Aussetzung der Schuldenbremse und Investitionen in Milliardenhöhe – die Regierung Merz krempelt die Ärmel hoch, um Deutschland wieder auf Kurs zu bringen. Kommunales Finanzdesaster, zu wenig Personal und eine schleppend voranschreitende Digitalisierung: Innerhalb der Verwaltung müssen etliche Baustellen abgearbeitet werden. Mit Geld allein wird sich Deutschlands Handlungsfähigkeit nicht wiederherstellen lassen.
Wieder ins Handeln kommen
Gewerkschaftsforderungen zum Tag des Öffentlichen Dienstes (BS/Anne Mareile Moschinski) Ein historisches Finanzierungsdefizit und eine bröckelnde Infrastruktur: Zum Tag des Öffentlichen Dienstes demonstrieren kommunale Spitzenverbände, Gewerkschaft und Politik Einigkeit bei der Frage, wie den Kommunen aus dem Problemsumpf zu helfen und ein funktionierender Staat zu gewährleisten ist.
Insgesamt 5,4 Millionen Menschen waren im Juni 2024 im Öffentlichen Dienst in Deutschland angestellt. Damit arbeitete jeder achte Beschäftigte in einer Behörde – 1,8 Prozent mehr als 2023. Das geht aus aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes hervor. Die Personalzuwächse stimmen optimistisch, täuschen aber nicht über die Notwendigkeit hinweg, ins Handeln zu kommen, um für einen zukunftsfähigen Öffentlichen Dienst zu sorgen. „Der Sozialstaat ist eine unverzichtbare Säule der öffentlichen Daseinsvorsorge“, sagt die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Christine Behle. Nötig sei dafür eine ausreichende personelle und
infrastrukturelle Ausstattung. „Der Sozialstaat lebt vom Vertrauen in seine Fairness.“
Stellenpläne nach Kassenlage
Zur Gewährleistung der öffentlichen Daseinsvorsorge gehört auch die Kompensation des bestehenden und sich verschärfenden Fachkräftemangels. Die aktuelle Situation – in Feuerwehren oder Kitas – ist allerdings alles andere als zufriedenstellend. „Stellenpläne für die Feuerwehr werden nach Kassenlage entschieden“, sagt Erik Brumm, Feuerwehrmann bei der Berufsfeuerwehr Frankfurt am Main und Mitglied im Verdi-Fachvorstand Feuerwehr. Damit Bürgerinnen und Bürger die erforderliche Hilfe im Notfall erhalten, brauche es langfristige Personalkonzepte. Aktuell werde der Stellenmangel durch Mehrarbeit der Belegschaft kompensiert. Worst-Case-Szenarios, in denen Feuer nicht mehr gelöscht werden können, habe es dank der Einsatzbereitschaft der Mitarbeitenden bislang aber nicht gegeben. Im zivilen Bereich der Bundeswehr ist die Lage ähnlich prekär. So seien hier in den vergangenen Jahren
rund 100.000 Tarifbeschäftigte abgebaut worden, erklärt Thorsten Schmidt, Verdi-Fachvorstand Bundeswehr. Wegen dieses enormen Stellenabbaus befinde man sich erst seit 2015/16 langsam wieder in einem Aufwuchs, vor allem Elektrotechniker im Gebäudebereich, aber auch Köche sowie Pflegekräfte für die Bundeswehrkrankenhäuser würden händeringend gesucht. Öffentliche Arbeitgeber sollten sich allerdings nicht gegenseitig die Beschäftigten stehlen, sagt Schmidt Höhere Durchlässigkeit zwischen den Behörden
Marc Elxnat, Beigeordneter für Arbeitsmarktpolitik beim Deutschen Städte- und Gemeindebund (DStGB), plädiert für eine höhere „Durchlässigkeit“ im Öffentlichen Dienst. Er hält zudem eine bessere Wertschätzung der Behördenarbeit für nötig, um die Attraktivität der Verwaltungsberufe zu steigern. Auch die ehemalige SPD-Vorsitzende Saskia Esken verweist darauf, dass die Durchlässigkeit innerhalb der Behörden im Konsens und nicht im Wettbewerb zu geschehen habe. Die Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen müsse insgesamt „besser werden“. Verbunden mit dem Bestreben, die Handlungsfähigkeit des Öffentlichen Dienstes zu gewährleisten, ist auch die Beantwortung der offenen Finanzierungsfragen. Alexander Bätz, Vorsitzender des Bezirks-
personalrats der Generaldirektion Wasserstraßen- und Schifffahrt, macht klar: „Mit der jetzigen Finanzierung wird es keine Verbesserung der Infrastruktur geben.“ Es würden lediglich Löcher gestopft. Nötig seien aber langfristige Verkehrswegeplanungen und überjährige Finanzierungen. „Die Infrastruktur wurde über viele Jahre kaputtgespart. Das fällt uns jetzt auf die Füße“, erklärt auch Swantje Michaelsen (Bündnis 90/Die Grünen), Mitglied im Verkehrsausschuss des Bundestags. Um beim Klimaschutz voranzukommen, müssten ÖPNV und Bahn ausgebaut werden. Parallel gebe es aber auch einen hohen Sanierungsbedarf auf den Straßen. „Die Menge des Geldes, das wir in die Hand nehmen, wird nicht reichen“, so Michaelsen Sondervermögen löst nicht die Probleme 2024 hatte es bei den Kommunen mit 24 Milliarden Euro das höchste Finanzierungsdefizit überhaupt gegeben. Nun müsse man zunächst einmal abwarten, was von den 100 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen bei den Kommunen am Ende „hängen bleibe“, sagt Timm Fuchs, Beigeordneter beim Deutschen Städte- und Gemeindebund. „Das Geld ist eine große Hilfe, aber es löst die Probleme nicht“, so Fuchs. Es brauche eine strukturelle Verbesserung der Kommunalfinanzen.
