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Hilfe für gereizte Harnwege ...

… unter Berücksichtigung von Resistenzsituation und Patient:innenwünschen

Harnwegsinfekte (HWI) zählen zu den häufigsten Gründen, warum allgemeinmedizinische Praxen aufgesucht werden.1 Vornehmlich betroffen ist das weibliche Geschlecht: Laut einer britischen Erhebung haben 37 % der Frauen zumindest einmal in ihrem Leben einen HWI, fast 80 % jener Gruppe litten bereits mehrmals darunter. Die jährliche Inzidenz beträgt bis zu 11 %.2 Die Dunkelziffer muss allerdings höher angesetzt werden, da unkomplizierte HWI häufig einen selbstlimitierenden Verlauf haben bzw. eine Selbstmedikation mit bereits zuvor verschriebenen Medikamenten erfolgt.1 In der besagten Erhebung kam es in 65 % der Fälle zu einem Kontakt mit einem (Haus-)Arzt oder einer (Haus-)Ärztin.2 Anhand der jeweils typischen Symptome kann unterschieden werden zwischen … • … einer Zystitis, die mit Schmerzen beim Wasserlassen, Pollakisurie, imperativem Harndrang und Schmerzen oberhalb der Symphyse einhergeht, und … • … einer Pyelonephritis, wenn die

Symptome auch Flankenschmerz, ein klopfschmerzhaftes Nierenlager und/ oder Fieber umfassen. Die Beschwerden können gemeinsam mit jenen der

Zystitis auftreten oder auf sie folgen.3

Augenmerk auf Komplikationen

Für die Therapieentscheidung ist besonders relevant, ob es sich um einen unkomplizierten oder um einen komplizierten HWI handelt. Ein HWI gilt dann als unkompliziert, wenn keine funktionellen oder anatomischen Anomalien im Harntrakt vorliegen und es keine relevanten Nierenfunktionsstörungen bzw. Vor- und Begleiterkrankungen gibt, welche den Verlauf ungünstig beeinflussen könnten. Die in der Infobox gesammelten Faktoren erfordern das Augenmerk des oder der Behandelnden, ihr Vorliegen muss allerdings nicht zwangsläufig einen schweren Verlauf zur Folge haben. Als Differentialdiagnosen sind Harnröhreninfektionen, gynäkologische Infektionen bzw. eine Prostatitis in Betracht zu ziehen.3

Diagnostisches Vorgehen bei unkompliziertem HWI

Bei Verdacht auf einen unkomplizierten HWI mit typischer Anamnese inkl. des Ausschlusses von pathologischem Fluor vaginalis empfiehlt sich die Anwendung eines Harnstreifentests. Folgende Ergebnisse können den Verdacht erhärten bzw. abschwächen:3 • Nitrit positiv, Leukozyten-Esterase positiv / Nitrit positiv, Leukozyten-

Esterase negativ / Leukozyten-Esterase positiv, Blut positiv: HWI sehr wahrscheinlich, keine weitere Diagnostik nötig. • Nitrit negativ, Leukozyten-Esterase positiv: HWI wahrscheinlich. • Nitrit negativ, Leukozyten-Esterase negativ: HWI weniger wahrscheinlich. Dabei ist zu beachten, dass nicht alle Bakterien Nitrat zu Nitrit reduzieren – der Test erfasst einige Pseudomonaden, Enterokokken und Staphylokokken nicht. Außerdem muss eine bestimmte Bakterienkonzentration gegeben sein, damit das Testfeld positiv wird. Eine Verweilzeit des Urins in der Blase von > 4 Stunden begünstigt den Nachweis.3

Partizipative Entscheidungsfindung

Obwohl die Leitlinie in Bezug auf HWI nach wie vor Antibiotika bei akuter unkomplizierter Zystitis empfiehlt, unterstreicht sie, dass die Indikation einer Antibiotikatherapie kritisch gestellt werden sollte. Nur so können Ärztinnen und Ärzte unnötige Therapien vermeiden und die Entwicklung von Resistenzen vermindern.3 Laut Daten des Robert-Koch-Instituts sind knapp 48 % der getesteten E.-coli-Stämme gegen Ampicillin resistent, 28,9 % gegen

Amoxicillin/Clavulansäure und 22,6 % gegen Cotrimoxazol. Gegen Fosfomycin und Nitrofurantoin gibt es hingegen (noch) kaum Resistenzen.4 Außerdem müssen die Präferenzen der Patientinnen und Patienten bei der Therapieentscheidung unbedingt berücksichtigt werden. Berichten sie von leichten bis mittelgradigen Beschwerden, kann eine alleinige symptomatische Therapie als Alternative zur antibiotischen Behandlung angeboten werden.3 Verglichen mit einer sofortigen antibiotischen Behandlung, waren bei symptomatischer Behandlung mit Ibuprofen nach einer Woche 70 % der betroffenen Frauen beschwerdefrei, bei Antibiotikagabe waren es 80 %.5

