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INSOLVENZRECHT

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GESELLSCHAFTSRECHT

GESELLSCHAFTSRECHT

EINE ZWEITE CHANCE

Damit Unternehmer nach einer Insolvenz eine zweite Chance erhalten, wurde in Umsetzung einer EURichtlinie die Möglichkeit geschaffen, eine gänzliche Entschuldung bereits nach drei Jahren zu erreichen.

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Vor ziemlich genau vier Jahren wurde unter dem Titel „Modernes Insolvenzrecht – Kultur des Scheiterns“ in Österreich die Möglichkeit geschaffen, in einem gerichtlichen Insolvenzverfahren nach fünf Jahren in den Genuss einer vollen Entschuldung zu kommen. Allerdings bestanden in den einzelnen Mitgliedstaaten der EU völlig unterschiedliche Regelungen, ob und in welcher Zeit Unternehmern die bei ihrer Geschäftstätigkeit aufgelaufenen Schulden erlassen werden. So war es bislang etwa in England möglich, eine Entschuldung bereits nach einem Jahr ohne weitere Bedingung zu erreichen, während es in anderen Ländern gar kein Schuldentilgungsverfahren für Unternehmen gab.

Durch die „EU-Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz“ wurde nunmehr eine EU-weite Vereinheitlichung herbeigeführt. Ziel dieser Richtlinie ist es, dass redliche insolvente Unternehmer nach einer Frist von maximal drei Jahren in allen Mitgliedstaaten in den Genuss einer vollen Entschuldung kommen und dadurch eine zweite Chance erhalten können. So soll auch vermieden werden, dass Unternehmer kurz vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ihren Sitz in ein Land mit unternehmerfreundlicherem Insolvenzrecht verlegen, was sowohl für ihre Gläubiger als auch für die Unternehmer selbst mit erheblichen Mehrkosten verbunden ist.

DIE NEU EINGEFÜHRTEN BESTIMMUNGEN FÜHREN DAZU, DASS REDLICHEN UNTERNEHMERN SCHNELLER ALS BISHER NACH EINER INSOLVENZ EIN NEUSTART ERMÖGLICHT WIRD. ES IST DAVON AUSZUGEHEN, DASS GERADE IN DER DERZEITIGEN, PANDEMIEBEDINGT FÜR VIELE BRANCHEN SCHWIERIGEN WIRTSCHAFTSLAGE OFT DAVON GEBRAUCH GEMACHT WIRD.

UMSETZUNG IN ÖSTERREICH Die EU-Richtlinie wurde in Österreich durch eine Anpassung der bestehenden Regelungen über den Zahlungsplan und durch die Einführung eines sogenannten Abschöpfungsverfahrens mit Tilgungsplan umgesetzt. Die neuen Bestimmungen kommen zur Anwendung, wenn der Antrag auf Zahlungsplan und Abschöpfungsverfahren nach dem 16. Juli 2021 gestellt wird. Sie gelten über die Vorgaben der EU-Richtlinie hinaus sowohl für Unternehmer als auch für Privatpersonen.

ZAHLUNGSPLAN Die Einleitung des Insolvenzverfahrens kann sowohl vom Schuldner selbst als auch von einem Gläubiger beantragt werden. In weiterer Folge ist das gesamte Vermögen des Schuldners, soweit es pfändbar ist, zu verwerten.

Um eine Entschuldung zu erlangen, hat der Schuldner seinen Gläubigern zunächst einen sogenannten Zahlungsplan anzubieten. Dabei muss der Schuldner die Zahlung einer Quote anbieten, die seiner Einkommenslage in den folgenden drei Jahren entspricht (bisher waren es fünf Jahre). Die Zahlung der Quote erfolgt normalerweise in Raten, wobei die Zahlungsfrist sieben Jahre nicht übersteigen darf. In der Praxis erfolgt die Berechnung der Quote derart, dass die über das Existenzminimum hinausgehenden Einkommensteile des Schuldners der kommenden drei Jahre zusammengerechnet und dann den Gesamtschulden gegenübergestellt werden.

