Behörden Spiegel November 2021

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ISSN 1437-8337

Nr. XI / 37. Jg / 45. Woche

Fakten, Hintergründe und Analysen für den Öffentlichen Dienst

Berlin und Bonn / Juli 2020

G 1805

www.behoerdenspiegel.de


Zukunft – Stadt und Region

Die neue Veranstaltungsplattform des

Auf unserer Veranstaltungsplattform NeueStadt.org wird die gesamte kommunale Infrastruktur – die soziale wie materielle – beleuchtet und diskutiert. Neu denken, neu planen, neu handeln und neue Kooperationen in den Stadtgesellschaften und ihrem Umfeld sind Themen dieses Portals.

Für die gesamte kommunale Infrastruktur mit:  Partner-Webinaren  Fortbildungs-Webinaren  Webkonferenzen und Online-Kongressen  Online-Diskussionen

Mehr unter: www.neuestadt.org


Fakten, Hintergründe und Analysen für den Öffentlichen Dienst

ISSN 1437-8337

G 1805

DIGITALE

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de Alles dazu auf

Nr. XI / 37. Jg / 45. Woche

Berlin und Bonn / November 2021

n Seiten 8–9

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Fähigkeiten müssen bekannter werden

Die NATO-Verteidigungsplanung

“Wir machen einen Unterschied”

Ute Vogt erzählt von ihren wichtigsten Zielen für die DLRG .................................. Seite 49

General Jörg Vollmer spricht über ein dynamisches Umfeld und die Erneuerung der NATO....... Seite 49

Dr. Katrin Tanzhaus berichtet von ihrer Arbeit als Sachverständige für forensische Genetik ..... Seite 55

Vorhersagen statt Wahrsagen

Beliebteste Behörden Deutschlands (BS/mj) Laut Analyse des Verbraucherschutzverbandes Berlin/Brandenburg (VSVBB) liegen die beliebtesten und unbeliebtesten Behörden Deutschlands gerade einmal 60 Kilometer auseinander. Die Auswertung von mehr als 32.000 Bewertungen von 344 Behörden in Deutschlands 40 größten deutschen Städten ergab 4,52 von fünf Sternen für die Bürgerbüros in Wuppertal. Das Schlusslicht Mönchengladbach erhielt gerade mal 2,49 Sterne für seine lokalen Behörden und auch die ehemalige Bundeshauptstadt Bonn wurde mit 2,61 Sternen und dem vorletzten Platz abgestraft. In das VSVBBRanking sind die öffentlich einsehbaren Google-Bewertungen dieser Behörden eingeflossen. “Erschreckend ist zudem, dass gerade einmal eine Handvoll der 344 Behörden auch öffentlich auf Bewertungen reagiert”, kommentiert Florian-Erik Eichhorn, Vorsitzender des VSVBB.

Karte zu Starkregengefahren

(BS/bk) Das Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (BKG) hat eine interaktive Karte mit Hinweisen zu Starkregengefahren für Nordrhein-Westfalen veröffentlicht. NRW ist die erste Teilregion im Projekt “Hinweiskarte Starkregengefahren”. Für die Erstellung der Gefahrenkarte wurden vor allem die Geodaten des Landes, dabei im besonderen Maße das hochaufgelöste, digitale Geländemodell, und die Informationen des amtlichen Liegenschaftskatasters genutzt. Zudem flossen die Daten des Deutschen Wetterdienstes (DWD) aus der Koordinierten Starkniederschlagsregionalisierung und -auswertung (KOSTRA) ein. Diese Karte soll auch in das Fachinformationssystem (FIS) Klimaanpassung des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (LANUV) integriert werden.

Aufsichtsstruktur vereinheitlichen

(BS/mfe) Insbesondere im NichtFinanzsektor, also unter anderem mit Blick auf Juweliere sowie Auto- und Mineralölhändler, ist die Aufsichtsstruktur zur Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung sehr zersplittert. Das sollte sich dringend ändern, fordert der Bundesverband der Geldwäschebeauftragten (BVGB). Denn in diesem Bereich sind bislang sehr viele unterschiedliche Akteure zuständig. Das erschwert ein kohärentes Vorgehen. Aus diesem Grunde plädiert der BVGB für eine Zentralisierung der Aufsicht über den Nicht-Finanzsektor auf Bundesebene, auch um von Bürokratie zu entlasten. Im Finanzsektor ist dies bereits der Fall. Hier ist die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zentral verantwortlich.

Prognosen als Entscheidungsgrundlage der Politik (BS/Uwe Proll) Die Prognose – also die Vorhersage, was sich zukünftig ereignet – ist nicht nur für Ökonomie, Ökologie und Sicherheit von fundamentaler Bedeutung, auch für Unternehmen, für jeden Einzelnen und jede Einzelne, bisher vor allem aber für politisches Handeln. Die Pandemie offenbart jedoch gerade, wie schwierig der Umgang mit Vorhersagen ist – und damit die politische Gestaltung und infolgedessen gesetzliches wie behördliches Handeln. Das Virus lässt nur ein Reagieren zu. Ankündigungen von Rückgang oder weiterer Ausbreitung des Infektionsgeschehens waren nur Modelle, also mögliche Szenarien, aber eben häufig keine Prognosen. Doch dieser Unterschied wurde weder politisch vermittelt noch wahrgenommen. Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in Regierende fußt bisher gerade auf der Glaubwürdigkeit einer vorhersehenden Politik, die mit Klarheit und Überzeugung die zukünftige Lebenswirklichkeit antizipierend darstellt und damit Sicherheit und Versicherung schafft. In der pandemischen Entwicklung seit Anfang 2020 waren aber Regierungen und Behörden weit entfernt von Versicherung. Folge waren Schlangenlinien und Pirouetten bei Entscheidungen und Beschlüssen – vor allem bei Gesetzen, ihrer Rücknahme und den Allgemeinverfügungen mit reichlich Potenzial für Zweifel an ihrer Sinnhaftigkeit – sowie nicht nur eine Verunsicherung, sondern ein spürbarer Autoritäts- und Glaubwürdigkeitsverlust. Prognosen sind wissenschaftlich fundierte Vorhersagen. Sie sind keine Szenarien, also Annahmen, mögliche Modelle, schon gar kein Wahrsagen. Politik und Behörden neigten dazu, qua Amt der Bevölkerung die Lage abschließend zu erklären, ohne selbst jedoch Pandemie-Wissen geschweige denn Erfahrung damit zu haben. Daher hat sich die derzeit noch amtierende Bundesregierung zu Beginn der pandemischen Krise maßgeblich auf wissenschaftliche Berater einer Fakultät berufen, deren wissenschaftliche wie auch lebenspersönliche Erfahrungen

Politische Entscheidungen sollten nicht mit der Glaskugel und auf Basis möglicher Modelle getroffen werden, wie es zu Beginn der Pandemie praktiziert wurde. Foto: BS/Foto-Ruhrgebiet, Adobe Stock

im Nachhinein der pandemischen realen Entwicklung großenteils nicht standgehalten haben. Es kam fast immer anders als verkündet, wahrgesagt, eben nicht prognostiziert. Durch die Darstellung von möglichen Szenarien, also reinen Annahmen statt seriöser Prognosen, wurde in der Pandemie existenziell wichtiges Vertrauen verspielt.

Dieser empfundenen Entrücktheit staatlicher Entscheidungen vom wirklichen Geschehen wird sich nun eine neue Bundesregierung stellen müssen. Eine schwere Anfangshypothek auch deswegen, weil es bei all den apokalyptischen Ausblicken zum Klimawandel eben auch um Szenarien, Annahmen und Wahrnehmungen geht, aber daneben auch um

mathematische Berechnungen, um Algorithmen, um Prognosen eben. Dennoch: Es wird auch hier manches anders kommen als “prognostiziert”. Erinnert sei an das angenommene Waldsterben 1980, das dann nicht eintrat, dem aber mittlerweile ein Waldsterben 2.0 tatsächlich folgte. Politiker und Politikerinnen müssen eine neue Kultur der Glaubwürdigkeit

Kommentar

Mehr Eigen- statt Fremdmittel (BS) Wegbrechende Steuereinnahmen im fast zweistelligen Milliardenbereich, ein Investitionsstau von rund 150 Milliarden Euro und weitere kommunale Finanzierungsdefizite in den kommenden Jahren von sechs bis sieben Milliarden Euro: Die Lage der Kommunen sieht alles andere als rosig aus (siehe Seite 25). Wie gut, dass die künftigen Koalitionäre in den Sondierungsgesprächen sechs Vorhaben angehen wollen, die Städten und Gemeinden direkt zugutekommen sollen. Bei aller Zuneigung zu den Kommunen, es reicht nicht, diese am langen Arm von Bund und Ländern hängen zu lassen. Ein Kooperationsgebot bei Kitas und Ganztagsschulen, ein Digitalpakt Schule 2.0, eine angemessene Beteiligung von Städten und Gemeinden an Windenergie- und größeren FreiflächenSolaranlagen, die Förderung des sozialen Wohnungsbaus mit 100.000 öffentlich geförderten Wohnungen pro Jahr, zielgenauere und verbindliche Kooperationen zwischen Bund, Ländern und Kommunen und nicht zuletzt eine mögliche Entlastung der Kommunen beim Thema Altschulden: Die Liste der guten Gaben lässt vermuten, dass SPD, Grüne und FDP das Füllhorn der Finanzen über die Kommunen ausschütten wollen. Das ist löblich. Denn die unterste Ebene des Staatswe-

sens droht, bis auf einige wenige Ausnahmen, in den tiefroten Schuldenkeller abzustürzen. Es löst jedoch die eigentliche Problematik nicht. Deutschlands Kommunen stehen generell zu wenig Finanzmittel zur Bewältigung all ihrer übertragenen Aufgaben zur Verfügung. Anstatt für jedes Finanzproblem einen Pakt oder ein Förderprogramm mit Genehmigungsverfahren zu etablieren, wäre es deutlich besser, Städte, Gemeinden und Landkreise stärker am Steueraufkommen partizipieren zu lassen und zum Beispiel die Umsatzsteueranteile auf fünf Prozent anzuheben. Dafür sprechen mehrere Gründe: Erstens stärkt es die lokale Demokratie, wenn Stadträte

und Gemeindeversammlungen wieder mehr selbst entscheiden können. Zweitens könnten so Förderprogramme reduziert werden. Das befreit die Kommunen davon, ständig nach neuen Geldquellen bei Bund und Ländern suchen, meistens komplizierte Antragsverfahren durchlaufen und noch Jahre später Angst haben zu müssen, dass bei einer Überprüfung der verwendeten Fördermittel Verfahrensfehler festgestellt und Rückforderungen gestellt werden. Und drittens wird damit eine Diskussion beendet, die die Übernahme der Altschulden seit Langem prägt. Nämlich diejenigen zu belohnen, die nicht nachhaltig gewirtschaftet haben. Jörn Fieseler

Koalitionspoker

entwickeln und statt “so wird es kommen” auch mal sagen dürfen “so könnte es kommen”. Doch dies bedarf einer neuen Sozialisierung der politischen Elite in dem Sinne: Wir wissen es auch nicht genau und sagen dies auch. Doch jüngst ist das Gegenteil zu beobachten. Viele der neuen Generation, die nun in politische Ämter und Ministerposten streben, neigen dazu, “absolute Wahrheiten” zu verkünden. Das mag zwar im Sinne der Aufregung und damit bei der Gunst um Wählerstimmen helfen, doch seriös ist es nicht. Unnötige Dramatisierung in der Politik blieb bisher und wird wohl auch in Zukunft straffrei bleiben, ganz nach dem Motto des ersten Bundeskanzlers Konrad Adenauer: “Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern.” Glaubwürdigkeit entsteht jedoch durch glaubwürdige Selbstzweifel, durch ständiges Suchen nach besseren Wegen, eben auch Korrekturen, nicht durch eineindeutige Gewissheiten, die sich dann nicht bewahrheiten. Doch Behörden und Staat brauchen Glaubwürdigkeit für ihr Handeln, dazu gehört aber eben ein offener Selbstzweifel. Keinen Zweifel aufkommen lässt das Virus, es will leben und kehrt mächtig zurück, trotz aller Szenarien und Modelle.


Inhalt

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Behörden Spiegel / November 2021

Eine Idee jagt die nächste. Selbst in der Verwaltung werden Reformen wie am laufenden Band produziert. Dabei ist stets das Ziel, digitaler, fortschrittlicher und stärker auf den Bürger ausgerichtet zu arbeiten. Übrig bleibt nur die Frage, inwiefern Reformen Prozesse vereinfachen oder letztendlich doch eher mehr Bürokratie als Nutzen erbringen. Denn neu ist nicht gleich besser. Foto: BS/wei, stock.adobe.com

Verwaltungsreform Zeit, zu handeln

Neue Nachnutzungschancen für Kommunen

Nur ein funktionierender Staat sichert sozialen Frieden und Wohlstand ...................................................................... Seite 5

IT-Planungsrat beschließt Aufbau eines kommunal nutzbaren EfA-Marktplatzes .............................................................................Seite 32

“BaFin mit Biss”

Schaler Kompromiss oder wirksamer Impuls?

Modernisierung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht ... Seite 7

Bund legt Spielregeln für Sicherheit im Portalverbund fest ...............Seite 42

eJustice

Gleichzeitigkeit – Gleichrangigkeit

Zentrales Modernisierungsvorhaben der Justiz in Rheinland-Pfalz ...... Seite 9

Herausforderungen der Zukunft für unser Personal und Material ......Seite 50

Die Kontrolle behalten

Künstliche Intelligenz in hybriden Operationen

Datenräume in Deutschland und Europa .........................................Seite 30

Fünf Thesen zur Digitalisierung der Landstreitkräfte .........................Seite 53

Innen Spiegel

Digitaler UN-Tag des Behörden Spiegel

25 Jahre UN-Standort Bonn 12. November, 14 Uhr Die Bundestadt Bonn, ehemaliger Regierungssitz, ist einer der wichtigsten Standorte der Vereinten Nationen geworden. Der Behörden Spiegel nimmt das Jubiläum – 25 Jahre UN-Standort Bonn – zum Anlass die UN in Bonn vorzustellen. Mit über 1.000 Mitarbeitenden ist die UNStadt ein internationales Zentrum für Klima, Entwicklungshilfe und Artenschutz geworden. Sowohl das UN-Klimasekretariat als auch das Büro der United Nations Volunteers sind am Rhein zu Hause. Eröffnet wird die Sendung mit einem Grußwort des UN-Generalsekretärs António Guterres. MODERATION: Uwe Proll, Chefredakteur und Herausgeber, Behörden Spiegel Arne Molfenter, United Nations Global Communications, UN Regional Information Centre for Western Europe (UNRIC) und Head of Liaison Office in Germany REFERENTEN: António Guterres, Generalsekretär der Vereinten Nationen Patricia Espinosa, Exekutivsekretärin des Klimasekretariat der Vereinten Nationen Toily Kurbanov, Exekutivkoordinator der United Nations Volunteers (UNV) Katja Dörner, Oberbürgermeisterin Bonn Niels Annen, Staatsminister

Anmeldung unter neuestadt.org/programm

Mobilität – aber elektrisch E-Mobility-Magazin präsentiert Technologievielfalt (BS/lma) Die Erneuerung der Mobilität, erzwungen durch den Klimawandel, macht auch vor der öffentlichen Hand keinen Halt mehr: So zwingt die “Clean Vehicles Directive” der Europäischen Union, die in diesem Jahr mit dem “Saubere-Fahrzeuge-Beschaffungsgesetz”in nationales Recht umgesetzt wurde, staatliche Akteure, bei der Beschaffung von Fahrzeugen bei einem bestimmten Anteil dieser Fahrzeuge auf Klimaneutralität zu achten. Gleichzeitig erwarten immer mehr Bürgerinnen und Bürger, bei denen das Bewusstsein für Klima- und Umweltschutz immer stärker wird, dass z. B. der Bus, in den sie steigen, nicht mehr mit Diesel, sondern elektrisch angetrieben wird. Viele Entscheiderinnen und Entscheider in den Behörden, aber zum Beispiel auch in kommunalen Verkehrsunternehmen, fragen sich deswegen, wie der Umstieg auf alternative Antriebe wie Batterie oder WasserstoffBrennstoffzelle gelingen kann. Das E-Mobility-Magazin 2021, das Magazin des Behörden Spiegel für Infrastruktur, Fahrzeuge und Konzepte, setzt an dieser Stelle an und präsentiert Lösungen, wie die Umstellung gelingen kann. Anhand von Berichten aus der Praxis, aber auch anhand grundsätzlicher Überlegungen werden Konzepte und Ideen zur nachhaltigen Mobilität vorgestellt. Dabei setzt das Heft auf mehrere Themenschwerpunkte. So geht es unter anderem darum, wie Verwaltungen ihre Fuhrparks elektrifi zieren. Von der Umstellung berichten zum Beispiel der Landkreis Pinneberg und die Stadt Greifswald. Auch der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) steht im Fokus: Wie gelingt die Umstellung von Diesel- auf Wasserstoffbusse? Ist die Umrüstung von Dieselbussen die Lösung? Ebenfalls wird der Bahnverkehr in den Blick genommen, schließlich sind auf

den zahlreichen nichtelektrifizierten Strecken in Deutschland momentan meist noch klimaschädliche Diesel-Züge unterwegs. Ein weiterer Schwerpunkt dieses Heftes liegt auf dem autonomen Fahren. Auch die Innovationen in diesem Bereich sind für die Zukunft des ÖPNV entscheidend, beispielsweise wenn es um die Bewältigung der letzten Meile, quasi vom Bahnhof zur Haustür, geht. Kleine, autonom und elektrisch fahrende Shuttles können hier eine Lösung darstellen. Zwei Projekte zu dieser Thematik, von der Uni Magdeburg und aus Soest, werden im Magazin vorgestellt. So wird deutlich: Die Zukunft der Mobilität wird elektrisch, aber vor allem auch vielfältig. Verschiedene Technologien werden dabei helfen, die Herausforderungen des Klimawandels zu bewältigen. Das E-Mobility-Magazin 2021 ist unter behoerden-spiegel.de/ sonderpublikationen bestellbar.

Fotoquellen Seite 1 Foto 1: BS, Julian Beekmann Foto 2: BS/HZD Foto 3: BS/DLRG

Impressum Der Behörden Spiegel wird verlegt von der ProPress Verlagsgesellschaft mbH. www.behoerdenspiegel.de

Herausgeber und Chefredakteur Uwe Proll Leiter der Berliner Redaktion Jörn Fieseler Leiter der Bonner Redaktion Guido Gehrt Redaktion Marco Feldmann (Innere Sicherheit, Katastrophenschutz), Jörn Fieseler (Personal, Beschaffung, Vergabe), Dorothee Frank (Verteidigung, Wehrtechnik), Guido Gehrt (IT, ITK-Politik, Haushalt), Ann Kathrin Herweg (Online-Redaktion), Malin Jacobson (Kommunen, Online-Redaktion), Bennet Klawon (Katastrophenschutz), Tanja Klement (Online-Redaktion), Matthias Lorenz (Online-Redaktion), Lora Köstler-Messaoudi (Haushalt, Finanzen), Dr. Gerd Portugall (Sicherheitspolitik), Tim Rotthaus (OnlineRedaktion), Paul Schubert (IT, IT-Sicherheit), Benjamin Stiebel (IT, IT-Sicherheit), Dr. Barbara Held (Innenpolitik), Gerd Lehmann (Sonderkorrespondent BOS) Parlamentsredaktion Berlin Tel. 030/726 26 22 12, Fax 030/726 26 22 10 Layout Beate Dach, Marvin Hoffmann, Karin Vierheller Verlag Bonn Anzeigen/Redaktion/Vertrieb Tel. 0228/970 97-0, Fax 0228/970 97 75 Verlag Berlin Redaktion/Vertrieb 10317 Berlin, Kaskelstr. 41 Tel. 030/55 74 12-0, Fax 030/55 74 12 57 Anzeigenleitung Helga Woll, gültige AnzeigenPreisliste Nr. 32/2021, Jahresabonnement (12 Ausgaben) 9,80 Euro (inkl. Porto und MwSt.) Bankverbindungen Volksbank Köln Bonn eG BAN: DE25 3806 0186 3015 6470 18 BIC: GENODED1BRS Postbank IBAN: DE24 3701 0050 0022 6905 09 BIC: PBNKDEFF Geschäftsführung Helga Woll Leitung Unternehmensentwicklung und Digitalisierung Dr. Eva-Charlotte Proll Vorsitz Herausgeber- und Programmbeirat Dr. August Hanning, Staatssekretär a. D. Reimar Scherz, Brigadegeneral a. D. Im Falle höherer Gewalt und Störungen des Arbeitsfriedens besteht kein Anspruch auf Belieferung. Für unverlangt eingesandte Manuskripte keine Gewähr. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Zeitung und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen (auch Werbeeinschaltungen) sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung des Verlages strafbar. Auflagenkontrolle durch

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Aktuelles Öffentlicher Dienst Behörden Spiegel

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Berlin und Bonn / November 2021

KNAPP

Achillesferse Arbeitsvorgang Tarifrunde: schwierige Verhandlungen um Eingruppierung / Abschluss in Hessen nur bedingt richtungsweisend (BS/Jörn Fieseler) Die Tarifrunde zwischen den Gewerkschaften und der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) hat es dieses Mal in sich. Auch der Abschluss in Hessen kann nicht als Blaupause dienen. Denn es geht um das Herzstück im Tarifwesen: die Eingruppierung und den Arbeitsvorgang. Beide Seiten wollen strukturelle Veränderungen. Die Arbeitgeberseite vor allem wegen eines Urteils des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 9. September 2020 (4 AZR 195/20). Das macht die aktuell laufenden Verhandlungen nicht leicht. Doch beide Seiten sind gut beraten, sich des Themas anzunehmen und für Klarheit zu sorgen. Für die Gewerkschaften Verdi und DBB Beamtenbund und Tarifunion sind Änderungen beim Arbeitsvorgang ein absolutes Tabuthema. Sie fürchten, dass den Beschäftigten durch die Hintertür die Gehälter gekürzt werden sollen. Das bestreiten die Arbeitgeber. Für sie geht es um die Einhaltung von Regeln, die schon jetzt im Tarifvertrag der Länder (TV-L) enthalten seien, die vom BAG aber negiert würden. “Das BAG hat mit dem Urteil den Grundsatz “Gleicher Lohn für gleiche Arbeit” durch das Konzept “Gleicher Lohn für alle” ersetzt”, schreibt Markus Geyer, stellvertretender Geschäftsführer der TdL, in einem Aufsatz in der ZTR vom Oktober 2021. Und tatsächlich hält das BAG in seinem Urteil für die Eingruppierung einer Beschäftigten in einer Servicestelle eines Gerichts eine Unterscheidung im Detail nicht für notwendig.

Dem Gericht fehlen Anhaltspunkte im Tarifvertrag Grundsätzlich sind die Mitarbeiter in einer gerichtlichen Servicestelle anhand der Arbeitsvorgänge und der damit verbundenen Tätigkeitsmerkmale in die Entgeltgruppe (EG) fünf einzugruppieren. Es sei denn, sie erfüllen bis zu 20 Prozent schwierige Tätigkeiten. Dann erfolgt die Eingruppierung in die EG sechs. Beläuft sich der Zeitaufwand für schwierige Tätigkeiten auf ein Drittel, erhalten die Beschäftigen ein Gehalt nach der EG acht und bei 50 Prozent nach der EG neun. Dieser Unterscheidung folgt das Gericht nicht. Würde die tarifliche Wertigkeit einer (Einzel-)Tätigkeit als Abgrenzungskriterium bei der Bestimmung eines Arbeitsvorganges herangezogen werden, würden damit

die Einzeltätigkeiten anstatt des gesamten Arbeitsvorganges bewertet werden (siehe Randnummer 39 des Urteils). “Durch eine strikte Trennung von tariflich unterschiedlich zu bewertenden Tätigkeiten würde damit das in § 12 TV-L verankerte System unterlaufen, die Bewertung anhand von Arbeitsvorgängen vorzunehmen”, heißt es im Urteil. Deshalb bedürfe es deutlicher Anhaltspunkte im Tarifvertrag, wenn bei Beschäftigten in Serviceeinheiten bei Gerichten und Staatsanwaltschaften von diesem System abgewichen werden solle. Das hätten die Tarifvertragsparteien aber nicht ausreichend getan, so die Meinung der Richter vom vierten Senat des BAG. Das müssen die Tarifvertragsparteien nun nachholen. Trotz der bisher ablehnenden Haltung der Gewerkschaften. Diese befürchten gravierende Einkommenseinbußen nicht nur für Neueingestellte, sondern auch für diejenigen, die andere Tätigkeiten übernehmen. “Wir werden an dieser Stelle nicht nachgeben können”, so die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Christiane Behle. Doch was wären die Alternativen? Einerseits könnten beide Seiten abwarten, bis das Bundesverfassungsgericht über eine Verfassungsbeschwerde des Landes Berlin und der TdL entschieden hat. Doch ist diese überhaupt zulässig? Darüber hinaus könnten die Arbeitgeber die einzelnen Tätigkeiten so verteilen, dass es zu weniger Höhergruppierungen kommt. Ein aufwendiger Prozess, der die Arbeitsabläufe nicht unbedingt verbessert. Ansonsten bliebe den Arbeitgebern nur die Ultima Ratio: die Entgeltordnung im Ganzen zu kündigen und neu zu verhandeln.

Der griechische Held Achilles kam der Ilias zufolge durch einen Pfeil zu Fall, der ihn an der Ferse traf. Ist der Arbeitsvorgang die Achillesferse bei den diesjährigen Tarifverhandlungen? Foto: BS/hamara, stock.adobe.com

So weit muss es nicht kommen. Denn auch die Gewerkschaften fordern strukturelle Verbesserungen bei der Eingruppierung. Einerseits sollen im Gesundheitswesen offene Punkte aus der Tarifrunde von 2019 abschließend behandelt werden. Dazu zählen ein erhöhter Zeitzuschlag bei Wechselschicht- und Schichtdienst in Krankenhäusern sowie die Einführung einer dynamischen Zulage für die Beschäftigten der ambulanten und stationären Pflege im Justiz- und Maßregelvollzug. Außerdem soll die Eingruppierung der Beschäftigten im Straßenbetriebsdienst und Straßenbau verbessert werden. Dies wird nötig, da mit der Gründung der Autobahngesellschaft des Bundes mit der Ge-

sellschaft bessere Tarifverträge ausgehandelt wurden, die über dem Maß von TVöD und TV-L liegen. Außerdem fordern die Gewerkschaften weitere Verbesserungen bei der stufengleichen Höhergruppierung. Darüber hinaus soll es für Auszubildende, Studierende und Praktikanten ein ÖPNV-Ticket geben. Und die Ergebnisse zeit- und wirkungsgleich auf den Beamtenbereich übertragen werden.

Hessen keine Richtschnur Zumindest bei den letzten beiden Punkten kann der Abschluss in Hessen als Vorbild dienen. Mehr aber nicht. Zu unterschiedlich sind die strukturellen Verbesserungen, die für den Ausbau einer Fachkräfteoffensive in Hessen

vereinbart wurden. So können sich neu eingestellte Beschäftigte künftig über ein schnelleres beziehungsweise größeres Plus auf dem Einkommenszettel freuen. Dazu wird die Stufe eins in jeder Entgeltgruppe in eins a und eins b unterteilt und die Beschäftigten können schneller aufsteigen. Selbst ausgebildete Nachwuchskräfte werden mit Gültigwerden des Tarifvertrages Hessen (TV-H) künftig in der Stufe zwei übernommen und nicht mehr in Stufe eins. Zudem will das Land Azubis mit der Abschlussnote “befriedigend” künftig grundsätzlich übernehmen. Auch für gestandene Führungskräfte gibt es Verbesserungen. Die Karriereleiter bekommt sozusagen eine neue Sprosse, indem eine Entgeltgruppe 16 am oberen Ende der Tabelle eingeführt wird. Das schafft mehr Entwicklungsmöglichkeiten für Führungskräfte und bietet ebenfalls finanzielle Anreize. Abgerundet wird der Ausbau der Fachkräfteoffensive durch die Umwandlung eines Teils der Jahressonderzahlung in maximal zwei Tage Freizeit sowie die Fortführung des Landestickets Hessen für alle Beschäftigen. Diese Punkte stehen bei der TdL nicht an. Und die lineare Erhöhung in Hessen? Natürlich wird der Kuchen erst am Ende verteilt und die Entgeltsteigerung erst festgelegt, wenn sämtliche strukturellen Fragen geklärt sind. Doch die vier Prozent bei 28 Monaten Laufzeit könnten durchaus richtungsweisend sein. Sie könnten sogar übertroffen werden, wenn sich die Tarifparteien entschließen, die strukturellen Fragen zu vertagen, den Ausgang der Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe abzuwarten und stattdessen eine reine Entgeltrunde zu vereinbaren.

Keine Einseitigkeiten gefordert (BS/jf) In Berlin hat sich Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) für die Anhebung der Altersgrenzen für Beamtinnen und Beamten von 65 auf 67 Jahren eingesetzt. Die Hauptstadt sei das einzige Bundesland, wo dieser Schritt noch nicht vollzogen wurde. Dabei sei die Anhebung für die rund 56.000 Beamtinnen und Beamten schon Bestandteil der Koalitionsvereinbarung von 2016 gewesen und solle erfolgen, wenn die Anpassung der Besoldung an den Durchschnitt der Bundesländer vollzogen sei. Das sei in diesem Jahr geschehen. Für den DBB Beamtenbund und Tarifunion Berlin ist die Überlegung ein weiterer Versuch, “längst überfälligen Problemlösungen auszuweichen”. “Gleichbehandlung darf keine Einbahnstraße sein: Dazu gehört vor allem, dass die Gehälter endlich an das Niveau der beim Bund arbeitenden Kolleginnen und Kollegen angepasst werden, dass alle Berliner Lehrer/innen – wie in der übrigen Republik – verbeamtet werden und dass verfassungsrechtliche Vorgaben bei der Bezahlung Beachtung finden”, fordert DBB Landeschef Frank Becker.

Verfassungswidrig? (BS/jf) In Thüringen ist der Gesetzentwurf zur Gewährleistung einer verfassungsgemäßen Alimentation sowie über die Gewährung einer Anerkennungsleistung für ehemalige angestellte Professoren neuen Rechts vom Landtag verabschiedet worden. Der Thüringische Beamtenbund und Tarifunion (TBB) befürwortet zwar die darin enthaltenen familienpolitischen Aspekte, trotzdem sei das Gesetz verfassungswidrig. Die konkreten Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts vom Mai 2020 seien mit Blick auf den Abstand zur sozialen Grundsicherung nicht umgesetzt worden. Deshalb bereite der TBB nun eine Verfassungsklage vor.

Zukunft Dienstrecht

Arbeits-, tarif- und beamtenrechtliche Entwicklungen 17.-18. November 2021, Bonn Mit Beiträgen u. a. von:

Anke Schulte-Trux, Vorsitzende Richterin, Oberverwaltungsgericht Münster Dienstunfähigkeit im Beamtenrecht – neue Entwicklungen

Karin Spelge, Vorsitzende Richterin am Bundesarbeitsgericht (6. Senat) Aktuelle Rechtsprechung des 6. Senats

Dr. Rüdiger Linck, Vizepräsident, Bundesarbeitsgericht Neuere Rechtsprechung zum Entgelt und zur Entgeltfortzahlung Foto: BAG

Weitere Informationen zur Tagung „Zukunft Dienstrecht“ sowie das Anmeldeformular finden Sie unter: www.zukunft-dienstrecht.de Je nach Pandemielage wird die Tagung gegebenenfalls virtuell durchgeführt.

Eine Veranstaltung des


Aktuelles Öffentlicher Dienst

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Die digitale Personalakte

B

ehörden Spiegel: Welche Vorteile ergeben sich durch die digitale Personalakte?

Dr. Dress: Man wird jederzeit standortunabhängig auf Personalakten zugreifen und sie bearbeiten können. Es geht aber nicht nur darum, bestehende Papierakten zu digitalisieren. Es soll auch eine redundante Datenhaltung in Datenbanken und der digitalen Personalakte vermieden werden. Durch den gemeinsamen Zugriff auf die digitale Personalakte wird die Effizienz der Personalverwaltung und -abrechnung erhöht und die Zusammenarbeit zwischen diesen Bereichen verbessert. Standardisierte Strukturen und Dokumentenklassen gewährleisten die behördenübergreifende Nutzung der digitalen Personalakte. Schnittstellen und dokumentengestützte Workflows zu anderen Systemen sollen die medienbruchfreie Zusammenarbeit ermöglichen. Behörden Spiegel: Wer kann die digitale Personalakte nutzen? Dr. Dress: Die digitale Personalakte wird der unmittelbaren Bundesverwaltung zur Verfügung stehen. In sinnvoller Ergänzung zu einem Personalverwaltungs-

Personalverwaltungssystem genutzt werden? Dr. Dress: Ja, im Regelfall mit dem Personalverwaltungssystem PVSplus.

Dokumente jederzeit im kontrollierten Zugriff

(BS) Aktuell erarbeitet das Projekt “digitale Personalakte” unter fachlicher Leitung des Bundesverwaltungsamtes (PG Personalakte.digital) ein Fachkonzept für die unmittelbare Bundesverwaltung. Der Behörden Spiegel sprach hierüber mit dem zuständigen Abteilungsleiter im Bundes- Behörden Spiegel: Wie ist die Abgrenzung zwischen der E-Akte verwaltungsamt (BVA), Dr. Thomas Dress. system soll den Bundesbehörden eine zentrale IT-Lösung zur rechtssicheren Verwaltung von Personaldaten und -dokumenten angeboten werden. So kann vermieden werden, dass im Bund parallele Aktivitäten zur Digitalisierung der Personalakten laufen.

“Es besteht schon jetzt eine ­große Nachfrage für eine digitale ­Personalakte”

Behörden Spiegel: Wer hat an der Erstellung des Fachkonzeptes mitgewirkt? Dr. Dress: An der Erstellung des Fachkonzeptes waren die Maßnahmenverantwortung im BMI und die fachliche Leitung des Maßnahmenprojektes (BVA) mit externer Unterstützung beteiligt, außerdem das Kompetenzteam und die Experten. Behörden Spiegel: Wie wurden die Anforderungen für das Fachkonzept zur digitalen Personalakte erhoben?

sagt Dr. Thomas Dress, Leiter der Abteilung PH (Personalkosten) und Leiter der “Projektgruppe Personalakte.digital” im Bundesverwaltungsamt. Foto: BS/BVA

Dr. Dress: In Workshops mit dem Kompetenzteam aus den fachlichen Ressortvertretungen und der Generalzolldirektion. Abgestimmt wurden die Anforderungen in Interviews mit Fachexperten innerhalb der Bundesverwaltung, unter an-

Mehr Schein als Sein? Der neue Tarifvertrag für Digitalisierung (Digi TV) (BS/Jürgen Kutzki*) Wenn man überwiegend beruflich im Ausland lebt und arbeitet und man unterhält sich mit Menschen aus anderen Kulturen und offenbart sich als Deutscher – kommt, gerade in Südostasien, ein ungläubiger Blick und dann fallen häufig drei Worte: Deutsche Bahn, Verwaltung (im Sinne von Bürokratie) und Digitalisierung. Dass diese Begriffe nicht so freundlich gemeint sind, erschließt sich von selbst. Wer viel mit der Bahn fährt oder versucht, einen Pass oder gar den neuen Führerschein zu bekommen, könnte hier sicherlich problemlos die Zeilen füllen, mit unglaublichen, aber wahren Geschichten. Aber der Bund ist jetzt mutig vorangeschritten und hat einen Digitalisierungs-Tarifvertrag (DigiTV) geschlossen, mit folgender Einführung im Begleitrundschreiben vom August 2021 (D5-31000/19#7): “Da die Digitalisierung die Arbeitswelt in der Bundesverwaltung bereits verändert hat und diese Veränderungen stetig und künftig, jedoch ohne sichere Prognose der Auswirkungen auf die jeweiligen Arbeitsplätze erfolgen werden, sind die Tarifvertragsparteien mit dem Digitalisierungstarifvertrag gezielt auf Befürchtungen bzw. Bedenken der Beschäftigten eingegangen und haben insbesondere Regelungen zur Qualifizierung sowie zur Arbeitsplatz-, aber auch Entgeltsicherung getroffen. Grundlage war die gemeinsame Erwartung, dass die Digitalisierung große Chancen bietet und Arbeitsplätze zukunftssicher macht. Der Tarifvertrag enthält deshalb keine Regelungen zum Arbeitsplatzabbau, sondern Regelungen zum Umgang mit Veränderungen aufgrund von Digitalisierung. Der Tarifvertrag tritt mit Wirkung zum 1. Januar 2022 in Kraft.” Beruhigend, dass der DigiTV nicht das Ziel von Arbeitsplatzabbau im Öffentlichen Dienst hat – erwartet man dies auch nicht von einem Tarifvertrag, der zwischen dem Bund und den Gewerkschaften abgeschlossen wurde? Daher bleibt die Frage: Was ist das Ziel des DigiTV? Dies lässt sich kurz und bündig wie folgt beschreiben: Kernstück der Regelungen sind die Ansprüche der Beschäftigten bei Digitalisierungsmaßnahmen. Die Tarifvertragsparteien waren dennoch vorsichtig, der TV läuft vier Jahre, beginnt am 01.01.22 und kann erstmals am 31.12.2025 gekündigt werden. Der DigiTV gilt auch nicht für die Kommunen oder die Länder, diese sind auch keine Tarifpartner in diesen Verhandlungen gewesen. Somit greift dieser

Behörden Spiegel / November 2021

TV nur für die Beschäftigten (nicht Beamt(inn)en) des Bundes, also der Bundesverwaltung. Die Frage, die daher geklärt werden muss, ist die Frage nach dem Sinn und Zweck: Wann ist der DigiTV einschlägig? Der DigiTV greift immer dann, wenn die Regelungen einer Digitalisierungsmaßnahme in einer Dienststelle zu einer wesentlichen Änderung von Arbeitsprozessen, Arbeitsplatzanforderungen oder anderen Arbeitsbedingungen (z. B. Änderung des Einsatzortes) führt.

Vier Ansprüche Zu loben ist der Versuch der TVParteien, den Begriff der Digitalisierung zu konkretisieren, diesen also griffig zu machen: “Unter Digitalisierung im Sinne dieses Tarifvertrages wird die erstmalige Einführung oder Ausweitung/Fortentwicklung digital gestützter Arbeitsprozesse verstanden (§ 1 Abs. 1 DigiTV). Damit sind sowohl die erstmalige Anwendung von digital gestützten Prozessen in Bereichen gemeint, die vormals noch analog betrieben wurden, wie auch die Fortentwicklung schon bestehender, digital gestützter Arbeitsprozesse.” Wer profitiert nun von dem DigiTV, also welche Ansprüche können die Beschäftigten aus dem TV ableiten? Dabei sind folgende vier Ansprüche verankert: 1. Arbeitsplatzsicherung: Hat die Maßahme der Rationalisierung den Wegfall des Arbeitsplatzes zur Folge, hat der Beschäftigte Anspruch auf Übertragung einer gleichwertigen Tätigkeit oder, falls dies nicht möglich ist, einer geringerwertigen Tätigkeit in derselben oder in einer anderen Behörde. 2. Entgeltsicherung: Wird der Arbeitnehmer infolge der Übertragung einer geringerwertigen Tätigkeiten herabgruppiert, erhält er eine Zulage, mit der sein bisheriges Entgelt erhalten bleibt. Die Zulage wird bei künftigen Entgeltsteigerungen abgeschmolzen. 3. Qualifizierung: Besteht Qualifizierungsbedarf und ist dieser erforderlich, hat der Arbeitnehmer hierauf einen Anspruch. Die nähere Ausgestaltung hat in einer Dienstvereinbarung zu erfolgen. Dort ist dann auch

das arbeitsrechtlich schwierige Thema der “Eigenbeteiligung” zu lesen. Da muss der Personalrat klug agieren. 4. Es wird eine Einmalzahlung bei Wechsel des Beschäftigungsortes gewährt. Ändert sich der Einsatzort des Beschäftigten und ist dieser von seinem Wohnort mehr als 50 km weiter entfernt als der bisherigen Einsatzort, steht ihm eine Einmalzahlung zwischen 2.000 und 6.000 Euro zu.

Grundlage vorhanden Dieser TV hat wahrlich “Licht und Schatten”. Den Gewerkschaften ist es gelungen, quasi einen “RationalisierungsschutzTV” mit dem Bund zu schließen. Die Beschäftigten werden wirtschaftlich abgesichert, bei der Digitalisierung. Die Gerichte und Anwälte kennen das Zauberwort: elektronische Akte und Automatisierung der Bearbeitung durch die Arbeitnehmer/-innen. Für die Bearbeiter/-innen hat sich viel geändert und es wird sich noch viel ändern. Nicht gelungen ist den Gewerkschaften, Regelungen zum Gesundheitsschutz in den DigiTV aufzunehmen. Oder was ist mit der Tarifierung von neuen Berufsbildern, die sich durch die Digitalisierung ergeben? Aber wie sagt der Volksmund im Kalenderblatt so schön: “Wer nichts macht, macht auch keine Fehler” – zumindest ist ein Tarifvertrag da – vielleicht dient er ja den Kommunen und Ländern als Vorlage und kann “ausgebaut” werden! Auch für Dienstvereinbarungen ist eine Grundlage vorhanden. *Rechtsanwalt Jürgen Kutzki ist Dipl.-Verwaltungswirt und Mediator in Karlsruhe.

Mehr zum Thema Der Autor thematisiert den Digitalisierungs-Tarifvertrag in einem Webinar des Behörden Spiegel am 1. Dezember 2021. Weitere Informationen unter: www.fuehrungskraefte-forum.de, Suchwort “DigiTV”

derem aus BfDI, ITZBund, BSI, Bundesarchiv und der Dienstrechtsabteilung des BMI. Behörden Spiegel: Wie ist der aktuelle Stand? Dr. Dress: Bis März 2021 wurden die fachlichen Anforderungen erhoben, Erfahrungen ausgetauscht und ein erster Entwurf des Fachkonzeptes erstellt. Von April bis Juni 2021 wurde dieser mit dem Kompetenzteam und den Experten abgestimmt. In der zweiten Jahreshälfte 2021 finden die

Abstimmung und die Abnahme des Fachkonzepts in der Abstimminstanz ERP statt. Behörden Spiegel: Wie geht es nach der Abnahme des Fachkonzeptes durch die Ressorts weiter? Dr. Dress: An die Abnahme schließen sich gemäß dem Phasenmodell der Dienstkonsolidierung die Prüfung der Machbarkeit, die Beschaffung und Umsetzung sowie der Rollout an. Behörden Spiegel: Wann wird eine IT-Lösung für die digitale Personalakte zur Verfügung stehen? Dr. Dress: Wann der Rollout in die Behörden erfolgen wird, steht noch nicht fest. Es besteht schon jetzt eine große Nachfrage für eine digitale Personalakte. Behörden Spiegel: Wer ist für die technische Umsetzung der digitalen Personalakte zuständig? Dr. Dress: Das ITZBund. Behörden Spiegel: Soll die digitale Personalakte in einer Behörde gemeinsam mit einem

Bund und der digitalen Personalakte?

Dr. Dress: In der digitalen Personalakte sollen ausschließlich Personalakten geführt werden. Personalsachakten werden in der E-Akte Bund, beziehungsweise in den elektronischen Fachverfahren verwaltet, die für einzelne Fachaufgaben vorgesehen sind. Behörden Spiegel: Das bedeutet, dass Personalakten in der E-Akte Bund nicht geführt werden können? Dr. Dress: Genau – Personalakten dürfen in der jetzt ausgerollten EAkte Bund nicht geführt werden. Behörden Spiegel: Wie wird der Datenschutz gewährleistet? Werden die Daten in der digitalen Personalakte verschlüsselt abgelegt? Dr. Dress: Alle im Kontext der digitalen Personalakte digital verarbeiteten Daten und Dokumente sollen verschlüsselt gespeichert und übertragen werden. Das BSI und der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationssicherheit waren intensiv in die Erstellung des Konzepts eingebunden.

KOLUMNE

Transparenz – ganz oder gar nicht! (BS) Ist Transparenz dosierbar? In der digitalen Welt von Nullen und Einsen und übergreifenden Kollaborationsplattformen scheint es nutzloser zu sein, Dosierung überhaupt zu versuchen. Aber vielleicht ist die Frage nach einer möglichen Dosierung gar nicht die richtige. Wenn mein Chef früher aus den Führungsrunden berichtete und von Auszügen sprach, die er bewusst für uns gewählt hatte, blieb immer ein ungutes Gefühl zurück. Wa­rum nur Auszüge? Welche Inhalte sollte ich als Mitarbeiterin nicht mitbekommen? Als ich dann selbst in Führungsverantwortung ging, war es mir wichtig, Transparenz soweit wie möglich anders auszuprägen. Beim Arbeiten auf Kollaborationsplattformen ist es ohnhin schwierig, Dinge zu verbergen. Selbst wenn man sich selbst bewusst zurückhält, ist diese

Beate van Kempen ist IT-Architektin beim LVR Infokom. Foto BS/privat

Zurückhaltung aufgrund der sichtbaren Aktivitäten anderer im Team erkennbar. Denn jede Entscheidung, welche beispielsweise online in ProtokollLösungen dokumentiert wird, sorgt für breite Sicht- und Nachvollziehbarkeit. Und regelmäßig Abteilungsthemen auf diesen Kollaborationsplattformen sichtbar zu machen, führt zu organisationsübergreifender Sichtbarkeit.

Manchmal war ich verwundert, aus welchen Bereichen unsere Blogeinträge “Likes” erhielten. Mein konkreter TransparenzAnsatz in das Führungsteam hinein war, Berichte aus der Geschäftsleitungsrunde online zu dokumentieren; so waren sie für das gesamte Team einsehbar. Doch in wie viele Abgründe und unklare, noch nicht final geklärte Themen lässt man seine Führungscrew blicken? Das ist tatsächlich ein schmaler Grad. Jedoch kann auch hier Transparenz zu mehr Verständnis für die Vielschichtigkeit und Komplexität mancher Lösungsfindung führen. Bei Mitarbeitenden ist die Transparenz-Grenze jedoch deutlich früher zu ziehen. Freie Sicht auf alle Irrungen, Wirrungen und Endlosschleifen bringen hier keinen Mehrwert. Nur dann deute ich diese Themen auch nicht an. Dann lieber “null” Info, als eine wertlose Info der Transparenz wegen.

MELDUNG

Bürgerfreundlichkeit versus Aufgabenbewältigung (BS/mj) Die Hamburger Kundenzentren – Zentren der bürgernahen Verwaltung in den Stadtbezirken – sind immer wieder Ansatzpunkt für Neustrukturierungen: Personelle Einsparungen, Ausweitung der Öffnungszeiten und digitale An-

forderungen sorgen für Kritik seitens des DBB Beamtenbund und Tarifunion Hamburg. Kritisiert wird beispielsweise die Ausweitung der Öffnungszeiten der Kundenzentren auf wöchentlich 60 Stunden sowie weitere Öffnungszeiten an Samstagen, die Einführung eines Schichtdienstes und die Konzeption einer zentral gesteuerten Organisationsstruktur,

Die Hamburger Verwaltung hat sich in den letzten Jahren an vielen Stellen reorganisiert, um bürgerfreundlicher zu werden – diesen Veränderungen stehen viele Beschäftigte eher kritisch gegenüber. Foto: BS/ Alexas_Fotos, pixabay.com

die einen stadtweiten Einsatz der Beschäftigten ermöglichen soll. Auch die Einarbeitung und Schulung von neuen Kolleginnen und Kollegen nach dem Motto “Learning by Doing” wird von Rudolf Klüver, Vorsitzender des DBB Hamburg, beanstandet. Hinzu kämen zeitaufwendige Aufgaben wie die Heranziehung Unterhaltspflichtiger im Bereich des Unterhaltsvorschusses für die bezirklichen Jugendämter. Klüver: “Einerseits soll das Online-Zugangsgesetz zügig umgesetzt werden, um viele Dienstleistungen online anbieten zu können, andererseits haben die Kundenzentren für den vermeintlichen Besucheransturm quasi rund um die Uhr geöffnet. In den Jugendämtern wird nach einigen Millionen gefahndet und wiederum andererseits verschlingen solche immer wieder aus der Taufe gehobenen Projekte mindestens so viel wie man versucht auf anderer Stelle einzusparen.”


Aktuelles Öffentlicher Dienst

Behörden Spiegel / November 2021

Zeit, zu handeln!

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n diesem Ergebnis der jüngsten Bürgerbefragung, die der DBB jährlich repräsentativ erheben lässt, manifestiert sich eine Entwicklung, die wir bereits seit Jahren beobachten und die sich nun, da Politik und Verwaltung insbesondere mit der CoronaPandemie und den zunehmenden Auswirkungen des Klimawandels konfrontiert und streckenweise auch überfordert sind, Bahn bricht: Die Menschen verlieren ihren Glauben daran, dass ihr Staat, den sie ideell und materiell tragen, für ihr Wohlergehen Sorge trägt. Die Menschen verlieren ihren Respekt gegenüber diesem Staat, der sie immer öfter enttäuscht – nicht nur in Krisenzeiten, sondern vor allem im laufenden Betrieb: Wenn Betreuung und Bildung leiden, wenn Sicherheit und Infrastruktur in manchen Gegenden einfach nicht mehr gegeben sind. Wenn ein Termin erst in einem halben Jahr in Sicht ist, wenn im digitalen Zeitalter noch immer reichlich Papier, aber ansonsten eher wenig bewegt wird.

Rache der schwarzen Null Solche negativen Erfahrungen mit Staatshandeln machen etwas mit den Menschen: Sie wenden sich ab vom Staat. Vom Gemeinwesen. Der Rest? Die anderen? “Egal. Ich bin dem Staat schließlich auch egal”, ist zu hören. Und immer mehr Menschen platzen regelrecht vor Enttäuschung und Wut, völlig enthemmt, weil

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ie Frage, ob er im Dienst schon Opfer von Gewalttaten geworden ist, hätte der Polizist Behnam Teimouri-Hashtgerdi bis vor Kurzem wohl verneint. Auch er wurde schon mit Stühlen beworfen und mit einem Stuhl geschlagen. Angesichts dessen, was vielen seiner Kolleginnen und Kollegen im Dienst widerfährt, war diese Erfahrung es in seinen Augen jedoch zunächst nicht wert, erwähnt zu werden. Sein Verständnis von Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und -beamte hat Teimouri-Hashtgerdi mittlerweile überdacht, jeder Schlag, jedes Bespucken sei ein Angriff und nicht zu tolerieren, betonte er beim Ideencampus “Extrem menschlich” der DBB-Jugend.

Nur ein funktionierender Staat sichert sozialen Frieden und Wohlstand (BS/Ulrich Silberbach) Deutschland steuert auf eine grundsätzliche Vertrauenskrise zwischen Staat und Bevölkerung zu. Wenn innerhalb eines Jahres die Zahl derer, die auf die Handlungsfähigkeit des Staates vertrauen, von 56 auf 45 Prozent sinkt, ist das ein mehr als besorgniserregender Trend. bewerb würden die öffentlichen Dienstleistungen schon irgendwie Ulrich Silberbach ist Bundesvorsitzender des DBB Beoptimieren. Heuamtenbunds und Tarifunion. te, nach mehr als drei Dekaden Foto: BS/Marco Urban neoliberaler Attacken auf den Staat, wissen wir: Der Qualität von Gesundheit, sie nur noch sich sehen. Sie at- Sicherheit, Bildung, Infrastruktackieren die Repräsentantin- tur und Kultur haben Privatisienen und Repräsentanten des rung und Wettbewerb überhaupt Staats – verbal und physisch. nicht gutgetan. Jeder Mensch Die gewaltsamen Übergriffe auf in Deutschland sollte sich eiBeschäftigte des Öffentlichen gentlich darauf verlassen könDienstes, auf Einsatzkräfte eben- nen, dass der Öffentliche Dienst so wie Kolleginnen und Kollegen überall gleich gut da ist. Dem in Behörden und Verwaltungen, ist aber nicht mehr so und aus haben ein nie gekanntes Ausmaß diesem Missstand ergibt sich erreicht. Ebenso die Zahl derer, ein klarer Handlungsauftrag die sich ganz bewusst aus dem an die Politik: Es braucht ein staatlichen und gesellschaftli- Sofortprogramm für einen funkchen Konsens verabschieden – tionierenden Staat. Für einen als Reichsbürger, Querdenker, Staat, der wieder wahrhaftig und Extremisten. greifbar an der Seite seiner BürKommt all das von ungefähr? gerinnen und Bürger steht. Für Mitnichten. Wir erleben sozu- einen Staat, der seinen Beschäfsagen die Rache der schwarzen tigten ein Arbeitsumfeld bietet, Null. Spätestens seit den 90er das sie handlungsfähig macht Jahren hielt sich hartnäckig der – angefangen bei praxistaugGlaube, Privatisierung und Wett- lichen Rechtsgrundlagen über

eine aufgabengerechte Personal- und Sachmittelausstattung bis hin zu moderner, agiler und digitaler Verwaltungsgestaltung.

Reformen auf allen Ebenen nötig Die neue Bundesregierung muss die Reformbemühungen auf allen Ebenen des Staatswesens vorantreiben. Es geht grundsätzlich um bessere Organisation, Digitalisierung und Rechtsetzung. Einen großen Wurf braucht unser Land nach einer ganzen Epoche des Theoretisierens bei einer konkreten Lösung für bürokratische Auswüchse. Der DBB ist ganz klar “Team Entbürokratisierung”, denn das Problem betrifft Bürgerinnen und Bürger und die Beschäftigten in den Behörden und Verwaltungen gleichermaßen – auch die Mitarbeitenden leiden unter Regulierungsdruck und legislativen Schnellschüssen. Das Thema gestaltet sich in der Realität jedoch deutlich komplizierter, als es auf den ersten Blick scheint. Gesetze und Regeln, strikt organisierte Verfahren sind unbestritten lästig für alle Beteiligten.

Auf der anderen Seite Christian Weißgerber hat ebenfalls Erfahrung mit Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten gemacht. Jedoch aus anderer Perspektive. Als Neonazi hat er Beamtinnen und Beamte angegriffen, mittlerweile ist er aus der Szene ausgestiegen und leistet Aufklärungsarbeit. Doch was bewegt einen jungen Menschen dazu, sich zu radikalisieren? Familiäre Probleme, eine schwierige

Sie stellen aber andererseits sicher, dass staatliches Handeln berechenbar und planbar ist, dass es Rechtsansprüche gibt, die für alle gleich und einklagbar sind. Deregulierung bedeutet dann dementsprechend auch mehr Ungewissheit über den Verfahrensausgang. Die Frage ist also, wie viel Ungewissheit und damit auch Ungleichheit unsere Gesellschaft aushalten kann, aushalten will? Bürgerfreiheit und Bürokratie sind, so verstanden, keine eindeutigen Gegensätze – es handelt sich, wie in der Medizin, um die Frage der Dosis, die das Medikament vom Gift unterscheidet. Das muss verhandelt und beraten werden. Und wer könnte hierzu mehr beisteuern als die “Leute vom Fach”?

Anhörungsrecht für Spitzenverbände Die wahren Bildungsexperten sind die Lehrenden, die täglich erleben, wie Bildungspolitik bei den Lernenden ankommt. Eine Kollegin oder ein Kollege aus der Finanzverwaltung erkennt, ob eine das Fachgebiet betreffende Änderung der Gesetzgebung Sinn

Erkennen, verstehen und bekämpfen Rechtsextremismus und Gewalt gegen die Polizei (BS/Ann Kathrin Herweg) Sie werden beschimpft, geschlagen, vielleicht sogar angefahren – Angriffe auf Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte und andere Diener des Staates sind vielfältig, oft brutal und längst keine Einzelfälle mehr. Gewalt und Extremismus werden zum immer größeren Problem in Deutschland. Um dagegen vorzugehen, muss die Politik solche Übergriffe verstehen und gezielt darauf reagieren. erfuhr Weißgerber Akzeptanz, trat als Musiker und Redner auf und konnte dort etwas erreichen. Man könne leicht Karriere machen in der rechten Szene, erklärt er.

Kein heldenhafter Ausstieg

Die Polizei als Zielscheibe Die Polizei und ihre Arbeit müssen anerkannt, wertgeschätzt und verteidigt werden, so der Polizist. Es dürfe nicht sein, dass die Beamtinnen und Beamten Meinungen und Interessen als “Prügelknaben” entgegennehmen müssten. Teimouri-Hashtgerdi ist seit nunmehr sieben Jahren bei der Berliner Polizei tätig und beschreibt sich als Polizist selbst als “Zielscheibe”. Das müsse nicht unbedingt schlecht sein, findet er. Als “Berufszielscheibe” könnten Polizistinnen und Polizisten Vorbild für junge Menschen sein, die ebenfalls eine solche Karriere anstrebten. Doch es gebe auch Schattenseiten.Die imaginäre Zielscheibe, die die Beamtinnen und Beamten dabei darstellten, werde größer. So werde z. B. auch Unzufriedenheit mit der Politik immer wieder an den Polizistinnen und Polizisten ausgelassen. Nichtsdestotrotz ist er gerne Polizist. Doch er fordert, solche Angriffe zu ermitteln, zu verfolgen und dagegen vorzugehen.

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Familiäre Probleme, eine schwierige Kindheit und schlechte Bildung – für viele Menschen klingt das nach dem idealen Nährboden für rechtes Gedankengut und die Hinwendung zum Nationalsozialismus. Doch sind dies tatsächlich Gründe, aus denen sich ein junger Mensch entschließt, Neonazi zu werden? Foto: BS/andranik123, stock.adobe.com

Kindheit und schlechte Bildung werden hier häufig als Gründe diskutiert, Weißgerber sieht das anders. Seine Mutter floh in den Westen, als er gerade mal ein Jahr alt war, mit Vater und Schwester blieb er im Osten. In seiner schwierigen Kindheit sieht er keinen Grund für sein frühes Interesse am Rechtsextremismus: “Ich würde nie meine Kindheit als Ausrede dafür benutzen.” Umgekehrt würden auch Kinder wohlhabender Eltern zu Nazis, gibt er zu bedenken, nicht die Herkunft sei also entscheidend für die politischen Ansichten. Auch fehlende Bildung sieht er nicht als Grund dafür, Neonazi zu werden. Im Gegenteil: “Radikalisierungsprozesse sind Bildungsprozesse” betont er. Neben Hintergrundwissen, für das er sich immer sehr interessiert habe, sei z. B. auch der Eintritt in die rechte Szene mit Lernpro-

zessen verbunden, denn man müsse sich zunächst einige Softskills aneignen. Er selbst stammt nicht aus einem bildungsfernen Umfeld, sondern besuchte das Gymnasium und dort sogar die von den Lehrern so genannte “Elite-Klasse”.

Faszination Nationalsozialismus Warum werden (junge) Menschen dann zu Neonazis? Aufgewachsen in der kulturträchtigen Stadt Eisenach hat Weißgerber bereits in seiner Kindheit und Jugend immer wieder Berührungspunkte mit der deutschen Kultur gehabt. Diese Kultur auszuleben und sich damit zu identifizieren, löste bei ihm schon früh eine Faszination aus, genau wie der historische Nationalsozialismus. Markenkleidung konnte er sich nicht leisten, doch das “deutsch sein” bedeutete für ihn einer Gruppe anzugehören – und

damit Identifikation. Während seiner Kindheit und Jugend war Weißgerber sowohl in der Familie als auch in der Schule immer wieder mit Alltagsrassismus und Verschwörungserzählungen konfrontiert. Hinzu kamen Enttäuschungen und die Ansicht, dass Politik sich nicht für die Jugend interessiere und nicht aufrichtig sei. Für ihr ergab sich daraus das Gefühl, handeln zu müssen und sich für seine Lebensweise und deren Erhalt einzusetzen, bei Bedarf auch mal mit Gewalt, um Menschen in ihre Schranken zu weisen. In der neunten Klasse suchte Weißgerber aktiv Kontakt in die Nazi-Szene. Er bemerkte, dass seine Mitmenschen nun auf ihn reagierten. Die Schulflure leerten sich, wenn er sie betrat, denn die Mitschülerinnen und Mitschüler hatten Angst, was er jedoch als ein Zeichen von Respekt interpretierte. In der Neonazi-Szene

Die demokratische Gesellschaft habe überzeugten Neonazis nichts zu bieten. Das Sozialgefüge in der rechten Szene funktioniere besser als soziale Auffangsysteme, erläutert Weißgerber. Für Neonazis ergebe sich daher oft kein Grund, wieder auszusteigen. Wenn es doch zum Ausstieg komme, so höre man oft von “Heldengeschichten”. Ausstiegsgeschichten würden in den Medien häufig zusammengeschmolzen auf die wichtigsten Momente. In der Realität gebe es solche großen Erlebnisse aber meist nicht. Der Ausstieg funktioniere nicht von heute auf morgen, berichtet er aus eigener Erfahrung. Nach einigen Repressionen und immer mehr Enttäuschungsmomenten wie Grabenkämpfen, aber auch durch die Veränderung seiner materiellen Verhältnisse und die erste eigene Wohnung, zog er sich aus der Szene zurück. Er habe erst anfangen müssen, alles zu hinterfragen: sein Denken, Sprechen, Fühlen, Leben und Lieben. Auch wenn sich die Einstellung verändere, Ressentiments veränderten sich nicht so schnell, betont er. Reue könne im Nachhinein nichts ungeschehen machen. Doch Weißgerber ist wichtig, nun in den Grenzen seiner eigenen Möglichkeiten gegen den Rechtsextremismus vorzugehen und Aufklärungsarbeit zu leisten.

Das System verändern Für ihn ist klar, man kann Neonazis erst dann beim Ausstieg aus der Szene helfen, wenn sie dies selbst wollen. Vorher habe man keine Möglichkeit, sie zum Ausstieg zu bewegen. Stattdessen sei es viel effektiver, die Schule

macht oder eben nicht. Ebenso können dies die Expertinnen und Experten vom Zoll, von der Polizei oder aus dem Bauamt. Daher wäre es ein gewinnbringender Schritt, diesen Sachverstand endlich institutionell in den legislativen Prozess einzubeziehen. Die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags kennt ein Anhörungsgebot für die kommunalen Spitzenverbände – warum nicht auch für die Spitzenverbände des Öffentlichen Dienstes, in denen sich die Verwaltungsspezialisten organisieren? Gleiches gilt im Übrigen auch für die digitale Transformation der Verwaltung: Usability und Nutzerfreundlichkeit sind in aller Munde – warum bloß spricht kaum jemand mit den Millionen Nutzerinnen und Nutzern im Öffentlichen Dienst und fragt sie, welche digitalen Anwendungen sie brauchen, um gut Staat machen zu können? Warum wird das Know-how der jungen Beschäftigten, der Digital Natives, nicht viel effizienter eingebunden? Das sind die Schätze, die wir erkennen und heben müssen, damit wir die Modernisierung des Staats hinbekommen. Und das müssen wir, denn es geht um das Band, das dieses Land zusammenhält: das Vertrauen der Menschen in ihren Staat. Noch ist es nicht ganz verspielt, aber es ist schwer angeschlagen – Zeit zu handeln! Nur ein funktionierender Staat sichert sozialen Frieden und Wohlstand.

und das Sozialsystem zu verändern, beispielsweise durch mehr Partizipationsmöglichkeiten, Chancengleichheit und gelebte Demokratie in Schulen. So könnten die jungen Menschen schon früh lernen, dass nicht immer der eigene Wille durchgesetzt werden könne, sondern in der Gesellschaft Kompromisse eingegangen werden müssten.

Null-Toleranz-Politik Um Mitarbeitende in den verschiedensten Bereichen des Öffentlichen Dienstes vor Gewalt zu schützen, fordert die gerade neu in den Deutschen Bundestag gewählte Annika Klose (SPD), man müsse die Gesellschaft im Blick haben und Prävention ganzheitlich verstehen. Für Maximilian Schulz (linksjugend solid) ist wichtig, klare Grenzen zu ziehen und z. B. gewisse Parteien nicht zu Veranstaltungen einzuladen. Außerdem müsse Extremismus immer analysiert werden, denn man müsse unterschiedlich gegen Rechts- und linksextremismus vorgehen. Statt von Linksextrem spricht das neu gewählte Bundestagsmitglied Emilia Fester (Bündnis 90/Die Grünen) von linksradikal. Zwar räumt sie ein, es gebe auch Gewalt und Sachbeschädigung aus linken Kreisen und dies sei zu verurteilen, betont jedoch, diese dürfe nicht mit Rechtsextremismus gleichgestellt werden. Darüber, dass Rechtsextremismus die weitaus größere Gefahr darstelle als Linksextremismus, herrscht unter den jungen Vertretern der Parteien beim Ideencampus Konsens. Auch Jens Teutrine (Junge Liberale), ebenfalls in diesem Jahr in den Deutschen Bundestag gewählt, sieht deutliche Unterschiede. Wenn über Rechtsextremismus berichtet werde, dürfe nicht immer gleich die Frage nach Linksextremismus mit aufkommen. Alle diese Phänomene, genau wie religiöser Extremismus, dürften nicht vereinheitlicht und auch nicht verharmlost werden, fordert er. Sowohl Links- als auch Rechtsextremismus müssten aus der bürgerlichen Mitte bekämpft werden. Es müsse kontinuierlich gegen Extremismus vorgegangen werden, betont auch Gernot Carlos Nahrung (Junge CDA), und hier bestehe noch Luft nach oben.


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Zahlen & Daten

Behörden Spiegel / November 2021


Bund

Behörden Spiegel / November 2021

“BaFin mit Biss”

I

m Auftrag des Finanzministeriums wurden hierfür mit Unterstützung externer Berater zunächst die Strukturen der BaFin evaluiert und zahlreiche Gespräche mit Experten aus der Verwaltung, der Wirtschaft und dem Dritten Sektor (insbesondere Verbänden und Verbraucherschutzorganisationen) geführt. Zudem wurden internationale Benchmarks und Leistungsvergleiche erstellt. Die gewonnenen Erkenntnisse wurden in einer Gap-Analyse mit dem Zielbild einer flexiblen und schlagkräftigen “BaFin mit Biss” abgeglichen. Im Ergebnis wurden über 40 kurzfristige Reformmaßnahmen identifiziert. Das sich daran anschließende Projekt mit rund 100 Mitarbeitern zur Umsetzung dieser Maßnahmen wurde in acht Teilprojekte untergliedert. Einige dieser Maßnahmen können als Beispiele für eine nachhaltige Verwaltungsreform anderer Organisation und Behörden dienen. So gewann das Projekt in der Kategorie “Bestes Projekt zur agilen Transformation” auch den “eGovernment-Wettbewerb” 2021. Die Verwaltung von morgen mit einem schnellen, agilen und evidenzbasierten Handeln werde, so die Jury, durch dieses “bahnbrechende Reformkonzept” besonders sichtbar. Vier Aspekte der BaFin-Reform scheinen dabei besonders relevant für die aktuelle Diskussion zur Verwaltungsmodernisierung.

Agilität Zunächst sollte die Agilität der BaFin gestärkt werden. Ein Kernelement dieser Bemühung war dabei der Aufbau einer Fokusaufsicht. Diese befasst sich – gesteuert durch eine zentrale Einheit beim Präsidenten – geschäftsbereichsübergreifend mit risikoanfälligen Aufsichtsobjekten (z. B. mit komplexen neuen Geschäftsmodellen). Durch die Koordinationseinheit beim Präsidenten verfügt die Fokusaufsicht über die notwendige Autonomie, Flexibilität und Schnelligkeit. Die CaseTeams werden kurzfristig crossfunktional mit spezialisierten Aufsehern der verschiedenen Geschäftsbereiche projektbe-

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Die Modernisierung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BS/Dr. Dominik Böllhoff/Friedrich von Schönfeld) Eine der grundlegendsten Verwaltungsmodernisierungen in Deutschland durchläuft aktuell die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). In Reaktion auf die Bilanzmanipulationen und Insolvenz des Dax-Unternehmens Wirecard AG verabschiedete die Bundesregierung im Oktober 2020 u. a. einen Aktionsplan zur Bekämpfung von Bilanzbetrug und zur Stärkung der Kontrolle über Kapital- und Finanzmärkte. Dahinter stand die Erkenntnis, dass eine Gesetzesreform allein nicht ausreichen würde, sondern die Reform gesamtheitlich auch die operative Leistungsfähigkeit der Verwaltung in den Blick nehmen müsse. Neben einer umfangreichen legislativen Reform sah der Plan der Bundesregierung daher auch die operative Modernisierung der BaFin vor.

Zielbild der Reform der BaFin

Grafik: BS/BMF

zogen und für kurze Zeiträume zusammengestellt. Dadurch werden Silos der einzelnen Geschäftsbereiche aufgebrochen, Beschäftigte vernetzen sich, lernen voneinander und bringen ihre Projekterfahrung zurück in ihre Herkunftsteams.

Digitalisierung Die Aufseher der BaFin sollen zudem mithilfe modernster Technologien effizienter und stärker datengetrieben arbeiten. Hierzu wird in der BaFin eine zentrale Analytics-Einheit, die Data Intelligence Unit (DIU), aufgebaut. Die Einheit verfolgt das Ziel, Kompetenzen und Tools für die digitale Analyse von Daten und Informationen im Rahmen des Aufsichtshandelns bereitzustellen und weiterzuentwickeln. Sie ist das Bindeglied zwischen den

Datenexperten in den Geschäftsbereichen und der IT. Die DIU entwickelt vor allem das AufseherCockpit. Mit dieser IT-Lösung erhalten die Aufseher alle für ihre jeweilige Arbeit notwendigen Informationen auf einen Blick aus allen Geschäftsbereichen, bereits automatisch vorausgewertet und mittelfristig auch unter Einsatz modernster Technologien: Mittels Text-Crawling soll das Internet automatisiert auf Hinweise unlauteren Verhaltens durchsucht, mittels Künstlicher Intelligenz sollen große Datenmengen (Big Data) auf Auffälligkeiten geprüft werden, Workflows sollen Arbeitsprozesse unterstützen und transparent machen.

Zielorientierte Führung Für eine zielorientierte Führung werden in der BaFin Zuständig-

Dr. Dominik Böllhoff, Projektleiter des Projekts MoBaFin, Dr. Friedrich von Schönfeld, Stellv. Projektleiter. Beide arbeiten im Bundesministerium der Finanzen. Fotos: BS/privat

keiten, Rollen und Verantwortlichkeiten klarer verteilt. Zunächst wurde die Leitungsstruktur gestärkt. Der Präsident erhält mehr Verantwortung für die Gesamtsteuerung. Klar definierte Verantwortlichkeiten zwischen

gestärktem Präsidenten, Direktorium und Exekutivdirektoren erlauben eine effizientere Entscheidungsfindung. Über die Gesamtorganisation werden weitere Instrumente für eine effiziente Steuerung implementiert. So helfen etwa Zieldialoge, die Gesamtorganisation systematisch, strategisch und geschäftsbereichsübergreifend zu führen.

Proaktivität und Krisenfestigkeit

Krisenvorbeugung ist eine der originären Aufgaben der BaFin. Durch das Modernisierungsprojekt bei der BaFin werden nun weitere Systeme aufgebaut, um den Finanzmarkt noch besser beaufsichtigen zu können. Mit der

neuen Taskforce-Einheit kann die BaFin bei ersten Krisenanzeichen von Instituten schnell vor Ort eingreifen und eigene Adhoc-Prüfungen vornehmen. Durch eine intensivere Bilanzkontrolle werden die Abschlüsse der Emittenten proaktiv und ggfs. auch vor Ort überprüft. Zur Stärkung des kollektiven Anlegerschutzes werden verdeckte Testkäufe (Mystery Shopping) durchgeführt. Zugleich beschäftigen sich die übergreifenden Einheiten mit neuen Geschäftsmodellen auf dem Finanzmarkt, sodass etwa bei neuen digitalen Geschäftsmodellen frühzeitig Schwierigkeiten erkannt werden können. Um ergänzend einen engeren Kontakt in den Markt zu entwickeln, wird im Modernisierungsprojekt eine neue Einheit, die Market Contact Group, eingerichtet. Diese soll den Austausch mit den Marktteilnehmern pflegen, Marktinformationen sammeln und auswerten. Die Ergebnisse ihrer Arbeit werden in die Aufsichtsarbeit eingespeist; dadurch werden neue Impulse gesetzt. Darüber hinaus wird die Hinweisgeberstelle optimiert. Damit wird die Bereitschaft von Wissensträgern gestärkt, sich an die BaFin zu wenden. Die Ansprache (etwa im Internet) wird verbessert, es wird umfangreich über Verfahren sowie Rechte aufgeklärt,und den Hinweisgebern werden persönliche Ansprechpartner an die Seite gestellt. Ein neues Hinweisgebersystem sammelt, filtert und priorisiert die eingehenden Hinweise, sorgt für eine schnelle Auswertung durch Experten und speist Erkenntnisse als Basis weiterer Aufsichtshandlungen in die Organisation ein.

Anstoß und Grundlage Seit Februar 2021 haben BMF und BaFin, unterstützt von externen Beratern, die Reform in einem gemeinsamen Projekt vorangetrieben. Mit Start des neuen Präsidenten der BaFin, Mark Branson, wird die Reform nun sukzessive bis Jahresende in die alleinige Verantwortung der BaFin übergeben. Damit ist das Projekt Anstoß und Grundlage für einen langfristigen und kontinuierlichen Modernisierungsprozess der BaFin.

Neues, schnelles Feedback-Format

Organisation wird angepasst

Puls-Checks im Statistischen Bundesamt

Modernisierung des BND vorgesehen

(BS/Anja Gühnen/Dr. Sonja Leischner/Simone Seeger) Die Kontrolle der Herzfrequenz obliegt für gewöhnlich medizinischem Fachpersonal. Ziel ist es, über das Wohlbefinden der Patientin oder des Patienten zu befinden. Ist der Puls zu schnell oder zu langsam, müssen entsprechen Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Genau wie Ärztinnen oder Ärzte sich um ihre Patientinnen und Patienten kümmern, ist es für Arbeitgeber von zentralem Interesse, die Belange der Beschäftigten zu kennen: Was läuft gut? Wo gibt es Optimierungspotenzial? Wo geben wir vielleicht ein zu hohes Tempo vor? An welchen Stellen dauern Prozesse zu lange?

(BS/mfe) Der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Dr. Bruno Kahl, hat eine weitere strategische Modernisierung seiner Behörde angekündigt. Im Zuge dessen soll es ein neues organisatorisches Gerüst geben.

Hierzu setzt das Statistische Bundesamt – als neues Format des Beschäftigtenfeedbacks – sogenannte Puls-Checks ein. Dabei handelt es sich um eine OnlineBefragung, deren Beantwortung nicht länger als fünf Minuten dauert und die einmal pro Monat zu einem aktuellen Thema durchgeführt wird. Dabei geht es um Themen, die sowohl für Beschäftigte als auch für die Leitungsebene und die Verwaltung relevant sind.

Ein Puzzleteil des Feedbacks Der erste Puls-Check zum Thema “Arbeiten in der Pandemie” kam bei den Beschäftigten gut an; jede/r zweite Beschäftigte hat an der Befragung teilgenommen. Thematisch ging es darum, herauszufinden, wie es unseren Beschäftigten mit den Herausforderungen der Corona-Pandemie im Arbeitskontext geht. Konkret wurde mit drei Fragen erfasst, wie Beschäftigte mit den Anforderungen ihrer Arbeit zu Pandemiebedingungen aktuell zurechtkommen, welche einzelnen Faktoren (wie z.B. die Umsetzung von Hygienemaßnamen, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie

Die Köpfe hinter dem Puls-Check (v. l. n. r.): Anja Gühnen, Leiterin des Referats “Personalgewinnung und Personalentwicklung”, Dr. Sonja Leischner, Gruppenleiterin “Personal” und Simone Seeger, Referentin “Personalgewinnung und Personalentwicklung” beim Statistischen Bundesamt. Foto: BS/Destatis

oder auch die Kommunikation mit den Vorgesetzten) während der Pandemie wie funktioniert haben und welche konkreten Vorschläge Beschäftigte zur Verbesserung des Arbeitens unter Pandemiebedingungen sehen. Frei nach dem Motto “Nach dem Puls-Check ist vor dem PulsCheck” sind die Planungen für die nächste Befragung bereits wieder in vollem Gange. Der Puls-Check ist nur ein Puz­z leteil des Beschäftigten-

feedbacks im Statistischen Bundesamt. Zusätzlich wird es Ende 2021 eine umfassende Beschäftigtenbefragung geben. Diese wird seit vielen Jahren in regelmäßigen Abständen eingesetzt und soll ein ganzheitliches Bild der Arbeitsrealität abbilden. Die Ergebnisse des Puls-Checks werden transparent im Intranet veröffentlicht und mit den Beschäftigten diskutiert, um Verbesserungspotenziale abzuleiten. Im Fokus stehen bei

diesem Austausch Beschäftigtengruppen oder Arbeitsbereiche, die von einzelnen Themen speziell betroffen sind. Um einen geregelten – und somit gesunden – “Puls-Schlag” unserer Beschäftigten zu gewährleisten, gilt es, auf aktuelle Stimmungen zu reagieren und, im Sinne der Beschäftigten, Verbesserungen einzuleiten. Im Hinblick auf das “Arbeiten in der Pandemie” erwies sich unser Pulsschlag als sehr regelmäßig.

Der BND-Präsident erläuterte: “Ein Baustein ist die engere Verzahnung der Auswertung mit allen nachrichtendienstlichen Beschaffungsarten.” Ähnliche Aufgaben würden zusammengelegt, “um unsere Gesamtleistung und Schnelligkeit weiter zu erhöhen.” Kahl zeigte sich überzeugt: “Mit dieser Organisationsreform stellen wir sicher, dass unsere zahlreichen Ansätze für einen modernen und zugkräftigen Auslandsnachrichtendienst effektiv greifen.” Künftig – auch aufgrund der jüngsten Geschehnisse in Afghanistan – solle die Auswertung im BND einen noch stärkeren Fokus auf die Entwicklung und Prüfung von Hypothesen erhalten, um daraus fundierte strategische Analysen zu erstellen. “Die Ausbildung und Nutzung von Szenariotechniken sowie das kritische Hinterfragen eigener Annahmen sollen in der Auswertung künftig eine größere Rolle spielen, so Kahl. Als eine weitere Herausforderung benannte er die Umsetzung des reformierten BND-Gesetzes, das in Gänze am 1. Januar kommenden Jahres in Kraft tritt, in die nachrichtendienstliche

Praxis. Bis dahin müsse sein Dienst einige IT-Anpassungen vornehmen. Der Zeitplan dafür sei sehr ambitioniert. Der Reformbedarf beziehe sich etwa auf Kennzeichnungs- und Löschprotokollierungspflichten. Es gehe aber auch um die zu Kontrollzwecken erforderliche Dokumentation. Auch im Militärischen Abschirmdienst (MAD) brauche es Modernisierung und Professionalisierung, so Behördenpräsidentin Martina Rosenberg. Denn nur dann könnten die für den Bereich der Extremismusabwehr benötigten Fähigkeiten verbessert werden. Das gelte ganz besonders mit Blick auf den Rechtsextremismus. Neueste Technik und genügend qualifiziertes Personal seien hier dringend nötig, so Rosenberg. Um den MAD zukunftsfähig und den Aufgaben angemessen aufzustellen, “habe ich im letzten Jahr das Maßnahmenpaket, das mein Amtsvorgänger bereits aufgesetzt hatte, weiterentwickelt und erste Teile bereits umgesetzt”, berichtete die Präsidentin. So habe der Dienst in 2020 und 2021 einen deutlichen Personalaufwuchs zu verzeichnen gehabt.


