17 minute read

Modernisierung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht ...Seite

Im Auftrag des Finanzministeriums wurden hierfür mit Unterstützung externer Berater zunächst die Strukturen der BaFin evaluiert und zahlreiche Gespräche mit Experten aus der Verwaltung, der Wirtschaft und dem Dritten Sektor (insbesondere Verbänden und Verbraucherschutzorganisationen) geführt. Zudem wurden internationale Benchmarks und Leistungsvergleiche erstellt. Die gewonnenen Erkenntnisse wurden in einer Gap-Analyse mit dem Zielbild einer flexiblen und schlagkräftigen “BaFin mit Biss” abgeglichen. Im Ergebnis wurden über 40 kurzfristige Reformmaßnahmen identifiziert. Das sich daran anschließende Projekt mit rund 100 Mitarbeitern zur Umsetzung dieser Maßnahmen wurde in acht Teilprojekte untergliedert.

Einige dieser Maßnahmen können als Beispiele für eine nachhaltige Verwaltungsreform anderer Organisation und Behörden dienen. So gewann das Projekt in der Kategorie “Bestes Projekt zur agilen Transformation” auch den “eGovernment-Wettbewerb” 2021. Die Verwaltung von morgen mit einem schnellen, agilen und evidenzbasierten Handeln werde, so die Jury, durch dieses “bahnbrechende Reformkonzept” besonders sichtbar. Vier Aspekte der BaFin-Reform scheinen dabei besonders relevant für die aktuelle Diskussion zur Verwaltungsmodernisierung.

Agilität

Zunächst sollte die Agilität der BaFin gestärkt werden. Ein Kernelement dieser Bemühung war dabei der Aufbau einer Fokusaufsicht. Diese befasst sich – gesteuert durch eine zentrale Einheit beim Präsidenten – geschäftsbereichsübergreifend mit risikoanfälligen Aufsichtsobjekten (z. B. mit komplexen neuen Geschäftsmodellen). Durch die Koordinationseinheit beim Präsidenten verfügt die Fokusaufsicht über die notwendige Autonomie, Flexibilität und Schnelligkeit. Die CaseTeams werden kurzfristig crossfunktional mit spezialisierten Aufsehern der verschiedenen Geschäftsbereiche projektbe-

“BaFin mit Biss”

Die Modernisierung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht

(BS/Dr. Dominik Böllhoff/Friedrich von Schönfeld) Eine der grundlegendsten Verwaltungsmodernisierungen in Deutschland durchläuft aktuell die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). In Reaktion auf die Bilanzmanipulationen und Insolvenz des Dax-Unternehmens Wirecard AG verabschiedete die Bundesregierung im Oktober 2020 u. a. einen Aktionsplan zur Bekämpfung von Bilanzbetrug und zur Stärkung der Kontrolle über Kapital- und Finanzmärkte. Dahinter stand die Erkenntnis, dass eine Gesetzesreform allein nicht ausreichen würde, sondern die Reform gesamtheitlich auch die operative Leistungsfähigkeit der Verwaltung in den Blick nehmen müsse. Neben einer umfangreichen legislativen Reform sah der Plan der Bundesregierung daher auch die operative Modernisierung der BaFin vor.

Zielbild der Reform der BaFin

Grafik: BS/BMF

zogen und für kurze Zeiträume zusammengestellt. Dadurch werden Silos der einzelnen Geschäftsbereiche aufgebrochen, Beschäftigte vernetzen sich, lernen voneinander und bringen ihre Projekterfahrung zurück in ihre Herkunftsteams.