Erprobte pflanzliche Wirkstoffe

Insbesondere bei unkomplizierten rezidivierenden Zystitiden wünschen sich Betroffene oftmals sanftere therapeutische Alternativen aus dem Pflanzenreich. Nicht zuletzt zieht bei ca. 10–30 % der Frauen eine Antibiotikaeinnahme eine Scheidenpilzinfektion nach sich.6 Nachfolgend sollen einige pflanzliche Wirkstoffe vorgestellt werden, deren Einsatz sich bei Personen mit HWI bewährt hat. Natürlich können diese auch ergänzend zu Antibiotika eingesetzt werden.7 Bärentraubenblätter: Sie gehören zu den Harnwegsdesinfizientien. Allerdings sollten sie nur maximal einmal pro Monat zur Anwendung kommen.7 Die Toxizität gegenüber den bakteriellen Erregern entsteht durch das Zellgift Hydrochinon, das womöglich auch auf den Menschen mutagen wirken könnte, weswegen die Einnahmedauer kurz gehalten werden sollte.8 Birkenblätter: Sie wirken sowohl harntreibend als auch antientzündlich.7 Das Anwendungsgebiet umfasst daher die Durchspülung der Harnwege, insbesondere bei Harnwegsentzündungen und Nierengrieß, außerdem unterstützend bei bakteriellen HWI.9 Brennnesselblätter: Ihr Wirkspektrum ähnelt jenem der Birkenblätter.7 Sie werden traditionell zur innerlichen Anwendung mit dem Ziel der Durchspülung des Harntraktes eingesetzt.10 Cranberrys: Diese können als Stimulator der angeborenen Immunabwehr angesehen werden und hemmen die Adhäsion von E. coli an die Wirtszelle. Häufig unterliegen die Präparate allerdings dem Lebensmittelrecht. Man muss eine möglichst hohe Dosierung wählen, um eine Wirkung zu erzielen.8 Goldrutenkraut: Es fördert bei gleichzeitigem Konsum von ausreichend Flüssigkeit die renale Ausscheidung und wirkt darüber hinaus antiinflammatorisch.7 Auch eine analgetische Wirkung konnte in Versuchen gezeigt werden.8 Kapuzinerkressenkraut und Meerrettichwurzel: Beide wirken desinfizierend auf den Harntrakt.7 Die in ihnen enthaltenen Senfölglykoside wirken stark antibakteriell und in einem geringeren Maß antientzündlich.8

KOMPLIZIERTER HARNWEGSINFEKT1,3

Folgende Kriterien definieren einen komplizierten HWI bzw. gelten als Risikofaktoren für einen solchen: „ alle HWI bei Kindern, Schwangeren und

Männern „ funktionelle Besonderheiten, z. B. Niereninsuffizienz „ angeborene oder erworbene anatomische

Veränderungen, z. B. Ureterabgangsstenose, Nierensteine, Zustand nach OP „ Immunsuppression bzw. Störungen der

Immunität, z. B. HIV, schlecht eingestellter

Diabetes „ innerhalb der letzten zwei Wochen: - Anlage eines Harnkatheters - Entlassung aus Krankenhaus oder

Pflegeheim - Antibiotikatherapie

Mag.a Marie-Thérèse Fleischer, BSc

Quellen: 1 Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und

Familienmedizin e. V., S3-Leitlinie: Brennen beim

Wasserlassen, Stand: 07/2018. 2 Butler CC et al., Br J Gen Pract 2015; 65(639): e702-7. 3 Deutsche Gesellschaft für Urologie et al., Interdisziplinäre S3-Leitlinie: Epidemiologie, Diagnostik, Therapie,

Prävention und Management unkomplizierter, bakterieller, ambulant erworbener Harnwegsinfektionen bei erwachsenen Patienten, Stand: 04/2017. 4 RKI, zitiert nach: Deutsche Gesellschaft für Urologie et al., 04/2017. 5 Gágyor I et al., BMJ 2015; 351: h6544. 6 Shukla A & Sobel JD, Current Infectious Disease

Reports 2019; 21: 44. 7 Springer-Verlag Berlin Heidelberg, Pflanzliche Hilfe bei Harnwegsinfekten. CME 2017; 14: 38. 8 Hensell A, Phytotherapie.at 2020, 14(2): 6-8. 9 Kooperation Phytopharmaka, Arzneipflanzenlexikon:

Birke, abgerufen am 31.03.2022. 10 Länger R, Phytotherapie.at 2020, 14(2): 12-13.