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Behörden Spiegel / November 2021

#digitalejustiz

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eit Sommer 2021 haben alle 99 bayerischen Gerichte Zugang zu Videokonferenzanlagen. Der Kläger sitzt in Hamburg, die Beklagte in München, die Kammer im Gerichtssaal und alle verhandeln virtuell. Das verkürzt Verfahren, erspart Wartezeiten und schützt in Zeiten der Pandemie die Gesundheit der Prozessbeteiligten.Zum Ausbau der Videoverhandlungen setzt die Justiz auch auf ein VideoKonferenz-Tool. Nach einer erfolgreichen Pilotphase wurde der Einsatz inzwischen bayernweit freigegeben. Bereits tausende Verhandlungen werden an Bayerns Gerichten inzwischen als Videokonferenz geführt. Ob sich ein Verfahren dafür eignet, entscheidet die Richterin/der Richter in richterlicher Unabhängigkeit. Der elektronische Rechtsverkehr ist eingeführt: Mehr als sieben Millionen Nachrichten werden derzeit jährlich elektronisch ausgetauscht. Ab 2022 wird das virtuelle Datenvolumen deutlich steigen, weil professionelle Prozessbeteiligte, insbesondere Anwälte, verpflichtet sind, Schriftsätze elektronisch einzureichen. Bis 2026 sind alle deutschen Gerichte verpflichtet, auf elektronische Akten umzustellen. Mehr als 46.000 Verfahren wurden in Bayern bereits rein digital geführt. Bis zum Jahresende wird die E-Akte bei der Hälfte der bayerischen Landgerichte in Zivilsachen erster Instanz einge-

Die Digitaloffensive der bayerischen Justiz (BS/Georg Eisenreich) Die bayerische Justiz möchte die Chancen der Digitalisierung nutzen. Die Digitalisierung gehört daher längst zu ihrem Alltag und wird stetig vorangetrieben. Die bayerische Justiz hat den Anspruch, digital zu arbeiten und menschlich zu handeln. Die Bereitschaft der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sich auf die Digitalisierung einzulassen, ist groß. gute Diskussionsgrundlage für die Modernisierung des Zivilprozesses erarbeitet. Der Bund muss jetzt tätig werden und alle Akteure in die Foto: BS/Bayerisches Diskussion einbeStaatsministerium der Justiz ziehen: Gerichte, Rechtsanwälte, Wissenschaftler, Wirtschaft, Verbraucherverbänführt sein. Die Digitalisierung erfolgt nicht de. Dann muss zeitnah mit der auf Knopfdruck. Sie ist ein Weg, Umsetzung begonnen werden. auf den sich etwa 15.000 Justizangehörige an 127 Standorten Die Initiative #digitalejustiz in Bayern begeben haben. Dieser Die bayerische Justiz setzt bei Aufbruch führt zu erheblichen der Digitalisierung auf eine früVeränderungen der Arbeitsabläu- he und breite Einbindung der fe und stellt hohe Anforderungen Justizangehörigen. Gemeinsam an alle Justizangehörigen. Die mit Gerichten und Staatsandigitalen Maßnahmen müssen waltschaften, den Hauptperdabei laufend optimiert werden. sonalvertretungen sowie den Berufsverbänden erarbeitet das Modernisierung des Zivilpro- Justizministerium deshalb akzesses tuell die Initiative #digitalejustiz. Die Zivilprozessordnung ist nicht Zum Auftakt gab es bereits im für die digitale Welt gemacht. Ei- März 2020 einen Workshop. Seit ne Bund-Länder-Arbeitsgruppe Oktober 2021 finden an mehr und eine Arbeitsgruppe der Prä- als 20 Standorten Regionalversidentinnen und Präsidenten der sammlungen statt. #digitalejustiz Obergerichte haben eine sehr bietet den Justizangehörigen ein Georg Eisenreich (CSU) ist Mitglied des Bayerischen Landtags und Staatsminister der Justiz. Zuvor war er bayerischer Staatsminister für Digitales, Medien und Europa.

Forum, um Erfahrungen auszutauschen und Ziele für das digitale Arbeiten zu definieren.

Digitale Ziele der bayerischen Justiz “Die Justiz ist für die Menschen da”, lautet unsere Maxime in Bayern. Klar ist: Auch in einer immer digitaler werdenden Justiz steht der Mensch weiter im Mittelpunkt. Es ist unser Ziel, den bereits sehr hohen Standard an Qualität und Bürgerfreundlichkeit der Justiz weiter zu verbessern. Zudem wollen wir noch attraktivere Arbeitsplätze in der Justiz bieten. Wir investieren sehr viel Geld in die technische Ausstattung, in Schulungen und Fortbildungen.

Digitale Agenda Wir setzen auf ein Bündel an Maßnahmen und gehen dabei auch neue Wege. Immer mehr Verbraucher und Unternehmen nutzen die Vorteile von “Legal Tech”, um ihre Rechte im Internet durchzusetzen. Legal -TechPlattformen können den Zugang zum Recht verbessern, Zeit und Kosten sparen. Bayern möchte,

dass die Chancen von Legal Tech genutzt werden. Auf der anderen Seite hat sich Bayern in der Vergangenheit aber auch für eine Verschärfung der Anforderungen an die Legal-Tech-Plattformen auf Bundesebene eingesetzt, um die Rechtssicherheit für Verbraucher zu verbessern. Unsere Forderungen hat der Gesetzgeber nur teilweise umgesetzt. Weitere Verbesserungen sind aus Sicht Bayerns notwendig.

Bayrische Denkfabrik Die “Denkfabrik Legal Tech” ist ein Diskussionsforum des bayrischen Justizministeriums mit mehr als 260 Experten aus Justiz, Wirtschaft, Wissenschaft, Anwaltschaft und Notarwesen. Hier werden die Entwicklungen in der Digitalisierung und deren rechtliche Fragestellungen vorgestellt und diskutiert. Bayern möchte auch die Chancen der Blockchain-Technology nutzen. Gemeinsam mit der Bundesnotarkammer erprobt die bayerische Justiz seit 2020 ein digitales Gültigkeitsregister. Ein mehrfach preisgekröntes Projekt, das u. a. vom Bundeswirtschafts-

minister mit dem “Innovationspreis Reallabore” ausgezeichnet wurde. Das Vertrauen in die Justiz ist zentrales Element des Rechtsstaats. Deshalb behalten wir auch die Risiken der Digitalisierung im Blick. Den Kampf gegen Kinderpornografie, Hass und Hetze, den Darknet-Handel mit illegalen Waffen oder Drogen sowie Hacker-Angriffe führen wir konsequent. Die bayerische Justiz hat ihre Strukturen verstärkt und bei der “Zentralstelle zur Bekämpfung von Cybercrime” (ZCB) ein “Zentrum zur Bekämpfung von Kinderpornografie und sexuellem Missbrauch im Internet” (ZKI) gegründet. Das Recht muss auf der Höhe der Zeit sein. Bayern hat daher in Berlin, zum Teil zusammen mit anderen Bundesländern, rechtspolitische Forderungen eingebracht wie die Zulassung von “Keuschheitsproben” für Ermittler im Kampf gegen sexuellen Missbrauch und Kinderpornografie, einen eigenen Straftatbestand für das Betreiben krimineller Plattformen sowie einen besseren Schutz vor Cyber-Stalking und Cyber Crime. Bei der Frühjahrskonferenz der Justizminister hat Bayern mit Blick auf die Digitalisierung weitere Vorschläge eingebracht, z. B. die Forderung nach härteren Strafen bei strafrechtlich relevanten Deepfakes, computertechnisch manipulierten Bildaufnahmen.

eBO kommt

Experimente wagen

Weg frei für elektronischen Rechtsverkehr?

Ein Gerichtslabor erprobt die Aufzeichnung von Prozessen

(BS/stb) Ab 1. Januar 2022 sollen Bürger/-innen, Unternehmen, Verbände und Verfahrensbeteiligte wie Sachverständige oder Insolvenzverwalter Dokumente auch elektronisch an Gerichte schicken und von Gerichten erhalten können. Grundlage ist das elektronische Bürger- und Organisationen-Postfach (eBO). Wie immer, wenn es bei digitalen Verwaltungsangeboten um Rechtssicherheit und Datenschutz geht, sind die praktischen Hürden hoch und die Begeisterung klein.

(BS/Benjamin Stiebel) Was manche Richter und Staatsanwälte als tabu betrachten, will die Universität zu Köln in simulierter Umgebung erforschen und binnen eines Jahres sogar praktisch erproben. Die audiovisuelle Dokumentation und automatisierte Wortlautprotokollierung von Hauptverhandlungen. ExperimentierRaum ist das erste Gerichtslabor Deutschlands.

Noch sind einige Justizmitarbeiter/-innen skeptisch gegenüber dem elektronischen Rechtsverkehr. Ihre Sorgen richten sich vor allem gegen den vorübergehenden Mehraufwand sowie mögliche Sicherheitsmängel. BS/Kai Reschke, pixabay.com

Mit der Änderung der “Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung” (ERVV) führt der Gesetzgeber das Recht für natürliche und juristische Personen sowie Vereinigungen ein, elektronische Dokumente an Gerichte sicher mittels eBO zu versenden. Das soll die Führung elektronischer Akten an Gerichten erleichtern. Elektronisch empfangene Dokumente lassen sich direkt ins E-Akten-System eingliedern, während Papierdokumente vorher eingescannt werden müssen. Das spart Zeit und verschlankt Arbeitsabläufe. Der Gesetzgeber will außerdem den Zugang zum Recht erleichtern. Leicht wird er allerdings nicht allen fallen. Die Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr mittels eBO geht mit einigen Voraussetzungen einher, schließlich geht es teils um sehr sensible Informationen und rechtssichere

Bearbeitung. Die Identität des Postfachinhabers muss festgestellt worden sein, er muss sich beim Versand authentisieren und es muss feststellbar sein, dass das Dokument auch tatsächlich vom Postfachinhaber selbst versandt wurde. Wer die eID-Funktion des Personalausweises bzw. Aufenthaltstitels nicht nutzt – also die meisten Bürger/-innen – braucht zur Einrichtung des Postfaches eine öffentlich beglaubigte Erklärung. Allerdings braucht es für die Authentisierung beim Versand von Dokumenten ebenfalls die eID-Funktion oder alternativ ein Authentisierungszertifikat, zum Beispiel das für Elster eingesetzte. Zumindest hier gibt es eine Erleichterung gegenüber bisher geltendem Recht. Bisher war eine qualifizierte elektronische Signatur erforderlich – ein Authentisierungsmittel, das unter

Bürger/-innen noch unbekannter ist als die eID-Funktion des Personalausweises. Den elektronischen Rechtsverkehr bremsen aber längst nicht nur die technischen Hürden für juristische Laien. Anwält/-innen, insbesondere kleinere Kanzleien und einzeln Tätige, sperren sich seit Jahren gegen die stärkere Digitalisierung. Sie fürchten in der Übergangszeit Mehraufwände, weil sie eine Vielzahl an Zustellwegen ermöglichen müssen, und sie scheuen Kosten für die Einrichtung elektronischer Postfächer. Dazu kommen Sicherheitsbedenken. So wurden beim 2016 an den Start gegangenen besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) grundlegende Sicherheitsmängel bekannt. Im Herbst 2018 wurde es nach einem Dreivierteljahr Abstinenz in verbesserter Form wieder in Betrieb genommen.

“Auf Basis von Fakten und nicht von Erinnerungen urteilen”, so fasst Oberstaatsanwalt Markus Hartmann das Ziel zusammen. Hartmann ist Leiter der Zentralund Ansprechstelle Cyber Crime Nordrhein-Westfalen (ZAC NRW). Er ermittelt und führt Verhandlungen in Fällen von Cyber-Kriminalität und Schwarzhandel im Darknet. Er ist komplexe und langwierige Gerichtsprozesse gewöhnt, 20 oder 30 Verhandlungstage über viele Monate verteilt sind keine Seltenheit. Ein erheblicher Teil seiner Arbeit bestünde darin, mitzuschreiben, was vor Gericht gesagt werde, erzählt Hartmann. Stenotypist/-innen gibt es in Hauptverhandlungen an deutschen Gerichten nicht. Alle – Richter/-innen, Staatsanwält/innen, Verteidiger/-innen – arbeiten mit ihren eigenen Mitschriften. Aussagen lassen sich im Nachhinein also nicht exakt reproduzieren. Gerade das würde die Qualität der Hauptverhandlung bei Strafprozessen aber deutlich verbessern, ist sich Hartmann sicher. “Ein erheblicher Teil meiner Arbeitskraft könnte für die juristische Arbeit aufgewandt werden, statt für das Mitschreiben.” Zudem wäre mit besseren Urteilen zu rechnen. “Bei der Erstellung des Plädoyers muss ich die Beweismittel würdigen”, so der Oberstaatsanwalt weiter. “Wenn ich das nicht anhand meiner möglichweise lückenhaften oder schwer leserlichen Mitschriften, sondern anhand eines exakten Wortlautprotokolls tun kann, komme ich von einem Erinnerungsplädoyer zu einem zunehmend faktenbasierten Plädoyer.” Die Vision: Die Hauptverhandlung wird in Gänze audiovisuell aufgezeichnet. Aus diesem Material wird KI-gestützt ein exaktes Wortlautprotokoll erstellt. Dieses können Richter/-in, Staatsanwält/-in und Verteidiger/-in im Nachgang über eine sichere Cloud abrufen. Der Klick auf eine Stelle im Wortprotokoll führt direkt zur entsprechenden Stelle in der Videoauf-

zeichnung. Technisch ist das kein Hexenwerk. In der Anwendung für manche schon. “Die Idee hat im Moment kaum Anhänger in der Praxis. Bei vielen erzeugt sie regelmäßig hohen Blutdruck”, gibt NRW-Justizminister Peter Biesenbach zu bedenken. Ein Einwand betrifft die Strafprozessordnung. Die Revision als Rechtsmittel gegen Urteile ist eine rein verfahrensrechtliche Prüfung. Das Revisionsgericht stellt nur fest, ob das Urteil ordnungsgemäß zustande gekommen ist. Eine erneute Beweisaufnahme ist ausgeschlossen. Hätte ein Revisionsgericht aber Zugriff auf eine vollständige Reproduktion der Verhandlung, würde es sich zur zweiten Tatsacheninstanz entwickeln, so die Befürchtung. Ein anderes Problem: Die Aufzeichnung würde auch das Verhalten der Prozessbeteiligten genau dokumentieren. Eine Art feingranulare Kontrollinstanz sehen manche als Einschränkung der richterlichen Unabhängigkeit. Auch wenn die Mitschnitte nicht als Kontrollinstrument verwendet werden dürften, könnte schon das Wissen um die spätere Reproduzierbarkeit zu einer Verhaltensänderung führen. Das steht auch genauso für alle anderen Prozessbeteiligten zu befürchten, einschließlich den Zeug/-innen. Den Bedenken muss begegnet werden. Mit klugen Regelungen, wenn die Aufzeichnung eingeführt wird, dafür hat eine Expertenkommission im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz bereits Vorschläge gemacht. Nun geht es darum, mehr Wissen über die Auswirkungen der Technik zu sammeln. Darum gegrüßt Biesenbach die “mutige Initiative” der Universität zu Köln. Mit dem Gerichtslabor hat die renommierte rechtswissenschaftliche Fakultät eine Experimentier-Umgebung geschaffen, in der die Forscher/innen ein System zur Dokumentation und Aufzeichnung unter realistischen Bedingungen erproben können. Ein System übrigens, das

in ähnlicher Form schon seit 20 Jahren in Spanien genutzt wird. Dort zeichnen mittlerweile rund 3.000 Gerichte Verhandlungen auf. Technischer Partner ist Fujitsu. Träger des Labors sind neben der Uni der Deutsche EDV-Gerichtstag, der Kölner Anwaltverein, das Landgericht Köln und die ZAC NRW. Automatische Wortlautprotokolle erstellt die Technik im Gerichtslabor zurzeit noch nicht. Das sei ein Langzeitziel, wie Prof. Dr. Dr. Frauke Rostalski erklärt. Erst mal gehe es darum, zentrale Fragen wissenschaftlich zu bearbeiten, so die Lehrstuhlinhaberin: Wie schwer wiegt der Eingriff ins Persönlichkeitsrecht der vor Gericht auftretenden Personen? Welche Missbrauchsrisiken bestehen und wie lassen sie sich minimieren? Welche Auswirkung hat das Bewusstsein über die Aufzeichnung auf das Handeln der Prozessbeteiligten und auf die Urteilsfindung? In etwa einem Jahr soll das System erstmals in echten Verhandlungen getestet werden – auf freiwilliger Basis. Pilotgericht soll das Landgericht Köln sein. Die rechtswissenschaftliche Fakultät wird das Gerichtslabor auch für die juristische Ausbildung nutzen, als Trainingsraum, in dem Verhandlungen simuliert werden. “Der Nachwuchs kann hier Gerichtsluft schnuppern und seine Kompetenzen testen und ausbauen”, freut sich Rostalski. “Zum Beispiel üben die Studierenden das Halten von Plädoyers in realistischer Umgebung und können sich ihre aufgezeichneten Auftritte nachträglich anschauen und sie analysieren.” Unterm Strich zeigt sich Landesjustizminister Biesenbach bei der Eröffnung des Labors dann doch zuversichtlich, dass Vorbehalte gegen die Aufzeichnung bei Strafprozessen bald abgebaut werden. Zumindest die kommende Generation von Jurist/-innen wird frühzeitig an Perspektiven einer digitaleren Justiz herangeführt.


Behörden Spiegel / November 2021

B

ehörden Spiegel: Herr Professor Dr. Bernhardt, wie sieht es Ihrer Meinung nach aktuell in Deutschland im Bereich der Digitalen Justiz aus? Sind wir auf einem guten Weg?

Bernhardt: Ja, wir machen Fortschritte, wenn auch nur bescheidene. Der Gesetzgeber hat inzwischen einige Anstrengungen unternommen, die Justiz zu digitalisieren. Zum Beispiel sind Wege bereitgestellt worden, mit denen Justizangehörige wie Anwält/-innen, Steuerberater/innen aber auch Bürger/-innen und Unternehmen sicher digital mit der Justiz kommunizieren können. Ab 1. Januar 2022 sind für einige Nutzenden diese digitalen Kommunikationswege sogar verbindlich.

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Inspiriert von Österreich und Estland Bürgerfreundlichkeit dank Digitalisierung (BS) Wie zeitgemäß ist das Faxgerät in der digitalen Justiz noch? Professor Dr. Wilfried Bernhardt, Staatssekretär a. D. im Sächsischen Staatsministerium der Justiz und für Europa und aktuell Honorarprofessor für Internetrecht an der Universität Leipzig hofft, dass durch die zahlreichen digitalen Neuerungen wie das elektronische Anwaltspostfach und der E-Akte, veraltete Kommunikationsmittel perspektivisch aus der Justiz verbannt werden. Paul Schubert sprach mit Wilfried Bernhardt über die Vorteile der elektronischen Bearbeitung und die Nutzung von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Justiz.

“Gerichtliche Verfahren sind noch zu sehr auf die analoge Praxis ausgerichtet.” Professor Dr. Wilfried Bernhardt ist Staatssekretär a. D. im Sächsischen Staatsministerium der Justiz und für Europa und lehrt aktuell als Honorarprofessor Internetrecht an der Universität Leipzig. Foto: BS/Anne Großmann Fotografie

Behörden Spiegel: Und welche Schwierigkeiten gibt es noch? Bernhardt: Es fehlt noch oft bei den Gerichten die elektronische Aktenführung, was zu ineffizientem Ausdrucken und Einscannen führt. Hier gibt es erstaunlicherweise noch Barrieren und eine gewisse Scheu vor reinem elektronischen Arbeiten. Auch ist oft die Schulung des Personals unzureichend. Aber der Gesetzgeber hat eine Frist gesetzt: Bis Januar 2026 müssen alle elektronischen Akten in allen Gerichtszweigen aufs Digitale umgestellt werden. Wenn wir uns Länder wie Österreich und Estland anschauen, dann sind die bei der Effizienz und Bürgerfreundlichkeit durch Digitalisierung schon weiter. Die Herausforderungen in einer immer komplexer werdenden Welt und die Rechtsordnung lassen sich nun mal nicht mehr mit alten Mitteln bewerkstelligen. Wir müssen energisch diese modernen Instrumente einführen, das haben viele Leute allerdings noch nicht verstanden. Aus diesem Grund verläuft die Digitalisierung der Justiz meiner Ansicht nach noch zu schleppend.

Behörden Spiegel: Modernisierung ist ein gutes Stichwort. Vor einiger Zeit ist in Deutschland das elektronische Anwaltspostfach eingeführt worden und trotzdem haben wir immer noch das Fax als feste Institution. Kann damit das Faxgerät vollständig ersetzt werden? Nach jetzigem Stand ist zum Beispiel das Einreichen von Klageschriften per Fax kurz vor Fristende noch eine beliebte Option. Bernhardt: Die elektronischen Möglichkeiten bestehen ja nicht erst seit gestern, sondern schon seit 2001. Die damalige Bundesjustizministerin hat dann aber bewusst darauf verzichtet, die Abschaffung der Möglichkeit einer Telefax-Klageeinreichung vorzuschlagen. Sie wollte nicht die Zustimmung zur Einführung des elektronischen Instruments riskieren, in dem sie gleichzeitig den Anwält/-innen das geliebte Faxgerät wegnahm. Allerdings ist das Faxgerät mittlerweile vor allem in punkto Sicherheit klar der elektronischen Einreichung unterlegen. Infolge der

Verpflichtung der Anwält/-innen ab 1. Januar 2022 ihre Post ausschließlich elektronisch an die Gerichte zu übermitteln, wird Faxnutzung wohl bald der Vergangenheit angehören. Hätte man es allerdings früher gewagt, das Fax offiziell nicht mehr als gültiges Einreichungsinstrument anzuerkennen, wären wir heute zumindest datensicherheitstechnisch ein ganzes Stück weiter. Behörden Spiegel: Nun wird in den Gerichten bis 2026 die elektronische Bearbeitung der Fälle flächendeckend verpflichtend eingeführt. Richter/-innen haben aber doch das Privileg, das sie unabhängig ihre Fälle bearbeiten können. Können sie die elektronische Bearbeitung ablehnen? Bernhardt: Diese Diskussion hatten wir ja schon 2007, als die Handelsrichter durch die neue Gesetzgebung zu elektronischem Arbeiten verpflichtet wurden. Nach mehreren Instanzen hat dann aber zum Glück der Bundesgerichtshof klargestellt, dass

die richterliche Unabhängigkeit den Richter/-innen kein Standesprivileg zur Verfügung stellt, mit dem sie sich erfolgreich gegen die Digitalisierung wehren zu können. Ich bin zuversichtlich, dass an dieser Rechtsprechung von vor 14 Jahren festgehalten wird, wenn die elektronische Aktenführungspflicht zukünftig flächendeckend besteht. Behörden Spiegel: Nun birgt die elektronische Bearbeitung ja nicht nur Vorteile, sondern kann auch Nachteile nach sich ziehen. Aktuell ist die Gefahr bei CyberAngriffen omnipräsent. Ist die Justiz diesbezüglich gut geschützt? Bernhardt: Das ist in der Tat eine knifflige Angelegenheit. In Berlin haben wir gerade erlebt, dass durch Cyber-Angriffe ein Gericht so stark betroffen wurde, dass elektronisches Arbeiten nicht mehr möglich war. Allerdings sind es nicht immer die Systeme, die unzureichenden Schutz gegen solche Cyber-Angriffe bieten. Gerade die Schulungen der Mitarbeitenden ist hier wichtig, weil viele die Bedrohungen nicht rechtzeitig erkennen können. Deswegen kann es nur gelingen, wenn wir neben der Ausweitung des Schutzes der IT-Systeme auch Justizpersonal schulen, um Sicherheitsrisiken zu erkennen und Gefahren abwenden zu können. Behörden Spiegel: Welche Angelegenheiten muss eine neue Bundesregierung angehen, um eine noch effektivere Zusammenarbeit zwischen Staatsanwaltschaft, Gericht und Anwält/-innen zu gewährleisten?

eJustice rlp Zentrales Modernisierungsvorhaben der Justiz in Rheinland-Pfalz (BS/Dr. Matthias Frey) E-Justice, also die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs und der elektronischen Akte, stellt den größten Umbruch in der rheinland-pfälzischen Justiz seit Jahrzehnten dar. Bereits im Jahr 2017 haben wir uns für diese Aufgabe neu aufgestellt und mit der Gründung des Programms „eJustice rlp“ Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus allen Bereichen der Justiz zusammengebracht, um diesen Umbruch gemeinsam zu gestalten. Die Justiz in Rheinland-Pfalz ist in Sachen E-Justice gut aufgestellt. Der elektronische Rechtsverkehr wurde erfolgreich bei allen Gerichten und Staatsanwaltschaften eingeführt. Am 1. Januar 2022 endet die Freiwilligkeit der Nutzung für viele professionelle Kommunikationspartner der Gerichte und Staatsanwaltschaften. Der Bundesgesetzgeber hat schon im Jahr 2013 beschlossen, dass im neuen Jahr Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, Notarinnen und Notare, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts verpflichtet sind, den elektronischen Rechtverkehr verpflichtend zu nutzen. Da wir den elektronischen Rechtsverkehr aktiv fördern, erhalten wir bereits heute rund 150.000 elektronische Dokumente im Monat. Durch die bevorstehende sog. aktive Nutzungspflicht werden diese Zahlen ab dem kommenden Jahr vermutlich noch einmal deutlich steigen. Um die elektronischen Dokumente sinnvoll und ohne Medienbruch weiterverarbeiten zu können, arbeiten wir konsequent an der schrittweisen Einführung der elektronischen Akte. Derzeit haben wir die elektronische Akte bereits bei insgesamt 16 Gerichten (bei den beiden Oberlandesgerichten, bei sieben der acht Landgerichte sowie bei den Amtsgerichten am

barkeit (beim Verwaltungsgericht Koblenz und Dr. Matthias Frey ist Staatssekretär im Ministerium der dem OberverJustiz in Rheinland-Pfalz.Foto: waltungsgericht Rheinland-Pfalz) BS/Ministerium der Justiz RLP sowie in Strafund Ordnungswidrigkeitssachen am Standort Kaiserslautern. Die Corona-PanLandgerichtsstandort) und in demie hat sowohl bei der Schuvier Verfahrensarten eingeführt lung als auch der Gewährung des (Zivil-, Familien-, und Betreu- Anwendersupports zu zusätzliungssachen sowie Immobilliar- chen Herausforderungen geführt, vollstreckungssachen). die eine flexible Anpassung unNeue Verfahren ab einem be- serer Konzepte erforderte, leider stimmten Stichtag werden als aber gleichwohl auch AuswirkunE-Akte geführt, bestehende gen auf unseren Zeitplan hatte, Verfahren werden in Papier zu da geplante Einführungen zuEnde geführt. Bisher wurden nächst verschoben werden mussüber 90.000 E-Akten angelegt ten. Zum anderen hat sie aber und über 62.000 Verfahren rein auch ein Brennglas auf die Vorelektronisch erledigt. Bei den 16 teile der Digitalisierung gerichtet. Gerichten arbeiten rund 1.000 Denn dort, wo die eAkte bereits Mitarbeiter digital. Die E-Akte ist eingeführt war, konnten die Bebei diesen Gerichten bereits fester diensteten schnell, komfortabel Bestandteil des Arbeitsalltags und ohne größere administrativen geworden. Aufwände mobil im Homeoffice In der ordentlichen Gerichtsbar- arbeiten. Dort, wo noch mit der keit wollen wir die E-Akte auch in Papierakte gearbeitet wird, waren allen anderen Verfahrensarten, die Vorbereitungen für das mobile wie zum Beispiel den Nachlass-, Arbeiten ungleich größer. Grundbuch-, Insolvenz-, MobiliGleichzeitig hat die Digitalisiearvollstreckungs- oder Handels- rung nicht nur Vorteile. Dort, wo registersachen, zügig einführen. die elektronische Akte im EinDarüber hinaus laufen die Vor- satz ist, sehen wir auch neue bereitungen für Pilotierungen Zusatzarbeiten. Beispielsweise auch in der Verwaltungsgerichts- müssen, um effektiv und effi-

zient mit der E-Akte arbeiten zu können, eingehende elektronische Schriftsätze in den Serviceeinheiten teilweise händisch aufgetrennt, kategorisiert und benannt werden. Im Vergleich zur Behandlung von Papier (lochen, paginieren, abheften) führt dies mitunter zu erheblichem Mehraufwand. Wir wollen diesen Mehrarbeiten im Servicebereich unserer Gerichte unter anderem mit Künstlicher Intelligenz (KI) begegnen. Ein entsprechendes Projekt haben wir sehr früh auf den Weg gebracht und wollen bereits in näherer Zukunft eine KI zweier deutscher Softwarehersteller pilotieren, um die im Rahmen der Digitalisierung entstehenden Mehrarbeiten zu neutralisieren. Soweit die Pilotierung erfolgreich verläuft, nehmen wir auch weitere Unterstützungsmöglichkeiten, wie etwa die Extraktion von Metadaten durch die semantische Texterkennung oder die automatisierte Anonymisierung von Urteilen, in den Blick. Die KI kann uns zukünftig als gute Unterstützung dienen. Die Entscheidungen bleiben dabei, trotz der fortschreitenden Digitalisierung, stets dem Menschen vorbehalten. Den Weg zur flächendeckenden Einführung der elektronischen Akte wollen wir in der Justiz Rheinland-Pfalz konsequent fortführen.

Bernhardt: Nachdem ja erst vor kurzem das Gesetz zum elektronischen Bürger- und Organisationspostfach verabschiedet wurde, wird es wohl erstmal darum gehen, diese neuen gesetzlichen Instrumente nun auch in der Praxis einzuführen. In Deutschland ist Justiz vor allem Ländersache und der Bund ist lediglich für seine eigenen Bundesgerichte zuständig. Hier muss die kommende Bundesregierung ihre Anstrengung darauf richten, gemeinsamen mit den Ländern Konzepte zu entwickeln, wie die Digitalisierungsinstrumente in der Praxis effektiv gestaltet werden können. Auch muss die Bundesregierung ihre Verordnungskompetenz nutzen, um eventuelle Probleme nachjustieren zu können. Ich denke vor allem daran, gemeinsam mit den juristischen Berufsverbänden zu arbeiten, um das Zusammenspiel von Technik, Organisation und Recht stärker in den Fokus zu rücken, damit die elektronische Justizkommunikation zur Zufriedenheit aller verläuft. Behörden Spiegel: An welchen bereits geschaffenen Strukturen könnte sich die Bundesregierung orientieren? Bernhardt: Mittlerweile gibt es viele von Unternehmen betriebene Rechtsdienstleistungsportale, die den Bürger/-innen die Möglichkeit geben, sich über rechtliche Fragen wie Flug- und Bahnverspätung, überhöhte Mieten und drohenden Arbeitsverlust zu informieren und teilweise Ansprüche auch vereinfacht durchzusetzen. Diese Plattformen zeigen Effizienz und Geschwindigkeit und hieran muss die kommende Bundesregierung anknüpfen und prüfen, ob einige Techniken dieser Plattformen auch für die Justiz in Betracht kommen. Weiterhin hat man festgestellt, dass die gerichtlichen Verfahren weitestgehend – auch wenn sie jetzt digital laufen – noch zu sehr auf die analoge Praxis aus-

gerichtet sind. Hier gab es einen Vorschlag einer Arbeitsgruppe bei der ordentlichen Gerichtsbarkeit, wie man beispielsweise Verfahren so gestalten kann, dass nicht mehr elektronische Daten hin- und hergeschickt werden müssen, sondern die Prozessparteien und das Gericht in einem rechtlich geregelten gemeinsamen Datenraum arbeiten können und so der Streitstoff übersichtlicher und aufeinander bezogen elektronisch bewältigt werden kann. Behörden Spiegel: Gibt es noch andere Ideen, die die Bundesregierung anstoßen könnte? Bernhardt: Man könnte von der Möglichkeit von Videokonferenzen stärker Gebrauch machen. Hier müsste man einen weiteren, bisher eher vernachlässigten Aspekt bei der Virtualisierung des Prozesses berücksichtigen: die Öffentlichkeit. Es ist ja ein wichtiges – auch durch die Europäische Menschenrechtskonvention verbürgtes - Prinzip eines gerichtlichen Verfahrens, dass man als Unbeteiligter auch die Justiz kontrollieren kann. Man könnte eine digitale Öffentlichkeit durch die Mittel des Internets herstellen. Der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof hat diese Möglichkeit vor kurzem auch hervorgehoben. Des Weiteren ist der Einsatz von KI ein interessanter Ansatz. Behörden Spiegel: Inwiefern kann denn KI die Justiz unterstützen? Bernhardt: Sie kann zum Beispiel Richter/-innen dabei helfen, den Streitstoff zu sortieren, also das anwendbare Recht aufzuspüren. Natürlich müssen dabei die Risiken klar benannt und gezeigt werden, welche Programmierung und Richtlinien für die KI miteingeflossen sind. Hier wird es spannend zu beobachten, ob eine richtige Balance gefunden werden kann. Die EU möchte diesbezüglich auch eine Verordnung erlassen. Dabei soll einerseits der Justiz ermöglicht werden KI zu nutzen, andererseits aber auch sichergestellt werden, dass die Risiken der KI die Funktionsfähigkeit der Justiz in Zukunft nicht bedrohen. Überhaupt sollte die deutsche Justiz noch stärker Impulse von der EU und von anderen, weiter fortgeschrittenen Staaten zur Modernisierung nutzen.

Modellprojekte umsetzen Digitalprojekte der Justiz ausrollen (BS/sp) Digitalvorhaben für die Justiz als Gamechanger: Modellprojekte wie zum Beispiel der Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) und die Anwedung von Chatbots sollen die digitale Justiz verstärken, meint Sven Rebehn, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbunds (DRB). Möglich sei der Einsatz von KI etwa zur Vorprüfung von Kinderpornodateien, sagt Rebehn. Auch der Einsatz von Chatbots, die digitale Strafanzeigen annehmen, sei denkbar. “Das sind aktuell Modellprojekte, die schrittweise ausgebaut und bei “Serienreife” in die Fläche ausgerollt werden sollten”, so der DRB-Bundesgeschäftsführer. Des Weiteren wünsche er sich einen Digitalpakt für den Rechtsstaat: “Die nächste Bundesregierung muss eine Investitions- und Innovationsoffensive schaffen, die den staatlichen Kernbereich der Justiz besonders in den Blick nimmt”, verlangt Rebehn. Explizit fordert er Investitionen in Hard- und Software, Breitbandanschlüsse, Videotechnik oder in bürgerfreundliche Klage-Tools und Online-Verfahren. Eine weitere große Baustelle sei das Fehlen von Fachkräften, insbesondere im Bereich IT: “Die werden an allen Ecken fehlen”, meint der Geschäftsführer des DRB. Vor allem die Corona-Pandemie

hätte gezeigt, wie groß der Modernisierungsstau in der Justiz wirklich sei: “Hier müssen wir die Justiz technisch und personell bis 2025 auf die Höhe ihrer Aufgaben bringen”, meint Rebehn.

Keine vollständige Bearbeitung durch KI Beim Thema KI ist der Jurist allerdings skeptisch und warnt: “Eine vollständige Bearbeitung auch von standardisierten Fällen durch KI ist nicht wünschenswert. Die Bewertung der Sach- und Rechtslage muss immer durch den Richter oder die Richterin erfolgen.” Für sinnvolle technische Assistenz der Systeme, sei er allerdings offen, betont Rebehn. Vorstellen könne er sich eine KI-Anwendung im Bereich Fluggastklagen. Diese seien aufgrund der zunehmenden Anzahl an verspäteten und ausgefallenen Flügen inzwischen “ein Massengeschäft bei den Amtsgerichten geworden”, beklagt der Geschäftsführer des DRB.


Länder

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Behörden Spiegel / November 2021

Neue Dachmarke in Niedersachsen

Es braucht Mut

Landesregierung will als Arbeitgeber noch bekannter werden

Agiles Handeln – Zukunft der Verwaltung

(BS/Boris Pistorius) 240.000 Beschäftigte hat unsere niedersächsische Landesverwaltung – und ist damit (BS/Anke Schmidt/Jana Borkamp/Carina Harms*) “Du kannst Mut oder Bequemlichkeit wählen. Aber du der größte Arbeitgeber im Land. Zugleich bieten wir ein vielseitiges Spektrum an Einsatzmöglichkeiten. Un- kannst nicht beides haben.” Für Brené Brown, Pionierin des modernen Führens, ist das ein Leitsatz. Mut ist sere Standorte liegen überall zwischen Harz und Nordsee. allerdings leider immer noch keine Eigenschaft, die mit dem Öffentlichen Dienst verbunden wird. Verwaltung wird immer noch oft als beständig und träge wahrgenommen.

Dort arbeiten unsere Beschäftigten zum Beispiel beim Kampfmittelbeseitigungsdienst, bei der Polizei, in der Finanzverwaltung, im Bereich der Lebensmittelüberwachung als Chemielaborantinnen und -laboranten oder beim Institut für Bienenkunde als Imkerinnen und Imker. Das Land hat einiges zu bieten! Wir sind ein attraktiver Arbeitgeber und bieten mit der Arbeitsplatzsicherheit ein ganz besonderes Pfund, was gerade für viele junge Menschen in unsicheren Pandemiezeiten noch wichtiger geworden ist. Die Arbeit beim Land Niedersachsen ist zudem auch immer ein Dienst für die Allgemeinheit. Diese Werte kommunizieren wir breit und öffentlich – auch, um im Wettbewerb mit anderen Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern darzustellen, dass wir mehr als konkurrenzfähig sind.

Auf dem richtigen Weg Mit unserer neuen Dachmarke “Arbeitgeber Niedersachsen - Sicher!” wollen wir die Bekanntheit des Landes als herausragender Arbeitgeber weiter steigern. Denn klar ist: Der Identifikation folgt die gestärkte Bindung zum eigenen Arbeitgeber. Jede und jeder Beschäftigte wird damit zugleich Markenbotschafterin oder Markenbotschafter. Durch neue Formate wie das OnlineAngebot “Gut zu wissen! – Arbeitgeber Niedersachsen” informieren wir über Entwicklungsprozesse unserer Dachmarke. Die positive Resonanz auf die bisherigen Veranstaltungen zeigt: Wir sind

terin Bibiana Steinhaus-Webb bei uns Polizeibeamtin ist? Um diese und viele andere Geschichten an den Mann beziehungsweise an die Frau Foto: BS/Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport zu bringen, werden wir im Rahmen des neuen Podcasts “Niedersachsen Calling” hier auf dem richtigen Weg! Bereits kurz nach der Einfüh- und verschiedener Blogeinträge rung wurden die ersten Stellen- Einblicke in den persönlichen anzeigen im neuen Design der Arbeitsalltag von LandesbeDienststellen veröffentlicht. In schäftigten geben. Dabei spiediesem und im kommenden Jahr len natürlich auch Plattformen bieten wir Veranstaltungen zu wie YouTube, Instagram und Co. unterschiedlichen Themen an, eine Rolle. beispielsweise zur Gestaltung von Ich stelle immer wieder fest, Messeauftritten oder zur Durch- dass wir beim Arbeitgebermarführung von Marketingmaßnah- keting gut aufgestellt sind. Wir men. Unser Marketingteam plant haben in diesem Bereich, ganz außerdem eine Roadshow, bei der besonders bei der Nachwuchsgeverschiedene Behördenzentren winnung, bereits viel entwickelt. in Niedersachsen angesteuert So haben wir früh ein Onlinewerden. Mit kurzen Vorträgen Karriereportal entwickelt und und kleinen Giveaways im Ge- bauen dies stetig aus. päck werden wir durchs Land Die Digitalisierung der Verwaltouren und die Dienststellen vor tung wird bei uns mit dem dualen Ort abholen. Studiengang Verwaltungsinformatik greifbar. Die ersten AbsolSicht- und Nahbarkeit stärken venten sind bereits dabei, diese Wichtig ist uns auch: Die Sicht- anspruchsvolle Aufgabe vor Ort und Nahbarkeit als Arbeitgeber. umzusetzen. Mit den Angeboten Hierzu rücken wir diejenigen, für unsere Beschäftigten stehen die tagtäglich ihren Job hervor- wir ebenfalls sehr gut da. Ein Beiragend erledigen, in den Mittel- spiel dafür ist “CARE” – ein verpunkt: unsere Mitarbeiterinnen trauliches Beratungs- und Serund Mitarbeiter. Sie sind die Ge- viceangebot. Dieses Programm sichter der Landesverwaltung. ist einmalig: Wir bieten dadurch Jede und jeder von ihnen erzählt allen Beschäftigten schnell und eine ganz eigene Geschichte. Wer kompetent Unterstützung bei weiß schon, dass zum Beispiel persönlichen und beruflichen die ehemalige Weltschiedsrich- Belastungen. Boris Pistorius (SPD) ist niedersächsischer Minister für Inneres und Sport. In der Innenministerkonferenz (IMK) ist er zudem Sprecher der sozialdemokratisch geführten Bundesländer.

Thüringer Haushalt in der Kritik Keine neuen Schulden – keine Rücklagen (BS/lkm) Für Thüringens Haushalt liegt ein erster Entwurf für das Jahr 2022 vor. Geplant ist, dass der Landesetat ohne neue Kredite auskommt. Auch die Schuldentilgung wird wieder aufgenommen. Zur Finanzierung des Haushaltes plant Thüringens Finanzministerin unter anderem die Auflösung der Rücklangen und des Pensionsfonds. Ein Vorschlag, der auf viel Gegenwind stößt. “Die Haushaltsaufstellung war herausfordernd. Die CoronaPandemie hat uns finanziell in den vergangenen zwei Jahren alles abverlangt. Aber ich bin froh, dass wir trotzdem durch eine realistische Veranschlagung den Haushalt ohne neue Schulden aufstellen konnten”, so Thüringens Finanzministerin Heike Taubert bei der Vorstellung des Haushaltsentwurfes im Landtag. Der Haushaltsentwurf sieht ein Volumen von 12,034 Mrd. Euro vor. “Allerdings sind darin 171 Mio. Euro Tilgungsleistungen enthalten, die wir weder 2020 noch in 2021 hatten. Ohne die Tilgungsleistungen liegt das Haushaltsvolumen bei 11,86 Mrd. Euro und damit unter dem Niveau von 2021 (11,99 Mrd. Euro)”, so die Finanzministerin.

Keine Verpflichtung, weitere Schulden tilgen zu müssen Im Haushaltsentwurf 2022 sind keine neuen Kredite vorgesehen. “Ein Haushaltsausgleich durch Kreditaufnahme wäre 2022 rechtlich gar nicht zulässig, weil sich die Einnahmen wieder deutlich besser entwickeln und die Auswirkungen der CoronaPandemie für den Landeshaushalt zurückgehen”, so Taubert. Taubert weiter: “Mit dem Verzicht auf neue Schulden geht die Verpflichtung zur Wiederaufnahme der Tilgung einher.” 2022 beginnt der Freistaat mit der Tilgung der 2020 aufgenommenen und 2021 geplanten Kredite in Höhe von 100 Mio. Euro. Überdies werde die Tilgung nach dem Thüringer Nachhaltigkeitsmodell

mit 71 Mio. Euro fortgeführt. Während sich Taubert für einen Haushalt ohne neue Schulden starkmacht, schließen Linke und Grüne neue Kredite zur Finanzierung von Investitionen nach wie vor nicht aus. “Der Haushalt ist solide und trägt der Pandemiesituation und den damit verbundenen Mindereinnahmen Rechnung. Allerdings können wir nicht ganz zufrieden sein. Um die Zukunft Thüringens zu sichern und die anstehenden Herausforderungen zu meistern, braucht es mehr Investitionen in konsequenten Klimaschutz und bessere Bildung. Da werden wir in den nächsten Jahren erheblich umsteuern müssen. Dafür setzen wir uns ein”, betonte AnnSophie Bohm, Landessprecherin von Bündnis 90/Die Grünen in Thüringen.

Pensionsfonds soll aufgelöst werden Um den Haushalt ohne neue Schulden aufstellen zu können, plant Taubert, die noch verbliebenen Rücklagen des Landes in Höhe von 687 Millionen Euro komplett zu nutzen. Auch der Pensionsfonds soll aufgelöst werden und die darin bisher verbliebenen 149 Millionen Euro sollen im kommenden Jahr entnommen werden. Der Vorsitzende des Thüringer Beamtenbundes (TBB) Frank Schönborn, kritisiert diese Pläne scharf: “Das ist kein Umgang miteinander. Das ist unsolidarisch gegenüber der Thüringer Beamtenschaft. Das ist modernes Raubrittertum.” Man werde alle

erdenklichen Schritte dagegen unternehmen und die ursprüngliche Zusage der Entlastung des Haushalts für Versorgungsaufwendungen einfordern: “Einen solchen Versuch der 2kalten Enteignung” hat es bisher noch nicht in Thüringen gegeben. Und so muss es auch bleiben!”, so Schönborn.

Schwierige Verhandlungen im November Ab November soll der Haushaltsentwurf im Haushaltsund Finanzausschuss beraten werden. Es werden schwierige Verhandlungen erwartet, da die Regierungskoalition von Linken, SPD und Grünen keine Mehrheit im Parlament hat. Sie sind auf vier Stimmen aus den Reihen von CDU und FDP angewiesen. Beide halten jedoch den Haushaltsentwurf für nicht zustimmungsfähig. Im Thüringer Landtag erklärte FDP-Gruppenchef Thomas Kemmerich: “So, wie uns der Haushalt jetzt vorliegt, werden wir ihm nicht zustimmen können.” Bei dem von Finanzministerin Taubert vorgelegten Entwurf würden Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen. Mit der Auflösung der Rücklagen und der Pensionen könne man einmalig Lücken schließen. Es sei aber nicht solide, sich darauf zu verlassen, dass der Haushaltsabschluss wieder so gering stattfinde wie in den letzten Jahren. Kemmerich betonte, dass man sich gern Debatten zum Haushalt stellen, hier aber eine solide Finanzierung einfordern werde.

Wir im Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten Berlin (LAF) haben uns für Mut entschieden. Wir sind mutig, um auf Unsicherheiten und Widersprüchlichkeiten zu reagieren, unser Amt durch Krisenzeiten zu manövrieren und vor allem, um unsere Beschäftigten zu motivieren und zu binden. Der Personalmangel im Öffentlichen Dienst ist an vielen Stellen offensichtlich. Bereits im Jahr 2018 warnte der DBB Beamtenbund und Tarifunion, dass dem Öffentlichen Dienst schon derzeit 185.000 Personen fehlten. Der Wettbewerb um das beste Personal wird in Berlin besonders deutlich. Die Landesverwaltung steht in direkter Konkurrenz zu den ansässigen Bundesministerien und Kommunalbehörden. Verwaltungsnahe Arbeitgeber aus dem vorpolitischen Interessenvertreter- und Gewerkschaftsraum verstärken den “War for Talents” noch einmal. Auch das benachbarte Bundesland Brandenburg, dessen Verwaltung sich mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert sieht, wirbt im gleichen Markt um junge Talente.

Mit Agilität begeistern und halten Insofern ist es neben dringend erforderlichen Planungen zur nachhaltigen Mitarbeitergewinnung im Öffentlichen Dienst notwendig, Konzepte zu entwickeln, um die Behörden mit geringerer Personalausstattung leistungsfähiger zu machen und sie damit in ihrer Aufgabenerfüllung zu stärken. Es geht darum, Menschen für die Arbeit in ihrer Behörde zu begeistern und sie so langfristig zu halten. Dazu sind in den letzten Jahren immer wieder unterschiedliche Ideen entwickelt worden. Das nachhaltigste Konzept ist für uns der Ansatz des agilen Arbeitens. Agile Konzepte stellen die Mitarbeitenden in den Mittelpunkt von Führungs- und Arbeitsumweltgestaltung. Agile Arbeitsweisen zeichnen sich durch eine Vertrauenskultur, transparente Kommunikation, eine Fehlerkultur, Möglichkeiten zur Reflexion geleisteter Arbeit und einen ganzheitlichen Ansatz, in den sich Mitarbeitenden mit all ihren Potenzialen einbringen können, aus. In der Arbeitswelt “Behörde”, die mit ihren Strukturen gemeinhin Bedürfnisse nach einem sicheren Arbeitsplatz mit geregelten Arbeitszeiten abdeckt, lassen sich durch die Implementierung agiler Arbeit zahlreiche Werte ansprechen, nach denen Beschäftigte suchen. Das Thema einer guten Work-Life-Balance ist eines der Wichtigsten.

Beim LAF stehen die Kundinnen und Kunden im Mittelpunkt. Das spiegelt sich auch im Zielbild des Amtes über agile Arbeitsmethoden wider. Foto: BS/LAF

Agile Organisationsentwicklung ist attraktiv, weil sie sinnstiftende Formen der Zusammenarbeit ermöglicht. Durch den starken Fokus auf eine kontinuierliche Erprobung einzelner Veränderungen in der Praxis mit anschließender Reflexion über den Erfolg der erprobten Maßnahmen ermöglicht die agile Arbeit den Behörden eine neue Qualität der Anpassungs- und Reaktionsfähigkeit. In einer Arbeitswelt, die durch Komplexität, Unsicherheiten, Widersprüchlichkeiten und ein hohes Tempo in der Bearbeitung geprägt ist, sind dies entscheidende Anforderungen. Das Ziel agiler Behörden ist die Schaffung organisationaler Ambidextrie.

Agil ist fragil Um den Transformationsprozess hin zu einer agilen Behörde mit hoher Anpassungs- und Reaktionsfähigkeit anzustoßen, hat das LAF zunächst abteilungsüber-

Das LAF (BS)Das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) ist eine junge Berliner Behörde im Geschäftsbereich der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales. Gegründet im Jahr 2016, verfügt das LAF über 545 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an drei Berliner Standorten. Mit einem Haushaltsvolumen von 700 Millionen Euro verwaltet das Amt ca. 90 Unterkünfte für Geflüchtete in der Hauptstadt. Etwa 20.000 Menschen gehören zum Kundenkreis des LAF.

greifend ein Zielbild entwickelt. Die Kunden stehen im Mittelpunkt von jeglichem Behördenhandeln. Neben einer kennzahlenbasierten Steuerung über die Ziele wurde im LAF ein Newsroom für agilen Change gegründet. Der Newsroom schafft ein einheitliches agiles Mindset innerhalb der Behörde und begleitet Vorhaben agil. Agile Arbeitsmethoden wie KanBan und Scrum werden mehr und mehr zur Grundlage des Arbeitens im LAF. Eine umfassende Reihe zur Qualifizierung von Führungskräften in agilen Arbeitsmethoden unterstützt das Vorhaben. Parallel dazu werden 15 Kolleginnen und Kollegen als Scrum Master und Agile Coaches ausgebildet, um nach anfänglich externer Begleitung selbst Prozesse mit agilen Methoden steuern zu können. Langfristig ist es unser Ziel, das Verständnis der Vorteilen agiler Arbeit zu vermitteln. Hierbei werden wir durch Berliner und Brandenburger Hochschulen und Universitäten begleitet und evaluiert. Bei allen Chancen, die uns das agile Arbeiten ermöglicht, lassen wir die Risiken dennoch nicht aus dem Blick – denn wir wissen: Agil ist fragil. Sich auf diese anderen Methoden einzulassen, die Mitarbeitenden mitzunehmen, vielleicht zu scheitern, aber das Scheitern zu reflektieren und daraus zu lernen, bedeutet Mut. Mut, den wir im LAF haben und den wir als Schlüssel für eine moderne, kunden- wie mitarbeitendenfreundliche Behörde sehen. *Anke Schmidt, Jana Borkamp und Carina Harms sind Abteilungsleiterinnen im LAF.

Strategiepapier vorgelegt Aufgabenheft für den Katastrophenschutz in NRW (BS/bk) Welche dringenden Aufgaben liegen vor dem Katastrophenschutz in NRW? Diese Fragen versucht das Strategiepapier “Katastrophenschutz in Nordrhein-Westfalen” zu beantworten. Das Papier vom Verband der Feuerwehren in NRW (VdF NRW), der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren in NRW (AGBF NRW) und der Arbeitsgemeinschaft der Leiter hauptamtlicher Feuerwachen in NRW (AGHF NRW) zeigt altbekannte als auch akute, durch die Hochwasserkatastrophe sichtbar gewordene Notwendigkeiten. Der Handlungsbedarf ist umfangreich. Die Autoren schlagen unter anderem eine Einführung von wiederkehrenden Katastrophenschutzbedarfsplanungen auf Landes- und Kreisebene sowie in den kreisfreien Städten vor. Diese Planungen sollen als zentrales Steuerungselement für einen zukunftsfähigen Katastrophenschutz dienen. Für eine Bündelung der Kompetenzen des Landes im Katastrophenschutz

soll eine “Kompetenz-Zentrale Katastrophenschutz” im Innenministerium oder in dessen Geschäftsbereich geschaffen werden. Durch diese Zentrale erhoffen sich die Autoren eine bessere Koordination bei gebietsübergreifenden Schadenslagen, eine bessere Lagebeurteilung sowie eine Bündelung von Informationen von Landes-, Bundes- und der europäischen Ebene. Diese Zentrale soll zudem die vom Land

vorgehaltenen technischen Ressourcen des Katastrophenschutzes koordinieren. “Die diesjährige Katastrophenlage hat uns vor Augen geführt, dass dringende Vorschläge nicht auf die lange Bank geschoben werden können”, so Bernd Schneider, stellvertretender Vorsitzender des VdF NRW. Das Papier findet sich auf der Seite des VdF NRW: www.feuer wehrverband.nrw


Finanzen

Behörden Spiegel / November 2021

B

ehörden Spiegel: Frau Klingen, aktuell wird darüber diskutiert, die Schuldenbremse aufzuweichen. Wie bewerten Sie die Forderungen, mehr Investitionsspielräume zum Beispiel für den Klimaschutz zu schaffen?

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“Kein Hemmschuh für Investitionen” Karin Klingen, Präsidentin des Landesrechnungshofes Berlin, im Interview

(BS) Auf der Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der Rechnungshöfe des Bundes und der Länder haben sich die Prüfer deutlich für die Einhaltung der Schuldenbremse ausgesprochen und die “Berliner Erklärung” für eine nachhaltige Finanzpolitik verabschiedet. Im Interview Klingen: Selbstverständlich spricht Karin Klingen, der Präsidentin des Landesrechnungshofes Berlin, unter anderem über die Schuldenbremse und wie über Prioritätensetzung ist Klimaschutz eine wichtige auch Investitionen möglich sind. Die Fragen stellte Jörn Fieseler. Zukunftsaufgabe. Und niemand stellt infrage, dass das eine wichtige Zukunftsaufgabe für den Staat ist. Aber eine andere Frage ist, ob dafür die Verschuldung über die Schuldenbremse hi­ naus erhöht werden muss. Die Schuldenbremse hat das Ziel, dass es keine zu hohe Verschuldung geben darf. Dieses Ziel ist für die kommenden Generationen auch wichtig. Deswegen ist die Schuldenbremse aber kein Hemmschuh für Investitionen. Der Haushaltsgesetzgeber hat die Aufgabe, bei allen Einnahmen und Ausgaben Prioritäten festzusetzen. Das ist ein Appell, den die Rechnungshöfe von Bund und Ländern mit ihrer Berliner Erklärung für eine nachhaltige Finanzpolitik an den Gesetzgeber gerichtet haben. Klimaschutz kann eine Priorität sein. Behörden Spiegel: Prioritäten setzen bei Einnahmen und Ausgaben: Was wäre für eine hohe oder niedrige Prioritätensetzung auf der Ausgabenseite geeignet? Klingen: Die Frage kann ich als Rechnungshof nicht entscheiden. Die Aufgabe der Rechnungshöfe ist es, auf die Finanzen des Bundes oder des jeweiligen Landes zu achten. Wir geben Empfehlungen zum effizienten Handeln des Staates und wo Verwaltungshandeln verbessert werden kann. Aber die Entscheidung, welche Prioritäten gesetzt werden, obliegt der Politik. Behörden Spiegel: Sie haben gesagt, die Schuldenbremse sei kein Hemmschuh für Investitionen. Gleichwohl haben wir bundesweit einen Investitionsstau von rund 150 Mrd. Euro. Kann man diesen Investitionsstau unter der Schuldenbremse überhaupt lösen? Klingen: Das Land Berlin etwa hat eine hohe Rücklage für Investitionen, aber die Mittel in dieser Rücklage werden nicht schnell genug abgerufen. Das Problem liegt hier nicht alleine in der Finanzierung, sondern bei Planung und Umsetzung. Das sieht man auch im Bund, für den

die Schuldenbremse seit 2016 gilt. Seitdem ist nicht weniger, sondern mehr für Investitionen verausgabt worden. Durch eine Prioritätensetzung sind auch Investitionen möglich. Behörden Spiegel: Bleiben wir in Berlin. Der Stabilitätsrat hat die Haushaltslage als stabil eingeordnet, Sie haben im aktuellen Jahresbericht des LRH zahlreiche Versäumnisse aufgedeckt. Was sind die Top drei, wo muss das Land nachbessern? Klingen: An oberster Stelle steht die Digitalisierung. Das ist eine Existenzfrage für die Berliner Verwaltung und für das Funktionieren des Landes Berlin. Berlin hat aus meiner Sicht mit dem EGovernment-Gesetz einen guten Plan, der eine Zentralisierung der IT beim zentralen Dienstleister, dem ITDZ, vorsieht. Aber die Umsetzung des Gesetzes ist bislang noch nicht gelungen. Ein anderes Thema ist die Planung und Umsetzung von Investitionen bei Bauvorhaben. Insbesondere beim Zentralen Omnibusbahnhof, kurz ZOB. So wie dort sollte Planung nicht erfolgen. Der Bau des ZOB hat sich durch fehlerhafte Planung und dauernde Planänderungen um viele Jahre verzögert. Zum Beispiel wurde zuerst ein einstöckiges Gebäude geplant, dann wurde während der Bauphase entschieden, das Gebäude mehrstöckig zu bauen. All das wurde nicht durch ordentliche Verfahren begleitet. Deshalb sind die Kosten so extrem von 3,7 auf 39,1 Millionen Euro gestiegen. Wir beobachten häufiger, dass man sich am Anfang nicht die Zeit nimmt, Bauvorhaben zu durchdenken. Erst in der Bauausführung merken dann die Zuständigen, was sie vergessen haben. Dann fängt man wieder von vorne an. Das wird natürlich teuer. Behörden Spiegel: Und der dritte Punkt? Klingen: Als dritten Punkt sehe ich die Finanzlage des Landes Berlin. Dazu werden wir Ende des

sagt Karin Klingen, Präsidentin des Landesrechnungshofes BerFoto: BS/Fieseler lin.

Jahres den zweiten Teil unseres Jahresberichts veröffentlichen. Der Stabilitätsrat sagt, der Haushalt sei jetzt in Ordnung. Aber der letzte Senat hat in seinem Haushalt für 2022 / 2023 hohe Defizite ausgewiesen. Diese sollen mit den vorhandenen Rücklagen ausgeglichen werden. Es ist eine spannende Frage, wie sich die Haushaltslage in den nächsten Jahren entwickeln und was das neue Abgeordnetenhaus beschließen wird. Wir werden diese Frage auf jeden Fall eng begleiten. Behörden Spiegel: Das Ergebnis zum Volksentscheid zur Enteignung von privaten Wohnungsbaugesellschaften dürfte die Haushaltslage zusätzlich beeinflussen. Bei einem Rückkauf der Wohnungen würden Kosten zwischen zehn und 40 Milliarden Euro auf Berlin zukommen. Wie bewerten Sie die Lage und gibt es andere Möglichkeiten, die Probleme im Berliner Wohnungsmarkt zu lösen? Klingen: Die Frage, wie wir die Umsetzung des Volksentscheides bewerten, stellen Sie zu früh. Wir bewerten keine politische Entscheidung. Wir sehen uns eine konkrete Finanzierung an, wenn sie geplant wird. Wie die Probleme auf dem Berliner Wohnungsmarkt gelöst werden können, ist ebenfalls eine politische Entscheidung. Wir als Rechnungshof Berlin begrüßen aber, dass wir jetzt die öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften überprüfen können. Das Abgeordnetenhaus

hat einen Beschluss gefasst, mit dem es unterstützt, dass der Rechnungshof Prüfungsvereinbarungen mit den einzelnen Gesellschaften schließt. Wir wollen auf diese Weise die Wohnungsbaugesellschaften unterstützen, damit sie gut finanziert sind und ordentlich funktionieren. Behörden Spiegel: Dürfen Sie als Rechnungshof die Beteiligungsfirmen des Landes nicht generell prüfen? Klingen: Nein, leider nicht. Wir müssen mit den Gesellschaften Prüfungsvereinbarungen abschließen. Das machen wir auch. Und ich nehme den

Behörden Spiegel: Haben Sie dafür mehr Stellen zur Verfügung? Klingen: Im Moment habe ich die Stellen, die ich habe. Natürlich wäre es schön, mehr Stellen zur Verfügung zu haben. Das Thema ist komplex. Als ersten Schritt konnten wir erreichen, dass das Rechnungshofgesetz geändert wurde. Dort stand in der alten Fassung, dass Prüfende erst eingestellt werden sollen, wenn sie mindestens 35 Jahre alt sind. Damit konnten wir keine Berufsanfänger und Absolventen aus den Universitäten einstellen. Die Regelung zu den 35 Jahren ist vom Abgeordnetenhaus aufgehoben worden. Jetzt haben wir eine Sammelausschreibung macht, bei der wir speziell Wirtschaftswissenschaftler gesucht und eingestellt haben. Wir verändern uns bei dem Personal, das wir einstellen, aber ich überlege auch, das Thema der Unternehmensprüfung auch wei-

(BS/lkm) Einer aktuellen Studie des Umweltbundesamtes (UBA) zufolge beliefen sich die umweltschädlichen Subventionen im Jahr 2018 auf 65,4 Milliarde Euro. Rund 90 Prozent der analysierten Subventionen seien klimaschädlich und würden sich häufig gleichzeitig negativ auf Luftqualität, Gesundheit und Rohstoffverbrauch auswirken. Laut UBA würde der Abbau von Steuervergünstigungen für Pkwund Agrardiesel, die private Nutzung fossiler Dienstwagen und landwirtschaftliche Fahrzeuge sowie bei der Entfernungspauschale der öffentlichen Hand

Mehreinnahmen im zweistelligen Milliardenbereich bringen. Weitere zwölf Milliarden Euro entfallen auf Steuervergünstigungen für Kerosin und die Mehrwertsteuerbefreiung für internationale Flüge. Dies müsste allerdings auf europäischer Ebene angegangen werden. “Es ist paradox, wenn der Staat mit vielen Milliarden den Klimaschutz fördert und gleichzeitig klimaschädliche Produktions- und Verhaltensweisen subventioniert. Beim Klimaschutz rennt uns bekanntlich die Zeit davon. Es ist daher wichtig, auch beim Abbau umweltschädlicher Subventionen schnell vo-

(BS/lkm) Der Bund hat mehr als 100 Milliarden Euro in Sonderhaushalten, sogenannten Schattenhaushalten, zurückgelegt. Das geht aus einer Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) hervor. Die Ökonomen des IW Köln kritisieren diesen Wildwuchs. Auch der Bundesrechnungshof sieht viele Ausgaben, die über Sonderhaushalte des Bundes getätigt werden, besser im Kernhaushalt aufgehoben. Der WSF griff beispielweise mit rund 5,8 Milliarden Euro der Lufthansa und der TUI AG mit rund 1,2 Milliarden Euro unter die Arme. Insgesamt umfassen die im WSF getroffenen Stabilisierungsmaßnahmen etwa 8,7 Milliarden Euro. Weitere Sondervermögen des Bundes sind der Kommunalinvestitionsförderungsfonds oder der Kinderbetreuungsausbau, welche 2020 insgesamt 7,4 Milliarden betrugen.

Verstoß gegen Einheit und Klarheit

Foto: BS/Dean Moriarty, pixabay.de

struktur” sowie die Rücklage für Asylbewerber und Flüchtlinge. Dem Bundesfinanzministerium zufolge wurden im vergangenen Jahr 27,7 Milliarden Euro den Sondervermögen hinzugefügt. Davon 25,3 Milliarden Euro allein für den Energie- und Klimafonds. Analog dem Finanzmarktstabi-

lisierungsfonds in der Finanzkrise 2008 hat die Bundesregierung im März 2020 mit dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) ein neues Sondervermögen gegründet. Ziel des WSF ist es, den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie durch Kapitalbeteiligungen entgegenzuwirken.

Klingen: Wir haben den Beschluss gefasst, weil bisher nur ein Land diesen gesetzlichen Gebührentatbestand hat, nämlich Bremen. Das ging bis vor das Bundesverwaltungsgericht, das dieses Gesetz bestätigt hat. Bisher haben sich die anderen Länder entschieden, dieses Gesetz nicht zu übernehmen und umzusetzen. Deshalb haben wir, die Präsidentinnen und Präsidenten der Rechnungshöfe von Bund und Ländern, dies empfohlen. Aber wir müssen abwarten, ob die Regierungen der Länder und des Bundes dem folgen. Behörden Spiegel: Wenn sie es nicht tun, welche Möglichkeiten hat dann ein Landesrechnungshof, diese Empfehlung nachdrücklich zu verfolgen? Klingen: Man sagt, die Rechnungshöfe seien ein Ritter ohne Schwert. Aber wir haben unsere Möglichkeiten. Wir können mit unseren nachhaltigen Argumenten überzeugen und über die Öffentlichkeit wirken, wie mit diesem Interview.

Umweltschädliche Subventionen

Ökonomen kritisieren mangelnde Transparenz

Immer mehr Sondervermögen für die verschiedensten Zwecke: In den vergangenen acht Jahren hat sich das Volumen der Sondervermögen des Bundes fast versiebzigfacht.

Behörden Spiegel: Ein weiteres Thema ist die Finanzierung von Polizeieinsätzen bei gewinnorientierten Hochrisikospielen. Sportartenübergreifend, aber de facto nur bei Fußballspielen. Hier gab es die Empfehlung der Präsidentenkonferenz der Rechnungshöfe von Bund und Ländern, das sogenannte Bremer Modell für alle Länder anzuwenden. Haben Sie schon gehört, ob die Länder dem folgen wollen?

MELDUNG

Immer mehr Sonderhaushalte

I

m Jahr 2012 verfügte der Bund über ein Sondervermögen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro. Seitdem stieg das Volumen der Sondervermögen des Bundes kontinuierlich an. 2019 lag das Volumen der Sondervermögen des Bundes bereits bei 66,3 Milliarden Euro. Im Jahr 2020 verfügte der Bund über 24 verschiedene Sondervermögen, die ihm rechtlich und wirtschaftlich zuzuordnen sind. Das gesamte Volumen dieser Sondervermögen betrug 101,1 Milliarden Euro. Sondervermögen sind abgesonderte Teile des Bundesvermögens, die getrennt vom übrigen Vermögen verwaltet werden. Sie wurden eingerichtet, um große strukturelle Anpassungen finanziell zu unterstützen oder um krisenbedingte Wirtschaftseinbrüche schnellstmöglich abzufedern. Vor allem im Zuge der Wiedervereinigung, im Nachgang der Finanzkrise und mit Ausbruch der Corona-Pandemie stieg die Anzahl der Sondervermögen. Ihre Finanzierung erfolgt über Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt oder andere Einnahmen. Zu den Sondervermögen des Bundes gehören unter anderem der Energie- und Klimafonds (EKF), der Aufbauhilfefonds, das Sondervermögen “Digitale Infra-

“Durch eine Prioritätensetzung sind auch Investitionen möglich”,

politischen Willen wahr, dass dies so gewünscht ist. Parallel möchte ich auch die Kompetenz im Rechnungshof verstärken, diese Unternehmen zu prüfen. Deshalb möchte ich mehrere Fachrichtungen integrieren, etwa Betriebs- und Volkswirte, aber auch Ingenieure.

ter im Rechnungshof zu konzentrieren, um die Expertise in einem Bereich zusammenzufassen.

Laut IW Köln summieren sich die Rücklagen, die der Bund über Sondervermögen mit unterschiedlichen Zweckbindungen zwischen 2012 und 2020 gebildet hat, auf mehr als 100 Milliarden Euro. Das entspreche allein im Jahr 2021 rund 33 Prozent der im Finanzplan bereits eingeplanten Ausgaben des Bundes. Man müsse daher prüfen, inwiefern diese Vielzahl an Sondervermögen noch dem im Grundgesetz

festgehaltenen Grundsatz der Einheit und Vollständigkeit entsprächen und ob sie nicht die Transparenz des öffentlichen Finanzgebarens beeinträchtigten. Auch der Bundesrechnungshof kritisiert die vielen Sondervermögen des Bundes. In seinen Feststellungen zur Haushaltsrechnung und zur Vermögensrechnung des Bundes für das Haushaltsjahr 2019 mahnt er, dass bei der Einrichtung und Aufrechterhaltung von Sondervermögen ein strenger Maßstab anzulegen sei. Bei den in den letzten Jahren neu eingerichteten Sondervermögen seien die Voraussetzungen hierfür oft nicht erfüllt gewesen, so der Rechnungshof. Die Prüfer kritisierten unter anderem Verstöße gegen die Haushaltsgrundsätze der Einheit und Klarheit. Dem Bundesrechnungshof zufolge sei der Hauptgrund zur Errichtung einiger Sondervermögen gewesen, die Ausgaben “buchmäßig” nach vorne zu ziehen. Die kassenmäßigen Ausgaben flössen erst Jahre

ranzukommen. Das entlastet die öffentlichen Haushalte und ermöglicht klimagerechte Investitionen”, sagte UBA-Präsident Dirk Messner. Damit der Abbau bzw. die Reform umweltschädlicher Subventionen künftig systematisch erfolgt und die Subventionspolitik effektiver und effizienter wird, formuliert die UBA-Studie Leitlinien für eine umweltorientierte Subventionspolitik und empfiehlt einen “Umweltcheck” für alle Subventionen. Künftig sollte stets geprüft werden, ob es umweltfreundlichere Alternativen für die Subvention gibt.

später. “Damit ergibt sich ein Verstoß gegen das Jährlichkeitsprinzip und den Grundsatz der Fälligkeit. Dies gilt insbesondere für den Energie- und Klimafonds (EKF), den Kommunalinvestitionsförderungsfonds und das Sondervermögen “Digitale Infrastruktur””, schreibt der Bundesrechnungshof. Die Ausgaben dieser Sondervermögen würden in den Kernhaushalt des Bundes und nicht in ein Sondervermögen gehören. Auch die Ökonomen des IW Kiel meinen, Sondervermögen sollten nur dann errichtet werden, wenn sie zur Wahrnehmung sachlich und zeitlich definierter, spezifischer Aufgaben notwendig seien. Um einem Strukturwandel zu begegnen, seien Sonderfonds daher wenig geeignet. “Die mehrfachen Anforderungen im Strukturwandel lassen sich nicht in Jahresringen abarbeiten”, schreiben Prof. Michael Hüther, Direktor des IW Kiel, und Dr. Thomas Obst, Referent des Direktors, in ihrem Bericht. Für den Kapazitätsausbau der Privatwirtschaft brauche man stattdessen einen mittelfristig verlässlich etablierten Finanzrahmen. Besser sei in einem solchen Fall ein auf zehn Jahre angelegter Investitionsfonds des Bundes mit Kreditermächtigung in eigener Rechtsperson.


Beschaffung / Vergaberecht

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Ein frommer Wunsch

Behörden Spiegel / November 2021

► Entscheidungen zum Vergaberecht

Bund soll ein eigenes Tariftreuegesetz bekommen (BS/jf) Die künftigen Koalitionäre wollen sowohl das Kartellrecht als auch das Vergaberecht reformieren beziehungsweise erweitern. Darauf hat sich die Verhandlungsgruppe “Wirtschaftspolitik” von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der FDP im Rahmen der Sondierungsgespräche geeinigt. Ein Ansatz wird begrüßt, allerdings nur, wenn dadurch das Kaskadenprinzip im Vergaberecht durchbrochen werde. Geht es nach dem Willen der sich in Koalitionsverhandlungen befindenden Parteien, soll das Kartellrecht in der nächsten Legislaturperiode mit Blick auf die Nachhaltigkeitsaspekte, Datenmärkte und den Verbraucherschutz reformiert werden. Auch das europäische Wettbewerbs- und Beihilferecht soll auf die härtere Konkurrenz auf den Weltmärkten hin ausgerichtet und Plattformunternehmen sollen stärker reguliert und notfalls entflechtet werden. Diese Vorhaben sind nicht neu, sondern schon in der letzten Legislatur diskutiert worden. Genauso verhält es sich mit der Schaffung eines Bundestariftreuegesetzes. Sowohl die FDP als auch Bündnis 90 / Die Grünen sowie Die Linke

haben in der letzten Legislatur mindestens einen Versuch in Form eines Antrages im Bundestag unternommen, das Vergaberecht zu novellieren. Während die einen auf eine vereinfachte Auftragsvergabe außerhalb der Dringlichkeitsbeschaffungen während der Pandemie setzten, forderten die anderen die Einführung von Tariftreueregelungen. Erfolg hatten sie alle drei nicht. Die Regierungsparteien CDU/ CSU und SPD haben die Anträge jeweils mehrheitlich abgelehnt.

Mehr Professionalität und Klimafreundlichkeit Das soll nun mit einem Bundestariftreuegesetz anders werden. In diesem soll einerseits das Beschaffungswesen stärker

Beratung für Bewerter und Bieter Ausschreibungen · Submissionen

professionalisiert und damit zentralisiert werden. Andererseits soll es eine stärkere Ausrichtung auf nachhaltige, klimafreundliche Aspekte erfahren. “Wir begrüßen grundsätzlich die mögliche Einführung eines Bundestariftreuegesetzes”, sagt Bernd Düsterdiek, Referatsleiter beim Deutschen Städte- und Gemeindebund und dort zuständig für das Vergaberecht. “Ziel muss es sein, den “Flickenteppich” divergierender Länderregelungen in diesem Bereich zu beenden und eine bundeseinheitliche Regelung zu schaffen.” Dies trage zur Verfahrenstransparenz bei und entlaste insbesondere Unternehmen, die sich in unterschiedlichen Bundesländern um öffentliche Aufträge bewürben. Aber: “Aus Sicht kommunaler Auftraggeber sollte die neue Bundesregierung indes auf die Einführung weitergehender “vergabefremder” Aspekte verzichten. Bereits heute sind die Auftraggeber gehalten, soziale Aspekte, die Energieeffizienz oder auch die Nachhaltigkeit von Produkten bei der Beschaffung zu berücksichtigen. Eine weitere Verkomplizierung des ohnehin schon komplexen Vergaberechts muss unbedingt vermieden werden”, fordert Düsterdiek.

Kaskade bleibt Doch genau dazu könnte es kommen. Denn ein Bundestariftreuegesetz kann nur für die öffentliche Auftragsvergabe des Bundes gelten, nicht aber für die Länder. Damit die Länder ihrerseits auf divergierende Regelungen verzichten, müsste ein Tariftreuegesetz des Bundes so gestaltet werden wie seinerzeit die Unterschwellenvergabeordnung (UVgO), sodass die Länder dieses eins zu eins umsetzen. Und selbst ein Entstehungs- und Abstimmungsprozess bei der UVgO ist kein Garant, dass bei einem Bundestariftreuegesetz am Ende die Länder auf ihre eigenen Regularien verzichten oder diese angleichen.

→ 19. – 20. Januar 2022, Handwerkskammer Hamburg Foto Hamburg: © John Smith, stock.adobe.com

Hamburger Vergabetag 2022 Keynotes u. a. von: Dr. Christine Maimann, Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht, Vergabesenat des OLG Düsseldorf

Dr. Gundula Fehns-Böer, Richterin am Oberlandesgericht, Vergabesenat des OLG Frankfurt a. M.