Digitalisierung

Die Aufseher der BaFin sollen zudem mithilfe modernster Technologien effizienter und stärker datengetrieben arbeiten. Hierzu wird in der BaFin eine zentrale Analytics-Einheit, die Data Intelligence Unit (DIU), aufgebaut. Die Einheit verfolgt das Ziel, Kompetenzen und Tools für die digitale Analyse von Daten und Informationen im Rahmen des Aufsichtshandelns bereitzustellen und weiterzuentwickeln. Sie ist das Bindeglied zwischen den Datenexperten in den Geschäftsbereichen und der IT. Die DIU entwickelt vor allem das AufseherCockpit. Mit dieser IT-Lösung erhalten die Aufseher alle für ihre jeweilige Arbeit notwendigen Informationen auf einen Blick aus allen Geschäftsbereichen, bereits automatisch vorausgewertet und mittelfristig auch unter Einsatz modernster Technologien: Mittels Text-Crawling soll das Internet automatisiert auf Hinweise unlauteren Verhaltens durchsucht, mittels Künstlicher Intelligenz sollen große Datenmengen (Big Data) auf Auffälligkeiten geprüft werden, Workflows sollen Arbeitsprozesse unterstützen und transparent machen.

Zielorientierte Führung

Für eine zielorientierte Führung werden in der BaFin Zuständig-

Dr. Dominik Böllhoff, Projektleiter des Projekts MoBaFin, Dr. Friedrich von Schönfeld, Stellv. Projektleiter. Beide arbeiten im Bundesministerium der Finanzen. Fotos: BS/privat gestärktem Präsidenten, Direktorium und Exekutivdirektoren erlauben eine effizientere Entscheidungsfindung. Über die Gesamtorganisation werden weitere Instrumente für eine effiziente Steuerung implementiert. So helfen etwa Zieldialoge, die Gesamtorganisation systematisch, strategisch und geschäftsbereichsübergreifend zu führen. Proaktivität und Krisenfestigkeit

keiten, Rollen und Verantwortlichkeiten klarer verteilt. Zunächst wurde die Leitungsstruktur gestärkt. Der Präsident erhält mehr Verantwortung für die Gesamtsteuerung. Klar definierte Verantwortlichkeiten zwischen Krisenvorbeugung ist eine der originären Aufgaben der BaFin. Durch das Modernisierungsprojekt bei der BaFin werden nun weitere Systeme aufgebaut, um den Finanzmarkt noch besser beaufsichtigen zu können. Mit der neuen Taskforce-Einheit kann die BaFin bei ersten Krisenanzeichen von Instituten schnell vor Ort eingreifen und eigene Adhoc-Prüfungen vornehmen. Durch eine intensivere Bilanzkontrolle werden die Abschlüsse der Emittenten proaktiv und ggfs. auch vor Ort überprüft. Zur Stärkung des kollektiven Anlegerschutzes werden verdeckte Testkäufe (Mystery Shopping) durchgeführt. Zugleich beschäftigen sich die übergreifenden Einheiten mit neuen Geschäftsmodellen auf dem Finanzmarkt, sodass etwa bei neuen digitalen Geschäftsmodellen frühzeitig Schwierigkeiten erkannt werden können. Um ergänzend einen engeren Kontakt in den Markt zu entwickeln, wird im Modernisierungsprojekt eine neue Einheit, die Market Contact Group, eingerichtet. Diese soll den Austausch mit den Marktteilnehmern pflegen, Marktinformationen sammeln und auswerten. Die Ergebnisse ihrer Arbeit werden in die Aufsichtsarbeit eingespeist; dadurch werden neue Impulse gesetzt. Darüber hinaus wird die Hinweisgeberstelle optimiert. Damit wird die Bereitschaft von Wissensträgern gestärkt, sich an die BaFin zu wenden. Die Ansprache (etwa im Internet) wird verbessert, es wird umfangreich über Verfahren sowie Rechte aufgeklärt,und den Hinweisgebern werden persönliche Ansprechpartner an die Seite gestellt. Ein neues Hinweisgebersystem sammelt, filtert und priorisiert die eingehenden Hinweise, sorgt für eine schnelle Auswertung durch Experten und speist Erkenntnisse als Basis weiterer Aufsichtshandlungen in die Organisation ein.

Anstoß und Grundlage

Seit Februar 2021 haben BMF und BaFin, unterstützt von externen Beratern, die Reform in einem gemeinsamen Projekt vorangetrieben. Mit Start des neuen Präsidenten der BaFin, Mark Branson, wird die Reform nun sukzessive bis Jahresende in die alleinige Verantwortung der BaFin übergeben. Damit ist das Projekt Anstoß und Grundlage für einen langfristigen und kontinuierlichen Modernisierungsprozess der BaFin.

