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Mehr Offenheit für die Integrative Medizin“

Dr. Thomas Peinbauer, Univ.-Lektor für Komplementärmedizin in der Allgemeinpraxis an der JKU Linz, über Vorurteile und Chancen

Komplementärmedizinische Methoden werden öffentlich und in Medizinkreisen kontrovers diskutiert. Fakt ist, dass Hausärztinnen und -ärzte oftmals mit Patientenfragen zu diesem Thema konfrontiert werden. Allgemeinmediziner Dr. Thomas Peinbauer ist Mitbegründer der PVE Hausarztmedizin Plus in Haslach in Oberösterreich und betreibt auch eine homöopathische Privatordination in Linz. An der Medizinischen Fakultät der Johannes-KeplerUniversität (JKU) ist er Lehrbeauftragter für Komplementärmedizin in der Allgemeinpraxis. Im Interview spricht der engagierte Arzt über die Rolle von Behandlungen, die nicht auf dem Modell der konventionellen Medizin beruhen. Humanmedizin zu definieren. Beim Inhalt konzentriere ich mich auf die zwölf Ansätze, die von der Österreichischen Ärztekammer als komplementärmedizinische ÖAK-Diplome angeboten werden. Die Aufzählung ist nach der Zahl der Diplominhaber geordnet: Akupunktur, Manuelle Medizin, Homöopathie, Neuraltherapie, Orthomolekulare Medizin, TCM, Diagnostik und Therapie nach F. X. Mayr, Begleitende Krebsbehandlungen, Phytotherapie, FMD, Kneipp-Medizin und Anthroposophische Medizin. Die Lehrinhalte reichen von Grundprinzipien über Arzneimittel, Methoden, Indikationen bis hin zu Kontraindikationen und wissenschaftlicher Evidenz.

Welche Rolle spielt die Komplementärmedizin in der ärztlichen Praxis?

Komplementärmedizin folgt häufig einem salutogenetischen Ansatz. Manche Therapiemethoden gehören in die Hand von Ärzten, um die Patientensicherheit zu garantieren. Andere sind geeignet, bei guter Ausbildung auch von Nichtärzten angewendet zu werden. Eine aktuelle Umfrage der ÄK für OÖ ergab, dass

20 Prozent der Ärztinnen und Ärzte in OÖ Komplementärmedizin anwenden, ergänzend zur Schulmedizin. Laut Umfrage kommt am häufigsten die Akupunktur, gefolgt von Manueller Medizin, Phytotherapie, Neuraltherapie und Homöopathie, zum Einsatz. Jeder Arzt sollte über ein Grundwissen verfügen und einschätzen können, ob die vom Patienten in Eigenregie durchEXPERTE:: geführten komplementärmedizinischen Dr. Thomas Peinbauer Maßnahmen zu Nebenwirkungen und/ Integratives Gesundheitszentrum Haslach, oder zu Wechselwirkungen mit verordhausarztmedizinplus.at; neten Medikamenten führen können. Univ.-Lektor für Komplementärmedizin, Komplementärmedizin wird auch in JKU Linz der Onkologie und Palliativmedizin sowie Gynäkologie und Geburtshilfe häufig angewendet.

HAUSÄRZT:IN: Welche Methoden und Inhalte bringen Sie den Studierenden an der Medizinischen Fakultät der JKU nahe?

Dr. PEINBAUER: Die Studierenden lernen im Rahmen der Vorlesung, Begriffe wie „Komplementärmedizin“ , „Traditionelle Medizin“ und „Integrative Medizin“ im Kontext der westlichen

Können Sie einige Fälle aus Ihrer Praxis nennen, in denen Sie die Komplementärmedizin einsetzen?

Im Gesundheitszentrum in Haslach wenden wir additiv vor allem Manualtherapie und Homöopathie, hauptsächlich in der Akuttherapie, an. Homöopathie unterstützt regulativ die Selbstheilungskräfte des Patienten, sodass etwa Infekte rascher abklingen und man weniger häufig Antibiotika oder NSAR einsetzen muss. In die Privatpraxis kommen meist Patienten mit chro-

nischen Erkrankungen, in TherapieNotstand oder solche, die einfach zusätzliche Unterstützung suchen.

Das Thema Evidenz ist, was die Komplementärmedizin anbelangt, ein heiß diskutiertes. Was sagen Sie dazu?

