Hans Hürlemann
Helewie
So schwätzed d Appezeller
Appenzeller Verlag
2., aktualisierte Auflage, 2025
© 2019 by Appenzeller Verlag, ch-9103 Schwellbrunn
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Umschlaggestaltung: Janine Durot unter Verwendung eines Aquarells von Katja Nideröst
Gesetzt in Minion Pro Regular und Gotham Rounded Herstellung: Verlagshaus Schwellbrunn isbn 978-3-85882-918-4 www.appenzellerverlag.ch
Inhalt
Einleitung 9
Nack, näckig, Berenack 11
Schiff ond Gschier 12
Zwüsched fuul ond letz 13
Leiig oder ooleiig 14
Biös gohd all e Löftli 15
S tuet Noot 16
Näbis oder nütz 17
Gumi, Chnöpf ond Schümmel 18
Schnattere, schnatzge, schlofere, sorpfe 19
Gfächte, spitzig, gschmoge 20
Ees, zwää, drüü 21
Neweli, hinecht, fern 22
Bere, bere, beiere 23
Riife, Bick ond Bickli 24
Förbe ond schore 25
Hung ond Fiige 26
Tummi, Bschötti, Brotzig 27
Seelze ond söderig 28
Nüechtele, räächele, brääsele 29
En Schrää, en Briescht 30
Hesch din Tamme scho? 31
Landjäger, Pantli, Neugewürz 32
Chiide, kiide, chiie, cheie 33
«Zigerefisch ond was guet isch …» 34
Badeieli, Badiieli ond Bötterech 35
Nare, Nore, Grabelatschi 36
Glatteis und Charakter 37
Helenes nächtlicher «Chiich» 38
Bloob ond groob 39
För Ständ ond Gäng 40
Prächte, bredlecke ond tallmääre 41
Suwetter ond Hungregeli 42
Stapfete, Rigle ond Hagstecke 43
Schwein oder nicht Schwein 44
Löönterig, chrööpelig ond de Pföö 45
Haab, Habi, Chaab 46
Gfell ond Oogfell 47
Gäässe, Ross ond Fiiledreck 48
Äscheremecktig bis Blochmentig 49
E tuusigs bsesse limpfigs Schötteschli 50
En abbeckte Flettache 51
Wohl oder waul 52
Schotzgatter bis gächschötzig 53
E gmääits Wesli 54
Hofeli, hosam, tosam 55
Heer ond ooheer 56
Pfutscheli, Litz ond Tannegrötzli 57
S zaurig Elend 58
En Hond ond en lääre Sack 59
Schääch ond schelb 60
Seechthötte und Buuchi 61
«No nüd tue wie mörke» 62
Grempler ond Fäälträger 63
Beize oder bääze? 64
Fööfliber ond Backnasli 65
Die Fortsetzung des Rückgrats 66
Tännigs ond Bömmigs 67
Hädämpfig ond blööschtig 68
Mues ond Oomues 69
E Luus of em Chruud 70
Suur, Süürli, Süüregrend 71
Jetz horets 72
Fraueloobeli 73
Hetocht en Narre 74
E paar a d Ohre 75
#metoo of Appezellisch 76
Versteckte Gemeinheiten 77
Luuter chennig Lüüt 78
E heezabstöössige Souchog 79
Fläschesääl ond Welleböckli 80
Chendergarte oder Töckelischuel 81
Schnöchse, schlööne, tocke 82
Träägi ond Lääti 83
Ehegoomme und Babysitter 84
Trischte, Treschter, Schoche 85
«Bi de Aalte ischt mer kaalte» 86
Gaulig ond aardlech 87
Trüele, lättere, spodere, gödle 88
Am Mecktig isch Schlegelsitzig 89
Häb e chli en Sii! 90
Lieber wädli als gschwind 91
Henevogel und Heuläätere 92
Möschig ond störzig 93
Leed, Led, Ledi 94
Verzeichnis der Wörter 95
Verzeichnis der Redensarten und Redewendungen 105
Einleitung
Pessimisten haben immer wieder befürchtet, die Schweizer Mundarten könnten gänzlich untergehen oder zu einer Art schweizerdeutschem Esperanto degenerieren, das manchmal ziemlich respektlos als «Bahnhofbüffe-Olte-Tütsch» bezeichnet wird. Diese Angst vor dem Untergang hat bereits 1862 dazu geführt, dass die Arbeit am schweizerdeutschen Idiotikon begonnen wurde. Die Schweizer Dialekte sind nicht untergegangen, sie haben sich aber im Laufe der Jahre verändert. Zudem verschwinden erfahrungsgemäss in jeder Generation ungefähr zwanzig Prozent des Wortschatzes.