Dr. Martin Schellenberg, Rechtsanwalt und Partner, Kanzlei HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK

Weitere Informationen zur Veranstaltung sowie Online-Anmeldemöglichkeit unter: www.hamburger-vergabetag.de

►AUFTRAGSWERT

Räumlich zusammenhängend und doch zwei getrennte Aufträge Wenn die Messegesellschaft ein Messe- und Kongresszentrum baut, können das zwei getrennte Bauvorhaben sein? Eher nicht, meinte ein Bieter, der sich mit der Messegesellschaft um einen relativ kleinen Auftrag stritt. Als sein Konkurrent den Zuschlag erhalten sollte, wollte er das verhindern. Schließlich glaubte er zu wissen, dass jener gar kein LV-konformes Produkt in seinem Portfolio hat. An der Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrages hatte er auch keine Zweifel. Schließlich hatte die Messegesellschaft europaweit ausgeschrieben und in der Presse war zu lesen, dass das Bauprojekt 24 Mio. Euro gekostet haben werde, wenn es fertig sei. Er unterliegt dennoch in beiden Instanzen. Die Messegesellschaft hatte nämlich noch einen Trumpf im Ärmel: Die internen Vermerke über die Planung des Zentrums. Daraus ergab sich, dass der Umbau der Messehallen im Jahr 2011 beschlossen worden und im Jahr 2015 abgeschlossen war. Die Potenzialanalyse, ob sich ein zusätzliches Konferenzzentrum lohnen würde, stammt allerdings erst aus dem Jahr 2016. Damit war klar, dass die beiden Teile wohl räumlich zusammenhängen und dennoch zwei getrennte Bauvorhaben sind. Dass der Auftrag europaweit ausgeschrieben wurde, spielt für die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrages im Gegensatz zum Schwellenwert keine Rolle. Der aber war durch den Kongressbereich allein nicht erreicht. OLG Schleswig (Beschl. v. 07.01.2021, Az.: 54 Verg 6/20)

► DATENSCHUTZ

Vertrauen genügt DSGVO gilt nicht fürs Telefon Manchmal arten auch schriftsätzliche Auseinandersetzungen in Schlammschlachten aus. So geschehen im Streit über einen Auftrag zum Dolmetschen per Telefon. Während der unterlegene Bieter seinem zum Zuschlag vorgesehenen Konkurrenten vorwarf, er wolle im Nachprüfungsverfahren seine Nichteignung dadurch vertuschen, dass dessen Geschäftsführer nicht selbst vor der Vergabekammer erscheine, revanchierte sich der Zuschlagsbieter mit dem Vorwurf, das Nachprüfungsverfahren diene ohnehin nur der Ausforschung seiner Geschäftsgeheimnisse. Offenbar streiten beide Bieter in mehreren Fällen vor verschiedenen Vergabekammern um ähnliche Aufträge. Kern des Streits war die Sicherheit der Telefongespräche. Der Auftraggeber darf grundsätzlich auf das Leistungsversprechen der Bieter vertrauen, hier auf dessen Zusage, alle erforderlichen Maßnahmen zur Datensicherheit zu gewährleisten. Die Vergabekammer folgt dem Antragsteller nicht hinsichtlich seiner Einschätzung, die Verschlüsselungsmaßnahmen des Beigeladenen genügten der DSGVO nicht. Denn: Die DSGVO ist nach Auffassung der Kammer für die Datensicherheit von Telefonaten gar nicht

einschlägig. Hier greift vielmehr das Telekommunikationsgesetz, das die Netzbetreiber und nicht die Gesprächspartner auf die Datensicherheit verpflichtet. Nachdem dies geklärt war, gab es nun keinen Grund mehr, am Datensicherheitsversprechen des Beigeladenen zu zweifeln. Ein Ausschluss kam nicht mehr in Betracht. VK Sachsen (Beschl. v. 07.12.2020, Az.: 1/SVK/030-20)

► FACHBERATER

Interessenkonflikt vermutet Zusammenarbeit mit der Konkurrenz? Für den technisch heiklen Auftrag, Reinräume zu reinigen, hat der Auftraggeber einen Fachberater eingeschaltet, der ihm bei der Vorbereitung der Ausschreibung und der Bewertung der Angebote zur Seite stehen sollte. Ein Bieter, der sich bei der Ortsbesichtigung übergangen fühlte, beantragte die Nachprüfung und erfuhr erst bei dieser Gelegenheit, dass der Auftraggeber einen Fachberater hinzugezogen hatte. Doch dieser Berater löste den Argwohn des Bieters aus. Es sei bekannt, dass der Berater eng mit einem Konkurrenten zusammenarbeite, weswegen zu befürchten sei, dass er einige unscharf formulierte Zuschlagskriterien so anwenden würde, dass sein Geschäftsfreund bevorzugt werde. Zudem kooperier e er mit weiteren Beratern, die teils auch eigene Reinigungsunternehmen besäßen, sodass hier Geschäftsgeheimnisse aus den Angeboten an die Konkurrenz abfließen könnten. Die Vergabekammer verwirft den Nachprüfungsantrag. Die unklaren Kriterien waren zuvor nicht gerügt worden, spielten also keine Rolle mehr. Der Auftraggeber hat sich die Wertungsentscheidung selbst vorbehalten, sodass eine Manipulation zugunsten der Konkurrenz durch den Berater nicht möglich ist. Und auf das Abschöpfen von Geschäftsgeheimnissen geht die Vergabekammer zu Recht gar nicht ein: Sie betreffen ja keinen Schaden im aktuellen Vergabeverfahren, sondern wirke sich nur auf künftige aus. Ein solcher Wettbewerbsverstoß gehört daher nicht in den Bereich der Vergabenachprüfung. VK Bund (Beschl. v. 08.04.2021, Az.: VK 2-23/21)

► MISCHKALKULATION

Vergessene Kosten Kein Hinweis auf Spekulation Der Bieter hat in einer Position eines Auftrags in sechsstelliger Höhe vergessen, die Personalkosten für den Einbau von zwei Durchflussmesswertgebern zu kalkulieren. Stattdessen hat er nur den Materialwert der Sensoren berechnet. Das fiel dem Auftraggeber auf, weil er das Formblatt 223 – Aufgliederung der Einheitspreise – angefordert hatte. In seinen Muster-Vergabeunterlagen stand nämlich geschrieben, dass die Zuschlagserteilung von der Vorlage dieses Formblattes abhängig gemacht werden solle. Auf Nachfrage erklärte der Bieter, der fehlende Personalkostenansatz sei kein Problem. Dieser geringe Betrag werde durch die Position “allgemeine Dienstleistungspauschale” aufgefangen. Der Auftraggeber schloss den Bieter

infolgedessen wegen unzulässiger Mischkalkulation aus. Zu Unrecht, meint die Vergabekammer Nordbayern. Zum einen sei die Einlassung des Bieters nachvollziehbar, er habe nur zeigen wollen, dass eine solch geringfügige Position nicht seine Auskömmlichkeit infrage stelle. Zum anderen sei auch nicht denkbar, dass mit der Verlagerung dieses Kleinbetrages ein spekulativer Übergewinn erzielt werden könnte. Und schließlich: Das Formblatt 223 hätte gar nicht zur Preisaufklärung herangezogen werden dürfen. Das fragliche Angebot lag nur ein Prozent unter dem preislich zweitplatzierten Bieter. Eine Notwendigkeit der Preisaufklärung bestand demnach gar nicht. Ohne die Aufklärung wäre der Bieter aber nicht in die Verlegenheit geraten, seinen Kalkulationsfehler erklären zu müssen und hätte sich also auch nicht in einer Weise missverständlich äußern können, die den Verdacht auf eine Mischkalkulation erregt hatte. VK Nordbayern (Beschl. v. 11.08.2021, Az.: RMFSG21-3194-6-25)

► DECKBLATT

Kein Vertragsbestandteil Vorsicht vor unklaren Vorgaben Die Vergabeplattform ist so konfiguriert, dass sie aus den elektronisch eingehenden Angeboten automatisch bei der Angebotseröffnung ein Submissionsprotokoll erstellt. Das ist komfortabel für den Auftraggeber, kann aber zur Verwirrung bei den beteiligten Bietern führen, wenn nicht alle Anforderungen an den technischen Ablauf des E-Vergabe-Verfahrens eingehalten werden. So ist es nämlich notwendig, dass der Bieter die essenziellen Angaben aus seinem Angebot manuell auf ein Deckblatt überträgt. Nur dieses Deckblatt wird dann von der Software ausgewertet und zum Submissionsprotokoll zusammengeführt. Macht ein Bieter bei der Übertragung einen Fehler, stimmt das Submissionsprotokoll mit den Angeboten nicht mehr überein. Wenn nun der Auftraggeber seinerseits nicht exakt beschrieben hat, was auf das Deckblatt zu übertragen ist, ist das Durcheinander unvermeidlich. So hatte ein Auftraggeber einst vorgegeben, dass die Eintragung des Angebotspreises in das Deckblatt verpflichtend sei. Über eine Pflicht auch der Angabe eines Preisnachlasses schwieg er sich aus. Genau diesen Nachlass hatte ein Bieter (nur) auf dem Deckblatt vergessen. Auf Betreiben eines Konkurrenten, der sich fragte, warum der laut Protokoll teurere Bieter den Zuschlag erhalten soll, stellt die Vergabekammer fest: Die fehlende Angabe auf dem Deckblatt ist unschädlich. Maßgeblich ist allein das, was im Angebot steht. Der Auftraggeber durfte das Submissionsprotokoll nach Auswertung der Angebote korrigieren, denn er hatte selbst in den Vergabeunterlagen darauf hingewiesen, dass das Deckblatt das Angebotsschreiben nicht ersetzen kann. VK Bund (Beschl. v. 07.07.2021, Az.: VK 2-65/21)

Zusammenfassung der Entscheidungen: RA und FA für Vergaberecht Dr. Rainer Noch, München und Unkel/Rh. (Oppler Büchner PartGmbB

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Organigramm

Behörden Spiegel / November 2021

Seite 13

Hessisches Ministerium des Innern und für Sport Hessisches Ministerium des Innern und für Sport Friedrich-Ebert-Allee 12, 65185 Wiesbaden Postfach: 3167, 65021 Wiesbaden Telefon: 0611/353-0 Telefax: 0611/32 712 1766 E-Mail: Poststelle@hmdis.hessen.de

Grafik: Behörden Spiegel-Gruppe Quelle: Hessisches Ministerium des Innern und für Sport Stand: November 2021

Referatsgruppe M – Ministerbüro LMB – Leiter Ministerbüro Hendrik Schultz

Minister Peter Beuth Foto: BS/ Hessisches Ministerium des Innern und für Sport

M1 Persönliche Referentin Sina Klose -1555

M2 Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Michael Schaich -1605

M3 Parlaments- und Kabinettsangelegenheiten Helene Fertmann -1965

M4 Grundsatzangelegenheiten Sophie Gobrecht -1603

M5 Bundes-, Europa- und Internationale Angelegenheiten Marcus Gerngroß – koordinierend – -1507 Prof. Dr. Petra Kolmer -1150

Ansprechpartner der Polizei LPD Jürgen Begere -1831 (2)

Staatssekretär Dr. Stefan Heck Ständiger Vertreter des Ministers Direktor des Landespersonalamtes

Stabsstelle Expertenstab zur Neustrukturierung der Spezialeinheiten (SE) Hessen PP WH Stefan Müller

Stabsstelle Fehler- und Führungskultur Polizei

VP HLKA Felix Paschek

Kommunales Beratungszentrum Hessen – Partner der Kommunen Claus Spandau

Stabsstelle Gemeinsam Sicher in Hessen

-1529

POR Bermbach

-2400

Stabsstelle Corona / Koordinierung Verwaltungsabläufe Marco Herbert

Stabsstelle Landesbeauftragte für Heimatvertriebene und Spätaussiedler

-3090 Margarete Ziegler-Raschdorf -1692

Abteilung Z

Zentralabteilung

Abteilung I

Min.Dirig. Stephan Gortner

Z1 Organisation und Verwaltungsmodernisierung MRin Stefanie Soucek -1571

I1 Beamtenrecht, Personalvertretungsrecht MRin Ursula Friedrich – koordinierend – -1474 MRin Karin Elsäßer -1469

Z2 Interne Revision MR Ralf-Jürgen Liebeck -1190 (3)

I2 Besoldung MRin Jutta Dobelmann -1450

Z4 Strategisches Personalmanagement MRin Susanne Reul -1480 Z5 Finanzwesen MR Tilo Münster -1610 Z6 Referat Personal Ministerium und nachgeordneter Bereich, Geschäftsstelle des Direktors des Landespersonalamts und der Landespersonalkommission MRin Dr. Claudia-Simone Rohde -1582 Z7 Zentrale Fortbildung MR Marco Krause -1558 Z8 Hochschulentwicklung Polizei / Allgemeine Verwaltung Ltd. MR Olaf Rohde -1079 Z9 Zentrale Dienste MRin Elke Rauch -1436

-1550

I3 Versorgung MR Christoph Malachinski -1485 I4 Arbeits- und Tarifrecht, Tarifpolitik Ltd. MRin Tanja Eichner -1460 (1)

Rechtsabteilung

Abteilung LPP

Landespolizeipräsidium

Min.Dirig. Dr. Wilhelm Kanther -1680

LPP Roland Ullmann

II 1 Wahlen, Hoheitsangelegenheiten MR Thomas Lammers -1499

LPP Ast Abteilungsstab KDin Ute Jacobs -2011

II 2 Verwaltungsverfahren, Pass- und Personalausweisrecht MRin Ute Frerichs-Zunker -1683

LPP 1 Einsatz IdP Hans Knapp

II 3 Versammlungsrecht, Vereinsrecht, Verfassungsschutz RDin Dr. Eva-Maria Burkard -1143 II 4 Aufenthaltsrecht RD Kristoffer Wentz -1642 II 5 Glücksspiel und Gemeinsame Geschäftsstelle Glücksspiel MRin Rahela Welp -1236 II 6 Datenschutz, Informa­ tionsfreiheitsrecht MR Norbert Mag -1302 II 7 Ordnungsrecht, Staatsanzeiger

-2001

Abteilung IV

Min.Dirig. Matthias Graf

-1530

IV 1 Kommunales Verfassungsrecht Kommunalaufsicht und kommunale Personalangelegenheiten Ltd. MR Ulrich Dreßler -1536 -2110

LPP 2 Recht RD Frederik Stoecker -2201 LPP 3 Personal MRin Katrin Thaler -2301 LPP 4 Prävention LKD Frank Schweitzer -2801 LPP 5 Technik MR Frank von der Au -2501 LPP 6 Rückführung MRin Dr. Susanne Stewen -2601

Abteilung V

Abteilung VI Sport

Cyber- und IT-Sicherheit, Verwaltungsdigitalisierung

Min.Dirig. Dr. Tobias Bräunlein -1270

Min.Dirig. Jens-Uwe Münker -1800

Min.Dirig. Ralf Stettner -1900 Chief Information Security Officer

Stabsstelle Geschäftsführung Krisenstab der Landesregierung

VI 1 Grundsatzfragen des Sports, Sportentwicklung, Ehrenamt und Vereinsförderung Dirk Dirbach -1805

VII 1 Grundsatz, Koordinierung ROR Dr. Frank Zielsdorf -1961

Kommunale Angelegenheiten

IV 2 Kommunale Finanzen, Haushalt und Wirtschaft MR Thorsten Hardt -1510

IV 3 Kommunale Strukturen und Interkommunale Zusammenarbeit MRin Andrea ReuschDemel -1528 IV 4 Kommunale Abgaben, Versorgungskassen und Standardabbau MR Reinhard Mann-Sixel -1470

Brand- und Katastrophenschutz, Krisenmanagement

Stabsstelle TFI-Abwicklung V1 Brandschutz, Einsatz, Förderwesen LBD Harald Uschek -1423 V2 Informations- und Kommunikationstechnik MR Dr.-Ing. Richard Georgi -1400 V3 Recht, Zivile Verteidigung, Verteidigungswesen RD Joscha Rasch -1425 V4 Katastrophenschutz, Krisenmanagement, RORin Dr. Sarah Walz -1402

VI 2 Sportstättenförderung RR Sebastian Berger -1802 VI 3 Leistungssport, Breitenund Gesundheitssport RD Oliver Palme -1808 VI 4 Sport für Menschen mit Behinderungen, Inklusion RORin Marina Mohnen 1809 VI 5 Integration und Prävention im und durch den Sport RORin Meike Freitag -1812

V5 Ehrenamtsförderung, Finanzen RR Sebastian Poser -1324

N.N.

VII 3 Zentrales Informationssicherheitsmanagement Tanja Bossert -1929 VII 4 Innovationsmanagement Cyber-Sicherheit MR Dirk Dohn -1920 VII 5 IT-Koordination im Innenressort RDin Miriam Marbach -1569 VII 6 Informations- und Kommunikationstechnik im HMdIS ROR Dr. Marco Schärfke -1927

VII 8 Projektreferat I (DMB) MR Andreas Schlicher -1300

II 8 Waffenrecht, Melderecht, Kampfmittelräumdienst N.N.

VII 9 Projektreferat II (OZG) RD Martin Woitschell -1984

II 9 Justiziariat MRin Dr. Birgit Kaul -1598

VII 10 Projektreferat III (DMS) Andreas Horx -4101 Behördlicher Datenschutzbeauftragter: MR Norbert Mag

-1302

IT-Sicherheitsbeauftragter: ROR Markus Hermenau

-1991

Vorsitzender des Personalrats: ROR Matthias Schmidt

-1566

Gleichstellungsbeauftragte: OARin Christine Brieger

-1681

Gleichstellungsbeauftragte für die Personalstellen des höheren Dienstes bei der hessischen Polizei: KDin Ute Jacobs -2011 KDin Carina Lerch 069/7553 2000 (1) soweit Tarifverhandlungen betroffen, fachlich unmittelbar Herrn Minister unterstellt (2) unabhängige Ansprechperson (berichtet direkt dem Innenminister und dem Innenstaatssekretär) (3) fachlich unmittelbar der Behördenleitung unterstellt

VII 2 IT-Recht MR Lars Bostelmann -1993

VII 7 Programmreferat Verwaltungsdigitalisierung HMdIS MRin Dr. Anja Syring -1980

LPP 7 Informationsstrategie und -technik der Polizei MR Thomas Völkel -9901

Z 10 Gütesiegel Familienfreundlicher Arbeitgeber Land Hessen RORin Susanne HoffmannFessner -1410

Abteilung VII

Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen: OARin Sabine Schubert

-2343

VII 11 Projektreferat IV (Verwaltungsprojekte) ROR Udo Fahrion -1996 VII 12 Hessen Cyber Competence Center Ltd. MRin Vera Lindenthal-Gold -9901 VII 13 Ciso-Stab / Sonderaufgaben MR Matthäus Friederich 0151/58 54 11 60

Abteilungsstab

Min.Dirig. Wilfried Schmäing -1100

Z3 Zentrales Controlling MR Andreas Dietzel -1660

Abteilung II

Dienstrecht, Tarifrecht


Diplomaten Spiegel

Seite 14

Griechenland ist fester Teil der EU

D

er Schwabe und WahlWeimarer meinte dies rein lyrisch, bewunderte, wie Freund Johann Wolfgang von Goethe und Heerscharen von Studienräten danach, die Antike, ihre Mythen, die schöne Gegend in und um die Ägäis, die mediterrane Küchen Spitzenweine und das gute Wetter. Das hatte es denn 1832 auch Otto, dem Sohn von Bayernkönig Ludwig I. (richtig, der hatte ein Gschpusi mit der Tänzerin Lola Montez) angetan. Weil der Vater anderweitig gut zu tun hatte, musste er mit 17, als Teenie, auf den griechischen Thron. Otto I. führte Biergärten und Blasmusik ein, zog viele Akademiker, Handwerker und Unternehmer, wie den Bierbrauer Karl Johann Fuchs (dessen FixBier immer noch gebraut wird) und den Weinhändler Gustav Clauss (heute Achaia-Clauss), nach Athen, der seit 1834 neuen Metropole. Das 136 km südwestlich auf dem Peloponnes gelegene Nafplio ist nun “Alt-Hauptstadt”. Der Titel “Bundesstadt”, wird erst für Bonn erfunden. Von diesen Aper ҫus der Geschichte einmal abgesehen, haben wir den alten Griechen noch vieles und anderes mehr zu verdanken: Dramen und Komödien, den Mathematikunterricht und die Olympischen Spiele – und nicht zuletzt die

Behörden Spiegel / November 2021

Ein Gespräch mit der griechischen Botschafterin Mara Marinaki in Berlin

2019, die Bürger steuerlich zu entlasten und ihre Beziehung zum Staat zu verbessern”, führt Marinaki weiter aus.

(BS/ps) Sie ist die erste hellenische Botschafterin in Deutschland seit Aufnahme der diplomatischen Beziehungen im Jahr 1867, die trotz aller Ir- Image Griechenlands bewahrt rungen und Wirrungen (um es einmal vorsichtig auszudrücken) in diesen 154 Jahren bis heute sehr eng sind. Was auch an unserem Friedrich Schiller liegt, der schon um 1800 schwärmte: “Und die Sonne Homers, siehe! Sie lächelt auch uns.” Auf dem Weg der Besserung

Rezept der Botschafterin Garnelen-Saganaki Zutaten für 3 – 4 Portionen 500 g Garnelen, 200 g Feta-Käse, 1 Zwiebel, 2 Knoblauchzehen, 2 Dosen Tomaten in Stücken (je 400 g), 1 TL Paprikapulver, 1 TL Oregano, 1/2 TL Salz, 2 EL Olivenöl, Prise Pfeffer, Petersilie zum Garnieren

Seit mehr als einem halben Jahr im Amt: die Botschafterin der hellenischen Republik Griechenland, Mara Marinaki.

Zubereitung: Zwiebel und Knoblauch fein hacken. Olivenöl in einer Pfanne erhitzen. Die Garnelen darin kurz scharf anbraten, herausnehmen und zur Seite stellen. Knoblauch und Zwiebeln in der Pfanne mit dem Öl von den Garnelen glasig dünsten und Tomatenstückchen hin-

zugeben. Mit Salz, Pfeffer, Paprikapulver und Oregano abschmecken. Den Backofen auf 200 °C Unter- Oberhitze vorheizen. Die Tomaten ca. 10 – 15 Minuten auf mittlerer Stufe einkochen lassen. Den Feta-Käse fein zerkrümeln. Die Tomatensoße in eine ofenfeste Form geben. Die Hälfte des Feta-Käses mit den Garnelen unter die Soße mischen. Die andere Hälfte des Käses darüberstreuen. Im Backofen ca. 10 Minuten überbacken lassen. Anschließend herausnehmen. Zuletzt die Petersilie grob hacken und darüberstreuen. Dazu: trockener Weißwein z. B. Moschatos oder Demestica, und – Ouzo!

Foto: BS/Griechische Botschaft

Demokratie. Weil dies – auf gut (alt-)griechisch δημοκρατία dēmokratía – “Herrschaft des Staatsvolkes” bedeutet, schickt dieses den Wittelsbacher Otto I. 1862 mehrheitlich freundlich, aber nachdrücklich zurück nach Bayern. Wenn wir der Ilias Homers glauben, so dürfte auch diesmal “ein unermessliches Lachen erschollen sein aus dem Munde der Götter”. Was für eine

Welt, in deren Himmel schallend gelacht wird! Doch das könnte ihnen auf dem Olymp, wegen der sehr weltlichen Vorgänge drunten im Lande, heute vergangen sein.

Generalkonsulin und Botschafterin Um diese im Alltag in Berlin diplomatisch zu ordnen, weiter-

zureichen, Initiativen zu ergreifen oder gar Paukenschläge der Staatsmänner in zarte Harfenklänge zu verwandeln, ist Mara Marinaki, 64, im März 2021 als Botschafterin angetreten und gut gerüstet. Sie kommt 1980 erstmals ins Außenministerium, 1988 nach Washington, wird 1995 griechische Generalkonsulin in Berlin, kehrt 2002 als bevollmächtigte Ministerin nach Athen zurück, arbeitet in Wien bei der OSZE und berät und koordiniert als Botschafterin den Europäischen Auswärtigen Dienst des Landes in Frauen-, Friedens- und Sicherheitsfragen, bevor sie ihren ersten Job als Frontfrau in Deutschland antritt.

Wieder im Aufwind

Fünf Meere umgeben Griechenland: das Ionische Meer im Westen, das Mittel- und das Libysche und Kretische Meer im Süden sowie die Agäis im Osten. Foto: BS/Pixelkorn, stock.adobe.com

Nach Finanzkrise, Pandemie und den gewaltigen Waldbränden hat ihr Land schwere Jahre hinter sich und Marinaki einiges zu erklären, dass und warum es mit der Ökonomie bergauf geht, wieder mehr Geld in der Staatskasse ist und die Wirtschaft wächst. Nach Jahren der Dürre, voller Einsparungen und Kürzungen kann Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis ob der verbesserten Konjunkturindikatoren nun Steuersenkungen und Sozialleistungen ankündigen. Etwa 3,4 Milliarden Euro sollen diese kosten und sowohl Bürgern als auch Unternehmen zugute kommen. “Zudem wurden einige bedeutende Programme zur Unternehmensförderung bereits durch das Partnerschaftsabkommen mit der griechischen Entwicklungsbank eingeleitet, während wichtige wirtschaftliche Unterstützungsmaßnahmen für Arbeitnehmer ebenfalls umgesetzt werden. Die Barreserven Griechenlands reichen, dank ihrer effektiven Verwaltung, für

den Schuldendienst aus”, unterstreicht Marinaki.

Solide Wachstumsprognosen Ministerpräsident Mitsotakis will das Land auch innerhalb von 18 Monaten auf das Niveau eines investitionswürdigen Schuldners führen – eine Priorität seiner der Regierung. “Die vorläufigen Resultate bezüglich der Anwerbung von international anerkannten Unternehmen und von Persönlichkeiten mit hohem Prestige lassen uns”, so Botschafterin Marinaki, “optimistisch in die Zukunft blicken. Wir intensivieren unsere Bemühungen für die Unterzeichnung von neuen Verträgen zur Schaffung von gut bezahlten Arbeitsplätzen. Was zugleich das zentrale Wahlversprechen der Regierung ist, die mit Genugtuung die Prognosen zur Kenntnis genommen hat, dass unsere Wirtschaft 2021 um 4,3 Prozent und 2022 um sechs Prozent wachsen wird”, erläutert die Botschafterin.

Digitales Griechenland Wachsen soll auch die Zufriedenheit der Griechen durch ein umfängliches Digitalisierungsprogramm der Verwaltung, das das Leben der Bürger und ihr Verhältnis zum Staat vollkommen verändern soll. “Bereits jetzt besteht die Möglichkeit, die Webseite www.gov.gr aufzurufen, um aufwendige und umständliche Behördengänge, Belange und Dienstleistungen schnell und unbürokratisch per Mausklick zu erledigen. Darüber hinaus wird dieses Jahr die Mehrheit der Bürger entweder keine zusätzlichen Steuern zahlen (in Griechenland wird ein Großteilder Einkommenssteuer schon vor Auszahlung des Gehalts einbehalten) oder schon gezahlte teilweise zurückerstattet bekommen. Die Regierung erfüllt damit ihr Wahlversprechen von

ist auch der durch Corona arg betroffene Tourismus. Der größte Wirtschaftsbereich des Landes hatte allein im letzten Jahr einen Einkommensverlust von 75 Prozent, erwirtschaftete aber immerhin noch Einnahmen von vier Milliarden Euro. “Der größte Erfolg besteht darin, dass er, abgesehen von seinem Beitrag zum BIP des Landes, das Image Griechenlands als Covi-19-sicheren Zielort bewahrt hat. 2021 dürfte ein besseres Jahr sein. Die Anwendung von Hygienevorschriften zum Schutz der Gesundheit, die Ausbildung und Vorbereitung des betroffenen Fachpersonals sowie der Einsatz von Impfstoffen, Medikamenten und des digitalen Covid-Zertifikats der EU, deuten darauf hin”, meint die Botschafterin. Alles wird gut oder zumindest besser – auch das ramponierte deutsche Ansehen. Nach der Beteiligung am “dunklen Treiben der Troika” (IWF, EU und EZB) während der griechischen Staatsschuldenkrise vor etwa zehn Jahren galten wir nämlich als “Eroberer und Schulmeister”.

Deutschland und EU-Kommission sind Verbündete “Die deutsch-griechischen Beziehungen befinden sich”, ist Botschaftern Marinaki überzeugt, “nach den schwierigen Jahren der Finanzkrise in einer Phase des Aufschwungs. Unsere Regierungen arbeiten eng zusammen, auch im Rahmen der Europäischen Union. Die Aussagen und Stellungnahmen aus Berlin finden immer großes Gehör und Anerkennung in Athen. Die öffentliche Meinung betrachtet Deutschland und die Europäische Kommission nicht als Eroberer, sondern als Verbündete, deren Rat und Unterstützung gerade jetzt in Griechenland immer willkommen sind.” Ähnliches gilt auch mit Blick auf Europa, “dessen fester und wichtiger Teil wir sind, verbunden durch Geschichte, Tradition und Kultur. Trotz der hiesigen Medienberichte haben die Griechen immer an der EU und dem Euro festgehalten und nie einen Austritt erwogen. Das aktuelle Euro-Barometer ist dafür der beste Beweis: 81 Prozent meiner befragten Landsleute unterstützen die gemeinsame Währung, verglichen mit 70 Prozent der Befragten in der gesamten EU 93 Prozent der Griechen unterstützen die Freizügigkeit des Schengen-Abkommens, verglichen mit 85 Prozent derer in der übrigen EU”, so Marinaki zum Abschluss.

Neuer Schwung für die Demokratie? Drei Mal 108 bei der Konferenz zur Zukunft Europas (BS/por) Ende Oktober hat die zweite Plenarversammlung der “Konferenz zur Zukunft Europas” in Straßburg stattgefunden. Im Mittelpunkt standen dabei die Bürger.

“Gottes Weisheit, Freiheit und das Land”, sollen sich in der Flagge Griechenlands widerspiegeln. Während Blau den Himmel und das Meer symbolisieren soll, steht Weiß für die Reinheit des Unabhängigkeitskampfes. Das Kreuz im oberen Eck kennzeichnet die christliche, griechisch-orthodoxe Tradition des Landes. Foto: BS/Rawf8, stock.adobe.com

Dem Gremium gehören 108 Mitglieder des Europäischen Parlaments, Vertreter des Rates (zwei pro Mitgliedsstaat), drei Vertreter der Kommission und 108 Mitglieder der Parlamente der Mitgliedsstaaten an. Sie alle sind untereinander in diesem Forum gleichberechtigt. Die gemeinsamen Vorsitzenden der Konferenz sind der Belgier Guy Verhofstadt, Mitglied des Europäischen Parlaments, der Slowene Gašper Dovžan, Staatssekretär des Außenministeriums in Ljubljana im Rahmen des slowenischen Ratsvorsitzes, und die Kroatin Dubravka Šuica, Vizepräsidentin der EU-Kommission und Kommissarin für “Neuen

Schwung für die Europäische Demokratie”. Auch nahmen 108 Bürger an dem Treffen in der elsässischen Hauptstadt teil. Bei der Versammlung standen diesmal die bisherigen Vorschläge der Bevölkerung im Mittelpunkt. Die vier “Europäischen Bürgerforen” haben ihre ersten Sitzungen abgehalten, an denen sich rund 800 Bewohner aus der gesamten EU beteiligt haben. Im Mittelpunkt eines der Foren stand das Thema “Demokratie in Europa / Werte und Rechte, Rechtsstaatlichkeit, Sicherheit”. Im Einzelnen ging es dabei um Aspekte im Zusammenhang mit Demokratie wie Wahlen, Teilhabe außerhalb der

Wahlperioden, wahrgenommene Distanz zwischen den Bürgern und ihren gewählten Vertretern, Medienfreiheit und Desinformation. Das Forum behandelte ferner Fragen im Zusammenhang mit Grundrechten und Werten, Rechtsstaatlichkeit und der Bekämpfung aller Formen von Diskriminierung. Gleichzeitig befasste sich das Gremium mit der Inneren Sicherheit innerhalb der EU, z. B. dem Schutz der Europäer vor terroristischen Handlungen und anderen Straftaten. Die nächste Plenarversammlung der Konferenz findet am 17. und 18. Dezember statt. Bis dahin werden weiterhin Vorschläge der Bevölkerung gesammelt.


Kommune Behörden Spiegel

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Berlin und Bonn / November 2021

Gegen düstere Zeiten

KNAPP Grundsteuer C wieder eingeführt

Strukturwandel in Kommunen nachhaltig gestalten (BS/Jörn Fieseler) Ankunft am Bahnhof. Auf der einen Seite, unweit des Gebäudes, steht eine ausgebrannte Ruine. Es war die erste Glashütte der Stadt. Die Ruine steht unter Denkmalschutz und ist seit dem Brand weder saniert noch abgerissen worden. Auf der anderen Seite führt der Weg in eine kleine, fast menschenleere Innenstadt. An der Hauptverkehrsstraße zweigen in Richtung Ortsrand kleine Straßen ab, die an leeren Grundstücken entlangführen, die fast schon bewaldet sind. Der Strukturwandel hat hier gnadenlos zugeschlagen. Es ist nur eins von vielen kommunalen Beispielen. Doch so ähnlich die Problemlage vielerorts ist, so unterschiedlich müssen die Lösungen sein. Die Rede ist von der Stadt Weißwasser in der Oberlausitz nahe der deutsch-polnischen Grenze. Rund 40.000 Menschen lebten in der Hochburg der Glasindustrie vor der Wiedervereinigung. Jetzt ist die Einwohnerzahl wieder auf dem Niveau von 1970 angekommen: rund 19.000. Und der nächste Strukturwandel steht schon vor der Tür. Die Schließung des Tagebaus Nochten im Süden der Stadt spätestens zum Jahr 2038. Mehrere 1.000 Arbeitsplätze sind in der Region betroffen. “Wir sind dabei, uns neu zu erfinden”, sagt Weißwassers Oberbürgermeister Torsten Pötzsch. Es gelte, neue Branchen und neue Ideen zu finden, die sich in der großen Kreisstadt im Landkreis Görlitz ansiedeln beziehungsweise dort umgesetzt werden könnten. Neben neuen Ideen soll aber auch die Geschichte wieder aufleben. “Wir versuchen, das Rad der Geschichte zurückzudrehen und die Glasindustrie wieder in die Stadt zu bekommen”, beschreibt Pötzsch einen weiteren Ansatz, um dem Strukturwandel entgegenzuwirken. Letztendlich gehe es darum, die Stadt zu promoten und für Menschen und Unternehmen attraktiv zu machen. Das hat Bottrop im Ruhrgebiet schon getan. In der früheren Bergbaustadt hat der Strukturwandel vor 26 Jahren begonnen, berichtet Christina Kleinheins. Damals fiel die Entscheidung, den Steinkohlebergbau zu beenden. “Die ganze Zeit haben uns zwei Themen begleitet: der Strukturwandel und die Haushaltskonsolidierung”, so die Leiterin des Stadtplanungsamtes. Jetzt sei Ersterer weitestgehend vollzogen. Die Flächen des Bergbaus seien keine Brachen mehr. Auch wenn die letzten beiden

In Regionen mit Strukturwandel gibt es meist ein düsters Bild: abwandernde Bevölkerung, Unternehmen, die Pleite gehen, leerstehende Häuser, zuwachsende Grundstücke. Doch es muss nicht alles in Tristesse versinken. Vielfältige und individuelle Lösungsmöglichkeiten sind gefragt, die auf den örtlichen Gegebenheiten aufsetzen, damit die Zukunft wieder heller wird. Foto: BS/Piotr, stock.adobe.com

Bergbauschächte erst kürzlich geschlossen und verfüllt worden seien. “Das war weniger ein strukturelles, sondern eher ein emotionales Problem”, so die Amtsleiterin aus der rund 120.000 Einwohner zählenden Großstadt. Mit großen Projekten wie dem Emscherpark oder dem Leitprojekt Innovation City habe man den Strukturwandel geschafft. So unterschiedlich die Ausgangslage zwischen diesen Städten auch ist, so haben sie doch einiges gemeinsam. “Handlungsspielräume zur integrierten Regionalplanung sind zwar vorhanden, doch oftmals fehlt es an Personal, Zeit und Geld”, sagt Dr. Johannes Venjakob, Geograf und Co-Forschungsbereichsleiter am Wuppertal Institut. Damit seien die Handlungsmöglichkeiten strukturell eher schlecht. Das kann Pötzsch nur bestätigen. Zwar habe der Bund mit dem Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen versucht, Abhilfe zu schaffen, doch der erhoffte Effekt werde nicht eintreten, ist sich der Weißwasseraner sicher. Trotz der insgesamt 14 Milliarden Euro,

die bis 2038 für alle betroffenen Gebiete zur Verfügung stehen. In seiner Verwaltung sitzt jeweils ein Mitarbeiter im Tiefbau- und im Hochbauamt. Kapazitäten, um nach Förderprogrammen zu suchen, seien da Mangelware. Zudem sehe das Strukturstärkungsgesetz immer noch eine Eigenbeteiligung von zehn Prozent vor. “Bei einem Projektvolumen von fünf Millionen Euro sind das immer noch 500.000 Euro, die eine Stadt erst mal aufbringen muss.” Auch Kleinheins bestätigt: “Teilweise werden Förderprogramme nicht in Anspruch genommen, weil die Zeit zur Umsetzung einfach zu knapp ist.” Bis die Förderanträge gestellt und genehmigt seien, blieben nur noch ein oder zwei Jahre für die Umsetzung. In Bottrop habe man deshalb den Schulterschluss mit den Nachbarkommunen gesucht. “Wir haben informelle Arbeitskreise gegründet, um für das Land als Fördergeldgeber Konzepte und Projekte als Region zu sammeln und aufeinander abzustimmen”, berichtet Kleinheins. Deshalb gebe es im Ruhrgebiet gefühlt an

die 400 interkommunalen Kooperationen. Das kann sich Pötzsch beim Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen kaum vorstellen. Der Fehler liege im System. Die Förderkulisse sei so breit gezogen worden, dass viele Kommunen profitieren würden, die nicht im Kernbereich des betroffenen Gebietes lägen und teilweise 70 Kilometer davon entfernt seien. Das fördere einerseits das Konkurrenzdenken, andererseits erhöhe sich dadurch die Zahl der Projekte, sodass die Gelder schneller weg seien. Pötzsch wirbt deshalb dafür, eine Förderquote von 30 Prozent für den Kernbereich festzuschreiben und für die Förderung Obergrenzen festzulegen, um die Wirksamkeit der des Gesetzes zu erhöhen. Ob es zu diesen Änderungen noch kommt, ist ungewiss. Eines steht allerdings schon jetzt fest. Der Kohleausstieg wird nicht der letzte Strukturwandel in Deutschland sein. Andere Branchen und Regionen werden folgen. Im Einzelhandel hat er bereits eingesetzt, fällt jedoch in jeder Stadt und Gemeinde aufgrund der Kleinteiligkeit ge-

ringer aus. Anders beim Thema Mobilität. Die Verkehrswende wird nicht vor der Automobilwirtschaft halt machen, ist Venjakob überzeugt. Und was sich durch die Digitalisierung und beispielsweise durch den Einsatz von 3D-Druckern noch alles ändern werde, sei zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht absehbar. Der Wissenschaftler plädiert deshalb für eine nachhaltige Gestaltung. Dazu sollten Kommunen weniger auf einzelne Leuchttürme setzen, sondern einen breiten Mix an Projekten und Branchen anstreben. Nur so sei man zukunftssicher aufgestellt. Und der Weißwassera­ner Oberbürgermeister wirft ein: So wichtig neue Unternehmen auch seien, die eingesessenen dürften nicht vergessen werden. Wenn jedes dieser 20 Arbeitsplätze schaffe, sei der Stadt und der Region ebenfalls geholfen. “Kommunaler Strukturwandel” war Thema einer Diskussionsrunde auf NeueStadt.org. Die Sendung wurde aufgezeichnet und kann unter https://neuestadt.org/media thek/ abgerufen werden.

(BS/mj) Ab 2025 können badenwürttembergische Kommunen einen gesonderten Hebesatz für unbebaute, baureife Grundstücke festlegen. Mit der geplanten Einführung einer Grundsteuer C soll den Kommunen die Möglichkeit gegeben werden, mehr Wohnraum zu schaffen. Laut Finanzminister Dr. Danyal Bayaz entsteht durch die Einführung im Rahmen des “ Gesetzes zur Änderung des Landesgrundsteuergesetzes und zur Einführung eines gesonderten Hebesatzrechts zur Mobilisierung von Bauland” ein Anreiz, brachliegende Grundstücke zu bebauen. Es soll dann im Ermessen der einzelnen Kommunen liegen, ob sie von der Grundsteuer C Gebrauch machen. Per Allgemeinverfügung kann dann die jeweilige Kommune ihre städtebaulichen Erwägungen begründen und das Gemeindegebiet, auf das sich der gesonderte Hebesatz beziehen soll, inklusive der betreffenden baureifen Grundstücke, benennen.

Nachhaltige Mobilität für Klimaschutz

(BS/mj) Der Deutsche Städtetag fordert mehr Nachhaltigkeit beim ÖPNV. Burkhard Jung, Präsident des Deutschen Städtetages und Leipzigs Oberbürgermeister, erklärt: “Wir brauchen moderne Busse und Bahnen mit emissionsfreien Antrieben, engere Takte, kundenorientierte Angebote über alle Verkehrsträger hinweg sowie gute Verbindungen zwischen Stadt und Land.” Hierfür brauche es eine echte Investitionsoffensive vom Bund, indem die Regionalisierungsmittel ab 2022 auf rund 10,5 Milliarden Euro und dann Jahr für Jahr um weitere 1,5 Milliarden angehoben würden. Auch der DStGB fordert mehr finanzielle Unterstützung seitens des Bundes, um moderne ÖPNV-Angebote in die Fläche zu bringen sowie Digitalisierung und Vernetzung des ÖPNV mit weiteren nachhaltigen Verkehrsträgern zu beschleunigen.

→ 22.–23. Februar 2022, Handwerkskammer Hamburg

Tag der Beteiligungsverwaltung Vom passiven Verwalten zum aktiven Steuern

DER Treffpunkt für das Beteiligungsmanagement, öffentliche Unternehmen, Politik und Aufsichtsrat Weitere Informationen zur Veranstaltung sowie Online-Anmeldemöglichkeit unter: www.beteiligungsverwaltung.org


Kommunalpolitik

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it dem Angebot “#1BarriereWeniger” möchte die größte private Förderorganisation im sozialen Bereich in Deutschland den öffentlichen Raum schnell und unkompliziert barrierefreier machen. Zum Beispiel mit einer Rampe für die Bäckerei vor Ort, einem Blindenleitsystem im Stadthaus oder Informationen in Brailleschrift im Einkaufszentrum – mit bis zu 5.000 Euro Fördersumme sind die Möglichkeiten vielfältig. Finanziell unterstützt werden Ideen, die von Unternehmen aus der Privatwirtschaft, öffentlichrechtlichen Institutionen und Behörden in Zusammenarbeit mit gemeinnützigen Vereinen und Organisationen umgesetzt werden.

Barrierefreiheit in Deutschland? Fehlanzeige! Wie dringend dieser Bedarf ist, zeigt eine Online-Umfrage von Ipsos im Auftrag der Aktion Mensch: Zwei Drittel der Menschen in Deutschland (65 Prozent) stoßen im Alltag auf Barrieren. Befragt wurden mehr als 5.000 Menschen mit und ohne Behinderung. Zu den genannten Top-Barrieren zählen neben baulich-räumlichen Barrieren schwierige Formulare und unübersichtliche Internetseiten. Von Barrieren sind sehr viele Menschen betroffen – Menschen mit Behinderung, aber auch Menschen, die mit dem

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ie Ursprünge von Friedhöfen reichen bis ins Mittelalter zurück. Damals lag das Bestattungswesen allein in kirchlicher Verantwortung. Die Beisetzungen erfolgten im christlichen Abendland nach bestimmten Regeln. Bekannt sind die rechtlichen Vorgaben Karl dem Großen um das Jahr 800 nach Christus. Damals durften Tote nicht verbrannt werden und waren bei den Kirchen zu begraben. Nur dort konnte man in geweihter Erde auf die Auferstehung hoffen. Mit der Zeit wandelte sich der “Kirchhof” zum “Friedhof”, der vor allem den Lebenden ein Ort des Trostes in der Gewissheit ihres Glaubens sein sollte. Immer mehr wurde der Friedhof ein Ort der Erinnerung und des Gedenkens. Das Steinmetzhandwerk errichtete Grabdenkmale, welche sichtbares Zeichen des Gedenkens wurden. Kommunen erkannten ihre Verantwortung für die Bürgerschaft und wurden Träger von Friedhöfen. Ohne Ansehen von Person, Herkunft, Weltanschauung oder Stand wollten die Gemeinden angemessene Begräbnisse ermöglichen. Die Angehörigen übernahmen Gestaltung und Pflege der Gräber. Der Friedhof wurde ein Ort der Kommunikation. Man “spricht” mit den Verstorbenen. Der Friedhof wird Begegnungsort und vor allem, aber nicht nur ältere Menschen kommen miteinander ins Gespräch. Heutzutage suchen viele Menschen nach Alternativen zu den traditionellen Familiengrabstätten. Heute Verstorbene kommen immer häufiger aus Singlehaushalten. Die Zahl ihrer Hinterbliebenen ist dann zwangsläufig überschaubar und somit auch die Zahl der Menschen, die sich um Grabstätten von verstorbenen Familienangehörigen oder Freunden kümmern oder dafür bezahlen wollen.

Wert der Friedhöfe wird weniger geschätzt Zudem entscheiden sich immer mehr Menschen nicht mehr für die Beisetzung auf dem Friedhof, sondern für alternative Bestattungsformen wie die Seebestattung oder die Bestattung in Urnenwäldern. Offenbar verlieren Friedhöfe ein Stück an “Attraktivität”. Viele Menschen schätzen nicht mehr den Wert

Behörden Spiegel / November 2021

Barrieren im Alltag abbauen Aktion Mensch geht mit Förderaktion “#1BarriereWeniger” neue Wege (BS/Christina Marx*) Kaputte Fahrstühle, zugestellte Wege und komplizierte Texte bei Versicherungen und Behörden machen vielen Menschen in der Gesellschaft das Leben schwer. Hier setzt nun eine neue Förderaktion der Aktion Mensch an. Kinderwagen oder dem Rollator unterwegs sind. Häufig scheitert die Umsetzung, gerade bei privaten Unternehmen und kleineren Einrichtungen, an Geld und personellen Ressourcen.

Wirtschaft und Vereine schließen sich zusammen Mit der neuen Förderaktion “#1BarriereWeniger” bietet die Aktion Mensch nun eine Lösung, um mehr Orte in Deutschland zu schaffen, die für alle erreichbar und nutzbar sind. Wie dies gelingen kann, zeigt das Eiscafé Dolomiti in Helmstedt bei Wolfenbüttel: In der beliebten Eisdiele hatten viele Menschen mit Lernschwierigkeiten es bis vor Kurzem mit der Bestellung nicht leicht: Sie konnten die Speisekarte des Lokals und die darin enthaltenen Preise in Form klassischer Zahlen nicht verstehen. Mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Lebenshilfe vor Ort entwickelte das Dolomiti eine Eiskarte in Leichter Sprache – finanziert durch das Förderangebot “#1BarriereWeniger”. “Die Beantragung hat wahnsinnig unkompliziert funktioniert – und

“#1BarriereWeniger”: Im Eiscafe Dolomiti macht die neue Eiskarte es Kundinnen und Kunden mit Behinderung leichter, ihr Lieblingsgericht zu finden, zu erkennen, ob sie genug Geld dafür dabeihaben und welche Zutaten und Allergene enthalten sind. Foto: BS/Aktion Mensch

das Fördergeld stand schnell zur Verfügung”, sagt Henrike Schirren von der Lebenshilfe HelmstedtWolfenbüttel. Die neue Eiskarte macht es Kundinnen und Kun-

den mit Behinderung leichter, ihr Lieblingsgericht zu finden und zu erkennen, ob sie genug Geld dafür dabeihaben: Die Zutaten und Allergene wurden als kleine

Bilder neben dem entsprechenden Eisbecher aufgeführt, ebenso die Preise als Piktogramme der Münzen. “Ich freue mich, wenn durch die leichtere Speisekarte

Wider die posthume Abwanderung Friedhofskultur im Wandel (BS/Rolf Hartmann) Friedhöfe in Deutschland spiegeln das gesellschaftliche Leben. Sie sind Zeichen einer gewachsenen Kultur. Deutsche Friedhofskultur ist in der Welt einzigartig. In den letzten Jahren hat sich die Pietät kommerzialisiert. Firmen, die Bestattungen z. B. im Wald anbieten, nutzen ein aktuelles Phänomen. Die Bestattungskultur ist von großen gesellschaftlichen Veränderungen betroffen. Der klassische Friedhof ist nicht mehr exklusiver Ort für die Beisetzung.

Urnengräber, Rasengräber, Familien- oder Freundschaftsbäume - neben dem klassischen Grab mit Grabstein haben sich viele neue Bestattungsformen etabliert. Es braucht eine positive Erzählung einer neuen Trauerkultur. Foto: BS/Frank Wagner, stock.adobe.com

der Friedhöfe als Kulturraum und Begegnungsstätte. Obwohl der Tod das sicherste Faktum in unserem Leben ist, wird er auch heute noch weitgehend tabuisiert. Angehörige werden im Übrigen wesentlich kostenbewusster und streben pragmatische Lösungen an. Da niemand posthum “zur Last werden will”, sind pflegeleichte Lösungen für den Umgang mit Verstorbenen gefragt. Insbesondere die Grabpflege wird von vielen als Belastung wahrgenommen. Aufgrund der zunehmenden Mobilität von Familien bleiben oft kaum Verwandte in den Heimatorten zurück, die sich um die Gräber kümmern könnten. Das führt dazu, dass es wesentlich mehr kleine, pflegeleichte Urnengräber gibt. Die Gesamtentwicklung führt dazu, dass immer mehr Friedhöfe von der Schließung bedroht sind. Die Situation wird zudem durch sogenannte Überhangflächen, also Flächen, die nicht mehr benötigt werden, verstärkt. Sie

entstehen auch, weil Urnengräber nicht so viel Platz benötigen wie klassische Erdbestattungen. Diese Situation hat vor allem finanzielle Konsequenzen. Auf vielen Friedhöfen müssen die Gebühren erhöht werden, um die gesetzlich geforderte Kostendeckung zu realisieren, was wiederum zu weiteren posthumen Abwanderungen führt. Unsere Friedhöfe drohen als Ort der Begegnung, Erinnerung und Kultur zu verschwinden.

Negative Ursachen liegen im Friedhofswesen selbst In der Gemeinde Blankenheim wurde bereits im Jahre 2010 erkannt, dass gegen diese negative Entwicklung proaktiv reagiert werden muss. Viele negative Ursachen waren dabei im Friedhofswesen selbst zu suchen. Es mussten neue Wege bei der Friedhofsplanung und den Gestaltungsvorgaben von Grabstätten gefunden werden. Gerade im konservativ und katholisch geprägten ländlichen

Raum der Eifel mussten hier alle Interessenvertreter mit ins Boot genommen werden. So wurde zunächst ein interfraktioneller Arbeitskreis gegründet, an dem auch die Bestatter und die Religionsgemeinschaften beteiligt waren. In Zuge dieses Prozesses wurden neue Bestattungsformen zugelassen.

Neue Bestattungsformen Nun konnte eine pflegefreie Grabstätte zur Erdbestattung als sogenanntes Rasengrab erworben werden. Die erstmalige Herstellung der Rasenfläche und die Errichtung eines Grabmals sind Aufgabe der Angehörigen. Die Pflege und Unterhaltung der Rasenfläche erfolgt während der 30-jährigen Nutzungszeit durch die Gemeinde. Eine weitere Idee war eine pflegearme Grabstätte zur Erdbestattung. Diese umfasst zur einen Hälfte Rasen, zur anderen Hälfte Grabbepflanzung mit Blumen u. a. Die Herstellung inklusive Grabmal erfolgt durch die An-

gehörigen. Die Pflege und Unterhaltung der Bepflanzung obliegt mindestens zwei Jahre ebenfalls den Angehörigen. Dagegen wird die Pflege und Unterhaltung der Rasenfläche während der 30-jährigen Nutzungszeit durch die Gemeinde garantiert. Erstmals wurde es möglich, eine Baumgrabstätte zur Urnenbeisetzung zu erwerben. Dies gilt auch für das Verstreuen der Asche des Verstorbenen im Aschestreuwald/-feld. Dabei kann die Asche des Verstorbenen in einem vorab ausgewählten Bereich des Friedhofes durch Verstreuen beigesetzt werden. Bei diesen Bestattungsformen ist eine Ablage von Blumenschmuck oder Ähnliches nicht möglich. Aus diesem Grunde wurde eine zentrale Gedenkstätte zur Ablage von Grabschmuck eingerichtet. Anonyme Bestattungen durch Ausstreuen der Totenasche auf eigens dafür ausgewiesenen Streufeldern wurden ebenfalls möglich.

Friedhofskultur angepasst Mit dem Erwerb eines Familien-/Freundschaftsbaumes können sich schon zu Lebzeiten die Bürgerinnen und Bürger eine letzte Ruhestätte für die Dauer von bis zu 100 Jahren sichern. Dort können bis zu zehn Urnen beigesetzt werden. Wer Inhaberin oder Inhaber des Nutzungsrechtes ist, kann entscheiden, welche Personen an diesem Baum beigesetzt werden. Die Gemeinde Blankenheim hatte erkannt, dass sich ihre Friedhofskultur den gesellschaftlichen Entwicklungen anpassen musste und nicht umgekehrt. Sonst drohen immer mehr posthume Abwanderungen, Es müssen neue Konzepte entwickelt werden. Eine parkartige Land-

mehr Menschen in meinem Eiscafé zusammenkommen und miteinander reden. Wenn alle meine Kund(inn)en glücklich sind, dann bin ich es auch”, sagt der Inhaber des Dolomiti, Salvatore De Cesare. Auch das Tierheim Schwedt an der Oder beweist, dass der Abbau von Barrieren allen nützt: Ein alter Zuweg voller Hürden machte es Menschen mit Rollator und Menschen im Rollstuhl schwer, sich in dem Tierheim zu engagieren. Durch das Förderangebot “#1BarriereWeniger” konnte das Tierheim mit der Lebenshilfe einen barrierefreien Zuweg errichten, der auch für Menschen mit Gehbehinderung leicht zu nutzen ist. Die Betreiberin des Tierheims, Ursula Wyrembek, freut sich: “Durch den neuen Weg können uns nun auch wieder mehr Menschen aus der Nachbarschaft mit unseren Tieren unterstützen.” Ein Gewinn für alle also und eines von vielen Projekten, die durch “#1BarriereWeniger” von nun an ermöglicht werden. Geeignete gemeinnützige Partner-Organisationen vor Ort findet man zum Beispiel auf der Aktion-Mensch-Karte (https:// www.aktion-mensch.de/karte/). Mehr Informationen zum Förderprogramm “#1BarriereWeniger” unter: bit.ly/1BarriereWeniger *Christina Marx ist Sprecherin der Aktion Mensch.

schaftsarchitektur ist ein guter, jedoch nicht ausreichender Ansatz. Friedhöfe als abgegrenzter und staatlich regulierter Raum werden in Zukunft scheitern. Gerade in diesem Zusammenhang muss neu gedacht werden (dürfen). Manche betrachten den Friedhof als Ärgernis und überreguliert. Die Stimmen mehren sich, dass alternative Beisetzungsformen auf dem Friedhof nicht ausreichen werden. Als negativ werden die rechtlichen Beschränkungen der Friedhöfe gesehen. Noch sind es Forderungen einer immerhin wachsenden Minderheit, den Bestattungszwang abzuschaffen. Der Umgang mit dem Tod sei in Deutschland weder modern noch weltoffen. Der Friedhof wird als einengend und freiheitsberaubend empfunden. Er verliere auch seine Bedeutung als Trauerort. Vielmehr fühle man sich eher den Orten zugezogen, die eine persönliche Bedeutung hätten. Soll also der kommunale Friedhof in seiner Kernfunktion als Ort der Beisetzung, der Trauer und des Gedenkens überhaupt noch eine Zukunft haben, muss er neu gedacht werden. Wir brauchen eine revolutionäre Vision von morgen. Es geht darum, eine positive Erzählung einer neuen Trauerkultur zu entwickeln, die vor allem Begeisterung auslöst und zum Handeln motiviert. Dabei müssen alle Erwartungen und Bedürfnissen der “Lebenden” von morgen ohne Tabu berücksichtigt werden. Unser Friedhof der Zukunft wächst jedenfalls organisch und nur mit den Menschen, die diese neue Bestattungskultur leben, und nicht mit den Verstorbenen. Es geht also primär weniger um neue Bestattungsformen als um eine (kommunal)politische Einsicht und Bereitschaft, das bisher Undenkbare überhaupt denken zu dürfen.

Rolf Hartmann war von 2004 bis Ende Oktober 2020 Bürgermeister der Gemeinde Blankenheim. Foto: BS/privat


Digitale Bildung

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odern ausgestattete Schulen sind ein wichtiger Entwicklungsmotor für eine Region und Digitalisierung birgt große Potenziale. Die Pandemie hat gezeigt, dass Städte an ihre Grenzen stoßen und mehr Menschen daran denken, aufs Land zu ziehen. Darin liegt eine große Chance. Denn je mehr sich unser Leben und Arbeiten ins Digitale verlagert, umso mehr Lebensqualität suchen wir in der analogen Welt. Wenn Menschen von überall aus arbeiten können, suchen insbesondere erwerbstätige Eltern einen Ort, an dem sich Arbeit, Leben und die Bildung der Kinder gut miteinander verbinden lassen.

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Analoge Grundlagen für digitale Zukunft Mit neuen Ideen Schule heute fit für morgen machen (BS/Dr. Sarah Henkelmann) Bildung legt die Basis für gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung sowie für digitale Souveränität. Allein deshalb ist digitale Bildung längst von einem Kann zu einem Muss geworden. Spätestens in der Pandemie sind die Versäumnisse in den Schu­ len, der Ausstattung und der digitalen Befähigung der Lehrkräfte deutlich zutage getreten. Aus dem Kreidezeitalter herauszutreten und den Schwung der Veränderung zu nutzen, um Schule und Lernen neu zu denken, ist jetzt möglich. Dafür braucht es Schulentwicklungen, bei der alle Akteure Hand in Hand agieren – Politik, Schulträger, Schulfamilie und auch nahe gelegene Aus- und Fortbildungsinstitutionen für Lehrende, Dienstleister, Anbieter von Lern- und Lehrinhalten sowie Hersteller von Bildungsmedien.

Foto: BS/SMART Technologies

Lernen neu denken Nachhaltige Impulse erzeugt man dabei, indem Lernen und Lehren nicht mehr auf einen physischen Raum begrenzt wird. Die Schule von morgen stellt die Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte in den Mittelpunkt und gibt ihnen Inspiration, Impulse und praktische Hilfestellungen im Digitalen. Unterricht, wie er heute größtenteils in Deutschland, Österreich und der Schweiz stattfindet, ist bald Vergangenheit. Jeder lernt anders, jeder hat andere Ressourcen – diese gilt es im individualisierten Unterricht zu nutzen. Dass sich Schulräume zwischen 1960 und 2021 nur unwesentlich verändert haben, ist angesichts der Herausforderungen für die Gesellschaft und der fantastischen Möglichkeiten, die neue Technik bereits heute bietet, eigentlich ein Unding. Bei der praktischen Umsetzung gibt es einiges zu bedenken. Nur mit professionellen, aufeinander und auf die pädagogischen Bedürfnisse der Schulen abgestimmten digitalen Werkzeugen kann der Sprung ins Digitale auch wirklich gelingen. Vor der Beschaffung von inter-

kann im Laufe der Jahre auch mit den gewonnenen Erfahrungen sinnvoll aufstocken. Und es gibt alternative Finanzierungen – Geräte können gemietet oder geleast werden.

Mit professioneller Lernsoft­ ware eine Basis für zeitge­ mäßen Unterricht schaffen

Die Schule von morgen stellt die Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte in den Mittelpunkt und gibt ihnen Inspiration, Impulse und praktische Hilfestellungen im Digitalen. Foto: BS/SMART Technologies

aktiven Displays, Tablets und Bildungssoftware sollte man sich die jeweiligen Firmen genau anschauen und prüfen, ob der Anbieter selbst Hersteller der Produkte ist oder lediglich Auftragsfertigungen vertreibt. Ist er es nämlich nicht, kann es nach geraumer Zeit zu großen Problemen kommen, zum Beispiel mit kaputten Geräten, für die es keine Ersatzteile mehr gibt. Die Anschaffungen müssen auch

pädagogischen Mehrwert liefern und kein Image-Selbstzweck sein, damit sie auch tatsächlich zum Einsatz kommen.

Günstig ist nicht gleich gut Sicherlich müssen Schulträger und Schulen auf das Budget achten, doch günstig ist nicht immer gleich gut. Wenn es um Investitionen in Millionenhöhe geht, spielt es eine große Rolle, ob der Anbieter seine Produkte

selbst entwickelt und herstellt, ob er ein funktionierendes Produktmanagement und -marketing hat und verlässlichen Service und Support anbietet. Einige Schulen kommen momentan an einen Punkt, an dem das Budget für die digitale Ausstattung knapp wird. Auch Schulträger, die früh Medienentwicklungspläne erarbeitet und sich eine Finanzierung durch den DigitalPakt Schule gesichert haben, stellen teilwei-

Digitalisierung ganzheitlich gedacht (BS/Ina Schlücker*) Ob Laptop oder Präsentationtechnik, Software-Tools oder WLAN-Ausleuchtung: Wie sieht die passende digitale Ausstattung für einen Schul-Campus aus? Mit einem Online-Konfigurator ermitteln Schulen und Schulträger, was sie benötigen, um den Unterricht digitaler zu gestalten und die dafür notwendige Infrastruktur zu betreiben. IT-Infrastruktur über Hardware und Anwendungen bis zu umfangreichen Services. Dabei spielen Konnektivität, erforderliche Bandbreite oder WLAN-Infrastruktur eine ebenso wichtige Rolle wie Datenschutz und Datensicherheit. Gleichzeitig berücksichtigt der Konfigurator intelligente Lernplattformen, AdministrationsTools und Schulungsangebote. Auch prüft der Schul-Konfigurator den Bedarf an Endgeräten. Im nächsten Schritt können die Schulen Laptops oder Tablets von führenden Herstellern und moderne Präsentationstechnik wie Beamer oder Whiteboards für die Klassenzimmer auswählen.

Digitaler Flickenteppich in vie­ len Schulen Vorläufiges Fazit: Virtueller Unterricht per Headset und LaptopKamera oder Klassenkommunikation in Chaträumen sind seit der Pandemie zwar im Schulalltag integriert, eine durchgängig optimale digitale Ausstattung findet sich jedoch kaum – gerade auch was digitalen Unterricht innerhalb des Schul-Campus betrifft. Stattdessen bremsen Behelfslösungen und mangelnde IT-Expertise die Lehrenden und Lernenden aus, wie eine KfW-Umfrage ermittelte. Demnach sind fehlendes Fachpersonal und umständliche Antragsverfahren für Fördermittel aus dem DigitalPakt die größten Hindernisse für die Digitalisierung der Schulen. Von den bereitgestellten

se fest, dass sie allein mit dem Aufbau einer WLAN- Infrastruktur und eines funktionierenden Netzwerks den Großteil ihres Budgets aufgebraucht haben. An diesem Punkt ist es sinnvoll, zunächst einen Fachbereich auszuwählen, dessen Lehrkräfte gerne mit digitalen Werkzeugen unterrichten möchten und somit den größten Mehrwert hätten. Es muss nicht gleich jedes Klassenzimmer ausgestattet sein, man

Schule der Zukunft

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it sieben Milliarden Euro fördern Bund und Länder seit 2019 mit einem gemeinsamen DigitalPakt die Digitalisierung von Schulen. Geld, das gerade auch im Lockdown helfen sollte, den Unterricht aufrechtzuerhalten – auch jenseits des Klassenzimmers: Von heute auf morgen war Homeschooling gefragt, Lehrerinnen und Lehrer mussten interaktiv und multimedial mit ihren Klassen kommunizieren können. Für die Schulträger galt es, schnell und flexibel neue digitale Lösungen zu installieren und zu nutzen.

Dr. Sarah Henkelmann ist Sprecherin des Netzwerks Digitale Bildung und ermutigt Akteure in Schule, Politik und Verwaltung, das Thema digitale Bildung optimistisch anzugehen und sich gegenüber innovativen pädagogischen Konzepten zu öffnen.

Fehlendes Fachpersonal und umständliche Antragsverfahren für Fördermittel aus dem DigitalPakt sind die größten Hindernisse für die Digitalisierung der Schulen. Foto: BS/Telekom

sieben Milliarden Euro waren bis Ende Juni 2021 gerade einmal rund 850 Millionen Euro abgerufen – nur etwa zwölf Prozent der bewilligten Fördersumme. Insellösungen und bruchstückhafte Digitalisierungskonzepte

Apple im Bildungsbereich (BS) Die Telekom ist als Apple Authorised Education Specialist zertifiziert. Auf Basis der Technologien von Apple liefert die Telekom ein ganzheitliches Konzept und breites Portfolio für Schulen und Schulträger, um sicher vernetzte Schulen und digitales, ortsunabhängiges Lehren und Lernen zu unterstützen. Das reicht vom flächendeckenden Breitbandanschluss als Basis bis zur Soft- und Hardware von Apple für den modernen Unterricht, über Plattformen und Cloud bis hin zu Service und Betrieb. Das alles unter Einhaltung der strengen deutschen Rechtsvorschriften mit Schutz vor Fremdzugriffen.

bleiben in vielen Schulen an der Tagesordnung. Aber können Schulen und Schulträger die richtigen strategischen Entscheidungen treffen, um langfristig digitale Prozesse sinnvoll in den Schulalltag zu integrieren? Zunächst einmal gilt es, die technologische Ausstattung in den Fokus zu rücken: Welche Breitbandzugänge, welche Hardware und welche Software-Tools sind notwendig, um optimale digitale Lernbedingungen zu bieten? Reicht die vorhandene Infrastruktur auf dem Schul-Campus für den kabelgebundenen Internetzugang (LAN) aus? Wie lässt sich leistungsfähiges WLAN in den Klassenzimmern installieren? Welche Präsentationstechnik

unterstützt moderne Unterrichtsmodelle am besten? Komplexe Fragen, die Schulen nicht immer hinreichend beantworten können.

Per Klick die passende Ausstattung ermitteln Hilfestellung kann hier der Schulkonfigurator der Telekom geben: Er beantwortet nicht nur Fragen zur technologischen Ausstattung, sondern ermöglicht den ganzheitlichen Überblick über die Digitalisierung von SchulCampus und Unterricht. Schulträger, Lehrkräfte oder IT-Verantwortliche ermitteln online mit wenigen Klicks den technischen Infrastrukturbedarf ihrer Schule. Der Konfigurator geht dabei auf sämtliche IT-Belange ein – von der

Überblick als Basis für Fördermittelanträge Die mithilfe des Konfigurators ermittelte Übersicht können – je nach Bundesland – Schulträger oder Schulen als Grundlage nutzen, um einen Medienentwicklungsplan zu erstellen und Fördermittel aus dem Digitalpakt zu beantragen. Darüber hinaus ermöglicht die Übersicht die

Grundsätzlich kommt man aber auch im Sinne einer nachhaltigen Schulausstattung nicht an an einer Kombination von Software mit interaktiven stationären Präsentationstechniken (ISPs) wie Smartboards oder interaktiven Whiteboards nicht vorbei. Die Software ist dabei ein Schlüsselfaktor – erst damit können Lehrende und Lernende intuitiv und zeitsparend zusammenarbeiten, wenn nötig auch im Distanzunterricht. Zu den Schlüsselkompetenzen, welche auch die OECD in ihrem Lernkompass 2030 gefordert hat, gehören auch interaktive Anwendungen von Medien, interagieren in heterogenen Gruppen sowie eigenständiges Handeln. Bloße Wissensanhäufung ist nicht mehr gefragt in der digitalen Zukunft.

persönliche Beratung durch ein Expertenteam der Telekom, das auf Wunsch für jede Schule ein individuelles Angebot erstellt. Je nach präferiertem IT-SupportLevel übernehmen zertifizierte IT-Expertenteams des Digitalen Schul-Service der Telekom die Konfiguration und Administration der Hardware oder das Komplettmanagement der Endgeräte. Die Teams kümmern sich um alle technischen Belange und vermitteln den Lehrkräften in regelmäßigen Schulungen das notwendige Wissen, um digitalen Unterricht optimal umzusetzen. Ein wichtiger Punkt, da laut KfW-Studie bisher vor allem fehlendes Know-how im Umgang mit der Technik die digitalen Prozesse ausbremste. Denn um Schulen erfolgreich zu digitalisieren, braucht es nicht nur leistungsfähige Technik, sondern vor allem kompetente Nutzer und Nutzerinnen. Dies unterstützt die Telekom mit ihrem individuellen Anwender-Support für Lehrkräfte und umfangreichen Services aus einer Hand. Mehr Informationen zum Schulkonfigurator unter: https://public. telekom.de/unsere-loesungen/digitale-schule/schulkonfigurator/ *Ina Schlücker ist Teil der Redaktion Palmer Hargreaves GmbH.

Microsoft Education (BS) Auf Basis von Microsoft 365 bietet die Telekom ein umfangreiches digitales Bildungspaket. Das modular aufgebaute Angebot eignet sich sowohl für Präsenz- als auch für Distanz- oder Wechselunterricht. Lehrende und Lernende können gemeinsam arbeiten, unabhängig davon, ob sie sich im Klassenzimmer oder zu Hause befinden. Im Paket inbegriffen sind die Bereitstellung von Laptops oder Tablets sowie die Lizenzen für Office 365. Ein Team von Microsoft-zertifizierten Expert/innen der Telekom konfiguriert die Geräte, nimmt sie in Betrieb und unterstützt mit Services und Support. Um unverbindlich erste Erfahrungen zu sammeln, können Schulen das Paket kostenlos testen.


Digitale Bildung

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ie Corona-Pandemie hat klar gezeigt, dass unser Bildungswesen agiler und flexibler werden muss. Denn bisher fehlt es Schülerinnen und Schülern – und damit den künftigen Mitarbeitenden von Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft – an echter digitaler Bildung. Das muss sich ändern, damit die Bundesrepublik im internationalen Wettbewerb langfristig erfolgreich bleiben kann und damit die Menschen selbstbestimmt und sicher, beruflich wie privat, am digitalen Leben teilhaben und dieses gestalten können. Doch wie kann das funktionieren? Grundsätzlich brauchen Menschen Zugang zu digitalen Lernangeboten, die ihrem individuellen Lernstand entsprechen und sie auf eine aktive Teilhabe an der digitalen Gesellschaft vorbereiten – und das gilt für alle Altersklassen. In einer immer komplexeren Welt müssen digitale Kompetenzen schon früh gestärkt werden. In den vergangenen zwei Jahren haben Schulen – getrieben durch die Corona-Pandemie – erste Unterstützung bei der Ausstattung mit Endgeräten der IT-Infrastruktur und -Administration erhalten. Doch ausreichender Zugang zu digitalen Bildungsinhalten, Kommunikationsplattformen sowie ganzheitliche Beratungs- und Fortbildungsangebote fehlen weiterhin. Zudem werden Lehrkräfte beim Datenschutz bisher meist allein gelassen; dabei brauchen sie zuverlässige, rechtssichere Vorgaben, die ihnen bei der Nutzung digitaler Angebote den Rücken stärken. Mit dem Wissen, wo es den Mitarbeitenden von morgen an digitaler Aus- und Weiterbildung mangelt, muss die neue Bundesregierung

Behörden Spiegel / November 2021

Der Schlüssel zur digitalen Welt Deutschlands Bildungswesen muss agiler und flexibler werden (BS/Daniel Breitinger) Deutschland und Dänemark trennen 74 Prozentpunkte. Während hierzulande 26 Prozent der Schulen laut einer Selbstauskunft über ein funktionierendes WLAN-Netzwerk verfügen, sind es im nordischen Nachbarland satte 100 Prozent. Die Differenz, eben jene 74 Prozentpunkte, ist ein kleines Mosaiksteinchen im großen Gebilde der mangelhaften digitalen Bildungspolitik in Deutschland. Doch eben jene fehlenden Steinchen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten summiert – und Deutschlands Bildungsmosaik zu einem höchst fragilen Gebilde werden lassen, das dringend der Nachbesserung bedarf.

In einer immer komplexeren Welt müssen digitale Kompetenzen schon früh gestärkt werden, gleichzeitig braucht es Vergleichbarkeit zwischen den Ländern und der Umsetzung digitaler Lösungen. BS/Bitkom

in der beginnenden Legislaturperiode ansetzen: Bildungspolitik muss dafür sorgen, dass alle Menschen – egal ob im schulischen, hochschulischen, beruflichen oder privaten Kontext – fortlaufend und niedrigschwellig auf passende Bildungsangebote zugreifen und diese flexibel in den Alltag integrieren können. Ziel muss ein Recht auf digitale Bildung für alle sein – und dafür braucht es verschieden Maßnahmen, von einer Föderalismusreform bis zu einem Weiterbildungsmonitor.

Kompetenzen und Grundlagen Zunächst braucht es dafür Rahmenbedingungen. Doch der Flickenteppich an Digitalisierungsmaßnahmen im Bildungswesen zwischen den einzelnen Ländern

und im Stadt-Land-Gefälle wird größer. Stattdessen braucht es Vergleichbarkeit zwischen den Ländern und der Umsetzung digitaler Lösungen. Deshalb benötigt der Bund dringend mehr Kompetenzen. Er muss in die Lage versetzt werden, bundesweite Mindeststandards zum Grad der Digitalisierung zu setzen und Schulen dort zu unterstützen und zu verpflichten, wo sie diese Vorgaben nicht erfüllen. Im Anschluss gilt es, die Lernund Lehrgrundlagen zu legen – und digitalen Unterricht nachhaltig und inklusiv auszubauen. Hierfür sind mehr als finanzielle Einzelmaßnahmen notwendig. Es braucht ein Finanzierungskonzept für digitale Bildung, das zusätzliche Mittel zur Verfügung stellt. Bund und Länder müssen

in einem Unternehmen, einem Verein oder in der öffentlichen Daniel Breitinger ist Referent für Bildungspolitik beim DigiVerwaltung. Das talverband Bitkom e. V. bedeutet jedoch nicht, dass nur Foto: BS/Bitkom junge Menschen auf diese Welt vorbereitet werden müssen. Der digitale Wandel findet einen gemeinsamen Plan zur dau- jetzt statt und betrifft daher auch erhaften, zeitlich unbegrenzten Menschen, die bereits heute im Finanzierung von IT-Ausstattung Berufsleben stehen – denn auch und -Administration, der Ent- diese müssen auf die durch die wicklung von pädagogischen Kon- Digitalisierung entstehenden Verzepten und neuen Lerninhalten änderungen vorbereitet werden, sowie Kommunikationstools und um auch in Zukunft handlungsLehrkräfteaus- und -fortbildung fähig zu bleiben. Um dies zu entwickeln und umsetzen. gewährleisten, bedarf es eines Online-Weiterbildungsmonitors, Digitaler Wandel im der Arbeitnehmenden, JobsuBerufsleben chenden wie auch UnternehAll das ist notwendig, weil sich men einen niedrigschwelligen nicht nur Prozesse, sondern auch und transparenten Überblick unser Verständnis von Arbeit di- zu den individuell passenden gitalisiert hat – ganz gleich ob Weiterbildungsangeboten und

deren Fördermöglichkeiten bietet. Die Digitalisierung betrifft jede Branche und jeden Bereich. Deshalb wird in Zukunft jeder Mensch grundlegende digitale Kompetenzen benötigen. Dazu zählt die Befähigung, Daten zu sammeln, zu bewerten und mit ihnen zu arbeiten – und das kollaborativ und digital. In ausgewählten und zukunftsweisenden Berufen etwa im IT-Bereich wird es zudem unerlässlich, Fähigkeiten der Webentwicklung zu beherrschen und Künstliche Intelligenz zu verstehen und mit ihr arbeiten zu können. Begleitet werden müssen die Fähigkeiten durch die passenden Soft Skills. Dazu zählen wir Kreativität, Zusammenarbeit, kritisches Denken, Kommunikationsstärke und informatisches Denken. Übersetzt man die Begriffe ins Englische, ergeben die jeweiligen Anfangsbuchstaben die “Fünf Cs” der modernen Arbeitswelt: Creativity, Collaboration, Critical Thinking, Communication und Computational Thinking. Und diese Fähigkeiten – gepaart mit digitaler Infrastruktur, digitalen Inhalte sowie qualifizierten Lehrkräften an unseren Schulen – müssen künftig dann doch weit mehr als ein Mosaik ergeben. Digitale Bildung muss zu einem felsenfesten Fundament für die Zukunft unserer Kinder und unserer Arbeitswelt werden.

Deutschland braucht nur eine Schulform Rolf Hartmann kommentiert das deutsche Bildungssystem (BS/Rolf Hartmann) Ausgegrenzt – das gilt für viele Menschen mit Behinderungen, leider auch in Deutschland, ein ganzes Leben lang. Das dürfte eigentlich nicht sein.

Vom digitalen Skeptiker zum Anwender Schritt für Schritt mit der Software “EduPage” (BS/Sebastian Fichner) Eine Software für alle Bereiche der Schulorganisation? Mit digitalem Klassenbuch, Stunden- und Vertretungsplan, Kalender und Messenger? Das klingt für viele Schulen fast zu schön, um wahr zu sein. Wie es geht, zeigt RAABE mit “EduPage”. Jede Neuerung erzeugt auch einen Widerstand, vor allem, wenn es um Digitalisierung geht. Als Experte für die Schulorganisationssoftware EduPage von RAABE weiß ich, dass es in den Schulen es meist zwei Lager gibt: Die einen wünschen sich eine digitale Lösung, die ihnen die Arbeit erleichtert, die anderen wollen am liebsten alles beim Alten belassen. EduPage gelingt es, beide zu vereinen – mit einem großen Leistungsumfang und

Umstellung gewöhnt werden. So geschehen z.B. bei KolSebastian Fichner, Experte für die Schulorganisationsping, einem der software EduPage von RAABE größten privaten Bildungsan Foto: BS/Bitkom bieter in BadenWürttemberg mit rund 60 Schullizenzen. einem durchdachten Onboar- Für eine persönliche Beratung ding-Konzept, bei dem alle Be- zu EduPage genügt eine E-Mail teiligten Schritt für Schritt an die an s.fichner@raabe.de.

MELDUNG

Nachhaltige Inklusion in Kommunen (BS/mj) Inklusion stärkt den Zusammenhalt, verbessert die Lebensqualität, stärkt die Demokratie, beinhaltet Barrierefreiheit, bringt Kreativität, verringert den Fachkräftemangel und spart Ressourcen. Das haben die Kommunen spätestens seit Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention für sich erkannt. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) betont, es brauche die entsprechenden Rahmenbedingungen, damit sich Vielfalt, Teilhabe und gegenseitiger Respekt in den Städten und Gemeinden entfalten könnten. Das Diskussionspapier “Inklusion in den Fokus der Städte und Gemeinden rücken” der Aktion Mensch und das “Host Town Program” im Rahmen der Special Olympic World Games formulieren vier Gelingensbedingungen, um Inklusion nachhaltig in den Kommunen zu implementieren: Zum einen müssten die Kommunalverwaltungen den Inklusionsprozess von oben stützen, motivieren und aktivieren, indem

sie beispielsweise Räume oder Plätze für Veranstaltungen zur Verfügung stellen und sich zu einem weiten Inklusionsbegriff bekennen. Zum anderen braucht es starke lokale Akteurinnen und Akteure von gemeinnützigen Vereinen, Wohlfahrtsverbänden oder Wirtschaftsunternehmen sowie Menschen aus den Zielgruppen als Expertinnen und Experten in eigener Sache, die auf Augenhöhe miteinander kommunizierten. Die Gesprächspartner zu befähigen, ihre Interessen und Ideen mit Mut und Selbstvertrauen zu formulieren, sei Handlungsfeld der Kommunen. Des Weiteren müssten Städte und Gemeinden professionelle Netzwerke aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und kommunaler Verwaltung aufbauen, in denen Austausch organisiert und Erfahrungen – beispielsweise zu Fördermitteln – gesichert würden. Und viertens müssten die Kommunen Begegnungsräume schaffen, in denen Alt und Jung, Menschen mit und

ohne Behinderung, Einheimische und Menschen mit Migrationshintergrund sich kennen- und schätzen lernten. Sowohl Aktion Mensch und Special Olympic Deutschland als auch der DStGB sehen im Sport einen wichtigen Ansatzpunkt, um Inklusion zu realisieren. 2023 wird Deutschland das erste Mal Gastgeber der Special Olympics World Games (SOWG) sein, in deren Rahmen das Projekt “170 Nationen – 170 inklusive Kommunen - das Host Town Program” stattfindet. In dem bundesweiten Programm können die Delegationen aus den verschiedensten Regionen der Welt in die Städte, Gemeinden und Landkreise kommen, um sich zu akklimatisieren, gemeinsam Sport zu treiben und vor Ort Land und Leute kennenzulernen. Alle Beteiligten sehen in dem Vorhaben die Chance, inklusive Strukturen in den Kommunen zu fördern sowie die Gesellschaft zu aktivieren und nachhaltig für Inklusion zu begeistern.

Für die Gesellschaft als Ganzes ist es nicht gut Kinder und Jugendliche mit Behinderungen in einem eigens für sie kreierten Lernumfeld abzuschotten – eine Gesellschaft bleibt nur menschlich, wenn die das Unvollständige und angeblich Defizitäre nicht ausschließt. BS/Gerd Altmann, pixabay.com

Die UN-Behindertenrechtskonvention, die in unserem Land seit 2009 gilt, sollte eigentlich mit der täglichen Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen aufräumen. Mehr Teilhabe am öffentlichen Leben, Inklusion in allen Bereichen, das sind Ziele, die in Deutschland bisher noch mit viel Luft nach oben verfolgt werden. Besonders die Inklusion in Schulen wird heftig diskutiert und vernachlässigt. Wenn sie gelingen soll, kostet sie Ressourcen: personelle und finanzielle. Dazu braucht es Geld, viel Geld, welches bisher nicht zur Verfügung gestellt wurde. Dabei schreiben sich alle Parteien auf die Fahne, in Bildung zu investieren, weil Bildung ja so wichtig für die Zukunft unseres Landes sei. Bisher sind dies nur Lippenbekenntnisse. Wo gibt es die “zwei Lehrer pro Klasse”, Individualisierung und Differenzierung im Unterricht, ein nicht nur auf Leistung getrimmtes Lernumfeld und den flächendeckenden Ganztagsunterricht? Das sucht man in Deutschland vergebens. Aber es würde allen Schülerinnen und Schülern gut tun. Stattdessen leistet sich Deutschland einen Flickenteppich an Schularten. Alleine in Nordrhein-Westfalen gibt es mit

die “eine” Schule. Leider wird in Deutschland dieses Thema zu Rolf Hartmann war von 2004 bis Ende Oktober 2020 Bürger- ideologisch gese meister der Gemeinde Blanken- hen. Diese “eine” heim. Foto: BS/privat Gesamtschule hat nichts mit einer sozialistischen Einheitsschule zu tun. Wenn sich alles auf eine der Grund-, Sekundar-, Haupt,- Schulform konzentriert, können Real-, Förder-, und Gesamtschule auch alle finanziellen und persowie dem Gymnasium sieben sonellen Ressourcen für die GeSchularten. So fahren in der Eifel samtschule eingesetzt werden. tagein, tagaus hunderte Busse, Mancher Ort könnte auch wieder die Schülerinnen und Schüler z. Schulstandort werden. Die Eltern B. aus dem Ort A in die Schule müssten sich keine Gedanken des Ortes B und umgekehrt. Das mehr machen, welche Schule die ist nicht nur ökologischer Wahn- beste für ihre Kinder ist. Aussinn, das ist Verschwendung von grenzung und Kinder in SchubSteuergeld und Lebenszeit der laden zu stecken, würden der Schulkinder. So leistet sich NRW Vergangenheit angehören. Eine noch immer den Luxus der För- Gesellschaft bleibt nur menschderschulen. Es mag sein, dass lich, wenn sie das Unvollständige leistungsstarke Schüler davon und angeblich Defizitäre nicht oberflächlich profitieren. Kinder ausschließt. Tatsächlich geht Bemit Behinderungen in ein eigens hinderung jeden an. Jeder kann für sie geschaffenes Lernumfeld krank werden und auf einmal im zu stecken, kann auch gut für Rollstuhl sitzen. Viele, die nicht einzelne Kinder sein. Auf jeden früh sterben, werden zwangsFall ist es ist nicht gut für die läufig die erschwerte Teilhabe Gesellschaft als Ganzes. Wir müs- spüren: Der Perspektivwechsel sen weg von dieser Heterogenität kommt dann ganz von alleine; der Schulformen. Wir brauchen nur leider zu spät.



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Behörden Spiegel / November 2021

Noch viele Hürden beim digitalen Unterricht

NRW: Digitalstrategie Schule vorgestellt

Am häufigsten sind Probleme mit dem Internet

Aktivitäten in drei Handlungsfeldern geplant

(BS/Matthias Lorenz) Durch die Corona-Pandemie hat sich nicht nur die Arbeit der öffentlichen Verwaltung schlagartig geändert. Auch Deutschlands Schulen mussten von jetzt auf gleich auf Homeschooling umstellen, ein gezwungener Digitalisierungsschub setzte ein. Doch der digitale Unterricht funktioniert auch nach anderthalb Jahren Pandemie alles andere als reibungslos. Das ergab eine Online-Befragung im Rahmen der Studie eGovernment MONITOR 2021 der Initiative D21 und der Technischen Universität (TU) München.

(BS/Matthias Lorenz) Nordrhein-Westfalens Schul- und Bildungsministerin Yvonne Gebauer (FDP) hat eine “Digitalstrategie Schule” vorgestellt. Demnach investiert das Land im Zeitraum von 2020 bis 2025 knapp zwei Milliarden Euro in die Digitalisierung der Schulen im Westen der Republik. Laut dem Ministerium für Schule und Bildung seien davon rund 184 Millionen Euro für ein zweites Ausstattungsprogramm für Schülerinnen und Schüler mit digitalen Endgeräten vorgesehen.

Die Größte Hürde für digitalen Unterricht sind Probleme mit dem Internet. Netzwerkprobleme und Geschwindigkeit erschweren das Arbeiten für Lehrkräfte, Eltern sowie Schülerinnen und Schüler Grafik: BS/Initiative D21 und TU München

Demnach berichten 85 Prozent der 7.851 Befragten auch im Jahr 2021 von Hürden im digitalen Unterricht. An erster Stelle liegen dabei Probleme mit dem Internet, von denen insgesamt 53 Prozent der Haushalte berichten, in denen schulpflichtige Kinder wohnen. Dieses Problem trete zwar am häufigsten in ländlichen Regionen auf, aber auch in Städten liege der Wert immer noch bei 48 Prozent. Mit 37 Prozent nannten die Befragten mangelnde digitale Kompetenzen der Lehrkräfte als zweite große Hürde. Insgesamt waren mit dem Schulunterricht während Corona laut Umfrageergebnis 48 Prozent zufrieden, 38 Prozent hingegen unzufrieden.

Internetverbindungen seien Armutszeugnis “Am Beispiel der Bildung rächt sich, dass wir die Weichen für den Digitalstandort Deutschland in der Vergangenheit nicht richtig und nicht früh genug gestellt haben”, analysiert Hannes Schwaderer,

Präsident der Initiative D21, die Situation im Bildungsbereich. Es sei ein Armutszeugnis, dass im Jahr 2021 unzureichende Internetverbindungen die größte Hürde für den digitalen Unterricht darstellten. Die neue Bundesregierung müsse die Situation hier schnell und nachhaltig verbessern. Für die Studie wurde auch untersucht, wie Lerninhalte zwischen Schülerinnen und Lehrkräften ausgetauscht wurden. Im Vergleich zu 2020 hätten sich in diesem Jahr einige Änderungen ergeben. Der Austausch erfolge meist immer noch per Mail (64 Prozent), allerdings sei diese Form um 17 Prozent zurückgegangen. Um 19 Prozent habe hingegen die Videokonferenz zugelegt, deren Nutzung liege jetzt bei 63 Prozent. Allerdings habe auch das Abholen von Material an der Schule zugenommen, diese Form gaben 25 Prozent der Befragten an. Dies kritisiert Prof. Helmut Krcmar von der TU München als ungenügend. “Es braucht schleunigst und flä-

chendeckend eine robuste digitale Infrastruktur, die es Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern ermöglicht, sich über Lernplattformen digital auszutauschen und miteinander zu arbeiten.”