Booster mit Bremsen
Das Investitionssofortprogramm der Regierung soll den Staat auf Wachstumskurs bringen. Doch die Maßnahmen haben mehrere Haken. Seite 8
Tauschen gegen Wohnnot
Der Wohnungsmarkt steht weiter unter Druck. Viele Kommunen fördern deshalb den Wohnungstausch. Eine sinnvolle Strategie? Seite 11
Zentren am Stadtrand Rechenzentren nehmen im kommunalen wie globalen Gefüge eine wichtige Rolle ein – und zeigen die Probleme der Digitalisierung. Seite 21
Adressfeld
Nr. VII / 41. Jg / 28. Woche
Bonn und Berlin / Juli 2025
Schwerpunktthema der Ausgabe
Schnuppertag
Zwischen Vertrauen und Verfahren
Mehr Bürgerklagen: eine juristische und demokratische Herausforderung S 13 Neustart des Motors Zentrale Kfz-Zulassung konkretisiert Dresdner Forderungen S 22
Die Bundeswehr auf Netzsuche Nachholbedarf in den Dimensionen CIR und im Weltraum S 31
Die Regularien des Verfassungsschutzes Zwischen zu viel und zu wenig Kommunikation S 35
Folgen Sie diesem Icon: Dieses Icon finden Sie auf mehreren Seiten der aktuellen Ausgabe Es zeigt an, dass es sich bei dem jeweiligen Beitrag um einen Schwerpunktartikel zum Thema „ÖD can do it“ handelt
Impressum
Der Behörden Spiegel wird verlegt von der ProPress Verlagsgesellschaft mbH.
Herausgeberin und Chefredakteurin Dr Eva-Charlotte Proll
Stellvertretender Chefredakteur Guido Gehrt
Leiterin der Berliner Redaktion Anne Mareile Moschinski
Leiter der Bonner Redaktion Bennet Biskup-Klawon
Aktuelles Öffentlicher Dienst Ann Kathrin Herweg, Sven Rudolf, Hans-Jürgen Leersch
Kommune Julian Faber, Scarlett Lüsser
Digitaler Staat Christian Brecht, Paul Schubert, Anna Ströbele
Sicherheit & Verteidigung Jonas Brandstetter, Thomas Hönig, Mirjam Klinger, Lars Mahnke, Klaus Pokatzky
Sonderkorrespondenten BOS Dr Barbara Held, Gerd Lehmann
Online-Redaktion Tanja Klement
Parlamentsredaktion Berlin
Tel 030/726 26 22 12, Fax 030/726 26 22 10
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Geschäftsführung Dr Fabian Rusch
Kommentare
Olympia in Berlin? Nein danke!