Die Evidenzlage ist je nach Methode sehr unterschiedlich. Vor allem der Homöopathie wird vorgeworfen, dass sie nicht evidenzbasiert sei. Das stimmt so nicht. Auch wenn die Evidenzlage nicht groß ist, so ist ihre Wirksamkeit nach EBM-Kriterien wissenschaftlich belegt. Wir haben dies zuletzt in einem Peer-reviewedArtikel über Homöopathie und Antibiotikaresistenz entsprechend dargelegt (Anm. d. Red.: siehe Publikationen). Eine rezente österreichische Studie zur begleitenden Krebsbehandlung mit Homöopathie bei Lungenkarzinom zeigt, dass die Patienten sowohl hinsichtlich ihrer Lebensqualität als auch in puncto Überlebenszeit von der Homöopathie profitieren.1

Wie kamen Sie zur Homöopathie?

Ich war als Student beim 2. Internationalen Kongress für Ganzheitsmedizin in Wien. Dort wurden beim „Tag der Integrativen Methoden“ komplementärmedizinische Ansätze präsentiert, u. a. in drei Vorträgen über Homöopathie. Diese Zugangsweise weckte meine Neugierde und ich habe Praktika bei homöopathischen Ärzten in Europa und Mexiko gemacht. Die Zufriedenheit der Patienten und Ärzte hat mich bestärkt, weiter in diese Richtung zu gehen.

Sie sind ein Befürworter der Integrativen Medizin. Was versteht man genau darunter?

Integrative Medizin wird heute in den USA anstatt der alten Begriffe Alternativ- und Komplementärmedizin verwendet. Ziel ist es, ärztliche und nichtärztliche komplementärmedizinische Methoden mit Hilfe von Studien zu evaluieren und in einem pragmatischen, pluralistischen und patientenzentrierten Setting individuell und partizipativ auf die Patientenwünsche und -werte abzustimmen. Die Mind-Body-Medizin, die wir im PVE Haslach vor allem in Präventionsprojekten einsetzen, ist ein Teil davon. Dieser multimodale, ganzheitliche Ansatz basiert auf Achtsamkeit und ist darauf ausgerichtet, Hilfe zur Selbsthilfe zu ermöglichen, den Menschen Selbstwirksamkeit zu lehren und deren Gesundheitskompetenz zu stärken. Er berücksichtigt Körper, Geist und Seele. Im Rahmen eines wertschätzenden Arzt-PatientenGesprächs wird das Vorgehen geplant. Diese partizipative Herangehensweise bildet den Kern eines Paradigmenwechsels im Gesundheitswesen.

Hat die Integrative Medizin in Österreich Zukunft?

Ich würde mir wünschen, dass in Österreich dahingehend mehr Offenheit und Neugier spürbar werden. In den USA erhält die Komplementärmedizin in diesem Rahmen an allen renommierten Universitäten entsprechende institutionelle und finanzielle Unterstützung, um Lehre, Praxis und Forschung betreiben zu können, zum Wohle des Patienten. Davon sind wir in Österreich leider noch weit entfernt.

„In den USA erhält die Komplementärmedizin an allen renommierten Universitäten Unterstützung, um Lehre, Praxis und Forschung betreiben zu können.“

Dr. Thomas Peinbauer Das Interview führte Mag.a Christine Radmayr.

1 Frass M et. al., Homeopathic Treatment as an Add-On Therapy May Improve Quality of Life and Prolong Survival in Patients with Non-Small Cell Lung Cancer: A Prospective, Randomized, Placebo-Controlled, Double-Blind, Three-Arm, Multicenter Study, Epub 2020 Nov z, doi: 10.1002/onco.13548. Gewitter INFO im Kopf?

Publikationen von Dr. Thomas Peinbauer (Auszug)

Weiermayer P, Frass M, Peinbauer T, Ellinger L, Evidenzbasierte Homöopathie und Veterinär-Homöopathie und ihre mögliche Bedeutung für die Bekämpfung der Antibiotikaresistenzproblematik – ein Überblick, Schweiz Arch Tierheilkd. 2020, doi: 10.17236/sat00273. Homeopathy in Europe – United in Diversity. Paving the Way for Medical Homeopathy. 25th Anniversary of the European Committee for Homeopathy (ECH), Editor, 2015. „Homöopathie in der Kinder- und Jugendheil kunde“, Co-Autor, Verlag Elsevier, 2004/2018. Mutterkraut mit standardisiertem Parthenolid-Gehalt PZN(A): 4865808