Einkommen entscheidend für technische Ausstattung Des Weiteren beschäftigten sich die Forscherinnen und Forscher mit den für den digitalen Unterricht verwendeten Geräten. Im Gegensatz zu 2020 liege nun der Laptop mit 56 Prozent auf dem ersten Platz, gefolgt vom Vorjahres-Ersten Smartphone, dann Tablet und Desktop-PC. Die Ausstattung mit Geräten hänge allerdings stark vom Haushaltsnettoeinkommen ab: Je höher das Einkommen, desto mehr Geräte stünden zur Verfügung. Während in den einkommensschwächeren Haushalten beispielsweise nur 44 Prozent einen Laptop nutzen konnten, sind es in der oberen Mitte und in einkommensstarken Haushalten 81 Prozent.

Im Detail heißt es, in der Strategie würden die Weiterentwicklung von Schule und Modernisierung von Unterricht hin zu einer zeitgemäßen Bildung in den Blick genommen. Konkret enthalte die Strategie drei Handlungsfelder. In Handlungsfeld eins gehe es darum, die pädagogischen und didaktischen Chancen der Digitalisierung in den Mittelpunkt zu stellen. Als Beispielmaßnahme wird hier die Einführung von Informatik als Pflichtfach an weiterführenden Schulen im aktuellen Schuljahr 2021/2022 genannt. Handlungsfeld zwei befasse sich mit der Unterstützung und der Qualifizierung von Lehrerinnen und Lehrern. In diesem Rahmen soll unter anderem eine “Digitale Fortbildungsinitiative” gestartet werden. In Handlungsfeld drei stünden der Zugang zu digitalen Medien und digitaler Infrastruktur im Fokus. Eine der vorgestellten Maßnahmen ist hier ein Zusatz-

Ministerin Gebauer bei der Vorstellung der Digitalstrategie Schule für NordrheinWestfalen. BS/Martin Götz, Land NRW

programm für die Finanzierung von IT-Administratoren. “Wir investieren in die digitale Zukunft unserer Kinder, denn digitale Kompetenzen sind heute so wichtig wie Lesen, Schreiben und Rechnen. Mit einem zweiten Ausstattungsprogramm für Schülerinnen und Schüler werden wir an besonders belasteten Schulen eine Vollausstattung für alle Schülerinnen und Schüler

umsetzen”, erklärt Ministerin Gebauer. Auf der Grundlage sozialer Faktoren sollen besonders belastete allgemeinbildende Schulen sowie Förderschulen, Weiterbildungskollegs und bestimmte Bildungsgänge an den Berufskollegs eine digitale Vollausstattung mit mobilen digitalen Endgeräten erhalten, so das Ministerium zum Ausstattungsprogramm.

MELDUNG

Digitaler BAföG-Antrag bundesweit verfügbar (BS/lma) Ab sofort können Schülerinnen, Schüler und Studierende in allen 16 Bundesländern den digitalen Antragsassistenten “BAföG Digital” nutzen. Das teilte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit. Zunächst war das von Bund und Ländern

im Rahmen des OZG entwickelte Tool in fünf Bundesländern getestet worden. Nach und nach seien mehr Länder freigeschaltet worden, so das BMBF. Der Assistent sei bereits für mehr als 70.000 Anträge genutzt worden. Es sei als erstes föderales digitales Ver-

waltungsangebot aus dem OZG flächendeckend bundesweit verfügbar. “Wir möchten den Zugang zum BAföG weiter erleichtern. Die Digitalisierung von Verwaltungsleistungen ist hier ein Schlüssel”, sagt Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU).

Neues digitales Angebot zur Berufsorientierung Jugendliche in Kontakt mit Ausbildungsbetrieben bringen (BS/Matthias Lorenz) Es soll die vielfältigen digitalen Angebote zur beruflichen Bildung bündeln und sichtbar machen: Angebote wie Talenttests, Praktikumsbörsen und Beratungsangebote werden künftig im OnlinePortal “Berufenavi”, welches vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) entwickelt wurde, gesammelt gezeigt. So sollen Jugendliche dabei unterstützt werden, strukturiert Wege für ihre berufliche Orientierung zu finden und ihren persönlichen Wunschberuf zu erreichen, heißt es seitens des Ministeriums.

Die neue Art zu unterrichten Das Portal RAAbits Online im Erfahrungsbericht (BS) In der Coronapandemie wurde der Nachholbedarf in Sachen Digitalisierung an vielen Schulen deutlich wie nie zuvor. Einige nutzten die Ausnahmesituation als Chance und stiegen auf digitale Lösungen wie das Portal RAAbits Online von RAABE um – so wie die Alexander-vonHumboldt-Schule Aßlar. Schon vor Corona arbeiteten mehrere Fachschaften in Aßlar mit den gedruckten RAABEUnterrichtsmaterialien. Die Pandemie gab den Ausschlag, zu einer RAAbits-Online-Schullizenz zu wechseln. Unter www.raabits.de hatten alle Lehrkräfte nun Zugriff auf sofort einsetzbares Material für rund 15.000 Unterrichtsstunden in 20 Fächern. Fachschaften konnten auf gemeinsame Ablageordner zugreifen, was auch die Vertretungen erleichterte. Und interaktive Aufgaben erweiterten das Spektrum der Lernmöglichkeiten. Die Vorteile überzeugten das gesamte Kollegium: “Kinderleichte Administration”, “ansprechend gestaltet und gut

Unterrichtsmaterial digital auf www.raabits.de

zu bearbeiten” und “definitiv eine Erleichterung!” lauteten die Rückmeldungen nach wenigen Monaten.

Foto: BS/raabits.de

Für weitere Informationen genügt eine E-Mail an vertrieb.raabits@ raabe.de oder ein Anruf unter +49711/6290028.

MELDUNG

Smart-School-Wettbewerb startet (BS/lma) Der Smart-SchoolWettbewerb des Digitalverbands Bitkom ist in seine fünfte Runde gestartet. Noch bis zum 15. Januar 2022 können sich Schulen bewerben. Der Verband will mit dem Wettbewerb Schulen würdigen, welche überzeugende Konzepte zur Digitalisierung von Schule und Unterricht haben und digitale Bildung schon heute praktisch realisieren. Smart Schools verein-

ten digitale Infrastrukturen mit digitalen Inhalten und Konzepten sowie entsprechend qualifizierten Lehrkräften, heißt es seitens des Bitkoms. Auf die Auszeichnung bewerben könnten sich Schulen, die für diese drei Säulen ein Konzept entwickelt und umgesetzt hätten und dieses um nachhaltiges Projektmanagement ergänzten. Wie der Verband weiter mitteilt,

gebe es in diesem Jahr eine Sonderkategorie für Schulen, die insbesondere Schülerinnen für digitale Technologien begeisterten und damit einen wichtigen Beitrag leisteten, Mädchen die Gestaltung des digitalen Wandels zu ermöglichen. Gesucht würden Konzepte und Maßnahmen, die Mädchen in ihrem Interesse an digitalen Technologien und dem Fach Informatik förderten.

Navigationsgeräte helfen, ans Ziel zu kommen. Ähnliches will auch das neue Berufenavi des BIBB erreichen: Jugendliche sollen bei ihrer beruflichen Orientierung unterstützt werden. BS/FDeepanker Verma, pixabay.com

Konkret wird mitgeteilt, das Portal richte sich an Schülerinnen und Schüler der Schulabgangsklassen (16–20 Jahre) und sei für die junge Zielgruppe vorrangig für die Nutzung auf mobilen Endgeräten konzipiert.

Interessenstests und Berufsbeschreibungen Es enthält zahlreiche aktuelle Links auf relevante Webseiten zur beruflichen Orientierung und zum Berufseinstieg: von Interessenstests über Berufsbeschreibungen und Videos bis hin zu lokalen Beratungsangeboten und Ausbildungsplatzbörsen. Zur besseren Filtermöglichkeit

könnten Interessierte ihren Wunschberuf und ihre Postleitzahl eingeben. Letzteres diene der Auswahl regionaler Angebote.

Interessen statt Mainstream “Damit der nahtlose Übergang von der Schule in die Ausbildung gelingt, brauchen junge Menschen in erster Linie realistische und verlässliche berufliche Orientierung, um nicht von der Flut an Informationen, insbesondere im Internet, überschwemmt zu werden”, erklärt Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU). Man schaffe nun ein OnlineInformationsangebot, auch um

Jugendliche mit Ausbildungsbetrieben in Kontakt zu bringen. Dies sei unter anderem deswegen wichtig, weil die Pandemie den Fachkräftemangel weiter verschärft habe. “Während manche Berufe eine sehr hohe Nachfrage haben, werden andere Berufe gar nicht erst in Erwägung gezogen”, ergänzt BIBB-Forschungsdirektor Prof. Hubert Ertl. “Das hat verschiedene Gründe, darunter auch den Bekanntheitsgrad der Berufe.” Das Portal helfe, eine begründete Berufsauswahl zu treffen, die mehr den persönlichen Interessen und weniger dem Mainstream folge.



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Personelles

Behörden Spiegel / November 2021


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Personelles

Behörden Spiegel / November 2021


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Kommunaler Haushalt

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Kommunen fordern zweiten Rettungsschirm

Viel Nachholbedarf in NRW

Einbruch der kommunalen Investitionen verhindern

Kommunen kritisieren Landeshaushaltsplan 2022

(BS/lkm) Die Städte, Landkreise und Gemeinden warnen vor einer drohenden kommunalen Haushaltskrise. Sie rechnen mit sinkenden kommunalen Investitionen und steigenden Defiziten. Die kommunalen Spitzenverbände erwarten bereits in diesem Jahr ein Defizit von sieben Milliarden Euro sowie einen Rückgang der jährlichen Investitionen um mehr als fünf Milliarden Euro bis zum Jahr 2024. An die neue Bundesregierung stellen sie daher die Forderung, einen zweiten Rettungsschirm für die Kommunen aufzuspannen.

(BS/lkm) Die NRW-Kommunen kritisieren den aktuellen Haushaltsplan des Landes für das Jahr 2022. Sie sind besorgt, dass Haushaltssicherungskonzepte und dauerhafte Nothaushalte wieder zum Regelfall kommunaler Haushaltswirtschaft werden könnten. Zudem beklagen sie, dass im Landeshaushalt 2022 keine Mittel für die versprochene Weiterentwicklung des Stärkungspakts Stadtfinanzen hin zu einer kommunalen Kredithilfe vorgesehen sind.

Der Steuereinbruch des vergangenen Jahres habe das Niveau der kommunalen Steuereinnahmen um rund neun Milliarden Euro reduziert. Den kommunalen Spitzenverbänden zufolge wird sich diese Entwicklung in den Folgejahren in gleicher Größenordnung fortsetzen. Angesichts der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie seien die kommunalen Haushalte in diesem und den folgenden Jahren vor allem durch den Steuereinbruch von massiven Einnahmeverlusten betroffen, während die Ausgaben weiterhin stiegen. Nach einem leichten Überschuss im Jahr 2020 würden tiefrote Zahlen folgen, so die aktuelle Prognose der kommunalen Spitzenverbände. Der Finanzierungssaldo werde 2021 im Vergleich zum Vorjahr um etwa zehn Milliarden Euro abstürzen. Derzeit sei davon auszugehen, dass die Zuweisungen auch unter Einschluss der Stützungsmaßnahmen der Länder in den kommenden Jahren weiter nur marginal zunehmen werden. Daher seien auch für die Folgejahre weiterhin kommunale Finanzierungsdefizite von sechs bis sieben Milliarden Euro zu befürchten. “Die Kommunalfinanzen und die kommunale Investitions- und Handlungsfähigkeit müssen weiter stabilisiert und gestärkt werden”, forderte daher Dr. Bernhard Gmehling, Oberbürgermeister von Neuburg an der Donau, auf der 102. Sitzung des DStGB-Ausschusses für Finanzen und Kommunalwirtschaft. Die Kommunen seien zwar dankbar, dass Bund und Länder mit der Kompensierung der Corona-bedingten Ausfälle bei der Gewerbesteuer im vergangenen Jahr einen wichtigen Beitrag zur Aufrechterhaltung der kommunalen Handlungs- und Investitionsfähigkeit geleistet hätten. Die Städte und Gemeinden würden jedoch auch in diesem und mindestens dem kommenden Jahr noch unter massiven Mindereinnahmen und erhöhten Ausgaben leiden. “Die neue Bundesregierung ist aufgefordert, gemeinsam mit den Ländern einen weiteren kommunalen Rettungsschirm aufzuspannen und den Grundstein für eine nachhaltige Investitionsoffensive der Kommunen zu legen”, betonte Gmehling.

In diesem Jahr endet der Stärkungspakt Stadtfinanzen des Landes für die teilnehmenden Städte und Gemeinden der ersten und zweiten Stufe. Aufgrund hoher Kassenkredite aus Defiziten früherer Jahre und Jahrzehnte fehle vielen Kommunen jedoch eine Anschlussperspektive, so die kommunalen Spitzenverbände des Landes NRW. Denn trotz der Ankündigung im Koalitionsvertrag der regierungstragenden Fraktionen, den Stärkungspakt zu einer kommunalen Kredithilfe weiterentwickeln zu wollen, seien derzeit keine Fortschritte erkennbar. Bereits mit dem Landeshaushalt 2021 sei die Landesfinanzierung des Stärkungspaktfonds weggefallen. “Wenigstens ein inhaltliches Anknüpfen an den Stärkungspakt muss noch in diesem Jahr erfolgen. Im Landeshaushalt sollten hierfür jetzt schon Mittel bereitgestellt werden, um den Willen des Landes zu dokumentieren, noch in dieser Legislaturperiode mit der Lösung des Altschuldenproblems zu beginnen”, fordern die Kommunen.

Da die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie auch noch in diesem wie im kommenden Jahr in den kommunalen Haushalten deutliche Spuren hinterlassen werden, sehen die kommunalen Spitzenverbände Bund und Länder in der Pflicht, einen weiteren Rettungsschirm aufzuspannen. Foto: BS/Gerd Altmann,pixabay.de

Nach der Frühjahrssteuerschätzung liegt das Steueraufkommen der Kommunen im laufenden Jahr um 9,4 Milliarden Euro unter den vor der Corona-Pandemie erwarteten Einnahmen. Insgesamt summieren sich die gemeindlichen Steuermindereinnahmen bis zum Jahr 2024 auf 42,2 Milliarden Euro. Der Finanzierungssaldo stürzt nach der aktuellen Prognose der kommunalen Spitzenverbände 2021 im Vergleich zum Vorjahr um etwa zehn Milliarden Euro ab. In den Folgejahren sei nur eine leichte Saldenverbesserung zu erwarten und diese sei durch ein Zurückfahren der kommunalen Investitionstätigkeit teuer erkauft. Andauernde Finanzierungsdefizite haben direkte Auswirkungen auf die kommunalen Investitionen. Den Berechnungen der Kommunalverbände zufolge verursacht die zu erwartende Finanzierungslücke einen Rückgang der jährlichen Investitionen von 34,8 Milliarden Euro im Jahr 2020 auf nur noch 29,3 Milliarden Euro im Jahr 2024 – also einen Rückgang um mehr als fünf Milliarden Euro. Die Präsidenten der kommunalen Spitzenverbände, Oberbürgermeister Burkhard Jung (Deutscher Städtetag), Landrat Reinhard Sager (Deutscher Landkreistag) und Bürgermeister Ralph Spiegler (Deutscher Städte- und Gemeindebund), machen deutlich: “Andauernde Finanzierungsdefizite wirken direkt auf die kommunalen Investitionen: Wenn die Kassen leer sind, können auch keine Investitionen geplant werden.”

Investitionsoffensive statt Ansparen gegen die Krise “Vor dem Hintergrund, dass wir bereits einen Investitionsstau von fast 150 Milliarden Euro vor uns herschieben und notwendige Zu-

Bei der Stadt Dormagen ist im für die Gebäudewirtschaft zuständigen Eigenbetrieb zum nächstmöglichen Zeitpunkt die Stelle als

Leiter/in (m/w/d) des Produktes Infrastrukturelles Gebäudemanagement zu besetzen. Es handelt sich um eine unbefristete Vollzeitstelle mit einer Eingruppierung nach Entgeltgruppe 12 TVöD bzw. Besoldungsgruppe A 13 LBesO NRW. Zwingende Voraussetzung für die Stelle ist ein erfolgreich abgeschlossenes Fach-/Hochschulstudium im Bereich Facility Management oder in den Bereichen Betriebswirtschaftslehre oder Verwaltung jeweils mit zusätzlicher Qualifikation im Facility Management. Das Infrastrukturelle Gebäudemanagement ist insbesondere zuständig für die Gewährleistung der Hausdienste für die unterschiedlichsten Nutzungen der städtischen Gebäude, die Beschaffung von Büromöbeln für die Gesamtverwaltung sowie die Planung, Organisation und Steuerung von Umzügen. Nähere Informationen zu der Stelle können Sie dem vollständigen Ausschreibungstext auf www.dormagen.de oder auf www.Interamt.de unter der Stellen-ID 730606 entnehmen. Die Bewerbungsfrist geht bis einschließlich 11.11.2021.

kunftsinvestitionen vor allem in den Bereichen Digitalisierung und Klimaschutz stemmen müssen, ist dies fatal!”, warnt auch Gmehling. Um Deutschland zukunftsfest zu machen, brauche man eine massive kommunale Investitionsoffensive. Gerade in der Krise dürfe auch das Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse nicht aus den Augen verloren werden. Die Zukunftsaussichten der Kinder und Chancengerechtigkeit dürften nicht davon abhängen, in welcher Region Deutschlands man lebe. “Ein Ansparen gegen die Krise hätte weiter zunehmende Disparitäten zwischen finanzstarken und finanzschwachen Kommunen, die ohnehin schon unter einer bröckelnden Infrastruktur leiden, zur Folge”, warnt der DStGB.

Keine nachhaltige Digitalisierungsstrategie Die Kommunen sehen im Haushaltsplanentwurf für das Jahr 2022 keine Position, die eine

nachhaltig angelegte Digitalisierungsstrategie des Bildungssystems in Nordrhein-Westfalen finanziell ausstatte. Sie sehen das Land in der Pflicht, die gesetzliche Aufgabenzuweisung klarzustellen und eine dauerhaft tragfähige finanzielle Grundlage insbesondere für die Tätigkeit der kommunalen Schulträger auf dem Weg zur digitalen Schule zu schaffen. Natürlich sei absehbar, dass die Folgekosten der Schuldigitalisierung erhebliche Mehrbelastungen für die Landesseite verursachen würden. Die Auslagerung dieser Mehrkosten in die ohnehin überforderten kommunalen Haushalte stelle jedoch keine nachhaltige Lösung dar. “Kurzfristige Ansätze zur Investitionsförderung von mobilen Endgeräten lassen weder einen umfassenden Strategieansatz erkennen noch sichern sie eine dauerhafte Finanzierungsgrundlage für das digitale Lehren und Lernen in Schulen”, monieren die Kommunalverbände.

Zu wenig Hochwasserschutz Im Bereich Hochwasserschutz kritisieren die Kommunen, dass das Land hier viel zu wenige Mittel veranschlage. So wurden im Haushaltsplan vom Land für den Hochwasser- und Überflutungsschutz 63,3 Millionen Euro

angesetzt. In Anbetracht der Unwetterkatastrophe im Sommer 2021 mit den damit verbundenen Verlusten von Menschenleben und den enormen Sachschäden ist dies aus Sicht der Kommunen zu gering. Sie fordern mindestens 100 Millionen Euro. Auch für die Renaturierung von “ökologisch nicht befriedigend” bewerteten Gewässern ist der Haushaltsansatz in Höhe von 150.000 Euro aus Sicht der Kommunen viel zu gering. In Anbetracht der Tatsache, dass bei der Unwetterkatastrophe im Juli dieses Jahres insbesondere kleine Flüsse und Bäche sich zu reißenden Strömen entwickelt hätten, müssten für die Renaturierung solch kleiner Flüsse und Bäche mindestens 50 Millionen Euro angesetzt werden. “Ohne einen solchen Grundstock an Finanzmitteln wird die Durchführung von Maßnahmen zum Hochwasserschutz nicht zielorientiert vorangebracht werden können”, schreiben die kommunalen Spitzenverbände in einer Stellungnahme an das Land. Nachholbedarf sehen die Kommunen zudem beim Sportstättenbau sowie beim Ausbau der offenen Ganztagsbetreuung und den damit verbundenen kommunalen Lasten. Notwendig sei auch eine Nachfolge für das Landesförderprogramm “Gute Schule 2020”.

“Kindergärten”

Für und Wider langer Betreuungsdauern von Dr. Ulrich Keilmann Die Corona-Pandemie hat den Stellenwert und die Bedeutung der Kinderbetreuung hervorgehoben. Das zeigte sich insbesondere in der Zeit als die Kindergärten geschlossen bleiben mussten. Nicht nur für die Kinder und deren Eltern, sondern auch für die privaten und öffentlichen Arbeitgeber ist eine funktionierende Betreuung der Kinder wichtig. Nicht umsonst gehört die Kinderbetreuung für Städte und Gemeinden zu den aufwandsstärksten Aufgabenbereichen. Hier werden politische Entscheidungen für die Kleinsten sprichwörtlich sicht- und greifbar. Die Wirtschaftlichkeit der Kindertageseinrichtungen ist vor allem durch die Auslastung, Standardsetzung, Elternbeiträge und die damit zusammenhängenden Betreuungsdauern beeinflussbar. Zumindest in Hessen gibt es für die Betreuungsdauern grundsätzlich keine gesetzlichen Regelungen. Die Kommunen legen ihr Betreuungsangebot eigenverantwortlich fest. Aus Sicht der Eltern ist eine lange tägliche Betreuungsdauer wünschenswert, da das für sie zu einer hohen Flexibilität führt. Man kann die Kinder bringen und abholen, wenn es am besten passt. Aus Sicht der Kommunen und letztlich der die Leistung quersubventionierenden Steuerzahler kann das jedoch zu höheren Zuschussbedarfen führen, da bei steigender Betreuungsdauer oder flexiblen Wahlmöglichkeiten ein höherer Personalstamm vorgehalten werden muss. Hessenweit gibt es einen Trend zu längeren Betreuungsdauern: Bei den Kindergartenkindern ab drei Jahren hat sich die durchschnittliche tägliche (angemeldete) Betreuungszeit

Dr. Ulrich Keilmann leitet die Abteilung Überörtliche­ Prü­fung kommunaler Körper­schaf­ten beim Hessischen Rechnungshof in Darmstadt. Foto: BS/privat

Entwicklung der durchschnittlichen, täglich angemeldeten Betreuungszeit von Ü3-Kindern von 2014 bis 2019 in Hessen

von 7,5 Stunden im Jahr 2014 auf 7,7 Stunden im Jahr 2019 erhöht (s. Abbildung). Obwohl geografisch betrachtet Unterschiede zu erkennen sind, haben sich die Betreuungszeiten in dieser Zeitspanne in allen Regierungsbezirken erhöht. Vor allem zwischen den Jahren 2018 und 2019 gab es einen Anstieg. Das könnte zu einem großen Teil an der in Hessen im August 2018 eingeführten bis zu “sechsstündigen Freistellung” für die Ü3-Betreuung liegen. Mit der Beitragsfreistellung für Ü3-Kinder für eine bis zu sechsstündige Betreuung wird die Beeinflussbarkeit der Wirtschaftlichkeit durch Elternbeiträge reduziert. Es besteht für Eltern der Anreiz, ihre Ü3-

Kinder mindestens für das der sechsstündigen Betreuung am nächsten kommende Betreuungsmodul anzumelden. Soweit die Ü3-Betreuung sechs Stunden übersteigt, dürfen hierfür nur noch zeitanteilige Elternbeiträge erhoben werden. Das “Proportionalitätsgebot” führt im Vergleich zu den Kosten ohne die Beitragsfreistellung ebenfalls zu vergleichsweise günstigen Ganztagsangeboten. Der Beitragsunterschied zwischen der Vormittags- und der Ganztagsbetreuung wird oft nur unwesentlich sein. Einige Eltern melden ihre Kinder daher zwecks mehr Flexibilität für eine längere Betreuungszeit an, ohne diese tatsächlich regel-

mäßig in Anspruch zu nehmen bzw. nehmen zu müssen. Die Mehrkosten werden mit dem erweiterten Nutzen (bei Bedarf längere Betreuungsdauer) von jeder Familie individuell abgewogen. Damit wird der Steuerungseinfluss der Kommune auf die Betreuungsdauern eingeschränkt. Die zusätzlichen Kosten tragen unter der Vorgabe des Haushaltsausgleiches die Steuerzahler und ohne diesen Ausgleich nachrückende Generationen. Die längeren Anmeldezeiten führen unabhängig von den tatsächlichen Anwesenheitszeiten der Kinder bei den Städten und Gemeinden zu: • e inem höheren Bedarf an Fachkräften, • zu einem höheren Personalaufwand • und damit zu höheren Kosten insgesamt. Für die Betreuung von Kindern unter drei Jahren (U3Betreuung bzw. “Krippe”) gibt es in Hessen keine vergleichbare Freistellungsregelung. Die Betreuungsmodule und -beiträge sind bedarfsgerecht auszugestalten. Längere Anmeldezeiten der Krippenkinder führen aufgrund des höheren Fachkraftfaktors zu besonders hohem Fachkräftebedarf und damit zu hohen Personalkosten. Kommunen müssen in diesem Fall ganz besonders pädagogische und soziale Aspekte mit den finanziellen Auswirkungen und ihrer Leistungsfähigkeit abwägen. Lesen Sie mehr zum Thema “Betreuungsdauern der Kinderbetreuung” im Kommunalbericht 2020, Hessischer Landtag, Drucksache 20/3456 vom 25. September 2020, S. 41 ff. Der vollständige Kommunalbericht ist kostenfrei unter rechnungshof.hessen.de abrufbar.


Kommunale 2021

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Zwischen Anspruch und Realität

“D

ie 20er-Jahre starten schlecht,” meint Marcus König, Oberbürgermeister der Stadt Nürnberg. Auf der einen Seite stünden Einbrüche bei den Steuereinnahmen, geschwächte Eigenfinanzierungskraft der Kommunen und die enormen Preissteigerungen des Baumaterials. Auf der anderen Seite seien die Kommunen nun mit überproportional großen Aufgaben konfrontiert: Gebäudesanierungen, ÖPNV-Ausbau, Mobilität und Begrünung der Stadt sowie allgemein Klimaschutz und Klimaanpassung. Hierfür brauche es Unterstützung von Bund und Ländern fordert der Kommunalpolitiker: “Wir brauchen Hilfe, unsere Städte zukunftsweisend umzubauen.” Dieser Umbau sollte laut Dr. Juliane Thimet, stellvertretende Geschäftsführerin des Bayerischen Gemeindetags, vor allem in Bezug auf die Wasserwirtschaft schnell umgesetzt werden. “Wir sind in einer Trockenperiode,” warnt die Juristin und Vorsitzende der Wasserwerksnachbarschaften Bayern e.V. “Der Regen, den wir haben, fällt zur falschen Zeit – im Sommer – und es fehlt uns der Schnee, der langsam abschmilzt und unsere Grundwasserspeicher wieder auffüllt. Unser Grundwasser ist bereits um 20-30 Prozent zurückgegangen und auch der diesjährige Starkregen hat das nicht wieder aufgefüllt.” Gleichzeitig komme es durch die hohen Verdunstungen zu katastrophalen Niederschlägen, kurzfristig und punktuell, mit gigantischen Schäden, führt sie weiter aus. Diese Niederschlagsspitzen könne man nicht verhindern, daher gelte es sie abzufedern und das Wasser abzuleiten, um die Schäden gering zu halten. “In vielen Neubaugebieten gibt es bereits gute Ansätze, die das Abfließen des Wassers mit einbeziehen”, ergänzt Thimet, “aber die Abflussfähigkeit von offenen Flächen zu erhöhen, ist zentral und viel umfangreicher.” Hier sei vor allem

Behörden Spiegel / November 2021

Jeder will emissionsarmen Schienenverkehr – aber nicht bei sich (BS/Malin Jacobson) Investitionsstau, Wohnungsbau, Infrastruktur – ein vielschichtiges Konglomerat an Herausforderungen muss von den Kommunen gemeistert werden – mit Fokus auf den Klimaschutz. Darin waren sich auf der KOMMUNALE 2021 alle einig.

Hausdächer, Straßen, Freiflächen – alles will stadtplanerisch in Klimaschutz und Wassermanagement einbezogen werden. Die breite Akzeptanz für die kommunalen Maßnahmen ist jedoch noch ausbaubar, ebenso wie politische Einigkeit in Grundsatzfragen. BS/Yusuke Koike, pixabay.com

die städtebauliche Ebene gefragt, welche Freiflächen mitplanen und als Multifunktionsflächen verstehen müsse. Beispielsweise könnten Kinderspielplätze auch als Sicker- und Rückhaltebecken fungieren, sodass das Wasser nicht oberflächlich in die Bäche und Flüsse abfließen könne, erläutert die stellvertretende Geschäftsführerin, und die riesigen Flächen von Industriedächern könne man begrünen, um Verdunstung zu ermöglichen und Regenwasser zurückzuhalten.

Eigeninteressen vor Klimaschutz Die Umsetzung von Klimaschutz- und Klimaanpassungs-

maßnahmen gestalte sich in der Praxis jedoch oft schwierig, weiß Dr. Uwe Brandl, Bürgermeister der Stadt Abensberg, Präsident des Bayerischen Gemeindetages sowie erster Vizepräsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. “Sobald Inklusion oder Klimaschutz vor der eigenen Haustür stattfindet, sind viele dagegen.” Zu sehen, wie die Bevölkerung reagiert, wenn es um Eigeninteressen geht, mache ihm Sorgen. Dem kann auch Albert Füracker, bayerischer Finanzund Heimatminister, zustimmen: “Jeder will emissionsarmen Schienenverkehr, aber nicht bei sich.” Die Verantwortung für diesen gesellschaftlichen Egoismus

sieht Brandl in der Politik, “die in den letzten Jahren immer wieder gepredigt hat, dass nur Politik, die einen nicht belastet, gute Politik sei”. Und er fügt hinzu: “Wir haben die Bürger verwöhnt und müssen uns auf eine Zeit einstellen, in der wir Prioritäten setzen müssen!” Dazu gehöre auch, sich daran zu gewöhnen, dass eventuell ein Mehrfamilienhaus neben dem Einfamilienhaus stehe. Er appelliert an die kommunalen Vertreterinnen und Vertreter: “Wir können im Wahlkampf keine unendlichen Versprechungen mehr machen! Uns, die wir kommunale Verantwortung tragen, bleibt nichts übrig, als ehrlich zu sein, den

Bürger in den Mittelpunkt zu stellen und auch mal Nein zu sagen.” Zudem sieht der Präsident des Bayerischen Gemeindetages die Politik in der Pflicht, die Dinge zu Ende zu denken und die Menschen in ihren Lebenssituationen abzuholen. Das beinhalte auch die Frage nach Mobilität in Stadt und Land. “Wir dürfen das Leben auf dem Land nicht durch Regularien vergällen und durch hohe Spritpreise unerschwinglich machen.”

Entscheidungen abwarten oder nachbessern Ähnlich gestaltet sich die Frage nach einem Wasserentnahmeent-

gelt in Bayern. Die meisten Bundesländer haben etwas derartiges schon, weiß Thimet zu berichten und auch Brandl unterstützt den Gedanken. Allerdings warnen beide vor einer Ausgestaltung, die manche Verbrauchergruppen, wie die Industrie, ausklammere. “Jeder, der verbraucht, muss zahlen”, erklärt der Bürgermeister. Auch bezüglich der Nutzung von Tiefenwasser gebe es hier einiges zu bedenken, meint die stellvertretende Geschäftsführerin des Bayerischen Gemeindetags. Das Oberflächenwasser sei häufig durch die Landwirtschaft verschmutzt und daher für Bürgerinnen und Bürger nicht als Trinkwasser nutzbar. Gleichzeitig sei das Tiefenwasser teurer, sodass die Kosten für landwirtschaftliche Wasserverunreinigungen sich explizit beim Bürger niederschlügen, während die Verursacher weiterhin das günstige Oberflächenwasser verwenden könnten. Zudem ist Uwe Brandl kategorisch dagegen, dass die Industrie weiterhin Grundwasser nutzen darf: “Das werden wir uns nicht bieten lassen, da werde ich mit allen Kolleginnen und Kollegen sowie Bürgerinnen und Bürgern nach München ziehen!” Nicht nur bezüglich der Wassernutzung stehen Entscheidungen und Hilfestellungen noch aus. Matthias Simon, Verwaltungsdirektor des Bayerischen Gemeindetags, erklärt: “Nur festzuschreiben, dass man Fotovoltaik auf dem Dach haben will, reicht nicht. Es muss auch klar sein, wie man das umsetzt, wie man das finanziert und wie man andere davon überzeugt.” Und auch bei der Energiewende gelte es, noch nachzusteuern, meint Füracker: “Wenn wir den Strom aus Tschechien und Frankreich beziehen, ist die deutsche Energiewende ein Offenbarungseid und kein Fortschritt.” Man müsse daher offen darüber reden, wo man in windstiller Nacht den Strom herbekommt.

“So geht es nicht”

Lang ersehntes Wiedersehen

Gute Führung in der Kommunalverwaltung

KOMMUNALE 2021 übertrifft alle Erwartungen

(BS/Jörn Fieseler) Seit 15 Jahren herrscht im Öffentlichen Dienst Personalmangel. Längst sind es nicht mehr Berufe wie IT-Fachkräfte oder Ärztinnen und Ärzte. Auch bei Bauingenieuren, Pflegekräften und in den sozialen Berufen gibt es zu wenig Beschäftigte. Neben der Gewinnung neuer Fachkräfte gilt es auch, die Bestehenden zu binden. Für Ersteres hat der Öffentliche Dienst einiges zu bieten. Auch bei der Bezahlung. Für Letzteres sind die Führungskräfte besonders gefordert. Aber sie müssen mit einem Paradoxon fertigwerden. Arbeitsplatzsicherheit, Standortsicherheit, 30 Tage Urlaub, Jahressonderzahlung und betriebliche Altersversorgung sowie die Tarifbindung: Der Öffentliche Dienst kann mit zahlreichen Argumenten punkten, wenn es um die Gewinnung neuer Fachkräfte geht. Und auch beim Thema Gehalt gibt es einige Attraktivitätspunkte, wie Tabea Weiß, Referentin beim Kommunalen Arbeitgeberverband (KAV) Bayern erläutert. Durch die Tarifbindung an den Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst (TVöD) kämen Beschäftigte einerseits in den Genuss regelmäßiger Entgelterhöhungen. Anderseits steigere sich das Gehalt durch den Stufenaufstieg innerhalb einer Entgeltgruppe.

Finanzielle Anreize Zudem biete der TVöD weitere Zulagen, um Fachkräfte werben zu können. An erster Stelle sei die Fachkräftezulage zu nennen. Diese umfasse bis zu 1.000 Euro im Monat für einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren und werde für alle ab der EG neun b gewährt. Außerdem gebe es für Beschäftigte im Großraum München die sogenannte Ballungsraumzulage, die seit dem 1. Januar 2021 132,50 Euro pro Monat betrage. Und nicht zuletzt bietet das alternative Entgeltanreiz-System nach § 18a TVöD weitere Anreize zur Entgeltsteigerung. Neben den finanziellen Aspekten ist für

(BS/mj) Über 300 Aussteller und rund 3.200 kommunale Entscheider kamen auf der KOMMUNALE 2021, der zwölften bundesweiten Fachmesse und Kongress, zusammen. Nach 18 Monaten Ausnahmezustand, konnte man sich zwei Tage lange in den zwei Messehallen und verschiedenen Konferenzräumen endlich wieder live über aktuelle Themen und Produkschaffen. Dazu gehöre, den Mit- te des kommunalen Bedarfs austauschen.

könnten. Wer aber glaube, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einfach hinterherliefen, der irre sich. “So geht es nicht”, so Große Verspohl. Vielmehr bedeute Vorangehen, möglichst alle Beschäftigten mitzunehmen und die Gruppe zusammenzuhalten.

arbeiterinnen und Mitarbeitern selbst das Vertrauen entgegenzubringen. Wer Aufgaben stelle und klare Ziele vorgebe, bis wann diese zu erfüllen seien, müsse die Beschäftigten auch machen lassen und dürfe nicht ständig nachfragen. Zugleich bedeute es, offen für neue Ideen zu sein sowie verlässlich und berechenbar. “Dazu zwei Regeln”, rät Große Verspohl: “Versprechen sie nie etwas, was sie nicht halten können. Und wenn sie Konsequenzen androhen, müssen sie diese einhalten, wenn Verstöße kommen.” Für das Vertrauen der Beschäftigten sei zudem eine Fehlerkultur maßgeblich. “Fehler des Chefs sind Fehler des Chefs”, so der Direktor. Aber viel wichtiger sei, dass Fehler eines Mitarbeiters ebenfalls die Fehler des Chefs seien. Und: Jeder Fehler müsse als Chance begriffen werden, daraus zu lernen.

Führen heißt auch Dienen

Laotse hatte Recht

Zugleich bedeute Führen aber auch Dienen. Das klinge erst mal paradox, sei aber unerlässlich. Aufgabe der Führungskräfte sei es, einen guten Rahmen für das Personal zu schaffen. “Sie müssen die Frage stellen, was sie unternehmen können, damit die Beschäftigten besser arbeiten können”, rät der Direktor vom Bayerischen Gemeindebund. Darüber hinaus gelte es, Vertrauen bei den Beschäftigten zu

Letztlich gelte in Sachen Führung das, was Laotse bereits im sechsten Jahrhundert vor Christus geschrieben habe: “Der beste Führer ist der, dessen Existenz gar nicht bemerkt wird, der zweitbeste der, welcher geehrt und gepriesen wird, der nächstbeste der, den man fürchtet und der schlechteste der, den man hasst. Wenn die Arbeit des Führers getan ist, sagen die Leute: “Das haben wir selbst getan.”

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter laufen dem / der Bürgermeister/-in nicht automatisch wie die kleinen Entlein ihrer Mutter hinterher. Das Amt des Bürgermeisters ist eine Führungsposition. Führung muss gelebt werden.

die Bindung von Mitarbeitern das Thema Führung von größter Relevanz. “Der Hauptgrund für einen Stellenwechsel ist der Chef. Schlechte Führung kann Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vertreiben”, unterstreicht Georg Große Verspohl, Direktor beim Bayrischen Gemeindetag, auf der Kommunalen. Im Gegenzug könne gute Führung viel bewirken. Ziele ließen sich besser umsetzen, die Potenziale der Mitarbeiter würden ausgeschöpft, Spannungen unter den Beschäftigten vermieden. Und letztlich sei gute Führung das stärkste Mittel zur Bindung von Mitarbeitern. Denn Führungskräfte müssen vorangehen, Ziele und Werte schaffen und leben und Prioritäten setzen, an denen sich die Beschäftigten orientieren

Foto: BS/Madscinbca, stock.adobe.com

Der Andrang war groß – das zeigte sich bereits bei der Eröffnung des Kongresses durch Dr. Franz Dirnberger, Direktor des Bayerischen Gemeindetags, sowie dem anschließenden Grußwort durch Marcus König, Oberbürgermeister der Stadt Nürnberg, und die folgenden Ansprachen von MdL Albert Füracker, Bayerischer Staatsminister der Finanzen und für Heimat, und von Dr. Uwe Brandl, Präsident des Bayerischen Gemeindetags. “Wir müssen uns austauschen”, erklärte König in seiner Rede, “deshalb ist es gut, dass wir wieder zusammenkommen können”. Nun gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen an einem Stehtisch zu stehen und zu sehen, wie das Gegenüber mit den Herausforderungen der letzten Monate umgegangen sei, sei wichtig. Und er ergänzte: “Wir müssen auch mit den Bürgerinnen und Bürgern wieder in Kontakt kommen.” Auch die Messe selbst war von engem Austausch geprägt, wie zahlreiche positive Rückmeldungen bestätigen: “Niemals haben

wir mit so einer Frequenz gerechnet”, “Glaubt man nicht, wie wertvoll es ist, sein Gegenüber persönlich und das Muster in Originalgröße zu sehen” oder “Jeder spürt wie ausgehungert die Leute sind und endlich wieder kommunizieren wollen”. Und auch Cornelia Fehlner, Abteilungsleiterin Social & Public bei der NürnbergMesse bestätigt: “Ob an den Messeständen, in den Ausstellerfachforen oder im Kongress – die Freude über den persönlichen Austausch war überall so greifbar zu spüren. Wir sind stolz, erleichtert und einfach nur glücklich, dass die KOMMMUNALE zu dem lang ersehnten Wiedersehen der kommunalen Familie wurde!” Der Behörden Spiegel informierte an einem eigenen Stand über die neue digitale Plattform NeueStadt.org, die sich mit Mobilität, Arbeiten und Wohnen, Kultur, Einkaufen und Freizeit in Post Corona-Zeiten beschäftigt. Die nächste KOMMUNALE wird am 18. und 19. Oktober 2023 im Messezentrum Nürnberg stattfinden.


Kommunale Infrastruktur

Behörden Spiegel / November 2021

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Vier Fragen – vier Antworten Interview mit Prof. Dr. Eckart Würzner, Oberbürgermeister der Stadt Heidelberg, Baden-Württemberg

Foto: BS/Julian Beekmann

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ehörden Spiegel: Passivhaus-Bauweise, Strom- und Wärmeversorgung aus Erneuerbaren Energien – das umzusetzen, bei einem Projekt wie der Bahnstadt, bedarf gewaltiger Expertisen. Woher kommen die? Würzner: Unser Umweltamt hat damals die Federführung übernommen und sich in das Thema eingearbeitet. Wir haben dafür die Energieabteilung personell aufgestockt. Bei der Prüfung der Energienachweise kooperieren wir mit der regionalen Energieagentur. Die Entwicklung ging Schritt für Schritt vonstatten. In meiner Zeit als Umweltbürgermeister habe ich erreicht, dass die Bahnstadt als nachhaltiger Stadtteil konzipiert wurde. Als Oberbürgermeister habe ich den Masterplan in mehreren Punkten weiterentwickelt. Natürlich hatten wir mit den Stadtwerken Heidelberg einen starken Partner zur Hand in Bezug auf das Holzheizkraftwerk und den Bau der heutigen Kältezentrale. Das Prinzip ist dasselbe wie bei der Fernwärme, nur dass es hier um Kälte geht, die wir zentral erzeugen, in großen Eisspeichern verwahren und zum Kühlen von nahegelegenen Bürogebäuden nutzen, in denen die Technik viel Wärme erzeugt.

Behörden Spiegel: Der Ankauf von Flächen, die Planung und Installation von Infrastruktur, Marketing, Ausschreibungen und vieles mehr – ein Stadtviertel zu bauen, kostet viel Geld. Wie konnte Heidelberg das finanziell stemmen? Würzner: Ich habe mich dafür eingesetzt, dass wir eine kommunale Entwicklungsgesellschaft gründen, bestehend aus der Sparkasse Heidelberg, der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GGH und der Landesbank Baden-Württemberg. Diese drei haben die Entwicklungsgesellschaft Heidelberg gegründet, kurz EGH. Sie hat das ehemalige Bahnareal gekauft und konnte mit der Erschließung in

“Wohnungen mussten verlost werden” Rechtsrahmen, Investitionen und ein bisschen Risiko machten die Bahnstadt möglich (BS) Bereits vor über 20 Jahren entstand der Plan, das Gebiet des ehemaligen Güter- und Rangierbahnhofs in Heidelberg in ein Wohn- und Gewerbegebiet umzuwidmen. Prof. Dr. Eckart Würzner hat das Projekt “Bahnstadt” über viele Jahre begleitet: Erst als Bürgermeister für Umwelt und Energie und seit 2006 als Oberbürgermeister der Stadt Heidelberg. Im Interview mit dem Behörden Spiegel erzählt er, wie eine der größten Passivhaus-Siedlungen der Welt realisiert werden konnte. Die Fragen stellte Malin Jacobson.

Bahnstadt-Promenade und Radweg

Vorleistung gehen. Das war der Startschuss für eine erfolgreiche Bahnstadt-Entwicklung. Eine weitere strategische Weichenstellung ist die vom Gemeinderat mitgetragene Entscheidung, den neuen Stadtteil im Rechtsrahmen einer städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme zu entwickeln. Das Risiko war groß – auch für mich als Oberbürgermeister. Wir haben weit über 300 Millionen Euro in die Infrastruktur investiert. Und das zur damaligen Zeit: Es war gerade die Bankenkrise ausgebrochen und unklar, wie sich die Nachfrage nach Immobilien entwickelt. Unsere GGH hat dann den ersten Schritt gemacht und ein Quartier mit 96 Wohnungen und Geschäften gebaut. Die Nachfrage war so groß, dass Wohnungen verlost werden mussten. Das Interesse ist groß – bis heute. Die Bahnstadt ist in jedem

Foto: BS/Christian Buck

Fall eine lohnende Investition in die Stadtentwicklung. Behörden Spiegel: Würden Sie sagen, dass besondere Heidelberger Voraussetzungen das Projekt möglich gemacht haben oder sind viele Aspekte der Bahnstadt auch auf andere Städte und Bauprojekte übertragbar? Würzner: Unsere Strategie lässt sich gewiss auch in anderen Städten umsetzen. Nötig sind natürlich ausreichend freie Flächen. Die Bahnstadt befindet sich auf dem Areal eines ehemaligen Güter- und Rangierbahnhofs, das wir für die Entwicklung eines ganz neuen Stadtteils nutzen konnten. Dabei sind wir komplett neue Wege gegangen. Denn das Problem lag auf der Hand: Als Stadt hatten wir tolle Pläne, aber ein privater Unternehmer,

der ein Areal von 102,5 Hektar entwickeln will - und das klimaneutral - war nicht zu finden. Wir haben also unsere eigene Lösung gefunden: Über eng mit der Stadt verbundene Partner wurde in einem ersten Schritt mehr als die Hälfte des Areals angekauft und dann gemeinsam unter Führung der Stadt entwickelt. Zuerst haben wir ein Energiekonzept für das Areal entwickelt, um einen klimaneutralen Stadtteil zu schaffen. Das Ergebnis war und ist der Passivhausstandard für alle Gebäude sowie eine Energieversorgung durch ein Biomassekraftwerk. So konnten wir schon beim städtebaulichen Vertrag mit der Entwicklungsgesellschaft die Umsetzung des Energiekonzepts mit dem Passivhausstandard und einem Fernwärmeanschluss festlegen. Gleichzeitig wurden die Ergebnisse des Energiekonzepts

über das Entwicklungsrecht als Ziel definiert und es dadurch möglich, den Energiestandard im Baugenehmigungsverfahren zu verankern. Weitere zielführende Schritt waren die Festlegung der Energiestandards in den Kaufverträgen mit den Investoren sowie die finanzielle Förderung des Passivhausstandards durch die Stadt. Mit diesen Maßnahmen konnten wir das Konzept einer klimaneutralen PassivhausSiedlung auf dem Gelände eines ehemaligen Güter- und Rangierbahnhofs in die Praxis umsetzen. Das war der Durchbruch für den neuen Stadtteil. Viele, die zuerst Zweifel hatten, haben investiert. Behörden Spiegel: Herr Würzner, wenn Sie heute wieder ein Stadtviertel von Grund auf neu bauen würden – was würden Sie anders machen?

Würzner: Den Weg, den wir gegangen sind, kann man nur als erfolgreich bezeichnen. Unter den gesetzten Rahmenbedingungen waren die getroffenen Entscheidungen und die Zusammenarbeit mit einem starken Partner ausschlaggebend für den großen Erfolg der Bahnstadt, vor allem in der schnellen Umsetzung der Planung. Vom ersten Baggerbiss im Frühjahr 2009 bis zum Einzug der ersten Bewohner zur Jahresmitte 2012 war es nur ein sehr kurzer Zeitraum. Gleichwohl kamen in den vergangenen Jahren Aspekte hinzu. Rückblickend würde ich heute den Themen klimatische Veränderungen, umweltgerechtes Mobilitätsverhalten oder Verkehrswende einen noch höheren Stellenwert einräumen. Und ich würde heute noch mehr als damals auf das Anlegen von Grünflächen Wert legen. In die heutige Entwicklung der militärischen Konversionsflächen in Heidelberg fließen die Erfahrungen aus der Bahnstadt durchaus mit ein. Der Gemeinderat hat für einen Großteil dieser Flächen wiederum den Passivhausstandard für Neubauten festgelegt, die Energieversorgung mit grüner Fernwärme per Satzung beschlossen und eine Verpflichtung zur Nutzung der Dachflächen für Photovoltaikanlagen eingeführt. So entsteht gerade der Heidelberg Innovation Park auf der Konversionsfläche Patton Barracks. Dort ist im Bebauungsplan die Verpflichtung zur Photovoltaik schon festgesetzt. Bei der Entwicklung des Patrick Henry Village, das mit rund 100 Hektar genauso groß ist wie die Bahnstadt, wird nicht nur der Energieverbrauch im Betrieb, sondern im gesamten Lebenszyklus unter Einbeziehung der grauen Energie eine wichtige Rolle spielen. An Konzepten für ein kaltes Wärmenetz mit Wärmepumpen für Kälte und Wärmeversorgung wird seitens unseres Umweltamtes und der Stadtwerke intensiv gearbeitet.

Verfassungswidriger Straßenbau Der Bundesverkehrswegeplan verstößt gegen nationales und europäisches Recht (BS/Malin Jacobson) Planen, genehmigen, finanzieren: Ein Kanon des deutschen Verwaltungsapparats, der unwiderruflich und ohne Alternativen zur Umsetzung führt. So auch der Bundesverkehrswegeplan (BVWP), der, ungeachtet nationaler und europäischer Klimaschutzgesetze, einmal durch den Bundestag verabschiedet, kaum noch aufzuhalten ist. Dabei sind die darin aufgelisteten Projekte – sowie die Komposition des Plans selbst – teils verfassungswidrig, wie das aktuelle Rechtsgutachten des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V. (BUND) zeigt. “Die im Bundesverkehrswegeplan festgehaltenen Ausbaupläne sind nicht mit den deutschen Klimazielen vereinbar,” erklärt Dr. Franziska Heß, Rechtsanwältin und Verfasserin des Rechtsgutachtens. Er entspreche weder dem Klimaschutzabkommen von 2021 noch dem weniger umfangreichen Klimaschutzabkommen von 2019, meint die Expertin, und sei zusätzlich nicht mit Artikel 20a des Grundgesetzes vereinbar. Demnach muss der Staat “in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere” schützen – ein Anspruch, dem der BVWP nicht standhalten kann. Ein weiterer Kritikpunkt seitens Heß ist das Fehlen von Alternativvorschlägen, da der BVWP in seiner Bindungswirkung den jeweils vorliegenden Ausbauplan forciere. Dies verstößt laut Heß

auch gegen europäisches Recht: “Planungsdokumente, die eine steuernde Wirkung haben, müssen Alternativen auf verschiedene Klimaentwicklungen hin prüfen. Dies macht der Bundesverkehrswegeplan nicht.” Der Sprecher des Bundesarbeitskreises Verkehr des BUND, Werner Reh, warnt zudem: “Jede neue Straße, die nicht zur Stauvermeidung eingerichtet wird, erhöht die allgemeine Fahrgeschwindigkeit und damit den CO2-Ausstoß.” Man müsse daher genau überprüfen, aus welchen Beweggründen die einzelnen Projekte forciert würden, auch weil mit den einzelnen Bauvorhaben erhebliche Eingriffe in die Natur zusammenhingen. Er fordert: “Wir brauchen einen Ausstieg aus dem Credo: Straßen bauen, Straßen bauen, Straßen bauen.” Antje von Broock, Geschäftsführerin des BUND, schießt daraus:

“Die Fernstraßenplanungen, die zu einer Erhöhung der Treibhausgasemissionen führen, müssen von der neuen Bundesregierung sofort gestoppt werden.” Man hofft beim BUND, dass im kommenden Jahr mit der routinemäßig anstehenden Bedarfsplanüberprüfung die Infrastrukturpläne überprüft und neu ausgerichtet werden. Aus pragmatischen gründen will der BUND nicht vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, um gegen die Verfassungswidrigkeit des Bundesverkehrswegeplans zu klagen. Das Ergebnis würde zu lange auf sich warten lassen – bis dahin wären bereits viele Tonnen Beton und Asphalt vergossen und CO2 freigesetzt. Stattdessen konzentriere man sich auf Klageverfahren gegen konkrete Projekte, erläutert von Broock, und hoffe auf die neue Bundesregierung.

MELDUNG

Neues Heim für Bienenkunde (BS/mj) Baden-Württemberg fördert den Neubau der Landesanstalt für Bienenkunde mit rund 10,4 Millionen Euro. “Wir freuen uns, unseren Bienenkundlerinnen und -kundlern auf einer Nutzungsflä-

che von rund 1.200 Quadratmetern ausgezeichnete Arbeits- und Forschungsbedingungen bieten zu können”, erklärte Finanzstaatssekretärin Gisela Splett bei der Übergabe des Holz-Hybrid-Neubaus an

die Universität Hohenheim. Das Gebäude in Passivhausqualität hat über die gesamte Dachlänge eine nach Süden orientierte, 100 Quadratmeter große Photovoltaik-Anlage und ist ansonsten extensiv begrünt.


Kommunale Sicherheit

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E

s bestünde in drei Punkten die Notwendigkeit, die Zusammenarbeit zwischen den beiden Stellen zu verstärken und zu vertiefen, sagt Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), auf dem Bundeskongress Kommunale Verkehrssicherheit. Als ersten Punkt nennt der Gewerkschaftsvertreter die Gestaltung von Verkehrswegen. Von der gemeinsamen Gestaltung der Verkehrsinfrastruktur würden beide Seiten im gleichen Maße profitieren. Besonders der Fußgängerverkehr müsse in den Fokus gerückt werden, da den schwächsten Verkehrsteilnehmern durch falsch parkende Pkws, E-Scooter und Pedelecs zunehmend Verkehrsraum weggenommen werden, so Wendt. Ebenso müsse die Verkehrsüberwachung gemeinsam gestaltet werden. Insbesondere solle hierbei die Verwendung von Verwarn- und Bußgeldern zusammen öffentlich gestaltet werden. Bei einem gemeinsamen Vorgehen ergebe sich eine Win-win-Situation für beide Seiten. Denn so könne der Vorwurf entkräftet werden, dass durch die Verkehrskontrollen nur der Haushalt saniert werden solle. Als dritten Punkt sieht Wendt die Notwendigkeit der gemeinsamen Präventionsarbeit beim Thema der Verkehrssicherheit in den Schulen. Dieses Feld werde leider jedoch sehr stiefmütterlich behandelt. Dabei seien die Themen Verkehrssicherheit und Kriminalitätsbekämpfung gleich wichtig, zeigt sich der Bundesvorsitzende überzeugt. Dem kann auch Maria

So berichtet etwa der Bürgermeister der nordrhein-westfälischen Kleinstadt Nideggen im Landkreis Düren, Marco Schmunkamp, von Fällen, in denen Lärmgeplagte nicht mehr in ihren Häusern leben wollten und könnten und diese deshalb verkaufen wollten. Ähnliches ist von Edith Götz, stellvertretende Vorsitzende der Vereinigten Arbeitskreise gegen Motorradlärm (VAGM), zu vernehmen. Sie weist zudem darauf hin, dass Lärmbelastungen die Gefahr von Herzerkrankungen erhöhten. Aus diesem Grunde müssten aus ihrer Sicht die Dezibelzahlen, die durch Motorräder verursacht würden, deutlich abgesenkt werden. Denn, so Götz: “Der Gesundheitsschutz der Anwohner ist höher zu bewerten als der Freizeitspaß einiger weniger.” Das gelte unabhängig davon, dass es bislang noch keine wissenschaftlichen Studien zu den konkreten Auswirkungen von durch Zweiräder verursachten Lärm gebe, ergänzt Schmunkamp. Auch ihm geht es um weniger Lärmbelästigung durch Biker und weniger um Streckensperrungen, zumal diese schwer umzusetzen und zu kontrollieren seien. Vielmehr braucht es laut dem Kommunalpolitiker, der auch der Initiative “Silent Rider” vorsteht, eine Schallobergrenze für Motorräder. Deren exakte Höhe sollte durch ein wissenschaftliches Institut erarbeitet und festgelegt werden.

Gesetzgeber gefordert Zudem müsse das einfache Manipulieren von Motorrädern erschwert werden. Hierzu brauche es unter anderem höhere Bußgelder mit einem entsprechenden Abschreckungseffekt im Falle von Zuwiderhandlungen, meint Schmunkamp. Darüber hinaus müssten gerichtsfeste Lautstärkemessverfahren geschaffen werden. Diese stünden der Polizei bislang nur eingeschränkt zur Verfügung. Und es brauche dringend ein Front- oder Helmkennzeichen für Motorradfahrer, um sie im Falle von festgestellten Geschwindigkeitsübertretungen leichter identifizieren zu können. Viele dieser Forderungen kann der Leiter der

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Kommunale Sicherheit als Teamaufgabe Umfangreiche Handlungsfelder in der Kommune (BS/Bennet Klawon) In einem Punkt sind sich Vertreterinnen und Vertreter von Polizei und Kommune einig: Bei den Themen Verkehrssicherheit und Ordnung brauche man einander. Dabei sind die Felder der Zusammenarbeit vielfältig und es besteht Handlungsbedarf.

Zahlreiche Expertinnen und Experten fanden sich auf dem diesjährigen Doppelkongress Kommunale Ordnung und Kommunale Verkehrssicherheit in Würzburg ein, wie z. B. Maria del Carmen Fernandez Mendez. Fotos: BS/Klawon

del Carmen Fernandez Mendez, leitende Polizeidirektorin und Leiterin des Verkehrsreferats im Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, zustimmen. Sie beschäftigt sich unter anderem schwerpunktmäßig mit illegalen Auto-Rennen und der Raserszene. Bei diesem klassischen Kontrolldelikt wird in NRW seit 2015 ein Lagebild erstellt. Dabei sei die Entwicklung im negativen Sinne bemerkenswert. So seien die Deliktzahlen in den Jahren 2020 und 2021 explodiert, so Fernandez Mendez. Dies habe mehrere Gründe. Zum einen seien die Beamtinnen und Beamten für dieses Thema sensibilisiert und der Kontrolldruck seierhöht worden und die Corona-Pandemie habe die

Leute auf die Straße getrieben. Besonders in Städten wie Dortmund und Düsseldorf hätte der Maßnahmenkatalog, der Mitte 2020 erstellt worden sei, Wirkung gezeigt. Unter anderem könnten örtliche Polizeibehörden für Schwerpunktkontrollen zusätzliche Kräfte der Bereitschaftspolizei oder auf Tuning spezialisierte Kräfte anfordern. Ebenso würden bei Rennen sowohl der Führerschein als auch das Fahrzeug eingezogen. Dies sei sogar vorgeschrieben. Da die Raserszene bundesweit agiert, wird unter Mitwirkung von Fernandez Mendez eine Bundesprojektgruppe gegründet, die ein bundesweites Lagebild erstellen und länderübergreifende Schwerpunktkontrollen planen

soll. Dabei muss es nicht nur um die hochmotorisierten Fahrzeuge im Straßenverkehr gehen, wenn über Herausforderungen in der Verkehrssicherheit gesprochen wird. Gerade bei den neueren Phänomenen, wie E-Scootern oder Pedelecs, bestehe noch viel Handlungsbedarf. Dies sieht Marco Schäler, Polizeibeamter im Polizeipräsidium Koblenz und Mitglied in der DPolG-Kommission Verkehr, so. Pedelecs erfreuten sich einer zunehmenden Beliebtheit in Deutschland. Von 2018 auf 2020 habe sich der Absatz dieser Geräte verdoppelt. Im vergangenen Jahr seien schätzungsweise über sieben Millionen E-Bikes auf deutschen Straßen unterwegs gewesen. Schäler ist sich sicher, dass diese eher noch an Bedeutung für den Straßenverkehr gewinnen werden. Obwohl Pedelecs genauso schnell fahren könnten wie Mofas, benötigten Fahrer keine Prüfung und es bestehe keine Helmtragepflicht. Dies liege daran, dass der Gesetzgeber Pedelecs trotz ihrer Geschwindigkeit als einfache Fahrräder behandele. Dies sei problematisch, so Schäler. Ein Blick auf die Unfallstatistik gibt ihm Recht: Die Zahl der Getöteten und Verletzten ist bei diesem Fortbewegungsmittel im Gegensatz zu anderen Fortbewe-

gungsarten in den letzten fünf Jahren gestiegen. In verkehrssicherheitspolitischer Hinsicht stellen Pedelecs die Behörden vor Herausforderungen, da keine bzw. nur eine geringe Verkehrserziehung aufgrund von fehlender Prüfung stattfindet und der Konflikt um Verkehrsraum durch diese zusätzlich angeheizt wird. Zudem sei das Tuning von E-Bikes ein immer größer werdendes Problem. Schäler fordert, dass die Rechtslage unbedingt angepasst werden müsse. Dies umfasse eine Einführung einer Helmpflicht und eine Konkretisierung von Betriebs- und Bauvorschriften der Pedelecs. Ebenso müsse dringend die Radwegeinfrastruktur ausgebaut und angepasst werden. Es brauche zudem eine konsequente Verkehrsüberwachung auch in diesem Bereich. Dazu seien jedoch auch Fortbildungen bei der Polizei nötig, merkt der Beamte an.

Subjektive Sicherheit genauso wichtig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kommunalen Ordnungsdienste (KOD) sollen zuvorderst Ansprechpartner für die Bevölkerung sein. Davon zeigt sich Dr. Uwe Zimmermann, Fachbereichsleiter Allgemeine Bürger-

Streit über Folgen von Motorradlärm Unterschiedliche Sichtweisen auf Belastung durch Zweiräder (BS/Marco Feldmann) In einigen Regionen Deutschlands sind die Anwohner sehr stark von lauten Motorrädern betroffen. Das gilt insbesondere an Bundes- und Landstraßen. Die Folgen für die Bürgerinnen und Bürger sind zum Teil sehr weitreichend. Aber nicht überall wird das Problem mit gleicher Aufmerksamkeit verfolgt.

Diskutierten über die Folgen von Motorradlärm und das mögliche Vorgehen dagegen (von links oben im Uhrzeigersinn): Marco Schmunkamp, Bennet Klawon (Moderation), Peter Westermann, Rolf Frieling und Edith Götz. Screenshot: BS/Feldmann

Verkehrspolizeiinspektion beim Polizeipräsidium Offenburg, Peter Westermann, nur unterstützen. So würden auch aus seiner Sicht höhere Bußgeldsätze helfen. Zudem sollten seine Kollegen und er in Zukunft mit einfachen Mitteln Fahrgeräusche messen können. Das gelte sowohl im Stand als auch im fließenden Verkehr. Zugleich musste der Polizeibeamte aber auch einräumen, dass es auch künftig nicht möglich sein werde, alle “Lärmstrecken” und Hotspots zu überwachen. Zumal sich derartige Kontrollen unter den Bikern sehr schnell herumsprächen. Dies betonte auch Götz. Wünschenswert sind aus Westermanns Sicht außerdem klare Grenzwerte für die Lärmbelastung durch Motorräder in allen Fahrsituationen sowie die Einführung einer Halterhaftung in Deutschland.

und Westermann. Auch die Forderung der “Silent Rider”-Initiative sieht Frieling kritisch. Denn es existierten bereits gerichtsfeste Möglichkeiten zur Geräuschpegelmessung sowie zum Erkennen von Fahrzeugmanipulationen. Zudem halte sich die Masse der Motorradfahrer an die Regeln. Und eine Halterhaftung hierzulande erachtet er – anders als Götz – aufgrund entsprechender Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als schwierig. Seines Erachtens brauche es vielmehr ein umfassendes, aus mehreren Bausteinen bestehendes Konzept zur Lösung des Problems. Hier seien die einzelnen Bundesländer gefordert, so Frieling. Ein großer Teil der “Silent Rider”-Forderungen hingegen seien bereits heute geltendes Recht, das lediglich angewendet werden müsse.

Forderungen überflüssig?

Kräder von Hause aus laut

Die Kritik nicht nachvollziehen kann Rolf Frieling, Vorsitzender der Biker Union. Seines Erachtens trete Motorradlärm nur an einigen Hotspots, ausschließlich bei gutem Wetter und nur tagsüber auf. Hierfür erntete er im Rahmen einer Diskussionsrunde auf der Behörden Spiegel-Plattform NeueStadt.org jedoch deutlichen Widerspruch von Schmunkamp

Anderer Auffassung ist Edith Götz von den VAGM. Sie bemängelt, dass laut einer Studie des badenwürttembergischen Verkehrsministeriums Motorräder oftmals deutlich lauter seien als Personenkraftwagen. Und das sogar, wenn sie nicht manipuliert seien. Problematisch ist ihrer Meinung nach zudem die Belastung der Anwohner von “Hotspot”-Strecken

durch die große Anzahl vorbeifahrender legal lauter Motorräder. Zumal viele Zweiradfahrer den Lärm in Ordnung fänden und ihn als “besonderen Sound” betrachteten. Damit es hier nicht zu Auseinandersetzungen zwischen den unterschiedlichen Gruppen komme, sei Aufklärung entscheidend, betont Schmunkamp. Denn nur so könne das Verständnis füreinander verbessert werden. An einfacheren Sanktionsmöglichkeiten für die Polizei sowie Anpassungen der rechtlichen Rahmenbedingungen führe dennoch kein Weg vorbei, so der Bürgermeister.

Bislang nur Standgeräuschmessungen Denn bislang misst die Polizei nur Standgeräusche von Motorrädern. Dabei wird die Lärmbe-

lastung unter einer bestimmten Drehzahl gemessen. Deren exakte Höhe ist davon abhängig, ob das Fahrzeug technisch mehr als 5.000 Umdrehungen pro Minute erreichen kann oder nicht. Hierbei komme es entscheidend darauf an, mögliche Außengeräusche – etwa durch vorbeifahrende Fahrzeuge – zu verhindern. Außerdem müsse immer geklärt werden, ob ein Lärmverstoß vorsätzlich oder nur fahrlässig begangen worden sei, erläutert Marco Schäler. Bestehe Vorsatz, etwa weil der sogenannte db-Killer aus dem Auspuff entfernt wurde, handele es sich um eine bedeutende Ordnungswidrigkeit und die Betriebserlaubnis erlösche, so das Mitglied der Verkehrskommission der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG).

dienste der Stadt Würzburg, auf dem Bundeskongress Kommunale Ordnung überzeugt. Dabei übernimmt der Dienst in der fränkischen Stadt eine Vielzahl von Aufgaben. Neben der Verkehrsraumüberwachung übernimmt dieser die Überwachung von Messen und Volksfesten und ist zudem für die Einhaltung des Gaststättenrechts, des Infektionsschutzgesetzes und desLadenschlussgesetzes zuständig. Zimmermann betont aber: “Was wir an Sicherheit produzieren, bekommen wir über Bußgelder nicht rein.” Den Einnahmen von rund 2,7 Millionen Euro stünden Ausgaben in diesem Bereich von drei Millionen Euro gegenüber. Gewinn zu erwirtschaften, sei aber auch nicht primäre Aufgabe, sondern die gemeinsame Kriminalprävention mit Akteuren aus der Polizei, anderen städtischen Behörden und den Bürgern. Dazu solle man sich eher vom rein gefahrenbezogenen Handeln lösen und in die örtlich begrenzte Sicherheitsgestaltung eintreten. Zimmermann fordert, dass “Kommunen prophylaktisch handeln müssen”. In Würzburg erstellt der Ordnungsdienst regionale Risikoanalysen, um Gefahrenstellen frühzeitig zu entschärfen. Er organisiere verschiedene Arbeitskreise zu den Themen sichere Innenstadt und Sicherheit im Sozialraum mit unterschiedlichen Partnern. Die Sicherheitsvorsorge vor Ort sei eine vernetzt wahrzunehmende Aufgabe. Die Kommune habe einen wichtigen und eigenen Anteil an der Sicherheitsgestaltung, sagt der Fachbereichsleiter.

Dann müsse das Fahrzeug einer Prüforganisation vorgeführt werden. Zudem müsse bei der zuständigen Zulassungsstelle eine neue Einzelbetriebserlaubnis beantragt werden. Das alles sei mit Kosten verbunden. Hinzu komme noch das eigentliche Bußgeld, welches sich verdoppele, sofern Halter und Fahrer identisch seien. Fahrgeräuschmessungen führen laut Schäler unter anderem das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) und einige spezielle Sachverständige durch. Beim KBA erfolgten die Prüfungen im Rahmen der Typgenehmigung. Die Polizeien führten Fahrgeräuschmessungen noch nicht durch, auch wenn es derzeit technische Bestrebungen hin zu sogenannten “Lärmblitzern” beziehungsweise Vorbeifahrtmessungen gebe. Hier seien allerdings noch viele rechtliche Fragen zu klären. In die Fahrzeugpapiere würden übrigens sowohl der Grenzwert für das Fahrgeräusch als auch jener für das Standgeräusch eingetragen, so Schäler.

Mit Wasser und Stahl gegen Splitter Schutzwände aus Containern (BS/Sandra Kirschbaum*) Eigentlich werden in Seecontainern Waren transportiert. In der Kampfmittelräumung finden sie einen weiteren Einsatzzweck: Mit Wasser befüllt werden sie zur massiven Schutzwand. Björn Henkel von Bloedorn Container über die sinnvolle Zweckentfremdung. Sind es spezielle Container, die für den Einsatz als Schutzwand verwendet werden? Wir verwenden für Splitterschutzwände normale 20 -Feet-Seecontainer. Für die Befüllung mit Wasser, die ein Kippen oder Durchschlagen von Splittern verhindert, wer- Gefüllt mit Wasser sichern Container vor Splittern bei Kampfmittelräumungen. den Flexitanks in die Contai- Foto: BS/Bloedorn Container ner eingelassen. Diese Tanks teln die Container am schnells- heben. Zudem muss der Unterwerden sonst verwendet, um ten befüllen. Dies muss vor Ort grund geeignet sein, eine solche Flüssigkeiten in Containern zu und parallel zur Montage der mehrlagige Wand zu tragen oder transportieren. Wand stattfinden, denn die mit Stahlplatten entsprechend Was gibt es da zu beachten? flexibel einsetzbaren Lkw-La- vorbereitet werden. Es bedarf z. B. einer engen dekräne sind nicht dafür ausge*Sandra Kirschbaum arbeitet Zusammenarbeit mit der Feu- legt, einen mit 24 Kubikmetern im Marketingbereich von Bloeerwehr. Die kann mit ihren Mit- Wasser befüllten Container zu dorn Container.


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Berlin und Bonn / November 2021

Stockende Entwicklung eGovernment Monitor zeigt unverändert Defizite bei Nutzung und Bekanntheit

2022

3.–4. Mai, bcc Berlin Post-Corona: Chance zur Neuaufstellung

Was sind die zentralen Triebkräfte einer modernen Verwaltung im Jahr 2022? Wie geht es digital in den kommenden Jahren weiter? Wie sieht intelligenter Föderalismus aus? Wie skalieren wir Digitalisierung nachhaltig in der öffentlichen Verwaltung – vom Mindset bis hin zu einem Umsetzungscontrolling – oder brauchen wir mehr vernetzte Leuchttürme? Diesen und weiteren Fragen geht der Digitale Staat nach. Fachforen vertiefen weitere Themen für einen größtmöglichen Informationsaustausch und -gewinn. Fachausstellung und Side-Events bieten zusätzliche Möglichkeiten, sich umfassend über Angebote für die digitale Verwaltung zu informieren sowie Netzwerke zu knüpfen und zu pflegen.

Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, muss alles sich ändern. Giuseppe di Tommaso

Eine Veranstaltung des

www.behoerdenspiegel.de


Besuchen Sie unsere Top-Events 2022 mit Fokus auf Digitalisierung und E-Government

Febr. 2022

Zukunftskongress Bayern 17. Februar 2022, München

Zukunftskongress Bayern > www.zukunftskongress.bayern

Mai 2022

Digitaler Staat 3.-4. Mai 2022, Berlin > www.digitaler-staat.org

Juni 2022

Baden-Württemberg 4.0 30. Juni 2022, Stuttgart

www.bw-4-0.de

Sept. 2022 Innovationssymposium Künstliche Intelligenz

15. September 2022, Berlin www.innovationssymposium-ki.de Digitale Verwaltung RLP 15. September 2022, Mainz

Sept. 2022

www.dv-rlp.de

Okt. 2022

PITS 4.–5. Oktober 2022, Berlin

www.public-it-security.de

Informationen zu Beteiligungsmöglichkeiten erteilt: Benjamin Bauer Mitglied der Geschäftsleitung Tel.: 0228/970 97-0 E-Mail: benjamin.bauer@behoerdenspiegel.de


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Berlin und Bonn / November 2021

Stockende Entwicklung

KNAPP

eGovernment Monitor zeigt unverändert Defizite bei Nutzung und Bekanntheit

Start Up-Preise auf der SCCON

(BS/Matthias Lorenz/Guido Gehrt) Wie ist der Stand bei der Verwaltungsdigitalisierung in Deutschland? Fragt man Expertinnen und Experten, bekommt man immer wieder zu hören: (BS/tr) Den Preis für das innoDie technische Umsetzung sei nicht das Schwierigste, es komme nun vor allem darauf an, entwickelte Leistungen in die Fläche zu bringen. Der eGovernment Monitor 2021 bestätigt vativste E-Government-Start diese Analyse nun: Digitale Verwaltungsleistungen sind Bürgerinnen und Bürgern oft nicht bekannt, und selbst unter jenen, die sie kennen, werden sie kaum genutzt. Up durfte das Magdeburgische Die Studie, die von der Initiative D21 und der Technischen Universität (TU) München erstellt wurde, verdeutlicht dieses Ergebnis anhand mehrerer prominenter Beispiele, wie den Serviceportalen von Bund und Ländern. Im Durchschnitt kennen nur 47 Prozent der Bürgerinnen und Bürger das Serviceportal der jeweiligen Landesverwaltung, nur 16 Prozent haben es schon benutzt. Deutliche Unterschiede zeigen sich dabei zwischen den Bundesländern, vor allem die Stadtstaaten schneiden in Sachen E-Government gut ab. So kennen das Hamburger Serviceportal knapp 80 Prozent der Hamburgerinnen und Hamburger, 54 Prozent haben es bereits genutzt. Ähnlich düster sieht es bei der Online-Funktion des Personalausweises aus: Nur neun Prozent haben die Funktion schon einmal genutzt, bei lediglich weiteren 26 Prozent ist sie einsatzbereit. In den Vergleichsländern Österreich und Schweiz, so die Ergebnisse der Studie, werden die dortigen Verfahren zur digitalen Identifikation bereits deutlich besser genutzt. Deutlich ist also: In Deutschland muss mehr getan werden, damit digitalisierte Leistungen auch genutzt werden. Zurecht dürfte man sich sonst die Frage stellen, ob man die Milliarden an Steuergeld, die derzeit in solche Leistungen gesteckt werden, nicht auch sinnvoller hätte einsetzen können. Um aber Bekanntheit und Nutzung voranzubringen, muss zunächst die Frage beantwortet werden, welche Gründe es für die derzeit geringen Bekanntheits- und Nutzungsgrade gibt. Auch hierzu liefert die Studie einige Hinweise. Gefragt nach den Hindernissen für die Onlinenutzung, gaben nur über 50-jährige Befragte Gründe

Nicht nur die malerischen Landschaften, sondern auch der Fortschritt der Verwaltungsdigitalisierung lässt Deutschland neidisch nach Österreich blicken. Foto: BS/Julius Silver, pixabay.com

an, die diesbezüglich auf grundsätzliche Bedenken schließen lassen. Unter den jüngeren wurden dagegen meist Barrieren genannt, die in der bisher unzulänglichen Umsetzung der digitalen Verwaltung liegen. Genannt wurden hier mit immer über 40 Prozent die undurchschaubare Struktur, die mangelnde Durchgängigkeit (Medienbruchfreiheit), die Unbekanntheit bestimmter Angebote und die Nicht-Online-Verfügbarkeit die benötigten Services.

Andere Länder arbeiten mit Verpflichtungen Wie können aber die Nutzungszahlen von E-Government-Leistungen erhöht werden? Dr. Martin Hagen, Staatsrat für Haushalt, Personal und IT beim Bremer Senator für Finanzen, sagt unter Verweis auf die Vorgehensweisen von Ländern, die oftmals als Vor-

reiter der Verwaltungsdigitalisierung gesehen werden: “Estland, Österreich und Dänemark haben hohe Nutzerzahlen nur erreicht, weil es einen Zwang zur OnlineNutzung gab.” So gibt es etwa in Dänemark für bestimmte Lösungen eine Opt-Out-Regelung: Das bedeutet, dass Bürgerinnen und Bürger aktiv widersprechen müssen, wollen sie statt des Online-Services einen analogen Weg für ihr Anliegen nutzen. Dieser Weg müsse laut Hagen auch in Deutschland in Betracht gezogen werden, was aber allen Parteien sehr schwerfalle.

Mehr Wirkungsorientierung gefordert Lena-Sophie Müller, Geschäftsführerin der Initiative D21 fordert für die Online-Services der öffentlichen Verwaltung eine stärkere Wirkungsorientierung

und Ausrichtung an gemessenen Nutzungszahlen, so wie es etwa im Nachbarland Österreich bereits seit Jahren praktiziert werde. “Ein Dienst ist erfolgreich, wenn er genutzt wird und nicht, wenn er online geschaltet wird”, so Müller im Gespräch mit dem Behörden Spiegel. So sei auch das Onlinezugangsgesetz vornehmlich darauf fokussiert, Verwaltungsdienstleistungen online zustellen. Ein wirkungsorientierter Ansatz würde auch die Nutzung als Kriterium stärker in den Blick nimmt. Unterstützung erhielt Müller hier von Staatssekretär Dr. Markus Richter. Auch der Bundes-CIO hält es für zwingend erforderlich, digitale Verwaltungsservices nicht nur anzubieten, sondern deren Nutzung und Nachfrage durch Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen zu messen. Im

europäischen Ausland sei man diesbezüglich an einigen Stellen bereits weiter, wie Richter unter Verweis auf Frankreich erklärte. Messbarkeit und Wirkungsorientierung spielen auch in Österreich eine wichtige Rolle. So gebe es regelmäßig sogenannte Bürgerkonferenzen, auf denen das Feedback der Bürgerinnen und Bürger eingeholt werde, um anschließend in die Weiterentwicklung der verschiedenen Online-Dienste einfließen, erläuterte Dr. Margarete Schramböck, Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort der Republik Österreich. Zudem gebe es ein internes Qualitätsmanagement, welches auch stark an der Nutzerfreundlichkeit der Lösungen ausgerichtet sei. Auch der regelmäßige Erfahrungsaustausch der Chief Digital Officers (CDOs) der einzelnen Ministerien und des CDO des Bundes würde diese Entwicklung unterstützen. Der eGovernment Monitor sei hier ein wichtiges Signal, um zu sehen, ob man in die richtige Richtung gehe oder ob man bei Fehlentwicklungen gegensteuern müssen.

Podcast-Sonderausgabe Die Ergebnisse des aktuellen eGovernment Monitor 2021 waren u.a. Gegenstand eines Gesprächs mit Österreichs Digitalministerin Dr. Margarete Schramböck und Lena-SophieMüller, Geschäftsführerin Initiative D21, für den Behörden Spiegel-Podcast “Public Sector Insider”. Dieses wird im Rahmen einer Sonderausgabe in Kürze unter https://www. behoerden-spiegel.de/podcast und auf verschiedenen Streaming-Diensten veröffentlicht.

Unternehmen Visaright für sich beanspruchen. Visaright möchte den Einwanderungsprozess nach Deutschland so schnell, unkompliziert und kostengünstig wie möglich machen. Dazu wird LegalTech mit menschlicher Expertise kombiniert, um von der Visaerteilung über die Anmeldung in Deutschland bis zur Kontoeröffnung und der Umschreibung von Dokumenten wie dem Führerschein einen reibungslosen Ablauf sicherzustellen. Ebenfalls eine Auszeichnung erhielt das Münchner Unternehmen Plan4Better in der Kategorie Smart City. Plan4Better bietet eine Cloud-basierte Planungssoftware für nachhaltige Stadtund Verkehrsplanung an. Damit sollen unter anderem die Ermittlung und Bewertung geeigneter Standorte wie für neue Bike-Sharing-Stationen oder die Analyse von Effekten neuer Infrastruktur wie etwa einer Fußgängerbrücke schneller und kostengünstiger als mit herkömmlichen Tools erfolgen.

Datenschutz-Broschüre für Abgeordnete

(BS/lma) Nach den niedersächsischen Kommunalwahlen im September ist zu Novemberbeginn die neue Wahlperiode gestartet. Passend hierzu hat die Landesbeauftragte für den Datenschutz (LfD) Niedersachsen, Barbara Thiel, eine neue Handreichung für kommunale Abgeordnete veröffentlicht. Darin würden neben den Grundsätzen des Datenschutzes vor allem konkrete Fragen aus dem Arbeitsalltag der Mandatsträgerinnen und -träger erläutert, so die LfD. Die digitale Broschüre beantworte unter anderem Fragen zum Umgang mit Sitzungsprotokollen oder zur Veröffentlichung von Informationen im Rahmen von Bauleitverfahren.

