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Der lumbale Bandscheibenvorfall

Die Konkordanz der Bildgebung mit den klinischen Beschwerden ist wesentlich für die Therapieentscheidung*

Beim Bandscheibenvorfall handelt es sich um den Austritt eines Teiles des Nucleus pulposus durch den Annulus fibrosus. Dieser ausgetretene Bandscheibenanteil verursacht je nach Lage etwa in die Beine ausstrahlende Schmerzen, wenn er eher lateral liegend eine Nervenwurzel tangiert (Abb. 2). Median kommt es vielmehr zu „Dura-Reizsyndromen“ sowie beispielsweise zu Kreuzschmerzen. Für die Therapie ist es wichtig, dass die Lage des Bandscheibenvorfalls in Konkordanz mit den klinischen Beschwerden des Patienten steht und die Behandlung entsprechend eingeleitet wird. In den meisten Fällen entstehen beim Bandscheibenvorfall Beschwerden in dem Gebiet, welches jener Nerv innerviert, der durch den Prolaps kompromittiert wird. Hierbei kann es zu sensiblen wie auch zu motorischen Störungen bzw. Ausfällen kommen. Des Weiteren können Nervendehnungszeichen, z. B. der Lasègue-Test, positiv sein. Oft liegen zudem gestörte Reflexe, Harn-Stuhl-Störungen oder bei Erniedrigung der Bandscheibe auch Instabilitätsschmerzen vor, was bei Frauen im Falle einer längeren Persistenz Koitusschmerzen hervorrufen kann (bei Ausübung oder danach). Bei Männern kann eine Neurokompression im Spinalkanal erektile Dysfunktionen zur Folge haben.

Möglichkeiten und Grenzen der Diagnostik

Die diagnostische Methode der Wahl ist die MRT-Untersuchung (Abb. 1 und 2), weil sie gerade über die Weichteile – etwa Bandscheiben, Nerven, Dura, Myelon, Liquor etc. – gut Auskunft geben kann. Vor allem lassen sich dadurch der Flüssigkeitsgehalt der Bandscheiben und weitere patho-

logische Veränderungen erkennen. Sie reichen von einer Discopathie (Abb. 1) bis hin zu einer Osteochondrosis erosiva. In akuten Fällen kann in Ermangelung einer MRT die CT hilfreich sein. Ein Nativröntgen im Stehen mit Funktionsaufnahmen und Beckenübersicht, insbesondere bei schon länger andauernden Beschwerden, gibt über die mechanischen Verhältnisse v. a. beim Stehen und Bewegen Aufschluss. Bei akuten Schmerzen ist ein Röntgen oft nicht durchführbar oder wegen „Schmerz-Schonhaltungen“ wenig aussagekräftig. AUTOR:: Begleiterscheinungen wie Prim. Doz. Dr. Gerd Ivanic eine Spondylolyse, ein GleitLeiter des Institutes wirbel und andere struktufür Orthopädische und Kardiologische Reha- relle Pathologien, die für die bilitation, Privatklinik weitere Behandlung wichtig Graz Ragnitz sind, können aber detektiert werden.

Relative und absolute OP-Indikationen

Eine absolute OP-Indikation besteht bei Conus-Cauda-Pathologien. Zu diesen gehören etwa Harn-Stuhl-Störungen, ein Querschnitt oder ein Reithosenphänomen. Hier ist die Operation dringend indiziert und sollte innerhalb von 24 bis 28 Stunden erfolgen. Relative Indikationen für einen chirurgischen Eingriff sind Schmerzen, sensible und/oder motorische Störungen mit positivem Nervendehnungstest und einer Konkordanz mit der Bildgebung. In diesen Fällen erzielt die Operation in Bezug auf subjektive und objektive Kriterien im Langzeitverlauf ein signifikant besseres Ergebnis. Der Goldstandard der Bandscheibenchirurgie ist die Mikrodiscektomie (Abb. 3), d. h., die Operation mit dem OP-Mikroskop mit minimalinvasivem Zugang und unter Verwendung entsprechender Hilfsmittel, z. B. des Caspar-Trichters.

Konservative Maßnahmen

Wenn keine akute OP-Indikation gegeben ist, empfiehlt sich ein konservativer Therapieversuch mit schnellstmöglicher Schmerzreduktion und Entkrampfung der stark verspannten Muskulatur. Die Kombination von NSAR und Morphinderivaten kann hilfreich sein, und für einige Tage wird die Behandlung um Muskelrelaxantien ergänzt. Letztere sind ehestmöglich abzusetzen und sollten generell nicht länger als drei bis fünf Tage gegeben werden. Weitere Maßnahmen stellen die Verwendung einer Lumbalbandage und entsprechende physiotherapeutische Behandlungen dar. Es empfehlen sich multimodale Schmerzkonzepte mit zusätzlichen Bildwandler-, CT- oder sonografisch gezielten Wurzel- und Facettenblockaden. Auch Caudablockaden können bei guter Indikation und beispielsweise bei fehlender Bildgebung sehr hilfreich sein.

Bei Versagen Operation erwägen

Kommt es unter dieser Therapie zu keiner Verbesserung oder sogar zu einer Verschlechterung, dann ist die Operationsindikation gegeben. Normalerweise geht man von einer Wartefrist von vier bis sechs Wochen aus. Bei keiner Verbesserung oder einer Verstärkung der Schmerzen sowie bei Progredienz von z. B. motorischen Lähmungen sollte

Abb. 1: nach caudal umgeschlagener Prolaps L 5–S1; Discopathie L 4–5.

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auch schon davor die OP-Indikation mit dem Patienten besprochen werden. Wenn ein Patient bereits seit längerem Beschwerden hat und eine ältere MRT vorliegt, dann kann bei laufender oder stattgehabter Therapie und Nichtbesserung der Beschwerden eine neue MRT erfolgen. Ist nach drei oder mehr Monaten der Bandscheibenvorfall immer noch zu sehen und passt die Klinik dazu, dann sollte auch in diesen Fällen eine Operation angedacht werden, da der Rückgang eines schon über längere Zeit vorhandenen Vorfalls in der nächsten Zeit nicht zu erwarten ist.

Postoperatives Vorgehen

Nach stattgehabter Operation ist für sechs Wochen eine Rotationsbelastung – vor allem durch vornübergebeugte, verdrehte Belastungen – unbedingt zu vermeiden. Am Anfang stehen leichte Stabilisierungsübungen für die LWS und den lumbosakralen Übergang sowie Neuromobilisationsübungen am Programm – jedoch keine Mobilisationsübungen der Wirbelsäule selbst. Mit Nordic Walking kann nach ca. zehn Tagen langsam begonnen und die Intensität im Verlauf auch gesteigert werden. Sechs Wochen postoperativ wird eine spezifische Physiotherapie gestartet, ab dem vierten Monat fängt die assistierte medizinische Trainingstherapie für den Muskelaufbau an.

Prolaps

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Abb. 2: 1 rechte freie Nervenwurzel; 2 Prolaps L4–5 links mit „Maskierung“ der Nervenwurzel.

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Abb. 3: Sicht auf Prolaps durch das OP-Mikroskop.

Conclusio

Bei richtiger Indikationsstellung und guter Diagnostik kann ein Bandscheibenvorfall zwar ein unangenehmes Phänomen sein, jedoch gut behandelt werden. <

* Der Autor war Vortragender beim 28. Kongress der

Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG) von 23. bis 25.09.2021 in Villach.