Neues, schnelles Feedback-Format

Puls-Checks im Statistischen Bundesamt

(BS/Anja Gühnen/Dr. Sonja Leischner/Simone Seeger) Die Kontrolle der Herzfrequenz obliegt für gewöhnlich medizinischem Fachpersonal. Ziel ist es, über das Wohlbefinden der Patientin oder des Patienten zu befinden. Ist der Puls zu schnell oder zu langsam, müssen entsprechen Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Genau wie Ärztinnen oder Ärzte sich um ihre Patientinnen und Patienten kümmern, ist es für Arbeitgeber von zentralem Interesse, die Belange der Beschäftigten zu kennen: Was läuft gut? Wo gibt es Optimierungspotenzial? Wo geben wir vielleicht ein zu hohes Tempo vor? An welchen Stellen dauern Prozesse zu lange?

Hierzu setzt das Statistische Bundesamt – als neues Format des Beschäftigtenfeedbacks – sogenannte Puls-Checks ein. Dabei handelt es sich um eine OnlineBefragung, deren Beantwortung nicht länger als fünf Minuten dauert und die einmal pro Monat zu einem aktuellen Thema durchgeführt wird. Dabei geht es um Themen, die sowohl für Beschäftigte als auch für die Leitungsebene und die Verwaltung relevant sind.

Ein Puzzleteil des Feedbacks

Der erste Puls-Check zum Thema “Arbeiten in der Pandemie” kam bei den Beschäftigten gut an; jede/r zweite Beschäftigte hat an der Befragung teilgenommen. Thematisch ging es darum, herauszufinden, wie es unseren Beschäftigten mit den Herausforderungen der Corona-Pandemie im Arbeitskontext geht. Konkret wurde mit drei Fragen erfasst, wie Beschäftigte mit den Anforderungen ihrer Arbeit zu Pandemiebedingungen aktuell zurechtkommen, welche einzelnen Faktoren (wie z.B. die Umsetzung von Hygienemaßnamen, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder auch die Kommunikation mit den Vorgesetzten) während der Pandemie wie funktioniert haben und welche konkreten Vorschläge Beschäftigte zur Verbesserung des Arbeitens unter Pandemiebedingungen sehen. Frei nach dem Motto “Nach dem Puls-Check ist vor dem PulsCheck” sind die Planungen für die nächste Befragung bereits wieder in vollem Gange. Der Puls-Check ist nur ein Puzzleteil des Beschäftigtenfeedbacks im Statistischen Bundesamt. Zusätzlich wird es Ende 2021 eine umfassende Beschäftigtenbefragung geben. Diese wird seit vielen Jahren in regelmäßigen Abständen eingesetzt und soll ein ganzheitliches Bild der Arbeitsrealität abbilden. Die Ergebnisse des Puls-Checks werden transparent im Intranet veröffentlicht und mit den Beschäftigten diskutiert, um Verbesserungspotenziale abzuleiten. Im Fokus stehen bei diesem Austausch Beschäftigtengruppen oder Arbeitsbereiche, die von einzelnen Themen speziell betroffen sind. Um einen geregelten – und somit gesunden – “Puls-Schlag” unserer Beschäftigten zu gewährleisten, gilt es, auf aktuelle Stimmungen zu reagieren und, im Sinne der Beschäftigten, Verbesserungen einzuleiten. Im Hinblick auf das “Arbeiten in der Pandemie” erwies sich unser Pulsschlag als sehr regelmäßig. Der BND-Präsident erläuterte: “Ein Baustein ist die engere Verzahnung der Auswertung mit allen nachrichtendienstlichen Beschaffungsarten.” Ähnliche Aufgaben würden zusammengelegt, “um unsere Gesamtleistung und Schnelligkeit weiter zu erhöhen.” Kahl zeigte sich überzeugt: “Mit dieser Organisationsreform stellen wir sicher, dass unsere zahlreichen Ansätze für einen modernen und zugkräftigen Auslandsnachrichtendienst effektiv greifen.” Künftig – auch aufgrund der jüngsten Geschehnisse in Afghanistan – solle die Auswertung im BND einen noch stärkeren Fokus auf die Entwicklung und Prüfung von Hypothesen erhalten, um daraus fundierte strategische Analysen zu erstellen. “Die Ausbildung und Nutzung von Szenariotechniken sowie das kritische Hinterfragen eigener Annahmen sollen in der Auswertung künftig eine größere Rolle spielen, so Kahl. Als eine weitere Herausforderung benannte er die Umsetzung des reformierten BND-Gesetzes, das in Gänze am 1. Januar kommenden Jahres in Kraft tritt, in die nachrichtendienstliche Praxis. Bis dahin müsse sein Dienst einige IT-Anpassungen vornehmen. Der Zeitplan dafür sei sehr ambitioniert. Der Reformbedarf beziehe sich etwa auf Kennzeichnungs- und Löschprotokollierungspflichten. Es gehe aber auch um die zu Kontrollzwecken erforderliche Dokumentation. Auch im Militärischen Abschirmdienst (MAD) brauche es Modernisierung und Professionalisierung, so Behördenpräsidentin Martina Rosenberg. Denn nur dann könnten die für den Bereich der Extremismusabwehr benötigten Fähigkeiten verbessert werden. Das gelte ganz besonders mit Blick auf den Rechtsextremismus. Neueste Technik und genügend qualifiziertes Personal seien hier dringend nötig, so Rosenberg. Um den MAD zukunftsfähig und den Aufgaben angemessen aufzustellen, “habe ich im letzten Jahr das Maßnahmenpaket, das mein Amtsvorgänger bereits aufgesetzt hatte, weiterentwickelt und erste Teile bereits umgesetzt”, berichtete die Präsidentin. So habe der Dienst in 2020 und 2021 einen deutlichen Personalaufwuchs zu verzeichnen gehabt.

