen. Ab den 1950er-Jahren sind die Arbeiten der Architekten Heinrich Danzeisen (1919 – 2013) und Hans Voser (1919 – 1992) überall präsent, prominent beispielsweise in der Siedlung Biserhof in St. Georgen. Besonders augenscheinlich lässt sich die Entwicklung aber am Bau von Kirchen ablesen. War der katholische Kirchenbau um die Jahrhundertwende noch klar dem Neubarock mit Prunk und Verzierungen verpflichtet, entfernten sich Neubauten langsam, aber sicher davon. Die Kirche St. Martin in Bruggen des St. Galler Architekten Erwin Schenker (1892 – 1964) verzichtete auf Barock; er kombinierte klare Formen und kubisches Äusseres. Noch ausgefallener entwarf der Walliser Architekt Ernest Brantschen (1922 – 1994) den Neubau der katholischen Kirche St. Gallen Winkeln, von den Sanktgallerinnen und Sanktgallern bald liebevoll «Seelenabschussrampe» getauft. Am Rande der Siedlungsgebiete entstanden neue Quartiere, und die bestehenden wandelten sich. Entlang der nun stark befahrenen Achsen Rorschacher Strasse, Zürcher Strasse und Langgasse wurden die Quartierläden und kleinen Wohneinheiten von Dienstleistungszentren und Überbauungen abgelöst. Die Bauweise zielte konsequent auf die Bereitstellung von Wohnungen mit angemessenem Standard für Arbeiterfamilien; das bedeutete sanitäre Anlagen, mehr Wohnraum und kleine Grünflächen in der Nähe. Auch baute man in die Höhe, zum Beispiel in der Achslen oder im Russen.

In der Folge wurde dieser Baustil um Elemente erweitert. In den 1970er- und 1980er-Jahren bemühten sich Architekten und Ingenieure, ausgefallenere ästhetische Elemente in ihre Entwürfe einfliessen zu lassen. Diese postmoderne Architektur führte zu ausgefallenen Projekten wie der Wohnüberbauung Wolfganghof im Westen der Stadt, die der Schweizer Architekt Robert Bamert (*1939) innerhalb von drei Jahren realisierte. Oder man experimentierte mit ausgefallenen Materialien: Das neue Geschäftshaus der EMPA wurde zum grossen Teil aus Glas konzipiert. Natürlich waren nicht alle Bauwerke dieser Zeit von gleicher Qualität. Ähnlich wie die «Mietskasernen» des frühen 20. Jahrhunderts wurde auch in späterer Zeit und bis heute in vielen Gegenden von Bauspekulanten günstig gebaut – mehr funktional als mit ästhetischem Anspruch.

Die Frage stellte sich spätestens in den 1960er-Jahren: Wer sollte über die historische Qualität eines Gebäudes oder einer Siedlung entscheiden? Die Antwort zu finden, fiel den Zeitgenossen nicht leicht, aber man wollte es versuchen. Im Jahr 1966 erhielt die Stadt St. Gallen ihren ersten vollamtlich tätigen Denkmalpfleger. Ein paar Jahre später wurden die Inventarisierung und der Schutz historisch bedeutsamer Bauwerke staatlich subventioniert. Verbindliche Gesetze zur Bau- und Zonenordnung folgten in den 1970er-Jahren. Davon waren nicht nur einzelne Gebäude betroffen, sondern auch Quartier- und Ortsbilder. Ungefähr zur gleichen Zeit wurden die Vorschriften mithilfe von sogenannten Auskernungen jedoch kreativ umgangen. Der Kniff bestand darin, die Fassaden der Gebäude zu belassen, die Innenräume aber komplett auszuhöhlen und neu auszugestalten. Dies konnte so weit gehen, dass gesamte Stockwerkseinteilungen zugunsten neuer Innenarchitektur aufgegeben wurden. Prominentes Beispiel ist die Stickereibörse gegenüber dem Broderbrunnen, bei der Innen- und Aussenräume nicht mehr harmonieren. Dass es auch anders geht, bewiesen umfangreiche Sanierungsund Erweiterungsprojekte von alter Bausubstanz, die mit grosser Sorgfalt aus-

geführt wurden, beispielsweise beim ehemaligen Kloster St. Katharinen, beim Kunstmuseum, der Tonhalle und in neuester Zeit beim Stadttheater. Gute Beispiele sind auch kreative Umnutzungen alter Gebäude, ob als Kino und Theater (Lokremise) oder als Kulturzentrum (Palace).

