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Angstsymptome richtig einordnen

SeriePSYCHE

Angstsymptome richtig einordnen

Diagnostik und Therapie von subsyndromalen bis schweren Angststörungen unter Beachtung der Komorbiditäten

+++ Leidensdruck und Funktionseinschränkung als erste Anhaltspunkte +++ Phytopharmaka und Psychotherapie für leichte Angststörungen gut geeignet +++ Bei schwereren Symptomen sind Antidepressiva Therapie der ersten Wahl, auch in Kombination mit anderen Wirkstoffen einsetzbar +++

Im Rahmen einer Pandemie gibt es viele Gründe, ängstlich zu sein: Nicht nur gesundheitliche Folgen einer Infektion, sondern auch Zukunftsängste, z. B. ökonomischer Natur, können unangenehme Gefühle hervorrufen. „Die Covid19Pandemie stellt einen Trigger sowohl für die Erstmanifestation als auch für die Verschlechterung von psychiatrischen Erkrankungen dar“ , unterstreicht DDr.in Lucie Bartova, Klinische Abteilung für Allgemeine Psychiatrie, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, MedUni Wien. So berichteten zu Beginn der Coronakrise rund 50 Prozent der mehr als 6.500 Teilnehmer einer in Deutschland durchgeführten Studie von Angst, psychischer Belastung und davon, dass sie mehrere Stunden pro Tag über das Coronavirus nachdachten.* Bei der Differenzierung zwischen situationsabhängiger Besorgtheit und einer klinisch relevanten psychischen Störung kann die Beachtung der folgenden zwei Aspekte sehr hilfreich sein: Leidensdruck und Funktionseinschränkung. Diesbezüglich empfiehlt die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin: „Man sollte den Patienten fragen, wie häufig er an das angstbesetzte Thema denkt. Berichtet er, dass er kaum an etwas anderes denken kann, sich nicht mehr gut konzentrieren kann und sich insgesamt irritiert, belastet oder angespannt fühlt, bzw. weniger Energie und/oder Freude empfindet, dann ist das ein signifikanter Hinweis, dass der Patient einen deutlichen Leidensdruck verspürt. “ Bei der schon angesprochenen Funktionseinschränkung sollte vor allem ermittelt werden, ob der Betroffene noch in der Lage ist, seiner Arbeit nachzugehen, die familiären Pflichten zu erfüllen und/oder soziale Aktivitäten auszuüben.

Auf körperliche Beschwerden achten

„Hausärzte spielen bei der Erkennung psychischer Störungen generell eine bedeutende Rolle. Sie sind oftmals die ersten Kontaktpersonen der Betroffenen, welche die Möglichkeit haben, zwischen einer normalen Besorgtheit und einer Angststörung zu unterscheiden“ , betont DDr.in Bartova. Sie weist darauf hin, dass dabei ein besonderes Augenmerk auf körperliche Beschwerden zu legen sei: „Berichten Patienten über mehrere Besuche hinweg von somatischen Beschwerden, für die sich kein ‚organisches‘ Korrelat finden lässt, könnte sich eine psychische Erkrankung dahinter verstecken“ , erläutert die Fachärztin. Beispiele für psychosomatische Beschwerden umfassen u. a. unspezifische Schmerzen, Verspannungen und/oder verschiedene vegetative Symptome wie vermehrtes Schwitzen, Zittern, Schwindel, Herzklopfen, Atemnot, Übelkeit, Diarrhoe und andere Beschwerden im Bereich des MagenDarmTraktes.

Differentialdiagnostische Abklärung

Allgemeinmediziner sollten Betroffenen jedoch nicht gleich zu einer Psychotherapie raten. „Wenn Hausärzte den Verdacht haben, dass eine Angststörung vorliegen könnte, dann empfehle ich eine Überweisung an einen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin. Das ist für die differentialdiagnostische Abklärung und die anschließende Einleitung einer optimalen Therapie der verdächtigten Erkrankung sowie eventuell vorliegenden weiteren psychiatrischen oder somatischen Komorbiditäten äußerst relevant“ , macht DDr.in Bartova aufmerksam. Einige Beispiele für körperliche Erkrankungen, die Angst bedingen bzw. mit Angst einhergehen können, sind in Infobox 1 aufgelistet.