(BS) Zusammen mit vier anderen Bundesländern möchte Berlin die Olympischen Spiele ausrichten. Mit Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Schleswig-Holstein plant Berlin eine Bewerbung für das Event Berlin+. Das Ausrichtungsjahr ist mit 2036, 2040 oder 2044 noch unklar. Neben Berlin+ planen auch München, Hamburg und NRW eine separate Olympiabewerbung. Im Herbst 2026 entscheidet der Deutsche Olympische Sportbund. Ich bin großer Sportfan. Paris 2024 hat gezeigt, wie großartig das Event ausgerichtet werden kann. Wenn man aber seit einigen Jahren in dieser Stadt lebt, merkt man, wie an allen Ecken und Enden gespart wird. Jüngstes Beispiel ist das Deutschlandticket. Der Zuschuss in Höhe von 145 Millionen Euro, den das Land Berlin jedes Jahr dafür ausgibt, soll nach dem Willen des Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner (CDU) gestrichen werden. „Am einfachsten wäre es, wenn der Bund die Kosten vollständig übernehmen würde“, sagte Wegner kürzlich im Abgeordnetenhaus. Das Deutschlandticket ist nur eines von vielen Projekten, bei denen die CDU/SPD-Koalition Geld sparen möchte. Insbesondere bei Kultur und Sozialem setzt der Senat den
Private Big Brother
(BS) Die Debatte um eine Lockerung des Datenschutzes für Sicherheitsbehörden flammt in Deutschland immer wieder auf – vor allem nach Terroranschlägen oder Amokläufen. Und täglich grüßt die Verkehrsdatenspeicherung. Befürworter plädieren für effizienteren und grenzüberschreitenden Datenaustausch, um den Bedrohungen einer digitalisierten Welt angemessen zu begegnen. Kritiker warnen vor dem Verlust von Freiheitsrechten und dem schleichenden Ausbau staatlicher Überwachung. Es ist das ewige Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit.
Rotstift an. In diesem Jahr möchte die Stadt ein Haushaltsloch von drei Milliarden Euro schließen. Zurück zu Berlin+. In Berlin bestehen viele funktionierende Sportstätten, die bei einer Olympiaausrichtung kaum saniert werden müssten. Das Velodrom könnte Bahnradsport ausrichten, im Olympiastadion könnten die Leichtathletik-Wettbewerbe stattfinden. Einige Sportanlagen sind allerdings in einem schlechten Zustand. Selbst wenn nur 30 Prozent der Sportanlagen für die Spiele renoviert werden müssten, wie Wegner optimistisch im letzten Jahr erklärte, läge der Sanierungsbedarf bereits im hohen dreistelligen Millionenbereich.
von Paul Schubert
Aber wie wir aus deutschen Großprojekten wie dem BER oder Stuttgart 21 wissen: Der Finanzierungsbedarf wird in der Regel konservativ geschätzt – am Ende wird es um ein Vielfaches teurer. Zudem: Sollte die geplante Bürgerbefragung umgesetzt werden, wird es ohnehin eng für Berlin+. Als Kind dieser Stadt denke ich: gut so. Man kann nicht ein milliardenschweres Prestigeprojekt für die Vita der Beteiligten realisieren – und im gleichen Atemzug Projekte der Jugendhilfe streichen.
Anzeigenleitung Dr Fabian Rusch Layout Fabienne Besold, Yonca Bilgi, Marvin Hoffmann Satz Spree Service und Beratungsgesellschaft mbH, Berlin & ProGov GmbH, Bonn Druck Weiss-Druck GmbH & Co KG, Hans-Georg-Weiss-Straße 7, 52156 Monschau Herausgeber- und Programmbeirat Uwe Proll (Vorsitz)
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Erfüllungsort und Gerichtsstand Bonn Altpapieranteil 100 Prozent
Für Bezugsänderungen:
von Lars Mahnke
Allein: Solange Nutzer Sozialer Netzwerke intimste Details veröffentlichen, wirkt der Ruf nach Schutz der eigenen Daten – zumindest aus dieser Richtung – seltsam und unangebracht. Nicht nur das: Cookies tracken unser Surf-Verhalten und beinahe jede App lässt sich ihre „kostenlosen“ Dienste mit dem Zugriff auf (persönliche) Daten auf unserem Smartphone bezahlen. Ein schneller Klick und die Datenschutzrichtlinien sind „gelesen“ –die größte Lüge des Internets – und akzeptiert: Daten als Währung des
Internetzeitalters. Warum vertrauen wir einem international agierenden Unternehmen, das nach Profitmaximierung strebt, eigentlich mehr als einer demokratisch legitimierten Regierung und ihren Sicherheitsbehörden? Ist es tatsächlich noch der Orwellsche totalitäre Staat, den wir in der modernen Welt zu fürchten haben? Ist Big Brother nicht schon längst in Form von Facebook, Instagram und Co. privatisierte und kommerzialisierte Realität? Datenschutz ist richtig und wichtig – ein verfassungsmäßiges Grundrecht! Nur macht sich in der Diskussion derjenige unglaubwürdig, der in seinem Alltag eben nicht verantwortungsvoll mit seinen Daten umgeht.