BEISPIEL: Der Schuldner ist mittlerweile angestellt. Er verdient pro Monat 500 Euro mehr als das Existenzminimum und erhält 14 Gehälter pro Jahr. Die Gesamtschulden betragen 150.000 Euro. Der Einkommenslage der kommenden drei Jahre entspricht daher ein Betrag von 21.000 Euro (14 x 500 Euro x 3 Jahre) und somit eine Quote von 14 % (21.000 Euro / 150.000 Euro). Wenn die Mehrheit der Gläubiger den Zahlungsplan annimmt, wird das Insolvenzverfahren aufgehoben. Zahlt der Schuldner in weiterer Folge die Quote (im Beispiel 14 %), wird er von der Zahlung des verbleibenden Schuldenbetrags (der restlichen 86 %) endgültig befreit.

ABSCHÖPFUNGSVERFAHREN Wird der Zahlungsplan von den Gläubigern nicht angenommen, kann der Schuldner die Einleitung eines Abschöpfungsverfahrens mit Restschuldbefreiung beantragen. Bei dem neu geschaffenen Abschöpfungsverfahren mit Tilgungsplan hat der Schuldner dabei zu erklären, dass er den über das Existenzminimum hinausgehenden Teil seines Einkommens für die nächsten drei Jahre an einen vom Gericht zu bestellenden Treuhänder abtritt. Das bisherige fünfjährige Abschöpfungsverfahren bleibt weiterhin bestehen und wird nunmehr als Abschöpfungsverfahren mit Abschöpfungsplan bezeichnet.

Das dreijährige Verfahren ist allerdings an strengere Voraussetzungen geknüpft. Es setzt insbesondere voraus, dass der Schuldner längstens binnen 30 Tagen nach öffentlicher Bekanntmachung des Beschlusses über die Feststellung seiner offenkundigen Zahlungsunfähigkeit in einem Exekutionsverfahren die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beantragt hat. Zudem darf er in den letzten fünf Jahren durch Begründung von unverhältnismäßigen Verbindlichkeiten oder Verschleuderung von Vermögen die Befriedigung seiner Gläubiger nicht geschmälert haben.

Während der Dauer des Abschöpfungsverfahrens verbleibt dem Schuldner nur das Existenzminimum. Das restliche Einkommen ist vom Treuhänder an die Gläubiger zu verteilen. Nach Ablauf des Abschöpfungsverfahrens hat das Gericht dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu erteilen. Er wird dadurch von seinen bei Insolvenzeröffnung bestandenen Schulden befreit.

Kommt der Schuldner seinen im Gesetz näher angeführten Pflichten, insbesondere eine angemessene Erwerbstätigkeit auszuüben oder sich um eine solche zu bemühen, nicht nach, droht allerdings die Ablehnung der Restschuldbefreiung.

AUSWIRKUNGEN IN DER PRAXIS Die neu eingeführten Bestimmungen führen dazu, dass redlichen Unternehmern schneller als bisher nach einer Insolvenz ein Neustart ermöglicht wird. Es ist davon auszugehen, dass gerade in der derzeitigen, pandemiebedingt für viele Branchen schwierigen Wirtschaftslage oft davon Gebrauch gemacht wird. Da die gesetzlichen Regelungen im Detail recht komplex sind, empfiehlt es sich jedenfalls, eine anwaltliche Beratung in Anspruch zu nehmen, damit die zweite Chance nicht aus formellen Gründen scheitert.

© BLICKFANG PHOTOGRAPHIE

MMAG. MATHIAS DEMETZ, B.SC.

Rechtsanwalt bei König, Ermacora, Klotz & Partner Erlerstraße 4/3 6020 Innsbruck www.advokatur.at

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