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Dramatische Ereignisse

Traumatisierungen erkennen und wirkungsvoll intervenieren

Zwischen-Resümee

All diese Erfahrungen und Umstände eint, dass wir sie als bedrohlich erleben, keinen oder wenig Handlungsspielraum haben, überfordert sind und uns ausgeliefert und hilflos fühlen.

Die vielfältigen Folgen

Viele Menschen sind in ihrem Leben von dramatischen Erlebnissen betroffen. Bei Weitem nicht alle entwickeln danach Traumafolgesymptome – biologische, psychische und soziale Risiko- wie auch Schutzfaktoren spielen dabei eine Rolle.

COVID-Maßnahmen

Die Corona-Pandemie führte bei zahlreichen Menschen zu einer Traumatisierung bzw. zu einer Aktivierung früherer traumatischer Erfahrungen: Lena wurde als Kind von ihren Eltern oft stunden-, mitunter tagelang in ihrem Zimmer eingesperrt; ohne etwas zu essen, zu trinken und ohne die Möglichkeit, aufs WC zu gehen. Die COVID-Maßnahmen reaktivierten bei Lena diese Erfahrungen und führten zu einem massiven Anstieg ihrer Ängste, Panikzustände und ihres Erlebens von Kontrollverlust.

Krieg und Flucht

Der gegenwärtige Krieg in der Ukraine stellt für viele eine weitere Bedrohung und Belastung dar. Er führt nicht nur bei den unmittelbar Betroffenen und Flüchtenden zu Traumatisierungen, sondern aktiviert auch oft bei Menschen außerhalb der Ukraine, etwa bei jenen, die den Zweiten Weltkrieg oder den Krieg in Bosnien miterlebt haben, ihre traumatischen Erfahrungen. Josef hat als Kind zahlreiche Bombenangriffe erlebt. Durch die Geschehnisse in der Ukraine leidet er nun an Flashbacks, innerer Unruhe und Angstzuständen.

„Stillere“ Umstände

Krieg, Flucht und lebensbedrohliche Erkrankungen sind jedoch nicht die einzigen traumatisierenden Ereignisse. Zu ihnen gehören neben Naturkatastrophen, körperlicher und sexueller Gewalt oft weniger offensichtlich dramatische, „stillere“ , Erlebnisse oder Umstände: der frühe Verlust eines Elternteils, ein Skiunfall, die Pflege von Angehörigen oder wiederholte Diffa-

mierungen und Ausgrenzungen sind nur einige der vielen möglichen traumatischen Erfahrungen. Auch manche medizinischen Eingriffe oder Untersuchungen wie eine Lumbalpunktion sowie die Diagnose einer schweren Erkrankung haben ein hohes Potential, traumatisierend zu wirken. Das trifft im Besonderen auf Kinder zu; auch auf Situationen, die uns Erwachsenen nicht dramatisch vorkommen, wie eine Blutabnahme, bei der ein Kind festgehalten wird. Traumatisierungen äußern sich in einer Vielfalt psychischer wie auch körperlicher Symptome und Syndrome, die wir als normale Folgen eines nichtalltäglichen Geschehens verstehen können. Die Posttraumatische Belastungsstörung ist dabei nur eine Folgesymptomatik, die bei Weitem nicht alle traumatisierten Menschen aufweiAUTORIN: Mag.a Dr.in Regina sen. Häufig zeigen sich AngstLackner störungen, Depressionen und Klinische und Gesundheitspsychologin, Symptome wie Panikattacken, Psychotherapeutin, Dissoziationen und FlashSchwerpunkt Traumatherapie, Wien backs. Zudem leiden viele Betroffene unter starker Unruhe, Reizbarkeit, Schlafstörungen und einer verminderten Konzentrations- und Merkfähigkeit. Magen-DarmBeschwerden, chronische Schmerzzustände sowie ein erhöhtes Risiko, an hohem Blutdruck, einer Koronaren Herzkrankheit, Herzrhythmusstörungen oder Diabetes mellitus zu erkranken, zählen zu den möglichen körperlichen Folgen (u. a. Fuller-Thomson et al., 2012; Howard et al., 2018).

