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Schmerz im Becken – was steckt dahinter?
Der chronische Beckenschmerz (CBS) ist ein Sammelbegriff, welcher ein komplexes Krankheitsbild mit vielen möglichen Ätiologien umfasst. Die Krankheitsauslöser können gynäkologischer, urologischer, proktologischer, neurologischer und psychosomatischer Art sein. Umso wichtiger ist eine multidisziplinäre Zusammenarbeit von Hausärzten und Klinikern. Die Behandlung erfolge in enger Abstimmung zwischen Ärzten, Physiotherapeuten, aber auch Psychologen und Sexualtherapeuten, erklärt OÄ Dr.in Michaela Lechner, Präsidentin der MKÖ und Leiterin der Darmambulanz am Krankenhaus Göttlicher Heiland, Wien. Nachfolgend lesen Sie über einige mögliche Ursachen des CBS und seine Behandlungsoptionen.
Gynäkologische und urologische Schmerzen
Etwa 15 Prozent aller gynäkologischen Konsultationen erfolgen aufgrund von Beckenschmerzen. Häufig liegen gutartige, jedoch oft sehr schmerzhafte Wucherungen von Gewebe der Gebärmutterschleimhaut vor. Bei der Behandlung der Endometriose ist es das oberste Ziel, diese Schmerzen so schnell wie möglich zu kontrollieren, denn: Je länger Schmerzen bestehen, desto schwieriger sind sie zu behandeln. Als Therapie der Wahl fungiert ein multimodaler Ansatz aus operativen und/oder medikamentösen Maßnahmen. Bei Schmerzen im Becken ist auch an das Pelvic-Congestion-Syndrome (PCS) zu denken, das durch dumpfe, meist linksseitige Schmerzen beim Geschlechtsverkehr oder während der Menstruation gekennzeichnet sein kann. Obwohl knapp ein Drittel aller Patientinnen mit chronischen Unterbauchschmerzen an diesen „Krampfadern“ der linken Nierenvene, der Eierstockvenen oder an einem Venengeflecht im kleinen Becken leidet, bleibt die Schmerzursache meist lange unentdeckt. Die Behandlung erfolgt interventionellradiologisch durch eine Embolisation, welche die oft jahrelange Leidensgeschichte in vielen Fällen mit einem kurzen Eingriff in Lokalanästhesie beenden kann. In Zusammenhang mit CBS müssen außerdem Sexualfunktionsstörungen, etwa die tiefe Dyspareunie oder der Vaginismus, beachtet werden. Die Prostatitis bedarf ebenso eines multimodalen Ansatzes, der eine genaue Abklärung und eine Ausschlussdiagnostik beinhaltet. Es muss eine sorgfältige Untersuchung durchgeführt (Harnstreifen, Harnkultur, rektale Untersuchung, PSAWert) und nach zusätzlichen Pathologien gesucht werden. Liegen Hinweise auf eine akute Prostatitis vor, so ist zunächst eine Therapie mit Antibiotika zu verordnen. Darüber hinaus müssen Parameter wie obstruktiver Harnfluss und Restharn stets evaluiert und eventuell behandelt werden. Ist eine Operation angedacht (Prostataresektion), sollte eine urodynamische Messung erfolgen und eine Blasenspiegelung vorgenommen werden. Wenn sich im Sinne der Ausschlussdiagnostik hier keine Auffälligkeiten zeigen, ist noch eine Dyskoordination des Beckenbodens zu erwägen. Hierzu kann ein EMG während der Miktion (FlowEMG) diagnostisch herangezogen werden, therapeutisch kann ein Biofeedback durch geschulte Physiotherapeuten eine Besserung erzielen. Findet sich kein Grund für die Schmerzsymptomatik, müssen alle anderen Erklärungsmöglichkeiten – auch nichturologische – in Betracht gezogen bzw. ausgeschlossen werden.