Die Köpfe hinter dem Puls-Check (v. l. n. r.): Anja Gühnen, Leiterin des Referats “Personalgewinnung und Personalentwicklung”, Dr. Sonja Leischner, Gruppenleiterin “Personal” und Simone Seeger, Referentin “Personalgewinnung und Personalentwicklung” beim Statistischen Bundesamt. Foto: BS/Destatis

Organisation wird angepasst

Modernisierung des BND vorgesehen

(BS/mfe) Der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Dr. Bruno Kahl, hat eine weitere strategische Modernisierung seiner Behörde angekündigt. Im Zuge dessen soll es ein neues organisatorisches Gerüst geben.

Seit Sommer 2021 haben alle 99 bayerischen Gerichte Zugang zu Videokonferenzanlagen. Der Kläger sitzt in Hamburg, die Beklagte in München, die Kammer im Gerichtssaal und alle verhandeln virtuell. Das verkürzt Verfahren, erspart Wartezeiten und schützt in Zeiten der Pandemie die Gesundheit der Prozessbeteiligten.Zum Ausbau der Videoverhandlungen setzt die Justiz auch auf ein VideoKonferenz-Tool. Nach einer erfolgreichen Pilotphase wurde der Einsatz inzwischen bayernweit freigegeben. Bereits tausende Verhandlungen werden an Bayerns Gerichten inzwischen als Videokonferenz geführt. Ob sich ein Verfahren dafür eignet, entscheidet die Richterin/der Richter in richterlicher Unabhängigkeit. Der elektronische Rechtsverkehr ist eingeführt: Mehr als sieben Millionen Nachrichten werden derzeit jährlich elektronisch ausgetauscht. Ab 2022 wird das virtuelle Datenvolumen deutlich steigen, weil professionelle Prozessbeteiligte, insbesondere Anwälte, verpflichtet sind, Schriftsätze elektronisch einzureichen.