8. Zukunftskongress Bayern

Oans, Zwoa, Zack, OZG is! Mit neuem Schwung in die digitale Verwaltung

17. Februar 2022, München www.zukunftskongress.bayern

Eine Veranstaltung des

#zkonbayern21

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Informationstechnologie

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Die Kontrolle behalten

K

ünftig können so auch neue Wertschöpfungsketten im EU-Binnenmarkt entstehen und neue datengetriebene Geschäftsmodelle entwickelt werden. GaiaX baut dabei keinen zentralen Datenpool auf. Die Daten bleiben dort, wo sie entstehen. Und sie bleiben stets in der Hoheit der Dateneigentümer. Dazu ist ein Architekturkonzept für die technische Infrastruktur nötig. Zusätzlich müssen Standards und Regeln für den Datenaustausch vereinbart werden. Diese Regeln orientieren sich an europäischen Werten und Vorstellungen von Datenschutz und IT-Sicherheit. Erklärtes Ziel ist die Erlangung digitaler Souveränität, die Schaffung einer europäischen Alternative zu den großen Hyperscalern. Es geht darum, Abhängigkeiten zu reduzieren, Lock-in-Effekte zu vermeiden und DSGVO-konforme, interoperable und für Nutzerinnen und Nutzer transparente Angebote zu schaffen.

Organisationsstruktur von Gaia-X Am Aufbau von Gaia-X sind viele Akteure aus Wirtschaft, Industrie, Wissenschaft und Verwaltung beteiligt. Die Organisationsstruktur von Gaia-X stützt sich auf drei Säulen: der Gaia-X Association, den nationalen Gaia-X Hubs und der Gaia-X Community, die die Anwenderperspektive einnehmen. Innerhalb dieser Sphären gibt es verschiedene Arbeitsgruppen und Gremien, die sich austauschen. Auch der Kontakt zu EUGremien wird sichergestellt. Mittlerweile haben sich in rund 20 EU-Mitgliedsstaaten Hubs gegründet, die als zentrale und länderspezifische Anlaufstellen fungieren. Dieses partnerschaftliche Vorgehen möglichst vieler Stakeholder schon in der Aufbauphase soll Akzeptanz, Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft der Initiative sicherstellen. Alle Gaia-X Hubs stehen in engem Austausch, um ihre Aktivitäten abzustimmen, ihre Anforderungen an die zukünftige gemeinsame Infrastruktur zu formulieren und um mögliche regulatorische Hürden abzubauen. Im deutschen Gaia-X Hub organisieren sich Unternehmen und Experten in sogenannten fachlichen Domänen. Dazu gehören beispielsweise die Domänen Landwirtschaft, Energie, Finanzwirtschaft, Gesundheit, Industrie 4.0, Mobilität und auch der öffentliche Sektor. In den

Datenräume für die öffentliche Verwaltung in Deutschland und Europa (BS/Tina Siegfried*) Ziele von Gaia-X sind der Aufbau einer sicheren und vernetzten Dateninfrastruktur und der Aufbau bzw. die Verknüpfung von Datenräumen über Institutionen und Staaten hinweg. Unternehmen sowie Nutzerinnen und Nutzer können Daten austauschen, und zwar so, dass sie darüber die Kontrolle behalten. Sie selbst sollen festlegen, was mit ihren Daten passiert und wo sie gespeichert werden, damit auf diese Weise die Datensouveränität gewährleistet werden kann. Domänen werden Use Cases betrachtet und analysiert, welche Anforderungen aus ihrer Sicht an das gesamte Konstrukt Gaia-X bestehen. Anhand der Use Cases kann der konkrete Bedarf wie auch der Mehrwert einer digital souveränen Dateninfrastruktur verdeutlicht werden. Zurzeit arbeiten derzeit mehr als 850 Mitglieder in zehn Domänen an mehr als 65 Use Cases. Jeder, der hier mitmachen möchte, ist herzlich eingeladen, sich zu beteiligen und Teil des Netzwerks zu werden. In der Domäne öffentlicher Sektor arbeiten mehr als 130 Mitglieder daran, den Austausch zwischen Akteuren des öffentlichen Sektors und öffentlichen und privaten IT-Dienstleistern sowie Plattformbetreibern voranzutreiben und gemeinsame Maßnahmen zu ergreifen. Hierdurch sollen eine digital souveräne, resiliente und domänenübergreifende Dateninfrastruktur aufgebaut und die Datennutzung in der Verwaltung verbessert werden. Aufgrund der föderalen Struktur Deutschlands bedeutet dies auch, die Behörden auf allen Ebenen noch stärker als bisher über Gaia-X zu informieren und zur Mitarbeit zu motivieren. Zudem will die Domäne die speziellen Anforderungen des öffentlichen Sektors an das entstehende GaiaX-Architekturkonzept formulieren und sich dafür einsetzen, dass diese berücksichtigt werden.

Evidenzbasiertes Regierungshandeln ist gefragt Das Potenzial der Nutzung von Daten ist bereits erkannt worden. Die EU-Datenstrategie schätzt den Wert der Daten für das Jahr 2025 auf insgesamt 829 Milliarden Euro. Im Jahr 2018 lag er noch bei 301 Milliarden Euro und machte damit immerhin 2,4 Prozent des Bruttoinlandprodukts der EU aus. Das enorme Nutzungspotenzial dieses Datenschatzes gilt es auszuschöpfen. In der öffentlichen Verwaltung ist das Bewusstsein für die “Macht der Daten” gestiegen, aber die Potenziale sind bei

Rahmenarchitektur aus dem IT-Planungsrat Mit der gemeinsamen “Deutschen Verwaltungscloud-Strategie” hat der IT-Planungsrat von Bund, Ländern und Kommunen schon im Oktober 2020 das grundlegende Dokument zum Aufbau einer Cloud-Infrastruktur beschlossen. Darin verpflichtet sich die öffentliche Verwaltung auf die Einführung gemeinsamer Standards und offener Schnittstellen für ihre Cloud-Lösungen. Erklärtes Ziel ist es, eine föderale Cloud-Infrastruktur aus interoperablen Teilelementen zu etablieren, damit eine cloudübergreifende und wechselseitige Nutzung von Anwendungen ermöglicht wird. Haupttreiber vonseiten des Bundes ist hier das für digitale Souveränität zuständige Referat DG II 2 im Bundesinnenministerium (BMI).

Gaia-X will Datenräume zu einem Netz verknüpfen, welches europaweit über die Grenzen von Institutionen und Staaten trägt. Foto: BS/pixabay.com

Weitem noch nicht ausgeschöpft. Wirtschaftsunternehmen erheben, analysieren und entscheiden schon seit Langem auf der Basis von verfügbaren Daten. Daten werden dort genutzt, ausgewertet und interpretiert, um Kundenservices zu verbessern, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln und um Vorhersagen für zukünftige Entwicklungen zu treffen. Auch im öffentlichen Sektor ist die Erkenntnis gewachsen, dass Daten als Grundlage für politische Entscheidungen genutzt werden können. Rohe, unverarbeitete Daten als solche bringen noch keinen Mehrwert. Aber geeignet ausgewertet oder auch kombiniert mit anderen Daten und Informationen werden daraus entscheidungsrelevante Informationen. Die Visualisierung von Daten, z. B. in Form von Dashboards, unterstützt bei Entscheidungen, weil sich auf diese Weise Informationen bündeln lassen. Das hilft den Verantwortlichen, um in komplexen Situationen rechtzeitig mögliche Alternativen abwägen und informierte Entscheidungen treffen zu können. Die folgenden Beispiele verdeutlichen die Breite der Nutzungsmöglichkeiten: • Der Bedarf neuer Kita- oder Schulbauten kann durch Auswertung der Entwicklung von Einwohnerzahlen innerhalb

eines bestimmten Gebietes präzise bestimmt werden. Aus Bauzeichnungen in Kombination mit Wetterdaten lässt sich das Verhalten von Bauteilen berechnen und damit die Instandhaltung managen. In Pandemiezeiten können Informationen über tagesaktuelle Infektionszahlen und Impfquoten auf lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene helfen, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, die darauf abzielen, die Infektionszahlen zu verringern. In den Jobcentern können Daten dazu genutzt werden, die Beratung zurück ins Berufsleben schneller und individuell passgenauer zu gestalten. Smarte Analysen können frühzeitig passende Präventionsmaßnahmen initiieren, um eine Verschlechterung des Gesundheitszustands zu verhindern. Das trägt zur Einsparung von Millionenbeträgen in den öffentlichen Haushalten bei und kann schwierige Situationen in vielen Familien reduzieren. Aus Satelliten- bzw. Luftbildern können Waldschadensereignisse wie Trockenheitsschäden maschinell und damit verlässlicher als mit dem menschlichen Auge abgelesen werden. Renteninformationen über verschiedene Versicherungsträger hinweg könnten für eine

gezielte Vorsorgeplanung der Bürger/-innen dienen und zeigen, wo ggf. noch Rentenlücken bestehen. Auf staatlicher Ebene würde es eine gesicherte Information über den aktuellen Versicherungsstand der Bevölkerung geben, die als Grundlage für weitere Planungen oder Berechnungen genommen werden kann. • Der Einsatz von Machine Learning und Künstlicher Intelligenz hilft bei der Mustererkennung und Entscheidungen können (teil-)automatisiert werden. Künstliche Intelligenz hilft heute bereits dabei Kreditkartenbetrug zu erkennen und kann auch im öffentlichen Bereich eingesetzt werden, um zum Beispiel Steuerbetrug zu erkennen. • Chatbots können die Beantragung von komplexen Verwaltungsleistungen unterstützen. • Automatische Text- und Sprach­ erkennung im Bereich der Polizei und der Justiz trägt dazu dabei, Bearbeitungszeiten bei der Erstellung von Protokollen erheblich zu reduzieren.

Datensilos öffnen und eine Kultur des Datenteilens etablieren Die öffentliche Verwaltung verfügt auf allen föderalen Ebenen über erhebliche Datenbestände in hoher Qualität, sie werden allerdings viel zu wenig genutzt. Und oft liegen Daten in ihren fachlichen Silos und werden oft auch nur dort verwendet. Ziel muss es sein, die Datensilos der Verwaltung zu öffnen, die Daten rechtssicher und nachfragegerecht aufzubereiten und allgemein in hoher Qualität mit offenen Schnittstellen für die digitale Nutzung zugänglich zu machen. Dafür muss aber noch stärker als bisher eine Kultur des Datenteilens etabliert werden. Von der öffentlichen Verwaltung erzeugte Daten sollen dem Gemeinwohl dienen. Deshalb sollten sie auch für Unternehmen, Start-ups und für Wissenschaft und Forschung nutzbar gemacht werden. Umgekehrt können auch Daten aus dem privaten Sektor von der öffentlichen Verwaltung

Über den Wolken

D

ie schleppende Digitalisierung in Deutschland wird allseits beklagt. Dabei treiben derzeit gerade auf dem zukunftsweisenden Sektor der CloudTechnologien unterschiedliche Akteure so viele Vorhaben voran, dass es Beobachtern und potenziellen Kunden angesichts der Vielfalt von Ansätzen schwindlig werden kann.

Behörden Spiegel / November 2021

Die Deutsche Verwaltungscloud-Strategie geht in die Umsetzung (BS/Dr. Barbara Held) Der IT-Planungsrat hat am 29. Oktober die Zielarchitektur der deutschen Verwaltungscloud-Strategie (DVS) beschlossen, die zum Maßstab für die Digitalisierung der Verwaltung in der Cloud werden soll – und damit auch richtungsweisend für andere Cloud-Angebote wie Microsoft Azure, Google/Telekom oder Gaia-X. Auf seiner Sitzung am 29. Oktober 2021 legte der IT-Planungsrat jetzt nach und genehmigte die vorgeschlagene Zielarchitektur. Vorgesehen ist unter anderem die Etablierung einer gemeinsamen Koordinierungsstelle, die die DVS-Standardisierungsschicht weiterentwickelt und die künftigen föderalen Infrastrukturen steuert. Dazu gehört auch ein zentrales Cloud-Service-Portal, an das die zahlreichen CloudStandorte der Verwaltungen angebunden sind.

Multi-Cloud-Ideen aus dem BMF Während im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Finanzen (BMF) das ITZBund die sogenannte Bundescloud aufbaut, ist das BMF seinerseits ebenfalls mit Überlegungen zu einem föderalen Multi-CloudAnsatz an die Öffentlichkeit getreten. Drei Komponenten sollen hier eine Rolle spielen: Erstens die Vernetzung der bestehen-

den Cloud-Angebote der Verwaltung im Bund und bei den Dienstleistern von Ländern und Kommunen, wie sie in der DVS angelegt ist; zweitens ein noch genau zu definierendes Projekt mit dem Hyperscaler Microsoft und gegebenenfalls deutschen Partnern; und schließlich die Option, in einem millionenschweren Großprojekt, von dem zuständigen Abteilungsleiter im BMF Harald Joos als “Greenfield-Ansatz” bezeichnet, eine “Nationale Souveräne Cloud” aufzubauen – überwiegend auf Basis von Open-Source-Software (OSS) und nationalen Providern, technisch aber auf HyperscalerNiveau. All das bedarf aber noch rechtlicher, technischer und wirtschaftlicher Prüfung. Einen gewissen Druck erzeugt die Ankündigung vom Microsoft, das in der deutschen Verwaltung fast flächendeckend genutzte MS Office ab 2025 nur noch in der Cloud betreiben zu wollen.

In Sachen Verwaltungsclouds gebe es nach vorliegenden Informationen keine Parallelentwicklungen im BMF, erklärt die zuständige Unterabteilungsleiterin im BMI, Jutta Cordt, auf eine entsprechende Anfrage. Zum einen habe das BMF über die Gremien des IT-Planungsrats die DVS selbst mitgestaltet, zum anderen stehe man in ständigem Austausch mit den anderen Ressorts. Darüber hinaus: “Um eine föderale Multi-Cloud-Lösung implementieren zu können, müssen wir uns zunächst auf die DVS verständigen.” Dem IT-Planungsrat gehe es darum, eine Standardisierungsschicht (= DVS-Schicht) einzuführen, die die Verwaltung in die Lage versetze, Fachapplikationen via Service-Portal in unterschiedlichen Cloud-Umgebungen laufen zu lassen. Das gelte für OSS-Lösungen wie auch für Hyperscaler. Derzeit könne man beispielsweise eine für die Azure Cloud entwickelte

Applikation weder bei Google noch AWS laufen lassen – und umgekehrt genauso wenig. Als erster operativer Schritt in Sachen DVS läuft seit Juli 2021 ein Proof of Concept (PoC), der die Interaktionen zwischen Softwarebetreiber/-lieferant und Plattformbetreiber beleuchtet. Praktisch getestet wird das DVSKonzept derzeit an sechs CloudStandorten der öffentlichen Hand unter den Rahmenbedingungen einer Multi-Cloud. Aktuell beteiligen sich 12 Datenzentralen aktiv an der Umsetzung sowie sechs Datenzentralen in einer passiv beratenden Rolle. “Konkret testen wir da, ob ein Rechenzentrum des einen Landes Cloud-Leistungen für ein anderes erbringen kann und ob die jeweiligen Applikationen in den jeweiligen Infrastrukturen lauffähig sind”, erklärt Jutta Cordt. Der aktuelle PoC ist ein rein technischer Test, rechtliche wie organisatorische Fragen warten noch auf Klärung.

für eigene Zwecke im Sinne von “data driven government” stärker genutzt werden. Die Bereitstellung von Daten der öffentlichen Hand unterliegt einer Reihe von Restriktionen, vor allem personenbezogene Daten unterliegen besonderen Anforderungen. Das Zweckbindungsgebot und das zersplitterte Datenschutzrecht werden häufig als Hemmnis betrachtet. Hier fehlt es vielfach an Rechtssicherheit und Klarheit in der Frage, welche Daten verwendet, weitergegeben und veröffentlicht werden dürfen. Gezielte Fortbildungen im Bereich Datenkompetenz können helfen, Rechtsunsicherheit abzubauen, zum Beispiel durch Fortbildungsprogramme auf kommunaler Ebene oder in einzelnen Fachbereichen. Um den Datenzugriff zu ermöglichen, müssen Infrastrukturen geschaffen werden. Gaia-X spielt hierbei eine entscheidende Rolle, weil hier Datenräume geschaffen werden und der Austausch von Daten durch interoperable Standards und verbindliche “Spielregeln” für den Zugang und die Verwendung von Daten organisiert wird. Für einen Datenraum des öffentlichen Sektors in Deutschland gibt es bereits erste Ansätze. Das Projekt data[port]ai versteht sich als Nukleus für die Schaffung eines solchen Datenraums. Bei data[port]ai geht es um den Aufbau eines kollaborativen Ökosystems aus Start-ups, öffentlichen IT-Dienstleistern, kleinen und mittleren Unternehmen, Politik, Verwaltung und Forschungseinrichtungen, die den Umgang mit Daten und die Nutzung von Algorithmen und Künstlicher Intelligenz erproben wollen. Das hochsichere Rechenzentrum von Dataport bietet eine moderne Umgebung für die Entwicklung und den Betrieb datenbasierter Lösungen auf KI-Basis. Unsere Partner können Services in einer sicheren Umgebung betreiben und darauf auch eigene Angebote entwickeln. Bereits vorhandene Lösungen sollen mit innovativen Ansätzen zusammengeführt und zum Nutzen aller erweitert werden. Dataport verspricht sich davon einen Innovationsschub für die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung und in den Unternehmen. *Tina Siegfried ist Leiterin der Arbeitsgruppe Public Sector im Nationalen Gaia-X Hub sowie im Bereich Strategische Unternehmenssteuerung bei Dataport tätig.

Zu Jahresende wird ein erster Erfahrungsbericht erwartet, der die Weiterentwicklung der DVSStandards unterstützen soll. Organisiert und finanziell getragen werden diese Aktivitäten derzeit noch von der Gremienstruktur und aus den Eigenleistungen der PoC-Beteiligten. Soll es mit der Cloud-Infrastruktur vorangehen, muss sich das allerdings ändern.

Zukunft der Verwaltungscloud Die Konzepte und vor allem die Umsetzungsbedingungen für Koordinierungsstelle und ServicePlattform müssen noch in den zuständigen Gremien abgestimmt werden. Zwar besteht Einigkeit zwischen Bund, Ländern und Gemeinden darüber, dass die Verwaltungscloud-Infrastruktur einer operativen Stelle bedarf, die Weiterentwicklung und Nachhaltung von Strategie, Standards und Infrastrukturen betreibt, aber die konkrete Zuordnung wird zurzeit noch diskutiert. Unter anderen kommt da die FITKO als föderales Strukturelement infrage oder auch GovDigital, weil sich da die öffentlichen IT-Dienstleister aus Bund, Ländern und Kommunen in einer eingetragenen Genossenschaft zusammenschließen. Lesen Sie weiter auf Seite 32.



Informationstechnologie

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Ein riesiger Thinktank für Europa

B

ehörden Spiegel: Kurz nach Ihrem Antritt als Gaia-X-CEO haben Sie in einem Interview vorausgesagt, nach zwei Jahren Aufbauzeit für die Infrastrukturen würden wir ab 2023 ein exponentielles Wachstum der Gaia-XDienste sehen. Stehen Sie noch zu dieser Einschätzung?

Bonfiglio: Ich bestätige meine damalige Prognose und bin sogar noch optimistischer. Entscheidend ist, was wir in den vergangenen sechs Monaten erreicht haben: wir haben Gaia-X formell als belgische Non-Profit-AISBL gegründet und organisatorisch wie personell aufgestellt. Ursprünglich waren wir 22 Gründungmitglieder aus Frankreich und Deutschland. Am 29. März 2021 hat unser Vorstand dann insgesamt 234 Mitglieder an Bord geholt. Inzwischen sind es schon 310, Tendenz steigend. Ein weiterer Erfolgsindikator ist die Tatsache, dass wir inzwischen schon mehrere Releases der Dokumentierung publiziert haben, die Gaia-X definiert. Die Grundlagendokumente zur technischen Gaia-XArchitektur und zur Interaktion von Gaia-X-Komponenten sind veröffentlicht. In den nächsten Wochen geht ein weiteres abgestimmtes Dokument online, das die Akteure und ihre Rollen beschreibt. Gegen Ende des Jahres werden wir die Dokumentation zum Geschäftsmodell von Gaia-X veröffentlichen. Diese drei Perspektiven beschreiben umfassend, was Gaia-X ist, wie es funktioniert und wer es betreibt.

Interview mit dem Geschäftsführer der Gaia-X-Dachorganisation

Druck aus den Ländern Die Bundesländer haben sich Mitte Oktober mit einem Schreiben an die zuständigen Minister und Staatssekretäre im Kanzleramt, BMF und BMI deutlich positioniert. Aus ihrer Sicht ist die flächendeckende Einführung der CloudTechnologie unabdingbare Voraussetzung für eine erfolgreiche Digitalisierung der deutschen Verwaltung. Energisch unterstützen die Länder die strategischen Vorarbeiten zur DVS. “Bund und Länder brauchen Lösungen”, heißt es in dem Positionspapier. Die Perspektive bleibt dabei offen: Neben einer föderalen CloudInfrastruktur im Eigenbetrieb von Bund und Ländern (digitale Souveränität), könne es auch künftig aus fachlichen Gründen erforderlich sein, kommerzielle Public-Cloud-Angebote zu nutzen.

Und dann ist da noch… Gaia-X Schon 2019 hat das Bundesministerium für Wirtschaft (BMWi) im Schulterschluss mit den Kollegen in Frankreich das europäische Projekt Gaia-X angeschoben, das seinen Nutzern “Datensouveränität, Datenschutz, Datensicherheit und Datenverfügbarkeit” verspricht – und damit unter anderem amerikanische Daten-Zugriffe unter dem US Cloud Act abwehren soll. Darüber hinaus will Gaia-X Europas technologische Ressourcen zum Aufbau einer datenbasierten Wirtschaft mobilisieren. Das Projekt hat inzwischen organisatorisch wie inhaltlich Fahrt aufgenommen, aber das anfängliche Interesse der deutschen Verwaltung an Gaia-X ist inzwischen unter anderem deswegen abgekühlt, weil die Vereinigung

chen Projekten zu entwickeln, da sie die Möglichkeit haben, ihre Produkte unter denselben Bedingungen einer Gaia-X-Governance anzubieten wie die Hyperscaler.

(BS) Seit Anfang März 2021 ist Francesco Bonfiglio CEO der Gaia-X AISBL, der belgischen Non-Profit-Gesellschaft, die Ende 2020 von den Initiato- Behörden Spiegel: Gaia-X wollren des Projekts ins Leben gerufen wurde, um Gaia-X eine länderübergreifende Dachorganisation zu geben. Bonfiglio verfügt über rund 30 Jahre te ursprünglich gerade der VerErfahrung im IT-Sektor. Nach rund acht Monaten als Geschäftsführer von Gaia-X AISBL zeigt er sich im Interview mit dem Behörden Spiegel sehr waltung, die nach digitaler Souoptimistisch. Das Gespräch führte Dr. Barbara Held. veränität strebt, Vorteile bringen. Behörden Spiegel: Sind die Ziele von Gaia-X noch diejenigen aus der Gründungsphase oder haben sie sich auch weiterentwickelt? Bonfiglio: Die veröffentlichten Releases stellen klar, dass Gaia-X nicht als europäischer Hyperscaler geplant ist. Vielmehr wollen wir bestehende wie künftige Cloud-Angebote unter einer übergreifenden Schicht aus transparenten Kontrollmechanismen und Governance vereinheitlichen, die gleichen Chancen für alle Markteilnehmer eröffnen. Wir entwickeln das Gaia-X-Konzept so, dass es offen für die Nutzung durch jedermann sein wird. Bei Gaia-X arbeiten wir an einer neuen Generation von Clouds. Als die Cloud-Technologie erfunden wurde, waren die Leute gar nicht am Wert der Daten interessiert. Alle wollten die Daten oben in der Cloud platzieren und von Dritten managen lassen, um damit Komplexität zu reduzieren und Kosten zu minimieren. Heute haben wir ein ganz anderes Bewusstsein: Wir wollen die Kon­ trolle über unsere Daten behalten und ihren Mehrwert nutzen. Mit Gaia-X wollten wir von Anfang an “Datenräume” (Data Spaces) kreieren. Diese sind ja keine physischen Räume, sondern

Fortsetzung “Über den Wolken” von S. 30 Auch über die langfristige Finanzierung der notwendigen Cloud-Infrastrukturen wird noch zu reden sein. Ein modifizierter Königsteiner Schlüssel kommt da infrage, aber auch andere Modelle. Auch da wird letztendlich der IT-Planungsrat entscheiden.

Behörden Spiegel / November 2021

auch Hyperscaler wie Amazon, Microsoft, Alibaba und Huawei in ihre Reihen aufgenommen hat, um deren technischen Vorsprung für den beschleunigten Aufbau eines europäischen Cloud-Ökosystems zu nutzen.

Gaia-X – Grundlage für ­ ­technische Interoperabiltät Aus Sicht des BMI gibt es keinen Widerspruch zur DVS und ihrer Umsetzung. Gaia-X sei für die gesamte Gesellschaft und insbesondere für die Wirtschaft zuständig. IT-Rat und IT-Planungsrat dagegen definierten digitale Souveränität für die IT der öffentlichen Verwaltung und stellen daher weitergehende Ansprüche jenseits der Datensouveränität. Die DVS sei in Deutschland das abgestimmte Leitdokument, an dem sich alle auszurichten hätten, die der Verwaltung ihre Dienste anbieten wollten, erklärt Abteilungsleiterin Cordt.

Technische Interoperabilität als Zukunftsperspektive Von allen Seiten angestrebt wird zumindest ein Mindestmaß an technischer Interoperabilität zwischen den unterschiedlichen Cloud-Modellen: Nach derzeitiger Planung sollen die Standards der “Souvereign Cloud Stack (SCS)” die einheitliche technische Grundlage von DVS und Gaia-X bilden. In diesem Zusammenhang hat das BMWi, mit ausdrücklicher Unterstützung mit BMI, BMF, BMVg und BMBF, ein Gaia-XProof-of-Concept (PoC) für die öffentliche Verwaltung angestoßen. Mit dem PoC solle anhand einer konkreten Anwendung und unter Berücksichtigung aller datenschutzrechtlichen und -technischen Rahmenbedingungen eine Blaupause für die Verwendung von Gaia-X-Angeboten in der öffentlichen Verwaltung geschaffen werden, heißt es aus dem Ministerium. In diesem Sinne kann das GaiaX-PoC als ein weiteres Element der Deutschen VerwaltungscloudStrategie (DVS) aufgefasst werden.

“Bei Gaia-X arbeiten wir an einer neuen Generation von Clouds.”

Francesco Bonfiglio ist Geschäftsführer der Gaia-X AISBL. Foto: BS/privat

inhaltliche Angebote zum Data Sharing, die für die Beteiligten einen Mehrwert schaffen. Sektoren wie Automobilindus­ trie, Finanzdienstleistungen, Baugewerbe etc. werden in Zukunft nicht mehr durch ihre Produktionskosten getrieben, sondern von ihrem Wert auf dem Markt. Dieser hängt zu großen Teilen von dem Added Value von 30 bis 40 Prozent ab, der aus Daten hinzukommt. Gaia-X ist keine Unternehmung der IT-Wirtschaft für die IT-Wirtschaft. Wir sprechen hier über reale Wirtschaft. Wir können nicht tatenlos zusehen, wie andere Akteure unser Leben und unsere Wirtschaft bestimmen. Behörden Spiegel: Jenseits der Publikation auf der Gaia-XWebseite – wie sollen die von Gaia-X-Mitgliedern abgestimmten Standards und Regelwerke um- bzw. durchgesetzt werden? Bonfiglio: Die AISBL Gaia-X entwickelt gemeinsam drei Produkte: Erstens sind das die abgestimmten Spezifikationen zur Architektur. Zweitens gehört dazu eine entsprechende ReferenzImplementierung, die auf Open-

Source-Software basiert und die damit von allen Interessierten nachgenutzt werden kann. Das dritte Produkt sind die “Labels”, d. h. ein Satz von Komponenten und Prozessen, mit dem wir die Konformität der Dienste mit GaiaX-Prinzipien und der Architektur verifizieren wollen. Das schließt auch ein zentrales Register ein, in dem angemeldeten Dienste und dazugehörige Testergebnisse fälschungssicher erfasst sind. Dieses Register wird weder von der AISBL noch von einem einzelnen Mitglied betrieben werden. Vielmehr wird es in einer dezen­ tralisierten Architektur gemanagt werden. Als Technologie bietet sich da heutzutage die Blockchain an, die eine gegenseitige Überprüfung aller Beteiligten ermöglicht. Im Ergebnis erhält der Kunde eine verlässliche Angabe darüber, in welcher Hinsicht der abgerufene Dienst den Prinzipien und Spezifikationen von Gaia-X entspricht. Behörden Spiegel: Wie kann ein Cloud-Anbieter ein Gaia-Xkonformes Angebot machen? Bonfiglio: Zunächst muss er die Komponenten, mit denen er die Gaia-X-Konformität testet,

bei sich installieren, damit sein Angebot auf Gaia-X-Konformität getestet und in das Register aufgenommen werden kann. Genau wie das Internet müssen die Clouds der Zukunft verteilt implementiert und föderal organisiert sein – mit einem übergeordneten Kontrollmechanismus, der nicht menschlich, sondern technologiebasiert verwirklicht wird. Genau das entwickelt die AISBL derzeit. Behörden Spiegel: Vor einigen Wochen hat die Deutsche Telekom, ein Gründungsmitglied von GaiaX, verkündet, dass sie gemeinsam mit dem Hyperscaler Google eine “souveräne Cloud” aufbauen wird. In deutschen Medien ist dies überwiegend als ein Rückzug aus Gaia-X interpretiert worden. Bonfiglio: Die Annahme, dass sich die Deutsche Telekom aus Gaia-X zurückzieht, ist völlig falsch. Die Entscheidung der Telekom, sich mit einem der großen Cloud-Betreiber zusammenzutun, ist wirtschaftlich begründet. Und ich glaube, es ist die richtige Entscheidung, wenn man möglichst schnell auf Cloud-Technologien umsteigen will. Im Moment kommt es darauf an, die mit 20 Prozent des Datenaufkommens sehr geringe Cloud-Nutzung in Europa rasch zu steigern. Dazu müssen Sie alle Tools und Technologien nutzen, die verfügbar sind, solange diese sich für Gaia-X öffnen. Gaia-X und Gemeinschaftsprojekte wie das von Telekom und Google passen perfekt zusammen. Das wird zu einer engen transatlantischen Zusammenarbeit führen. Ich glaube, das wird zu einer Erfolgsgeschichte. Auf der anderen Seite bietet sich den europäischen Akteuren eine Möglichkeit, Alternativen zu sol-

Ausgerechnet in diesem Sektor lassen sich aber kaum überzeugende Use Cases finden.

Bonfiglio: Wir haben europaweit schon eine Reihe von Use Cases der öffentlichen Hand aufgenommen. Allerdings kommt hier ein anderes Phänomen ins Spiel: Öffentliche und private Ökosysteme verzahnen sich immer mehr. Denken Sie nur an den Gesundheitssektor: Was ist da noch öffentlich und was privat organisiert? Da verschwimmen die Grenzen – auch die der Datenräume. Auf der anderen Seite fördert die öffentliche Hand die Entwicklung von Gaia-X-Diensten. Nicht nur das deutsche Ministerium für Wirtschaft hat kürzlich 16 Projekte mit Fördermitteln bedacht. Die französische Verwaltung hat gerade ein vergleichbares Fördervorhaben begonnen, das in zwei Unterprojekte aufgeteilt ist und das deutsche Programm inhaltlich ergänzt. Das europäische Gaia-X-Puzzle wird sehr koordiniert aufgebaut. Inzwischen gibt es 16 nationale “Gaia-X Hubs”, die ihre Datenräume erschaffen. Diese Hubs arbeiten ihrerseits eng mit den zuständigen Ministerien zusammen, die für paneuropäische Koordination verantwortlich sind. Das ist insbesondere im Hinblick auf die 750-Milliarden-Gelder des europäischen Covid-Fonds wichtig. Mindestens 20 Prozent dieser Fördergelder sollen in die Digitalisierung gehen. Gaia-X spielt hier eine bedeutende Rolle als Berater der nationalen Regierungen, die buchstäblich nach Ideen für technologische Projekte lechzen. Es ist eine großartige Zeit, um bei einem solchen Großvorhaben dabei zu sein. Unzählige kleine und große Player produzieren unentwegt neue Ideen. Gaia-X ist ein riesiger Thinktank für Europa.

Neue Nachnutzungschancen für Kommunen IT-Planungsrat beschließt Aufbau eines kommunal nutzbaren EfA-Marktplatzes (BS/Matthias Lorenz) Leistungen des Onlinezugangsgesetzes (OZG) werden möglichst nach dem Einer-für-alle(EfA)-Prinzip gebaut. Ein Land entwickelt, alle anderen nutzen nach – das soll für Standardisierung, Zeit- und Kostenersparnis sorgen. Für die Kommunen, die letztendlich für die Abwicklung eines Großteils der zu digitalisierenden Leistungen verantwortlich sind, besteht aber das Problem, dass ihnen schlicht der Überblick fehlt, welche Leistungen schon von einer anderen Stelle umgesetzt sind. Der Beschluss nach der aktuellen, 36. Sitzung des IT-Planungsrats soll dem nun Abhilfe schaffen. Konkret legte das Gremium fest, dass ein virtueller Marktplatz aufgebaut werden soll, der die Nachnutzung von EfA-Leistungen auch den Kommunen ermöglicht. Laut IT-Planungsrat solle der Marktplatz anbieteroffen gestaltet werden, damit auch Leistungsangebote anderer Nachnutzungsmodelle, wie zum Beispiel der FIT-Store der Föderalen IT-Kooperation (FITKO), dort angeboten werden könnten. Aufgebaut werden soll der virtuelle Marktplatz von der Genossenschaft govdigital. Diese teilte mit, Ziel sei es, die OZG-Leistungsbündel Gebietskörperschaften und öffentlichen IT-Dienstleistern bundesweit zur Verfügung zu stellen. “Im Hauptprojekt soll govdigital gemeinsam mit der FITKO eine Informationsplattform entwickeln und betreiben”, heißt es seitens der Genossenschaft. In einem ersten Schritt sei demnach geplant, die bereits in den FIT-Store eingestellten EfA-Leistungen als Angebote in den Marktplatz aufzunehmen. Die Verknüpfung mit weiteren Leistungen soll anschließend durch ein Modell zur technischen Bereitstellung und automatisierten Vertragsabwicklung verknüpft werden. Der FITStore solle somit als Basis fun-

gieren und als Bestandteil des neuen Marktplatzes fortgeführt und weiterentwickelt werden. Bis jetzt erreicht govdigital rund 65 Prozent aller Kommunen. Matthias Kammer, Geschäftsführer der Genossenschaft, verspricht jedoch: “Gleichzeitig werden wir daran arbeiten, auch für Kommunen erreichbar zu werden, die bisher noch nicht an den Leistungen der Genossenschaft für ihre Mitglieder teilnehmen können.” In der letzten Sitzung des IT-Planungsrats für dieses Jahr ging es jedoch nicht nur um die Verbesserung der Nachnutzung von OZGLeistungen für Kommunen. Auch wurde über die Frage gesprochen, wie die Digitalisierung beschleunigt werden kann. Schließlich komme die Optimierung interner Abläufe durch zeitgemäße digitale Lösungen den Bürgerinnen und Bürgern sowie den Unternehmen zugute. Der IT-Planungsrat will in diesem Zusammenhang die technische und rechtliche Gleichstellung von digitalen und schriftlichen Nachweisen prüfen. Auch müsse die praktische Umsetzung bei der Vereinheitlichung von Rechtsbegriffen, die unter anderem für die Einführung des “Once-Only”-Prinzips erforderlich

seien, näher besprochen werden. In diesem Zusammenhang betont auch Jan Pörksen, Chef der Hamburger Senatskanzlei und scheidender Vorsitzender des IT-Planungsrates: “Unser Ziel ist es – über die Bereitstellung von Online-Diensten hinaus –, vollständig digitalisierte Prozesse zu schaffen, die nicht nur einen guten Service für Bürgerinnen und Bürger ermöglichen, sondern auch die Behördenarbeit effizient und dienstleistungsorientiert gestalten.” Deshalb trete man für die Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen ein. Ab 2022 wird der Bund den

Vorsitz im IT-Planungsrat übernehmen. Ob diese Funktion dann noch der aktuelle Bundes-CIO Dr. Markus Richter bekleiden wird, ist allerdings unklar. Fest steht hingegen, dass der IT-Planungsrat seinen zehnten Fachkongress am 9. und 10. März 2022 wieder in Präsenz stattfinden lassen wird. Für die in Saarbrücken gastierende Veranstaltung sind Kommunen, Landes- und Bundesverwaltungen sowie wissenschaftliche Einrichtungen dazu aufgerufen, sich aktiv zu beteiligen. Vorschläge können noch bis zum 22. November eingereicht werden.

Wie bei einem Wochenmarkt können sich Kommunen demnächst auf einem virtuellen Marktplatz an OZG-Leistungen zur Nachnutzung bedienen. Foto: BS/Th G, pixabay.com


Behörden Spiegel / November 2021

Seite 33

KOMPETENZZENTRUM ÖFFENTLICHE IT (ÖFIT)

November 2021

Kompetenzzentrum Öffentliche IT

Waldbrände mit Daten löschen Waldbrände werden nicht zuletzt durch den Klimawandel zuneh­ mend verheerender. Ein Demonstrator zeigt, wie sich Daten für Präven­ tion, Bekämpfung und Folgenbewertung ein­ setzen lassen. So zeigt sich das Potenzial von evidenz­basierten Ent­ scheidungen zur Bewäl­ tigung von Krisen.

G

esunde Wälder sind ein Schlüs­ sel für Nachhaltigkeit. Sie tragen zum Erhalt der Artenvielfalt bei, die­ nen als Erholungsgebiete für Men­ schen und leisten einen Beitrag zur Abmilderung des Klimawandels, in­ dem sie CO2 speichern. Unsere Wälder sind jedoch bedroht. Dürre und Hitze schwächen Bäume, wodurch sie weniger resistent gegen­ über Schädlingen und Feuer sind. Monokulturen, Schädlinge und Wet­ terextreme stellen also Bedrohun­ gen für gesunde Wälder dar, die sich in ihrem Effekt zudem gegenseitig verstärken. Insbesondere aufgrund klimawandelbedingter Wetterextre­ me werden Brände zunehmend großflächiger und führen zu enor­ men ökologischen und ökonomi­

schen Schäden. Mitunter bedrohen sie Kritische Infrastrukturen oder so­ gar Menschenleben. Der Erhalt von gesunden Wäldern und die Präven­ tion und Bekämpfung von Bränden sind daher wichtiger denn je. Bei der Waldbrandprävention und -bekämpfung besteht derzeit das Problem, dass relevante Daten weit verteilt sind und oftmals manuell zwischen Systemen übertragen werden müssen. Das kann schwer­ wiegende Folgen etwa für die Ein­ satzplanung der Feuerwehr haben, da Informationen zu spät zur Ver­ fügung stehen oder ganz fehlen. Die Erhebung, Sammlung, Analyse und Visualisierung von Daten kön­ nen helfen, zeitnah evidenzbasierte Entscheidungen zu treffen und die Waldbrandprävention und -bekämp­ fung zu erleichtern. Dafür müssen verschiedene Daten an zentraler Stelle zusammenge­ führt und ergänzende Daten erhoben werden. Dazu gehören etwa EchtzeitDaten zur lokalen Wetterlage, die mit vernetzten Sensoren engmaschig er­ hoben werden können. Zudem sind Geo-Daten zum Waldzustand rele­ vant, die Auskunft über Holzvorrat und Totholzanteil, zur Artenvielfalt und zum Verhältnis von Nadel- zu Laubholz geben. Wichtig sind auch Daten zu Kritischen In­frastrukturen, etwa Kraftwerken, und zu Ressour­ cen zur Brandbekämpfung, etwa Löschwasserquellen. Aus Daten zum Wetter und zum Waldzustand können laufend Kenn­

Bei der Waldbrandprävention und -bekämpfung besteht derzeit das Problem, dass relevante Daten weit verteilt sind und oftmals manuell Foto: BS/ Matryx, pixabay zwischen Systemen übertragen werden müssen. zahlen für das jeweilige lokale Brand­ risiko berechnet werden. In einem Brandrisiko-Index zusammen­gefasst können die Daten so als Grund­ lage für ein leicht zu erfassendes Frühwarnsystem dienen, das auto­ matisiert Warnungen an relevante Stellen versendet. Fließen die Da­ ten in mathematische Modelle ein, können diese genutzt werden, um die Richtung und Geschwindigkeit eines Brandes zu prognostizieren. Anhand von Prognosen lässt sich der Ressourceneinsatz so planen, dass

er möglichst effektiv und effizient erfolgt. Für eine unkomplizierte Bedienung durch die Entscheiderinnen und Ent­ scheider der öffentlichen Verwaltung sollten die Daten und die Ergebnis­ se der Modelle durch Dashboards anschaulich visualisiert werden. Wichtig ist, dass die Visualisierung überregional erfolgt, da Waldbrän­ de nicht vor Stadt-, Gemeinde- oder Landesgrenzen haltmachen. Zusam­ men mit der Software AG hat ÖFIT einen Demonstrator für ein solches

Dashboard entwickelt. Mittelfristig erlaubt ein datenbasierter Ansatz auch eine kontinuierliche Verbesse­ rung der Brandprävention und -be­ kämpfung. Anhand von über die Zeit gewonnen Erkenntnissen ist es etwa möglich, Erhebungsbedarf für Daten zu identifizieren und Prozesse sowie Modelle zu verbessern. Um tatsächlich die datenbasierte Waldbrandprävention und -bekämp­ fung zu ermöglichen, müssen das Ein­pflegen von Daten und die Model­ lierung als Aufgaben angenom­men

werden. Dazu gehört, dass erforder­ liche Kompetenzen und Prozesse etabliert werden und den verant­ wortlichen Mitarbeiterinnen und Mit­ arbeitern dauerhaft Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Es han­ delt sich um eine kontinuierliche Auf­ gabe, die in den nächsten Jahren zu­ nehmend wichtiger zu werden droht. Weitere Einblick in und Ansichten des entwickelten Demonstrators finden unter: www.oeffentliche-it.de/-/ waldbraende-mit-daten-loeschen.


Open-Data und Datentransparenz Das Statistische Bundesamt baut das Open Data Angebot weiter aus und stellt den Nutzerinnen und Nutzern alle Daten, Prozesse und Metadaten zur Verfügung. Die zentrale Anlaufstelle für alle, die nach Open Data Kriterien weiterverarbeiten wollen, ist die Datenbank Genesis-Online. Wir steigern die Datentransparenz und fördern die Datenkompetenz der Bürgerinnen und Bürger.

Once-Only Once-Only steht für die konsequente Vermeidung doppelter Datenerhebungen. Wo immer es möglich ist, werden vorhandene Verwaltungsdaten genutzt. Jeder neue Datenbedarf wird daraufhin systematisch überprüft. Unser neues Wiki – die Verwaltungsdateninformationsplattform VIP - hält Metadateninformationen bereit, damit möglichst alle Verwaltungen vom Once-Only-Prinzip profitieren können.

Statistisches Bundesamt digitale Transformation mit neuer Datenstrategie Unsere Rollen und Werteversprechen Mit der Datenstrategie starten wir durch und erweitern unsere Rolle hin zu einem digitalen Datenmanager: Digitale Verfahren sichern die moderne Statistikproduktion und eine verbesserte Datenqualität. Damit schöpfen wir den Mehrwert für unsere Nutzerinnen und Nutzer nachhaltig aus. Als zuverlässiger und vertrauenswürdiger Statistikproduzent mit gesetzlichem Auftrag erweitern wir ständig unser Datenangebot am aktuellen Rand. Wir liefern Daten für faktenbasierte Entscheidungen und demokratische Willensbildungsprozesse. Die Bedürfnisse unserer Zielgruppen stehen für uns als Informationsdienstleister im Mittelpunkt.

Digitale Produktionsprozesse Die Statistikproduktion erfordert moderne und innovative Verfahren. Machine-Learning und KI-Verfahren werden konsequent ausgebaut und können beispielsweise Primärerhebungen ersetzen. Die Nutzung von Satellitenbildern und Mobilitätsdaten liefert neue Möglichkeiten, um Statistiken präzise und zeitnah zu erstellen.

Erweitertes Kompetenzmanagement Wir wollen in modernen Interaktionsräumen voneinander lernen. So erhalten alle Beschäftigten die Chance, ihre digitalen Kompetenzen mit flexiblen, zugeschnittenen Programmen auszubauen, wie z.B. bei der 10-monatigen, berufsbegleitenden Lernreise zum Aufbau digitaler Kompetenzen, der DigiTalent Lernreise.

Dashboard-Deutschland Neue Arbeitsformen

Mit dem Dashboard-Deutschland werden über 100 hochfrequente und hochaktuelle Indikatoren aus amtlichen und nicht-amtlichen Quellen für Wirtschaft und Gesellschaft bereitgestellt. Es steht für die flexible, transparente und anpassungsfähige Nutzung neuer Dateninfrastrukturen in Deutschland. Der Mehrwert für die Nutzenden liegt in der individuell kombinierbaren, kompakten und themenbezogenen Datenbereitstellung: www.dashboard-deutschland.de

Zukunftsprojekt Registerzensus Die Nutzung vorhandener Verwaltungs- und Registerdaten führt zu spürbaren Entlastungen für Bürgerinnen und Bürger, für Unternehmen und für Verwaltungen in Bund, Ländern und den Kommunen. Bis 2031 sollen alle Zensusmerkmale – beispielsweise aus den Bereichen Arbeitsmarkt, Bildung oder Haushalte und Familien – sukzessive registerbasiert ermittelt werden.

Kommunikation Das Statistische Bundesamt ist auf verschiedenen Kanälen erreichbar, die Kommunikation wurde an die digitalen Anforderungen angepasst. Der Newsroom trägt mit Fakten zu aktuellen Themen bei, Ergebnisse werden kontextbezogen präsentiert. Die Kommunikationsfähigkeit der Mitarbeitenden wird gestärkt, sie werden aktive Vermittler und Botschafter des digitalen Wandels.

Foto: © Oleksii / stock.adobe.com / 319440293

Neue Arbeitsformen fördern Innovationen, Produkte und lösungsorientiertes Denken in den Arbeitsteams. Agiles Arbeiten und die Möglichkeit hybrid zu arbeiten prägen die neue Arbeitskultur. Die interne Beratung unterstützt mit zugeschnittenen Workshopkonzepten bei spezifischen Fragen. Hackathons führen zu kreativen Teamlösungen.


Informationstechnologie

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Der OZG-Quickcheck

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abei ist es für Entscheider/innen oft schwer, die richtigen Prioritäten zu setzen, weil der OZG-Katalog eine hohe Komplexität aufweist und vielfältige Aktivitäten dazu in Deutschland gerade parallel laufen. Am Anfang stehen meist grundlegende Fragen im Raum, wie z. B.: • Welche Prozesse sind OZGrelevant? • Welche Prozesse sind für die Bürgerinnen und Bürger besonders wichtig? • Welche Prozesse bringen in der jeweiligen Kommune die meisten Serviceverbesserungen oder Einsparungen? • Gibt es schon fertige Lösungen, die übernommen werden können? • Wie gut ist die jeweilige Kommune schon in der Umsetzung und mit welchem Stand wären die Akteure vor Ort zufrieden?

Wo stehen die Kommunen bei der Umsetzung? (BS/Johannes Schwall/Martin Instinsky*) Das Zieldatum Ende 2022 hängt über den Köpfen von Digitalisierungsbeauftragten, CDOs und CIOs, denn für die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) reicht die einfache Bereitstellung von z. B. Online-Formularen nicht aus. Vielmehr sind medienbruchfreie Prozesse durch die Kopplung von Fachverfahren, Dokumentenmanagement-, Workflow- oder sonstigen Systemen und Portalen einzuführen. Katalogs für die Organisation tatsächlich wichtig sind. So kann eine Priorisierungsreihenfolge für die umzusetzenden Leistungen ermittelt werden. Damit steuern Entscheider/-innen die Modernisierung ihrer Verwaltung aktiv und werden nicht ständig von neuen “Wahrheiten” getrieben.

Vorgehen passt zu vorhandenen Ressourcen

Der OZG-Quickcheck sorgt für Klarheit An dieser Stelle sorgt der OZGQuickcheck der PICTURE GmbH für einen schnellen und umfassenden Überblick über den Digitalisierungsreifegrad einer Kommune und macht einen Weg hin zu einer besseren Digitalisierung greifbar und – vor allem – selbst bestimmbar. Mit dem OZG-Quickcheck nehmen Digitalisierungsbeauftragte und Entscheider/-innen den Digitalisierungskompass selbst in die Hand und versetzen sich in die Lage, einen individuellen Weg zur Schaffung einer vollumfänglich

OZG-relevante Prozesse und ihr Reifegrad pro Fachamt

digitalisierten Verwaltung einzuschlagen und dabei die verfügbaren EfA(Einer-für-alle)-, Landes- oder Standardlösungen mit Bedacht einzusetzen. Der OZG-Quickcheck bietet individuelle Priorisierungskriterien unter Berücksichtigung der bundes- und landesspezifischen

Vorgaben. So wird anhand der lokalen Anforderungen stringent priorisiert und es werden nur die wichtigsten Dinge betrachtet. Entscheider/-innen erhalten einen Überblick über die dringendsten Handlungsfelder. Mit dem OZG-Quickcheck werden die OZG-relevanten Leistungen

in der Organisation zunächst nach ihrer Umsetzungspriorität identifiziert, der derzeitige OZG-Reifegrad bestimmt und die weiteren Schritte festgelegt. Gemeinsam mit den für die Digitalisierung verantwortlichen Akteuren erarbeitet PICTURE, welche Leistungen des OZG-

KI-basierte Ermittlungsarbeit zwischen Polizei und Justiz (BS/Thomas Feld/Dr. Alexander Fronk*) In der gemeinsamen Ermittlungsarbeit und bei der Strafverfolgung durch Polizei und Justiz spielen die elektronische Strafakte und analytische Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) eine immer größere Rolle. Materna entwickelt sichere Lösungen zu föderierten Datenräumen für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsauftrag. Dazu fehlen jedoch noch souveräne und sichere Dateninfrastrukturen für die gemeinsame Ermittlungsarbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft bzw. für den Datenaustausch zwischen Bundespolizei und den Polizeien der Länder und der Landeskriminalämter.Um den Anforderungen von Polizei und Justiz gerecht zu werden, müssen föderale Datenräume geschaffen werden, die die Datenhoheit der beteiligten Behörden bewahren und die Verwaltungsvorschriften zum Geheimschutz beachten. Im Sinne dieses Ansatzes können bestehende Führungssysteme, Polizeidatenbanken und Auskunftssysteme sowie Vorgangsund Fallbearbeitungssysteme mit Bund- und Länderinforma-

tionssystemen mithilfe föderaler Datenräume integrativ vernetzt werden. Am Beispiel eines kooperativen Krypto-Raums zum Austausch von Strafakten und digitalen Beweismitteln lassen sich die Vorteile föderierter Datenräume erklären. Der Austausch von sensiblen Daten zwischen der leitenden Staatsanwaltschaft und den ermittelnden Polizeibehörden stellt beide Akteure nämlich bisher vor pragmatische Hindernisse und offene Fragen: Wann wird wem auf welchem Weg mit welcher Notwendigkeit eine Akte zur Verfügung gestellt? Wie kann die leitende Behörde aktenführend bleiben, wenn die Akte selbst oder in Kopie (meist sogar noch auf Papier) an eine

ermittelnde Behörde weitergereicht wird, diese Änderungen am Inhalt vornimmt und es somit zu nichtsynchronen Inhalten kommt? Ein kooperativer Krypto-Raum ermöglicht das Zusammenspiel der Interakteure im Sinne einer Vorgangsbearbeitung auf Basis der Regularien des Geheimschutzes und damit auf einer Vertrauensbasis, die einer “normalen” Verwaltungsakte und erst recht dem Verteilen von Papierakten weit überlegen ist. In diesem Raum legt eine Staatsanwaltschaft eine Strafakte ab und ermächtigt über die Weitergabe von Krypto-Schlüsseln eine ermittelnde Polizeibehörde, auf die codierten Informationen der Akte zuzugreifen. Die Behörde kann ihrerseits Beweismittel

ebenfalls verschlüsselt darin hinterlegen, die die Staatsanwaltschaft dann, da sie die Datenhoheit als aktenführende Instanz behält, instantan einsehen kann. So wird der Krypto-Raum unmittelbar zur digitalen Asservatenkammer, die zeitgleich als Vorgangsbearbeitungssystem funktioniert: Jede “Bewegung” in diesem Raum wird geeignet protokolliert, Workflows lassen sich wie in elektronischen Aktensystemen gestalten. Seine Mächtigkeit spielt dieser Ansatz insbesondere dann aus, wenn Dienste für KI, die Analysen und Auswertungen auf den digitalen Asservaten fahren, zum Einsatz kommen: Das Zusammenspiel dieser Teilnehmenden geschieht unmittelbar, d. h. Zeiten für den

Die Smart-eID

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ereits im Februar 2021 ist dessen Nutzung gegenüber dem Vorjahr um 500 Prozent angestiegen. Dies liegt am Fortschritt beim OZG, an der Einführung von Nutzerkonten sowie der Möglichkeit, aufgrund des Verwaltungsverfahrensgesetzes mit dem Online-Ausweis auch schriftformwahrende Anträge einreichen zu können; aber auch an der aufgrund der Corona-Pandemie unabdingbaren Notwendigkeiten, sich mit dem Online-Ausweis zu beschäftigen und die vorhandenen Angebote zu nutzen. Die Nutzer sind bereit, auch etwas weniger “benutzerfreundliche” Systeme in Kauf zu nehmen, wenn die dahinterstehende Anwendung einen Mehrwert liefert: den Schutz der eigenen Identität und der eigenen Daten. Viele Nutzerinnen und Nutzer von OnlineBanking dürften da sofort an die neuen Login-Prozesse denken, die von den Banken im Rahmen der Zahlungsdienstrichtlinie PSD2 eingeführt wurden. Im Kontext der Online-Ausweisfunktion zeichnet sich nun ein weiterer Schritt in

Grafik: BS/ PICTURE GmbH

In einem mehrstufigen Prozess wird zunächst das Vorgehen für die jeweilige Verwaltung angepasst: Zunächst wird eine Priorisierung der OZG-Leistungen für die lokalen Anforderungen festgelegt, dann werden die Organisationseinheiten ausgewählt, mit denen relevante Kennzahlen wie Fallzahlen, Digitalisierungsstand und -fähigkeit erhoben werden. Die durchgeführte Reifegradanalyse berücksichtigt nicht nur die “reine” OZG-Seite, sondern wertet auch individuelle Rahmenbedingungen hinsichtlich des Personals, Servicelevels und der IT aus. So kann u. a. herausgefunden werden, wo es vielleicht im Hause oder darüber hinaus schon gute (und fertige)

Föderierte Datenräume

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as Bundesgesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehres schreibt die flächendeckende Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen verbindlich bis zum 31.12.2025 vor. Das Potenzial der Digitalisierung liegt in der fallbezogenen und rechtskonformen Verknüpfung der Strafakten und unterstützt die behördenübergreifende Zusammenarbeit. Hierbei wird die rechtskonforme Integration von Verfahren der Künstlichen Intelligenz in den Aktensystemen selbst noch nicht berücksichtigt. Erst die Kombination der Strafakten mit analytischen KI-Methoden im Rahmen der Modernisierung und Transformation der IT der Polizeien auf Bundes- und Länderebene macht das volle Potenzial sichtbar: • neue digitale Ermittlungsdienste gegen die wachsende Internet- und Cyber-Kriminalität, • die Beschleunigung sowohl von Ermittlungsverfahren als auch der Vorgangsbearbeitung.

Behörden Spiegel / November 2021

Elektronische Identitäten als Schlüsselfaktor (BS/Petra Waldmüller-Schantz/Hartje Bruns*) Elf Jahre nach Einführung des Online-Ausweises sind etliche der ursprünglichen Hürden ausgeräumt – zum Beispiel die Notwendigkeit eines Kartenlesers – und fast alle Bürgerinnen und -bürger sind im Besitz eines Online-fähigen Ausweises. eine noch einfachere Nutzung ab: die Einführung einer sogenannten Smart-eID. Noch im Winter 2021/2022 wird es möglich sein, die Smart-eID mittels AusweisApp2 nutzen zu können. Hier wird der kartenbasierte Ausweis genutzt, um die Identitätsdaten in die sichere Hardware eines Smartphones abzuleiten. Nur so können die hohen Anforderungen an Datensicherheit und Datenschutz gewährleistet werden. Selbst bei Verlust des Smartphones können die Daten aus der sicheren Hardware auch durch versierte Hacker nicht ausgelesen werden. Im Anschluss an den Personalisierungsprozess kann das Smartphone für das Online-Ausweisen verwendet werden, ohne dass der physikalische Ausweis aus der Tasche geholt werden muss. Damit werden Hürden für die tägliche Nutzung deutlich gesenkt.

Ein dezentraler Ansatz mit einer ähnlichen Grundidee entsteht mit den Initiativen rund um SelfSovereign Identities. Der relativ neue Ansatz im Umgang mit elektronischen Identitäten findet großen Anklang. Self-Sovereign Identities (SSI) stellen mit den sogenannten “verifiable claims” den Benutzer in den Mittelpunkt der eID-Verwaltung und können so Use Cases ermöglichen, die in den klassischen Systemen nur mit einem sehr viel größeren Aufwand möglich wären. Wie im echten Leben nehmen wir je nach Kontext eine andere Rolle ein. Diese Rolle kann ebenfalls als digitale Identität bezeichnet werden. Der Grundgedanke ist dabei, dass beispielsweise ein Arbeitgeber einer Mitarbeiterin die Zugehörigkeit zur Firma bestätigen kann, in dem er die entsprechenden “Claims” (Be-

hauptungen) signiert. In diesem Beispiel muss der Arbeitgeber keinen Service bereitstellen, über den der Beschäftigungsstatus abgerufen werden kann, sondern er stellt einen entsprechenden Claim aus. Der Mitarbeiter signiert seine Claims ebenfalls und hält die dafür nötigen Schlüssel unter seiner eigenen Kontrolle. Diese Claims werden durch den Benutzer nur aktiv und willentlich gezeigt. Dafür kommen in der Regel Wallets zum Einsatz. Bei besonders schützenswerten Daten können wieder sichere Elemente im Smartphone genutzt werden. Die eigentlichen Identitätsdaten können aus dem Wallet kommen oder auch an beliebiger Stelle verschlüsselt im Internet liegen. Für die Integritätssicherung der Daten, die öffentlich zur Verfügung stehen müssen, kommen sogenannte “distributed

ledger” (auch “Blockchains”) zum Einsatz. Diese hochspannende Entwicklung hat das Potenzial, viele neuartige Use Cases hervorzubringen. Die staatlich verifizierte Identität in Form der Online-Ausweisfunktion, mobil und kartenbasiert, dient der hochwertigen Identitätsfeststellung. Zur Ableitung von anderen kontextbasierten Identitäten stellt SSI eine hervorragende Grundlage bereit. Erste Ergebnisse aus den vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten “Schaufenster-eID-Projekten” werden 2022 verfügbar sein. Aktuell gehen wir von circa sechs Millionen Online-AusweisNutzern aus. Ihnen stehen allerdings circa 50 Millionen OnlineBanking-Nutzer gegenüber. Da der Finanzsektor ähnlich hoch reguliert ist wie der öffentliche Sektor, haben sich diese 50 Milli-

Lösungen gibt. In einem agilen Umsetzungsworkshop werden die Erkenntnisse ausgewertet und eine konkrete Entscheidungsgrundlage für die Verwaltungsspitze in Form von priorisierten Leistungen, Reifegradstufen (Ist und Soll) und Maßnahmen zur Umsetzung erarbeitet. So können die eigenen strategischen Zielsetzungen im Bereich der Verwaltungsmodernisierung und Digitalisierung mit den Vorgaben des Onlinezugangsgesetzes übereingebracht werden. Mit diesem Ergebnis liegt ein Steuerungswerkzeug vor, das für die weitere Kommunikation sowohl innerhalb der Verwaltung als auch mit Kund(inn)en sowie mit der Politik eingesetzt werden kann. Mit dem OZG-Quickcheck können Verwaltungen das “drohende” Datum der OZG-Umsetzung in einen Vorteil verwandeln und sich aktiv mit der eigenen Zukunft beschäftigen. Alle Leistungen werden sie nicht rechtzeitig umsetzen können – das ist auch nicht sinnvoll. Der Quickcheck zeigt, welche Leistungen am meisten nachgefragt werden und den meisten Nutzen stiften. Weitere Informationen zum OZGQuickcheck unter www.picturegmbh.de *Johannes Schwall ist Produktverantwortlicher OZG-Quickcheck und Managementberater bei der PICTURE GmbH. Martin Instinsky ist Teamleiter Beratung bei der PICTURE GmbH.

Datentransport und Gefahren des Verlusts der Datenkontrolle werden eliminiert. Technisch bildet das Produkt SINA der secunet AG diesen Raum ab. Materna realisiert als IT-Dienstleister fachliche Nutzungsszenarien und integriert darin abgesicherte und souveräne KI-Dienste. Der Aufbau solcher Datenin­ frastrukturen wird entscheidend sein, um den zukünftigen He­ rausforderungen in der polizeilichen Ermittlungsarbeit und in der Strafverfolgung gerecht zu werden. Die besonderen Anforderungen von Polizei und Justiz können bei der Umsetzung der europäischen und nationalen Digitalisierungsstrategie und insbesondere bei der Umsetzung einer souveränen Dateninfrastruktur, wie sie mit dem Projekt Gaia-X angestrebt wird, stärker berücksichtigt werden. *Thomas Feld ist Vice President Data Economics bei Materna und Dr. Alexander Fronk ist ThemenManager im Unternehmen.

onen Menschen gegenüber ihrem Kreditinstitut schon einmal mit einem hoheitlichen Dokument ausgewiesen. Und: Sie sind mit den Mechanismen ihrer Bank und den mittlerweile verschärften PSD2-Vorgaben hinsichtlich der Authorisierung eines Vorganges vertraut. Mit der sicheren BankID könnten problemlos qualifizierte Fernsignaturen bezogen werden. Auch daran arbeitet Governikus mit unterschiedlichen Partnern, entsprechende Projekte befinden sich bereits in der Pilotierungsphase. Denkbar wäre auch, mittels Bank-ID das Niveau eines Nutzerkontos anzuheben. Die Chancen, die sich aus dem Brückenschlag zwischen Public und Finance Sector hinsichtlich elektronischer Identitäten ergeben, sind also groß und sie ermöglichen kurzfristig eine vollumfängliche Nutzung von OZG-Leistungen. *Petra Waldmüller-Schantz ist Leiterin der Unternehmenskommunikation und Prokuristin, Hartje Bruns ist Director Products bei Governikus GmbH & Co. KG.


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / November 2021

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Der Fortschrittstreiber

Be like water

Die KI-Plattform für die Bundesverwaltung

Technologietrends für den öffentlichen Sektor

(BS/Dr. Alfred Kranstedt) Die Basis für einen vertrauenswürdigen Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) ist im staatlichen Umfeld digitale Souveränität. Der Staat bürgt dafür, dass die erhobenen Daten der Bürgerinnen und Bürger dauerhaft und uneingeschränkt geschützt sind. In ihrer “Strategie Künstliche Intelligenz” beschreibt die Bundesregierung das enorme Potenzial von KI für die öffentliche Verwaltung. Im ITZBund wurde auf Basis einer KI-Referenzarchitektur als Antwort darauf eine universelle KI-Plattform entwickelt, um innovative Vorhaben in der Bundesverwaltung mit KI-Methoden stabil umzusetzen.

(BS/Pierre-Adrien Hanania) “Be like water!” – diese Weisheit von Kung-Fu-Legende Bruce Lee inspirierte den IT-Dienstleister Capgemini zu seiner aktuellen TechnoVision für den öffentlichen Sektor. Koryphäen aus zwölf Ländern tauchen in diesem Technologie-Kompass in ihre Fachgebiete ein – u. a. Daten, Infrastruktur, User Experience, Anwendungen oder Prozesse – und zeigen zukunftsrelevante Technologien sowie deren Einfluss auf den Arbeitsalltag der öffentlichen Verwaltung.

eingesetzte Technologien, aber insbesondere auch für die Integration von Modellentwicklung und laufender KI-Produktion zu setzen. Relevante Domänen und Anwendungsfälle für die Behörden können “On-Premise” beim ITZBund betrieben werden. Dabei wird der gesamte KI-Lebenszyklus von der Entwicklung, dem Training bis zur Produktion integriert umgesetzt. Die Mandantenfähigkeit der Plattform (sog. Tenants) ermöglicht es, unterschiedliche Vorhaben verschiedener Behörden auf einer Infrastruktur zu betreiben. Eine hohe Skalierbarkeit sichert die Dr. Alfred Kranstedt ist seit Ausbaufähigkeit 2017 Direktor des ITZBund. sowohl der einzelFoto: BS/ITZBund nen Verfahren als auch der Anzahl der Verfahren ab. Mit der Umsetzung der KI-Referenzarchitektur tenmengen erlaubt es, Struktu- ermöglichen wir den Einsatz ren und besondere Zustände zu innovativer Technologien und erkennen, die sich klassischer einen stabilen Betrieb in den Analytik und Statistik entziehen, Netzen des Bundes. so z. B. bei der Risikobewertung von Finanztransaktionen. Die Beispiel für Innovationsrolle des ITZBund Analyse von Texten und Bildern mit Verfahren des maschinelDie erste Bewährungsprobe len Lernens ermöglichten es, erfuhr die KI-Referenzarchi“weiche” Informationen klassi- tektur im Frühjahr 2020. Dort fizierbar zu machen und so z. B. wurde das erste KI-Projekt auf Bedeutungen von Texten zu be- ihrer Grundlage gestartet. Es werten und Zusammenhänge zu handelt sich um das Verfahren erkennen. Dies veranschaulicht, “ANSWER” des Bundeszentraldass KI zu einer reifen Techno- amtes für Steuern. Dafür werden logie gewachsen ist. Methoden der KI zur Analyse, Verknüpfung und Auswertung Herausforderungen bei von Steuerdaten genutzt. Die der Umsetzung Umsetzung erfolgte mit den Im Sommer 2019 erarbeitete SAP-Lösungen SAP Data Inteldas ITZBund eine KI-Referenz- ligence und SAP HANA. Ende architektur. Ziel dieser Referenz- Oktober 2020 ging das Verfahren architektur ist es, Standards für planmäßig produktiv und wird In den Bundesministerien und -behörden ist die Verwaltungsmodernisierung eines der zen­ tralen Themen, dem Einsatz von KI-Methoden kommt hierbei eine entscheidende Rolle zu. Im praktischen Einsatz dominieren drei KI-Domänen: KI-gestützte Prognosen und Szenarien ermöglichen es, multi-kausale Entwicklungen vorauszusehen und Szenarien zu ermitteln, z. B. für die Entwicklung von wirtschaftlichen Eckwerten. Die Gruppierung und Klassifizierung von großen Da-

seitdem stetig ausgebaut. Auf einer universellen KI-Plattform kommen eine Vielzahl von unterschiedlichen Methoden des Maschinellen Lernens und der Texterkennung zum Einsatz, die auch qualitätsgesichert von der Entwicklung in die Produktion überführt werden. Die Umsetzung dieses ersten KI-Vorhabens auf einer universellen KI-Plattform war ein erfolgreicher Schritt und eine Blaupause für weitere KIProjekte. Es belegt, dass die Bundesverwaltung zweifelsohne in der Lage ist, innovative Lösungen schnell und effizient zu liefern. Im Frühjahr 2021 erfolgte bereits der Startschuss für ein weiteres KI-Verfahren, das ebenfalls die universelle Plattform nutzt. IT-Dienstleister wie das ITZBund leisten damit ihren Beitrag zur Ausgestaltung der digitalen Souveränität und erschließen KI für die Verwaltung. Hierfür sind gezielte Investitionen notwendig. Aber auch Mut, diese Experimente zu wagen.

Im DSO-Chefgespräch Auf der Plattform Digitaler Staat Online (DSO) wird am 18. November um 10:30 Uhr ein rund halbstündiges Chefgespräch ausgestrahlt, welches Dr. Eva-Charlotte Proll, Mitglied der Geschäftsleitung des Behörden Spiegel, mit ITZBundDirektor Dr. Alfred Kranstedt führte. Weitere Informationen und eine kostenfreie Anmeldung unter: www.digitaler-staat.online

Es herrscht Nachholbedarf … … auf dem Weg zur digitalen Verwaltung (BS/Michael Hlevnjak*) Dank Smartphone und mobilem Internet sind Menschen heute immer und überall vernetzt. In Zukunft soll dies auch für Städte gelten: unzählige Endpunkte – von Laternen über Straßen bis hin zu Versorgungsnetzen – sollen vernetzt werden, um die Lebensqualität zu erhöhen. Der Blick in das Hier und Heute zeigt allerdings, dass eine solche Smart City noch Zukunftsmusik ist. Gerade in Behörden und Ämtern gibt es aus Sicht der Bürger noch Raum für Entwicklung. Ob Arzttermin, Lebensmitteleinkauf oder Fitnesskurs – spätestens die Covid-19-Pandemie hat viele alltägliche Besorgungen und Aktivitäten in den digitalen Raum verlagert. Dies wünschen sich Bürger auch für Behördengänge. Allerdings sind hier die Möglichkeiten häufig noch ungenutzt: So findet in einer aktuellen Studie von Citrix knapp jeder Zehnte (acht Prozent), dass die Behörden, mit denen er in Berührung kommt, digital gut aufgestellt seien. Entsprechend wünschen sich drei von fünf Bürgern (58 Prozent) mehr digitale Services von staatlichen Einrichtungen.

Größter Bedarf in der mittleren Altersgruppe Der größte Bedarf herrscht allerdings nicht unter den vermeintlich besonders technikaffinen jüngeren Generationen, sondern in der Altersgruppe der 35- bis 54-Jährigen. Doch das Ergebnis überrascht nur auf den ersten Blick, denn viele Ereignisse, die Behördengänge nach sich ziehen, fallen in diesen Lebensabschnitt: Eheschließungen und Geburten müssen beim Standesamt gemeldet werden, für Reisen ins nichteuropäische

Ausland wird ein Reisepass vom Bürgeramt benötigt und wer ein Unternehmen gründet, muss gleich mehrere Behörden aufsuchen. All solche Termine sind in vielen Städten noch immer auf Papier angewiesen und mit zeitlichem Aufwand verbunden. Daher wünschen sich die Teilnehmer der Studie auch am dringlichsten die Möglichkeit, Anträge digital zu stellen (68 Prozent) und Termine online zu vereinbaren (67 Prozent). Insbesondere die Einführung digitaler Anträge und Akten würden, nicht nur den Service für die Bürger verbessern, sondern auch die Mitarbeiter der Behörde entlasten und ihnen den Arbeitsalltag erleichtern, da sie bei ihrer Arbeit nicht mehr auf Papierunterlagen angewiesen sind.

Eigene Entscheidung der ITAbteilung nicht der Regelfall Nur bei etwas mehr als einem Drittel (37 Prozent) der in der Studie ebenfalls befragten ITExperten aus der Verwaltung trifft die IT-Abteilung selbst die IT-bezogenen Entscheidungen. In einigen Fällen (fünf Prozent) sagen die IT-Verantwortlichen,

sie würden sogar nicht einmal von der fachfremden Abteilung mit der Entscheidungsgewalt konsultiert. Diese Eingrenzung des Handlungsspielraums der IT stellt eine Herausforung für die Umsetzung von Digitalisierungsprojekten dar.

Landkreis Rastatt zeigt, wie Digitalisierung geht Wie Digitalisierung in Behörden funktionieren kann, zeigt hingegen der Landkreis Rastatt. Die Verwaltungsbehörde setzt auf Lösungen, die Applikationen und Desktops von jedem Endgerät aus bereitstellen und diese zentral verwalten sowie einen sicheren Umgang mit und Austausch von Daten ermöglichen. Die Mitarbeiter haben dadurch jederzeit und von jedem Ort aus Zugriff auf alle benötigten Dateien und Informationen und können zum Beispiel Anträge wesentlich schneller verarbeiten. Zudem konnte das Landratsamt so trotz pandemiebedingter Einschränkungen seinen Betrieb für die Bürger aufrechterhalten. *Michael Hlevnjak ist als Director Public Sector Germany für die Firma Citrix tätig.

Viele Regierungsorganisationen stehen vor einem schier unendlichen Ausmaß an Herausforderungen in einer immer komplexer werdenden Welt, deren Eigendynamik Stillstand nicht duldet. Sie müssen nicht nur lebenswichtige und lebensrettende Services für die Bürgerinnen und Bürger bereitstellen, sondern auch die Weichen für die wirtschaftliche Entwicklung stellen und Vorreiter im Krisenmanagement sein, etwa bei der Covid-19-Pandemie, beim Klimawandel oder bei CyberAngriffen auf Kritische Infrastrukturen. Die souveräne, sichere Nutzung von Technologie und Daten kann die öffentliche Verwaltung dabei unterstützen, ihr Serviceangebot bürgernäher zu gestalten, intelligentere und umweltfreundlichere Lebensräume zu schaffen, Gesundheitsversorgung und Bildung zu verbessern und die Bevölkerung zu schützen.

Alles muss fließen Das Element Wasser bringt auf den Punkt, was in einer Welt stetigen Wandels wichtig ist: Alles muss fließen, formbar und anpassungsfähig sein – kurz gesagt, agil. Was Bruce Lee im Wesen des Wassers erkannte, können wir ebenso auf die Technologie und deren Entwicklung übertragen. Technologie formt die heutige Welt, sie durchströmt unseren Alltag und es kommt darauf an, sie uns positiv zunutze zu machen – auch im öffentlichen Sektor. Es geht dabei nicht um das Ob, sondern vielmehr um das Wie. Darüber allerdings sollten wir konstruktiv diskutieren und bestehende

gestaltet werden kann, praxisnah untermauert von weltweiten ProjekPierre-Adrien Hanania ist ten sowie von IdeKI-Experte für den Public en zur konkreten Sector bei Capgemini. Umsetzung in neue Foto: BS/Capgemini Kontexte. Bruce Lees Rat “Empty your mind!” ist ein guter Ausgangspunkt, um gemeinsam mit frischen Vorurteile über Bord werfen, wohl Ideen auf eine lebenswerte Zukunft wissend, dass neben der Technik hinzuarbeiten. auch Kreativität und Kulturwandel auf die Tagesordnung der VerwalHier in die TechnoVision Public tung gehören. Hierbei sollten wir Sector eintauchen! uns immer bewusst sein, was im Zentrum allen Strebens steht: nicht etwa das Projekt oder die Software – sondern der Mensch! Technologie ist kein Selbstzweck, sondern soll dem Gemeinwohl dienen.

Die Schleusen sind geöffnet Noch hängt Deutschland bei der Digitalisierung seiner Verwaltung anderen Nationen hinterher, aber die konzertierten Aufholaktionen wachsen. Mit dem Onlinezugangsgesetz und der Single-Digital-Gateway-Verordnung hat sich die öffentliche Verwaltung dem digitalen Wandel verbindlich verpflichtet. Der Bund bezuschusst im Rahmen des Konjunkturpakets die Umsetzung von OZG und Registermodernisierung mit zusätzlichen 3,3 Mrd. Euro und hat damit die Schleusen zur erfolgreichen Verwaltungsdigitalisierung geöffnet. Die TechnoVision enthält vielfältige Anregungen, wie diese

MELDUNG

Deutschland in 3D (BS/gg) Das Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (BKG) hat mit der Erstellung eines “digitalen Zwillings” begonnen, der bis 2024 ganz Deutschland in einem bundesweiten 3D-Datensatz abbilden soll, um damit die Folgen des Klimawandels oder anderer Katastrophen sowie die Entwicklung von Sicherheit und Verkehr zu simulieren.


Informationstechnologie

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Behörden Spiegel / November 2021

Transformation

Großes Potenzial

Wie Deutschland zum Digitalland werden kann

Aber auch deutliche Vertrauenslücke bei KI

von Martin Kaloudis

(BS/Patrick Pongratz) Künstliche Intelligenz hat erhebliches Potenzial auch für die öffentliche Hand – da sind sich Experten aus IT, Politik und Verwaltung einig. Die öffentliche Akzeptanz für und das Vertrauen in die Technologie ist aber noch stark ausbaufähig. Das zeigt der neue “Trust in AI Index” von SAS, der deutsche Medienbeiträge und Tweets seit 2019 laufend analysiert.

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s ist kein Geheimnis, dass Deutschland bei der digitalen Transformation zu den Schlusslichtern gehört. Unter anderem liegt das an einer unserer größten Tugenden in der “alten Welt”: Gründlichkeit. Projekte werden mit langem Atem geplant, kalkuliert, beschlossen und umgesetzt, damit sich das Ergebnis eine kleine Ewigkeit lang bewährt. In manchen Bereichen mag sich das noch rentieren, für die Digitalisierung ist es Gift. Digitale Lösungen lassen sich nicht wie ein Haus oder eine Brücke “bauen”. IT wird vom zivilen Markt getrieben, mit immer kürzeren Innovationszyklen und exponentieller Beschleunigung in der Entwicklung und Verfügbarkeit neuer Technologien. Beschleunigung wird somit zum kritischen Erfolgsfaktor: Innovative Anwendungen und modernisierte IT müssen zum Einsatz bereit sein, bevor sie schon wieder der Schnee von gestern sind.

Agile Projekte statt Goldrandlösungen Zunächst brauchen wir also eine Bereitschaft, in Inkrementen loszulaufen, bevor das große Ganze projektiert ist. Ob Blockchain, Virtual Reality oder Künstliche Intelligenz: Bei der BWI, dem IT-Systemhaus und Digitalisierungspartner der Bundeswehr, klopfen wir die neuesten Technologien auf konkrete Anwendungsfälle ab. Die-

Martin Kaloudis ist Chief Executive Officer (CEO) und Vorsitzender der Geschäftsführung der BWI GmbH, des ITSystemhauses der Bundeswehr. Foto: BS/BWI

se werden in Experimenten in enger Zusammenarbeit mit der Bundeswehr erprobt. So können Ideen durch den frühen Start Marktreife erlangen, bevor sich die Technologie dahinter selbst überholt. Es geht dabei auch nicht nur um Hightech. Bereits “einfache” Anwendungen modernisieren den Arbeitsalltag: Die Bw-eToken-App, womit Soldatinnen und Soldaten unbürokratisch kostenfreie Tickets für Bahnfahrten lösen, oder USGOnline für den Antragsprozess zum Unterhaltsausgleich im Reservistendienst. Als digitale “Häppchen” können wir solche Anwendungen schnell realisieren und zugleich den Anspruch unserer Kunden erfüllen, dass sie stabil und sicher laufen. So kommt die Digitalisierung voran.

Ein weiterer Punkt: Kein noch so großer Akteur stemmt Digitalisierungsprojekte ganz allein. Das gilt wegen der Schnelligkeit, mit der gehandelt werden muss, der Komplexität der nötigen Lösungen und erst recht angesichts des leergefegten IT-Arbeitsmarkts. Wir setzen auf verlässliche, leistungsstarke Industriepartner mit komplementären Stärken. Mit Partnern auf Augenhöhe können wir an der Spitze des Fortschritts agieren. Zudem entstehen durch anspruchsvolle Großprojekte wie die Modernisierung der Bundeswehr im gesamten Partner-Ökosystem attraktive IT-Arbeitsplätze – und das trägt mit dazu bei, den gefährlichen Brain-Drain in Richtung der Silicon Valleys dieser Welt zu vermindern und qualifizierte Arbeitskräfte in Deutschland zu halten.

Ein womöglich noch größerer Hebel liegt schließlich in der öffentlichen Verwaltung. Neue Software oder neue Fregatte – der bürokratische Ablauf ist heute fast gleich und wird damit vielleicht der Fregatte, aber auf keinen Fall der Software voll gerecht. Beschleunigen heißt auch hier umdenken und umstrukturieren: Projektmanagement statt Ablauforganisation, flache Hierarchien statt Linienzuständigkeiten, flexible Budgets statt Jahresplanungen. Zudem geht es natürlich um die Finanzen, einen größeren IT-Etat im Staatshaushalt. Es ist doch eindeutig, dass etwa die Bundeswehr nur digital transformiert auf dem Gefechtsfeld der Zukunft und im Cyber-Raum bestehen und ihren Schutzauftrag auf Landes- und Bündnisebene erfüllen kann. Wie sehr unser Wohlstand und gar der Erhalt unserer demokratischen, westlichen Lebensform in allen Bereichen vom Gelingen des digitalen Wandelns abhängen, muss endlich verstanden werden. Deutschland ein Digitalland? Das kann funktionieren, wenn wir agil und schnell ins Handeln kommen – ohne dass dies auf Kosten von Sicherheit, Datenschutz und Betreibbarkeit der IT-Systeme geschieht. Die BWI als ein wesentlicher Akteur bei der digitalen Transformation der Bundeswehr und des Bundes setzt sich mit allen ihren Möglichkeiten dafür ein.