Expertin zum Thema: OÄ Dr.in Michaela Lechner
Präsidentin der MKÖ, Leiterin der Darmambulanz am Krankenhaus Göttlicher Heiland, Wien „Die Therapie des chronischen Beckenschmerzes sollte, ähnlich wie in der Onkologie, von einem Case Manager koordiniert werden.“
Coccygodynie als Ursache
Für CBS kann auch ein Steißbeinschmerz verantwortlich sein. Die Coccygodynie ist eine komplexe und quälende Schmerzerkrankung. Sowohl in der Diagnostik als auch in der Therapie einer solchen sind mehrere Fächer gefragt. Von jener Erkrankung sind Frauen wesentlich häufiger betroffen, Übergewicht scheint wegen der mechanischen Belastung ebenfalls eine Rolle zu spielen. Anamnestisch sind Stürze auf das Steißbein oder rheumatische Erkrankungen zu erheben. Im Zuge der rektaldigitalen Untersuchung kann der Proktologe die Steißbeinspitze sowohl von außen als auch von innen ertasten und Schmerztriggerpunkte sowie Verspannungen der Muskulatur feststellen. Weiters sollte ein SteißbeinRöntgen im Stehen und im Sitzen durchgeführt werden, da sich manchmal ein hypermobiler oder aber nach ventral oder dorsal verkippter Knochen zeigt. Eine MRTUntersuchung des kleinen Beckens ist für den Ausschluss entzündlicher oder tumoröser Prozesse im kleinen Becken erforderlich. Zusätzlich sind stets eine gynäkologische bzw. urologische Untersuchung sowie eine Koloskopie notwendig, um mögliche Differentialdiagnosen auszuschließen. Die Therapie hängt davon ab, ob es sich um eine akute oder um eine chronische Verlaufsform handelt, wobei die konservative Therapie in Form von Physiotherapie sowie eine evtl. Infiltration des Schmerzpunktes an erster Stelle stehen. Operativ entfernt werden sollte das Steißbein nur in Einzelfällen.
Seltene Pudendus-Neuralgie
Eine relativ seltene, für den Patienten allerdings sehr quälende Pathologie
Experte zum Thema: OA Dr. Michael Rutkowski
Vizepräsident der MKÖ, Urologe am Landesklinikum Korneuburg mit Beckenbodenzentrum
ist die PudendusNeuralgie, die meist durch eine mechanische Kompression oder Läsion des Schamnervs verursacht wird und mit heftigen einschießenden, brennenden Schmerzen im Genital sowie im Analbereich einhergeht. Die Einteilung der PudendusNeuralgie erfolgt gemäß den sog. NantesKriterien: 1. Schmerzverschlechterung beim Sitzen, 2. keine nächtlichen Schmerzen, 3. Schmerz im Versorgungsgebiet des N. pudendus, 4. Schmerzen ohne Sensibilitätsverlust. Eine radiologische Darstellung des geschädigten Nervs ist schwierig, die Diagnose kann durch einen diagnostischen PudendusBlock gesichert werden. Die transgluteale oder laparoskopische Befreiung des irritierten oder eingeklemmten N. pudendus stellt eine chirurgische Therapieoption dar, welche jedoch sehr viel Erfahrung voraussetzt. Alternativ kann mit Lidocain oder mit BotulinumNeurotoxin infiltriert werden.
Blasenschmerzsyndrom: die Qual mit der Blase
Auch beim BladderPainSyndrome (BPS; ehem. interstitielle Zystitis) steht der Schmerz im Mittelpunkt und wird von irritativen Blasensymptomen begleitet. „Schwierig für Diagnose und Therapie sind das mangelnde Wissen um die Krankheit und die Vielzahl möglicher Begleit oder Grunderkrankungen, welche mitbehandelt oder eben ausgeschlossen werden müssen. Das BPS führt bei Ärzten daher oft zu Ratlosigkeit sowie Fehldiagnosen und bei den Patienten zu Verzweiflung – Depressionen und Verlust an Lebensqualität sind häufige Begleiterscheinungen des BPS“ , schildert OA Dr. Michael Rutkowski, MKÖVizepräsident und Urologe am Landesklinikum Korneuburg. Ein strukturiertes diagnostisches Vorgehen sei daher erforderlich. Die Zystoskopie ist für die Diagnose und bei manchen Therapieansätzen (unter Narkose) eine zentrale Säule, zum Beispiel für den Ausschluss von Tumoren. Generell wird die Diagnose aber immer klinisch gestellt, niemals durch die Blasenspiegelung allein. Für die Therapie ist zunächst festzustellen, ob Läsionen in der Blasenwand vorliegen (Hunner’s lesions), die verödet werden können. Für die „NonHunnerBPS“ Formen gilt ein therapeutisches Stufenschema. Physio und verhaltenstherapeutische Maßnahmen haben hier Priorität und können einen wertvollen Beitrag leisten. So lässt sich mithilfe der Relaxation eine 50 bis 70prozentige Besserung der Beschwerden erzielen. Auch Antihistaminika sind sinnvoll, da die Mastzelle im Rahmen einer Entzündungsreaktion mit gesteigerter HistaminAusschüttung nach Aktivierung von H1 und H2Rezeptoren eine entscheidende Rolle spielt. Eine zystoskopische Überdehnung der Blase unter Narkose kann eine Verbesserung der Symptomatik über mehrere Monate bringen, BotoxInjektionen und die Neuromodulation können Betroffenen ebenfalls Linderung verschaffen.
