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VERGABERECHT
AUSNAHMESITUATION?
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In Österreich stellte das öffentliche Beschaffungswesen bereits vor der COVID-19-Pandemie einen bedeutsamen Wirtschaftsfaktor dar und entsprach mit 61,7 Milliarden Euro rund 18 Prozent des Bruttoinlandprodukts Österreichs.1) Mit Beginn der COVID-19-Pandemie wurde es für die öffentliche Hand notwendig, rasch Schutzausrüstung zu beschaffen und andere Lieferaufträge zu erteilen, um der Krise angemessen begegnen zu können. In der Praxis stellen sich aktuell regelmäßig Fragen nach Ausnahmen vom Anwendungsbereich des Bundevergabegesetzes während der COVID-19-Pandemie.
QUASI-AUSNAHME? Mit dem Bundesvergabegesetz (BVergG) 2018 wurde in Österreich die unionsrechtliche Vergaberichtlinie weitgehend umgesetzt. Die vergaberechtlichen Bestimmungen sind zu beachten, wenn es sich gemäß §§ 4-7 BVergG 2018 um entgeltliche Bauaufträge, Lieferaufträge oder Dienstleistungsaufträge von öffentlichen Auftraggebern, sonstigen Auftraggebern oder von Sektorenauftraggebern (§ 166 BVergG 2018) handelt. Im Unterschied zur Vergaberichtlinie erfasst das BVergG 2018 nicht nur den Oberschwellenbereich, sondern auch den Unterschwellenbereich. Deshalb ist das BVergG 2018 in Österreich grundsätzlich bereits beim „1-Cent Auftrag“ anwendbar.2)
Die Unterscheidung ist dennoch wesentlich, da beim Unterschwellenbereich ein gelockertes Vergaberegime mit mehreren Wahlmöglichkeiten und eine kürzere Frist zur Verfügung stehen. In §§ 9, 10 BVergG 2018 findet sich eine taxative Aufzählung möglicher Ausnahmen vom Bundesvergabegesetz. Mit dem BVergG 2018 wurde die In-House-Vergabe im Vergleich zum BVergG 2006 umfangreicher geregelt (§ 10 Abs 1, 2 und 4 BVerG 2018).3)
Die Quasi-In-House-Vergabe war ursprünglich nicht kodifiziert, sondern wurde durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der Rechtssache Teckal präzisiert. Nach der Teckal-Entscheidung unterliegt eine Vergabe als sogenannte Quasi-In-House-Vergabe eines öffentlichen Auftraggebers nicht dem Vergaberechtsregime, wenn er über den Auftragnehmer eine Kontrolle, wie über eine eigene Dienststelle, ausübt (Kontrollkriterium) und der Auftragnehmer seine Tätigkeiten im Wesentlichen für den ihn kontrollierenden öffentlichen Auftraggeber verrichtet (Tätigkeitskriterium).4) Als logische Folge wurden Public-private-Partnerships gegründet, in der Annahme, dass dies eine zulässige Ausnahme darstellt. Dies hatte für die öffentliche Hand den Vorteil, dass durch die Beteiligung von Privaten schnell das nötige Know-how für Projekte angeeignet werden konnte, und für Private bedeutete es gesicherte Einkommen bzw. die verlässliche Finanzierung durch die öffentliche Hand. Der EuGH schob dieser Praxis jedoch mit seiner Rechtsprechung zur Rechtssache Halle einen Riegel vor, indem er entschied, dass selbst eine Minderheitsbeteiligung eines privaten Unternehmens den Tatbestand der Kontrolle, wie über eine eigene Dienststelle, ausschließt.5) WESENTLICHE SICHERHEITSINTERESSEN Zu Beginn der COVID-19-Pandemie wurde im Vergaberecht die Bestimmung in § 9 Abs 1 Z 3 BVergG 2018 besonders diskutiert. Danach gelangt das BVergG 2018 nicht zur Anwendung, wenn der Tatbestand der „wesentlichen Sicherheitsinteressen“ erfüllt ist. Dabei handelt es sich um Interessen, die fundamentale Auswirkungen auf den Bestand oder das Funktionieren der Republik Österreich haben. Der Gesetzgeber stellte aber schon in den Erläuterungen klar, dass es sich dabei um einen Ausnahmetatbestand handelt, der nur als Ultima Ratio in Anspruch genommen werden kann.6) Das Bundesministerium für Justiz hielt bereits in einer Mitteilung vom 30. März 2020 fest, dass nicht einmal die Beschaffung von Schutzausrüstung zu Beginn der Pandemie diesen Tatbestand erfüllte, da der Bestand des Staates an sich nicht gefährdet war.7)
