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Ethische Werte bei Herzinsuffizienz

Von der Diagnose bis zum Lebensende: Jede Phase der Erkrankung erfordert andere Maßnahmen, der enge Kontakt mit den Patient:innen bleibt zentral

Aufgrund der verbesserten medizinischen Versorgung und der Veränderung der Alterspyramide mit Zunahme älterer Menschen steigt die Häufigkeit chronischer Erkrankungen kontinuierlich, so auch jene der Herzinsuffizienz. Typisch für sie ist neben der schlechten Prognose auch das geringe Verständnis der Erkrankung seitens der Patientinnen und Patienten. Nach wie vor werden die Schwere einer Herzinsuffizienz und die Konsequenzen der Diagnose nicht erkannt.

Frühzeitig aufklären

Patientinnen und Patienten mit Herzinsuffizienz durchlaufen in der Regel mehrere Stadien der Erkrankung. An die erste – symptomatische – Episode, die in der Regel auch zur Diagnose führt, schließt eine oft mehrere Jahre dauernde, stabile Phase an. Gerade zu diesem Zeitpunkt ist eine adäquate Therapie zwingend notwendig, um jene stabile Phase möglichst lange zu erhalten. Dafür ist es essenziell, bereits in diesem Abschnitt der Erkrankung die Patienten „an Bord“ zu holen. Es kann für Betroffene mitunter schwierig sein, zu verstehen, warum sie bei nur geringem oder gar fehlendem Krankheitsgefühl ihre Medikation nehmen sollen und warum sie z. B. einen ICD (einen implantierbaren Kardioverter-Defibrillator) bekommen sollen. Auf die stabile Phase folgt das Stadium der fortgeschrittenen Herzinsuffizienz. Es dauert mehr oder minder lange und ist durch rezidivierende Dekompensationen gekennzeichnet. Nach der Rekompensation wird der Ausgangszustand nicht mehr erreicht, sodass es letztendlich zu einer progredienten Verschlechterung kommt. Die zunehmende neurohumorale Aktivierung sowie eine fortschreitende kardiale Fibrose mit Dilatation der Herzhöhlen sind mit einer Verschlechterung der kardialen Funktion verbunden. Als Folge zeigt sich eine zunehmende klinische Verschlechterung: Die Leistungsfähigkeit und die Lebensqualität nehmen ab, beides wird durch die Entwicklung einer Mangelernährung mit kardialer Kachexie und Frailty weiter aggraviert.

SerieKARDIO

Shared Decision-Making

Mit der weiteren Progredienz der Herzinsuffizienz sollte die Therapie dennoch so lange wie möglich optimiert bzw. aufrechterhalten werden. Die Patientinnen und Patienten sollten auch darauf hingewiesen werden, dass z. B. ein zahlenmäßig erniedrigter Blutdruck ohne begleitende Symptome kein Grund sein darf, eine prognoseverbessernde Therapie zu reduzieren oder gar zu stoppen (beispielsweise ist ein Blutdruck von 95 mmHg ohne Symptome kein Grund zur Besorgnis). Um Patienten mit fortgeschrittener Herzinsuffizienz optimal zu versorgen, ist es essenziell, Therapieziele zu definieren. Dafür müssen die Betroffenen ihre Erkrankung verstehen, die einzelnen Therapieoptionen kennen und wissen, warum (bei entsprechenden Begleiterkrankungen) bestimmte Behandlungsmöglichkeiten nicht mehr angeboten werden können. Zu diesem Zweck ist ein enger Patientenkontakt notwendig, der im Sinne eines Shared Decision-Making über einen reinen Informed Consent hinausgeht. Nur so ist es möglich, bei einer weiteren Progredienz die Therapie an ihre Wünsche und Bedürfnisse anzupassen, nicht mehr nötige Behandlungen und Übertherapien zu vermeiden und eine optimale Symptomkontrolle sicherzustellen. Das Shared Decision-Making ist sowohl für das kardiologische Team als auch für die Hausärztinnen und -ärzte eine Herausforderung. Je besser die Zusammenarbeit der beiden versorgenden Berufsgruppen, desto besser sind die Patienten eingebettet. Vor der Implantation von partiell oder komplett organersetzenden Devices wie z. B. einem LVAD (Left Ventricular Assist-Device) ist es sehr wichtig, offen mit den Patienten über das „Lebensende“ zu sprechen. Dabei genügt es nicht, sich auf das Thema kardiopulmonale Wiederbelebung zu beschränken. Eine klare Kommunikation der Vor- und Nachteile des LVAD hilft dem Patienten zu verstehen, dass am Lebensende manchmal auch die Entscheidung für die Beendigung einer mechanischen Kreislaufunterstützung sinnvoll sein kann. Vor einer LVAD-Implantation müssen zudem alternative, eventuell weniger belastende, Therapiemöglichkeiten besprochen werden – insbesondere da eine „Destination“ -

Therapie mittels LVAD ein erhaltendes bzw. verlängerndes, aber keinesfalls ein kuratives Therapieziel verfolgt.