Therapieschema effektiv und individuell gestalten

Mittlerweile stehen uns zahlreiche effektive Therapiemöglichkeiten von Angststörungen zur Verfügung, die entsprechend der individuellen Bedürfnisse der Betroffenen neben der Psychopharmakotherapie auch weitere nicht pharmakologische und soziale Interventionen miteinbeziehen sollten. Die Therapieansätze sollten entsprechend der führenden klinischen Symptomatik und deren Ausprägung, Komorbiditäten, der bisherigen Therapieerfahrung der Patienten (Ansprechen, Verträglichkeit), sowie deren Präferenzen individuell gewählt werden, was nachfolgend erläutert wird.

Expertin zum Thema: DDr.in Lucie Bartova

Klinische Abteilung für Allgemeine Psychiatrie, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, MedUni Wien

Subsyndromale und leichte Angststörungen

Bei jenen Patienten, die noch nicht die diagnostischen Kriterien einer Angststörung erfüllen, und die unter einer sog. subsyndromalen Symptomatik leiden, kann man z. B. mit der Verschreibung eines Phytopharmakons beginnen, so die Expertin. Seit 2019 ist in Österreich ein Lavendelölpräparat mit dem Wirkstoff Silexan zugelassen. Der anxiolytische Effekt tritt nach ein bis zwei Wochen ein, begleitende Unruhe, Anspannung oder Schlafstörungen bessern sich dank des pflanzlichen Arzneimittels ebenfalls.** Psychotherapie gehört bei leichteren bis mittelgradigen Ausprägungen zu den sehr effektiven nichtpharmakologischen Therapiemethoden.

X Infobox 1: Körperliche Erkrankungen

mit Angstsymptomatik

Darunter fallen u. a.:

„ Lungenerkrankungen wie COPD und

Asthma, „ HerzKreislaufErkrankungen, „ endokrine Erkrankungen wie z. B. Hyperthyreose, „ Elektrolytentgleisungen, „ Tumorerkrankungen (z. B. hormonell aktive

Tumoren wie das Phäochromozytom). „Hausärzte sollten darauf achten, dass es zu keinen längerfristigen Folgeverschreibungen von Benzodiazepinen kommt.“

Mittelgradige bis schwere Symptomatik

Kommt es zu einem stärkeren Leidensdruck und signifikanten Funktionseinschränkungen im Sinne einer manifesten Angsterkrankung von mittelgradiger bis schwerer Ausprägung steht die Psychopharmakotherapie im Vordergrund, wobei mehrere effektive Substanzen zum Einsatz kommen können: Antidepressiva: SSRIs und SNRIs gelten als medikamentöse Therapie der ersten Wahl bei Angststörungen. „Hierbei benötigen Angstpatienten zumeist eine höhere Dosierung als Patienten mit einer Depression“ , berichtet DDr.in Bartova. Sie empfiehlt einen sanften Therapiebeginn mit der halben Standarddosis. Beispielsweise könne von 5 mg Escitalopram nach drei bis fünf Tagen auf die Standarddosis von 10 mg tgl., und im weiteren Verlauf je nach

Therapieansprechen und Verträglichkeit weiter auf 20 mg tgl. erhöht werden. Weitere Therapieoptionen: „Sehr hilfreich bei Angststörungen – und vor allem bei der generalisierten Angststörung – ist das Antiepileptikum Pregabalin“ , ergänzt die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin. Bei schweren Ausprägungen, bei denen es häufig zu einer deutlichen gedanklichen Einengung kommt, die für die Patienten sehr belastend ist und häufig mit Unruhe und Anspannung einhergeht, würden auch atypische Antipsychotika wie Quetiapin eine sehr gute Wirkung erzielen. Benzodiazepine und Antihistaminika: „Benzodiazepine werden sehr gerne verordnet, weil sie im Gegensatz zu Antidepressiva, die eine Latenzzeit von etwa ein bis zwei Wochen aufweisen, sofort wirken. Das ist sehr wertvoll, da Angstpatienten einen hohen Leidensdruck verspüren“ , unterstreicht die Expertin. Allerdings sollten diese ausschließlich temporär verordnet werden. Hierbei müssen die Patienten über das erhöhte Abhängigkeitsrisiko aufgeklärt und die Medikation ausgeschlichen werden, sobald das Antidepressivum Wirkung zeigt. Sie ergänzt: „Hausärzte sollten darauf achten, dass es hier zu keinen längerfristigen Folgeverschreibungen kommt. “ Daneben könnten Antihistaminika wie Hydroxyzin in der Akutphase als eine sehr effektive Alternative zu Benzodiazepinen ohne Abhängigkeitspotenzial eingesetzt werden.