Emanuel Munkhambwa
Quelle: Jahrestagung der Medizinischen Kontinenzgesellschaft Österreich (MKÖ) 2020
Neuropathische Schmerzen nicht übersehen
Rund ein Fünftel der Patienten mit rheumatischen Erkrankungen ist betroffen

Für die Behandlung der rheumatoiden Arthritis (RA) und anderer Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises – z. B. der Spondylitis ankylosans (SpA) oder der PsoriasisArthritis (PsA) – steht eine Vielzahl entzündungshemmender Medikamente zur Verfügung. Sie reichen von nichtsteroidalen Antirheumatika zur symptomatischen Behandlung bis hin zu Biologika für die Langzeittherapie. Jedoch berichten drei Viertel der Patienten trotz einer adäquat kontrollierten Grunderkrankung über mäßig bis stark ausgeprägte Schmerzen.1 Zwei Publikationen aus dem Jahr 2020 weisen darauf hin, dass nicht nur Schmerzen, die durch die Entzündung bedingt sind, sondern auch neuropathische Schmerzen bei rheumatischen Erkrankungen eine bedeutende Rolle spielen.
Prädisponiert für diverse Schmerzarten
An einem französischen Patientenkollektiv2 von knapp 500 Personen konnten Forscher demonstrieren, dass jene, die an RA und ähnlichen Erkrankungen litten, auch eine starke Disposition für andere Schmerzformen aufwiesen. Betroffene kämpften dreimal so häufig mit neuropathischen Schmerzen (21,5 %) wie die Normalbevölkerung und doppelt so häufig mit Migräne (34 %). In dieser Studie wurde das Vorliegen von neuropathischem Schmerz anhand des DN4Interviews erfasst. Eine Zustimmung zu drei der sieben Items (siehe Infobox) galt als Nachweis jener Schmerzform. Die Prävalenz von neuropathischem Schmerz war unter den SpAPatienten am höchsten, jene von Migräne unter den PsAPatienten. Die Studienautoren machen darauf aufmerksam, dass das Auftreten von neuropathischen Schmerzen auch mit dem Krankheitsverlauf assoziiert sei. RAPatienten, die unter jener Schmerzform litten, wiesen ein signifikant aktiveres entzündliches Geschehen auf als die Probanden, die nicht über neuropathische Schmerzen berichteten. Tritt jene Art der Schmerzen auf, ist die Wahrscheinlichkeit einer Remission der Grunderkrankung sehr gering, was eine andere Studie ebenfalls zeigte.3
Multimodale Behandlung forcieren
Die zweite 2020 erschienene Publikation4 rückt u. a. die Therapiemöglichkeiten in den Fokus. Die Autoren heben hervor, dass es nicht genügend Daten gebe, die eine Besserung neuropathischer Schmerzen im Rahmen der krankheitsmodifizierenden Basistherapie (mit sog. DMARDs) nachweisen könnten. Sie sprechen sich für eine adjuvante Therapie mit Gabapentin und Pregabalin aus, welche die Ausschüttung von Neurotransmittern bei peripheren Schmerzsyndromen vermindern. Als weitere Möglichkeit nennen sie den Wirkstoff Amitriptylin, der in der Behandlung neuropathischer Schmerzen nicht an Bedeutung verlieren sollte. Ärzte werden aber auch dazu angehalten, nichtpharmakologische Ansätze miteinzubeziehen: Hier unterstreichen die Autoren die Wichtigkeit des multimodalen Schmerzmanagements. Einerseits sollte es die Patientenaufklärung beinhalten, andererseits physiotherapeutische Ansätze sowie eine gezielte Rehabilitation für Schmerzpatienten.
Mag.a Marie-Thérèse Fleischer, BSc
Quellen: 1 Trouvin AP & Perrot S, Best Pract Res Clin Rheumatol 2019; 33:101415. 2 Mathieu S et al., J Clin Med 2020; 9(6):1890. 3 Salaffi F et al., Curr Rheumatol Rev 2019; 15:154161. 4 Seifert O & Baerwald C, Aktuelle Rheumatologie 2020; 45(05):443452.
X Infobox: Diagnostische Fragen
Zwecks einer ersten Einschätzung, ob neuropathische Schmerzen vorliegen, können Ärzte ihren Patienten Fragen aus dem DN4Interview (Bouhassira D, 2005) stellen:
Weist der Schmerz eines oder mehrere der folgenden Merkmale auf?
Brennen, Gefühl einer schmerzhaften Kälte, elektrische Schläge.
Treten die folgenden Beschwerden zusammen mit den Schmerzen im selben Körperbereich auf?
Kribbeln, Piksen, Taubheitsgefühl, Juckreiz.