© Regina Lackner, privat

Sicherheit – die wichtigste Intervention

Traumatische Erfahrungen bedeuten immer einen Kontrollverlust, Ohnmacht und Hilflosigkeit. Deshalb ist es für traumatisierte Menschen so wichtig, Kontrollierbarkeit und Vorhersehbarkeit zu erleben. Diese geben ihnen Sicherheit. Indem wir unsere Patientinnen und Patienten über notwendige Schritte transparent und verständlich aufklären, sie in Entscheidungen einbinden, ihre Selbstbestimmung achten und ihnen freundlich und auf Augenhöhe begegnen, tragen wir dazu bei, dass sie sich sicher fühlen. Dadurch ist es ihnen auch möglich, offen für das zu sein, was wir ihnen mitteilen. Zudem können unsere Patientinnen und Patienten damit eine positive korrigierende Erfahrung machen, die zu ihrer psychischen Stabilität beiträgt. Dabei sind die Würdigung und die Anerkennung des von ihnen Erlebten wichtige Elemente.

SEMINARANKÜNDIGUNG

Trauma – was tun?

Traumatisierungen erkennen und wirksam intervenieren. Ein Praxisseminar für Ärztinnen und Ärzte. Freitag, 20. Mai 2022: 14.00 bis 21.00 Uhr 1020 Wien, Otto Wagner Schützenhaus Infos & Anmeldung: traumapraxis.at

Weitere, kurz wirksame Interventionen

Mit einigen kurzen Interventionen können wir unsere traumatisierten Patientinnen und Patienten dabei unterstützen, wieder Kontrolle über sich und ihr Leben zu erlangen, und damit mildernd auf ihre Traumatisierung einwirken: • Wir können sie anregen, auf ihre Ressourcen und all das zu achten, was ihnen

Sicherheit gibt, guttut und z. B. Freude bereitet, und dies im Alltag vermehrt zu berücksichtigen. • Jegliche Form von Bewegung trägt dazu bei, das erhöhte Erregungsniveau sowie

Ängste und Depressionen zu reduzieren. • Kleine Tools, beispielsweise doppelt so lange aus- wie einzuatmen (beim Einatmen z. B. bis zwei und beim Ausatmen bis vier zählen), Wipp- und Schaukelbewegungen oder Summen, Tönen von

Vokalen oder Pfeifen wirken direkt auf unseren Parasympathikus und damit beruhigend und angstmindernd (u. a.

Porges, 2018). • Imaginationen in Verbindung mit dem

Atem, z. B. die Vorstellung eines Getreidefeldes, durch das beim Einatmen der Wind in eine Richtung und beim

Ausatmen in die andere streicht, reduzieren ebenfalls Unruhe und Ängste. • Indem wir betonen, dass sie trotz ihres dramatischen Erlebens ihr Leben meistern, unterstützen wir unsere Patientinnen und Patienten dabei, ihre Stärke und ihre gesunden Anteile zu erkennen.

Dies können wir auch durch die Frage bewirken, was es ihnen ermöglicht hat, das Erlebte zu bewältigen. • Schließlich gibt die Information, dass

Traumatisierungen mit traumaspezifischen Methoden gut behandelbar sind, unseren Patientinnen und Patienten

Zuversicht und Hoffnung.

Quellen: Fuller-Thomson E et al. (2010), The association between childhood physical abuse and heart disease in adulthood: findings from a representative community sample. Child

Abuse Negl 34 (9): 689-698. Howard J T et al. (2018), Associations of Initial Injury

Severity and Posttraumatic Stress Disorder Diagnoses

With Long-Term Hypertension Risk After Combat Injury,

Hypertension, 71, 824- 832. Porges S W (2018), Die Polyvagal-Theorie und die Suche nach Sicherheit. Traumabehandlung, soziales Engagement und Bindung. Lichtenau/Westfalen: G. P. Probst.

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Von Regina Lackner Springer Verlag 2021

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