Bis 2026 sind alle deutschen Gerichte verpflichtet, auf elektronische Akten umzustellen. Mehr als 46.000 Verfahren wurden in Bayern bereits rein digital geführt. Bis zum Jahresende wird die E-Akte bei der Hälfte der bayerischen Landgerichte in Zivilsachen erster Instanz eingeführt sein. Die Digitalisierung erfolgt nicht auf Knopfdruck. Sie ist ein Weg, auf den sich etwa 15.000 Justizangehörige an 127 Standorten in Bayern begeben haben. Dieser Aufbruch führt zu erheblichen Veränderungen der Arbeitsabläufe und stellt hohe Anforderungen an alle Justizangehörigen. Die digitalen Maßnahmen müssen dabei laufend optimiert werden.

#digitalejustiz

Die Digitaloffensive der bayerischen Justiz

(BS/Georg Eisenreich) Die bayerische Justiz möchte die Chancen der Digitalisierung nutzen. Die Digitalisierung gehört daher längst zu ihrem Alltag und wird stetig vorangetrieben. Die bayerische Justiz hat den Anspruch, digital zu arbeiten und menschlich zu handeln. Die Bereitschaft der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sich auf die Digitalisierung einzulassen, ist groß.

Modernisierung des Zivilprozesses Die Zivilprozessordnung ist nicht für die digitale Welt gemacht. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe und eine Arbeitsgruppe der Präsidentinnen und Präsidenten der Obergerichte haben eine sehr

gute DiskussionsGeorg Eisenreich (CSU) ist grundlage für die Mitglied des Bayerischen Modernisierung Landtags und Staatsminis- des Zivilprozester der Justiz. Zuvor war er ses erarbeitet. Der bayerischer Staatsminister Bund muss jetzt für Digitales, Medien und tätig werden und Europa. alle Akteure in die Foto: BS/Bayerisches Diskussion einbeStaatsministerium der Justiz ziehen: Gerichte, Rechtsanwälte, Wissenschaftler, Wirtschaft, Verbraucherverbände. Dann muss zeitnah mit der Umsetzung begonnen werden. Die Initiative #digitalejustiz Die bayerische Justiz setzt bei der Digitalisierung auf eine frühe und breite Einbindung der Justizangehörigen. Gemeinsam mit Gerichten und Staatsanwaltschaften, den Hauptpersonalvertretungen sowie den Berufsverbänden erarbeitet das Justizministerium deshalb aktuell die Initiative #digitalejustiz. Zum Auftakt gab es bereits im März 2020 einen Workshop. Seit Oktober 2021 finden an mehr als 20 Standorten Regionalversammlungen statt. #digitalejustiz bietet den Justizangehörigen ein Forum, um Erfahrungen auszutauschen und Ziele für das digitale Arbeiten zu definieren. Digitale Ziele der bayerischen Justiz

“Die Justiz ist für die Menschen da”, lautet unsere Maxime in Bayern. Klar ist: Auch in einer immer digitaler werdenden Justiz steht der Mensch weiter im Mittelpunkt. Es ist unser Ziel, den bereits sehr hohen Standard an Qualität und Bürgerfreundlichkeit der Justiz weiter zu verbessern. Zudem wollen wir noch attraktivere Arbeitsplätze in der Justiz bieten. Wir investieren sehr viel Geld in die technische Ausstattung, in Schulungen und Fortbildungen.

Digitale Agenda

Wir setzen auf ein Bündel an Maßnahmen und gehen dabei auch neue Wege. Immer mehr Verbraucher und Unternehmen nutzen die Vorteile von “Legal Tech”, um ihre Rechte im Internet durchzusetzen. Legal -TechPlattformen können den Zugang zum Recht verbessern, Zeit und Kosten sparen. Bayern möchte, dass die Chancen von Legal Tech genutzt werden. Auf der anderen Seite hat sich Bayern in der Vergangenheit aber auch für eine Verschärfung der Anforderungen an die Legal-Tech-Plattformen auf Bundesebene eingesetzt, um die Rechtssicherheit für Verbraucher zu verbessern. Unsere Forderungen hat der Gesetzgeber nur teilweise umgesetzt. Weitere Verbesserungen sind aus Sicht Bayerns notwendig. Bayrische Denkfabrik

