The Red Bulletin AT 01/22

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DAS F IK T IV E PHILO S O PHEN- IN T ERV IE W

NIETZSCHE SAGT:

„Die Vernunft gehört in den Restmüll!“ Gesundheit ist für viele Menschen das höchste Gut. Aber ist sie wirklich das Wichtigste im Leben? Friedrich Nietzsche war immer krank – und hat sich gerade deshalb viele Gedanken über die Gesundheit gemacht. Was dabei herausgekommen ist, erklärt er in unserem fiktiven Interview mit dem Philosophen Christoph Quarch.

Na ja, aber es können doch nicht alle so ­große Autoren werden wie Sie … Na und? Jeder kann in seinem Umfeld etwas Großes schaffen. Jeder kann seine verdammten Träume verwirklichen. Jeder kann tanzen, wenn er nur wollte. Aber ihr wollt nichts – außer ein bisschen Spaß haben und gesund sein! Und dann redet ihr euch auch noch ein, dass ihr vernünftig seid, wenn ihr alles diesen Zielen unterordnet. Ich aber sage euch: Genau diese „Vernunft“ könnt ihr getrost in eure Restmülltonnen schmeißen. Diese „Rationalität“ verhindert „Das ist es, worum nämlich, dass ihr wachst und große es im Leben geht: Menschen werdet. Menschen, die schöpferisch sein sich dem Leben stellen, die sich dem Schmerz stellen – die ob ihrer und etwas Eigenes Schwäche lachen und der Stimme hinterlassen.“ ihres Herzens folgen.

Aber Sie sagen doch selbst, dass man dafür gesund sein muss. Sage ich nicht. Ich war nie gesund und habe trotzdem Großes geschaffen. Wahrscheinlich wäre mir das nie gelungen, wenn ich nicht meine Krankheit in eine Energiequelle verwandelt hätte. Es ging mir immerzu besch… bescheiden – ja, gerade deshalb habe ich wie wahnsinnig gearbeitet; gerade deshalb habe ich mein Bestes geben können. Ich wusste, was ich wollte – und das war viel mehr, als mich um meine Gesundheit zu kümmern, mir etwas Schönes zu gönnen oder im Spa rumzuhängen. Unter uns, mein Freund: Dass ihr so

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Hm, und was müsste man Ihrer Ansicht nach tun, um – wie Sie es ausdrücken – ein großer Mensch zu werden? Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können. Besser kann ich es nicht sagen. Schluss mit der ewigen Nüchternheit und dem Schonwaschgang! Mut zum Rausch statt ängstlich herumdümpeln, wäre meine Devise. Was man dafür braucht? Ein leidenschaftliches Herz, sonst nichts. Und das wohnt sogar in deiner Brust, mein Freund. FRIEDRICH NIETZSCHE (1844  – 1900) gilt als einer der schärfsten Kritiker der technisch-rationalen Moderne. Mit seinem Werk „Also sprach Zarathustra“ inspirierte er Generationen von Künstlern und Denkern, neue Wege zu gehen. Dabei war Nietzsche häufig krank, er litt an immer wiederkehrenden Migräneschüben. Dennoch – oder gerade deshalb – schrieb er viel über die leibliche und geistige Gesundheit des Menschen. CHRISTOPH QUARCH, 57, ist deutscher Philosoph, Gründer der Neuen Platonischen Akademie (akademie-3.org) und Autor zahlreicher philosophischer Bücher, zuletzt: „Kann ich? Darf ich? Soll ich? Philosophische Antworten auf alltägliche Fragen“, legenda Q, 2021.

THE RED BULLETIN

BENE ROHLMANN

Mit diesen Worten aus „Also sprach Zarathustra“ haben Sie diejenigen verspottet, die Sie „die letzten Menschen“ nannten. Was finden Sie so problematisch daran, dass Menschen die Gesundheit ehren? Wir alle wollen gesund sein. Ich auch. Meine Güte, Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr ich unter meinen Kopfschmerzen leide. Ich bin quer durch Europa gereist, um Orte zu finden, an denen ich es irgendwie aushalten konnte. Aber das heißt nicht, dass ich alles meiner Gesundheit untergeordnet hätte. Ich wollte gesund sein, um meine Arbeit machen zu können: um etwas zu schaffen. Denn das, mein Freund, ist es, worum es im Leben geht: schöpferisch sein und etwas Eigenes hinterlassen.

DR. CHRISTOPH QUARCH

the red bulletin: Herr Nietzsche, wie geht es Ihnen? friedrich nietzsche: Danke, die Kopfschmerzen haben etwas nachgelassen. Obwohl ich mir nach wie vor den Kopf über Ihre Zeitgenossen zerbreche. Sehen Sie, es ist jetzt bald 150 Jahre her, dass ich über die Menschen der Moderne schrieb: „Man hat sein Lüstchen für den Tag und sein Lüstchen für die Nacht. Aber man ehrt die Gesundheit.“ Daran hat sich nichts geändert.

viel um eure Gesundheit kreist und so viel Aufhebens um eure Wehwehchen macht, verrät mir, dass ihr klein geworden seid: Zwerge, die keine Idee mehr davon haben, wofür sie leben wollen. Ihr lasst euch treiben und macht, was alle machen.


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