Terminales Stadium erfordert Therapieanpassung

Im Stadium der terminalen Herzinsuffizienz muss die neurohumorale Therapie im Falle von relevanten Nebenwirkungen – von symptomatischer Hypotonie, Verschlechterung der Nierenfunktion, reduziertem kardialem Output oder Bradykardie – dosisreduziert oder beendet werden. Damit dies nicht verfrüht passiert, sollte in der Praxis eine genaue Korrelation von Vitalparametern (Blutdruck, Puls, Gewicht) mit klinischen Symptomen erfolgen. Die Patientinnen und Patienten sollten daher angehalten werden, regelmäßig, also täglich, ihre Vitalparameter zu dokumentieren. Therapien, deren Wirkung sich erst über einen längeren Zeitraum entfalten, typischerweise eine Statintherapie, eine Osteoporosetherapie etc., sollten bei eindeutig eingeschränkter Lebensdauer beendet werden. Am Beginn der Terminalphase, welche sich über Tage bis Wochen erstreckt, muss das weitere Prozedere bereits mit den Patienten besprochen sein. Ist es bis dahin nicht gelungen, die Awareness der Betroffenen für ihre Erkrankung zu steigern, und wurde keine Werteanalyse durchgeführt, so wird es schwierig, das Lebensende an die Wünsche und Bedürfnisse der Patienten anzupassen, nicht mehr indizierte lebensverlängernde Therapien – etwa ICD-Entladungen – zu vermeiden und eine adäquate Symptomlinderung zu erzielen. Gerade in dieser Phase ist offensichtlich, dass nicht jede medizinisch machbare Therapie jedem Patienten angeboten werden darf, weil die eingeleitete Therapie nicht nur wirksam, sondern auch für die individuelle Person nutzbringend sein muss.

Prinzipien ärztlichen Handelns in der Medizinethik

Ethische Überlegungen orientieren sich an den vier Prinzipien ethischen Handelns, welche von den Medizinethikern Tom I. Beauchamp und James F. Childress entwickelt wurden. Der Respekt vor der Autonomie gesteht jeder Person das Recht zu, eigene Ansichten zu haben, eigene Entscheidungen zu fällen und Handlungen zu vollziehen, die den eigenen Wertvorstellungen entsprechen. Diese Handlungen können auch zum Schaden des Patienten sein.

AUTOR:INNEN-TEAM:

© Friedrich Fruhwald

Ao. Univ.-Prof.in Dr.in Sonja Fruhwald

Vorsitzende des Ethikkomitees, LKH-Univ.Klinikum Graz, Klin. Abt. f. Herz-, Thorax-, Gefäßchirurg. Anästhesiologie und Intensivmedizin, Med Uni Graz

© Foto Furgler

Univ.-Prof. Dr. Friedrich Fruhwald

Klinische Abteilung für Kardiologie, Universitätsklinik für Innere Medizin, Med Uni Graz

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(API-Studie der GfK 01/2016)

Das Autonomie-Prinzip beinhaltet nicht nur die Entscheidungsfreiheit, sondern verpflichtet auch das Behandlerteam, die Patientinnen und Patienten bei ihrer Entscheidungsfindung zu unterstützen und sie so in die Lage zu versetzen, eine selbstbestimmte Entscheidung zu treffen. Die Autonomie als Schutzrecht ist im österreichischen Strafrecht §110 StGb verankert. Sich darüber hinwegzusetzen ist eine eigenmächtige Heilbehandlung und juristisch sanktionierbar – selbst dann, wenn die Handlung korrekt, lege artis und erfolgreich durchgeführt wurde, aber der Patient für diese Handlung keine Zustimmung erteilt oder sie womöglich abgelehnt hatte. Das Prinzip des Nichtschadens fordert, den Patientinnen und Patienten keinen Schaden zuzufügen („primum nihil nocere“). Der Nutzen einer Behandlung muss den Schaden deutlich überwiegen. Gerade bei sehr eingreifenden Behandlungsverfahren der modernen Medizin, z. B. bei einer extrakorporalen Membranoxygenierung (ECMO) oder einem VAD, gerät das Prinzip der Schadensvermeidung in den Vordergrund. Das Prinzip des Wohltuns verlangt, das Wohl der Patientinnen und Patienten zu fördern und ihnen zu nützen. Im Sinne der Fürsorge für den Patienten bzw. seines Wohlergehens kann es auch geboten sein, eine Therapiezieländerung in Richtung Palliation durchzuführen. Das Prinzip der Gerechtigkeit blickt über den einzelnen Patienten hinaus und fordert eine faire Verteilung von Gesundheitsleistungen. Das betrifft etwa Therapieoptionen, Intensivbetten oder finanzielle Mittel.