Die “Denkfabrik Legal Tech” ist ein Diskussionsforum des bayrischen Justizministeriums mit mehr als 260 Experten aus Justiz, Wirtschaft, Wissenschaft, Anwaltschaft und Notarwesen. Hier werden die Entwicklungen in der Digitalisierung und deren rechtliche Fragestellungen vorgestellt und diskutiert. Bayern möchte auch die Chancen der Blockchain-Technology nutzen. Gemeinsam mit der Bundesnotarkammer erprobt die bayerische Justiz seit 2020 ein digitales Gültigkeitsregister. Ein mehrfach preisgekröntes Projekt, das u. a. vom Bundeswirtschaftsminister mit dem “Innovationspreis Reallabore” ausgezeichnet wurde. Das Vertrauen in die Justiz ist zentrales Element des Rechtsstaats. Deshalb behalten wir auch die Risiken der Digitalisierung im Blick. Den Kampf gegen Kinderpornografie, Hass und Hetze, den Darknet-Handel mit illegalen Waffen oder Drogen sowie Hacker-Angriffe führen wir konsequent. Die bayerische Justiz hat ihre Strukturen verstärkt und bei der “Zentralstelle zur Bekämpfung von Cybercrime” (ZCB) ein “Zentrum zur Bekämpfung von Kinderpornografie und sexuellem Missbrauch im Internet” (ZKI) gegründet. Das Recht muss auf der Höhe der Zeit sein. Bayern hat daher in Berlin, zum Teil zusammen mit anderen Bundesländern, rechtspolitische Forderungen eingebracht wie die Zulassung von “Keuschheitsproben” für Ermittler im Kampf gegen sexuellen Missbrauch und Kinderpornografie, einen eigenen Straftatbestand für das Betreiben krimineller Plattformen sowie einen besseren Schutz vor Cyber-Stalking und Cyber Crime. Bei der Frühjahrskonferenz der Justizminister hat Bayern mit Blick auf die Digitalisierung weitere Vorschläge eingebracht, z. B. die Forderung nach härteren Strafen bei strafrechtlich relevanten Deepfakes, computertechnisch manipulierten Bildaufnahmen.

eBO kommt

Weg frei für elektronischen Rechtsverkehr?

(BS/stb) Ab 1. Januar 2022 sollen Bürger/-innen, Unternehmen, Verbände und Verfahrensbeteiligte wie Sachverständige oder Insolvenzverwalter Dokumente auch elektronisch an Gerichte schicken und von Gerichten erhalten können. Grundlage ist das elektronische Bürger- und Organisationen-Postfach (eBO). Wie immer, wenn es bei digitalen Verwaltungsangeboten um Rechtssicherheit und Datenschutz geht, sind die praktischen Hürden hoch und die Begeisterung klein.

Noch sind einige Justizmitarbeiter/-innen skeptisch gegenüber dem elektronischen Rechtsverkehr. Ihre Sorgen richten sich vor allem gegen den vorübergehenden Mehraufwand sowie mögliche Sicherheitsmängel. BS/Kai Reschke, pixabay.com