Die Bautätigkeit als Ganzes in geordnete Bahnen zu lenken, wurde gegen Ende des 20. Jahrhunderts durch Planungsinstrumente ermöglicht. Ab dem Jahr 1980 besass die Eidgenossenschaft ein schweizerisches Raumplanungsgesetz und daran anschliessend Zonenpläne für die Kantone. Allerdings prallten in der föderalistischen Schweiz Planungsgrundlagen und Gemeindeautonomie regelmässig aufeinander, und Kompromisse waren schwer zu finden. Und doch waren sie dringend nötig: Die überbauten Stadtgebiete wuchsen mit Nachbargemeinden zusammen, die Infrastruktur benötigte gemeinsame Lösungen, der Strassen- und Pendlerverkehr regelte sich nicht von selbst. Lauter denn je wurden Stimmen, die sich für vielfältige Urbanität, mehr Kulturräume und Biodiversität in städtischen und stadtnahen Gebieten einsetzen. Die Stadt St. Gallen bemüht sich um Lösungen: Der klimatische, technologische und demografische Wandel der letzten Jahrzehnte findet Widerhall in Stadtraumkonzepten, das aktuellste aus den Jahren 2020 bis 2023.

Und die Zukunft? Wie die Generationen vor uns werden auch wir uns raumplanerischen und architektonischen Herausforderungen stellen müssen. Wie würde sich die Stadt St. Gallen uns wohl in hundert Jahren präsentieren? Wären wir im Jahr 2125 beeindruckt, erstaunt oder erschüttert? Die Lebenswelt dürfte sich kaum weniger radikal verändert haben als in den letzten Jahrzehnten. Wenn es aber gelingt, die Stadt mit all ihren Veränderungen lebens- und liebenswert zu erhalten, brauchen wir uns um die künftigen Generationen von Sanktgallerinnen und Sanktgallern kaum zu sorgen, egal, ob sie nun zu Fuss, in schwebenden Autos oder virtuellen Räumen ihr Stadtleben gestalten.

1 | StadtASG, PA Foto Gross, A23246.

1 | Tradition und Innovation, 1964: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts schrieb das Departement des Innern Architekturwettbewerbe zur Bahnhofsgestaltung in Schweizer Städten aus. Der Bund bemühte sich um ein einheitlicheres Erscheinungsbild von Post- und Bahnhofsgebäuden. Für die Stadt St. Gallen gingen eine ganze Reihe von Entwürfen namhafter Architekten ein, von denen zwei realisiert wurden. Was wie ein zusammengehörendes Ensemble erscheint – links die Hauptpost mit Turm, rechts

der Hauptbahnhof –, zeigt bei genauerem Hinsehen fundamentale Unterschiede in der architektonischen Konzeption. Während das Architekturbüro Pfleghard & Haefeli auf neue Bauformen aus Eisenbeton mit mächtigem Turm aus Sandstein setzte (Post), orientierte sich der Erbauer des Bahnhofs – Alexander von Senger – am neubarocken Stil und an traditionellen klassischen Formen. Jahrzehnte später setzte der Architekt Otto Glaus mit dem Hotel Metropol den Schlusspunkt (ganz links).

2 | Den einen zu radikal, den anderen nicht radikal genug: Ursprünglich sollte die Fassade des Hotels Metropol am Bahnhofplatz gänzlich aus Glas konstruiert werden. Das Gebäude wäre 1952 zwar als modern, jedoch auch als Fremdkörper inmitten der Sandsteinfassaden von Hauptpost und Hauptbahnhof wahrgenommen worden. So entwarf der Architekt Otto Glaus schliesslich eine bescheidenere Rasterfassade als Ersatz. Der Bau des Hotels Metropol markierte gleichzeitig das Ende einer Jahrzehnte andauernden Bauphase auf dem Bahnhofplatz.

3 | Alt versus neu, 1967: Am Oberen Graben trafen Architekturphilosophien aufeinander. Rechts der Jugendstil mit seiner monumentalen Anmutung und seinem Formenreichtum, links die schlichte und symmetrische Fassade einer neuen Bauweise. Die Dynamik zwischen diesen Baustilen prägt die Stadt St. Gallen bis heute.

2 | StadtASG, PA Foto Gross, BA26717.
3 | StadtASG, PA Foto Gross, TA45360.

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