The Red Bulletin Skills Special

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DAS F IK T IV E PH ILO S O PHEN- IN T ERV IE W

GOETHE SAGT:

„Grübel nicht ewig rum, sondern tu was!“

the red bulletin: Herr Goethe, nach der Schule haben Sie Jura stu­ diert, dann aber als Schriftsteller Karriere gemacht. Ihr Erfolg führ­ te Sie nach Weimar, wo Sie als ­Minister dienten. Und dann waren Sie auch noch Naturforscher. Was davon war nun Ihre Berufung? goethe: Alles. Denn ich hatte nur eine Berufung: Goethe zu sein. Und das bin ich geworden, ohne dass ich Zu Ihrer Zeit war das leichter. mich groß gefragt hätte, was meine Heute gibt es so viele Möglich­ Berufung ist. Jurist wurde ich, weil „Noch wichtiger mein alter Herr partout wollte, dass als Glück ist der Mut, keiten. Wo soll man anfangen? Guter Punkt. Deshalb habe ich ich Jura studiere. Offen gestanden sich aufs Leben in meinem „Wilhelm Meister“ hatte ich überhaupt keinen Nerv dafür. Aber es gab mir die Chance, geschrieben, am besten sei es für einzulassen.“ von zu Hause wegzukommen. Und einen jungen Menschen, „wenn das war gut, denn in Leipzig hatte er von der Natur mit mäßigem, ich dann die Freiheit, zu tun, wonach mir der Sinn ­ruhigem Sinn begabt ist, um weder­unverhältnismäßige Forderungen an die Welt zu ­machen, noch stand. Und das waren Kunst und Poesie. Das wurde auch von ihr sich bestimmen zu lassen“. Berufung ist mir in dieser Zeit erst richtig klar. das Ergebnis einer Wechselwirkung, wie bei einem Gespräch. Du fragst etwas, du bekommst Antwort. Wollen Sie damit sagen, dass es völlig okay ist, sich Du fragst etwas anderes … Und irgendwann hast nach Schulabschluss ein bisschen treiben zu lassen du’s verstanden. Dann hast du rausgefunden, was für und zu schauen, wohin es einen zieht? dich stimmt. Aber das geht nur, wenn du dich aufs Nicht ganz. Sich treiben zu lassen ist mir zu passiv. Sie Gespräch einlässt. Es macht nichts, sich zu verirren. müssen schon was unternehmen, sich ausprobieren. Solange du im Gespräch bleibst, gibt es keine verlorene Ich habe ja nicht in Frankfurt gesessen und vor mich Zeit. Der einzige Fehler, den du machen kannst, ist hin gegrübelt, was ich tun soll. Nein. Vater sagte: rumsitzen, nichts tun und auf die Erleuchtung warten. „Geh studieren!“ Ich hab’s gemacht, bin ausgezogen, habe es versucht und festgestellt, dass das nicht mein Weg war. Wenn Vater gesagt hätte: „Mach erst mal JOHANN WOLFGANG VON GOETHE (1749–1832) gilt als be­ eine Ausbildung zum Tischler“, hätte ich es auch deutendster deutschsprachiger Dichter. Mit seinem Erstlings­ gemacht – zumindest wenn ich damit von zu Hause roman „Die Leiden des jungen Werther“ wurde er nicht nur weggekommen wäre. Was ich sagen will: Besser als ­europaweit zu einem der meistgelesenen Autoren, sondern rumhängen ist es, irgendetwas auszuprobieren. Und schuf auch eine Romanfigur, die ein neues Lebensgefühl ver­ wenn dir nichts einfällt, dann lass es dir von jemandem mittelte. Als Naturforscher, Künstler, Staatsmann und Welt­ sagen, der dich kennt und es gut mit dir meint. bürger ist Goethe für viele Menschen zum Vorbild geworden. Aber der Schuss kann doch nach hinten losgehen. Was, wenn ich etwas anfange, was nicht zu mir 16

CHRISTOPH QUARCH, 57, ist deutscher Philosoph, Zuletzt von ihm erschienen: „Kann ich? Darf ich? Soll ich? Philosophische Antworten auf alltäg­liche Fragen“, legenda Q, 2021. THE RED BULLETIN

BENE ROHLMANN

passt? Viele Ihrer Dichterkollegen sollten Pfarrer werden und haben schwer darunter gelitten. Hätte ich auch … (Lacht.) Ja, da hatte ich mehr Glück, das stimmt. Aber noch wichtiger ist der Mut, sich aufs Leben einzulassen. Ein Beispiel: Als mich der Fürst nach Weimar rief, dachte ich nicht daran, bei ihm ­Finanzminister zu werden. Ich dachte: Das wird ein nettes Stipendium, das mir die Freiheit zum Schreiben gibt – und zum Flirten (lacht). Na ja, und dann sollte ich mich um Geld und Bergbau kümmern. Ich hatte keine Ahnung, aber ich habe ja gesagt. Und das war gut. Ohne die Erfahrung als Politiker wäre ich nie Goethe geworden. Deshalb noch mal: Nimm die Angebote an, die dir das Leben macht! So findest du deine Berufung.

DR. CHRISTOPH QUARCH

Kaum ist die Schule geschafft, kommt schon die nächste Herausforderung: Berufswahl. Welche Ausbildung wähle ich? Welchen Weg schlage ich ein? Vor diesen Fragen standen auch die Großen der Vergangenheit. Johann Wolfgang von Goethe zum Beispiel. In unserem fiktiven Interview mit dem deutschen Philosophen Christoph Quarch verrät er, wie man seine Berufung finden kann.


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