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Von den alten Kelten bis zur modernen Onkologie

Die Misteltherapie gilt heute als sichere und wissenschaftlich überprüfte komplementäre Behandlung bei Krebserkrankungen mit soliden Tumoren

Misteln erregen als uralte Kult- und Heilpflanzen seit Jahrtausenden das Interesse der Menschen. Seit mehr als hundert Jahren wird die Heilpflanze mit großem Erfolg bei onkologischen Erkrankungen angewendet. In der heutigen, modernen Medizin kombinieren Ärztinnen und Ärzte Mistelextrakte gerne mit gebräuchlichen Chemotherapeutika, monoklonalen Antikörpern oder Östrogenrezeptorblockern. Studien haben nachgewiesen, dass sie weder die Zytostase noch die Zytotoxizität bei einer Chemotherapie hemmen. Im Gegenteil, sie zeigen sogar einen additiven inhibitorischen Effekt. Auch bei ihrem Einsatz mit monoklonalen Antikörpern oder Endoxifen scheinen sich die antikanzerogenen Wirkungen gegenseitig zu ergänzen.1 Dr. Frank Meyer, Facharzt für Allgemeinmedizin und Naturheilverfahren, ist – wie er selbst sagt – „mistelbegeistert“ . Bei einem Seminar des Fortbildungsforums Naturheilkunde* im Frühjahr 2022 mit dem Titel „Lebenskraft Mistel. Von den alten Kelten bis zur modernen Onkologie“ berichtete er über seine Erfahrungen: „Ich setze die Misteltherapie seit 1994 ein. Die Zahl der Patientinnen und Patienten mit onkologischen Erkrankungen steigt ständig. Doch viele ihrer Beschwerden werden oft gar nicht behandelt, weil die Schulmedizin nicht das volle Repertoire bereithält, das Betroffene brauchen würden. Das erkannte ich schon während meines ersten Praktikums in einem Krankenhaus. Folglich suchte ich nach einem Mittel, um zu helfen. Es sollte einerseits Wirkungen gegen den Krebs zeigen, also z. B. die Lebenszeit verlängern, das Tumorwachstum hemmen. Andererseits sollte es zu einer spürbaren Verbesserung der Lebensqualität in vergleichsweise kurzer Zeit führen. Beides erfüllte die Mistel.“

LEBENSKRAFT MISTEL

Bisher wurden 154 klinische Studien* zur Anwendung von Mistelpräparaten publiziert. Die Ergebnisse betreffend die klinische Wirksamkeit sind – kurz zusammengefasst:

„ Steigerung der Lebensqualität, „ Reduktion von Nebenwirkungen onkologischer Therapien, „ Reduktion krankheits- oder therapiebedingter Symptome, „ Linderung des Fatigue-Syndroms, „ Linderung tumorbedingter Schmerzen, „ Verkürzung der Hospitalisationszeit, „ bessere Immunreaktionen, „ Vorbeugung von Rezidiven und

Metastasen, „ Verlängerung der Überlebenszeit.

Metaanalyse zur Überlebenszeit:

Ostermann T et al., A Systematic Review and Meta-Analysis on the Survival of Cancer Patients Treated with a Fermented Viscum album L. Extract (Iscador): An update of Findings, Complement Med Res 2020; 27(4):260-271, doi: 10.1159/000505202. Epub 2020 Jan 10.

Metaanalyse zur Lebensqualität:

Loef M, Walach H, Quality of life in cancer patients treated with mistletoe: a systematic review and meta-analysis. BMC Complement Med There 20, 227 (2020), doi: 10.1186/s12906-020-03013-3.

* Kienle GS, Kiene H, Klinische Studien zur Misteltherapie der Krebserkrankung, Merkurstab 2017.

Wirtsbäume früher & heute

Schon die alten Kelten wussten um die besondere Bedeutung von verschiedenen Wirtsbäumen der Mistel. Besonders

wichtig war für sie die Eichenmistel. Heute kommen Misteln der verschiedensten Wirtsbäume zum Einsatz: etwa der Kiefer bei Erkrankungen der Haut bzw. bei Hauttumoren oder des Apfelbaums bei Erkrankungen der Brustdrüse und der Gebärmutter. Aber nicht nur die Art des Baumes spielt eine Rolle; sondern ebenso, ob sowohl die Sommer- als auch die Wintersäfte der Mistel verwendet werden. Sommersaft hat einen reichen Anteil von Blättern und Blüten und ist dunkler gefärbt. Der hellere Wintersaft weist hingegen einen sehr hohen Anteil der lichtdurchlässigen Beeren auf.

Eine ganzheitliche Sicht

Heute weiß man: Die Wirkung der Mistelpräparate lässt sich nicht auf Monosubstanzen – also Lektine oder Viscotoxine – reduzieren. Es wird immer klarer, dass die Gesamtkomposition in den Mistelextrakten für die Wirkung verantwortlich ist, welche fast alle komplementärmedizinischen Systeme mitberücksichtigen. Integrative Therapien werden von onkologischen Patienten immer öfter nachgefragt. Die Misteltherapie stellt dabei ein Herzstück dar. Andrea Diehl, Fachärztin für Allgemeinmedizin, bittet ihre Patientinnen und Patienten, die Temperaturmessung anzuwenden, um die richtige Dosis zu finden: „Ich lasse sie im Vorfeld ihre Kernkörpertemperatur rektal messen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, welchem zirkadianen Rhythmus die Temperatur unterliegt“ , schilderte sie im Webinar ihr Vorgehen in der Praxis. „Normalerweise startet man morgens mit einer niedrigeren Temperatur und hat dann abends um 0,5 Grad mehr. Sehr häufig sieht man jedoch bei Tumorpatienten, dass dieser zirkadiane Rhythmus aufgehoben ist. Wenn es abends zu keiner Temperaturerhöhung kommt, spüren die Patienten das oft als schwere Müdigkeit bzw. als Kältegefühl. Therapieziel ist in der Folge, einen Temperaturanstieg im Laufe des Tages von 0,5 bis maximal einem Grad zu erreichen. Die Höchsttemperatur sollte jedoch 38,5 Grad nicht übersteigen. In einem solchen Fall wäre die Konzentration der Mistel zu hoch gewesen.“

Die optimale Dosierung

Diehl beginnt die Misteltherapie in der Regel mit einer Ampulle in der geringsten Konzentration: drei subkutane Injektionen pro Woche, mit wechselnder Lokalisation. „Ein guter Marker für die optimale Dosis ist auch die Hautreaktion. Die Rötung sollte nicht größer als ein Zwei-Euro Stück sein“ , betonte sie. Darüber hinaus verwendet die Ärztin einen Fragebogen, anhand dessen sie die physische Ebene (z. B. Gewicht), die Lebensenergie (Vitalität), die Empfindungsebene (Stimmung) und die Ich-Ebene (Selbstwahrnehmung) abfrägt. „Hat man die optimale Dosierung gefunden, kann sie in der Regel eine Zeit lang beibehalten werden, bevor es möglicherweise wieder notwendig wird, sie anzupassen“ , so Diehl abschließend.

Gabriella Mühlbauer

* Live-Webinare: Lebenskraft Mistel Teil 2: Von den Kelten zur modernen Onkologie, 21.2.22; Lebenskraft Mistel

Teil 3: Anwendungsbeispiele aus der Praxis, 4.3.22.

Infos: fortbildungsforum-naturheilkunde.de

1 Weissenstein U et al., BMC Complementary and Alternative Medicine 14, 6 (2014); 16, 271 (2016); 19, 23 (2019).