Noch vor der Bundestagswahl im September hat Olaf Scholz auf einer Veranstaltung des Digitalverbandes Bitkom Defizite bei der Digitalisierung in Deutschland eingeräumt und dafür vor allem Mängel in der Umsetzung verantwortlich gemacht. “Deutschlands digitale Zukunft ist nicht so gut, wie wir sie uns wünschen würden”, sagte der Finanzminister der Regierung Merkel. Das soll sich mit Fördermitteln in Milliardenhöhe ändern – und einer der zentralen Hoffnungsträger ist Künstliche Intelligenz (KI). Die Bundesregierung selbst hat in ihrer “Nationalen Strategie für Künstliche Intelligenz” zwölf Handlungsfelder identifiziert, bei denen KI einen wesentlichen Beitrag zur Modernisierung und Digitalisierung leisten kann. Eines davon: “KI für hoheitliche Aufgaben nutzen und Kompetenzen der Verwaltung

Ein aktuelles Beispiel ist die analytisch gestützte Intensivbettenplanung in der Corona-Pandemie. Viel Potenzial hat die risikobasierte Steuerung: KI lernt, aus den Daten Zusammenhänge zwischen Merkmalen und Ereignissen zu erkennen. So können Risiko-Scores für bestimmte Vorgänge oder Anträge ermittelt werden. Darüber hinaus kann KI anhand der Daten zeitlich fortlaufende Aktivitäten prüfen und ein Risikoniveau bestimmen. Daraus lassen sich frühzeitig Maßnahmen ableiten, um entsprechende Risiken zu minimieren. Ein Beispiel hierfür sind optimierte Investitionspläne in Infrastruktur oder Bildung.

“Unbehagen” bei Verwaltung und Öffentlichkeit

Trotz dieser Potenziale und trotz der eindeutigen Strategie der Bundesregierung herrscht in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor Verunsicherung gegenüber KI vor. Zwar sind gemäß einer aktuellen Patrick Pongratz ist Director Studie von adesPublic & Commercial bei so 65 Prozent der SAS. Foto: BS/SAS Befragten davon überzeugt, dass das Investment in KI zu Vorteilen führt. Aber: Für anpassen”. Das Ziel: bessere und Behörden fühlt sich das Thema effizientere Verwaltungsdienstleis- KI in vielen Bereichen noch “fremd” tungen für die Bürgerinnen und an. Und jeder zweite Befragte ist Bürger anzubieten. Die Bundes- sogar davon überzeugt, dass es regierung selbst will durch den Widerstand gegen KI gibt. Ein dazu Einsatz von KI in der Verwaltung passendes Ergebnis zeichnet sich auch in der im November erscheieine Vorreiterrolle einnehmen. nenden Studie Curiosity@Work Prädestiniert für den von SAS ab, die den Stellenwert Einsatz von KI von Neugier als Motivation für ArTatsächlich verfügen die öffentli- beitnehmer und Organisationen chen Verwaltungen in Deutschland erfasst – und in der die öffentliüber eine ideale Grundlage, um KI che Verwaltung weltweit anderen nutzbringend einzusetzen: Daten, Branchen hinterherhinkt. die täglich anwachsen – Gesetze, Dass KI aber generell ein VerVerwaltungsvorschriften, Ausfüh- trauensproblem hat, zeigt der rungsbestimmungen, personenbe- neue “Trust in AI Index” von SAS. zogene Angaben der Bürgerinnen Der Index ermittelt ein Meinungsund Bürger. Denn wo immer es bild im deutschen Sprachraum darum geht, Datenlagen schnell zum Thema KI und analysiert zu beurteilen, Entscheidungen zu dazu mittels Text Analytics und treffen und Zukunftsszenarien zu Sentiment-Analyse Beiträge in simulieren, ist KI an Effizienz und Qualitätsmedien und Tweets für Nutzen kaum zu überbieten. einen monatlich aktualisierten Das ist keine Zukunftsmusik: Score. Die Datenbasis besteht Neben dem naheliegendsten An- derzeit aus rund 50.000 Artikeln wendungsfeld, der Automatisie- in Medien und 240.000 Tweets rung von Bürgerservices – sind seit Anfang 2019. Der durchbereits verschiedene Szenarien schnittliche Sentiment-Score in mit KI realisierbar. KI-gestützte den ersten drei Quartalen 2021 Netzwerkanalyse macht Verbin- liegt bisher bei 52 auf einer Skala dungen zwischen Personen, Orga- von 0 (totale Ablehnung) bis 100 nisationseinheiten, Ereignissen, (totale Zustimmung). Das bedeuOrten und Zeitperioden sichtbar. tet, dass KI in den Medien nur Dies erlaubt Sachbearbeitern, schwach positiv eingestuft wird Zusammenhänge zwischen Da- – den positiven Stimmen stehen ten aus verschiedensten Quellen also viele kritische gegenüber. Im herzustellen – zum Beispiel bei September sind Letztere noch der Erkennung von organisiertem angestiegen, besonders wegen der kritischen Diskussion um die Betrug im Steuerumfeld. Strategische Unterstützung lie- vorgeschlagenen EU-Richtlinien fern Was-wäre-wenn-Szenarien. zu KI. Euphorie sieht anders aus. Sie simulieren verschiedenste Sowohl in der Öffentlichkeit als Handlungsoptionen und un- auch in den Verwaltungen ist also terstützen Sachbearbeiter bei noch viel Überzeugungsarbeit und Entscheidungen sowie bei der kultureller Wandel erforderlich, Abschätzung der Folgen. KI-ge- damit KI so zum Innovationsstützte Szenario-Analysen helfen, motor werden kann, wie sich die Wechselwirkungen zu verstehen. Bundesregierung das vorstellt.

MELDUNG

BMU will KI für Klimaschutz einsetzen (BS/lma) Das Bundesumweltministerium (BMU) hat die zweite Runde der Förderinitiative “KILeuchttürme für Umwelt, Klima, Natur und Ressourcen” gestartet. Gesucht werden laut Ministerium Projekte, die mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI) den Klima-

schutz und die Energiewende vorantreiben und die Risiken der Technologie eingrenze. Projektskizzen können bis zum 30.Novemeber 2021 eingereicht werden. Für die Förderung bis in das Jahr 2025 stehten voraussichtlich 66 Mio. Euro bereit.


Informationstechnologie/IT-Sicherheit

Behörden Spiegel / November 2021

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Das Reifegradmodell m2

Neuer CEO

In kleinen Schritten erfolgreich digitalisieren

Martin Schallbruch ab Januar bei govdigital

(BS/gg) Rund zwei Jahre nach Gründung bietet die govdigital eG der öffentlichen Verwaltung ein Betriebsmodell an, um digitale Leistungen über föderale Grenzen hinweg auszutauschen. Über ihre 20 Mitglieder erreicht die wachsende Genossenschaft bereits rund 65 Prozent aller deutschen Kommunen. Für die künftige Entwicklung ist es gelungen, Martin Schallbruch ab Januar 2022 als Mitglied des Vorstandes und CEO Doch häufig fehlt es in der öf- setzung liegt häufig darin, dass Reifegrad aller Dimensionen be- neuer Technologien nicht genutzt der Genossenschaft an Bord zu holen. (BS/Prof. Dr. Heike Markus) Die Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung ist kein Selbstzweck, sondern vor allem eine Voraussetzung für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland. Das Thema Nutzerorientierung muss daher im Vordergrund stehen, und zwar unabhängig davon, ob es um die Bearbeitungsdauer von Anträgen geht oder um das Thema Bildung – so spielt zum Beispiel die Verfügbarkeit von digitalen Lehrinhalten und technischer Ausstattung an Schulen eine wichtige Rolle für die Vorbereitung von Kindern auf die Herausforderungen in der Arbeitswelt. Digitale und bürgerorientierte Prozesse sind damit die Voraussetzung für Flexibilität und Handlungsfähigkeit. jede Organisation, Kommune oder ganz allgemein jede Behörde unterschiedlich aufgestellt ist hinsichtlich der Systeme, der Qualifikation von Mitarbeiter/innen oder des Führungsstils, Prof. Dr. Heike Markus lehrt um nur einige Informatik an der HochBeispiele zu nenschule Hof. Ihre Lehr- bzw. nen. Es existiert Fachgebiete sind Digitale daher kein PaVerwaltung und Künstliche tentrezept für die Intelligenz. Foto: BS/privat Digitalisierung, sondern jede Organisation muss für sich den richtigen Weg finden, projekte erfolgreich umzuset- um erfolgreich zu sein. Dieser zen. Von großer Bedeutung ist Weg funktioniert nur aus der dabei, dass die Digitalisierung eigenen Organisation heraus. verschiedene Dimensionen inGenau an diesem Punkt setzt nerhalb einer Organisation be- das digitale Reifegradmodell m² trifft. Dazu gehören neben den an, das von Professor Thomas Technologien vor allem Prozesse, Meuche und der Autorin entwiOrganisationsstrukturen und ckelt wurde und von der Media die Führungskultur. Aber auch Solutions GmbH mit digitalen Themen wie Qualifikation der Lösungen unterstützt wird. BeiMitarbeiter/-innen und der Um- de sind an der Hochschule Hof gang mit Daten sind wichtige tätig und leiten gemeinsam das Erfolgsfaktoren. Und natürlich dort angesiedelte Kompetenzstellt sich die Frage, welches Ziel zentrum Digitale Verwaltung. mit der Digitalisierung in der Es berücksichtigt alle für die eigenen Organisation verfolgt Digitalisierung relevanten Diwerden soll. Nur mit einem Ziel mensionen einer Organisation vor Augen können die einzelnen und beginnt damit, dass FühSchritte dorthin definiert und rungskräfte und Mitarbeiter/aufeinander aufgebaut werden. innen aus der jeweils eigenen Die Schwierigkeit bei der Um- Perspektive Fragen zum digitalen fentlichen Verwaltung daran, das Thema Digitalisierung greifbar zu machen und ein Vorgehen zu finden, um Digitalisierungs-

E

in gewöhnlicher Montagabend. Nutzerinnen und Nutzer aus aller Welt schreiben sich Nachrichten auf WhatsApp, scrollen durch die digitale Bilderwelt auf Instagram oder aktualisieren ihre Timeline auf Facebook. Dann allerdings passiert etwas Ungewöhnliches – und zwar nichts. Aus der WhatsApp-Empfangsbestätigung, den zwei grauen Haken, wird eine Sanduhr. Die App der Influencerinnen und Influencer lädt keine neuen Beiträge und das Social-Media-Netzwerk zeigt in der Browsersuche nur “Die Website ist nicht erreichbar” an. Für knapp sieben Stunden wird das digitale Leben für die meisten Nutzenden entschleunigt – für manche ein gesunder digitaler Detox, für andere ein Abend mit medialen Entzugserscheinungen. Kurz vor Mitternacht mitteleuropäischer Sommerzeit hatte der Spuk dann sein Ende – die Plattformen konnten wieder voll genutzt werden. Doch was war passiert? Eine genaue Analyse des Shutdowns gab Facebook nicht an. Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter teilte das Unternehmen lediglich mit, dass technische Probleme – also keine Cyber-Attacke – für den Ausfall verantwortlich gewesen seien. Es wird vermutet, dass Konfigurationsänderungen an den Backbone-Routern den Ausfall verursacht haben. Backbone-Router sind zuständig für den Netzwerkverkehr zwischen den Rechenzentren von Facebook. Auch eine Domaine-Name-System-(DNS)-Störung, kann als Ursache in Betracht gezogen werden. Dabei würde die Weiterleitung von IP-Adressen auf die Domain (in diesem Fall facebook.com) nicht funktionieren. Grund dafür ist, dass die DNS-Einträge der Face­ book-Dienste aus dem System verschwinden und damit für den Nutzer unerreichbar werden.

Im Regierungsnetz eher ­unwahrscheinlich Das ähnliche Probleme auch beim Bundesverwaltungsnetz stattfinden könnten, hält ein IT-

antworten. Die daraus anonym erfassten Ergebnisse dienen dann als Spiegel in die eigene Organisation und ermöglichen eine konstruktive Diskussion zur Ermittlung der relevanten Ansatzpunkte in Richtung Digitalisierung. Wenn zum Beispiel Fragen nach der Offenheit gegenüber neuen Technologien oder nach dem Mehrwert neuer Systeme sehr unterschiedlich betrachtet werden, dann stellt sich die Frage, ob entweder die Kommunikation innerhalb der Organisation verbessert werden muss oder ob die Systeme überhaupt die Anforderungen der Anwender/innen erfüllen. Aufgrund der Tatsache, dass die Ergebnisse der Befragung einen Spiegel der eigenen Organisation darstellen, können aus diesen auch Maßnahmen abgeleitet werden, die gezielt die Lücken der jeweiligen Organisation in Richtung Digitalisierung schließen können. Zudem reifen die Erkenntnisse hinsichtlich der Anforderungen aus der Digitalisierung innerhalb der eigenen Organisation, was wesentlich zum Erfolg der geplanten Schritte beiträgt. Fehlendes Verständnis für integrierte Prozesse, die Nutzung von Daten oder der Einsatz neuer Technologien führen häufig dazu, dass die Vorteile der Digitalisierung nicht gesehen und die Potenziale

werden. Kompetenz­entwicklung und Qualifikation sind daher wichtige Maßnahmen auf dem Weg zur Digitalisierung. Im nächsten Schritt des digitalen Reifegradmodells m² geht es um die Formulierung von Zielen und daran angeschlossen die konkrete Umsetzung der Maßnahmen. Je transparenter die Umsetzung und Kommunikation von Maßnahmen erfolgt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Maßnahmen erfolgreich sind. Das Reifegradmodell m² liefert dafür einen ganzheitlichen Ansatz von der Zielfindung über die Definition bis hin zur Umsetzung von Maßnahmen und unterstützt Organisationen dabei, sich selbst mit eigener Kraft zu digitalisieren, und zwar bezogen auf alle für den Erfolg der Digitalisierung relevanten Dimensionen.

Das Reifegradmodell m² steht über den QR-Code als OnlineUmfrage zur Verfügung.

Der Fachmann und Stratege für öffentliche IT und IT-Sicherheit besitzt mehr als zwei Jahrzehnte Branchenerfahrung, ein breites Netzwerk und tiefes Verständnis föderaler Zusammenarbeit im digitalpolitisch-administrativen Prozess. Als IT-Direktor und CIO im Bundesinnenministerium (BMI) begleitete, steuerte und prägte der Informatiker zahlreiche Digitalvorhaben der deutschen Verwaltung. Ab 2016 übernahm Schallbruch als stellvertretender und dann als Direktor das interdisziplinäre Digital Society Institute, ein wirtschaftsnahes Forschungsinstitut an der European School of Management and Technology in Berlin. Der 56-Jährige ist zudem Lehrbeauftragter am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), forscht zu IT-Recht, Innovations- und Regulierungsthemen und engagiert sich seit Jahren für die digitale Souveränität des Staates. “Martin Schallbruch kann nicht nur auf viel Know-how und sein breites Netzwerk zurückgreifen, sondern bringt zahlreiche Fertigkeiten aus dem Management von Netzwerken und öffentlicher Gremien mit – gemeinsam mit seinen Vorstandskollegen wird er unsere Genossenschaft in eine neue Entwicklungsphase führen”, unterstreicht Dieter Rehfeld, Aufsichtsratsvorsitzender der govdigi-

Shutdown ohne Angriff Nicht nur Cyber-Attacken sorgen für IT-Probleme (BS/Paul Schubert) Anfang Oktober sorgten Konfigurationsänderungen für einen Server-Ausfall bei Facebook Inc. Damit waren die bekannte Social-Media-Plattform sowie Instagram und WhatsApp für eine längere Zeit nicht erreichbar. Können ähnliche Situationen auch bei der Bundesund ­Landesverwaltung entstehen? Das Risiko schätzt die Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheits­ aufgaben (BDBOS) als eher gering ein. Prüf- und Genehmigungsverfahren sollen dafür sorgen, dass durch Updates bedingte Störungen vermieden werden können. Auch das Landesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (LSI) hat Vorbeugemaßnahmen implementiert.

Erst Facebook, WhatsApp, Instagram – und bald bundesregierung.de? Konfigurationsfehler, VPN-Störungen oder HackerAttacken können die externe Kommunikation der Bundes- und Landesverwaltung beeinträchtigen. Diese haben allerdings diverse Schutzmechanismen gegen diese Art von Vorfällen aufgebaut. Foto: BS/Thomas Ulrich, pixabay.com

Experte aus dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) für ausgeschlossen. Das Regierungsnetz würde mit fest verdrahteten Firewalls arbeiten und zwischen den Firewalls gebe es keine zu konfigurierenden Elemente. Des Weiteren sei das Bundesnetz digital abgekoppelt und besitze eine eigene Leitungsinfrastruktur mit eigenen Rechenzentren. Grundsätzlich seien die Verwaltungsleitungen einfach gestrickt. Dabei seien die Elemente größtenteils voneinander unabhängig und individuell konfigurierbar, verriet der Experte. Auch die BDBOS bekräftigt das starke Sicherheitsniveau der Netze des Bundes. Eine Sprecherin der Bundesanstalt teilte auf Anfrage mit, dass eine Störung

von System-Updates dadurch vermieden werde, dass im Vorhinein Prüf- und Genehmigungsverfahren angewandt würden, die die Systemfähigkeit garantierten. Des Weiteren bestätigte die BDBOS die Sicherheit der internen Kommunikation. Sie erfolge lokal und “nicht über öffentliche Infrastrukturen”. Bei DNS-Vorfällen gibt es im Gegensatz dazu immer ein Restrisiko. Zwar sind die Verwaltungsnetze des Bundes RfC- und BSI-konform “grundsätzlich nicht erreichbar”. Aber äußere Bereiche der BDBOS wie www.bdbos. bund.de seien – wenngleich sie nach aktuellem Stand der Technik abgesichert seien – grundsätzlich Dritten zugänglich, erklärte eine Sprecherin. Jedoch würden die

Sicherheitskonzepte jederzeit der Empfehlung des BSI und den aktuellen Erkenntnisseen und “Best Practices” aus dem Bereich der IT-Security folgen, erklärte die BDBOS.

Die Lösung ist manchmal physischer Natur Der Shutdown von Facebook konnte letztendlich nur “von Hand” beendet werden. Durch einen manuellen Reset der Server durch ein mobiles Einsatzteam (CERT), konnte das Problem – zusätzlich mit technischer Hilfe von außen – beseitigt werden. Auch der Bund kann auf mobile Einsatzteams des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) für die Netze des Bundes zugreifen. Die BDBOS selbst hat für den Fall

von Cyber-Attacken Notfallmechanismen erarbeitet, die regelmäßig geprobt werden. Darüber hinaus hat die Bundesanstalt ein weiteres Projekt zur Cyber-Abwehr in Arbeit: die Abwehr von digitalen Attacken mittels Künstlicher Intelligenz (KI). Das Projekt solle die “Möglichkeiten zur Nutzung von KI zur weiteren Verbesserung der Erkennung und Abwehr von Netzwerkangriffen untersuchen”, teilte die BDBOS mit. Nicht nur im Bund sind die Netzwerksysteme grundsätzlich abgesichert, auch die Bundesländer haben ihre eigenen Schutzmechanismen entwickelt. Das Landesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (LSI) überwacht den Netzwerkverkehr des Bayerischen Behördennetzes (BYBN) zum Internet. Zusammen mit den ITBetriebseinheiten entwickelt die Behörde im Security Operation Center (SOC) Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der digitalen Kommunikation. Ähnlich wie das BSI, ist auch das LSI im operativen Einsatz bei SchadsoftwareAttacken vor Ort tätig. Hierbei geht die Initiative vom SOC aus. Das BYBN ist Grundlage für die Abhör- und Spionagesicherheit der internen und externen Kommunikation. Die eingesetzten Verschlüsselungskomponenten für die Cyber-Sicherheit in der Landesverwaltung seien vom BSI zugelassen, betont LSI-Präsident Daniel Kleffel: “Das dazugehörige Schlüsselmaterial wird vom IT-Dienstleistungszentrum des Freistaats selbst erzeugt.” Darüber hinaus sei das Landesamt befugt, Maßnahmen zu erlassen, um Schaden vom Behördennetz

tal. “Ich freue mich auf diese wichtige Aufgabe – die kommunalen und Landes-IT-Dienstleister sind das Rückgrat für digitale Souveränität und digitale Daseinsvorsorge Deutschlands”, so Schallbruch. “Als Intermediär wollen wir mit govdigital alle drei Ebenen unserer öffentlichen Verwaltung durch konkrete Projekte, neue Modelle und den Einsatz innovativer Technologie voranbringen.” Ein Schwerpunkt 2022 wird der weitere Aus- und Aufbau der Genossenschaft sein. Der für den erfolgreichen Aufbau der govdigital verantwortliche bisherige Geschäftsführer Matthias Kammer wird weiter beratend zur Seite stehen.

Martin Schallbruch ist ab 2022 CEO von govdigital. Foto: BS/privat

abzuwenden: “Im Notfall können auch Netzbereiche als Ultima Ratio abgeschaltet werden. Die Befugnis dafür haben wir, das muss aber vorher klar abgestimmt werden. Natürlich haben wir für solche Fälle eine klare Rechtsgrundlage, in der auch definiert wird, wie Daten- und Netzüberwachung im Allgemeinen zu bewerkstelligen ist”, stellt Kleffel klar.

Kooperation mit dem Bund Mit dem BSI selbst, pflege das Landesamt eine enge Kommunikation vor allem im VerwaltungsCERT-Verbund, merkt Kleffel an: “Hier findet eine informelle und vertraute Zusammenarbeit zwischen den CERTs der Länder und des Bundes statt. Das CERT-Bund fungiert dabei als Primus inter Pares. Es stellt Informationen zur Verfügung und wertet Sicherheitsvorfälle aus.” Schließlich folgert Kleffel, dass in diesem Netzwerk aktuell der effektivste Austausch der beiden Behörden stattfinde. Hilfe vom BSI bei Sicherheitsvorfällen habe das LSI aber noch nicht anfordern müssen, betont der LSI-Präsident. Ähnlich wie im Bundesnetz sind die DNS-Server auch im Bayerischen Behördennetz umfangreich abgesichert. Im staatlichen Rechenzentrum IT-DLZ in Bayern werden eigene interne DNS-Server im BYBN betrieben, die nicht aus dem Internet erreichbar und damit nicht von außen angreifbar sind. Systeme, die im Internet erreicht werden könnten, seien durch die Firewall und die Härtung der Systeme zusätzlich abgesichert, erklärte das LSI. Die Landes- und Bundesnetze sind also – im Rahmen der Qualitätsstandards des BSI – umfangreich geschützt. Die interne Kommunikation wird trotz CyberAngriffen weitestgehend gewährleistet. Neben den Server-Änderungen und -Updates sowie Attacken von außen wird in diesen Szenarien allerdings stets ein Risiko ignoriert: das menschliche Versagen.


Informationssicherheit

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ehörden Spiegel: Herr Stettner, in den letzten Monaten haben wir weltweit einige schwerwiegende Angriffe auf Kritische Infrastrukturen gesehen. So auf eine Öl-Pipeline in den USA und auf das Gesundheitswesen in Irland. Wie lautet Ihre Antwort auf diese Bedrohungen?

Behörden Spiegel / November 2021

Managementaufgabe Krise Resilienz beginnt bei den Mitarbeitenden

(BS) Mit Krisen kennt Ralf Stettner sich aus. Zwischen 2015 und 2018 war er im Regierungspräsidium Gießen für Flüchtlingsangelegenheiten zuständig und damit für die 46 Erstaufnahmeeinrichtungen und 70 Notunterkünfte des Landes Hessen. 2020 hat er die Beschaffung von Masken und Schutzbekleidung für den gesamten öffentlichen Sektor in Hessen geleitet. Letzteres neben seiner eigentlichen Verwendung als Leiter der Abteilung “Cyber- und IT-Sicherheit, Verwaltungsdigitalisierung” im Hessischen Ministerium des Innern und für Sport sowie als CISO der hessischen Stettner: Auch in Hessen Landesverwaltung. In dieser Rolle hat er in drei Jahren die Kapazitäten und Kompetenzen in dem Bereich deutlich ausgeweitet und mit dem Hessen hatten wir einige Vorfälle. Mit Cyber Competence Center (Hessen3C) die derzeit personalstärkste Cyber-Sicherheitseinheit eines Landes mit aufgebaut. Benjamin Stiebel sprach Geisenheim war eine Kommu- mit Ralf Stettner über IT-Krisenmanagement und die Cyber-Sicherheitsarchitektur von Bund, Ländern und Kommunen. nalverwaltung betroffen. Dazu kam der Angriff auf einen großen Lebensmittelhändler. Im letzten Jahr gab es einen Vorfall in der Uniklinik Gießen. Wir nehmen alle diese Vorfälle sehr ernst. Sie zeigen, dass es richtig war, unser Hessen3C einzurichten. Die Einheit hat nach zwei Jahren fast 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und wird noch weiter ausgebaut. Wir haben damit ein Instrument an der Hand für die Bereiche Prävention, Detektion und Reaktion.

“Es geht darum, ein funktionierendes Miteinander zu entwickeln.” Ralf Stettner ist als Chief Information Security Officer auch IT-Krisenmanager für die hessische Landesverwaltung. Foto: BS/HZD

Behörden Spiegel: Was sind die Aufgaben des Hessen3C? Stettner: Das Hessen3C ist bundesweit bislang die einzige Einheit, die folgende drei Aspekte vereint: Kompetenzen im Bereich Cyber Crime mit Verbindung zu den Polizeipräsidien, Cyber Intelligence mit Kontakt zum Landesamt für Verfassungsschutz und natürlich Cyber Security mit unserem CERT (Computer Emergency Response Team) und unserem MIRT (Mobile Incident Response Team). Wir legen auch viel Wert auf Prävention. Unsere Leute reisen zu Kommunen, kleinen und mittelständischen Unternehmen, zu Industrie-, Handels- und Handwerkskammern, um dort zu sensibilisieren und zu erklären, wie man im Fall eines Angriffs konkrete Hilfe erhalten kann. Wir bieten eine 24/7-Hotline an und unser MIRT rückt bei Vorfällen regelmäßig aus und berät Betroffene vor Ort. Besonders für die Kommunen wollen wir die Angebote noch ausbauen. Mit dem “Kommunalen Dienstleistungszentrum Cyber-Sicherheit” haben wir bereits ein modulares System zur Unterstützung. Jetzt wollen wir vor allem den Kompetenzaufbau in der Landes-, aber auch besonders in der Kommunalverwaltung stärken. Behörden Spiegel: IT-Sicherheitsexperten wiederholen immer wieder, dass sich Sicherheitsvorfälle nie ganz vermeiden lassen. Muss sich der Fokus von Prävention auf die Reaktionsfähigkeiten verschieben? Stettner: Das sind zwei Seiten einer Medaille. Ich sehe da keine Konkurrenz, sondern vielmehr ein Ineinandergreifen der beiden Komponenten. Prävention ist un-

verzichtbar. Dazu gehören neben der Abwehr auch Sensibilisierung und Ausbildung. Genauso unverzichtbar ist aber, dass wir die Resilienz in den Einheiten deutlich stärken. Das umfasst die Krisenreaktionsfähigkeiten der Mitarbeiter, aber auch der Strukturen und Verfahren. Behörden Spiegel: Was genau sind das für Fähigkeiten? Stettner: Wir müssen im Bereich der Managementsysteme für die Informationssicherheit (ISMS), beim IT-Krisenmanagement (ITKM) und auch bei der Aufrechterhaltung der Betriebsfähigkeit, also beim Business Continuity Management (BCM), noch besser werden. Voraussetzung hierfür ist die Schaffung der entsprechenden Rahmenbedingungen wie beispielsweise der Etablierung verbindlicher Prozesse und des Aufbaus eines Risikomanagements. Darüber hinaus müssen wir die entsprechenden Tools anschaffen und Mitarbeiter ausbilden. Eine ganz große Rolle spielen auch regelmäßige, szenariengerechte Übungen. All das wollen wir als Angebot auf die kommunale Ebene ausweiten. Wir müssen zu einem ganz neuen Verständnis einer Reaktionsfähigkeit in der Fläche kommen. Wir sollten gemeinsam die Sensibilität und die Kompetenz dort insgesamt deutlich stärken. Das fängt schon damit an, dass bei großen IT-Vorhaben von Anfang an Geld für IT-Sicherheit eingeplant werden muss. Das heißt auch, dass die öffentliche Verwaltung über Ausbildung und Studiengänge IT-Sicherheitsexperten heranziehen muss.

Behörden Spiegel: Welche persönlichen Fähigkeiten sind denn insbesondere bei Führungskräften gefragt? Stettner: Kurz gesagt braucht es Krisenmanagementkompetenz. Das ist Entscheidungsfähigkeit und Entscheidungsfreude in unklarer Lage. Krisenmanager müssen lernen zu entscheiden, auch wenn sie bei weitem nicht alles wissen. Das ist für viele Verwaltungsmitarbeiter eher ungewohnt. Außerdem müssen Krisenmanager mit Menschen arbeiten und Strukturen führen können. Dazu gehören: Begeisterung aussenden können, priorisieren, delegieren, ständige ebenengerechte Koordinierung. Sie müssen viel kommunizieren, damit am Ende auch die Politik handlungsfähig bleibt. Zudem muss man Rückschläge einstecken und trotzdem die Motivation aufrechterhalten können. Neben all diesen Fähigkeiten müssen Krisenmanager auch noch hohen Belastungen standhalten können. Vieles davon kann man erlernen, ein paar Eigenschaften sollten aber bereits vorhanden sein. Bei uns haben sich auch besonders Führungskräfte mit polizeilicher oder militärischer Vorbildung bewährt. Natürlich muss auch die Landesverwaltung es verstehen, die geeigneten Personen in den Kriseneinheiten einzusetzen und ihnen die Möglichkeit zu geben, diese Kompetenzen auch auszuspielen. Behörden Spiegel: Angenommen im hessischen Innenministerium käme es zu einem erfolgreichen Ransomware-Angriff und

erste Systeme wären verschlüsselt. Wie sähe in groben Zügen die Vorfallsbewältigung aus?

wenn es notwendig ist. Mit dem Hessen3C sind wir da sehr gut aufgestellt.

Stettner: Zuerst würde die Meldung eines Nutzers am Servicedesk des IT-Betriebs eingehen. Von dort geht es direkt weiter an den 24/7-Dienst von Hessen3C. Zuerst geht es da­ rum, die Lage zu bewerten und erste Maßnahmen zu ergreifen, um idealerweise einer Weiterverbreitung der Schadsoftware entgegenzuwirken. Gleichzeitig wird über das CERT geklärt, wer vom Angriff ggf. noch betroffen ist. Bei einer landesweiten Lage werde ich als CISO informiert und das IT-Krisenmanagement wird einberufen. Dafür ist eine entsprechende besondere Aufbauorganisation vorausgeplant, damit das notwendige Personal auch kurzfristig zur Verfügung steht.

Behörden Spiegel: Apropos Zusammenarbeit von Bund und Ländern: Die sollte mit dem ITSicherheitsgesetz 2.0 ursprünglich verbessert werden. Mit der finalen Fassung hat sich in dem Bereich aber wenig getan.

Behörden Spiegel: Was passiert bei Vorfällen, die über das Land Hessen hinausgehen? Stettner: In einer länder­ übergreifenden Lage würden wir frühzeitig unsere engen Kontakte zum Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und zum Verwaltungs-CERTVerbund aktivieren. Für Lagen in Hessen gilt: Wir tauschen uns mit dem BSI aus, bitten aber erst um operative Unterstützung,

Stettner: Zunächst einmal finden wir es gut, dass dem Thema mit dem IT-Sicherheitsgesetz 2.0 ein deutlich größerer Stellenwert beigemessen wird und wir halten es für richtig, dass das BSI in seinen Kapazitäten weiter gestärkt wird. Wir hätten uns jedoch eine frühere Einbeziehung in die Abstimmungen zum Gesetzentwurf gewünscht. Wir hatten als Land Hessen, aber auch im Nationalen Cyber-Sicherheitsrat und als Leiter der Länder-Arbeitsgruppe Cyber-Sicherheit gegenüber dem Bundesinnenministerium angemahnt, dass im Bereich der Mitteilungs- und Informationsaktivitäten der Bundesregierung die Länder stärker berücksichtigt werden sollten. Das betrifft neben den Meldepflichten im KRITIS-Bereich auch die Definition der Unternehmen im besonderen öffentlichen Interesse. Zudem sehen wir besonders im Sub-KRITISBereich noch Handlungsbedarf. Es geht darum, ein funktionierendes Miteinander zu entwickeln. Wir müssen

Kapazitäten in Bund, Ländern und Kommunen komplementär ausbauen. Dabei sollten wir ebenengerecht schauen, wer was am besten kann, um Strukturen und Kompetenzen zu schaffen, die sich ergänzen und nicht im Weg stehen. Wenn bei einem Sicherheitsvorfall ein MIRT des Landes vorfährt und fünf Minuten später ein MIRT des Bundes, wäre das nicht zielführend. Behörden Spiegel: Wie gestaltet sich das Zusammenspiel in Richtung Kommunen? Eingangs hatten Sie das Beratungs- und Unterstützungsangebot genannt. Machen Sie den Kommunen auch Vorgaben zu ihrem IT-Sicherheitsmanagement? Stettner: Zunächst einmal muss man deutlich differenzieren. Es gibt große Kommunen wie die Städte Darmstadt, Frankfurt oder Kassel und es gibt ganz viele kleine Gemeinden in allen Flächenländern. Das technische und das personelle Potenzial unterscheiden sich also natürlich. Einige Kommunen haben außerdem in ihrer Trägerschaft Energieversorger oder andere KRITIS- und Sub-KRITIS-Strukturen. Damit sind wieder ganz andere Risiken verbunden. Wir unterstützen mit Beratung, mit Ausbildung, mit Vor-Ort-Schulung und vielem mehr. Ohne die örtlichen Begebenheiten zu kennen, ist es aber schwer, zentral vorzugeben, was zu machen ist. Mit pauschalen Anforderungen kommt man da nicht weiter. Wir wollen aber klar die Empfehlung aussprechen, dass die Budgets für IT-Sicherheit im Land und in den Kommunen erhöht werden. Ich kann mir durchaus vorstellen, auch konkrete Prozentsätze zu formulieren. Bei der IT-Sicherheit zu sparen, ist jedenfalls keine gute Idee. Sie ist eine tragende Säule für eine erfolgreiche Digitalisierung. Grundsätzlich müssen bestimmte Standards kommuniziert und eine entsprechende Beratung angeboten werden. Da sehe ich beim Land Hessen aufgrund seiner hohen Kompetenz, die wir mittlerweile erarbeitet haben, noch weitere Möglichkeiten, den Kommunen zu helfen. Letztendlich interessiert es den Bürger schließlich nicht, ob das BSI, das Hessen3C oder ein örtliches CERT die Verantwortung übernimmt. Der Bürger erwartet vom Staat Versorgungssicherheit und Krisenmanagementkompetenz, und das ist ein gemeinsamer Auftrag von Bund, Ländern und Kommunen.

Verleumdung und Desinformation Wie anfällig sind unsere Wahlen für Cyber-Risiken? (BS/Andreas Groß*) In den letzten Jahren hat sich die Angriffsfläche für cyber-kriminelle Aktivitäten, die im Zusammenhang mit Wahlen stehen, vergrößert. Rufe nach sogenannten Wahlcomputern, wie sie in den USA üblich sind, werden nach dem Wahlchaos in Berlin lauter. Aktuell wird in Deutschland auf ein hybrides Modell gesetzt: Die Kreuze werden analog auf Papier gemacht; Erfassung und Übersendung von Ergebnissen erfolgen digital. McAfee Enterprise zeigt mögliche Cyber-Sicherheitsrisiken auf. Laut Spiegel-Bericht versuchten Angreifer Anfang dieses Jahres, die privaten E-Mail-Konten von Abgeordneten zu kapern. Mithilfe von Phishing-Mails lockten sie Politikerinnen und Politiker auf gefälschte Webseiten, wo sie ihre Log-in-Daten angeben sollten, um so Angreifern Zugriff auf Mail- oder Social-Media-Accounts zu verschaffen. Ziel dabei war es, diffamierendes und belastendes Material zu finden und letztendlich die Abgeordneten zu erpressen. Dabei spielt die Verbreitung von Desinformation eine Rolle: Oftmals basieren Desinformationen auf Leaks in Form gestohlener Dokumente und sind garniert mit falschen Inhalten, die ein bestimmtes Narrativ erzeugen sollen.

Am Wahltag: Daten­ sicherheit im Fokus Auch wenn der eigentliche Wahlvorgang in Deutschland händisch stattfindet – die Prozesse rund um Auswertung und Übermittlung der Ergebnisse sind zunehmend digital. So leiten Wahllokale abgegebene Stimmen digital an die Landesund Bundeswahlleiter weiter. Die Daten sind dabei hochsensibel: Neben Ergebnissen geben kommunale Wählerverzeichnisse Namen und Adressen bekannt.

Sichere Wahlen durch verantwortungsvollen Umgang Der Erfolg von Cyber-Sicherheitsmaßnahmen hängt auch von der Eigenverantwortung und Besonnenheit der Nutzer ab. Kandidierende und Be-

hörden sind dazu angehalten, sich um die Absicherung ihrer Accounts zu bemühen. Dies umfasst etwa den Einsatz von Multi-Faktor-Authentifizierungen und die Verwendung unterschiedlicher, starker Passwörter. Zusätzlich helfen Schulungen, potenzielle Phishing-Attacken frühzeitig zu erkennen. Institutionen wie das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) sind davon abhängig, dass Betroffene sicherheitsrelevante Vorfälle melden und so den Austausch zwischen Ländern und Bund fördern. Nur so ist es möglich, das Cyber-Sicherheitsniveau zu stärken und Wahlen abzusichern. *Andreas Groß ist Senior Manager Presales bei McAfee.


IT-Sicherheit

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Generallinien für die Sicherheit

IT-Sicherheitslage kritisch

IT-Sicherheitsstrategien im Überblick

BSI spricht von Alarmstufe Rot

(BS/Oliver Wege) Neben IT-Sicherheitskonzepten, die eher im Taktikbereich anzusiedeln sind, spielen IT-Sicherheitsstrategien eine wesentliche (BS/Benjamin Stiebel) Die Lage bleibt angespannt bis kritisch. “Im BeRolle. Mit “Generallinien” sollen die Sicherheitsorganisationen bei der Planung, Gewährleistung und ständigen Aufrechterhaltung der IT-Sicher- reich der Informationssicherheit haben wir, zumindest in Teilbereichen, heit unterstützt werden. Nachfolgend werden drei aktuelle IT-Sicherheitsstrategien aus den letzten fünf Jahren vorgestellt. Alarmstufe Rot”, sagte Arne Schönbohm bei der Vorstellung der Lage der IT-Sicherheit in Deutschland 2021. Der Bericht des Bundesamtes eigenen Netzwerks zu vertrauen. für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zeichnet Jahr für Jahr ein Defense-in-Depth – sinnentspreDas Neue an dieser Strategie zunehmend düsteres Bild. chend übersetzt als Verteidigung

in der Tiefe (des Netzwerkes) – ist eine IT-Sicherheitsstrategie für Netze, die vor circa fünf Jahren einen richtigen Hype erfahren hat. Die PITS nahm beim Kongress im Jahr 2016 diesen Begriff auf Grund der damaligen Bedeutung sogar als ihr Motto auf.

Defense-in-Depth Aufgrund der neuen Bedrohungslagen (hier Spear Phishing und Advanced Persistent Threats) reicht der sogenannte Perimeterschutz (Firewall, Viren- und Spam-Filter) am Rand von Netzwerken schon längst nicht mehr aus. Auch durch die neuen Trends wie Cloud Computing und Internet der Dinge werden die Grenzen des eigenen Netzwerkes immer unschärfer. Deshalb muss auch innerhalb des Netzwerkes eine Verteidigung organisiert werden. Hierzu sind weitere Sicherheitstechniken innerhalb des Netzwerkes als zweite Schutzstufe zu installieren, z.B. Intrusion Detection Systeme, Network Behavior Analysis oder Honeypots. Auch wenn diese Sicherheitstechniken allein eingesetzt keinen Vollschutz erreichen, können sie in Kombination wieder ein ausreichendes Schutzniveau gegen die neuartigen Angriffe bieten.

New-Security-Cubus Defense-in-Depth wurde weiterentwickelt zur dreidimensionalen IT-Sicherheitsstrategie New-Security-Cubus. Inspiriert vom COBIT-Würfel, erweitert diese IT-Sicherheitsstrategie die flache, netzwerkorientierte Strategie Defense-in-Depth um eine

Verschiedene IT-Sicherheitsstrategien haben verschiedene Schwerpunkte. Schützen tun sie alle, sind aber nicht für jeden Anwender gleich geeignet. Foto: BS/Pete Linforth, pixabay.com

weitere Dimension, und zwar die Applikationsebene. Die erstmalige Vorstellung erfolgte 2017 im Rahmenprogramm der it-sa, Europas größter Fachmesse für IT-Sicherheit. Beim New-Security-Cubus wird der Tatsache Rechnung getragen, dass auch ein adäquater Netzwerkschutz à la Defensein-Depth nicht ausreicht, wenn man auf Applikationsebene beispielsweise einfach zu knackende Passwörter als Anwendungssicherung verwendet. Hier bedarf es der Ergänzung um die neuen Techniken zur Applikationssicherung. So kann eine Multifaktor-Authentifikation erfolgen, zusätzlich können Endezu-Ende-Verschlüsselung und Data Loss Prevention eingesetzt werden oder eine zentrale Speicherung der Protokolldaten von Applikationsservern. Letzteres wird vielfach vernachlässigt, obwohl aus dem Internet erreichbare Webserver besonders gefährdet sind. So sollten Access-, Error-Log oder auch Suhosin-

Protokolle auf einen separaten, zentralen Protokollserver übertragen und dort gespeichert werden. Möglich wird dies durch die Verwendung von Syslog als Standard zur Übermittlung von Log-Meldungen, welcher auf einer Vielzahl von IT-Geräten zur Verfügung steht. Machbar wird dann auch eine Korrelation mit aus der Netzüberwachung gewonnenen Daten, sofern hier überhaupt noch verwertbare Daten vorliegen. Die Netzüberwachung krankt derzeit daran, dass der Anteil von verschlüsseltem Datenverkehr auch im internen Netzwerk ständig steigt und außer Anomalien dann kaum noch weitere sinnvolle Daten gewonnen werden können. Das wissen natürlich auch die Hacker und verstecken ihre Angriffe zunehmend im verschlüsselten Traffic.

Zero-Trust-Modell Das Zero-Trust-Modell ist die neuste IT-Sicherheitsstrategie. Sie basiert auf dem Grundsatz, keinem Gerät, Nutzer oder Dienst innerhalb oder außerhalb des

ist es, neben externen Bedrohungen nun auch alle internen Gefährdungen auszuschließen. Bisherige Sicherheitsstrategien vertrauten sämtlichen internen Anwendern und Services. Allerdings geht in Wahrheit auch ein erhebliches Bedrohungspotential von den eigenen Mitarbeitern aus. Zudem kann ein heutiger Angreifer, der ins Netzwerk vorgedrungen ist, relativ schnell die Identität eines Mitarbeiters annehmen, um seine gefährlichen Aktionen und Zugriffe zu starten. Aus dem Zero-Trust Modell ergeben sich allerdings die hohen Sicherheitsanforderungen, sämtliche Anwender und Anwendungen zu authentifizieren und den Datenverkehr grundsätzlich zu verschlüsseln. Damit erfordert die praktische Umsetzung des ZeroTrust-Modells einen großen Aufwand. Sämtliche Dienste, Anwender und Geräte sind zu erfassen und in möglichst zentralen Systemen zur Nutzer-Authentifizierung zu verwalten. Zudem sind Systeme vorzusehen, die sämtlichen Datenverkehr analysieren, zulassen oder verbieten und alle Aktionen in Log-Dateien aufzeichnen Für viele, insbesondere kleine Sicherheitsorganisationen, ist die Umsetzung eines Zero-TrustModells deshalb extrem schwierig. Kritiker sehen deshalb in dem Modell auch eine versteckte Aufforderung der großen USCloud-Anbieter, trotz der großen Datenschutzbedenken in Europa doch nun endlich Anwendungen und Daten in die Cloud zu migrieren.

Sorge macht dem BSI-Präsidenten die rasante Entwicklung von neuen Angriffsmethoden bei einer Vielzahl von schwerwiegenden Sicherheitslücken in weit verbreiteten Produkten. Die größte Bedrohung gehe nach wie vor von Ransomware aus. Hier habe sich inzwischen durchgesetzt, dass Täter neben Lösegeldern für die Entschlüsselung betroffener Systeme zusätzliche Erpressungstaktiken verfolgten (Double Extortion). So drohten die Kriminellen teils mit der Veröffentlichung sensibler gestohlener Daten oder mit DDoS-Angriffen, die Server der Opfer lahmlegen könnten. Als “extrem kritisch” hatte das BSI die Angriffswelle auf Microsoft-Exchange-Server im Frühjahr eingestuft. 98 Prozent der in Deutschland geprüften Systeme waren laut Schönbohm zeitweise verwundbar. Durch Warnungen sei der Anteil innerhalb von zwei Wochen unter die Zehn-Prozent-Marke gedrückt worden. Danach habe sich jedoch keine deutliche Verbesserung mehr gezeigt: Nach zwei Monaten seien immer noch knapp neun Prozent der Server ohne Sicherheitsupdate gewesen. Führende Digitalexpert/-innen in Politik und Wirtschaft sehen den Bericht als Warnsignal für die kommende Bundesregierung. Die netzpolitische Sprecherin der Linken-Fraktion im Bundestag, Anke Domscheit-Berg, hält nun eine Neuausrichtung der Cyber-Sicherheitsstrategie

für nötig: “Das BSI muss vom BMI unabhängig werden, um nicht in Interessenkonflikte mit Geheimdiensten zu geraten, die Sicherheitslücken offen halten wollen.” Auch der digitalpolitische Sprecher der FDP-Fraktion Manuel Höferlin, mahnte die Versäumnisse der letzten Jahre an: “Weil die Cyber-Sicherheit in den letzten Jahren mutwillig vernachlässigt wurde, treten viele der bekannten Angriffe häufiger auf. Dabei ist IT-Sicherheit ein Grundpfeiler der digitalen Transformation und muss deshalb im Regierungshandeln konsequent umgesetzt werden.” In den Bundesnetzen hat das BSI im Berichtszeitraum (Juni 2020 bis Mai 2021) monatlich durchschnittlich 44.000 schädliche E-Mails herausgefiltert. Davon wurden rund 9.700 durch eigens erstellte Anti-­V irus-Signaturen erkannt. ­Weitere 5.100 Angriffe pro Monat konnten durch ein nachgelagertes System des BSI verhindert werden, das gezielte Angriffe und neuartige Schadsoftware-Varianten erkennt, die kommerziellen Sicherheitsprodukten entgehen. Gesperrt wurden außerdem 74.000 zusätzliche Webseiten mit Schadcode – das sind 42 Prozent mehr als im vergangenen Berichtszeitraum. Das CERT-Bund hat im Berichtszeitraum laut Lagebericht 70 Sicherheitsvorfälle bearbeitet. In zehn Fällen ist dafür ein mobiles Einsatzteam ausgerückt.


Informationssicherheit

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er Portalverbund ist eine Maßnahme aus dem Onlinezugangsgesetz (OZG). Bund, Länder und Kommunen sollen ihre Verwaltungsportale verknüpfen, sodass Bürger/-innen und Organisationen schnell jede Online-Dienstleistung finden, egal über welches der Portale sie einsteigen. Die Idee wurde zu Beginn von vielen infrage gestellt, teils belächelt: Wozu braucht es den Verbund, wenn die meisten Nutzer/-innen eher die GoogleSuche nutzen und von dort direkt zum jeweiligen Dienst geleitet werden? Trotzdem sind IT-Sicherheitsvorgaben für den Portalverbund eine große Sache. Denn er ist nicht nur eine Ansammlung von Web-Links, sondern so etwas wie das Kernkonstrukt in der zusammenwachsenden Architektur der Verwaltungsdienstleistungen. Eng in den Verbund eingebettet sind die interoperablen Bürger- und Organisationskonten. Dazu kommen Postfächer, Bezahldienste oder Datensafes. Auf diese Basisdienste setzen die Einzeldienstleistungen auf, vom digitalen Anwohner-Parkausweis über die Baugenehmigung bis zum BAFöG-Antrag. Diese sind wiederum verknüpft mit den internen Fachverfahren: bei aller Bestrebung nach Standardisierung und Nachnutzung nach wie vor ein bunter Strauß an IT-Komponenten. Mit der “Verordnung zur Gewährleistung der IT-Sicherheit der im Portalverbund und zur Anbindung an den Portalverbund genutzten IT-Komponenten” auf Grundlage des § 5 OZG regelt der Bund demnächst also einen erheblichen Teil der IT-Sicherheit in der Verwaltungs-IT. Wie groß dieser Teil genau ist, das ist einer der Knackpunkte.

Zu vage und unsicher? Im Entwurf der IT-Sicherheitsverordnung Portalverbund (PVV)

Behörden Spiegel / November 2021

Schaler Kompromiss oder wirksamer Impuls? Bund legt Spielregeln für Sicherheit im Portalverbund fest (BS/Benjamin Stiebel) Bis Ende des Jahres, also ein Jahr vor Fristende der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes, sollen sie stehen: verbindliche IT-Sicherheitsvorgaben für den Portalverbund. Das Bundesinnenministerium (BMI) fordert im Wesentlichen die Absicherung nach IT-Grundschutz und den einschlägigen technischen Richtlinien des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Zudem müssen ein Informationssicherheitsmanagement und ein Notfallmanagement eingerichtet werden. Da, wo besonders große Risiken bestehen, sollen Penetrationstests und Webchecks Pflicht werden. Fachlich alles sinnvolle Anforderungen. Und doch gibt es Streit. Darüber, wie weit der Bund künftig in den IT-Betrieb von Ländern und Kommunen hineinregiert und darüber, wie das fachlich Sinnvolle mit dem praktisch Machbaren zusammengebracht werden kann. Für das allgemeine Sicherheitsniveau in der Verwaltung liegt aber eine Chance in der Regulierung. aus dem Sommer setzt das BMI IT-Sicherheitsvorgaben für alle im und am Portalverbund genutzten IT-Komponenten. Das sind: IT-Anwendungen, Basisdienste, Standards und Schnittstellen, die für Anbindung und Betrieb des Portalverbunds sowie für die Abwicklung der Verwaltungsleistungen erforderlich sind. Reichlich vage sei das, so kritische Stimmen aus Ländern und Kommunen. Die meisten davon beklagen Rechtsunsicherheit. Einige befürchten sogar, dem Bund würde so indirekt die Möglichkeit gegeben, weitreichende Sicherheitsvorgaben für den gesamten IT-Betrieb aller Behörden und Rechenzentren in Deutschland zu machen, die irgendwie an der Bereitstellung von Bürgerdiensten beteiligt sind. Schließlich müssen die IT-Komponenten laut PVVEntwurf Teil eines Informationssicherheitsmanagementsystems sowie Notfallmanagementsystems sein. Beides, so die Argumentation, ließe sich nicht isoliert für einzelne Anwendungen mit Verbindung zum Portalverbund realisieren, sondern müsse für den gesamten IT-Betrieb und die darauf basierenden Abläufe umgesetzt werden. Ein kaum zu bewältigender Aufwand für kleine Kommunen. Denen kann das BMI zwar eigentlich keine direkten Vorgaben machen, allerdings sind sie wie schon beim OZG mit angesprochen. Und das

Um Bürger/-innen die Suche nach den einzelnen Dienstleistungen des OZG zu erleichtern, soll ein Portalverbund bei der Suche helfen. Bei der IT-Sicherheit möchte der Bund allerdings die Oberhand behalten. Die Kommunen und Länder beklagen nun eine drohende Rechtsunsicherheit. Foto: BS/StartupStockPhotos, pixabay.com

müssen sie auch sein, denn die Kommunen wickeln am Ende des Tages den Großteil der Verwaltungsdienstleistungen ab – ohne sie wären OZG und Portalverbund witzlos. Für die Umsetzung von OZG und PVV in den Gemeinden müssen die Länder Sorge tragen, ggf. durch Landesgesetze und mit den entsprechenden Konnexitätsfolgen.

Sicherheit durch die Hintertür Während mit dem Umsetzungsplan Bund und der Leitlinie Informationssicherheit des ITPlanungsrates für Bund- und

Landeseinrichtungen längst Basis-Sicherheitsanforderungen bestehen, gibt es keine flächendeckende Pflicht zur IT-Sicherheit in der allgemeinen KommunalIT. Die meisten Länder scheuen sich bisher, Vorgaben zu machen. Sie wissen, wie unwägbar die heterogenen IT-Strukturen sind, wie aufwendig und wie teuer die Umsetzung guter Standards ist und wie schwer die dafür nötigen IT-Fachkräfte zu beschaffen sind. Nun kommen mit der PVV Sicherheitsanforderungen für große Teile der Kommunal-IT gewissermaßen durch die Hintertür. Länder

und vor allem Kommunen fordern daher Anpassungen, um eine Überforderung zu verhindern. Das BMI lenkt ein und will, statt pauschale Anforderungen wie im Entwurf zu stellen, einen risikobasierten Ansatz verfolgen, wie zu hören ist. Das heißt, Pflichten werden dem Schutzbedarf gemäß abgestuft. Dieser ergibt sich aus der Rolle, die die verantwortlichen Einrichtungen im Portalverbund spielen. So macht es einen Unterschied, ob eine Behörde nur als Nutzerin auf Dienste und Verfahren eines IT-Dienstleisters zugreift oder ob sie diese Komponenten selbst betreibt. Wie feingranular die Differenzierungen ausfallen, bleibt abzuwarten: Im BMI will man nicht zu sehr vom Ziel eines durchgehend soliden Sicherheitsniveaus abweichen. Denkbar wäre aber eine großzügigere Umsetzungsfrist. Im Entwurf sind zwei Jahre vorgesehen, im kommunalen Umfeld halten das einige für nicht machbar. Nicht einlenken will das BMI dem Vernehmen nach bei der Bestimmung des Geltungsbereichs. Eine genaue Definition, welche IT-Komponenten von der Verordnung erfasst sind, sei nicht praktikabel. Die IT-Architekturen seien schnellen, dynamischen Entwicklungen unterworfen, bei einer genauen Auflistung im Verordnungstext wären später immer wieder Änderungsverordnungen notwendig.

Das BMI will die IT-Sicherheitsverordnung Portalverbund noch in diesem Jahr verabschieden. Die Stellungnahmen aus dem Beteiligungsverfahren sind ausgewertet, jetzt läuft die interne Abstimmung. In zwei Workshops wurden die strittigen Punkte zudem direkt mit den CISOs bzw. Informationssicherheitsbeauftragten der Länder diskutiert, auch auf die kommunalen Spitzenverbände ist man abseits der formellen Anhörung zugegangen. Das BMI legt Wert auf einen kurzen Draht und auf eine Lösung, mit der alle Beteiligten leben können. So eine Lösung zu finden, wird nicht leicht. Zwar sind sich auf fachlicher Seite praktisch alle einig, wie ein angemessenes Schutzniveau an der Schnittstelle zwischen Verwaltung und Bürger/-innen aussehen würde. Dass dieses Niveau die Möglichkeiten etlicher Behörden übersteigt, ist aber auch kein Geheimnis. So gesehen droht ein schaler Kompromiss.

Einen Impuls setzen Doch es gibt noch einen anderen, einen optimistischen Blick auf die Dinge. So wie das Onlinezugangsgesetz einige in der Verwaltung beim Thema Online-Dienstleistungen aus dem Dornröschenschlaf geweckt hat, könnte nun eine “IT-Sicherheitsverordnung Portalverbund” ebenfalls einen wirksamen Impuls liefern. Ein – wohldosierter – Zwang zur IT-Sicherheit könnte außer den einen oder anderen Verantwortlichen vor Ort auch diejenigen Länder wachrütteln, die bisher zur Unterstützung der Kommunen noch zu wenig getan haben. Es kommt dann gar nicht so sehr darauf an, wie streng die Vorgaben im Detail sind oder ob die Fristen genau eingehalten werden. Entscheidend ist, dass sich endlich alle auf den Weg machen.


Sicherheit & Verteidigung Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / November 2021

Frauen im Einsatz

KNAPP Ständiger Landeskatastrophenstab gefordert

Die Soldatinnen des Kommandos Spezialkräfte

(BS/Dorothee Frank) Frauen war der Zugang zur Bundeswehr lange Zeit per Gesetz verwehrt. Eine Frau, die sich mit der Waffe in der Hand selbst verteidigt, entsprach nicht dem Bild, (BS/bk) Das Innenministerium in das die gesetzgebenden Männer von Weiblichkeit hatten. Auch heute noch ist die Soldatin besonders in streng konservativen Kreisen oder bei Stammtisch-Reservisten ein Reizthema. Schwerin fordert die Einrichtung

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as vorgeschobene Argument: Frauen seien körperlich nicht so leistungsfähig wie Männer. Mit demselben Argument war es Frauen übrigens jahrzehntelang verwehrt, offiziell bei einem Marathon anzutreten. Frauen könnten diese Strecke niemals durchhalten und deshalb war ihnen die Teilnahme verboten. Bis 1967 Kathrine Switzer illegalerweise als erste Frau beim Boston Marathon mit offizieller Startnummer lief. Während des Marathons versuchte der Rennleiter erfolglos, Switzer von der Bahn zu zerren, die Fotos dieser Rangelei gingen um die Welt. Der Marathon war exemplarisch für das Scheinargument, Frauen seien körperlich unterlegen. Zwar war die beste Marathon-Läuferin tatsächlich 13 Minuten langsamer als der weltbeste Läufer, mit ihrer Zeit von zwei Stunden 14 Minuten aber immer noch besser als wahrscheinlich 99 Prozent der gesamten männlichen Weltbevölkerung, von denen die wenigsten eine Distanz von 42 km überhaupt laufend durchhalten würden. Der biologische Unterschied betrifft nur das Mittel, jede Marathon-Läuferin kann per se mehr als der durchschnittliche Mann. Zumindest so lange man ihr keine Gesetze und Verordnungen in den Weg legt, welche sie daran hindern, ihr Potenzial zu zeigen. Ähnliches gilt für die Soldatinnen und hier besonders für die Spezialkräfte. Auch von den Männern schaffen nur die wenigsten die körperlichen Anforderungen, welche an die Kommandosoldaten beim Kommando Spezialkräfte (KSK) gestellt werden. Der finale Test, der eine Woche dauert, wird im Durchschnitt von weniger als zehn Prozent der männlichen Bewerber bestanden.

Eine bestandene Prüfung “Seit der Aufstellung des KSK haben sich nur vier Frauen für die Potenzialfeststellung Kommando-

Die ersten Soldatinnen traten ab 2012 beim KSK ihren Dienst als “Aufklärungsfeldwebel Spezialkräfte” an. Foto: BS/Bundeswehr/Jana Neumann

soldat beworben. Hiervon hat eine Frau den ersten Teil des Potenzialfeststellungsverfahrens bestanden”, erläuterte ein Sprecher des Kommandos Heer dem Behörden Spiegel. “Die Anforderungen für die Potenzialfeststellung sind für alle Bewerber gleich.” Männer und Frauen müssen also dieselben Anforderungen erfüllen. Von den vier Bewerberinnen sind drei zum Auswahlverfahren angetreten. Zwei der Bewerberinnen haben die sportlichen Anforderungen nicht bestanden. Eine Bewerberin hat zwar die Prüfungen bestanden, dann allerdings – ob freiwillig oder beordert, ist Gegenstand zahlreicher Gerüchte – einen anderen Weg eingeschlagen und befindet sich aktuell im Studium. Allerdings sind im Kommando Spezialkräfte die wenigsten der knapp 1.300 militärischen Dienstposten von Kommandosoldaten besetzt. “Das KSK gliedert sich in einen Stab, die Kommando- und Unterstützungskräfte, den Bereich Ausbildung sowie den Bereich Weiterentwicklung”, beschreibt die Bundeswehr. “Die im KSK zusammengefassten Spezialkräfte des Heeres sind

die Kompetenzträger für Spezialkräfteoperationen an Land, auch in schwierigem Gelände und unter extremen Klima- und Wetterbedingungen, mit besonders ausgeprägter Befähigung für landfahrzeuggestützte Operationen und vertikale Verbringung sowie zur Spezial- und Spezialzielaufklärung.” Im Bereich der Aufklärung sind beim KSK aktuell vor allem Frauen eingesetzt.

Aufklärungsfeldwebel ­Spezialkräfte “Die Angehörigen des KSK mit der ATN Aufklärungsfeldwebel Spezialkräfte, die zur direkten taktischen Zusammenarbeit mit den Kommandokräften im Rahmen von Spezialkräfteeinsätzen vorgesehen sind, bestehen derzeit zu über der Hälfte aus Frauen”, berichtet ein Sprecher des Kommandos Heer. “Diese erhalten aufgrund der besonderen Aufgaben und Befähigungen eine Erschwerniszulage in Höhe von 500 Euro und sind für diese Verwendung besonders ausgewählt und ausgebildet.” Das Auswahlverfahren und die Ausbildung zum Aufklärungs-

feldwebel beim KSK sind wiederum für alle gleich, Männer wie Frauen. In einem 14 Wochen dauernden Potenzialfeststellungsverfahren werden die physische Trainierbarkeit und psychische Leistungsfähigkeit überprüft. Nach Bestehen des Auswahlverfahrens schließt sich eine 44 Wochen dauernde Basisausbildung an. Diese besteht aus Grundlagenausbildung, Aufklärungsausbildung, Luftlandeeinsatzverfahren, Schießausbildung, Reaktionschießlehrgang, Sanitätslehrgang SpezKr, Taktischem Nahkampf, Orts- und Häuserkampf, Überlebens-/Ausweich-/ Widerstands-/Fluchttraining (CAC) sowie Kommandoeinsatzverfahren. Hierauf folgt eine die acht bis 12 Monate dauernde Spezialisierung, welche aus folgenden Bausteinen besteht: Spezial Zielaufklärung, Technischer Auswertung, weltweiten Lehrgängen sowie der weiterführenden Ausbildung in der Kompanie. Auch die Aufklärungsfeldwebel Spezialkräfte müssen somit mehr leisten können und sind umfassender ausgebildet als die meisten durchschnittlichen Soldaten. Ein Aufklärungsfeldwebel (weiblich) Spezialkräfte ist somit eine Elitesoldatin und deutlich durchsetzungsfähiger als fast jeder Soldat, von zivilen Männern und Reservisten braucht gar nicht erst gesprochen zu werden.

Weibliche Kompetenz im KSK Besonders zu nennen sind zudem die Unterstützungskräfte des KSK, die sich in eine Versorgungs-, eine Fernmelde- sowie eine Unterstützungs-Kompanie plus ein Sanitätseinsatz-/Versorgungszentrum gliedern. Auch hier sind Frauen eingesetzt. Insgesamt befanden sich im KSK nach der letzten Erhebung

121 Frauen. “Dieser Anteil liegt mit einem Frauenanteil von 9,59 Prozent oberhalb des Heeresdurchschnitts von 7,14 Prozent”, erläutert ein Sprecher des Kommandos Heer. “Frauen sind in allen Bereichen des KSK vertreten und das KSK wirbt aktiv im Rahmen der Personalwerbung um weibliche Soldaten für jeden Fähigkeitsbereich, um analog zur interkulturellen Kompetenz für die Einsatzkräfte auch die weibliche Kompetenz abzubilden.” Als Vorteile dieser weiblichen Kompetenz nennt das Kommando Spezialkräfte unter anderem, dass es bei Observationen oder Schutzeinsätzen zum Teil nötig sei, Frauen einzusetzen, “da die Anwesenheit von Männern möglicherweise Misstrauen erregt und zu einer potenziellen Gefährdung führen kann”. Auch seien “Frauen als Team oder gemischte Teams weniger auffällig als reine Männerteams”, was die Signatur bei der Operation deutlich reduziere. Frauen könnten in riskanten Operationen eine deeskalierende Wirkung haben. Und schließlich hofft das Kommando Spezialkräfte noch: “Feminine Sensoren können andere Aufklärungsergebnisse als vergleichbare maskuline Sensoren erzielen (Unterschiede im Auftritt, der Körpersprache, aber auch in der Wahrnehmung).” All dies zeigt, dass Frauen im Kommando Spezialkräfte nicht ein Gender-Zugeständnis sind, sondern als wichtige Ergänzung und gleichwertige Kameradin gesehen werden. Der körperliche Unterschied oder die angeblich geringere Leistungsfähigkeit von Frauen wird nur von jenen Männern betont, welche nicht mit Frauen gemeinsam gedient haben. Die Soldatinnen und Soldaten des Kommandos Spezialkräfte zumindest wissen es besser.

eines ständigen Landeskatastrophenstabes. Durch die Vielzahl an unterschiedlichen Lagen, wie Hochwasser, Sturmflut, Waldbrand und Pandemie, sei ein landesweiter und dauerhafter Stab nötig. Dieser müsse zu jedem Zeitpunkt einsatzfähig sein, forderte Innenstaatssekretär Thomas Lenz (CDU). “Wir brauchen ein Katastrophenschutzlager, das jederzeit essenzielle Ausrüstung vorrätig hat. Wir müssen die bestehenden Konzepte und Pläne prüfen und gegebenenfalls auf Basis der jüngsten Erfahrungen überarbeiten. Und was wir auf jeden Fall brauchen, ist eine noch bessere Abstimmung zwischen allen Akteuren, damit im Ernstfall alle Räder problemlos ineinandergreifen”, erklärte Lenz. Zudem nahm er die Politik in die Pflicht. In diesem Bereich dürfe nicht gespart werden.

Über Grenzen hinweg (BS/mfe) Künftig werden pro Jahrgang auch 25 bremische Polizeikommissaranwärterinnen und -anwärter ihr Bachelor-Studium an der Polizeiakademie Niedersachsen absolvieren. Grundlage dafür ist ein Kooperationsvertrag zwischen Niedersachsen und Bremen. Dieser wurde von den Innenministern beziehungsweise -senatoren beider Bundesländer, Boris Pistorius und Ulrich Mäurer (beide SPD), unterzeichnet. Die Vereinbarung gilt zunächst für die Jahrgänge, die in diesem und dem kommenden Jahr ihr Studium beginnen. Pistorius sagte dazu: “Kooperationen über Landesgrenzen hinweg sind gerade im Bereich der Polizei ein besonderes Zeichen der gegenseitigen Wertschätzung und des Vertrauens.” Und Mäurer räumte unumwunden ein: “Unsere eigenen Ausbildungskapazitäten sind bei den dringend benötigten großen Jahrgängen inzwischen an ihre Grenzen gestoßen.”

25. Europäischer Polizeikongress Jubiläumskongress 11.—12. Mai 2022 Neuer Veranstaltungsort 2022:

Foto (links): © Sliver, stock.adobe.com

hub27 Berlin

www.europaeischer-polizeikongress.de

Eine Veranstaltung des


Innere Sicherheit

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ehörden Spiegel: Herr Bereswill, Sie betrachten Sicherheit im öffentlichen Raum als eine Aufgabe, die eine hohe überbehördliche Koordination erfordert. Welche Akteure sehen Sie hier gefordert?

Behörden Spiegel / November 2021

Sicherheit ganzheitlich verstehen Behörden- und ebenenübergreifende Zusammenarbeit erforderlich

(BS) Sicherheit im öffentlichen Raum kann nur erreicht werden, wenn unterschiedliche Akteure von verschiedenen staatlichen Ebenen eng miteinander kooperieren. Davon ist Frankfurts Polizeipräsident Gerhard Bereswill überzeugt. Als Beispiel dient ihm das Bahnhofsviertel der MainmetroGerhard Bereswill: Je nach ex- pole. Hier sieht er aber noch Verbesserungsbedarf. Gleiches gilt für die strafrechtliche Verfolgung von Attacken auf Polizistinnen und Polizisten, akter Themenstellung sind ande- wie er im Gespräch mit dem Behörden Spiegel deutlich macht. Die Fragen stellte Marco Feldmann. re Akteure an der Gewährleistung der Sicherheit im öffentlichen Raum beteiligt, mit denen wir als Polizei kooperieren müssen. Dies erfordert immer eine enge Abstimmung mit vielen Beteiligten. Dafür braucht es bestenfalls eine gemeinsame übergeordnete Strategie, eine Art Masterplan. Nur so können alle in die gleiche Richtung gehen und wir unser gemeinsames Ziel erreichen. Behörden Spiegel: Können Sie ein konkretes Beispiel nennen? Bereswill: Die Sicherheit im Frankfurter Bahnhofsviertel kann nur gewährleistet werden, wenn alle erforderlichen Akteure zusammenarbeiten. Auf polizeilicher Seite sind das neben der Landespolizei auch die Bundesund die Stadtpolizei. Da geht es neben der Bekämpfung von Allgemeinkriminalität unter anderem um das Vorgehen gegen illegalen Drogenhandel sowie gegen Milieukriminalität. Um hier vollumfänglich Sicherheit zu schaffen, sind Akteure wie Gerichte und Staatsanwaltschaft mit im Boot. Behörden Spiegel: Und wer noch?

Bereswill: Außerdem haben wir es im Bahnhofsviertel neben der offenen Drogenszene mit vielen Obdachlosen, Alkohol- oder Medikamentenabhängigen zu tun, weshalb es nicht ohne die verschiedenen Dezernate der Stadtverwaltung geht. Das sind unter anderem das Dezernat für Mobilität und Gesundheit mit dem Gesundheitsamt und dem Drogenreferat, das Dezernat für Umwelt, Klimaschutz und Frauen mit dem Umweltamt und der Stabsstelle Sauberes Frankfurt sowie das Dezernat für Soziales, Jugend, Familie und Senioren mit dem Sozialamt und der Stabsstelle Unterbringung, wenn wir beispielsweise auf hilfsbedürftige Menschen schauen. Gleiches gilt

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ie können sowohl bei der Sprach- als auch bei der Autorenerkennung unterstützen. Während bei Ersterer der Fokus auf der Phonetik sowie der gesprochenen Sprache liegt, geht es bei Letzterer um das geschriebene Wort. Diese beiden Bereiche müssen strikt voneinander getrennt werden. Bei der Analyse von Schriftsprache existieren unterschiedliche Auswerteformen. Zum einen gibt es die Möglichkeit der linguistischen Textanalyse beziehungsweise der Autorprofilerstellung. Dabei wird anhand sprachlicher Merkmale versucht, Rückschlüsse auf außersprachliche Merkmale zu ziehen. Dabei soll durch die Rückkopplung mit schriftsprachlichen Kompetenzen zum Beispiel eine Einschätzung des Bildungsgrades des potenziellen Urhebers erfolgen. Gleiches gilt für die regionale Herkunft, etwa aufgrund der phonetisch bedingten Schreibung, wegen Dialekten oder dialektbedingten Falschschreibungen. Hinweise zu besonderen Interessen, Kenntnissen sowie Einstellungen kann der genutzte Wortschatz geben. Hier Rückschlüsse, zum Beispiel zur Religiosität des möglichen Autors, zu ziehen, ist allerdings besonders schwierig.

Größere Bedeutung Eine weitere Möglichkeit, die Urheberschaft eines anonymen

für die Zusammenarbeit mit der Deutschen Bahn AG. Behörden Spiegel: Wie sieht es mit der Beteiligung von Zivilgesellschaft, Bürgern und Anwohnern aus? Bereswill: Neben den oben angesprochenen Beteiligten beziehen wir auch Bürgerinnen und Bürger, ortsansässige Gewerbetreibende, Ortsbeiräte sowie Vereine mit ein, um die vielfältigen Probleme des Bahnhofsviertels zu lösen. Die Zusammenarbeit mit den einzelnen Akteuren erfolgt allerdings bislang nur phänomenspezifisch und sektoral in Form von Sicherheitsgesprächen. Eine Strategie oder einen Masterplan für das Bahnhofsviertel gibt es leider noch nicht, obwohl wir hier als Motor agiert haben. Das muss sich ändern. Zumal die Zusammenarbeit mit den jeweiligen Beteiligten bisher nicht immer ganz einfach ist. Behörden Spiegel: Was kann denn die Polizei allein unternehmen, um für mehr Sicherheit im öffentlichen Raum zu sorgen? Bereswill: Die Landespolizei hat hier in der Vergangenheit bereits viel unternommen und intensiviert ihr ohnehin hohes Engagement stetig weiter. Natürlich können wir nicht alle Problemfelder lösen, alleine schon, weil wir für einige nicht zuständig sind. Unser Fokus liegt auf der Kriminalitätsbekämpfung, unter anderem durch das stärkere Vorgehen gegen den Rauschgiftstraßenhandel. Behörden Spiegel: Was wird hier unternommen? Bereswill: Wir verfolgen hier ein Drei-Säulen-Modell. Dabei setzen wir auf Verfahren wegen gewerbsmäßigen Handels, auf beschleunigte Verfahren vor Gericht sowie die Abschöpfung

Zeitpunkt ausfallen, sie musste jederzeit einsatzfähig sein, um die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten. Das Virus hat auch die Gerhard Bereswill ist Präsident des Polizeipräsidiums Frankfurt am Main. Dieses Amt hat er Kriminalität, mit seit September 2014 inne. Zuvor war Bereswill der wir zu tun haunter anderem Leiter des Abteilungsstabs im ben, verändert. So Polizeipräsidium Westhessen sowie Referent gab es etwa eine im Präsidialbüro des Landespolizeipräsidiums. angepasste Form des sogenannten Foto: BS/Polizeipräsidium Frankfurt am Main “Enkeltricks” und sind tagsüber jeweils drei und Betrügereien bei der Corona-Sonachts je zwei Doppelstreifen forthilfe. Außerdem war während im Bahnhofsviertel unterwegs. der Pandemie ein leichter Anstieg Dort arbeiten rund 50 Mitarbei- der häuslichen Gewalt in Frankterinnen und Mitarbeiter. Das furt zu verzeichnen. Wir sprechen soll die polizeiliche Präsenz – in hier von einem Zuwachs um rund Abstimmung mit der Stadt und zwei Prozent. Zugleich wurden der Drogenhilfe – dort nochmals Hilfseinrichtungen von Betroferhöhen sowie ein gedeihliches fenen verstärkt nachgefragt. Es Miteinander auf der Straße ga- kann also sein, dass hier ein rantieren. Das ist bislang jedoch erhebliches Dunkelfeld existiert. ein rein polizeiliches Element. Behörden Spiegel: Und wie Hier würden wir uns auch eine städtische Beteiligung wünschen, sieht es bezüglich der Attacken um die unterschiedlichen Interes- auf Polizisten aus? sen der Beteiligten noch besser in Bereswill: Darüber hinaus Einklang bringen zu können. Das in Zürich umgesetzte Modell “SIP kam es vermehrt zu Angriffen Zürich” wäre dafür ein geeignetes auf Polizeivollzugsbeamtinnen Modell. Des Weiteren haben wir und -beamte, insbesondere auf gemeinsam mit dem Präventi- öffentlichen Plätzen. Denn dort onsrat der Stadt Frankfurt ein trafen sich die Menschen wähPräventionsseminar entwickelt, rend der Pandemie. in dem Anwohner, GewerbetreiKonfliktträchtig war auch die bende des Bahnhofsviertels und polizeiliche Überwachung der Menschen, die dort arbeiten, Rat- Vorschriften gegen eine weitere schläge zum richtigen Verhalten Ausbreitung des Virus. All das in dem Gebiet erhalten. Das wird führte zu mehr Diskussionen sehr gut angenommen und ist und Disputen mit dem polizeilichen Gegenüber sowie zu einem stark nachgefragt. größeren Maß an Aggressivität Behörden Spiegel: Welche Aus- gegenüber meinen Mitarbeitewirkungen hatte die Corona-Pan- rinnen und Mitarbeitern. Daher demie auf die polizeiliche Arbeit? verzeichneten wir in Frankfurt zuletzt eine leichte Steigerung der Bereswill: Die Corona-Pande- Zahl der Straftaten zum Nachteil mie hatte und hat auch weiterhin von Polizeivollzugskräften. vielfältigste Auswirkungen auf Behörden Spiegel: Was muss uns als Polizei. Denn die Polizei durfte trotz Pandemie zu keinem getan werden?

“Die Sicherheit im Frankfurter Bahnhofsviertel kann nur gewährleistet werden, wenn alle erforderlichen Akteure zusammenarbeiten.”

des illegal aufgebauten Vermögens beziehungsweise die Beschlagnahme der Verkaufserlöse. Darüber hinaus setzen wir auf eine verstärkte Polizeipräsenz im Bahnhofsviertel. Dafür haben wir als eigene Organisationseinheit die “Regionale Einsatz- und Ermittlungseinheit” geschaffen, die anfänglich für ein Jahr lang als Besondere Aufbauorganisation (BAO) ausgeprägt war. Behörden Spiegel: Was wird dort getan? Bereswill: Hier arbeiten rund 190 Polizistinnen und Polizisten der zuständigen Polizeidirektion, die in allen möglichen Bereichen polizeilicher Arbeit zum Einsatz kommen. Zudem gibt es zusätzliche “Schutzmänner vor Ort” im Bahnhofsviertel. Sie agieren wie Kontaktbereichsbeamte. Für das Bahnhofsviertel gibt es inzwischen drei solche “Schutzmänner vor Ort”, die dort bekannt und ansprechbar sind. Behörden Spiegel: Was machen Sie noch? Bereswill: Wir haben außerdem im Polizeipräsidium Frankfurt am Main die Dienststelle “OSSIP”, die “Offensive Sozialarbeit, Sicherheit, Intervention und Prävention” als Zielsetzung hat. Allein für diese Dienststelle

Umfangreiches Repertoire Bundeskriminalamt nutzt verschiedene Formen der Autorenerkennung (BS/mfe) Droh- oder Bekennerschreiben enthalten oftmals keine oder nur sehr wenige Anzeichen auf ihre Urheberschaft. Für die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) sind Erkenntnisse aber von entscheidender ermittlungstechnischer Relevanz. Hier können Sprachwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler mit verschiedenen Analysemethoden helfen. Tätig sind sie vor allem im Bundeskriminalamt (BKA). Schreibens zu klären, ist der linguistische Textvergleich. Er spielt im Vergleich zur linguistischen Textanalyse für die polizeiliche Ermittlungsarbeit und spätere Gerichtsverfahren eine größere Rolle. Diese Methode bietet sich insbesondere an, wenn ein Text des mutmaßlichen Täters vorliegt. Dann wird ein Abgleich mit den anonymen Texten aus einem Strafverfahren vorgenommen. Darüber hinaus kann es auch erforderlich sein, dass anonyme Texte aus unterschiedlichen Strafverfahren miteinander verglichen werden. Ein weiteres Analyseverfahren stellt der Abgleich des Schriftstücks, das nicht im Original vorliegen, aber vollständig sein muss, mit der Tatschreibensammlung des BKA dar. Dabei handelt es sich um eine Quelle, die von der Idee her mit einer DNA-Datenbank vergleichbar ist, jedoch über weniger Aussagekraft verfügt. Ziel dieser Auswertungsform ist es, bis dato unbekannte Verbindungen zwischen Taten, Texten und Autoren aufzudecken. Damit tragen die Wissenschaftler zur Täteridentifizierung

Im Bundeskriminalamt (BKA) können Briefe und andere Schreiben, vor allem wenn sie anonym formuliert und verschickt wurden, eingehend untersucht werden. Dadurch lassen sich möglicherweise entscheidende Schlüsse auf Täterinnen und Täter sowie deren Identität ziehen. Foto: BS/RainerSturm, pixelio.de

im Rahmen der Ermittlungen bei und können manchmal sogar den entscheidenden Hinweis liefern.

Deutliche Nachfragezunahme erkennbar Die Autorenerkennung, die im Kriminaltechnischen Institut des BKA bereits seit Ende der 1980er-Jahre durchgeführt wird, macht die Bundesoberbehörde inzwischen für fast alle Fälle bundesweit. Nur im Berliner Landeskriminalamt (LKA)

gibt es noch eine vergleichbare Stelle. Diese Konzentration beim BKA und der Umstand, dass Schreiben inzwischen bei fast allen strafbewehrten Delikten eine Rolle spielen können, haben die Anwendung der Auswertungsart vervielfacht und die Nachfrage deutlich erhöht. Denn in der Vergangenheit spielten Drohbriefe, Erpresserschreiben und Beleidigungen eine Rolle. Mittlerweile ist das potenzielle Deliktsfeld deutlich größer.

Eine Mindestlänge müssen die Texte jedoch schon aufweisen. Der Schwellenwert liegt bei rund 200 Wörtern, da Texte mit noch weniger Wörtern nur sehr schwer valide auswertbar sind. Außerdem muss es sich um zusammenhängende Sätze handeln. Eine reine Stichwortliste, wie etwa ein Einkaufszettel, reicht nicht aus. Aktuell gibt es aber eher Probleme mit zu langen Texten, deren Auswertung dann sehr arbeitsintensiv und zeitaufwendig ist. Und das, obwohl computerunterstützte Methoden die händische Auswertung bereits unterstützen. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine Künstliche Intelligenz (KI), da diese technisch hier noch nicht so weit technisch ausgereift ist, dass sie gerichtsfest wäre.