«Helewie» lautet der Titel dieses Büchleins. Das seltsame Wort schillert in verschiedenen Bedeutungen. Einerseits drückt es Erstaunen und Überraschung aus. Dann wird es meistens auf der Endsilbe betont: «Helewie, zääg emool, wa d gmacht hesch.» Andererseits aber, vor allem mit der Betonung auf der ersten Silbe, soll es aufmuntern zum Weitermachen: «Helewie! Da wäär mer no loschtig, wenn mer da nüd no fertig bräächtid.» Genau so möchte ich den Titel verstehen: als Aufmunterung an die Leserinnen und Leser, sich für die Sprache unseres Appenzellerlandes zu interessieren, ganz gleich, ob sie nun Einheimische oder Zugereiste sind. Die Sprache ist ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis der appenzellischen Kultur und Lebensart. Auch ausserhalb des Appenzellerlands kommt eine Abwandlung des
Wortes vor. Statt «helewie» verwendet man im St. Gallischen «selewie» in ähnlicher Bedeutung. Im Appenzeller Magazin vom Januar 2013 erschien meine erste Kolumne zu den Appenzeller Mundarten. Bis Mitte 2020 sind auf der letzten Seite, dem «Cheerab», mehr als achtzig solche Dialektbeiträge publiziert worden. Sie sind in diesem Büchlein in der gleichen Reihenfolge aufgeführt, wie sie im Magazin erschienen sind.
Selbstverständlich ist nicht alles auf meinem Mist gewachsen. Ich habe mich gern in verschiedenen Publikationen umgesehen, vor allem im Sprachschatz von Titus Tobler von 1837, in Joe Mansers Innerrhoder Sprachbuch, in Stefan Sondereggers Appenzeller Sprachbuch und in den Werken von Emmi Mühlemann-Messmer.
Hans Hürlemann
Nack, näckig, Berenack
Wer einem Ausländer vorführen will, wie Schweizerdeutsch tönt, der lässt ihn oder sie das unvermeidliche «Chochichäschtli» nachsprechen. Die Berner tun dasselbe mit dem «Miuchmäuchterli» und freuen sich diebisch an den phonetischen Verrenkungen der radebrechenden Fremden. Der 2012 verstorbene Zürcher Kabarettist Fredy Lienhard hatte in seinem Dialekt-Repertoire auch eine Nummer in Aus serrhoder Dialekt. Bei dieser Gelegenheit verwendete er eine Redensart, die heute längst nicht mehr alle Appenzeller verstehen. Sinngemäss sagte er: «De hed hüt aber gär nüd de Berenack.» Das heisst, dass der Betreffende keine gute Laune hatte. Er war also «söderig» oder «seelze» und machte «e suuri Schnore». Das seltsame Wort «Berenack» endet mit «Nack», und damit meint man einen Geschmack oder «Guu». «Näckegi Epfeli» sind Äpfel mit einem kräftigen, charaktervollen Geschmack, «e Soppe mit eme Näckli» schmeckt sonderbar, «ond en Servela, wo näckelet», stinkt zum Himmel und ist nicht mehr geniessbar.
Schiff ond Gschier
Die Appenzeller Zedel sind Schuldbriefe, die wichtige Hinweise auf die Geschichte der Flurnamen der Liegenschaften liefern, die als Sicherheit für die geliehene Summe beschrieben werden. Das geschieht in formelhaften Wendungen, etwa so: «Zu einem sicheren Unterpfand setze ich mein Gut, Haus und Heimat, Wies und Weid, Holz und Feld in der Tell genannt.» Solche Wortpaare kommen auch in Kaufverträgen, sogenannten Schickprotokollen, vor. So hiess es früher etwa, dass das Haus mit «Gschiff und Gschier» verkauft werde. Mit «Gschiff» oder «Schiff» werden Wagen, Fahrzeuge und Gefässe bezeichnet, mit «Gschier» alles andere Gerät, das man für die Landwirtschaft braucht. Nur das Wort «Gschier» ist erhalten geblieben. «E n aardlechs Gschier» ist ein unbekannter Gegenstand, dessen Namen und Funktion nicht klar ist, und mit «Werchgschier» meint man nicht genauer bezeichnetes Werkzeug. Zum Abwaschen verwendet man hierzulande nicht den Abwaschlappen, sondern den «Gschierfetze». Wenn aber eine Frau als «Gschier» bezeichnet wird, dann ist das keine Ehrenmeldung. Damit wird nämlich angedeutet, dass sie eine liederliche oder schmutzige Person sei.
