Rudolf Steiner Schule Solothurn 2021

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Der Weg zum Kopf führt am Herzen vorbei Mitzuerleben, wie die Kinder im ersten Schuljahr wachsen und sich entwickeln, ist sehr eindrücklich. Die letzten Fettpölsterchen verschwinden und mit ihnen die typische Gestalt des Kleinkindes. Immer wieder wackelt ein Zahn, und oft sind die Kinder in dieser Zeit auch in ihrer Gefühlswelt etwas wackelig unterwegs. Kinder im Vorschulalter erleben die Welt noch als Ganzheit, sie sind noch unmittelbar mit ihr ver­ bunden und vielfältig verwoben und handeln aus inniger Nachah­ mung. Mit dem Zahnwechsel löst sich nun aber das Geistig-Seeli­ sche vom physischen Körper. An die Stelle dieses alles beinhalten­ den Ganzen treten neu unkörper­ liche Bildinhalte, also ein inneres, seelisches Erleben. Das ermöglicht es dem Kinde, zum Beispiel einen Kreis für sich alleine vorzustellen und vom physischen Erleben und konkreten Bild des Balls oder der Sonne zu lösen. Darum zeichnen wir im Formenzeichnen nun auch Kreise, lernen den Buchstaben O schreiben und die Ziffer 0 ken­ nen, damit wir auch die Zahl 10

Matthias Lüthy Klassenlehrer

aufschreiben können. Aber immer muss auch das Seelische, müssen die Gefühle angesprochen werden. Die Buchstaben lernen die Kin­ der aus Geschichten und Bildern kennen, und im Rechnen zählen wir beim Spielen und mit Rhyth­ men. Durch dieses innere Erleben ist dem Kind nun auch ein inneres Nachahmen möglich. Es kann das Gute und Böse aus den Märchen innerlich nachahmen, darum hö­ ren wir jeden Tag ein Märchen. Im künstlerischen Tun wird ebenfalls das Seelische angesprochen, und alles Anschauliche, das die Kinder mit den Händen erfahren, geht auf dem Weg in den Kopf immer am Herzen vorbei. Entwickelt sich im ersten Jahrsiebt zwischen Geburt und Zahnwechsel der physische Leib, so folgt nun in den Jahren bis zur Geschlechtsreife der Ätherleib, der Lebensleib. Die klare Gliede­ rung und starke Rhythmisierung unseres Schulalltags und natür­ lich auch das gesunde Znüni aus dem Cibus, das wir gemeinsam es­ sen, bevor wir nach draussen in die Pause spielen gehen, stärken diese Lebenskräfte. Wer noch nie

den Erstklässler*innen nach dem Epochenunterricht beim Znüni­ essen zugeschaut hat, wird nicht glauben, wie viele Brötchen, Äpfel und Rüebli sie verputzen können. Wenn wir Znüni essen, dann sieht das beinahe so aus, wie wenn eine Familie gemeinsam am Esstisch sitzt, weil wir ja nur eine ganz klei­ ne Klasse sind. Das hat wie alles zwei Seiten. So sieht zwar der Leh­ rer praktisch jeden Strich, wenn die Kinder Buchstaben schrei­ben, und kann verhindern, dass sich falsche Formen einschleifen. An­ dererseits ist es aber lästig, dass immer alle alles von allen mitbe­ kommen. Und wenn zwei Kna­ ben gerade einmal mit dem Drit­ ten nicht spielen wollen, dann merkt dieser schmerzlich, dass wir eine so kleine Klasse sind. Darum freuen wir uns sehr darauf, dass nach den Sommerferien noch die neuen Erstklässler*innen-Schar zu uns kommt. Als schon erfahrene Schüler*innen werden wir ihnen dann vorleben können, wie Schule geht und ihnen beim Lernen von all dem Neuen helfen können. Matthias Lüthy


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