Mit der Änderung der “Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung” (ERVV) führt der Gesetzgeber das Recht für natürliche und juristische Personen sowie Vereinigungen ein, elektronische Dokumente an Gerichte sicher mittels eBO zu versenden. Das soll die Führung elektronischer Akten an Gerichten erleichtern. Elektronisch empfangene Dokumente lassen sich direkt ins E-Akten-System eingliedern, während Papierdokumente vorher eingescannt werden müssen. Das spart Zeit und verschlankt Arbeitsabläufe. Der Gesetzgeber will außerdem den Zugang zum Recht erleichtern. Leicht wird er allerdings nicht allen fallen. Die Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr mittels eBO geht mit einigen Voraussetzungen einher, schließlich geht es teils um sehr sensible Informationen und rechtssichere Bearbeitung. Die Identität des Postfachinhabers muss festgestellt worden sein, er muss sich beim Versand authentisieren und es muss feststellbar sein, dass das Dokument auch tatsächlich vom Postfachinhaber selbst versandt wurde. Wer die eID-Funktion des Personalausweises bzw. Aufenthaltstitels nicht nutzt – also die meisten Bürger/-innen – braucht zur Einrichtung des Postfaches eine öffentlich beglaubigte Erklärung. Allerdings braucht es für die Authentisierung beim Versand von Dokumenten ebenfalls die eID-Funktion oder alternativ ein Authentisierungszertifikat, zum Beispiel das für Elster eingesetzte. Zumindest hier gibt es eine Erleichterung gegenüber bisher geltendem Recht. Bisher war eine qualifizierte elektronische Signatur erforderlich – ein Authentisierungsmittel, das unter Bürger/-innen noch unbekannter ist als die eID-Funktion des Personalausweises. Den elektronischen Rechtsverkehr bremsen aber längst nicht nur die technischen Hürden für juristische Laien. Anwält/-innen, insbesondere kleinere Kanzleien und einzeln Tätige, sperren sich seit Jahren gegen die stärkere Digitalisierung. Sie fürchten in der Übergangszeit Mehraufwände, weil sie eine Vielzahl an Zustellwegen ermöglichen müssen, und sie scheuen Kosten für die Einrichtung elektronischer Postfächer. Dazu kommen Sicherheitsbedenken. So wurden beim 2016 an den Start gegangenen besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) grundlegende Sicherheitsmängel bekannt. Im Herbst 2018 wurde es nach einem Dreivierteljahr Abstinenz in verbesserter Form wieder in Betrieb genommen.

Experimente wagen

Ein Gerichtslabor erprobt die Aufzeichnung von Prozessen

(BS/Benjamin Stiebel) Was manche Richter und Staatsanwälte als tabu betrachten, will die Universität zu Köln in simulierter Umgebung erforschen und binnen eines Jahres sogar praktisch erproben. Die audiovisuelle Dokumentation und automatisierte Wortlautprotokollierung von Hauptverhandlungen. ExperimentierRaum ist das erste Gerichtslabor Deutschlands.