Zwüsched
fuul ond letz
Unsere Mundart verändert sich ebenso wie die Welt um uns herum. Vor allem in Ausserrhoden spürt man in den letzten Jahrzehnten den wachsenden Einfluss des St. Galler Dialekts. Die Laute werden spitziger, das offene ä von «Chääs» wird zu «Chees». Daran lässt sich wohl kaum etwas ändern.
Vielleicht aber ist es möglich, das Interesse für den Inhalt der Sprache, also für Wortschatz, Sprachbilder und Redensarten wieder zu wecken. An der Vechschau in Urnäsch hörte ich mit vielen anderen einer Gruppe Sennen beim Zauren zu. Der Vorzaurer intonierte mit kraftvoll tragender Stimme ein besonders melodiöses Zäuerli. Ein Bauer nickte anerkennend und sagte: «De zauret uuf ond baar wie der Aalt.»
Er meinte damit, dass der junge Mann offenbar das Talent und die Singstimme von seinem Vater geerbt hat. Solche Wortpaare sind sehr beliebt in unserer Sprache. Wer sich nach dem Gesundheitszustand eines Nachbars erkundigt, den man schon längere Zeit nicht mehr gesehen hat, erhält hoffentlich die beruhigende Antwort: «Momoll, er isch gsond ond gfrääss.» Von einem wohlhabenden Menschen sagt man: «De seb het’s ond vermag’s.» Wenn jemand in einer ausweglosen Situation ist, sagt man, er müsse sich entscheiden «zwüsched fuul ond letz». Es wäre doch «sönd ond schaad», wenn solche Ausdrücke vergessen gehen würden.
Leiig oder ooleiig
Das Sprichwort «Gleich und gleich gesellt sich gern» gibt es auch im Appenzellischen. Dort heisst es aber: «D Lei fönt enand.» Wenn etwas einen miserablen Eindruck macht, nicht zusammenpasst oder unanständig ist, sagt man: «Da het e ke Lei ond ke Gattig.» «Machs doch of e n anderi Lei», bedeutet, dass es der Angesprochene auf eine andere Art und Weise versuchen soll. «Seb isch e n anderi Lei Lüüt», heisst, dass es sich bei den Angesprochenen um Menschen einer anderen Kategorie handelt, meistens «Mehbesseri», das sind vornehmere oder solche, die sich dafür halten. «E leiigs Zängli» ist ein praktisches Werkzeug, und «leiigi Nochbere» sind nette Nachbarn. Wenn jemand sagt: «Da isch wieder e leiigi Iirichtig», dann meint man das meistens ironisch, also, dass irgendetwas misslungen ist. Das Gegenteil von «leiig» ist «ooleiig». Dazu eine kurze Geschichte: Ein Appenzeller begegnet einem finster vor sich hin starrenden Unbekannten. Er grüsst ihn freundlich, erhält aber keine Antwort. Nach ein paar Schritten dreht sich der Appenzeller um und sagt zum unfreundlichen Fremden: «Wenn d hönne döre ase phaab (dicht, verstopft) bisch wie vorne, denn hesch es ooleiige.»
Bi ös gohd all e Löftli
Ungemütliche Wetterlagen haben wir zur Hauptsache dem «Bisloft», einem giftig kalten Wind aus Nordosten, zu verdanken. In unserer Sprache nennt man ihn häufiger «Vorderloft», der von vorne her, eben vom Vorderland her bläst. Logischerweise ist der «Hönderloft» der Wind aus Westen, der häufig mildere Temperaturen und Regenwetter bringt. In Innerrhoden spricht man – allerdings nicht mehr so oft – vom «Sonderwend» oder vom «Sonderloft», wenn man den Südwind, den Föhn meint, und ein «Suloft» ist ein unangenehmer Wind, der aus allen Richtungen blasen kann. «E n aardlechs Löftli» ist ein Wetterereignis, das dem Beobachter verdächtig erscheint, weil er nicht recht merkt, ob es der Vorbote von erfreulichem oder miserablem Wetter ist. Der Ausdruck «Jetzt goot en andere Loft» hat nicht unbedingt mit der Meteorologie zu tun. Man meint damit, dass sich die Lage geändert hat, ob am Arbeitsplatz oder zu Hause. Und wenn jemandem eine Sache «schiissegliich» ist, dann sagt er etwas anständiger: «Wegemine gäng de Loft», was im Klartext heisst: Von mir aus kann der Wind blasen, wie er will, es ist mir egal.
