Spielzeitheft Staatstheater Mainz 2022/23

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es uns fällt, selbst (oder gerade) unter größtem Druck Entscheidungen zu treffen. Diesen und vielen anderen ­P roduktionen ist gemeinsam, dass sie uns nicht mit einer einfachen Antwort aus dem Abend entlassen, sondern uns provozieren, in verschiedene Richtungen auf einmal zu denken. Ähn­liches gilt für das Musiktheater, das in Die Eroberung von Mexico von W ­ olfgang Rihm nach dem Grund­ sätz­lichen hinter den vermeintlichen ­historischen Tatsachen sucht und das Aufeinanderprallen unterschiedlicher Weltanschauungen reflektiert, Peter Pan löst Realitäten und Gesetzmäßigkeiten von Zeit und Raum gleich ganz auf, Cosí fan tutte fragt spielerisch, wohin uns ständiges Misstrauen ­bringen kann und warum wir so verletzlich sind, wenn wir Nähe wagen, und Im Dickicht, unsere Koproduktion mit den Schwetzinger SWR Fest­ spielen, stellt ganz konkret in einer Gerichtsverhandlung die Frage, ob sich Wahrheit rekonstruieren lässt,

wie viel Wert Zeugenschaft hat – und ob wir unseren Augen und Ohren überhaupt trauen können. Damit schlägt die Oper einen dramaturgisch gefassten Bogen über verschiedene Epochen und gibt musikalische und ästhetische ­A nregungen, über Fantasie, Fakten und die eigene Urteilskraft nachzu­ denken. Und hier schließt sich der Kreis, wieder geht es um die Methode! Denn auch dieses Thema ist über die konkrete Auseinandersetzung in den Stücken hinaus ganz grundsätzlich ein Theaterthema. Gerade in der Auseinandersetzung mit so genannten Fakten kann das Spiel auf der Bühne und unser Zusammentreffen vorher und nachher einen Gegenentwurf ­bilden. Theater nimmt keine Weisheit für sich in Anspruch, sondern geht Umwege. Es ist eine der größten Errungenschaften unserer europäischen Geschichte, die wir, so meine ich, 27


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