Keine rechnerischen Wahrscheinlichkeiten Die Ergebnisse der Analysen müssen deshalb weiterhin die sachverständigen Sprachwissenschaftler des BKA bewerten und entsprechende Gutachten fertigen. Diese werden von ihnen dann auch in Hauptverhandlun-

Bereswill: Die Corona-Pandemie hat das Problem von Attacken auf Polizisten sowohl quantitativ als auch qualitativ verstärkt und beschleunigt. Hier werden ein Werteverfall sowie eine Erosion des gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalts deutlich, denn es handelt sich um ein gesamtgesellschaftliches Problem. Aus meiner Sicht sollte es deshalb weitere strafrechtliche Verschärfungen geben. Behörden Spiegel: Wie sollten die aussehen? Bereswill: Denkbar wäre, dass grundsätzlich mit einer Freiheitsstrafe gerechnet werden muss. Hiervon sollten jedoch nicht nur Polizeibeamte profitieren, sondern auch Feuerwehrleute und Beschäftigte im Rettungsdienst, die bedauerlicherweise ebenfalls Ziel von Angriffen sind. Die Ausrüstung der jeweiligen Beschäftigten sowie deren Kompetenzen in den Bereichen Kommunikation und Deeskalation haben alle in der Vergangenheit bereits verbessert. Daher ist es aus meiner Sicht nun geboten, bei der Täterseite anzusetzen. Behörden Spiegel: Welche Folgen hatte die Pandemie für das Polizeipräsidium Frankfurt? Bereswill: Wir haben durch Kohortenbildung, Schutzausrüstung und viele andere Maßnahmen für den Gesundheitsschutz unserer Beschäftigten gesorgt. Außerdem wurden mehr Telearbeitsplätze eingerichtet, der mögliche Arbeitszeitrahmen ausgeweitet, mehr Möglichkeiten zum Homeoffice geschaffen und vermehrt auf Telefon- und Videokonferenzen gesetzt. Wir haben hier im Polizeipräsidium auch weiterhin einen CoronaStab, der die Lage beobachtet und uns berät. Einige der genannten Maßnahmen laufen noch weiter und werden wohl auch nach dem Ende der Pandemie bestehen bleiben. Zudem raten wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern weiterhin dringend an, sich mehrmals wöchentlich auf eine Corona-Infektion zu testen. Das gilt insbesondere vor größeren Einsätzen oder Besprechungen. Die dafür notwendigen Selbsttests stellen wir zur Verfügung.

gen vor Gericht vertreten. Resultate der Auswertungen werden dabei allerdings nicht in rechnerischen, sondern in verbalen Wahrscheinlichkeiten ausgedrückt. Dabei existieren fünf verschiedene Wahrscheinlichkeitsaussagen, darunter unter anderem der Wahrscheinlichkeitsgrad “mit hoher Wahrscheinlichkeit”. Um zu derartigen Schlüssen gelangen zu können, vergleichen die BKA-Sprachwissenschaftler den jeweiligen Text mit einer Grundgesamtheit von Schreibern des Deutschen. Es findet folglich ein Abgleich mit je nach Untersuchungsauftrag passenden Populationsdaten statt, zum Beispiel mit deutschsprachigen Nutzern von Instant-Messengerdiensten sowie der Verteilung bestimmter sprachlicher Merkmale in dieser Gruppe. Durch die Auswertung sogenannter Korpusdaten, bei denen es sich beispielsweise um Zeitungsdatenbanken oder wissenschaftliche Zusammenstellungen von Texten handeln kann, soll die Typizität eines sprachlichen Merkmals, zum Beispiel die Verwendung von Emojis, bestimmt werden. Sofern dieses in der untersuchten Gruppe selten vorkommt, hat es eine hohe Aussagekraft für die Analyse. Dabei wird zwischen den beiden Polen “weit verbreitet” und “selten” unterschieden. Dazwischen existieren mehrere Abstufungen.


Innere Sicherheit

Behörden Spiegel / November 2021

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Rückgang verzeichnet

Fahrzeuge werden aufgewertet

Deutlich weniger Telefonüberwachung in Berlin

Bereitschaftspolizeien sollen neue Sonderwagen erhalten

(BS/mfe) Die Berliner Generalstaatsanwaltschaft und Staatsanwaltschaft haben im vergangenen Jahr in lau- (BS/mfe/rup) Die Terrorgefahr in Deutschland ist weiterhin latent. Damit die Polizeien von Bund und Länfenden Ermittlungsverfahren insgesamt 37.279 Telefonate überwacht. Die Zahl stellt den niedrigsten Wert dern auch in Anschlagssituationen angemessen reagieren können, braucht es spezielle Ausrüstung. Dazu innerhalb der letzten zwölf Jahre dar. Gegenüber dem Vorjahr sank sie um fast eine halbe Million Gespräche. gehören auch schwere sondergeschützte Fahrzeuge. Hier kommt es nun zu den seit längerem geplanten Neuanschaffungen mit verbessertem Schutzniveau – jetzt auch gegen Hartkerngeschosse, die für militärische Damit setzt sich ein seit 2014 wachung in Ermittlungsverfahren hang mit Straftaten nach dem Waffen verwendet werden. sinkender Trend fort. Auch die Zahl der überwachten Anschlüsse ist seit dem Jahr 2013 (2.948) kontinuierlich gesunken und liegt nun bei 1.687. Die überwachten Telefonanschlüsse verteilen sich auf insgesamt 333 bei den Berliner Strafverfolgungsbehörden geführte Ermittlungsverfahren, in denen eine Abhörmaßnahme ergriffen wurde (2018: 383 Verfahren). Von den Abhörmaßnahmen waren 506 Personen betroffen, wie aus dem nun vom Senat verabschiedeten Jahresbericht über die Praxis der Telefonüber-

hervorgeht. Dieser wird jetzt dem Abgeordnetenhaus zugeleitet. Von der Möglichkeit der Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) machten die Strafverfolgungsbehörden der Bundeshauptstadt 2020 keinen Gebrauch. In anderen Bundesländern wird dieses Instrument hingegen sehr wohl genutzt.

Nur unter strengen ­Voraussetzungen Wie in den Jahren zuvor erfolgten die mit Abstand meisten Abhörmaßnahmen im Zusammen-

Betäubungsmittelgesetz. Wie ebenfalls seit Jahren haben auch im Berichtsjahr 2020 bandenmäßig begangene Diebstahlstaten, worunter auch bandenmäßige Einbrüche fallen, einen hohen Anteil bei den Überwachungsmaßnahmen eingenommen. Telefonüberwachungen sind in der Strafprozessordnung geregelt und dürfen nur unter strengen rechtlichen Vorgaben durchgeführt werden. So unterliegen sie unter anderem einem Richtervorbehalt und müssen explizit beantragt werden.

Auch in Zukunft Partner Bundespolizei und Deutsche Bahn kooperieren weiter (BS/mfe) Die Bundespolizei sowie die Deutsche Bahn AG setzen ihre Ordnungspartnerschaft fort. Sie besteht bereits seit dem Jahr 2000 und wird nun fortgeschrieben. Dadurch können die beiden Akteure auf unterschiedlichen Ebenen kooperieren, um gemeinsam die Sicherheit und die Bürgernähe in den Bahnhöfen und den Zügen zu erhöhen. Im Rahmen der Partnerschaft konnte in der Vergangenheit bereits die Videobeobachtung in den Stationen ausgebaut und erneuert werden. Außerdem gelang es, den gegenseitigen Informationsaustausch zu verstärken und die Zusammenarbeit im Bereich der Kriminalitätsbekämpfung weiter auszubauen. Der beamtete Staatsekretär im Bundesinnenministerium (BMI), Hans-Georg Engelke, erklärte: “Es freut mich, dass es uns gelungen ist, die seit mehr als 20 Jahren andauernde Kooperation fortzuschreiben und die Zusammenarbeit in den Bereichen “Forschung und Erprobung neuer Sicherheitstechnologien”, “Unterbringung der Bundespolizei” und “Präventionsarbeit” zu intensivieren.”

Auch in Zukunft kooperiert die Bundespolizei mit der Deutschen Bahn AG, um die Sicherheit auf Bahnhöfen und in Zügen weiter zu erhöhen. Foto: BS/Bundespolizei

Und der Infrastruktur-Vorstand der Deutschen Bahn AG, Ronald Pofalla, ergänzte: “Sicherheit ist unser höchstes Gut. Der enge Zusammenschluss mit der Bun-

despolizei ist dabei die tragende Säule. Die Sicherheit immer weiter zu erhöhen – das geht nur gemeinsam.” Die Kooperation erlaubt u. a. gemeinsame Streifen.

Der Zuschlag steht bevor, sollte eigentlich schon früher erteilt werden. Denn die derzeit im Einsatz befindlichen Sonderwagen vier bieten nur bedingten ballistischen Schutz. Es kam jedoch zu Verzögerungen, da sich das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb verzögerte. Dass das Verfahren länger gedauert hat als üblich, lag wohl an Rückfragen der Beschafferseite. Der Vorgang habe gezeigt, so Insider, dass sich der Bedarfsträger sehr genau und fachlich detailliert mit den zur Verfügung stehenden Produkten beschäftigt habe. Von offizieller Seite kann hier nur sehr eingeschränkt zur Aufklärung beigetragen werden. Denn: Noch läuft das Vergabeverfahren, bei dem es sich zudem um eine Verschlusssache handelt. Die Teilnehmer haben inzwischen ihre finalen Angebote abgegeben. Mit der Erteilung des Zuschlags wird sehr zeitnah gerechnet. Das neue Fahrzeug soll so bald wie möglich Einsatzkräften zur Verfügung stehen. Im Rennen sind offenbar noch zwei Hersteller. Nach Informationen des Behörden Spiegel handelt es sich dabei um Rheinmetall und General Dynamics, auch wenn beide Unternehmen dazu keinen Kommentar abgeben wollten. Überraschen würde das nicht.

Zwei verschiedene Modelle zur Auswahl Rheinmetall bietet seinen “Survivor” an. Dieser ist in einigen Länderpolizeien, darunter in Sachsen, Nordrhein-Westfalen

Auch für den Sonderwagen fünf ist der “Survivor” (Foto) nach Informationen des Behörden Spiegel wieder im Rennen. Foto: BS/Giessen

und Hamburg, bereits im Einsatz. Im Freistaat gab es auch schon einen ersten Beschuss eines solchen Fahrzeugs im Einsatzgeschehen der Spezialeinheiten. General Dynamics hält mit dem “Eagle 6x6” dagegen. Ersterer wird auf ein Lkw-Fahrgestell von MAN aufgesetzt, bei Letzterem handelt es sich um einen Drei-Achser. Eine andere “Eagle”-Version ist bereits in hoher Stückzahl in der Bundeswehr vorhanden, allerdings als Zwei-Achser. Aber auch der “Eagle 6x6” wird von der Truppe als Sanitätsfahrzeug genutzt.

Schwerpunkt auf Bereitschaftspolizeien der Länder Ein Entscheidungskriterium für den Zuschlag dürften auch

die Betriebsfolgekosten sein. Da der Schwerpunkt der Beschaffung auf den Bereitschaftspolizeien der Länder liegt, werden die meisten neuen Sonderwagen auch an deren Standorten stationiert. Einige Fahrzeuge erhält auch die Bundespolizei.

Unterschiedliche Bewaffnung Voraussichtlich wird es zwei unterschiedliche Versionen geben. Die Bundespolizei soll demnach Fahrzeuge mit stärkerer Bewaffnung erhalten. Für die Bereitschaftspolizeien der Länder soll es leichter bewaffnete Sonderwagen fünf mit einer modifizierten Spezifikation geben. Hier geht es wohl vor allem um die Ausstattung der Gefechtstürme.

Dallmeier präsentiert Praxisleitfaden Expertenwissen aus über 20 Safe-City-Projekten (BS/Frank Salder*) Der Videotechnik-Hersteller Dallmeier bündelt mit dem Praxisleitfaden “Videotechnologie im öffentlichen Raum” hilfreiches Expertenwissen, mit dem sich Safe-City-Projekte erfolgreich umsetzen lassen. Das Dokument richtet sich exklusiv an Verantwortliche aus Behörden, Polizei und Politik. Im Gegensatz zu den gewohnten Routineaufgaben führen viele Verantwortliche ein städtisches Videoprojekt nicht selten zum ersten oder sogar einzigen Mal in ihrem Berufsleben durch. Gesammeltes Know-how und Erfahrung kann deshalb wesentlich zum Vermeiden von Fehlern und einer professionellen und schnellen Umsetzung beitragen. Der 40-seitige Praxisleitfaden

“Videotechnologie im öffentlichen Raum” von Dallmeier liefert deshalb eine Zusammenstellung von Praxistipps und Antworten für typische Herausforderungen: von der Entscheidungsfindung, Genehmigung, öffentlichen Diskussion bis hin zur Planung, der Wahl der geeigneten Technologien und schließlich der Projektumsetzung. Eine umfangreiche Entscheider-Checkliste rundet

das Dokument ab. Interessierte Personen können auf der Dallmeier-Homepage eine Leseprobe herunterladen und das Dokument in digitaler und gedruckter Form anfordern. Weitere Informationen unter: www.dallmeier.com *Frank Salder ist Safe-CityExperte bei Dallmeier.

Frankfurt am Main ist eine von mehr als 20 deutschen Städten, die Videosicherheitslösungen von Dallmeier einsetzen.

POLIZEITAGE GEWALT GEGEN POLIZEIBESCHÄFTIGTE

15. Dezember 2021 | Düsseldorf Eine Veranstaltung des Videotechnologie-Projekte stellen Verantwortliche vor unterschiedlichste Herausforderungen. Der DallmeierPraxisleitfaden bietet hilfreiche Tipps und eine Entscheider-Checkliste.

Die Wahl der richtigen Technologie hat nicht nur Einfluss auf das Stadtbild, sie beeinflusst auch wichtige Kriterien wie zum Beispiel Datenschutzkonformität, Gerichtsverwertbarkeit und die Wirtschaftlichkeit der implementierten Lösung. Fotos: BS/Dallmeier

und der


Innere Sicherheit

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Behörden Spiegel: Herr Buddrus, wie teilen Sie sich die Leitung der Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BDBOS) mit Präsident Andreas Gegenfurtner auf? Frank Buddrus: Wir sind schnell übereingekommen, dass wir die Abteilungen des Hauses und die Arbeitsbereiche nicht untereinander aufteilen. Vielmehr pflegen wir ein klassisches Rollenverständnis. Er repräsentiert die BDBOS nach außen, ich wirke vornehmlich nach innen. Und bilde die Vorhut. Dabei kümmere ich mich neben der vielschichtigen fachlichen Arbeit insbesondere um Personalangelegenheiten und Organisationsfragen. Ich fungiere also als eine Art Amtschef. Nicht zuletzt, um den Präsidenten zu entlasten. Bei schwierigen und großen Entscheidungen stimmen wir uns aber immer ab. Behörden Spiegel: Sehen Sie Reformbedarf in der Organisation der BDBOS? Buddrus: Nichts ist so beständig wie der Wandel! Das trifft besonders auf uns als Dienstleister zu. Selbstverständlich bietet also auch unser Organigramm Raum für Reformen. Der Bedarf hierfür ist im Moment aber hoffentlich klein, da wir

Fokus auf dem Agieren nach innen Klassische Arbeitsaufteilung auf der BDBOS-Leitungsebene (BS) Frank Buddrus ist Vizepräsident der Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BDBOS). Im Interview spricht er darüber, wie er sich die Aufgaben mit dem Präsidenten der Bundesanstalt, Andreas Gegenfurtner, aufteilt. Dabei zeigt sich: Er fungiert vor allem nach innen. Das Gespräch führte Marco Feldmann.

“Ich fungiere also als eine Art Amtschef. Nicht zuletzt, um den Präsidenten zu entlasten.” Frank Buddrus ist seit April 2017 Vizepräsident der Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BDBOS). Zuvor verantwortete er dort den operativ-taktischen Betrieb und war stellvertretender Abteilungsleiter Betrieb. Fotos: BS/BDBOS, Kümmel

gerade einen massiven Organisationswandel hinter uns haben. Wie viele Behörden und Organisationen noch heute, waren wir lange Zeit funktional aufgestellt. Für ein Fachgebiet war immer genau ein Referat und für eine Themengruppe immer genau eine Abteilung verantwortlich. Behörden Spiegel: Welche Folgen hatte das?

Buddrus: Da unsere Netze aber immer nur als Ganzes funktionieren, musste sich munter kreuz und quer abgestimmt werden. Mit der Konsequenz, dass die eine Hand nicht wusste, was die andere tat. An eine Skalierung, also auch Vergrößerung unseres Aufgabengebietes, war gar nicht zu denken. Wir haben daraufhin den Begriff “Prozesse” ernst genommen und unsere

Zimmermann folgt auf Poggemann Neuer Staatssekretär im Magdeburger Innenministerium (BS/mfe) Klaus Zimmermann ist neuer Staatssekretär im sachsen-anhaltinischen Ministerium für Inneres und Sport. Er tritt in Magdeburg die Nachfolge Anne Poggemanns an. Diese Entscheidung traf die neue Ressortchefin Dr. Tamara Zieschang (CDU). Der 58-jährige Zimmermann absolvierte von 1984 bis 1989 ein Studium als Diplom-Ingenieurökonom im Maschinenbau in Magdeburg. Anschließend war er bis 1997 in verschiedenen Funktionen in der Privatwirtschaft tätig. Im November 1998 wurde Zimmermann Abteilungsleiter und stellvertretender Amtsleiter für Haushaltsangelegenheiten und Finanzplanung bei der Stadtverwaltung Magdeburg. Im Juli 2002 wurde er dort Fachbereichsleiter für kommunales Gebäudemanagement. Im November 2003 wechselte Zimmermann in gleicher Funktion in den Bereich Finanzservice. Von 2007 bis 2014 fungierte er als Beigeordneter des Dezernates für Finanzen und Vermögen. Von 2014 an war er Bürgermeister und Beigeordneter für Finanzen und Vermögen. Von 1993 bis 2001 fungierte Zimmermann als ehrenamtlicher Richter am Landessozialgericht SachsenAnhalt in Halle an der Saale. Außerdem war er ehrenamtlicher Richter am Landesarbeitsgericht und ehrenamtlicher Bürgermeister von Flecken Calvörde.

Führung der Zentralen Polizeiinspektion gewechselt Auch an der Spitze der Polizeiinspektion Zentrale Dienste in Sachsen-Anhalt gab es eine Veränderung. Hier hat Udo Bolsmann die Nachfolge von Peter Reisse angetreten, der in den Ruhestand

Organisation konsequent einem Prozessschema unterworfen. Dieses reicht in sogenannten Kernprozessen der Fachbereiche von der Strategie über die Konzeption und Realisierung hin zum Betrieb und wird von sogenannten Unterstützungsprozessen der Querschnittsbereiche begleitet. Die Zahl der Schnittstellen wurde dadurch drastisch verringert. Behörden Spiegel: Es geht doch aber nicht nur um Strukturen und Prozesse, oder? Buddrus: Nein. Erfolgreiches Arbeiten hängt beileibe nicht nur von Methoden und Strukturen ab. Sonst gäbe es schon längst Blaupausen für den Erfolg. Das Engagement der handelnden Per-

sonen und die Arbeitsatmosphäre tragen vielleicht sogar den größeren Teil dazu bei. Eine Schlüsselrolle spielt dabei natürlich die Kommunikation. So wichtig sie auch ist, so entscheidend ist, dass sie zielgerichtet und ehrlich abläuft. Eitelkeiten und andere Befindlichkeiten dürfen der sachlichen Auseinandersetzung nicht die Luft abschnüren. Wenn wir uns das immer wieder bewusst machen, haben wir eine gute Chance, unserer großartigen Aufgabe auch dauerhaft gerecht zu werden. Ansonsten schlittert man gerne mal in eine aktionistische Regelungswut oder flüchtet in ein Verantwortungsvakuum. Damit umgeht man zwar die Schuldfrage, löst aber für gewöhnlich kein Problem.

Behörden Spiegel: Wie würden Sie Ihren Führungsstil beschreiben? Buddrus: Eigentlich möchte ich gar keinen Führungsstil haben. Zumindest keinen, der eine Bezeichnung in einem Lehrbuch hat. Je nach Lage der Dinge braucht es immer von allem etwas. Wichtig sind mir vor allem Transparenz, Ehrlichkeit und am Ende der Durchsetzungswille. In der Regel vermeide ich es, in funktionierende Prozesse hinein zu intervenieren. Wie überall bedarf es aber auch hier der selbstkritischen Betrachtung und letztendlich des entschiedenen Handelns. Behörden Spiegel: Wie bewerten Sie den Umstand, dass die BDBOS mit der ALDB über eine hundertprozentige Tochter als GmbH verfügt? Das gibt es in der öffentlichen Verwaltung selten. Buddrus: Das Konstrukt haben wir bewusst herbeigeführt und ich bewerte es äußerst positiv. Die ALDB kann als GmbH etwas anders agieren als eine Bundesanstalt. Angesichts ihrer stark operativ ausgerichteten Aufgabe ist das in manchen Fällen von Vorteil. Im Zweifel kann dann noch mutiger und schneller gehandelt werden als im Mutterhaus BDBOS allein, obwohl dieses mit ebenfalls flachen Hierarchien und kurzen Entscheidungswegen schon hellwach aufgestellt ist. Der Verantwortungsbereich der ALDB ist jedoch klar abgegrenzt. Sie ist mitnichten dort eine Wunderwaffe, wo die Verwaltung sich nicht ihren Herausforderungen stellen möchte.

Starke Zunahme Deutlich mehr Attacken auf Polizeibeamte (BS/mfe) Im vergangenen Jahr sind deutlich mehr Polizistinnen und Polizisten im Dienst angegriffen worden als noch 2019. Im abgelaufenen Kalenderjahr wurden 38.960 Gewalttaten gegen Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamte (PVB) verzeichnet. Das waren 325 Fälle mehr als 2019, was einem prozentualen Anstieg um 0,8 Prozent entspricht. Dies geht aus dem aktuellen “Bundeslagebild Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamte” des Bundeskriminalamtes (BKA) hervor. Klaus Zimmermann ist neuer Staatssekretär im Innenministerium SachsenAnhalts. Foto: BS/MI LSA

gegangen ist. Der neue Behördenleiter Bolsmann wurde 1966 im nordrhein-westfälischen Neuenkirchen geboren. Nach dem ersten und zweiten juristischen Staatsexamen trat er 1995 als Personaldezernent im damaligen Regierungspräsidium Halle an der Saale in den Landesdienst Sachsen-Anhalts ein. Nach weiteren Stationen in verschiedenen Fachbereichen des Regierungspräsidiums war Bolsmann viele Jahre in mehreren Referaten des Magdeburger Innenministeriums tätig. 2019 übernahm er die Leitung der Abteilung “Zentrale Serviceeinheit/Verwaltung” bei der Polizeiinspektion Zentrale Dienste. Im April 2020 kehrte Bolsmann als Referatsleiter ins Innenministerium zurück. Die Polizeiinspektion Zentrale Dienste Sachsen-Anhalt verfügt insgesamt über vier Abteilungen.

Udo Bolsmann ist neuer Direktor der Polizeiinspektion Zentrale Dienste in Sachsen-Anhalt. Er erhielt seine Ernennungsurkunde von der ebenfalls neuen Innenministerin Dr. Tamara Zieschang (CDU).

Foto: BS/Innenministerium Sachsen-Anhalt

Dabei reicht das Aufgabenspektrum vom Bereich Zentrale Aufgaben und Polizeiärztliches Zentrum mit dem Ärztlichen Gutachterdienst der Landesverwaltung über die Landesbereitschaftspolizei mit der Hubschrauberstaffel, dem Wasserschutzpolizeirevier und der Diensthundführerschule bis zur Abteilung für die landesweite polizeiliche Informations- und Kommunikationstechnik. Außerdem sind dieser Behörde der Kampfmittelbeseitigungsdienst, die Landesstelle für polizeiliche Verkehrssicherheitsarbeit, das Landespolizeiorchester und die Zentrale Bußgeldstelle angegliedert. Insgesamt sind bei der Polizeiinspektion Zentrale Dienste etwa 1.300 Bedienstete tätig.

MELDUNG

Neues Hinweistelefon in NRW (BS/mfe) Wer Hinweise auf möglichen sexuellen Missbrauch von Kindern oder Jugendlichen hat, kann in Nordrhein-Westfalen künftig nicht nur den Notruf wählen, sondern auch ein neu eingerichtetes Hinweistelefon anrufen. An die Nummer 0800 0 431 431 können sich Bürgerinnen und Bürger wenden, wenn sie der Polizei niedrigschwellig Beobachtungen melden wollen, die auf sexuellen Missbrauch

Behörden Spiegel / November 2021

oder Kinderpornografie hindeuten könnten. Mit dem Hinweistelefon schafft das nordrheinwestfälische Innenministerium eine zusätzliche zentrale Ansprechstelle ergänzend zu den Notrufnummern. Innenminister Herbert Reul (CDU) erklärte dazu: “Es gibt Situationen, die kein Notfall sind, die aber trotzdem ungemein beunruhigend sind. Wenn man vielleicht schon länger be-

obachtet, dass ein Kind sich irgendwie seltsam verhält, dass es ängstlicher geworden ist oder auf einmal ganz still.” Das neue Hinweistelefon sei “die Nummer für das “Da stimmt was nicht”-Gefühl, für das schlechte Bauchgefühl”, so der Düsseldorfer Ressortchef weiter. Das Hinweistelefon wird von vier Polizeibeamtinnen des nordrheinwestfälischen Landeskriminalamts (LKA) betreut.

Bei der Anzahl der als Opfer von solchen Gewalttaten erfassten PVB fiel der Anstieg demnach noch deutlicher aus. Hier wurden im Jahr 2020 84.831 betroffene PVB gezählt, also 4.474 Opfer mehr als im Vorjahr (+5,9 Prozent; 2019: 80.084). Damit erreichen sowohl die Fall- als auch die Opferzahlen im Bereich der Gewaltkriminalität gegen PVB erneut Höchstwerte. Der negative Trend der letzten Jahre setzte sich auch 2020 fort. So stieg die Anzahl der Gewalttaten gegen PVB seit 2012 um 20 Prozent und die Anzahl der als Opfer registrierten PVB sogar um 42 Prozent. Diese Entwicklungen verdeutlichen die zunehmende Gewaltbereitschaft gegenüber PVB in

der Bevölkerung und zeugen von einer sinkenden Wertschätzung der Einsatzkräfte. Besorgniserregend ist darüber hinaus vor allem der sprunghafte Anstieg der Anzahl von PVB, die Opfer von versuchten und vollendeten Tötungsdelikten wurden. Insgesamt zählte das BKA im Berichtsjahr 2020 bei 63 Mordund Totschlagdelikten 114 PVB als Opfer, damit wurden bundesweit 42 mehr PVB als Opfer registriert als im Vorjahr (2019: 72 PVB). Bis auf einen Mordfall blieben die Tötungsdelikte im Versuchsstadium. Im Bereich der Gewaltkriminalität gegen PVB gab es weitere prozentual signifikante Anstiege der Opferzahlen bei den gefähr-

lichen und schweren Körperverletzungsdelikten, die gegenüber 2019 um 20,6 Prozent zunahmen (2019: 2.280; 2020: 2.749 PVB), sowie bei den tätlichen Angriffen, bei denen mit 29.247 PVB insgesamt 11,7 Prozent mehr als Opfer registriert wurden als im Vorjahr (2019: 26.176 Fälle). Die meisten Opfer gab es wie schon 2019 im Zusammenhang mit Widerständen gegen Vollstreckungsbeamtinnen und Vollstreckungsbeamte – hier wurden 2020 44.213 PVB als Opfer gezählt. Der Großteil der bei Gewalttaten gegen PVB ermittelten Tatverdächtigen ist männlich (84,5 Prozent) und deutsch (69,8 Prozent). Von den Verdächtigen waren viele zudem polizeilich bekannt (75,5 Prozent).

Erhebliches Vertrauen in BOS Neue Technologien deutlich akzeptierter (BS/mfe) Die Corona-Pandemie hat auch die Erwartungen der Bürger an Technologie verändert. So wünschen sich immer mehr Menschen eine Veränderung der öffentlichen Sicherheit durch den Einsatz moderner Technologien. Das geht aus einer neuen Studie hervor, die kürzlich präsentiert wurde. Durch Wissenschaftler der Forschungseinrichtung Goldsmiths der Universität von London wurde untersucht, wie die globale Pandemie das Bewusstsein für den Einsatz zukunftsweisender Technologien bei Polizei, Feuerwehr, Rettungsdiensten, aber auch bei Privatunternehmen geschärft hat. Für die Untersuchung wurden 12.000 Bürger sowie 50 Vertreter von Sicherheitsbehörden befragt, darunter auch 1.000 Menschen aus Deutschland. 88 Prozent der Befragten weltweit und in

Deutschland wünschen sich einen verstärkten Einsatz moderner Technologie im Bereich der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS), heißt es in der Untersuchung, die auch von Motorola unterstützt wurde.

Viel Zustimmung Demnach sagen 71 Prozent zudem, dass zukunftsweisende Technologien wie Videokameras, Datenanalyse-Lösungen, CyberSicherheit und Cloud-Lösungen erforderlich seien, um den Her-

ausforderungen der heutigen Zeit zu begegnen. In Deutschland sind es 61 Prozent. 70 Prozent wünschen sich, dass Einsatzkräfte mithilfe neuer Technologien in der Lage sind, Risiken und kritische Lagen vorherzusagen. In der Bundesrepublik plädieren 65 Prozent dafür. Außerdem geben 75 Prozent der Befragten an, dass sie BOS bei der Verwendung ihrer persönlichen Daten vertrauen, wenn sie wissen, wie diese genutzt werden. In Deutschland sind es 71 Prozent.


Innere Sicherheit/Katastrophenschutz

Behörden Spiegel / November 2021

I

m deutschlandweiten Durchschnitt liegt laut Feuerwehrverband (DFV) der Anteil der weiblichen Aktiven in den Freiwilligen Feuerwehren bei über neun Prozent und in den Berufsfeuerwehren bei knapp zwei Prozent. Die Gründe dafür sind dabei vielfältig. In der Gesellschaft sei vielerorts noch eine sehr traditionelle Sichtweise verankert, sagt Branddirektorin Martina Klee. In vielen Köpfen herrsche der Gedanke “Katastrophenschutz ist Männerarbeit” immer noch vor. “Ich treffe immer wieder auf Verwunderung, wenn mich Leute nach meinem Beruf fragen”, berichtet Klee. Diese Vorbehalte seien aber vor allem außerhalb der Feuerwehr noch präsent, während innerhalb der Organisation, egal ob hauptoder ehrenamtlich, Frauen weniger auf Vorurteile stießen und ganz selbstverständlich Teil des Teams seien. Das Bewusstsein habe sich hier insgesamt geändert. Für Diskriminierung oder Vorurteile, wie sie früher eher ein Thema gewesen sei, gebe es in den Feuerwehren nach ihrer Erfahrung keinen Raum mehr.

Auf die Gesamtheit kommt es an Dem Argument, dass Frauen aufgrund von körperlichen Voräussetzungen nicht für die Feuerwehrarbeit geeignet seien, tritt Klee entschieden entgegen. Zwar stimme es, dass im Durchschnitt Frauen bei harter körperlicher Arbeit etwas schneller an ihre Grenzen stießen, dies heiße aber nicht, dass Männer grundsätzlich besser dafür geeignet sein. In der Feuerwehrarbeit gehe es nicht nur darum, was man in den Oberarmen habe, sondern es müss in der Gesamtheit vom Job her passen. “Man muss Em-

So meint die Bundesfrauenvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Erika KrauseSchöne, dass für Frauen bei der Bundespolizei oftmals die bundesweite Verwendungsmöglichkeit zur Erreichung der im Sinne einer Karriereentwicklung immer noch ausschließlich geforderten Verwendungsbreite als Bestandteil des Personalentwicklungskonzeptes ein Problem darstelle. Insbesondere Frauen werde es dadurch nahezu unmöglich gemacht, Beruf und Familie unter den Bedingungen einer Vollzeitbeschäftigung unter einen Hut zu bringen, da sie der familiären Bindung stärker nachgingen als Männer. Möglicherweise seien auch die Einstellungskriterien im Vergleich zu einigen Bundesländern zu männlich geprägt, denn in Niedersachsen werden über 40 Prozent Frauen eingestellt. Hinzu komme, so Krause-Schöne, die auch stellvertretende Bundesvorsitzende der GdP Bundespolizei ist: “Frauen sind in der Bundespolizei bei Beurteilungen weiterhin strukturell benachteiligt und erhalten deutlich seltener als ihre Kollegen Bestnoten.” Aus diesem Grunde müssten die Beurteilungsrichtlinien dringend überarbeitet werden. Nicht nur in Bezug auf Leistungsmerkmale, sondern auch in Bezug auf deren Operationalisierung, da die meist männlichen Erstbeurteilenden eher männlich definierte Merkmale der Einschätzung zugrunde legten. “Wir brauchen in den Beurteilungsrichtlinien in Zukunft ein Quorum als Mindestfaktor, damit Frauen mehr Chancen auf Bestnoten erhalten”, verlangt die Gewerkschafterin. Weiterhin brauche es Reformen in der beruflichen Qualifizierung, wie unter anderem bei Aufstiegsverfahren in die nächsthöhere Laufbahn oder bei der Integration von Fernlehre oder -studienanteile. Die Möglichkeiten seien bereits heute gegeben, wie die Corona-Pandemie gezeigt habe.

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“Florentine”: Potenzial vorhanden Wie kann der Anteil der Feuerwehrfrauen gesteigert werden? (BS/Bennet Klawon) Eine Steigerung um über drei Prozent. Damit ist der Anteil der Feuerwehrfrauen im Land Nordrhein-Westfalen doppelt so schnell gewachsen wie die gesamte Mitgliederanzahl bei den öffentlichen Feuerwehren. Dies geht aus dem kürzlich veröffentlichten Gefahrenabwehrbericht 2020 hervor. Was nach einem moderaten Wachstum klingt, ist in reellen Zahlen – knapp über 200 – noch relativ gering. Der Anteil der Feuerwehrfrauen stagniert seit Jahren bei sieben Prozent im bevölkerungsreichsten Bundesland. Damit ist NRW jedoch nicht allein. Doch warum ist dies so und wie kann der Anteil gesteigert werden?

Es ist noch viel Potenzial bei der Steigerung des Frauenanteils in Feuerwehren vorhanden. Es muss aber noch einiges geschehen. Foto: BS/Fabian, stock.adobe.com

pathie, Köpfchen und auch eine Grundfitness haben. Es sind ganz viele Faktoren, die dazu führen, dass man eine gute Einsatzkraft ist”, betont Klee. Im aktiven Dienst in Gießen übernähmen Frauen die gleichen Aufgaben wie Männer im Einsatz. Sarah Proff, stellvertretende Wehrführerin bei einer Freiwilligen Feuerwehr im Westerwald, hat jedoch in ihrem Leben schon Diskriminierung erlebt. Besonders bei der älteren Generation tat man sich schwer mit Frauen in der Feuerwehr. Doch dies würde sich langsam verwachsen. Mit ihren jüngeren Kameraden hat sie keinerlei Probleme. “Wenn

es ernst wird, wird kein Unterschied zwischen Mann und Frau gemacht”, sagt die 35-Jährige.

Hoher Anteil an Mädchen in Jugendfeuerwehren Während die Zahlen in Einsatzabteilungen der Feuerwehren niedrig sind, sieht es bei den Jugendfeuerwehren anders aus. Von Bundesland zu Bundesland schwankt der Anteil an Mädchen und jungen Frauen zwischen 20 und 30 Prozent. Dennoch gelingt es nicht immer, die Nachwuchskräfte in den aktiven Dienst zu bekommen. Proff sieht vor allem die Interessensverschiebung als Hauptgrund. Zwar würden

die Jugendlichen spielerisch an das Thema der Gefahrenabwehr herangeführt, doch der Einsatzdienst sei etwas komplett anderes. Sie könne sich vorstellen, dass die Technik und die körperliche Arbeit für junge Frauen eher abschreckend wirkten. Zudem veränderten sich Interessen in diesem Alter noch mal stark. Sie selbst ist seit ihrem zehnten Lebensjahr in der Freiwilligen Feuerwehr aktiv und ist über ihren Vater und den älteren Bruder zu Feuerwehr gekommen. Auch wenn das Engagement ihrer Familienmitglieder ausschlaggeben gewesen sei, ist sie überzeugt, dass sie auch ohne diese den Weg zur Feuerwehr gefunden hätte. Dies deckt sich mit den Erkenntnissen der Studie “Mädchen und Frauen bei der Feuerwehr” des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) aus dem Jahr 2008. Der Einstieg über die Familie verlaufe oft parallel zur Jugendfeuerwehr. Dennoch sieht Proff hier etwas schwarz für die Zukunft. So hätte ihre Wehr früher eine eigene Jugendfeuerwehr gehabt. Jetzt gebe es ein Gemeinschaftsprojekt mit den Nachbargemeinden, da die Mädchen und Jungen wegblieben. Die Feuerwehrfrau ist überzeugt, dass sich die Einstellung zum Vereinsleben generell in der Gesellschaft verändert habe. Die

Leute wollten viel mehr Flexibilität und keine Verpflichtungen. Dies lasse sich mit einem Engagement in der Feuerwehr aber nicht verbinden. Eine weitere Hürde stellt die Vereinbarkeit von Feuerwehrdienst und Familie dar. Auf Proffs Wache sind von den 16 Aktiven fünf Frauen. Nur eine von ihnen ist Mutter. Dabei habe sie erlebt, dass dies das Ehrenamt schwieriger mache. Diese Erfahrungen hat auch Klee gemacht. Dennoch sieht sie einen Handlungsbedarf auf einer größeren Skala als der Feuerwehr. “Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf muss sich generell in der Gesellschaft ändern”, so Klee. Die Feuerwehr stelle dabei keine Ausnahme dar. Von einer besseren Vereinbarkeit würden dabei nicht nur Frauen, sondern eben auch Männer profitieren. Die Vereinbarkeit müssten nicht nur Arbeitgeber leisten. Hier seien auch die Organisationen bei ihren ehrenamtlichen Kräften gefordert. Klee ist aber in diesem Punkt optimistisch: Zwar sei man hier etwas träge, aber der Druck sei da. Der mangelnde Nachwuchs macht es möglich.

Sichtbarer werden Eine, die sich dafür einsetzt, dass es mehr Frauen in den Feuerwehren gibt, ist Birgit Kill. Sie ist freiwillige Feuerwehrfrau in Essen und Koordinatorin für

Beurteilungsrichtlinien anpassen Es braucht mehr Frauen in polizeilichen Führungsfunktionen (BS/Marco Feldmann) Bei der Bundespolizei und dem Bundeskriminalamt (BKA) sind Frauen in Führungspositionen und bei Spezialeinheiten unterrepräsentiert (mehr dazu auch im Behörden Spiegel Oktober 2021, Seite 55). Auch im regulären mittleren und gehobenen Dienst ist der Anteil des weiblichen Geschlechts mit rund 20 beziehungsweise etwa 13 Prozent noch ausbaufähig, obwohl derzeit viele neue Vollzugsbeamtinnen eingestellt werden. Personalvertreter sehen deshalb dringenden Handlungsbedarf. Darüber hinaus könnte aus Krause-Schönes Sicht beispielsweise ein sogenanntes Kaskadenmodell eingeführt werden. Dabei wird zunächst in jeder Ämtergruppe der jeweilige Frauenanteil bestimmt. Dieser Prozentsatz muss sich dann auch auf der nächsthöheren Qualifizierungsebene mindestens widerspiegeln. Dies wird sichergestellt, indem zum Beispiel 20 Prozent der zur Verfügung stehenden Dienstposten auf der nächsthöheren Ebene ausschließlich an Frauen vergeben werden. Dieser Anteil kann je nach zuvor festgestelltem Frauenanteil selbstverständlich auch höher oder niedriger ausfallen. Natürlich muss die Vergabe der Stellen – auch wenn sie nur unter Frauen verteilt werden – den verfassungsrechtlich verbrieften Grundsätzen der Eignung, Leistung und Befähigung gerecht werden. Sabine Schumann, stellvertretende Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), sieht die Einführung eines Kaskadenmodells eher skeptisch. Auch andere Vertreter der DPolG äußern sich zurückhaltend. Denn in der Theorie sei das Modell durchaus zu begrüßen. “In der praktischen Umsetzung gestaltet es sich jedoch deutlich schwieriger”, so Schumann. Der Frauenanteil in den Polizeien ließe sich nicht allein durch Theorie und Modelle erhöhen. “Gleichstellung muss vielmehr noch deutlich stärker in die Köpfe hineinkommen”, findet sie. Und hier sei noch einiges zu tun. Des Weiteren beinhalteten die Beurteilungsrichtlinien der Polizeien bundesweit, auch wenn

sie verwaltungsrechtlich nicht zu beanstanden seien, ein Diskriminierungspotenzial gegenüber Frauen durch den Erstbeurteiler. Denn dieser sei in den meisten Fällen männlich. Problematisch ist aus Schumanns Sicht in diesem Zusammenhang die Definition des Begriffs Leistung. Denn hier seien noch zu oft stereotype Denkweisen im Spiel. Das müsse sich ändern, sei aber zugleich auch schwierig. Denn: “Bei der Polizei werden auch Frauen in einer Männerdomäne sozialisiert.” So hätten es Polizistinnen etwa oftmals beim Wiedereinstieg nach der Elternzeit extrem schwierig, weil ihre Beurteilungen dann deutlich schlechter ausfielen. Sowohl Schumann als auch Krause-Schöne von der GdP sehen aber auch noch auf einer anderen Ebene Nachbesserungsbedarf. Aus ihrer Sicht müsse bei den Gleichstellungsgesetzen noch mehr getan. Die rechtliche Grundlage in Berlin ist Schumann zufolge “sehr weich formuliert”. Dies erschwere die Geltendmachung außergewöhnlicher Kinderbetreuungskosten für Vollzugsbeamtinnen im Falle von Einsätzen in den Abendstunden oder an den Wochenenden. Hier sollte die Behörde aus ihrer Sicht von Betroffenen künftig deutlich stärker unter Entscheidungsdruck gesetzt werden. Auch Krause-Schöne sieht hier Reformerfordernisse. Sie verlangt: “In Zukunft müssen auch Übungen und Einsätze der Bundespolizei in den Geltungsbereich des Paragrafen zehn des Bundesgleichstellungsgesetzes aufgenommen werden. Bislang sind hier nur Dienstreisen und

Aus- und Fortbildung erfasst.” Die Vorschrift regelt, wann der Dienstherr außergewöhnliche Kinderbetreuungskosten übernimmt. Laut Krause-Schöne sieht das Bundesinnenministerium (BMI) für diesen Schritt bislang – aus ihrer Sicht unverständlicherweise – allerdings keine Notwendigkeit. Aus dem Ministerium selbst war dazu – aufgrund des anstehenden Regierungswechsels – keine Stellungnahme zu erhalten. Aus Sicht der GdP-Vertreterin seien in diesem Kontext sogenannte Blaulicht-Kindertagesstätten nämlich nur gut an großen Standorten, in Metropolen und Ballungsräumen umsetzbar. In der Fläche gestalte sich die Umsetzung schwierig. Deshalb brauche es auch noch andere Veränderungen. So müsse die oftmals schlechtere Beurteilung von Teilzeitkräften rasch beendet werden. “Außerdem braucht es Verbesserungen beim gleichzeitigen (mobilen) Arbeiten und der Betreuung von, möglicherweise sogar kranken, Kindern. Zudem müssen Führungskräfte noch stärker für Frauenbelange sensibilisiert werden.” Es müsse dringend mehr Geschlechtergerechtigkeit bei der Bundespolizei Einzug halten, findet Krause-Schöne. Und: die Arbeitszeiten – vor allem im Wechselschichtsystem – müssten für weibliche, aber auch für männliche Polizeivollzugskräfte attraktiver gestaltet werden. Von der Innenpolitischen Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Dr. Irene Mihalic, heißt es in diesem Kontext, “dass immer noch sehr wenige Frauen in den

oberen Führungspositionen vertreten sind und offenbar an eine gläserne Decke stoßen”. Dabei seien Frauen in Führungspositionen entscheidend, um mehr Frauen zum Aufstieg in höhere Positionen zu bewegen oder überhaupt für den Polizeiberuf zu gewinnen. Die Abgeordnete, auf deren Anfrage hin das BMI den niedrigen Frauenanteil bei Bundespolizei und BKA einräumen musste, fordert: “Insgesamt gilt es, beim BKA und bei der Bundespolizei die Anstrengungen zur Gleichstellung auszuweiten und die Sichtbarkeit von Frauen im Polizeiberuf weiter zu stärken.” Ob sich die Forderungen der Gewerkschaftsvertreterinnen und der Politik jedoch erfüllen, bleibt abzuwarten. Denn aus Berlin heißt es zwar, dass die Ausführungsvorschriften über die Beurteilung der Beamtinnen und Beamten des Polizeivollzugsdienstes in Kürze neu erlassen und dabei im Wesentlichen an die Beurteilungsvorschriften des allgemeinen Verwaltungsdienstes angepasst werden sollen. In diesem Zuge sei dann aber auch vorgesehen, das Notenspektrum zu erweitern und dem Leistungsmerkmal “Führungskompetenzen” verbindliche Einzelmerkmale zuzuordnen. Die Aufnahme eines Frauenquorums sei allerdings nicht geplant, ist aus der zuständigen Senatsverwaltung für Inneres und Sport zu vernehmen. Mit Blick auf ein mögliches Kaskadenmodell heißt es, dass die Polizei der Bundeshauptstadt im gesetzlich zulässigen Rahmen eine vergleichbare Zielsetzung verfolge. Bei der Besetzung höherwertiger Stellen müsse jedoch immer der Grundsatz der Bestenauslese

das Projekt “Florentine NRW” beim Verband der Feuerwehren in NRW (VdF NRW). Das Anfang 2019 gegründete Netzwerk hat bereits über 700 Interessierte. Neben Online-Netzwerktreffen und monatlichen Online-Fortbildungen zu feuerwehrtechnischen Themen ausschließlich für Feuerwehrfrauen organisierte Kill 2021 eine Fortbildungsveranstaltung zum Thema “Technische Hilfeleistung”, welche sich ausschließlich an Frauen richtete. Es nahmen mehr als 230 Frauen teil. Sie ist überzeugt, dass dies zeige, “dass der Bedarf an Kompetenzentwicklung im eigenen Raum für Feuerwehrfrauen hoch ist”. “Frauen in den Feuerwehren müssen sichtbarer werden”, fordert zudem Kill. “Denn wir Feuerwehrfrauen sind noch nicht wirklich präsent.” Dies fange schon beim “Wording” in Zeitungsberichten an, bei denen nur von Feuerwehrmännern die Rede sei. Aber es brauche auch eine gezielte Einwerbung von Frauen für eine Feuerwehrtätigkeit, gleichermaßen ehrenamtlich wie hauptberuflich. Das Umdenken müsse auch in den Köpfen der Verantwortungsträger geschehen, damit Frauen in der Feuerwehr nicht als Störfaktor, sondern als Gewinn angesehen würden. “Ich bin überzeugt, dass der Geschlechtermix in der Feuerwehr ähnlich positive Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit und Kompetenzen hat, wie dies beispielsweise bei der Polizei oder auch im Arztberuf zu beobachten war”, so Kill. Auch Klee hält ein spezielles Recruiting von Frauen für zielführend. Es gebe noch eine Menge Potenzial. Ein Frauenanteil von 20 bis 30 Prozent sei durchaus realistisch. Doch der Weg dorthin ist noch lang.

beachtet werden. Von der Hamburger Polizei hört man, dass die Beurteilungsrichtlinie für den Polizeivollzug evaluiert werden solle. Konkrete Änderungen seien zurzeit aber nicht vorgesehen. Allerdings finde bereits heute im Rahmen der jährlichen Beurteilungseröffnung ein Gespräch zwischen dem Vorgesetzten sowie dem oder der Beurteilten über dessen oder deren Karriereplanung statt. Im mittleren und im gehobenen Dienst habe die Landespolizei in Hinblick auf die Einstellungszahlen bereits Geschlechterparität erreicht. Ein Kaskadenmodell komme dennoch “nicht durchgehend strukturell zum Einsatz”. Gleichwohl gebe es ein spezielles Seminar zur Förderung von Frauen sowie zur Erhöhung des Frauenanteils in Führungsfunktionen und Spitzenämtern. Auch in Nordrhein-Westfalen sind laut Innenministerium derzeit keine Änderungen der Beurteilungsrichtlinien bezüglich der Frauenförderung bei der Polizei beabsichtigt. Auch sei keine Aufnahme eines Quorums beabsichtigt. Allerdings solle die Frauenförderung bei der Landespolizei im Rahmen eines Forschungsauftrages wissenschaftlich untersucht werden. Erst wenn die entsprechenden Ergebnisse vorlägen und ausgewertet worden seien, könne über die Einführung eines Kaskadenmodells oder andere Anpassungen entschieden werden. Reformbedarf an den Beurteilungsrichtlinien oder in Hinblick auf die Einführung eines Quorums wird auch in Bayern nicht gesehen. Denn laut Innenministerium ist der Frauenanteil in Führungspositionen und Spitzenämtern in der Vergangenheit bereits erheblich gestiegen. So seien Ende 2013 noch nur 6,4 Prozent der Vizepräsidenten- und Abteilungsleiterstellen bei der Polizei des Freistaates von Frauen besetzt gewesen.


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Katastrophenschutz

Behörden Spiegel / November 2021

B

ehörden Spiegel: Frau Vogt, welche Ziele verfolgen Sie als neue Präsidentin der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG)?

Ute Vogt: Ein wichtiges Ziel ist für mich, sicherzustellen, dass wir bei der DLRG auch in Zukunft genügend Personal haben, um unsere gute Schwimmausbildung fortsetzen und uns weiterhin im Katastrophenschutz einbringen zu können. Darüber hinaus brauchen wir auch künftig genügend Rettungsschwimmerinnen und Rettungsschwimmer. Außerdem auf meiner Agenda: der Kampf um die Wasserflächen und gegen die Schließung von Schwimmbädern.

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Fähigkeiten müssen bekannter werden DLRG wünscht sich Gleichstellung mit Helfern des Technischen Hilfswerks (BS) Sie ist frisch im neuen Amt: Ute Vogt steht künftig an der Spitze der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG). Die ehemalige Bundestagsabgeordnete und Innenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion war bereits länger Vizepräsidentin der Hilfsorganisation. Über ihre Agenda und ihre wichtigsten Ziele spricht sie mit dem Behörden Spiegel. Die Fragen stellten Marco Feldmann und Bennet Klawon. gerne. Denn Schwimmen ist eine Kulturleistung wie Lesen und Schreiben, die in den Schulen gelernt werden muss. Dafür braucht es ausreichend Bäder.

“Schwimmen ist eine Kulturleistung wie Lesen und Schreiben, die in den Schulen gelernt werden muss. Dafür braucht es ausreichend Bäder.”

Behörden Spiegel: Was hat Sie zu einer Kandidatur für das Präsidentenamt der DLRG bewogen?

Vogt: Ich war bereits seit 2005 Vizepräsidentin der DLRG. Diese Aufgabe habe ich immer mit Behörden Spiegel: Welche viel Herzblut wahrgenommen. Forderungen stellen Sie denn Ich war stolz, als man auf mich gegenüber der Politik auf, insbe- zukam und mich fragte, ob ich sondere mit Blick auf den Betrieb das Präsidentenamt übernehvon Schwimmbädern? men wolle. Ich habe mit großer Freude zugestimmt. Klar Vogt: In der Vergangenheit ist aber auch: Hätte ich meine haben wir eine erfolgreiche Arbeit als Abgeordnete des DeutKampagne samt Petition an schen Bundestages nicht nach der vergangenen Legislaturperio“Die Reduzierung der Zahl der de beendet, hätte ich das Amt der Badetoten in Deutschland bleibt DLRG-Präsidenunser zentrales Ziel. tin nicht übernehmen können. den Deutschen Bundestag ge- Das wäre zeitlich nicht gegangen gen das Bädersterben durch- und wäre auch dem Amt nicht geführt. Es gab dann auch gerecht geworden. ein Bäderförderprogramm der Behörden Spiegel: Wie wollen Bundesregierung. In den Genuss von dessen finanziellen Sie das Grundsatzziel der DLMitteln kamen allerdings nur RG erreichen, wonach die Aufsehr wenige Bäder. Was wir für klärungsarbeit für eine höhere die Zukunft dringend brauchen, Sicherheit am Wasser in den ist ein Bäderbedarfsplan. Denn kommenden vier Jahren deutlich jede Schule muss die Möglichkeit ausgeweitet werden soll? haben, zeitnah ein Schwimmbad zu erreichen. Hier müssen sich Vogt: Dazu wollen wir unsere Bund und Länder zusammen- Aufklärungsarbeit erweitern. Im setzen. Wir unterstützen bei der Bereich der Baderegeln haben Erarbeitung eines solchen Planes wir hier bereits viel erreicht.

Ute Vogt ist die neue Präsidentin der Deutschen Lebens-RettungsGesellschaft (DLRG). Sie wurde von den Delegierten der jüngsten Bundestagung in Dresden gewählt und folgt auf Achim Haag. Zuvor war Vogt Mitglied des Deutschen Bundestages und zuletzt Innenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. Foto: BS/Daniel-André Reinelt, DLRG

Die kennt inzwischen fast jedes Kind. Bisher ist unsere Aufklärungsarbeit noch stark auf das Schwimmen fokussiert. In Zukunft wollen wir mehr für die übrigen Gefahren des Wassers sensibilisieren. Da geht es unter anderem um die richtigen Handlungsweisen bei Hochwasserlagen. Behörden Spiegel: Wie wollen Sie die Zahl der Badetoten in Deutschland verringern? Vogt: Die Reduzierung der Zahl der Badetoten in Deutschland bleibt unser zentrales Ziel. Allerdings gibt es durch die CoronaKrise nun zwei Jahrgänge von Schülerinnen und Schülern, die nicht Schwimmen gelernt haben. Das hat eine riesige Lücke gerissen. Um diese zu schließen, haben wir in diesem Sommer

BRAND- UND KATASTROPHEN SCHUTZTAGE 2021 Brand- und Katastrophenschutz der Zukunft innovativ – digital – zukunftsfähig

09. DEZEMBER 2021,

Dorint an den Westfalenhallen Dortmund

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zahlreiche Schwimmkurse für Kinder angeboten. Das werden wir im kommenden Jahr erneut tun müssen, damit die Zahl der Nichtschwimmer hierzulande nicht noch höher wird. Dafür ist es wichtig, dass Schwimmen wieder ganz regulär zum Schulunterricht gehört. Viele Schulen haben diese Aufgabe zuletzt einfach an uns abgegeben. Das geht künftig aber nicht mehr. Dafür sind es schlicht zu viele Kinder. Das können wir auf Dauer nicht leisten. Behörden Spiegel: Welche Rolle spielt die DLRG aus Ihrer Sicht im deutschen Katastrophenschutzsystem? Vogt: Die DLRG muss mit ihren Fähigkeiten für den Katastrophenschutz noch bekannter werden. Während der jüngsten Flutkatastrophe waren unsere Strömungsretter teilweise die einzigen Kräfte, die an bestimmten Einsatzorten noch helfen konnten. Dabei haben wir gemerkt, dass vielen Akteuren diese DLRG-Fähigkeiten und die Bedeutung der DLRG für den Katastrophenschutz gar nicht bekannt und bewusst waren. Das muss sich dringend ändern, vor allem auf der kommunalen Ebene. Die DLRG muss in Zu-

kunft genauso behandelt werden wie die übrigen Hilfsorganisationen. Behörden Spiegel: Sollte es in diesem Zusammenhang verbesserte Freistellungsmöglichkeiten für ehrenamtlich bei der DLRG Tätige geben? Vogt: Wir wünschen uns die Gleichstellung der DLRG-Helferinnen und -Helfer mit denen der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW). Derzeit haben wir oftmals noch einen hohen bürokratischen Aufwand zu bewältigen, wenn es um den Lohnersatz für die Arbeitgeber unserer ehrenamtlichen Einsatzkräfte geht. Bei THW und Freiwilliger Feuerwehr ist das momentan noch viel einfacher. Hier muss politisch nachgezogen werden. Behörden Spiegel: Wie kann das Ehrenamt generell gestärkt werden? Vogt: Am wichtigsten für ehrenamtliches Engagement ist es, dass es anerkannt wird. Die freiwilligen Helfer müssen merken, dass sie und ihre Fähigkeiten gebraucht und abgefordert werden. Alles andere führt zu Frust. Um diesen zu vermeiden, braucht es in vielen Lagen noch

mehr Professionalität durch die Einsatzleitung und die Politik vor Ort. Behörden Spiegel: Ist die Eröffnung eines DLRG-Verbindungsbüros beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) vorgesehen? Vogt: Wir sind gerade dabei, zu prüfen, wie wir unseren Einfluss beim BBK auch in Zukunft wahrnehmen können. Ob wir dort ein Verbindungsbüro einrichten, bleibt noch abzuwarten. Behörden Spiegel: Die DLRG finanziert sich zu knapp 90 Prozent aus Spenden. Braucht es mehr finanzielle Unterstützung seitens der öffentlichen Hand? Vogt: Wir wollen keine Dauerzuschüsse von der öffentlichen Hand, zumal wir keine Organisation oder Einrichtung des Bundes sind. Wir sind stolz darauf, unabhängig und selbstständig zu sein. Hilfreich wäre es für uns allerdings, wenn die DLRG in allen Bundesländern in den Katastrophenschutz eingebunden werden würde. Denn dann wäre die Beschaffung von Fahrzeugen und Ausrüstung auch eine Aufgabe der öffentlichen Hand. Bislang werden wir als DLRG nur in einigen wenigen Bundesländern genauso gefördert wie zum Beispiel die Feuerwehren. Am einfachsten zu erreichen wäre das, indem die DLRG in die jeweiligen Rettungsdienstgesetze der Länder einbezogen würde. Behörden Spiegel: Wie sehr hat die Corona-Pandemie die Arbeit der DLRG erschwert oder zurückgeworfen? Vogt: Die DLRG hat sich in der Corona-Zeit neue Aufgaben gesucht. Unsere Helferinnen und Helfer haben zum Beispiel Teststationen betreut sowie Einkaufsund Fahrdienste organisiert. Deshalb konnten wir die Aktivenzahl auch konstant halten. Was uns allerdings fehlt, sind Neuzugänge. Das gilt insbesondere mit Blick auf die Schwimmkurse für Kinder. Dadurch konnten wir früher immer zahlreiche neue Mitglieder gewinnen. Das war nun nicht mehr möglich, weshalb unsere Gesamtmitgliederzahl auch etwas gelitten hat.

An einem Strang für die Zukunft Banses Pläne für den Deutschen Feuerwehrverband (DFV) (BS/mfe) Der noch recht neue Präsident des Deutschen Feuerwehrverbandes (DFV), Karl-Heinz Banse, verfolgt eine umfangreiche Agenda. So will er unter anderem die verbandliche Geschlossenheit wiederherstellen. Eine “gedeihliche Verbandsarbeit” sowie eine effektive Kooperation mit anderen Akteuren wie dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) sei jedoch nur möglich, sofern alle 16 im DFV zusammengeschlossenen Verbände an einem Strang zögen. Ein weiteres Ziel von Banse ist die Erhöhung des Frauenanteils bei den Wehren. Zudem setzt er sich massiv gegen rechtsextremistische Bewegungen ein. Und der DFV-Präsident kündigte an, dass es noch in diesem Jahr eine Klausur geben werde, auf der über die Ergebnisse eines “Arbeitskreises Zukunft” debattiert werde. Anschließend wolle man ein Papier entwickeln, das dann wahrscheinlich auf der kommenden Delegiertenversammlung behandelt werde. Diese finde kommendes Jahr im Rahmen des Deutschen Feuerwehrtages in Hannover statt, wie Banse auf dem DFVBundesfachkongress erläuterte. Dort verlangte er auch eine ganzheitliche Strategie für alle Einsatzlagen und Ereignisse, die im Zusammenhang mit den Folgen des Klimawandels stünden. Darin müssten sich unter E anderem spezielle Tanklöschfahrzeuge zur Bekämpfung von Vegetations- und Waldbränden sowie Ausführungen zur Elektro-

bis zur nächsten Sitzung der Innenminister und -senatoren im Dezember in Stuttgart fertig sein Karl-Heinz Banse, Präsident könnte. des Deutschen Feuerwehrverbandes (DFV), verfolgt eine Darüber hinaus vielfältige Agenda. braucht es aus Sicht des BBKFoto: BS/privat Präsidenten eine nationale Resilimobilität wiederfinden, forderte enzstrategie für die Bundesrepublik. Hier könne das BBK, der DFV-Präsident. das dringend neu positioniert Gemeinsames Kompetenzwerden müsse, als “Arbeitszentrum einrichten muskel” fungieren, ohne dass Für ein Konzept des regionalen es einer Grundgesetzänderung und des zentralen Führens tritt oder einer grundlegenden Veränderweil BBK-Präsident Armin derung der Zuständigkeiten im Schuster ein. Dafür brauche Katastrophen- und Zivilschutz es dringend ein gemeinsames bedürfe. Ebenso wichtig sei Kompetenzzentrum von Bund, eine zwischen Bund, Ländern Ländern, Kommunen, anderen und Kommunen abgestimmte Behörden und Organisationen Warnstrategie. An einer solchen mit Sicherheitsaufgaben (BOS), fehle es bislang – genauso wie an der Bundeswehr sowie den Hilfs- einem Warnkataster. Ein derarorganisationen. Schuster zeigte tiges Verzeichnis werde derzeit sich zuversichtlich, dass die allerdings im BBK erarbeitet, Konzeption für das Zentrum berichtete der BBK-Chef.


Verteidigung

Seite 50

Die NATO-Verteidigungsplanung

S

eit der illegalen Besetzung der Krim und der Ostukraine durch Russland haben die NATO und die NATO-Staaten die klare Botschaft ausgesandt, dass Artikel 5 – die Erklärung im Washingtoner Vertrag, in der die kollektive Verteidigung verankert ist – der Eckpfeiler unserer Organisation bleibt. Sie alle kennen die Maßnahmen zur Sicherung und Abschreckung, wie z. B. Air Policing, die Enhanced Forward Presence sowie die Very High Readiness Task Force (VJTF). Und wir wissen, dass Präsident Wladimir Putin und seine militärischen Führer garantiert die Zunahme der Übungen, der Stationierung, der Ausbildung und der Bereitschaft der NATO und ihrer Mitgliedsstaaten zur Kenntnis genommen haben. Sie wissen daher, dass unser Verteidigungsbündnis sein Ziel ernst nimmt. Aber es gibt noch genug Aufgaben und die Berliner Sicherheitskonferenz ist ein wichtiger Beitrag zu der konzentrierten Arbeit, die erforderlich ist, um ein breit gefächertes Entwicklungsprogramm festzulegen und umzusetzen. Ein Entwicklungsprogramm, das von allen 30 NATO-Mitgliedsstaaten durchgeführt werden soll. Die nationalen Beiträge werden im Mittelpunkt eines ernsthaften

Ein Wendepunkt für die NATO und die Bündnismitglieder (BS/General Jörg Vollmer) Als ich letztes Jahr mein Amt als Kommandeur des JFC Brunssum antrat, wusste ich, dass ich in ein dynamisches Umfeld eintreten würde. Die Welt hat sich erheblich verändert, da die internationale Ordnung nach 1945 sowohl von Staaten als auch von nichtstaatlichen Akteuren infrage gestellt wird. Für das stärkste und erfolgreichste Militärbündnis der Geschichte war dies eine Aufforderung, sich weiterzuentwickeln und anzupassen, damit wir weiterhin die Sicherheit unserer Bürger, unseres Territoriums und unserer Werte gewährleisten können. Ausbaus der Fähigkeiten, des Aufbaus der Infrastruktur und der Verbesserung der nationalen Widerstandsfähigkeit stehen, um sowohl künftigen Bedrohungen als auch den Angriffen zu begegnen, denen wir bereits durch nichtmilitärische Mittel wie Desinformation und Cyber-Angriffe ausgesetzt sind.

Lastenverteilung im Bündnis Die NATO hat schon immer von dem technologischen Vorsprung profitiert, der sich aus einer Mitgliedschaft führender demokratischer Volkswirtschaften ergibt. Dies verschafft uns einen Vorsprung im Bereich der Sicherheit und Verteidigung, der wichtiger denn je ist. Angesichts der Tatsache, dass unsere Konkurrenten ebenfalls auf den Einsatz von Technologie setzen, können wir allerdings nicht selbstgefällig sein oder uns darauf verlassen,

dass die USA die Last für das gesamte Bündnis tragen. Aufgrund dieser Erkenntnis haben die Staats- und Regierungschefs der NATO einen Innovationsfonds eingerichtet, der es dem Bündnis ermöglicht, mit Partnern aus dem öffentlichen und privaten Sektor, der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft zusammenzuarbeiten, um neue Technologien zu entwickeln oder zu adaptieren. DIANA – Defence Innovation Accelerator for the North Atlantic – ist eine weitere Initiative, mit der die transatlantische Zusammenarbeit in Bezug auf kritische Technologien zur Gewährleistung der Sicherheit und Verteidigung der Bündnismitglieder verstärkt werden soll. Auf politischer Ebene wird dies durch die NATOStrategie 2030 untermauert, die einen Fahrplan für künftige Sicherheitsinitiativen enthält und der Welt eine Alternative zum

General Jörg Vollmer ist Befehlshaber des Allied Joint Forces Command der NATO in Brunssum. Foto: BS/NATO

Rückzug der demokratischen Werte und Freiheiten bietet. Die NATO beabsichtigt, ihre Rolle als ständiges Forum und Ansprechpartnerin in Sicherheitsfragen beizubehalten.

Erneuerung in der NATO

Zweimal im Jahr findet die Übung Furious Wolf statt, um den gemeinsamen Einsatz von Boden- und Luftstreitkräften zu verbessern. Foto: BS/JFC Brunssum

Übungen wie Steadfast Jupiter erhöhen die Bereitschaft und Einsatzfähigkeit der multinationalen Verbände. Foto: BS/JFC Brunssum

Während diese Initiativen auf politischer und strategischer Ebene verfolgt werden, sind wir auf meiner Ebene – der operativen Ebene – ebenfalls mit der Erneuerung und der Ausrichtung auf die Zukunft beschäftigt. Die nationalen Fähigkeiten sind der Schlüssel zum Erfolg. Meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass diese Mittel wirksam eingesetzt werden können, um diejenigen abzuschrecken, die das Bünd-

Gleichzeitigkeit – Gleichrangigkeit Herausforderungen der Zukunft für unser Personal und Material (BS/Generaloberstabsarzt Dr. Ulrich Baumgärtner) Die geopolitischen Trends bringen uns Zeiten mit hohem Konfliktpotenzial und sicherheitspolitischen Risiken. Zusätzlich kann man konstatieren, dass krisenhafte Ereignisse zum Normalfall werden. Es wird dabei immer klarer, dass Gesundheit und Sicherheit gemeinsam gedacht werden müssen – national, regional und global. Die Corona-Pandemie gehört auch nach beinahe zwei Jahren weiterhin zu unserem Alltag. Auch wenn es uns in Europa zeitnah gelingen kann, die Pandemie durch eine umfassende Impfkampagne in den Griff zu bekommen, ist dies global noch bei Weitem nicht in Sicht – mit unabsehbaren Folgen für die Stabilität von Staaten und Gesellschaften in diesen Regionen.

Die ersten Soldaten vor Ort Auch die Klimaveränderung wird Teil unseres Alltags werden. Eine verheerende Starkregenkatstrophe im Juli dieses Jahres hat Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen heimgesucht. Es waren unsere Frauen und Männer des Zentralen Sanitätsdienstes der Bundeswehr, die noch am Abend des 14. Julis die ersten Kräfte der Bundeswehr vor Ort waren. In den reißenden Fluten setzten sie ihr eigenes Leben aufs Spiel, um ca. 150 Menschen das Leben zu retten. Hier hat sich wieder einmal gezeigt, wie wichtig die Verflechtung des Sanitätsdienstes der Bundeswehr mit dem zivilen Gesundheitssystem, hier mit dem zivilen Rettungsdienst, ist. Dabei garantiert der Systemverbund Sanitätsdienst durch die Fähigkeit zur zentralen Bewertung der Lage und Steuerung rarer Spezialressourcen aus einer Hand Reaktionsgeschwindigkeit, Effizienz und Durchhaltefähigkeit. Diese Qualität des Sanitätsdienstes zeigte sich auch bei der militärischen Evakuierungsoperation in Afghanistan, die quasi aus dem Stand heraus und ohne

Behörden Spiegel / November 2021

Generaloberstabsarzt Dr. Ulrich Baumgärtner ist seit September 2018 Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr und Befehlshaber Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr. Foto: BS/Bundeswehr, Markus Dittrich

nennenswerte Vorbereitungszeit durch den Sanitätsdienst geleistet wurde. Auch dieser Einsatz gelang in vorbildlicher Weise.

Zentrale Voraussetzungen Bei all diesen gleichzeitigen Herausforderungen galt es, unsere begrenzten Ressourcen an Personal und Material möglichst effektiv zur Wirkung zu bringen und dabei die Funktionalität des Gesamtsystems der sanitätsdienstlichen Versorgung aufrechtzuerhalten. Die Angehörigen des Sanitätsdienstes bewiesen hiermit einmal mehr ihre Flexibilität und Einsatzbereitschaft. In Krisenlagen ist das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik unabdingbare Voraussetzung für die Akzeptanz der politischen Vorgaben und daraus resultierender, zum Teil einschneidender Maßnahmen. Vor allem bei

hybriden Bedrohungen ist dies die Basis für eine handlungsfähige, wehrhafte und damit resiliente Gesellschaft. Förderung und Schutz der Gesundheit der Bevölkerung sind dabei zentrale Aufgaben für eine Regierung. Eine fundierte sanitätsdienstliche, militärmedizinische Expertise für eine umfängliche Beratung auf ministerieller Ebene ist daher unerlässlich. Der Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr im Bundesministerium der Verteidigung würde dieser Gesamtverantwortung der sanitätsdienstlichen Leitung und fachlichen Steuerung bei sicherheitspolitischen Fragen im Gesundheitskontext (globale Gesundheit) und bei der Bewältigung von krisenhaften Gesundheitslagen Rechnung tragen können.

Denken in der Dimension Mensch “Der ganze Krieg setzt menschliche Schwäche voraus, und gegen sie ist er gerichtet.” Wir müssen deshalb darüber nachdenken, inwieweit kriegerische Angriffe im Clausewitzschen Sinne zukünftig vielleicht verstärkt die Schwäche der Menschen und ihrer Gesellschaften ausnutzen und gezielt im Fokus haben werden. Das bedeutet, dass es erforderlich ist, nicht ausschließlich in bekannten militärischen Dimensionen zu denken, sondern darüber hinaus die Resilienz der Dimension Mensch in all ihren Aspekten vermehrt in die Überlegungen einzubeziehen. Damit sind wir einmal mehr dazu angehalten, auch den Aspekt Gesundheit global und vernetzt zu denken und durch

gemeinsames globales Handeln sicherzustellen und zu verbessern. Das Multinational Medical Coordination Centre (MMCC)/European Medical Command (EMC) fungiert als Koordinator und Unterstützer der Sanitätsdienste der EU und NATO. Diese internationalen Schnittstellen untermauern unser politisches Engagement zugunsten globaler Gesundheit. Dabei ist es entscheidend, ob es uns gelingt, unsere sanitätsdienstlichen Vorbereitungen, Standards und Verfahren besser zu synchronisieren und eine tiefere Zusammenarbeit zu etablieren. Deutschland agiert mit dem Zentralen Sanitätsdienst der Bundeswehr als Treiber der Entwicklung multinationaler sanitätsdienstlicher Fähigkeiten und nutzt dafür seine Expertise und Möglichkeiten in der Ausgestaltung der Funktion als Medical Lead Nation im Rahmen des europäischen Pfeilers von NATO und EU. Deutschland bleibt angesichts der sicherheitspolitischen Bedeutung des Faktors Gesundheit Triebfeder für die Weiterentwicklung der multinationalen sanitätsdienstlichen Fähigkeiten. Dies erfordert zusammenfassend eine dimensionsübergreifende, aber ebenso eine gesamtgesellschaftliche und internationale Herangehensweise. Der Sanitätsdienst kann sich hierbei mit seinen Erfahrungen, seinem fachlich-wissenschaftlichen Know-how, seiner Vernetzung im Gesundheitswesen, aber auch mit Instrumentarien zur Beeinflussung wesentlicher Gesundheitsfaktoren einbringen und als Mittel des Bundes an entscheidender Stelle für die gesamtstaatliche Aufgabe wirksam werden.

nis untergraben und angreifen wollen. Und sollte die Abschreckung versagen, müssen wir zur Verteidigung bereit sein. Mein Hauptquartier wurde von SHAPE beauftragt, neue Pläne für Friedenszeiten, Krisen und Konflikte zu entwickeln, um sicherzustellen, dass die militärische Seite der NATO in der Lage ist, ihren Teil sowohl zur Abschreckung als auch zur Verteidigung beizutragen. Diese Arbeit wird in Partnerschaft mit den Staaten in Mittel-, Ost- und Nordeuropa, einschließlich der Ostsee, und mit den anderen NATO-Einsatzkommandos durchgeführt, um das Bündnis in die Lage zu versetzen, auf Herausforderungen jeglicher Art zu reagieren. Diese Pläne werden nur funktionieren, wenn die Nationen ihre Verteidigungspläne und andere Initiativen mit der NATO verknüpfen. Dabei geht es nicht nur um Streitkräfte – auch wenn diese unerlässlich sind. Es geht darum, dafür zu sorgen, dass die Infrastruktur die Bewegung und den Einsatz von Streitkräften unterstützt, dass die Rechtsvorschriften eine alliierte Reaktion ermöglichen (bevor Artikel V ausgerufen wird), dass die Verkehrs- und Kommunikationsnetze stabil sind, dass unsere Bevölkerung die Gefahren, denen wir ausgesetzt sind, versteht und gegnerische Versuche, Unzufriedenheit und Uneinigkeit zu schüren, als solche erkennt. Diese kollektive Anstrengung ist selbst Teil der Abschreckung eines Feindes. Sie signalisiert, dass unsere Gesellschaft und unsere Führungskräfte verstehen, dass wir zusammenarbeiten müssen,

um unsere Werte und unsere Lebensweise zu verteidigen.

Vorbereitung auf den nächsten, nicht den letzten Krieg Was die Streitkräfte selbst betrifft, so müssen wir erkennen, dass die Beschaffung auf die Herausforderungen der Zukunft ausgerichtet sein muss. Die Geschichte ist voll von Beispielen für Nationen, die sich auf den letzten vergangenen Krieg vorbereiten. Während die NATO und ihre Mitgliedsstaaten daran arbeiten, die Verteidigung unserer Gesellschaften zu stärken, müssen wir die Gelegenheit nutzen, unseren Streitkräften die Ausrüstung und Ausbildung zu geben, die sie für den nächsten Konflikt benötigen. Die Beschaffung von Verteidigungsgütern ist ein langwieriger Prozess und das bedeutet, dass sie mit Blick auf die Zukunft durchgeführt werden muss. Wir müssen die jüngsten Beispiele von Konflikten wie im Kaukasus studieren und Lehren aus dem effektiven Einsatz von relativ billiger Technologie gegen scheinbar besser ausgerüstete Einheiten ziehen. Wir müssen uns mit den Herausforderungen eines fast ebenbürtigen Gegners auseinandersetzen. Wir müssen dafür sorgen, dass alle Bereiche – einschließlich Weltraum und Cyber Space – miteinander verknüpft werden können. Wobei die Maßnahmen der NATO durch nationale Anstrengungen ergänzt werden müssen. Und wir sollten sowohl in die Menschen als auch in die Ausrüstung investieren. Jetzt ist es an der Zeit, gemeinsam an der Sicherung unserer Zukunft zu arbeiten und unsere vereinbarten Pläne mit konkreten Investitionen zu untermauern, die uns dieselbe Sicherheitsgarantie geben, die wir als NATO-Mitglieder immer genossen haben. Das ist nicht einfach für Nationen, die mit den Kosten des Wiederaufbaus nach einer Pandemie und der Dringlichkeit der Anpassung an den Klimawandel konfrontiert sind. Aber es muss eine gemeinsame Anstrengung des gesamten Bündnisses sein.

MELDUNG

Die NATO der Zukunft (BS/df) Das Treffen der NATOVerteidigungsminister Ende Oktober legte den Grundstein für eine Vielzahl an Initiativen, welche die Allianz auf die Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte vorbereiten soll. Bei dem Treffen stimmten die Minister unter anderem den NATOFähigkeitszielen zu und billigten einen neuen, übergreifenden Plan zur Verteidigung des Bündnisses. “Die Fähigkeitsziele sind generell sehr wichtig für die NATO, denn sie sind Teil eines sehr umfassenden Prozesses, bei dem sich die Bündnispartner zusammensetzen und überlegen, welche Art von Fähigkeiten wir brauchen, um all den verschiedenen Bedrohungen, mit denen wir in vielen verschiedenen Bereichen konfrontiert sind, begegnen und auf sie reagieren zu können”, sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Da allerdings nur sehr wenige Staaten der NATO überhaupt das gesamte Spektrum an Fähigkeiten und Systemen abdeckten, liege eine der überaus wichtigen Aufgaben der NATO darin, die Bemühungen und Möglichkeiten der Partner zu einer wirksamen Gesamtverteidigung zusammenzufassen und deren Aufbau und Einsatz zu koordinieren. Die gemeinsam beschlossenen Fähigkeitsziele legen hierfür den Grundstock, “sodass wir uns als Bündnispartner gegenseitig unterstützen und helfen können”. Auch wenn nicht jeder über alle Fähigkeiten verfüge, sei mit der gemeinsamen Planung eine tatsächliche Zusammenarbeit möglich. “Und heute haben wir nun die neuen Fähigkeitsziele ver-

einbart”, sagte Stoltenberg. Alle diese “Tausenden von Zielen für alle Verbündeten” könne er zwar nicht nennen, ein besonderer Schwerpunkt läge aber in der Zusage, “mehr Streitkräfte mit höherer Bereitschaft bereitzustellen”. Stoltenberg betonte: “Wir haben uns darauf geeinigt, mehr schwere Mittel mit mehr HighEnd-Fähigkeiten bereitzustellen. Die Streitkräfte müssen neue und bahnbrechende Technologien in vollem Umfang nutzen, um sicherzustellen, dass wir unseren technologischen Vorsprung aufrechterhalten. Auch dies ist ein zentraler Aspekt der Zusammenarbeit in der NATO: Wir haben uns auf bestimmte Fähigkeitsziele geeinigt und die Bündnispartner erfüllen diese Ziele. Das ist auch einer der Gründe, warum wir die Verteidigungsausgaben weiter erhöhen müssen.” Russlands “destabilisierendes Verhalten” erfordere zudem ein Maßnahmenpaket, zu dem allerdings explizit nicht die Stationierung landgestützter Atomraketen in Europa gehöre. “Wir setzen auf ein ausgewogenes Paket politischer und militärischer Maßnahmen, um auf diese Bedrohung zu reagieren”, sagte Stoltenberg bezüglich Russland. “Dazu gehören erhebliche Verbesserungen unserer Luftverteidigung und Raketenabwehr, die Stärkung unserer konventionellen Fähigkeiten durch Kampfjets der fünften Generation, die Anpassung unserer Übungen und Aufklärung sowie die Verbesserung der Bereitschaft und Wirksamkeit unserer nuklearen Abschreckung.”


Verteidigung

Behörden Spiegel / November 2021

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Blue Flag

Fähigkeitsentwicklung europäischer Verteidigung

Neues Kapitel der deutsch-israelischen Beziehung

Die Rolle des Territorialen Führungskommandos der Bundeswehr

(BS/df) Im Oktober flogen deutsche Eurofighter im Rahmen der multi- (BS/Generalleutnant Martin Schelleis) In ihrer “Rede zur Lage der Europäischen Union” verlangte EU-Kommissionspräsidentin Dr. Ursula von der nationalen Luftwaffenübung “Blue Flag” über Israel. Mit sechs Euro- Leyen gegenüber dem EU-Parlament im Herbst 2021 mehr Eigenständigkeit von der Europäischen Union. Sie forderte die Allianz auf, die Widerfightern und rund 160 Soldatinnen und Soldaten nahm die deutsche standsfähigkeit, die Handlungsfähigkeit und die militärische Interoperabilität zu verbessern. Luftwaffe an Blue Flag teil. Es war ein historischer Augenblick in der deutsch-israelischen Beziehung. Eröffnet wurde die Übung durch einen gemeinsamen Flug der beiden Luftwaffenchefs. General Amikam Norkin flog in einer F15, Generalleutnant Ingo Gerhartz im sonderfolierten Eagle Star. Erst im Sommer 2020 nahmen erstmals israelische Flugzeuge an einer Übung über Deutschland teil. Damals führten die beiden Luftwaffenchefs den Vorbeiflug an der KZ-Gedenkstätte Dachau an. Im Rahmen der Übung überreichte Generalleutnant Gerhartz zudem General Norkin das Große Verdienstkreuz mit Stern der Bundesrepublik Deutschland mit den Worten: “Ein wahrer Freund Deutschlands.” Insgesamt nahmen an Blue Flag 70 Flugzeuge und rund 1.000 Soldatinnen und Soldaten aus acht Nationen (Gastgeber Isra-

el, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Indien, Italien und USA) teil. Es war die größte internationale Luftwaffenübung, die bisher in Israel stattgefunden hat. Für Israel ist dies ein wichtiges Signal auch in die umliegenden Länder und die Palästinensergebiete, welche versucht hatten, mittels Desinformationskampagnen Israel zu isolieren. “Israel bietet mit seinen freien Lufträumen und seiner Topografie, die in weiten Strecken unter dem Meeresspiegel liegt, beste Trainingsvoraussetzungen für unsere Piloten”, beschreibt die Bundeswehr. “Neben rund 60 Kampfflugzeugen wird auch der Eagle Star am Himmel über der Negev-Wüste zu sehen sein. Dieser sonderfolierte Eurofighter repräsentiert die besondere, freundschaftliche Beziehung zwischen der deutschen und israelischen Luftwaffe.”

