
4 minute read
LESESTOFF. Der Brite Peter McLean verquickt Fantasy-Roman und Gangsterepos.
MAGISCHER THRILLER Tolkien trifft Tarantino
Der britische Autor Peter McLean führt ein Kunststück vor: Er schafft es, im Rahmen eines Fantasy-Romans ein knallhartes Gangsterepos zu inszenieren.
Text JAKOB HÜBNER
Schubladen schaffen Ordnung. Das wissen nicht nur Buchhalter, sondern auch Buchverlage. Und so werden literarische Genres mit erfinderischem Eifer in einen Haufen Subgenres zerlegt, die dem Leser bei der Suche nach der Wunschlektüre als Wegweiser dienen sollen.
Eine der jüngeren Errungenschaften auf diesem Gebiet nennt sich „Grimdark“. Diese Kategorie markiert eine Abzweigung in die dunklen Ecken der Fantasy. Mit ähnlichen Mustern: Die Helden sind zynisch, die Atmosphäre ist düster, der Härtegrad hoch und Moral bestenfalls lästig.
Ein weiteres Merkmal der „Grimdark“-Abteilung ist, dass sie mit klassischer Fantasy recht wenig zu tun hat – wenn’s richtig zur Sache geht, stehen Zauberer, Elfen, Zwerge und der Rest der Hokuspokus-Truppe meist längst unter der Dusche.
Deshalb ist auch oft von einem „neuen Realismus der Fantastik“ die Rede. Semantisch betrachtet eine kühne Wortschöpfung, unbestritten ist aber, dass hier tatsächlich eine neue Leserschaft ins Visier genommen wird, der Quentin Tarantino vermutlich näher liegt als J. R. R. Tolkien.
Ein wunderbares Beispiel für die Artenvielfalt, die sich aus der „Grimdark“-Schublade zaubern lässt, liefert der 1972 geborene britische Autor Peter McLean mit dem „Kampf um den Rosenthron“. In deutscher Übersetzung sind bisher zwei der auf insgesamt vier Bände angelegten Reihe erschienen – „Priest of Bones“ (2020)
Der Anfang von „Priest of Bones“
Nach dem Krieg kehrten wir heim.
Fünfundsechzigtausend an Schlachtenkoller leidende Berufstotschläger kamen in ihre Heimat zurück, wo es keine Arbeit und nichts zu beißen gab und die Pest wütete. Was hatte Ihre Majestät eigentlich gedacht, wie das ausgehen würde? „Trinkt, Jungs!“, rief ich. „Das geht ab jetzt aufs Haus!“ „Jawoll!“, erwiderte Bloody Anne, warf den Wirt zur Tür hinaus und sperrte hinter ihm ab.
und „Priest of Lies“ (2021) – bezeichnenderweise im KlettCotta Verlag, der im deutschsprachigen Raum als Pionier der Fantasy-Literatur gilt. Warum die Titel der Folgen noch immer englisch sind? Keine Ahnung, vermutlich Verlagsstrategie.
Dahinter verbirgt sich jedenfalls ein herrlich räudiges und herzerfrischend kaltblütiges Gangsterepos, in dem Magie nur dann eine Rolle spielt, wenn sie tödlich wirkt. Aber die Sache ist noch vielschichtiger: Denn McLean reizt alle, wirklich alle Klischees und Stereotype des Meuchelmilieus derart hemmungslos aus, dass unter dem derben Gangsterepos auch immer wieder eine feine Parodie durchblitzt – also ein Genre im Genre im Genre.
Ich-Erzähler und Titelheld der Geschichte ist der Soldatenpriester Tomas Piety, der nach einem langen und blutigen Krieg gemeinsam mit einer Handvoll Überlebender in seine Heimatstadt Ellinburg zurückkehrt, um dort seine „Geschäfte“ als Anführer der „Pious Men“ wieder aufzunehmen: Schutzgeld, Spelunken, Spielhöllen und Bordelle. Tomas ist weder gläubig noch fromm, aber er hat seine Grundsätze, von denen der oberste lautet: Wenn du etwas willst, musst du es dir nehmen – und diesmal will Tomas nicht nur ein paar Straßen, sondern die ganze Stadt.
Zur Seite stehen ihm dabei unter anderem seine treue Sergeantin Bloody Anne (deren Name aus einer innigen Liebe zum Nahkampf hervorging), sein jüngerer Bruder Jochan (der sich wahlweise im Vollrausch, im Blutrausch oder in beiden gleichzeitig befindet), der dicke Luka (der wesentlich intelligenter ist, als er eigentlich sein dürfte), Billy the Boy (ein zwölfjähriger Waisenknabe mit erschreckenden magischen Fähigkeiten) und natürlich seine beiden „Klageweiber“ (zwei Kurzschwerter, die Tomas stets umschnallt, wenn es Wichtiges zu erledigen gibt).
Doch ausgerechnet als die Geschäfte vielversprechend anzulaufen beginnen, taucht die geheimnisvolle Ailsa (eine ebenso mächtige wie skrupellose Agentin der Königin) in Ellinburg auf. Sie hat den Soldatenpriester Tomas Piety für höhere Weihen vorgesehen …
PETER McLEAN „Der Kampf um den Rosenthron“
Deutsch von Jochen Schwarzer
Klett-Cotta
BUCHTIPPS Punk-Landung
„Cyberpunk“ ist düstere Science-Fiction – und vielleicht gerade deshalb das einflussreichste Literatur-Genre der Gegenwart.
WILLIAM GIBSON Der 1948 geborene US-Autor William Gibson gilt als Erfinder des Cyberpunk. Seine zigfach ausgezeichnete „Neuromancer“-Trilogie, deren erster Teil 1984 erschien, prägte Begriffe wie Cyberspace oder Matrix. Ganz nebenbei hat Gibson mit seinem SciFi-Kumpel Bruce Sterling auch den retrofuturistischen Steampunk („Die Differenzmaschine“) salonfähig gemacht. „Die NeuromancerTrilogie“ (Heyne)
PHILIP K. DICK Der US-Comic-Autor Art Spiegelman („Maus“) meinte einmal, Philip K. Dick sei für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts das, was Franz Kafka für die erste war. Die Romanvorlage für Ridley Scotts Kultfilm „Blade Runner“ erschien bereits 1968 – allerdings unter dem sperrigen Titel „Träumen Androiden von elektrischen Schafen?“. Grandios: die Neuübersetzung von Manfred Allié von 2017. „Blade Runner“ (S. Fischer)
NEAL STEPHENSON New-Media-Nerds bezeichnen ihn als Guru, Literaturkritiker als Genie: Den Grundstein für diese Huldigungen legte der 1959 in Maryland geborene Ausnahmekönner mit seinem Cyberpunk-Roman „Snow Crash“ (1992), der im Silicon Valley wie eine Bibel gehandelt wurde. Aktuell mischt Stephenson die Community mit dem 1150-Seiten-Ziegel „Corvus“ auf – brillant wie immer. „Snow Crash“ (Fischer Tor)
MATTHIAS ODEN Inspiriert von der legendären (derzeit leider vergriffenen) „Punktown“-Serie von Jeffrey Thomas, legte der deutsche Newcomer Matthias Oden im Jahr 2017 mit „Junktown“ einen bemerkenswerten Debütroman vor, in dem er klassische Zutaten des Cyberpunk mit Biotech würzt. Oberste Regel in diesem dystopischen Gesellschaftsspiel: Abstinenz ist Hochverrat! „Junktown“ (Heyne)