Zu Beginn der Krise hat Österreich für Beschaffungen überwiegend das Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung gemäß § 36 Abs 1 Z 4 BVergG 2018 gewählt. Dieses Verfahren ist nur zulässig, wenn äußerst dringliche, zwingende Gründe vorliegen, die nicht dem Verhalten des öffentlichen Auftraggebers zuzuschreiben sind, und es in diesem Zusammenhang nicht möglich ist, die vorgesehenen Fristen einzuhalten. Die Europäische Kommission stufte die COVID-19-Pandemie als unvorhersehbares Ereignis ein und eröffnete somit die Anwendung der Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung.8) Das Verfahren sollte aber nur eine Überbrückungsmaßnahme darstellen, um den unmittelbaren Bedarf decken zu können.9)
MMAG. DR. THOMAS LECHNER
FAZIT Abschließend kann festgehalten werden, dass die tatsächlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie derzeit keine rechtlichen Ausnahmen vom Anwendungsbereich des Bundesvergabegesetzes ermöglichen. Bereits vor der Pandemie verhinderte der EuGH mit seiner Entscheidung zur Rechtssache Halle die ausschreibungsfreie öffentliche Auftragsvergabe an Public-private-Partnerships. Schon zu Beginn der COVID-19-Pandemie hat die denkbare Ausnahme der „wesentlichen Sicherheitsinteressen“ in § 9 Abs 1 Z 3 BVergG 2018 nach Ansicht des Justizministeriums nicht vorgelegen, da der Bestand der Republik Österreich als solches nicht gefährdet war. Mittlerweile kann auch das als Überbrückungsmaßnahme kurzzeitig zulässige Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung nicht mehr gewählt werden, weil die COVID-19-Pandemie kein unvorhergesehenes Ereignis mehr darstellt.
FUSSNOTEN:
1. Auftragnehmerkataster Österreich, Wirtschaftsfaktor öffentliche Vergabe, https://www.ankoe.at/fileadmin/images/news/
ANKOE_Studie_Zusammenfassung_Oeffentliche-Vergaben-in-Oesterreich_01.pdf (14.11.2021). 2. Müller / Wimmer, Wirtschaftsrecht3, Rz 948 f. 3. Ebd., Rz 957 ff. 4. EuGH, 18.11.1999, C-107/98 (Teckal), Slg 1999, I-8121 Rz 50. 5. EuGH, 11.01.2005, C-26/03 (Stadt Halle und RPL Lochau), Slg 2005, I-1 Rz 52. 6. ErläutRV 69 BlgNR. XXVI GP 30 f. 7. GSZ 2020.-0.196.642, Anwendung der vergaberechtlichen Regelungen im Zusammenhang mit der COVID-Krise, 3. 8. 2020/C 108 I/01 Leitlinien zur Vergabe in der COVID-19-Krise, 1. 9. Ebd., 2.3.4.
LITERATUR- UND QUELLENVERZEICHNIS:
• Auftragnehmerkataster Österreich, Wirtschaftsfaktor öffentliche Vergabe, https://www.ankoe.at/fileadmin/images/news/ANKOE_
Studie_Zusammenfassung_Oeffentliche-Vergaben-in-Oesterreich_01.pdf (14.11.2021) • Erläuterungen- Regierungsvorlage 69 der Beilagen XXVI GP • EuGH, 18.11.1999, C-107/98 (Teckal), Slg 1999, I-8121 • EuGH, 11.01.2005, C-26/03 (Stadt Halle und RPL Lochau), Slg 2005, I-1 • Leitlinien der Europäischen Kommission zur Nutzung des Rahmens für die Vergabe öffentlicher Aufträge in der durch die COVID-19-
Krise verursachten Notsituation 2020/ C 108 I/01 • Müller, Thomas / Wimmer, Norbert, Wirtschaftsrecht. International – Europäisch – National, 3. Auflage, Wien 2018 • Rundschreiben des Bundesministeriums für Justiz, GSZ 2020.-0.196.642, Anwendung der vergaberechtlichen Regelungen im
Zusammenhang mit der COVID-Krise.