S tuet Noot
Vor Kurzem bestellte ich einen Handwerker für eine Renovationsarbeit. Er erkundigte sich besorgt, ob es denn pressiere. Ich konnte ihn beruhigen mit der Bemerkung: «Nenei, s het no ke Noot.» Mit «Noot» geht es in diesem Zusammenhang nicht um eine Hungersnot oder ähnliches, sondern nur darum, dass die Arbeit noch nicht sofort erledigt werden muss. Wenn einer wie ein aufgescheuchtes Huhn über den Fussgängerstreifen hastet, dann fragt ihn ein verwunderter Beobachter: «Hesch nootligs?», «Hesch de noodlige?» oder: «Hesch nootlech?» Der «Gwöndernasli» möchte wissen, weshalb er es so furchtbar eilig hat. Wenn man von jemandem sagt: «Er goot nüd ase gnoot i d Cherche», dann hat das mit Eile nichts zu tun, es geht nur darum, wie häufig der Betreffende in der Kirche anzutreffen ist. Mit der Frage «Wie gnoot mue me die Pille schlocke?» möchte man also wissen, wie oft man die Medizin nehmen muss.
Nach einer Orientierungsversammlung der Gemeinde kommt es vor, dass ein paar passionierte Jasser noch Mittäter suchen für den anschliessenden Gang ins Wirtshaus. Wenn ich deswegen angefragt werde, dann sage ich meistens: «Nee tanke, i hau es de gnooteweg hee.» Das hat einerseits damit zu tun, dass die Versammlung lange genug gedauert hat – viel mehr aber damit, dass ich kein guter Jasser bin. «De gnooteweg» heisst in diesem Fall: auf direktem Weg, ohne Abstecher in eine Beiz. «S tät Noot», dass solche Ausdrücke überleben könnten.
Näbis oder nütz
«Isch nüd nütz ond isch nüd näbis », sagt man, wenn etwas weder Fisch noch Vogel ist, weder gut noch schlecht. Wenn man aber nur die erste Hälfte der Redensart verwendet, dann wird die Sache positiv: «Da isch nüd gad nütz» bedeutet, dass die Sache etwas wert ist. «Da isch mönder as nütz», bedeutet, dass etwas keinen Pfifferling wert ist. «E nützigs Chögli» kann ein Hinweis auf einen unerfreulichen Zeitgenossen sein oder auf ein unpraktisches Werkzeug.
Das Gegenteil von «nütz» ist «näbis» und steht für «etwas». «Er isch näbis os em Thurgau» heisst, dass der Betreffende irgendwo aus dem Thurgauischen kommt. Ganz ähnlich tönt «näbe», wird aber anders verwendet. In letzter Zeit ist mir aufgefallen, dass ein aus dem Hochdeutschen eingewanderter Ersatz das einheimische Wort verdrängt. So hört man etwa: «Irgendwo ha n i da gseä.» Statt «irgendwo» heisst es doch «näbe». «Irgend wenn chom i scho no hee» –statt der Kombination mit «irgend-» verwendet man hierzulande «näbe n emool», statt «irgend wohee» «näbe hee» oder «näbe n ane».
Die Redensart am Anfang dieses Artikels muss der eine oder die andere wohl zweimal lesen, bis man sie richtig verstanden hat. Solche schrägen Sprüche haben die Appenzeller gern. Ein Bekannter hat jeweils einen solchen Spruch parat, wenn er nicht Stellung beziehen will. Mit einem verschmitzten Grinsen sagt er dann jeweils: «Jää – isch doch nütz ase veschide wie oogliich.»
Gumi, Chnöpf ond Schümmel
Meinungsverschiedenheiten gehören zum täglichen Leben und werden natürlich auch sprachlich abgebildet. In unserer Mundart gibt es eine ganze Reihe von malerischen Ausdrücken, die allesamt damit zu tun haben, dass man jemandem ungeschminkt die Wahrheit sagt, dass man dem Betreffenden unverblümt die Meinung geigt oder «dass mer em wüescht säät». «Em sebe han i denn Name ond Gschlächt gsäät» – «Dee han i schöö abepotzt» – «Dere han i d Chottle potzt», sind noch ziemlich verbreitete Redensarten. Etwas weniger häufig hört man: «Em sebe Söderi söttisch wider emol d Chnöpf iitue.»