Ergänzende Therapiemaßnahmen

Neben einer Psychotherapie seien andere Angebote für den Patienten mitunter eine sinnvolle Ergänzung, etwa Licht (bei depressiven Symptomen mit saisonalen Schwankungen), Ergo, oder Physiotherapie – je nach individueller Krankheitsgeschichte. „Patienten sollten dazu angehalten werden, auf ausreichend Schlaf, körperliche Aktivität und auch auf die Körperhygiene zu achten sowie eine WorkLifeBalance einzuhalten. Gerade jene, die sehr viel arbeiten, sollten bewusst Pausen einlegen“ , so die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin.

Kombinationstherapie und Komorbiditäten

Reicht die verordnete Therapie nicht aus, um die Angstsymptomatik zu lindern, besteht die Möglichkeit, mehrere Wirkstoffe zu kombinieren – immer mit Bedachtnahme auf die führende klinische Symptomatik, Komorbiditäten, die bisherigen Therapieerfahrungen der Patienten und deren Präferenzen, eventuelle Wechselwirkungen sowie die jeweiligen Nebenwirkungsspektren. „Angst kommt selten allein“ , weiß die Fachärztin. Fast jede psychische Erkrankung könne gemeinsam mit einer Angststörung auftreten, eine besonders häufige Komorbidität stelle die Depression dar. „Je nachdem mit welchem Patienten man es zu tun hat, welche Symptome er hat und welche Begleiterkrankungen vorliegen, muss man Substanzen wählen, die individuell auf die Bedürfnisse des Patienten zugeschnitten sind“ , erinnert DDr.in Bartova. So würde sich beispielsweise zur Behandlung einer komorbiden Depression mit bestehender Schlafstörung ein Antidepressivum wie Mirtazapin eignen, das eine schlaffördernde Wirkung habe. Es ließe sich gut mit SSRIs wie z. B. Escitalopram oder Sertralin sowie auch mit SNRIs wie Venlafaxin, Duloxetin oder Milnacipran kombinieren. X Infobox 2: Konsensus online abrufen

Die Österreichische Gesellschaft für Neuropsychopharmakologie und Biologische Psychiatrie (ÖGPB) stellt Ärzten auf ihrer Webseite im Bereich „Forschung“ eine KonsensusSammlung mit Therapieempfehlungen für verschiedenste psychische Erkrankungen zur Verfügung – auf Deutsch und mit ÖsterreichFokus: www.oegpb.at

In Kontakt bleiben

Auch wenn die Coronakrise Ärzte und Patienten vor einige Hindernisse stellt, „ist es auf jeden Fall wichtig, dass die Betroffenen nicht den Kontakt zu ihren Ärzten und Therapeuten verlieren. Hier wäre es hilfreich, wenn Ärzte sie ermutigen würden, ihre sowohl medikamentösen als auch nichtpharmakologischen Therapien fortzusetzen. Zudem sollten sie Patienten auf OnlineAngebote oder auf die Möglichkeit hinweisen, das Rezept direkt an die Apotheke gefaxt zu bekommen, falls Patienten ihren Arzt tatsächlich nicht aufsuchen können“ , betont die Fachärztin. „Allgemeinmediziner können auch telefonisch mit den Fachärzten für Psychiatrie in Kontakt treten. Dann können wir . In perfek Balance ter uns ggf. ein geeignetes weiteres Procedere gemeinsam überlegen, Cannabis und bis der Termin bei eiindischer Ginseng nem Facharzt zustande kommt.“

Mag.a Marie-Thérèse Fleischer, BSc

Quellen: * Petzold MB et al., Brain and Behavior 2020; 10(9):e01745. ** Kasper S et al., World J Biol Psychiatry 2018; 19(6):412420. Kasper S et al., Angststörungen: Medikamentöse Therapie. KonsensusStatement – State of the art 2018; CliniCum neuropsy Sonderausgabe 2018.

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