“Auf Basis von Fakten und nicht von Erinnerungen urteilen”, so fasst Oberstaatsanwalt Markus Hartmann das Ziel zusammen. Hartmann ist Leiter der Zentral- und Ansprechstelle Cyber Crime Nordrhein-Westfalen (ZAC NRW). Er ermittelt und führt Verhandlungen in Fällen von Cyber-Kriminalität und Schwarzhandel im Darknet. Er ist komplexe und langwierige Gerichtsprozesse gewöhnt, 20 oder 30 Verhandlungstage über viele Monate verteilt sind keine Seltenheit. Ein erheblicher Teil seiner Arbeit bestünde darin, mitzuschreiben, was vor Gericht gesagt werde, erzählt Hartmann. Stenotypist/-innen gibt es in Hauptverhandlungen an deutschen Gerichten nicht. Alle – Richter/-innen, Staatsanwält/innen, Verteidiger/-innen – arbeiten mit ihren eigenen Mitschriften. Aussagen lassen sich im Nachhinein also nicht exakt reproduzieren. Gerade das würde die Qualität der Hauptverhandlung bei Strafprozessen aber deutlich verbessern, ist sich Hartmann sicher. “Ein erheblicher Teil meiner Arbeitskraft könnte für die juristische Arbeit aufgewandt werden, statt für das Mitschreiben.” Zudem wäre mit besseren Urteilen zu rechnen. “Bei der Erstellung des Plädoyers muss ich die Beweismittel würdigen”, so der Oberstaatsanwalt weiter. “Wenn ich das nicht anhand meiner möglichweise lückenhaften oder schwer leserlichen Mitschriften, sondern anhand eines exakten Wortlautprotokolls tun kann, komme ich von einem Erinnerungsplädoyer zu einem zunehmend faktenbasierten Plädoyer.” Die Vision: Die Hauptverhandlung wird in Gänze audiovisuell aufgezeichnet. Aus diesem Material wird KI-gestützt ein exaktes Wortlautprotokoll erstellt. Dieses können Richter/-in, Staatsanwält/-in und Verteidiger/-in im Nachgang über eine sichere Cloud abrufen. Der Klick auf eine Stelle im Wortprotokoll führt direkt zur entsprechenden Stelle in der Videoaufzeichnung. Technisch ist das kein Hexenwerk. In der Anwendung für manche schon. “Die Idee hat im Moment kaum Anhänger in der Praxis. Bei vielen erzeugt sie regelmäßig hohen Blutdruck”, gibt NRW-Justizminister Peter Biesenbach zu bedenken. Ein Einwand betrifft die Strafprozessordnung. Die Revision als Rechtsmittel gegen Urteile ist eine rein verfahrensrechtliche Prüfung. Das Revisionsgericht stellt nur fest, ob das Urteil ordnungsgemäß zustande gekommen ist. Eine erneute Beweisaufnahme ist ausgeschlossen. Hätte ein Revisionsgericht aber Zugriff auf eine vollständige Reproduktion der Verhandlung, würde es sich zur zweiten Tatsacheninstanz entwickeln, so die Befürchtung. Ein anderes Problem: Die Aufzeichnung würde auch das Verhalten der Prozessbeteiligten genau dokumentieren. Eine Art feingranulare Kontrollinstanz sehen manche als Einschränkung der richterlichen Unabhängigkeit. Auch wenn die Mitschnitte nicht als Kontrollinstrument verwendet werden dürften, könnte schon das Wissen um die spätere Reproduzierbarkeit zu einer Verhaltensänderung führen. Das steht auch genauso für alle anderen Prozessbeteiligten zu befürchten, einschließlich den Zeug/-innen. Den Bedenken muss begegnet werden. Mit klugen Regelungen, wenn die Aufzeichnung eingeführt wird, dafür hat eine Expertenkommission im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz bereits Vorschläge gemacht. Nun geht es darum, mehr Wissen über die Auswirkungen der Technik zu sammeln. Darum gegrüßt Biesenbach die “mutige Initiative” der Universität zu Köln. Mit dem Gerichtslabor hat die renommierte rechtswissenschaftliche Fakultät eine Experimentier-Umgebung geschaffen, in der die Forscher/innen ein System zur Dokumentation und Aufzeichnung unter realistischen Bedingungen erproben können. Ein System übrigens, das in ähnlicher Form schon seit 20 Jahren in Spanien genutzt wird. Dort zeichnen mittlerweile rund 3.000 Gerichte Verhandlungen auf. Technischer Partner ist Fujitsu. Träger des Labors sind neben der Uni der Deutsche EDV-Gerichtstag, der Kölner Anwaltverein, das Landgericht Köln und die ZAC NRW. Automatische Wortlautprotokolle erstellt die Technik im Gerichtslabor zurzeit noch nicht. Das sei ein Langzeitziel, wie Prof. Dr. Dr. Frauke Rostalski erklärt. Erst mal gehe es darum, zentrale Fragen wissenschaftlich zu bearbeiten, so die Lehrstuhlinhaberin: Wie schwer wiegt der Eingriff ins Persönlichkeitsrecht der vor Gericht auftretenden Personen? Welche Missbrauchsrisiken bestehen und wie lassen sie sich minimieren? Welche Auswirkung hat das Bewusstsein über die Aufzeichnung auf das Handeln der Prozessbeteiligten und auf die Urteilsfindung? In etwa einem Jahr soll das System erstmals in echten Verhandlungen getestet werden – auf freiwilliger Basis. Pilotgericht soll das Landgericht Köln sein. Die rechtswissenschaftliche Fakultät wird das Gerichtslabor auch für die juristische Ausbildung nutzen, als Trainingsraum, in dem Verhandlungen simuliert werden. “Der Nachwuchs kann hier Gerichtsluft schnuppern und seine Kompetenzen testen und ausbauen”, freut sich Rostalski. “Zum Beispiel üben die Studierenden das Halten von Plädoyers in realistischer Umgebung und können sich ihre aufgezeichneten Auftritte nachträglich anschauen und sie analysieren.” Unterm Strich zeigt sich Landesjustizminister Biesenbach bei der Eröffnung des Labors dann doch zuversichtlich, dass Vorbehalte gegen die Aufzeichnung bei Strafprozessen bald abgebaut werden. Zumindest die kommende Generation von Jurist/-innen wird frühzeitig an Perspektiven einer digitaleren Justiz herangeführt.