Meine Favoriten sind aber die folgenden: «Dem Kärli sött me wider emool de Gumi schliife» – wer weiss, vielleicht hat ein mit Fantasie begabter Gummiarbeiter bei der Firma Huber+Suhner in Herisau den schönen Ausdruck erdacht. Die Goldmedaille gehört aber der letzten Redensart: «Dem Schlampi ha n i Schümmel ond Pläss uustäält.» Da wird auf anständige Weise gesagt, dass man jemandem «fadegraad» die Meinung gesagt, eventuell sogar ein paar «Schlötterlig» ausgeteilt hat. Was der Schimmel und der Appenzeller Sennenhund als harmlose Tiere mit einer Standpauke zu tun haben, ist nicht leicht herauszufinden. Im Idiotikon kommt immerhin «Bläss» als Schimpfwort für unreinliche, liederliche Personen vor.
Schnattere, schnatzge, schlofere, sorpfe
Besonders reichhaltig sind in unserer Sprache jene Ausdrücke vertreten, die ein Geräusch beschreiben. Wenn jemand versehentlich auf eine morsche «Haglatte» hockt, dann kann es sein, dass das Holz «schnatteret» und dass der unvorsichtige Mensch auf dem Boden landet – wenn er Pech hat, mit einer «Schnattere» am Bein, einer Risswunde, die auch als Narbe noch so heisst. Ähnliche Laute entstehen, wenn Stoff reisst, also wenn man die Hose «veschrenzt». Der «Schranz» kommt auch im Gelände vor als tiefer Einschnitt, und wenn ein Handörgeler «schrenzt», dann «verropft» er zwar nicht sein Instrument, spielt aber übertrieben laut.
Am Esstisch strengten sich meine Eltern an, uns Buben zu kultivierten Menschen zu erziehen. Wenn einer geräuschvoll die Suppe ass, dann kam sofort der Befehl: «Nenei, nüd schlofere – ond du mach s Muul zue bim Esse, me schnatzged nüd dereweg. Mer sönd do nüd im e Sustall.»
Flüssigkeiten machen halt wirklich schöne Geräusche. Wenn man die Feldflasche schüttelt, um zu erfahren, wie viel noch drin ist, «denn goderets», wenn sie noch nicht leer ist. Der Ablauf in einem Brunnen macht oft ein schlürfendes Geräusch, darum nennt man bei uns jene Ablaufröhre «Bronnesörpfe». All den durstigen Seelen wünsche ich während der sommerlichen Hitze «en chüele Sorpf».
Gfächte, spitzig, gschmoge
Noch vor wenigen Jahrzehnten musste die Mehrzahl der Appenzeller Familien sehr genau rechnen, um einigermassen über die Runden zu kommen, und darum gibt es auch sprachliche Spuren, die belegen, wie knapp es oft zu und her ging. «Si hend s erbe gfächte», sagt man, wenn jemand gerade so «häb chläb» durchkommt. Für die gleiche Situation sagt man auch etwa: «S het gschmoge glanget» oder: «Es isch gad spitzig uufgange.» «Facht» ist ein altes Wort für Mass. «Fächte» ist ursprünglich die obrigkeitliche Kontrolle der Hohl-, Gewichtsund Längenmasse, und der «Fächter» hatte in der Gemeinde diesen Auftrag auszuführen. «I has grad chöne fächte», heisst, dass man gerade noch das rechte Mass getroffen hat, dass man eine heikle Situation gerade noch gemeistert hat – mit Fechten mit Säbel oder Degen hat das Wort nichts zu tun.
Wenn man von jemandem sagt: «De seb hed scho gär ke Facht», dann meint man damit, dass der Betreffende das Mass völlig verloren hat, vielleicht, weil er masslos säuft oder sein Geld verjubelt hat. «Die zwee fächtid enand», bedeutet, dass sie einander die Waage halten. Das kann für Wahlen in ein öffentliches Amt gelten, aber auch für den Sport. Am besten hält man sich an die längst vergessene Redensart: «I tue nüd mee als s Fächtli», was heisst, dass man nicht mehr tun soll, als die eigenen Kräfte erlauben.