Blue Flag wurde durch einen gemeinsamen Flug der beiden Luftwaffenchefs eröffnet. General Amikam Norkin flog in einer F15, Generalleutnant Ingo Gerhartz im sonderfolierten Eurofighter Eagle Star. Foto: BS/Bundeswehr, Christian Timmig

E

s ist auch Usbekistan, das die mit Abstand meisten Einwohner hat (rund 30 Millionen), gefolgt von Tadschikistan (rund neun Millionen) und Turkmenistan (knapp sechs Millionen). Beherrscht werden diese drei ehemaligen Sowjetrepubliken von autoritären Machthabern: In Tadschikistan ist Emomalij Rahmon seit 1994 Staatspräsident. In Turkmenistan amtiert Gurbanguly Mälikgulyýewiç Berdimuhamedow seit 2007 als Staats- und Regierungschef. Seit 2016 herrscht der gerade wiedergewählte Staatspräsident Shavkat Miromonovich Mirziyoyev über Usbekistan (Dr. Birgit Wetzel berichtete auf S. 50 der SeptemberAusgabe des Behörden Spiegel). Die beständigen politischen Umwälzungen am Hindukusch tangieren seit jeher die Binnenländer im Norden aufgrund ihrer gemeinsamen Grenzen zu Afghanistan unmittelbar: Es sind 1.206 Kilometer Grenze mit Tadschikistan, 744 Kilometer mit Turkmenistan und 137 Kilometer mit Usbekistan. Erschwerend kommt hinzu, dass in Afghanistan etwa 27 Prozent der Gesamtbevölkerung Tadschiken, neun Prozent Usbeken und ca. vier Prozent Turkmenen sind. Umgekehrt leben so gut wie keine Paschtunen in den ehemaligen Sowjetrepubliken.

Usbekistan und der “Krieg gegen den Terror” Eine Gewaltspirale begann sich in Afghanistan nach den dramatischen Terroranschlägen vom 11. September 2001 durch AlQaida auf die USA zu drehen. Dies hatte unmittelbare Folgen auch auf die zentralasiatische Nachbarschaft. Die usbekische Regierung bewilligte auf Anfrage der Bush-Administration die Stationierung der US Air Force auf

Die Europäische Union forciert bereits seit 2017 eine Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP), wobei das Territoriale Führungskommando der Bundeswehr (TerrFüKdoBw) diesbezüglich ein herausragendes Beispiel darstellt.

Die Verantwortungsbereiche Gemäß den Eckpfeilern der “Bundeswehr der Zukunft” wird es vier militärische Dimensionen geben – Land, Luft/Weltraum, See und Cyber/Information, die einsatzfähige Kräfte bereitstellen. Darüber hinaus verstärken künftig zwei Einsatzkommandos die Bundeswehr: das Einsatzführungskommando der Bundeswehr für die Führung von Einsätzen außerhalb Deutschlands und das Territoriale Führungskommando der Bundeswehr mit Weisungsbefugnis für die nationale Führung von Einsätzen im Inland. In diesem Rahmen wird das Territoriale Führungskommando der Bundeswehr insbesondere für die umfassende Planung und Vorbereitung von Operationen der Nationalen Territorialen Verteidigung in Deutschland zuständig sein. Zudem ist das Territoriale Führungskommando der Bundeswehr federführend: • bei Aufgaben des Heimatschutzes, z. B. beim Schutz verteidigungskritischer Infrastrukturen oder bei der Sicherstellung der operativen Handlungsfähigkeit der Dimensionen; • bei der Leitung des Einsatzes von Bundeswehrkräften im Rahmen von NATO- und EUOperationen;

“Das Territoriale Führungs­ kommando der Bundeswehr ist Teil eines integrierten Ansatzes und operiert innerhalb einer ganz­ heitlichen Sicherheitsarchitektur.” Generalleutnant Martin Schelleis, Inspekteur der Streitkräftebasis und Nationaler Territorialer Befehlshaber Foto: BS/Bundeswehr, Alpers

Ausblick

Die Streitkräftebasis konnte in den vergangenen Jahren mehrere Herkulesaufgaben erfolgreich bewältigen, so beispielsweise die Rückführung des Materials aus Afghanistan. Foto: BS/Bundeswehr, Ralf Wilke

• bei Aufgaben im Rahmen des Host Nation Supports (HNS) für Verbündete und Partner; und • bei der Koordinierung subsidiärer Unterstützungsleistungen nach Naturkatastrophen, nationalen Notlagen und schweren Unfällen. Die Koordination der zivil-militärischen Zusammenarbeit mit Bundesbehörden und Hilfsorganisationen in Deutschland ist der Schlüssel für eine effektive und effiziente Auftragserfüllung des Territorialen Führungskommandos der Bundeswehr. Eine starke Territorialreserve und eine hohe Einsatz- und Materialbereitschaft ist dabei maßgebend.

Geführt wird das Territoriale Führungskommando der Bundeswehr durch den Nationalen Territorialen Befehlshaber, dessen Funktion seit über 20 Jahren vom Inspekteur der Streitkräftebasis ausgeübt wird. Der Nationale Territoriale Befehlshaber und seine Stäbe (Kommando Streitkräftebasis und das Kommando Territoriale Aufgaben) haben im Laufe der Zeit erfolgreich Hilfs- und Übungseinsätze in Deutschland durchgeführt. Dazu gehören unter anderem die subsidiäre Amtshilfe für zivile Behörden bei der Corona-Pandemieund Hochwasserkatastrophenhilfe, der Einsatz der Bundeswehr

Die militärische Lage in Zentralasien Wie sicher sind Afghanistans nördliche Nachbarn? (BS/Dr. Gerd Portugall) Durch die jüngste Machtübernahme der Taliban in Afghanistan ist die gesamte zentralasiatische Region – wieder einmal – in den Blickpunkt der Weltpolitik geraten, darunter unter anderem auch die dortigen ehemaligen Sowjetrepubliken. Drei von ihnen – Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan – grenzen direkt an das Reich der paschtunischen “Koranschüler”. Eine von ihnen, Usbekistan, hat eine wichtige Rolle als logistisches Drehkreuz für den Bundeswehr-Einsatz am Hindukusch gespielt. dem Luftwaffenstützpunkt Karshi-Khanabad (besser bekannt als K2) im Süden des Landes. Diese Air Base spielte in der Folge eine wichtige Rolle bei der Aufklärung und bei Angriffen auf die Kämpfer von Osama bin Laden in Afghanistan. Nach knapp vier Jahren endete jedoch diese Kooperation: Am 13. Mai 2005 hatte der damalige Staatspräsident Islam Karimov, der das Land seit 1989 – d. h. noch vor der Unabhängigkeit 1991 – diktatorisch regierte, in der ostusbekischen Stadt Andijon Demonstrationen mithilfe von Militär und Sondereinheiten des Innenministeriums blutig niederschlagen lassen. Dabei sollen angeblich zwischen 400 und 600 Menschen getötet worden sein. Nachdem dieses Massaker von der Bush-Regierung verurteilt worden war, wurden die USTruppen aufgefordert, den Luftwaffenstützpunkt zu räumen. Die letzten US-Soldaten verließen schließlich im November desselben Jahres Usbekistan. Die Bundeswehr hingegen war dauerhaft in Usbekistan, d. h. von 2002 bis 2015, mit etwa 100 Soldaten stationiert. Die Deutschen nutzten den militärischen Teil des Flughafens Termes, 500 Kilometer südlich der Hauptstadt Taschkent, als Strategischen Lufttransportstützpunkt zur Versorgung der Internationalen Schutztruppe (ISAF) in Afghanistan. Dies lag nicht zuletzt an den traditionell guten deutsch-usbekischen Be-

Ein Airbus A400M der Bundeswehr landet auf dem Flughafen der usbekischen Hauptstadt Taschkent. Foto: BS/Bundeswehr

ziehungen. Ein Ausdruck dessen ist der Umstand, dass viele Usbeken Deutsch lernen. Zahlreiche Usbeken gehören zu der Gruppe der sog. “Volksdeutschen”. Wolga- und Ukraine-Deutsche waren während des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion 1941 von Josef Stalin zwangsweise nach Zentralasien und Sibirien umgesiedelt worden. Nach dem jetzigen Sieg der Taliban streckt die usbekische Führung bereits ihre “Fühler” zu den neuen Machthabern in Kabul aus. Es ist auch schon zu ersten Begegnungen im Grenzgebiet gekommen.

Tadschikistans Bürgerkrieg Von 1992 bis 1997 tobte in Usbekistans Nachbarland Tadschikistan eine gewaltsame Auseinandersetzung zwischen Altkommunisten, islamischen Fundamentalisten und Demokraten. Präsident Boris Jelzin intervenierte bereits 1992 mit-

im Rahmen der NATO Response Force (NRF) und die Unterstützung der alliierten Streitkräfte bei der Einsatzübung Defender Europe 2020. Mit Hinblick auf seine Führungsverpflichtungen auf operativer Ebene besteht die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung einer Kooperationsfähigkeit mit zivilen Akteuren. Bedeutend sind hier beispielsweise die exzellenten Beziehungen zum Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe und dem Technischen Hilfswerk. Eine Etablierung des Territorialen Führungskommandos der Bundeswehr an den Standorten Bonn und Berlin bietet die Möglichkeit, alle Anforderungen miteinander zu vereinbaren.

hilfe der in Tadschikistan stationierten russischen 210. Panzergrenadierdivision, weil nur Moskaus Militärmacht einen Sieg der Rebellen verhindern konnte. Ein Jahr später wurde eine Friedenstruppe der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) in Tadschikistan stationiert, die allerdings hauptsächlich aus russischen und usbekischen Einheiten bestand. Beendet wurde dieser Konflikt schließlich durch den Friedensvertrag von Moskau, zu dem sich eine “einzigartige Koalition aus islamischen und säkulären, vormals kommunistischen Parteien” gebildet hatte, so der britische Historiker Rob Johnson.

Zentralasiatische Streitkräfte Usbekistans Streitkräfte sind mit 48.000 aktiven Soldaten die größte Armee der hier behandelten drei zentralasiatischen Republiken: 24.500 dienen in den Landstreitkräften, 7.500 bei

der Luftwaffe und 16.000 sind Teilstreitkraft-übergreifend. Die Panzertruppe verfügt über 340 Kampfpanzer der alten sowjetischen Typen T-62M, T-64B und T-72. Immerhin kann das Heer rund 490 Artilleriegeschütze vorweisen. Bei den Luftstreitkräften sieht es nicht viel moderner aus: die 41 Kampfflugzeuge aus sowjetischer Produktion setzen sich aus MiG-29-Abfangjägern, Su-27-Jagdbombern und Su25-Erdkampfflugzeugen zusammen. Erwähnenswert sind 29 Mi-24-Kampfhubschrauber. Aus westlicher Produktion stammen vier taktische Transportflugzeuge vom Typ Casa C-295 sowie 14 Hubschrauber von Eurocopter. Trotz der geringen Einwohnerzahl verfügt Turkmenistan mit 36.500 Soldaten über relativ umfangreiche Streitkräfte: Das Heer umfasst 33.000 Soldaten, die Luftstreitkräfte 3.000 und die Marine – wegen der 1.786 Kilometer langen Küstenlinie entlang des Kaspischen Meeres – 500 Soldaten. 654 Kampfpanzer der Typen T-72 und T-90S befinden sich im Bestand, d. h. es sind mehr und modernere Versionen als in Usbekistan. Dasselbe gilt mit 765 Stück auch für die Artillerie sowie für 55 Kampfflugzeugen der Typen MiG-29 und MiG-25. Lediglich mit den zehn Mi-24-Kampfhubschraubern gerät Turkmenistan im Vergleich zu Usbekistan ins Hintertreffen. Aus dem Westen stammen bisher nur einige Helikopter der Marke Agusta-Westland.

Die Fähigkeiten des Territorialen Führungskommandos der Bundeswehr werden auf Grundlage der vorhandenen Expertise auch zukünftig wertvoll für europaweite Einsätze bleiben und einen wichtigen Beitrag für die Sicherheit Deutschlands und Europas leisten; letztlich auch mit Blick auf die mögliche Ausrichtung einer “Armee der Europäer”. Hinsichtlich der Bemühungen um den Aufbau einer solchen Allianz strebt die EU die Gestaltung eines robusten Rahmens an, um die Herausforderungen durch Klimawandel, Pandemien, Terrorismus und hybride Bedrohungen wirksamer bewältigen zu können. Die EU braucht jedoch eine globale, kohärente Strategie auf Grundlage von Dialog und Diskurs, wenn sie als Hauptakteur im Great Game der Geopolitik bestehen will.

Tadschikistans Militär ist mit 8.800 aktiven Soldaten eher überschaubar: Landstreitkräfte 7.300, Luftwaffe und Luftverteidigung 1.500. Auch an der Ausrüstung hapert es: 37 Kampfpanzer der Typen T-62 und T-72 sowie 23 Artilleriegeschütze. Kampfflugzeuge und westliche Produkte kann das Land überhaupt nicht vorweisen. Lediglich vier Kampfhubschrauber Mi-24 befinden sich im Inventar. Außerdem sind in Tadschikistan rd. 5.000 russische Soldaten mit Kampfpanzern (T-72) und Kampfhubschraubern (Mi-24) stationiert. Zudem halten sich etwa 300 Angehörige der Volksbefreiungsarmee zu Ausbildungszwecken in dem zentralasiatischen Land auf, was kaum überraschen kann, da die VR China eine 414 Kilometer lange Grenze zu Tadschikistan hat. Unterdessen sollen sich die USA um einen Militärstützpunkt in Tadschikistan oder in Usbekistan bemühen.

Fazit Keiner der nördlichen Nachbarstaaten Afghanistans wäre in der Lage, allein mit Unruhen im größeren Stil, geschweige denn mit einem Bürgerkrieg fertigzuwerden. Das bräuchten sie auch nicht. Schließlich sind Tadschikistan und Usbekistan Mitglieder der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) mit Sitz in Peking; Turkmenistan ist sog. “Gastteilnehmer” der SOZ. Die Organisation beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten und der Stabilität in der Region. Die Staatsführungen in Moskau und Peking haben aus der Vergangenheit gelernt und agieren mit Blick auf die Taliban unter dem machtpolitischen Motto: “If you can‘t beat them, join them.”


Verteidigung

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B

ehörden Spiegel: Was genau ist die Ertüchtigungsinitiative und seit wann existiert sie? von Weyhe: Die Ertüchtigungsinitiative der Bundesregierung – ein gemeinsames Instrument des Auswärtigen Amts und des Bundesverteidigungsministeriums – besteht seit 2016. Die deutsche Außen- und Sicherheitspolitikpolitik sollte hierdurch Mittel erhalten, um Sicherheitsinstitutionen in Partnerländern konkret unterstützen zu können. Die Ertüchtigungsinitiative ist somit ein Teil des Instrumentenkastens, mit dem wir früher, zielgerichteter und konkret unterstützend in Krisenregionen ansetzen wollen. Die Ertüchtigungsinitiative unterscheidet sich von anderen Instrumenten insofern, als dass dies der einzige Titel ist, der in der Bundesregierung von zwei Häusern gemeinschaftlich bewirtschaftet wird. Dronia: Die Bundesregierung will mit dieser Initiative dazu beitragen, präventiv gegen schwelende Konflikte vorzugehen. Diese Konfliktverhütung durch Ursachenbekämpfung ist ein wesentlicher strategischer Ansatz unserer Außen- und Sicherheitspolitik. Sicherheit ist ein sehr kostbares Gut, an dem es in vielen Regionen dieser Welt mangelt, was oft genug auf die mangelnde oder gar fehlende Handlungsfähigkeit von Regierung und Staatswesen zurückzuführen ist. Hier leistet die Ertüchtigungsinitiative einen wichtigen Beitrag. Behörden Spiegel: Wer sucht die Regionen aus? Dronia: Dazu gibt es einen eingespielten Prozess. Wir sitzen regelmäßig mit dem Auswärtigen Amt zusammen und besprechen, wo wir mit Blick auf die Möglichkeiten unserer Initiative Handlungsbedarf in dieser Welt sehen, um mit den dort vorhandenen Regierungsvertretern ins Gespräch zu kommen. Es zeigt sich aber auch, dass Dinge sich nicht von heute auf morgen verändern, sodass Partner der Ertüchtigungsinitiative, die im Jahre 2016 mit dabei gewesen sind, teilweise auch im Jahr 2021 noch Nutznießer der Initiative sind.

von Weyhe: Unsere Unterstützung staatlicher Sicherheitsakteure zielt auf Kernaspekte staatlichen Handelns und ist daher ein sehr politischer Prozess. Unser Ziel ist es, staatliche Sicherheitsstrukturen zu ertüchtigen, damit diese wiederum für die Bevölkerung Sicherheit erbringen. Dadurch stärken wir letztendlich die staatliche Legitimität und das staatliche Gewaltmonopol. Die fortlaufende Berichterstattung aus den Botschaften, den Einsatzkontingenten der Bundeswehr wie auch den eingesetzten militärischen Beratern liefert uns wertvolle Informationen, wer als Partner der Ertüchtigungsinitiative geeignet sein könnte. Behörden Spiegel: Die Partner müssen also stabile Staaten sein? Dronia: Failing States sind keine Partner der Ertüchtigungsinitiative. Es bedarf eines gewissen Grundsockels an Staatlichkeit, auf den wir aufsatteln können. Wir wollen natürlich mit unserer Initiative verhindern, dass aus einem labilen – das ist noch nicht fragil – ein Failing State entsteht. von Weyhe: Die Frage nach der genauen Abgrenzung ist natürlich sehr schwierig. Es braucht zwar eine gewisse Staatlichkeit, diese kann aber eine regional sehr umrissene Staatlichkeit sein. Nehmen wir als Beispiel Libyen oder Somalia, wo man sicherlich nicht schon von einer Gesamtstaatlichkeit sprechen

Behörden Spiegel / November 2021

Stärkung der Sicherheit von Staaten Die Ertüchtigungsinitiative der Bundesregierung (BS) Nicht nur unter humanitären Gesichtspunkten hat Deutschland ein Interesse daran, dass im Grunde alle Regionen der Erde ein funktionierendes Sicherheitsgefüge besitzen. Schließlich bedrohen Terrorismus oder Organisierte Kriminalität, die in instabilen Regionen entstehen, direkt auch die Sicherheit der deutschen Bevölkerung. Zur Stärkung der Staaten hat die Bundesregierung unter anderem die Ertüchtigungsinitiative in der gemeinsamen Verantwortung von BMVg und Auswärtigem Amt ins Leben gerufen. Der Behörden Spiegel sprach mit den Urhebern dieser Ertüchtigungsinitiative, Oberst i.G. Jörg Dronia (BMVg) und Dr. Ferdinand von Weyhe (AA). Das Interview führte Dorothee Frank. etwa in Kontexten, wo VN- oder EU-Missionen vor Ort sind.

kann. Hier können wir die regionalen Sicherheitsakteure unterstützen und gewissermaßen die sicheren Inseln des Landes fördern. Das kann auf Provinzebene sein oder nur in der Hauptstadt, um im Ansatz wieder die Funktionalität des Staates mit aufzubauen. Aber vom Grundgedanken haben Sie Recht, es bedarf gerade im Sicherheitsbereich eines funktionierenden Staatsgefüges. Behörden Spiegel: Könnten Sie ein konkretes Beispiel für eine solche Hilfe im Rahmen der Ertüchtigungsinitiative nennen? Dronia: Ich nehme als Beispiel mal ein Projekt, das wir in Niger bereits zum Abschluss gebracht haben. Vor etwa fünf Jahren hat uns die nigrische Regierung angesprochen, dass die nigrischen Sicherheitskräfte im Nordosten des Landes ein besonderes Problem mit Organisierter Kriminalität und irregulärer Migration sowie aufkeimendem Terrorismus hätten. Um dem entgegenzuwirken, benötigten die nigrischen Sicherheitskräfte vor allem Fahrzeuge und Systeme für die Kommunikation. Die den staatlichen Sicherheitskräften entgegenstehenden Opponenten waren zu dem Zeitpunkt bereits modern ausgestattet. Die staatlichen Sicherheitsakteure hatten hingegen fast keine adäquate Ausstattung.

Behörden Spiegel: Wie viele Projekte sind bereits entstanden bzw. umgesetzt?

Nigrische Spezialkräfte bei der Ausbildung.

von Weyhe: Ich würde gerne noch weitere Beispiele ergänzen, um die ganze Bandbreite aufzuzeigen. Zum einen ein konkretes Beispiel für die Verzahnung mit anderen Ansätzen, das ebenfalls zufälligerweise in Niger angesiedelt ist. Hier ist die Mission EUCAP Sahel Niger schon mit Beratern und Ausbildern vor Ort aktiv. Aber zum Aufbau von mobilen Grenzpolizeieinheiten fehlte dann schlicht die materielle Unterlegung, die im Rahmen der EUCAP-Mission nicht gewährleistet werden konnte. Und so konnten wir diese Mission durch die materielle Unterstützung beim Aufbau dieser mobilen Polizeistrukturen in den Grenzregionen – die oft ein Rückzugsort oder Agitationsfeld von Terroristen und der Organisierten Kriminalität sind – flankierend begleiten.

Soldaten der nigrischen Nationalgarde kontrollieren die gelieferten Fahrzeuge im Rahmen des Ertüchtigungsprojekts. Foto: BS/Bundeswehr, Jana Neumann

Diese Anfrage haben wir mit dem Auswärtigen Amt gemeinsam besprochen und bewertet, dass dies unserer Zielrichtung entspräche. Wir stellten fest, dass es in der Region zu terroristischen Aktivitäten sowie Übergriffen der Organisierten Kriminalität gegenüber der Bevölkerung kam und wir mit der Deckung der genannten Bedarfe wirklich zur Stärkung der Sicherheitskräfte beitragen können und wollen. Wir haben dort dann innerhalb relativ kurzer Zeit Pick-Ups, Motorräder und auch Satellitentelefone zur Verfügung gestellt. Und die Rückmeldungen, die wir vom nigrischen Staat erhalten haben, zeigen uns deutlich, dass es tatsächlich gelungen ist, mit diesem Beitrag die Sicherheitssituation im Nordosten Nigers stabilisiert zu haben. Ich möchte gleich hinzufügen, dass wir keine “Einkaufslisten” abarbeiten: Die Bedarfe, die bei uns angemeldet werden, müssen aus einem uns zu erklärenden Gesamtkonzept abgeleitet werden. In unseren Projekten betrachten wir immer die Anteile Beratung, Ausbildung, Ausstattung inklusive Infrastruktur und Nachhaltigkeit. Alle diese Bausteine müssen einfließen. Aus dem Gesamtbild wird dann ermittelt, ob ein Bedarf existiert, wie dieser gegebenenfalls gedeckt werden kann und welchen Beitrag die Ertüchtigungsinitiative dazu leisten kann.

Einen weiteren Ansatz zeigen unsere Projekte im Bereich der Governance, wo wir die Parlamente stärken, um diese zur tatsächlichen Kontrolle der Sicherheitsbehörden zu befähigen. Hierzu gehört auch eine Stärkung der Medien, um sie in der Berichterstattung über sicherheitsrelevante Vorkommnisse zu schulen. Ein anderes Beispiel veranschaulicht den Dreiklang Beratung, Ausbildung und Ausstattung besonders gut. Gemeinsam mit dem Technischen Hilfswerk (THW) bauen wir u. a. in Tunesien zivile Ehrenamtsstrukturen auf. Das THW schult die dortigen Freiwilligenverbände und die Hauptamtlichen, während wir beim Aufbau einer landesweiten Ehrenamtsstruktur, die dem deutschen Prinzip ähnelt, unterstützen.. Dies ist ein sehr erfolgreiches Projekt, durch das in Tunesien mittlerweile den rund 8.000 Hauptamtlichen jetzt schon über 2.000 Ehrenamtliche zur Seite stehen. Hierbei geht es nicht nur um eine Stärkung der Katastrophenschutzstrukturen, sondern auch um die Stärkung der Legitimität des Staates, indem die Bürger sich mehr mit ihrem Staat und seinen Sicherheitsstrukturen identifizieren. Dronia: Ich ergänze auch noch ein weiteres Beispiel aus Tunesien, das den Unterschied zwischen unserem Ansatz und

Foto: BS/Bundeswehr, Marc Tessensohn

dem, was normalerweise unter dem Begriff “Ausbildung” verstanden wird, verdeutlicht. Wir bauen in Zusammenarbeit mit den Tunesiern die dortige Militärakademie neu. Herr von Weyhe und ich haben hatten vor einigen Jahren die Gelegenheit, uns die Militär-Akademie anzuschauen. Die Unterstützung des Baus einer neuen Akademie ist für die Soldaten täglich von Bedeutung – damit sie effektiver lernen und besser wohnen können – aber auch für Tunesien als ein nordafrikanisches Land, das sich auf einem demokratischen Weg befindet, denn damit stärken wir das Ansehen der Streitkräfte, allerdings ohne eine direkte Schulung durch ausländische Kräfte. Behörden Spiegel: Einige dieser Beispiele betreffen allerdings nicht nur das Auswärtige Amt und das Verteidigungsministerium, sondern auch das Innenministerium und das Entwicklungsministerium. Wie sind Sie mit denen verzahnt? von Weyhe: Im Bereich des BMI befinden sind tatsächlich viele der nachgeordneten Behörden, die unmittelbar Projekte umsetzen. Wir arbeiten hier nicht nur mit diesen Behörden, sondern natürlich auch mit dem Innenministerium ganz eng zusammen. Wir besprechen die Planung einzelner Projekte und teilen mit BMI und BMZ relevante politische Überlegungen, oftmals eingebettet in multilaterale Zielsetzungen,

Dronia: Wir sprechen im Augenblick von rund 300 Projekten, die wir über die Jahre abgeschlossen haben. Aktuell laufen noch um die 120. In der Regel versuchen wir unsere Projekte so zu gestalten, dass sie möglichst schnell beim Partner zur Anwendung und zur Wirkung kommen können. Unsere ideale Vorstellung ist, am 1. Januar eine Projektidee gebilligt zu haben, direkt loslegen zu können und am 31. Dezember zu sagen: Erfolgreich abgeschlossen, die Region ist nun friedlicher, stabiler und sicherer. Das ist die Idealvorstellung, sprich unterjährig zu einer Finalisierung im Projekt zu kommen. Aber abhängig von der Komplexität der gestellten Aufgabe und des Bedarfs ist dieses Ideal nicht immer umsetzbar oder angebracht. Behörden Spiegel: Gibt es auch Projekte in Afghanistan? Dronia: Afghanistan ist kein Partnerland der Ertüchtigungsinitiative. Wir haben dort keine Projekte durchgeführt. Behörden Spiegel: Sie beide haben ja die Initiative gewissermaßen mitbegründet. Welches Fazit würden Sie ziehen? von Weyhe: Dies muss auf verschiedenen Ebenen betrachtet werden. Der erste Aspekt ist die Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Häusern. Ich glaube, das kann man gar nicht hoch genug schätzen. Wir sprechen so viel vom ressortgemeinsamen Ansatz, ohne Silodenken, mit vernetztem Handeln. Ich habe in diesen fünf Jahren die Erfahrung gemacht, dass es um wesentlich mehr als das Aufteilen des Titels geht. Wir ergänzen uns, auch in unseren Perspektiven auf die Fragen, die wir gemeinsam angehen. Ich habe das immer als sehr bereichernd empfunden.

Der zweite Aspekt sind die deutlichen Sympathien, auch aus dem Bundestag, für unseren Ansatz, gerade die Sicherheitsbehörden und somit die Staaten zu stärken. Dieser Ansatz findet zudem bei den Partnern große Akzeptanz, sodass selbst höchste Ebenen nach unseren Leistungen fragen. Die Ertüchtigungsinitiative hat sich auch als ein wichtiges Instrument in der bilateralen Zusammenarbeit für unsere Botschaften und Kolleginnen und Kollegen vor Ort erwiesen. Oftmals stärken wir damit auch die Umsetzung multilateraler Zielsetzungen, auch um VN Peacekeeping effektiver zu machen. Man kann den Nutzen an sehr vielen einzelnen Projekten ganz konkret messen, wenn z. B. sondergeschützte Fahrzeuge bei einem Anschlag auf Soldaten in Mali tatsächlich Leben gerettet und darüber hinaus die Moral der Truppe gestärkt haben. Oder wenn mit dem Aufbau von Grenzpolizeieinheiten in Niger bei der Bevölkerung langsam wieder ein Gefühl von Sicherheit einkehrt, dann legen wir damit einen Grundstein für das Vertrauen in den Staat und die konkrete Sicherheit einer Region. Wir tragen an sehr vielen Stellen effektiv zur Stärkung der Sicherheitskräfte und zugleich zur Kontrolle über die Sicherheitskräfte bei. Wir wollen die Sicherheitskräfte stärken, aber eben auch die parlamentarische, demokratische, mediale oder auch zivilgesellschaftliche Kontrolle ertüchtigen. Dronia: Ergänzend möchte ich erwähnen, dass wir mit der Ertüchtigungsinitiative ein “Einfallstor” bei jenen Partnern oder in den Sicherheitsregionen erhalten, die für uns außenpolitisch und sicherheitspolitisch von Interesse sind. Unsere Partner sprechen vor diesem Hintergrund auch offener über ihre Probleme, ihre Vorstellungen und ihre Lösungsansätze. Wir erfahren eine besondere Wertschätzung durch die Partner, gerade auch im Vergleich mit anderen Gebern in den Regionen. Es zeichnet unsere Initiative zudem aus, dass wir nicht aus einer außenwirtschaftlichen Motivation heraus agieren. Unsere Auswahl orientierte sich daran, was vor Ort üblicherweise an Lkw fährt, welche Infrastruktur etwa zur Wartung vorhanden ist usw. Das wird von den Partnern als sehr positiv empfunden. Wir gehen eben nicht als Lehrer oder Verkäufer rein, sondern fragen und hören zu. Und daraus entwickeln wir den Ansatz zur Deckung eines Bedarfs, gemeinsam und auf Augenhöhe.

Luftbeweglicher Waffenträger Präsentation des möglichen Wiesel-Nachfolgers (BS/df) Mitte Oktober wurde im Rahmen einer funktionalen Präsentation der aktuelle Sachstand zum F&TProjekt “Gesamtsystemdemonstrator für einen zukünftigen Luftbeweglichen Waffenträger” (GSD LuWa) u. a. vor Vertretern des BMVg und des BAAINBw gezeigt. Ziel dieses Vorhabens ist es, Konzepte und Technologien eines möglichen Nachfolgesystems für den Waffenträger Wiesel 1 zu untersuchen. Mit dem GSD LuWa soll das Verhalten von Technologien im Systemverbund untersucht werden. Dies betrifft gerade die Technologien und Teilsysteme, die neuartige Ansätze beinhalten und einen möglichst hohen Grad an Forderungserfüllung versprechen, zugleich aber noch Entwicklungsrisiken in sich tragen. Hierzu zählen besonders eine 27-Millimeter-Maschinenkanone zur Erhöhung der Kampfentfernung und Wirkung im Ziel, ein dieselelektrischer Hybridantrieb für Schleichfahrt sowie ein geteiltes und nivellierbares Kettenlaufwerk für Luftverladung und Notlauf. Alle Forderungen sollen unter den Randbedingungen eines in den Mittleren Transporthubschrauber CH-53 luftverladbaren Waffenträgers nachgewiesen werden. Trotz der schwierigen, pandemiebedingten Randbedin-

gungen ist es dem Generalunternehmer IABG dennoch nach nur 17 Monaten intensiver Projektarbeit gelungen, den GSD LuWa termingerecht zu realisieren und mit der Inbetriebnahme zu beginnen. Als Projektpartner waren dabei die deutschen Unternehmen ACS und FFG sowie Valhalla Turrets aus Slowenien in das Projekt integriert. Der GSD LuWa beinhaltet dabei nicht nur das eigentliche Fahrzeug mit Waffenanlage, sondern auch einen Innenraumdemonstrator und einen sogenannten Digitalen Zwilling. Mit dieser Kombination soll das vorhandene operationelle Know-how der bisherigen Wiesel-Besatzungen erfasst und für die weiteren Schritte im Rüstungsprozess nutzbar gemacht werden. Des Weiteren wurden die Ergonomie sowie technologische und taktische Fähigkeiten eines Nachfolge-

Der Luftbewegliche Waffenträger (LuWa) bei der Demonstration vor Vertretern aus Bundeswehr und BAAINBw. Foto: BS/IABG

systems bewertet und optimiert. Dies dient dazu, die anstehenden Lösungsvorschläge des BAAINBw vorzubereiten, die notwendigen Fakten für eine Auswahlentscheidung zusammenzutragen, Risiken zu vermindern, die Innovationskraft und den Einsatzwert des zukünftigen Systems zu erhöhen und die Weichen für die Realisierung einer späteren Serie zu stellen.


Behörden Spiegel / November 2021

Wehrtechnik

Künstliche Intelligenz in hybriden Operationen Fünf Thesen zur Digitalisierung der Landstreitkräfte (BS/Dorothee Frank) In seiner Eröffnungsrede des NATO-Symposiums, “AI, ML and BD for Hybrid Military Operations”, erläuterte der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Alfons Mais, anhand von fünf Thesen, was er von der Digitalisierung für die Streitkräfte erwartet. Generalmajor Dr. Michael Färber, Kommandeur des Kommandos Informationstechnik, moderierte das Forum, in das Experten aus allen NATO-Mitgliedsstaaten ihre Expertise, Planungen und Überlegungen zur Nutzung von Künstlicher Intelligenz einbrachten. Als ersten und wichtigsten Punkt nannte der Inspekteur die Nutzung von Cloud-Technologien. Die Landstreitkräfte benötigten einen Shared Information Space, der durch eine funktionierende Multi-Cloud ermöglicht werde. Unter einer Multi-Cloud verstehe er eine umfassende Informationsumgebung, um besonders auch in internationalen Einsätzen alle relevanten Informationen zu teilen. Sie stelle die Verbindung zwischen der strategischen Ebene in der Heimat und der ersten Meile im Einsatzgebiet dar. Daneben müsse sie auch die verschiedenen Systeme von Luft, Land, See und Cyber-Raum miteinander verbinden, um Multi-Domain Operations zu unterstützen. Auch wenn der Begriff MultiCloud erst einmal gewöhnungsbedürftig erscheint, da eine Cloud eigentlich per Definition allumfassen ist, spiegelt sich hier doch ein tiefes Problem der Streitkräfte wider: Es gibt zu viele Informationsräume mit unterschiedlichen Formaten. Als erste Informationscloud ging seinerzeit das Afghanistan Mission Network an den Start. Need-to-Share wurde zum Ansatz der (meisten) NATOStreitkräfte. Mittlerweile gibt es Nachfolgemodelle des AMN mit dem deutschen Beitrag German Mission Network. Daneben existieren aber nicht nur nationale Informationsräume, sondern auch streitkräfteund organisationsinterne. Es gibt eine Vielzahl unterschiedlichster Führungssysteme, proprietäre Fachanwendungen, Insellösungen. Wenn demnächst das Future Combat Air System (FCAS) über eine Combat Cloud verfügt, dann muss das nicht dieselbe Combat Cloud sein, von der das Deutsche Heer aktuell spricht. Die vom Inspekteur Heer erwähnte Multi-Cloud könnte das Dach über allen diesen Clouds sein.

Wirksamkeit auf der ersten Meile Die Wirksamkeit auf der ersten Meile sei entscheidend, nannte Generalleutnant Mais als zweite These. Hier träfen die neuesten Technologien aufeinander, von Drohnenschwärmen zur Aufklärung bis hin zu auf Künstlicher Intelligenz basierenden Abwehrmaßnahmen. Aufklärung und die Analyse der gelieferten Ergebnisse würden im Zusammenspiel mit Battle-Management-Systemen die Gefechtsfelder der Zukunft bestimmen, prognostizierte Generalleutnant Mais. Durch den geteilten Informationsraum könnten alle Befehlsebenen zur selben Zeit dieselben Gefechtsbilder erhalten. Auch hier sprach der Inspekteur Heer eines der grundlegenden Probleme von Streitkräften an: Die Konnektivität. Um die

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MELDUNGEN

Neue Optiken für die Sturmgewehre der Bundeswehr (BS/df) Jüngst unterzeichneten das BAAINBw und Leonardo Germany einen Rahmenvertrag über die Lieferung von bis zu 107.929 Tageslichtoptiken für aktuelle und neue Sturmgewehre der Bundeswehr. Hierbei handelt es sich um ELCAN Specter DR 1-4x Optiken, welche an die Anforderungen der Bundeswehr angepasst wurden. Diese spezifischen Anpassungen beziehen sich auf ein modifiziertes Visier und das Gehäuse mit integrierter

Picatinny-Schiene. Die wichtigste Änderung ist allerdings, dass mittels eines Hebels direkt von einer vierfachen Vergrößerung zu einer einfachen Close-QuartersBattle (CQB)-Sicht gewechselt werden kann, ohne dass sich weitere Elemente verändern. Zudem kann der Nutzer zwischen dem Anleuchten des gesamten Fadenkreuzes oder einem einzelnen roten Leuchtpunkt wählen. Im normalen Handel kostet eine solche Optik übrigens 2.700 Euro.

Die nächsten australischen Schützenpanzer

Der Puma ist das erste vernetzt gedachte Gefechtsfahrzeug der Bundeswehr, das mit entsprechender Anbindung an die weiteren Systeme die Vorstellungen von Generalleutnant Alfons Mais, Inspekteur des Heeres, unterstützt. Foto: BS/Bundeswehr

Funkverbindung in der Bewegung zu halten, müssten neue Ansätze zusätzlich zur üblichen Richtfunkantenne gedacht werden. Mobile Ad-hoc-Netzwerke (MANets) können eine Lösung sein. Hierbei wird jeder Nutzer zum Sender und Empfänger, die Informationen springen gewissermaßen von einem Soldaten oder Fahrzeug zum nächsten, bis sie ihr Ziel erreichen. Hierfür braucht es allerdings flächendeckend eingeführte moderne Funkgeräte. Zudem funktioniert dies nur, wenn die Einheiten nicht weit auseinandergezogen sind oder sich in dichter Vegetation – einem deutschen Mischwald bei Nebel zum Beispiel – befinden. Als zweite Lösung böten sich Drohnen oder Drohnenschwärme als Kommunikationsrelais an. Die Aufklärbarkeit ist mit im Blick zu behalten. Allerdings gibt es zum vernetzten Gefechtsfeld keine Alternative, wenn die Truppen auf der ersten Meile effektiv wirken sollen. Russland beispielsweise hat bei den jüngsten Übungen an der ukrainischen Grenze eine Geschwindigkeit und Mobilität gezeigt, auf welche die Bundeswehr erst einmal reagieren können muss. Mit den aktuell vorhandenen Technologien wäre dies wenig wahrscheinlich.

Mobilere Streitkräfte “Wir müssen kleiner, leistungsfähiger und vollständig mobil werden”, benannte dementsprechend auch der Inspekteur als eine wichtige Anforderung an das Heer, um in modernen Konflikten bestehen zu können. Eine besondere Bedeutung kämen neuen, hochmobilen Gefechtsständen zu, welche nicht länger stationär zu denken seien. “Geschwindigkeit und Mobilität gewährleisten den Schutz der Forward Command Posts”, sagte Generalleutnant Mais. Daneben

solle es weitere Main Command Posts geben, welche außerhalb der gegnerischen Reichweite stationär eingerichtet würden. Diese Forward Command Posts müssen dann allerdings auch in den Informationsraum eingebunden werden. Aktuell geschieht die Vernetzung in den Gefechtsständen noch mit Kabeln. Die Bundeswehr kennt dafür den Fernmelder, welcher die Cyber-Welt vor Ort erst einmal ermöglichen soll. Die meiste Zeit wird beim Aufbau eines Hauptquartiers mittlerweile für die Verkabelung der IT benötigt. Es bräuchte die Einführung nicht kabelgebundener Übertragungsmöglichkeiten wie beispielsweise des auf jedem Campingplatz vorhandenen WLANs. Erst wenn moderne – im zivilen Bereich zum Standard gehörende – Technologien auch in der Truppe eingeführt werden, ist ein leistungsfähigerer und vor allem mobiler Einsatz möglich.

Ergänzung zum Menschen Künstliche Intelligenz und menschliche Fähigkeiten seien als Ergänzungen zu verstehen, die beide dauerhaft notwendig seien, nannte Generalleutnant Mais als vierte These. “Ich bin davon überzeugt, dass auch künftige Konflikte Hierarchien und Befehlsketten brauchen.” Die Fähigkeiten der Künstlichen Intelligenz lägen in der Verarbeitung großer Datenmengen sowie einer schnellen Analyse, in beiden Punkten übertreffe sie den Menschen. Dies gelte es zu nutzen, in Verbindung mit dem menschlichen Willen zur humanen Verteidigung sowie der menschlichen Fähigkeit zur übergeordneten Analyse. Was der Inspekteur nicht ausführte, was allerdings im Hintergrund mitschwang, ist, dass, während in Deutschland der Einsatz von Künstlicher Intel-

ligenz (KI) und anderen Assistenzsystemen vor allem unter ethischen Gesichtspunkten im politischen Bereich diskutiert wird, das Augenmerk der meisten anderen Staaten eher auf dem praktischen Nutzen liegt. Ferngesteuerte oder autonome Systeme wurden in allen größeren Konflikten der letzten Jahrzehnte eingesetzt. Die Frage nach dem “Ob” stellt sich nicht mehr, das “wie” wird entscheidend. Wie werden Streitkräfte KI und andere Assistenzsysteme einsetzen? Und wo beginnt die KI? Wenn ein Navigationssystem einem eine Route anhand der ermittelten Luftverteidigungssysteme vorschlägt, ist das bereits KI. Wenn statt einer Rakete eine bewaffnete Drohne eingesetzt wird, die im Gegensatz zur Rakete auf den letzten Metern die Mission noch abbrechen kann, dann wäre die bewaffnete Drohne eigentlich ethischer als die “dumme” Rakete. Beim Vortrag betonte Generalleutnant Mais, dass die KI immer nur eine Ergänzung, kein Ersatz sein könne. Durch die Zunahme von ausgezeichneten Sensordaten überschreitet die Auswertung schließlich mittlerweile – wenn sie nicht durch KI unterstützt wird – die personellen Fähigkeiten der meisten Armeen.

Open Source “Die Nachrichtengewinnung aus Open-Source-Quellen könnte zum Gamechanger werden”, stellte Generalleutnant Mais als fünfte These auf. Besonders bei hybriden Operationen ist er davon überzeugt, dass irgendwer irgendwo die Kamera seines Handys auf den Punkt halte, der von relevanter Bedeutung für den Einsatz sei. Die öffentlich zugänglichen Informationen in den Sozialen Netzen und anderen Informationsplattformen müssten dementsprechend aktiv erfasst und durch Künstliche Intelligenz ausgewertet werden, um die Befehlshaber mit den richtigen Informationen zu versorgen.

Geschwindigkeit und Präzision

Kommunikation in der Bewegung steht bereits seit Jahrzehnten als Forderung durch das Deutsche Heer in den Arbeitspapieren. Foto: BS/Bundeswehr, Sebastian Wilke

Hohe Geschwindigkeit und Präzision seien die entscheidenden Fähigkeiten für die Streitkräfte in zukünftigen Gefechten, fasste der Inspekteur Heer zusammen. Da Digitalisierung, mit allen genannten Elementen, sowie Künstliche Intelligenz beides deutlich verbesserten, seien ihre Implementierungen in die Landstreitkräfte unbedingt notwendig, um der Politik auch in Zukunft das Heer als operationelle Option zur Verfügung zu stellen. Die entscheidende Frage der Zukunft sei allerdings: “Können wir unseren Systemen vertrauen?”

(BS/df) Ende Oktober übermittelte das Unternehmen Rheinmetall sein Best and Final Offer für das australische Programm “Land 400 Phase 3 Mounted Close Combat Capability”. Rheinmetall bietet hierfür seinen Lynx-Schützenpanzer, der durch das Unternehmen aus den Erfahrungen mit dem deutschen Schützenpanzer Puma selbstständig entwickelt und im Export angeboten wurde. Für die australischen Streitkräfte wird der Lynx mit dem ebenfalls

von Rheinmetall stammenden Lance-Turm angeboten. Im Rahmen von “Land 400 Phase 3 Mounted Close Combat Capability” will Australien laut dem Australian Defence Magazine 400 Schützenpanzer beschaffen, davon 281 mit Turm und 119 ohne. Im Budget sind hierfür über 20 Milliarden Australische Dollar (rund 12,8 Milliarden Euro) vorgesehen. Aktuell sind nur noch zwei Wettbewerber im Rennen. Rheinmetall mit dem Lynx und Hanwha mit dem Redback.

3D Software-Defined Radar (BS/df) Thales Deutschland hat mit eigenen Forschungsmitteln ein neues Radar entwickelt: Der Ground Observer 20 Multi-Mission (GO20 MM) feierte Ende Oktober seine Premiere. Das Besondere ist die dreidimensionale (3D) 360°-Abdeckung. Durch die Kombination von Boden- und Tiefflugüberwachung innerhalb eines einzigen Gerätes bietet das Radar zudem neben der frühzeitigen Erkennung von Bedrohungen auch eine automatische Klassifizierung der anfliegenden Systeme. Das Radar erfasst eine große Fläche in 3D mit kurzen Aktualisierungszeiten, was beispielsweise eine schnelle Erkennung und automatische Klassifizierung von Langstreckendrohnen ermöglicht. Hierdurch können die Drohnen frühzeitig als Gefahr erkannt und bekämpft werden.

Zum Leistungsspektrum des Radars gehören neben den größeren Vertretern der unbemannten Flugsysteme auch Klein- und Nanodrohnen, also jene UAV, welche nicht größer als eine Handfläche sind. Das GO20 MM ist für den mobilen Einsatz ausgelegt. Innerhalb von fünf Minuten können zwei Soldatinnen oder Soldaten das Radar aufbauen und für einen neuen Einsatz schnell verlegen, sei es am Mast oder für Einsätze abseits des Fahrzeugs. Im Akkubetrieb ist das Radar über Stunden einsatzfähig. Durch das Verzichten auf die Generatoroption lässt sich das GO20 MM geräuschfrei betreiben. Da es sich um ein SoftwareDefined-Radar handelt, lassen sich neue Funktionen und Entwicklungen einfach aufspielen und unterstützen.

Neue Fuchs-Version mit Hochdach (BS/df) Im Oktober stellte Rheinmetall eine neue Version des Transportpanzers Fuchs vor: als geschütztes Sanitätskraftfahrzeug. Dieser Fuchs wurde als Hochdach-Demonstrator realisiert und fällt bereits äußerlich durch das modernisierte Fahrzeugdesign und die vergrößerte Dachhöhe auf. Hierdurch erweitert sich das Innenraumvolumen auf zwölf Kubikmeter. Die Stehhöhe liegt dadurch bei 1,60 Meter statt bisher bei 1,26 Meter. In der Version als geschütztes Sanitätskraftfahrzeug kann der Fuchs bis zu vier Verwunde-

te (zwei liegend, zwei sitzend) transportieren. Weiterhin verfügt das Fahrzeug über ein modernes 360-Grad-Sichtsystem mit Tagund Nachtsicht sowie Fusion, welches bereits im Schützenpanzer Puma eingesetzt wird. Der modernisierte Fuchs zeichnet sich darüber hinaus durch ein neues, leistungsgesteigertes Triebwerk, ein neues Verteilergetriebe, eine neue Bremsanlage und eine digitale Bordelektronik aus. Das alles macht das Fahrzeugsystem beweglicher im Gelände und noch ergonomischer zu bedienen.

Co-Creation und Innovationskultur (BS) Außerhalb militärischer Bereiche sind Chief Information Officers oftmals auch Chief Innovation Officers – Informationstechnologie und Innovationen gehen Hand in Hand. In der Bundeswehr ergibt sich dazu ein differenziertes Bild: Innovationsansätze sind dezentral und fragmentiert vorhanden. Das Mindset ist geprägt von linearem Denken und Wasserfall-Ansätzen. Rahmenbedingungen wie das Vergabe- oder Haushaltsrecht wirken konservativ. Dem Leitspruch von AFCEA International “Connecting people, ideas and solutions globally”, folgend wurde Anfang Oktober unter dem Motto “Co-Creation und Innovationskultur” ein tieferer Blick in die genannten Her-

ausforderungen gewagt. Anfangs wurden durch Sven Weizenegger, Prof. Michael Eßig, Haya Shulman und Maximilian Rapp Denkimpulse gesetzt und im Anschluss in drei parallelen Workshops vertieft. Die Opening Keynote kam vom Gastgeber der Veranstaltung, dem CIHBw. Dessen Chef Sven Weizenegger hat nach seinen ersten 16 Monaten als Leiter der ersten Digital Innovation Unit (DIU) eines deutschen Ministeriums ein Zwischenfazit gezogen. Die Impulse der jeweiligen Vortragenden und die weiteren Erkenntnisse können auf der Plattform des Behörden Spiegel für junges Governemt, Future4Public, nachgelesen werden: bit.ly/youngafcean


Wehrtechnik

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ie Gebirgsjägertruppe bildet den Kern der Gebirgsjägerbrigade. Sie leistet ihren Beitrag im gesamten Aufgabenspektrum der Bundeswehr, vor allem im schwierigen bis extremen Gelände und unter extremen Klima- und Wetterbedingungen. Dieses Alleinstellungsmerkmal macht sie zu einem unverzichtbaren Teil des aktuellen und zukünftigen Fähigkeitsprofils der Bundeswehr. Die Gebirgsjägertruppe verfügt über alle querschnittlichen Befähigungen der Infanterie zu Operationen in durchschnittenem, bewaldetem und urbanem Gelände. Sie ist ergänzend befähigt, die Rettung und Bergung von Personen in schwierigem bis extremem Gelände durchzuführen. Deutschland hat sich zudem im Rahmen der NATO-Planungsziele verpflichtet, diese einzigartige Fähigkeit in Form einer “Mountain Light Infantry Brigade” dem Bündnis zur Verfügung zu stellen. Schwieriges bis extremes Gelände schränkt die Beweglichkeit stark ein, etwa durch das Fehlen befestigter Straßen und Wege oder Geländeteile mit großem Neigungswinkel. Hierbei ist der Untergrund meist steinig bis felsig und teilweise mit Gras bewachsen, kann aber auch schneebedeckt, vereist oder sandig sein. Das Gelände ist möglicherweise gekennzeichnet von großen Moor- oder Sumpfgebieten in Niederungen und entlang von Flussläufen. Flache Fließgewässer müssen bei Fehlen von Brücken gefurtet werden. Ein Versinken ist durch Eigenauftrieb oberhalb bzw. jenseits der Wattiefe zu verhindern.

Forderungen an die Überschneemobilität Erfüllung der Aufgaben in schwierigem bis extremem Gelände (BS/Oberleutnant Jakob Ningelgen*) Eis, Schnee und Kälte. Eine Gebirgsjägerkompanie, eingesetzt in arktischer Umgebung nahe dem Polarkreis. Vier Fahrzeuge nähern sich der Kompanie auf den scheinbar ewigen Schnee- und Eisflächen der Arktis und bringen die ersehnte Versorgung. Szenenwechsel: Trockenheit, Sand, Hitze. Ein auf sich gestellter Gebirgsjägerzug betreibt auf einer Wüstendüne einen Feldposten. Ein kurzer Funkbefehl, drei Kettenfahrzeuge graben sich durch den leichten Sand, nehmen die abgesessenen Kräfte zum Beziehen einer Wechselstellung auf. Das sind nur zwei von vielen möglichen Szenarien, in der sich die Gebirgsjägertruppe in der Zukunft wiederfinden kann. gesteuerten, breiten “Raupenantrieben”, sind die Transportfahrzeuge hochmobil und meistern mit geringem Bodendruck nicht nur Tiefschnee, sondern sind auch in der Lage, sich in Moorgebieten sowie extrem sandigem Gelände fortzubewegen. Die Robustheit der Systeme gegen Kälte und Hitze ermöglicht einen Einsatz unter arktischen Bedingungen ebenso wie in der Wüste. In der Bundeswehr werden sie hauptsächlich im alpinen und arktischen Bereich innerhalb der Gebirgsjägerbrigade eingesetzt. Derzeit wird zur Sicherstellung der Überschneebeweglichkeit der Gebirgsjägertruppe parallel zu Maßnahmen für eine Nutzungsdauerverlängerung der vorhandenen Überschneefahrzeuge auch an einer Neubeschaffung von Überschneefahrzeugen der nächsten Generation im Rahmen einer internationalen Kooperation gearbeitet.

Modernisierung Die Modernisierung verfolgt das Ziel, die Bestandssysteme BV206S den aktuellen Herausforderungen und technischen Anforderungen anzupassen, um der Gebirgsjägerbrigade einen modernen und zukunftsfähi-

BV 206D bei der Übung Cold Response 2020

Extreme Klima- und Wetterbedingungen umfassen alle Klimakategorien von extremer Kälte bis zu extremer Hitze, gepaart mit Trockenheit oder hoher Luftfeuchtigkeit. Besonders in winterlicher, hochalpiner und arktischer Umgebung ist mit hohen und flächendeckenden Schneelagen zu rechnen. Die Gebirgsjägertruppe muss unter den oben beschriebenen Bedingungen zur Erfüllung ihrer Aufgaben weltweit, durchgängig und verlässlich auf ihre Mobilität zurückgreifen können. Im Hinblick auf eine strategische Verlegung müssen ihre Plattformen auch zum Lufttransport im A400M geeignet sein.

Aktueller Sachstand Zur Aufrechterhaltung der Mobilität bei den beschriebenen hohen Geländeanforderungen setzt die Bundeswehr auf kettengetriebene Transportfahrzeuge. Derzeit befinden sich der ungeschützte Bandvagn BV206D sowie der leicht geschützte BV206S der Firma BAE Systems Hägglunds in der Gebirgsjägerbrigade im Einsatz. Durch die unterschiedlichen Varianten wird ein großes Aufgabenspektrum abgebildet. Von Gruppenfahrzeugen zum Transport von Soldatinnen und Soldaten über Sanitätsfahrzeuge bis hin zu Fahrzeugen zum Betrieb eines Bataillonsgefechtstands bieten diese Systeme ein vielseitiges Einsatzspektrum. Aufgrund der einzigartigen Konzeption der Knicklenkung, gepaart mit den vier differential-

Behörden Spiegel / November 2021

Foto: BS/Bundeswehr, Maximilian Schulz

gen Konstruktionsstand zur Verfügung stellen zu können. Im Mittelpunkt steht dabei die Beseitigung von Obsoleszenz, insbesondere eine Überarbeitung des Energiemanagements durch die Einrüstung moderner Kommunikationsmittel. Es gibt verschiedene Ansätze zur Nutzungsdauerverlängerung, die jedoch durch die lange Laufzeit der Systeme in der Truppe und den damit einhergehenden, zunehmenden Verschleiß erschwert werden. Grundsätzlich dient die Modernisierung und Nutzungsverlängerung ausschließlich zur Aufrechterhaltung der Mobilität der Gebirgsjägerbrigade, bis die neubeschafften Transportfahrzeuge in der Truppe verwendet werden können.

Neubeschaffung Im Zuge der Neubeschaffung haben sich vier Partnernationen – Schweden, Niederlande, Großbritannien und Deutschland – darauf geeinigt, ein neues Fahrzeugsystem zur Überschneemobilität gemeinsam einzuführen. Die Bundeswehr verfolgt so einen multinationalen Lösungsweg im Rahmen einer europäischen Kooperation mit dem Ziel der Senkung der Gesamtkosten der Beschaffung und der verbesserten multinationalen Interoperabilität. Die Führungsnation des Projektes ist Schweden. Kernforderung ist es, dass sowohl dem Anspruch höchster Mobilität als auch dem maximal möglichen Schutz der Besatzung Rechnung getragen wird. Durch

dieses Projekt, das unter dem Namen Collaborative All-Terrain Vehicle (CATV) geführt wird, sollen die bestehenden Fähigkeiten im Bereich Mobilität, Schutz und Kommunikation ergänzt und erweitert werden. Eine Umsetzung mit einem marktverfügbaren bewährten System wird angestrebt. Der Zulauf der ersten Serienfahrzeuge soll im dritten Quartal 2024 erfolgen. Geeignete marktverfügbare Systeme wurden im Rahmen einer Marktsichtung bereits identifiziert. Die Hersteller unterscheiden sich durch unterschiedliche Spezifizierungen der Systeme mit individuellen Vor- und Nachteilen. Zahlreiche Fahrzeuge sind bereits in anderen Nationen in der Nutzung und konnten sich zudem teilweise schon in Stabilisierungsoperationen und im Gefecht bewähren. Durch die oft jahrelange Nutzung der Systeme konnte, sowohl bei den Nutzern als auch bei den Herstellern, ein hoher Erfahrungsschatz aufgebaut werden. Das schlägt sich teilweise in einer bereits hohen Einsatzreife der marktverfügbaren Fahrzeuge nieder. Aktuelle Entwicklungen zielen vor allem auf einen modularen Ansatz, der die nötige Flexibilität in der Konfiguration für unterschiedliche Auftragsszenarien ermöglicht. Einige Systeme unterscheiden sich in der Anordnung des Triebwerks und der Aggregate. Durch eine Verbauung im hinteren Fahrzeugteil ermöglichen manche Hersteller eine Erhöhung des Platzangebots für die Besatzung des Kampfraums. Dies trägt dem erhöhten Platzbedarf der Infanterie durch die komplexere Auftrags- und Ausrüstungsanforderung Rechnung. Gemeinsam haben die meisten Hersteller, dass ihre Systeme neben der geforderten Überschneefähigkeit auch eine Schwimmfähigkeit einschließen, welche die Flexibilität der Gebirgsjäger zusätzlich erhöht. Dies sind nur einige Beispiele aktueller Trends marktverfügbarer Systeme. Eine abschließende Entscheidung über die Beschaffung des Produkts steht gegenwärtig noch aus.

Zukunft der ­Überschneemobilität Ob eine komplette Neuentwicklung, eine Modernisierung bestehender Systeme oder eine Beschaffung markverfügbarer Systeme – die besondere Herausforderung bei der Konzeption und Konstruktion moderner Überschneesysteme ist die Abwägung zwischen Schutz und Mobilität. Mit der Forderung nach höherem Schutz zur Reduzierung der Gefährdung der Besatzung erhöht sich das Gesamtgewicht der Systeme. Daraus folgt eine Reduzierung der Nutzlast sowie eine Einschränkung der Mobilität, da ein höheres Gewicht die Überschneefähigkeit mindert. Eine tragfähige Lösung für dieses Problem stellt die Anpassungsfähigkeit des Schutzes der Überschneesysteme durch modulare Schutzausstattungen dar. Damit kann der Schutz lage- und auftragsbezogen angepasst werden. Eine Erhöhung der Mobilität, insbesondere bei Tiefschneeverhältnissen, kann zusätzlich, trotz eines steigenden Gesamtgewichts, durch eine Anpassung des Laufwerkes sowie der Laufbänder erfolgen. Der Grund hierfür liegt in der Verringerung des spezifischen

BV 206S bei der Brigade-Gefechtsübung Berglöwe 2019 Foto: BS/Bundeswehr, Stephan Schaffner

Bodendrucks durch die Erreichung einer erhöhten Auflagefläche der Laufbänder. Im Rahmen einer Designstudie des Bundesamts für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) werden derzeit Möglichkeiten zur Anpassung und Steigerung der Mobilität untersucht. Ein Demonstrator für den Komponententest wurde mit einigen innovativen Ideen ausgestattet. Er soll an der Wehrtechnischen Dienststelle (WTD) 41 weiter untersucht werden. Der Demonstrator wurde mit neu konzeptionierten, breiteren Laufbändern sowie technischen Lösungen zur Reduzierung des Wendekreises und Steigerung der Kletterfähigkeit ausgestattet. Mit dem Einbau eines Differentials mit integrierter hydraulischer Lamellenbremse wird derzeit eine weitgehend witterungsunabhän-

gige Bremsanlage untersucht, um zukünftig Schäden an der Bremsanlage durch Schnee, Eis, Sand und Regen vermeiden zu können. In einem weiteren Untersuchungsanteil wird mit dem Demonstrator ein Hybridantrieb getestet. Ein zusätzlicher E-Motor im Antriebsstrang realisiert eine E-Boost-Funktion und unterstützt damit den Dieselmotor für eine definierte Zeitspanne. Zudem wird die Möglichkeit einer vom Dieselmotor unabhängigen Fortbewegung in “Schleichfahrt” geprüft und untersucht. Auch die Bordbewaffnung soll bei zukünftigen Systemen verbessert werden. Im Mittelpunkt steht dabei der verbesserte Schutz der Besatzung. Erreicht wird dies – wie auch schon bei anderen Systemen der Bundeswehr (wie bspw. beim GTK Boxer) – indem der Waffenbediener nicht mehr

über eine körpergeführte Lafette außerhalb des Fahrzeugschutzes, sondern über eine fernbedienbare Waffenstation aus dem Kampfraum beobachten und wirken kann. Zusätzlich soll die Leistung des Waffensystems durch die Verwendung einer Kombination – je nach Konfiguration und Nutzer – aus schwerem Maschinengewehr oder Granatmaschinenwaffe sowie einer verbesserten Waffenoptik gesteigert werden. Bei einer zukünftigen Beschaffung bzw. Entwicklung eines neuen, modernen und überschneefähigen Systems für die Bundeswehr, über das Projekt CATV hinaus, verdient die Interoperabilität besonderes Augenmerk. Hierzu muss einerseits die Interoperabilität auf logistischer Ebene im Rahmen eines Single-Fuel-Concepts, der Wartung und Pflege sowie der Versorgung mit Ersatzteilen betrachtet werden. Andererseits bedarf es der Interoperabilität auf taktischer Ebene national wie international im Hinblick auf Führungsfähigkeit und Digitalisierung.

Zusammenfassung Die Sicherstellung der Überschneemobilität ist ein fortlaufender Prozess, der besondere technische Herausforderungen mit sich bringt. Die Aufrechterhaltung dieser Fähigkeit ist vor allem im Hinblick auf die möglichen Konflikte der Zukunft, bspw. in arktischen und teil-arktischen Einsatzräumen an der NATO-Nordflanke, unabdingbar. Mit der multinationalen Einführung des CATV wird ein wichtiger Zwischenschritt zur Sicherstellung der Überschneemobilität in der Bundeswehr erreicht, aber auch ein Beitrag zur Erfüllung der NATO-Verpflichtung zur Beistellung einer kampfbereiten und bei jedem Klima, Wetter und Gelände beweglichen “Mountain Light Infantry Brigade” geleistet. *Oberleutnant Jakob Ningelgen, Amt für Heeresentwicklung II 2 1

Test autonomer Funktionen Robotersysteme in der Nutzung (BS/df) Die Bundeswehr hat eine Felderprobung unbemannter Systeme im Rahmen der F&T-Studie “Unmanned Ground Vehicles (UGV) zur Unterstützung abgesessener Kräfte” durchgeführt. Im Rahmen der Studie, die durch das Amt für Heeresentwicklung zusammen mit dem Fraunhofer Institut FKIE durchgeführt wurde, sollten verschiedene UGV in realitätsnahen Szenarien getestet und bewertet werden. Die bisherigen Kriterien wie z. B. Fahreigenschaften und Teleoperation/Fernbedienung wurden dabei ergänzt um die Nutzbarkeit autonomer Funktionen in einsatznahen Szenarien. Den Höhepunkt bildete ein Gefechtsschießen, bei dem die Soldaten durch die teilnehmenden UGV unterstützt wurden.

Probot V2 Elbit Systems Deutschland nahm mit zwei Probot V2 teil. “Unser UGV Probot (Professional Robot) ist ein geländegängiger Träger- und Aufklärungsroboter zur Unterstützung abgesessener Truppen und zur Steigerung deren Effektivität”, berichtet das Unternehmen. “Um die Einsatzkräfte zu entlasten, ist der Probot in der Lage, Verwundete liegend, Rucksäcke oder andere Lasten zu transportieren oder verschiedene Sensoren zur Aufklärung aufzunehmen. Beim aktuellen Test wurden neben normalen Lasten auch Granatmaschinenwaffen (GraMaWa) des schweren Zuges transportiert. Auch ein direkter Einsatz der GraMaWa vom Probot aus ist denkbar, wurde aber nicht im scharfen Schuss erprobt.” Im Rahmen der Studie wurde der Probot rein als Lastenträger in seiner Funktion als Cargo Mule eingesetzt. Zusätzlich zur Geländegängigkeit und dem ferngelenkten Fahren wurden die autonomen Funktionen “FollowMe” und Wegpunktnavigation einsatznah erprobt, u. a. in den Szenarien Logistik und Verwun-

detentransport. Das Einsatzkonzept (CONOPS) sieht dabei vor, dass der Probot kleinere UGV oder unbemannte Luftfahrzeuge (UAV) in ein Zielgebiet transportieren kann, um Aufklärungsmissionen durchzuführen und deren Reichweite erheblich zu vergrößern. Der Probot kann für Gefechtsstände auch als Relaisstation zur Erhöhung der Reichweite und Abstandsfähigkeit genutzt werden.

Autonome Schiffe in Einsätzen Ebenfalls autonome Funktionen testete im Oktober die britische Royal Navy. Diese meldete das Erreichen eines wichtigen Meilensteins zur Integration von autonomen Schiffen in Einsätze. Erstmals sei es dabei dem Kriegsschiff HMS Argyll gelungen, ein unbemanntes Pacific24-Schlauchboot (RIB) während der Fahrt auf See zu steuern. Bei den Tests übernahm die Fregatte vom Typ 23 das Kommando über das Schlauchboot, dabei lieferten die Kameras und Sensoren an Bord des unbemannten Schiffes durchgehend Daten an die Argyll. Die vorübergehende Einsatzzentrale befand sich im Hangar des Schiffes. Erstmals wurde zudem das Steuerungssystem des Schlauchbootes in den Operationsraum des Schiffes integriert. “Dies war ein großartiger erster Schritt bei der Integration vollständig autonomer Schiffe in Kriegsschiffe der Royal Navy”, sagte Lieutenant Commander Rob

Manson, Leiter der Erprobung von NavyX bei der Royal Navy. “Mit diesen Versuchen konnten wir beweisen, dass Systeme zur Steuerung autonomer und unbemannter Technologie erfolgreich in unsere aktuelle Flotte eingeführt werden können. Der Betrieb mit dem Pac24 auf See hat zudem gezeigt, dass diese Schiffe in Zukunft das Potenzial haben, zusammen mit den derzeitigen Fregatten und Zerstörern eingesetzt zu werden und eine Reihe von operativen Aufgaben zu übernehmen.”

Integration in die Fregatte Pac24 wurde bei den Versuchen aus einer Entfernung von bis zu zehn Meilen gesteuert. Zudem erhielt das unbemannte Schlauchboot Anweisungen von der Fregatte, die es im autonomen Betrieb ausführte, darunter beispielsweise die Durchführung grundlegender Missionen, die Identifizierung von Zielen auf dem Wasser sowie die Steuerung der Kamera und der ferngesteuerten Waffenstation zur Verfolgung von Zielen. “Die Royal Navy ist entschlossen, diese Art von Technologie auf Herz und Nieren zu prüfen und zu erproben, wie wir sie an vorderster Front einsetzen können”, betonte Lieutenant Commander Rob Manson. “In den vergangenen zwei Jahren haben wir entscheidende Entwicklungen im Bereich der unbemannten Einsätze erlebt und sind gespannt auf die Zukunft.”


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enn der durch ihre Beschäftigten und sie vorgenommene Abgleich zwischen Tatortspuren und Vergleichsmaterial von Verdächtigen kann wichtige Hinweise und neue Ermittlungsansätze bringen. Außerdem können Täterinnen und Täter so im besten Falle gerichtsfest überführt werden. Deshalb ist sich Tanzhaus auch sicher: “Wir machen einen Unterschied bei der Verbrechensaufklärung.” Die 44-jährige gebürtige Berlinerin arbeitet bereits seit 2009 im LKA in Erfurt. Sie ist studierte und diplomierte Biologin. Studiert hat Tanzhaus dabei an der Freien Universität Berlin und an der Universität Göttingen. Ihre Schwerpunkte lagen schon damals auf den Bereichen Anthropologie und Molekularbiologie. Zu Letzterer hat sie auch ihre Doktorarbeit in Oxford verfasst. Anschließend absolvierte Tanzhaus einen Master-Studiengang zu “forensic science” an der Strathclyde-Universität im schottischen Glasgow.

Nur Forschung reicht ihr nicht “Ich habe aber schnell gemerkt, dass ausschließlich Forschung nichts für mich ist. Ich brauche auch ein wenig Anwendung”, erzählt sie über ihren Werdegang. Außerdem sei für sie immer der Inhalt der Arbeit wichtig gewesen. Seit 2018 ist Tanzhaus nunmehr Dezernatsleiterin sowie stellvertretende Abteilungsleiterin im LKA des Freistaates Thüringen. Ihr unmittelbarer Vorgesetzter ist der Abteilungsleiter. Derzeit nimmt sie aber auch diese Funktion für sechs Monate wahr. Seit ihrem Aufstieg zur Dezernatsleiterin ist sie deutlich stärker als früher mit organisatorischen Dingen beschäftigt. Tanzhaus steht nur noch in wenigen Ausnahmefällen selbst im Labor und führt Untersuchungen durch. Dazu gehört unter anderem die Erstellung des bereits erwähnten genetischen Fingerabdrucks, bei dem zum Beispiel ein unbekanntes männliches Profil an einer Spur entdeckt wird, das nicht mit dem Vergleichsmaterial übereinstimmt. Zudem führt Tanzhaus als einzige Sachverständige in ihrem Dezernat sogenannte Blutspurenmusteranalysen durch. Dabei wird anhand von Blutspuren eine Rekonstruktion des Tathergangs am Tatort vorgenommen. Solche Auswertungen sind kompliziert sowie zeit- und arbeitsaufwendig. “Deshalb landen pro Jahr auch nur zwei bis drei solcher Fälle auf meinem Tisch”, erzählt Tanzhaus, die Angehörige des höheren Dienstes ist.

“Wir machen einen Unterschied” Dr. Katrin Tanzhaus ist Sachverständige für forensische Genetik in Thüringen (BS/Marco Feldmann) Sie arbeitet tagtäglich mit Blutspuren oder Speichelproben: Dr. Katrin Tanzhaus führt im Dezernat für forensische Genetik des Thüringer Landeskriminalamtes (LKA) zahlreiche molekulargenetische Untersuchungen durch. Dabei erstellen ihre Mitarbeiter und sie unter anderem genetische Fingerabdrücke. Diese können bei der Aufklärung von Verbrechen, insbesondere bei Sexual- und Kapitaldelikten, sehr helfen. Biochemikers nur Biologinnen und Biologen beziehungsweise technische Assistentinnen und Assistenten arbeiten, dabei landesweit an Tatorten durch. Dennoch hat sie recht geregelte Arbeitszeiten. “Wir arbeiten in Gleitzeit. Von Montag bis Freitag können wir uns unsere Arbeitszeiten zwischen sechs und 20 Uhr flexibel einteilen”, berichtet die Biologin. Nur selten – und auch nur auf freiwilliger Basis – würden Wochenenddienste übernommen.

Ohne Fremdvergaben nicht zu schaffen Im vergangenen Jahr hatte ihr Dezernat insgesamt 10.025 Untersuchungsaufträge zu bearbeiten. “Das war mit dem vorhandenen Personal nicht zu bewältigen”, gibt Tanzhaus zu. Aus diesem Grunde hätten auch Vergaben an Fremdfirmen erfolgen müssen. Dies habe allerdings nicht zur Beschleunigung der Auswertung beigetragen. An ihrer Arbeit schätzt die Sachverständige, die als Kontrollinstanz alle Gutachten noch mal auf Plausibilität überprüft und zudem für die Gerätebeschaffung in ihrem Dezernat zuständig ist, unter anderem die enge Kooperation mit anderen LKA-Dezernaten und der Rechtsmedizin. Denn Letztere nehme sehr ähnliche Aufgaben wie ihr Dezernat wahr, so Tanzhaus. Einen großen Unterschied gibt es aber doch: “Die Rechtsmedizin kann eine Spur nur molekulargenetisch untersuchen. Das LKA ist dagegen in der Lage, an einem Spurenträger unterschiedliche kriminaltechnische Untersuchungen, zum Beispiel daktyloskopische, molekulargenetische und chemische

Dr. Katrin Tanzhaus (44) ist Sachverständige für Gerichtsbiologie im Thüringer Landeskriminalamt (LKA) in Erfurt. Zudem leitet sie dort ein Dezernat und ist derzeit sogar mit den Aufgaben der Abteilungsleitung betraut. Foto: BS/TLKA, Abteilung 4, Fotostelle

Analysen, dezernatsübergreifend vorzunehmen.” Interessant in diesem Zusammenhang: Laut Tanzhaus kennt die Rechtsmedizin nicht die Auswertungsergebnisse des LKAs und andersherum.

Kriminaltechnik sehr ­vielfältig Es existieren verschiedene Bereiche der Kriminaltechnik. So werden unter anderem auch

(technische) Formspuren untersucht. Analysiert werden dabei unter anderem Schließtechnik, wozu Schlösser, Schlüssel und Schließzylinder gehören, Werkzeug-, Schuh- oder Reifenspuren. Außerdem können Passspuren ausgewertet werden. Zudem geht es in diesem Bereich um die Wiedersichtbarmachung entfernter Prägezeichen sowie um die Analyse von Bissspuren. In einem weiteren Feld der

Kriminaltechnik werden Waffen und Munition untersucht. Hierzu gehören sowohl Schuss- als auch Hieb- und Stichwaffen. Außerdem geht es um die rechtliche Einordnung von Waffen und Munition. Die Urkundentechnik wiede­ rum beinhaltet eine umfassende physikalische und chemische Überprüfung von Urkunden, Druckerzeugnissen, Pässen, Papier und sonstigen Schriftträgern hinsichtlich Merkmalen, die bei einer Echtheitsprüfung fälschungsrelevant sind. Die forensische Biologie ist eine der jüngsten kriminaltechnischen Fachgebiete in der Forensik inzwischen jedoch unersetzlich. Hierzu zählen die Fachgebiete DNA-Analyse, morphologische Haaranalyse und Textiluntersuchungen. Letzterer Bereich beinhaltet die Faservergleichsuntersuchungen, die Untersuchung von Handschuhspuren und die Identifizierung von Bekleidung. Mit Blick auf DNA-Untersuchungen erläutert Tanzhaus: “Jedes Landeskriminalamt, mit Ausnahme des Saarlandes, hat eine DNA-Untersuchungsstelle.” Im Saarland übernehme die Rechtsmedizin diese Aufgabe. In der chemischen Analytik geht es wiederum insbesondere um Materialanalysen, wie die Untersuchung von Lacken, Farben und Schmauchspuren, Analysen von Betäubungsmitteln und toxikologische Untersuchungen. Des Weiteren spielen in diesem Bereich die Brandursachenermittlung und die Brandanalytik eine große Rolle. Unter dem Begriff Daktyloskopie werden alle Erkenntnisse und Maßnahmen zusammengefasst,

die sich mit der Anwendung und Nutzbarmachung wissenschaftlicher Erkenntnisse im Hinblick auf kriminalistische Spuren von Hautleistengebilden beschäftigen. Dazu zählen insbesondere Fingerabdrücke. Der thematisch vielfältigste Bereich der Kriminaltechnik ist die forensische Informationsund Kommunikationstechnik (IuK). Hierbei geht es um die Untersuchung digitaler Spuren mit den Schwerpunkten Datensicherung, Datenrettung, Kryptoanalysen, Kfz-und Mobilfunkforensik, Hacking-Analysen und vieles mehr.

Original muss immer ­vorhanden sein Forensische Handschriftenuntersuchungen haben schließlich das Ziel, durch den Vergleich von Merkmalen zweier oder mehrerer Schreibleistungen Aussagen zur Frage der Echtheit von Unterschriften zu treffen beziehungsweise eine Identifizierung des Schrifturhebers durchzuführen. In Ausnahmefällen ist mit diesen Methoden auch eine zeitliche Einordnung fraglicher Schreibleistungen möglich. Dann werden sogenannte relative Altersbestimmungen vorgenommen. Voraussetzung für forensische Handschriftenuntersuchungen ist, dass das fragliche Material im Original vorliegt. Darüber hinaus braucht es genügend Vergleichsmaterial. Neben den Landeskriminal­ ämtern unterhält auch das Bundeskriminalamt (BKA) ein Kriminaltechnisches Institut (KTI). Ziel der Einrichtung ist es, mit neuartigen Begehungsformen und der dabei genutzten, sich stets weiterentwickelnden Technik Schritt zu halten. Zu den Aufgaben des BKA-KTI gehören die anlassbezogene Fallbearbeitung, Forschung und Entwicklung, die Unterhaltung kriminaltechnischer Sammlungen und Informationssysteme sowie die nationale und internationale Lehre und Beratung.

Das Thüringer Landeskriminalamt – zentrale Dienststelle der Kriminalpolizei

Geregelte und flexible ­Arbeitszeiten Wie bei allen anderen Untersuchungen erhält die ermittelnde Polizeidienststelle auch bei solchen Sachverhalten abschließend ein wissenschaftliches Sachverständigengutachten. Die Blutspurenmusteranalyse führt die Dezernatsleiterin, in deren Einheit mit Ausnahme einer Chemikerin und eines

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Ohne technische Unterstützung, zum Beispiel durch Roboter (Foto), geht es bei den Auswertungen im Bereich der Kriminaltechnik nicht mehr. Foto: BS/Fotostelle TLKA

(BS/mfe) Beim Thüringer Landeskriminalamt (TLKA), zu dem auch die Abteilung Kriminaltechnik gehört, handelt es sich um die zentrale Dienststelle der Thüringer Polizei für kriminalpolizeiliche Aufgaben. Laut Polizeiorganisationsgesetz (POG) übt es unter anderem die Fachaufsicht über die kriminalpolizeiliche Tätigkeit der Dienststellen der Thüringer Polizei aus. Zudem ist das TLKA die zentrale Dienststelle der Thüringer Kriminalpolizei im Sinne des Bundeskriminalamtgesetzes (BKAG) sowie Zentralstelle für das polizeiliche Informationsund Kommunikationswesen. Darüber hinaus fungiert das TLKA als Service-Dienststelle für alle Polizeidienststellen des Landes, als zentrale kriminaltechnische Untersuchungs- und Gutachtenstelle und als Dienststelle für das europäische Polizeiamt Europol. Eigene Ermittlungszuständigkeiten bestehen für die Behörde bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität (OK), des Terrorismus, der qualifizierten Wirtschaftskriminalität sowie der Nuklearkriminalität. Nicht zuständig ist das TLKA für die Kriminalprävention. Sie fällt in den Aufgabenbereich der Landespolizeidirektion.

Dienst und Standortverwaltung zuständig. In der Abteilung Polizeilicher Staatsschutz werden zentrale Aufgaben aus diesem Aufgabenbereich wahrgenommen. Weitere dort bearbeitete Phänomene sind die unterschiedlichen Formen der politisch motivierten Kriminalität aus allen Extremismusbereichen. Darüber hinaus sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Abteilung für den Personenschutz verantwortlich. Der Abteilung Einsatz- und Ermittlungsunterstützung obliegen lage- und einsatzbegleitende Maßnahmen, technische Unterstützung, die Spezialeinheiten sowie die Zuständigkeit für verdeckte Maßnahmen. In den Zuständigkeitsbereich der Abteilung Kriminaltechnik fallen unter anderem Physik, Chemie und Biologie. Außerdem geht es dort um Brände, DNA-Analytik so-

wie forensische Information und Kommunikation. Des Weiteren erfolgt hier die Analyse von Waffen, Formspuren und Urkunden. Auch die Daktyloskopie sowie die Bildbearbeitung sind hier verortet. Die Kräfte der Abteilung IuKTechnik sind zum Beispiel für Kommunikation, Vorgangsbearbeitungssysteme, Systemdienste, Fall- und Recherchesysteme sowie Verfahrensbetreuung und Auskunftsdienste zuständig. In der Abteilung Auswertung und Ermittlungen wird unter anderem gegen OK, Wirtschafts- und Umweltkriminalität sowie Cyber Crime vorgegangen. In der Abteilung IT-Koordination geht es schließlich um Multiprojektmanagement sowie Fachverfahren. Präsident des TLKA ist seit 2018 Jens Kehr. Er trat die Nachfolge von Frank-Michael Schwarz an, der die Behörde seit 2016 geleitet hatte.

Mehrere Abteilungen

Zahlreiche Proben und Spurenträger im Bereich der Kriminaltechnik müssen per Mikroskop untersucht werden. Andernfalls ließen sich keine Spuren finden und Schlüsse für die Ermittlungen ziehen. Foto: BS/LPD, Social Media Group

In der Kriminaltechnischen Untersuchungsstelle (KTU) führen Tanzhaus und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zahlreiche Untersuchungen durch. Tanzhaus selbst, die promovierte Biologin ist, führt zudem Blutspurenmusteranalysen durch. Hierfür ist sie die einzige Sachverständige in ihrem Dezernat. Diese Aufgabe nimmt sie landesweit wahr. Dabei finden auch Tatortrekonstruktionen statt. Foto: BS/LPD, Social Media Group

Das TLKA besteht aus sieben Abteilungen sowie den jeweils dazugehörigen Dezernaten. Hinzu kommt der Bereich ControllingQualitätsmanagement-Präsidialbüro zur Unterstützung der Leitung der Behörde. Die Abteilung Zentrale Dienste ist unter anderem für die Bereiche Personal, Innerer

Das Thüringer Landeskriminalamt (TLKA) ist die zentrale Dienststelle der Landespolizei für kriminalpolizeiliche Aufgaben im Freistaat. Seit 2015 befindet es sich in einem neuen Gebäude in Erfurt. Foto: BS/TLKA



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