Maßnahmen zur Vermeidung unverhältnismäßiger Behandlungen

War zu Beginn der Erkrankung ein kuratives Therapieziel gefordert, so ist dieses ab der fortgeschrittenen Herzinsuffizienz

nicht mehr sinnvoll. Mit der Progredienz der Erkrankung bzw. der Begleiterkrankungen bedarf es eines erhaltenden Therapieziels oder in einzelnen Situationen eines verzögernden Therapieziels. In diesem Fall ist die laufende bzw. angestrebte Behandlung im Sinne des Patientenwohls und -willens sehr genau auf ihre Indikation zu überprüfen. Wird eine Therapiezieländerung bei einem hospitalisierten Patienten durchgeführt, können verschiedene Maßnahmen gesetzt wer„Wenn man sieht, was die den, um unverheutige Medizin fertigbringt, hältnismäßige Behandlungsfragt man sich unwillkürlich: entscheidungen Wie viele hintanzuhalten. Das DNR („Do not

Etagen hat der Tod?“ resuscitate“) untersagt eine mechanische oder medikamentöse Jean-Paul Sartre Reanimation. Alle anderen begonnenen oder geplanten diagnostischen oder therapeutischen Maßnahmen sind gerechtfertigt. Im Rahmen eines DNE („Do not escalate“) werden antizipatorisch bestimmte Maßnahmen ausgeschlossen, da sie für den einzelnen Patienten nicht nutzbringend wären. Eine DNEOrder kann Therapiebegrenzungen, etwa Medikamente betreffend, oder das Unterlassen diagnostischer oder therapeutischer Maßnahmen umfassen, z. B.: keine Intubation, keine Nierenersatztherapie. Wesentlich ist, dass mit der DNE-Order auch eine Spezifizierung der begrenzten oder nicht begonnenen Maßnahmen erfolgt. Im Rahmen eines RID („Reevaluate indication and deescalate“) muss jede Maßnahme in regelmäßigen Abständen in Bezug auf das Weiterbestehen der Indikation und des Patientenwillens evaluiert werden. Dabei ist zu beachten, dass es medizinisch und juristisch gleichwertig ist, ob eine Behandlung bei fehlender Indikation nicht eingeleitet (z. B. keine ECMO-Implantation) oder die bereits begonnene Therapie beendet wird (etwa terminales ECMO-Weaning oder Abschalten eines LVAD).

Vorgehen in der finalen Sterbephase

In der finalen Sterbephase ist eine CTC („Comfort terminal care“) auszusprechen. Das Therapieziel bei CTC ist die Behandlung krankheitsassoziierter Symptome ohne Aussicht auf Heilung. Alle kurativen Behandlungskonzepte sind zu stoppen, eine minimale Flüssigkeitszufuhr ist gerechtfertigt, muss aber so weit reduziert werden, dass die Symptomlast der Patienten nicht weiter zunimmt. Opioide kommen sowohl als Analgetika wie auch zur Therapie der Atemnot zum Einsatz. Die Sorge, dass die symptomorientierte Opioidgabe zu einem frühzeitigen Tod führen könnte, ist unbegründet. Der Einsatz von Opioiden zur Symptomkontrolle ist entsprechend einer Novelle des Ärztegesetzes 2019 (§49a) gedeckt, da für Ärzte eine Beistandspflicht gegenüber Sterbenden eingeführt wurde. So wird im Absatz 2 festgehalten, dass es bei Sterbenden zulässig ist, „im Rahmen palliativmedizinischer Indikationen Maßnahmen zu setzen, deren Nutzen zur Linderung schwerster Schmerzen und Qualen im Verhältnis zum Risiko einer Beschleunigung des Verlusts vitaler Lebensfunktionen überwiegt“ (Ärztegesetz 1998 §49a, Fassung vom 21.3.2019). Bei Patientinnen und Patienten mit ICD sollte dieser am Lebensende zur Vermeidung unnötiger schmerzhafter Schocks deaktiviert werden – idealerweise durch Umprogrammieren, oder im Notfall durch Magnetauflage. Ein antitachykardes Pacing kann, da üblicherweise gut toleriert, auf Wunsch aktiviert bleiben.

Keine einsamen Entscheidungen

All diese Maßnahmen zur optimalen Patientenversorgung sind keine einsamen Entscheidungen von Ärztinnen und Ärzten oder des Pflegepersonals, vielmehr müssen sie gemeinsam im Team getroffen und auch adäquat dokumentiert werden. Oberstes Gebot ist und bleibt auch am Lebensende das Wohl der Patientinnen und Patienten. <

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