Das Verbrechen ist weltweit vernetzt und bedient sich der Waffen des digitalen Zeitalters – auch um an unsere wertvollen und empfindlichen Daten zu gelangen. Daher benötigen auch die Sicherheitsbehörden eine äquivalente Ausrüstung, um die Bürgerinnen und Bürger adäquat zu schützen – natürlich den Anforderungen des EuGH und BVerfG genügend. Es gilt, Waffengleichheit herzustellen, sonst droht eine permanente Ungleichheit. Anders ausgedrückt: „Don’t bring a knife to a gun fight“.
Für den öffentlichen Sektor ist der Personalmangel nach wie vor ein ernstes Problem. Schließlich gehen in den nächsten zehn Jahren etwa 1,4 Millionen Beschäftigte in den wohlverdienten Ruhestand. Eine Lösung, wie die dadurch entstehende Lücke gefüllt werden soll, gibt es noch nicht. Auch im ÖPNV ist das Problem präsent. Wie viele andere Arbeitgeber sucht man auch hier nach KI-Lösungen, die bei der Lösung dieses Problems helfen können. Als erstes kommt einem das autonome Fahrzeug in den Sinn, dass keinen Fahrer mehr benötigt und dennoch Fahrgäste von A nach B bringt. Sicherlich sind autonome Fahrzeuge Teil der Zukunftsstrategie vieler Verkehrsunternehmen und die Zahl der Pilotprojekte für solche Fahrzeuge nimmt auch in Deutschland weiter zu.
So testet die Freie und Hansestadt Hamburg gemeinsam mit dem Unternehmen MOIA autonome Shuttles in der Innenstadt und nahe Frankfurt schließt das Angebot KIRA, das in Zusammenarbeit mit der Deutschen Bahn AG besteht, die Lücken in ländlicheren Regionen. Doch hierfür werden in der Regel kleinere Fahrzeuge eingesetzt, die nicht die gesamte Verkehrslast auffangen können.
Vielfalt und Inklusion Aber auch abseits der Übernahme des Steuers bestehen große Potenziale für KI-Anwendungen, um Arbeitskraft verfügbar zu machen und Abläufe zu optimieren. So kann KI zum Beispiel dabei helfen, Fachkräften, die im Ausland gewonnen wurden, ein leichteres Ankommen zu ermöglichen, zum Beispiel indem Sprachbarrieren gemindert werden. Die Hochbahn Hamburg hat gerade einen KI-Assistent in der Probephase, der es Busfahrerinnen und Busfahrern erlaubt, im Falle eines Unfalls die Schadensmeldung in anderen Sprachen als Deutsch einzureichen. Dazu transkribiert die Software das gesprochen Wort aktuell aus acht Sprachen und übersetzt diese simultan ins Deutsche und sendet den Bericht dann an die Zentrale. Andere Einsatzmöglichkeiten für interne und externe Inklusion erörterte Xavier Arrufat, Co-Founder und CEO von Awaait AI und Mitglied der KI-Arbeitsgruppe
Ein Helfer, kein Konkurrent
Wie KI bei Personalnot unterstützt
(BS/sr) KI und Digitalisierung im Allgemeinen werden als eine große Hilfe gegen den Personalmangel gesehen, dem sich viele Branchen gegenübersehen. Die Wahrnehmungen der Integration von KI gehen dabei jedoch weit auseinander. Während sich die einen auf die Unterstützung freuen, sehen andere sowohl ihre Arbeitsplätze als auch ihre Kompetenzen bedroht.
Wenn KI richtig eingeführt wird, stellt sie keine Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt dar, sondern hilft dabei, Unternehmensaufgaben und Personal weiterzuentwickeln.
der Union Internationale des Transports Publics (UITP) auf dem UITP Summit in Hamburg. So könne KI eingeschränkten Mitbürgern helfen, die Busstation zu finden oder eine Information über Zeichensprache liefern. Tätigkeiten, die wichtig für ein inkludierendes Angebot sind, aber mit der Beschäftigung von Fachkräften nur wenig wirtschaftlich sind. Intern kann KI in Form von Chatbots Nachtschichten unterstützen, bei denen in der Regel sonst zum Beispiel kein IT-Fachpersonal vor Ort wäre.
Amos Ang, Director Bus Regulation, LTA Land Transport Authority
Singapur, ergänzte weitere Möglichkeiten, mit denen KI das Arbeitspensum verringern kann. So zum Beispiel bei der Diagnose von Schäden an der Infrastruktur wie z. B. Straßen oder Schienen wozu die Sensoren von ohnehin im Einsatz befindlichen Fahrzeugen genutzt werden könnten.
Zusätzliche Entlastung bringen KI und Automatisierung seinem Team in Singapur bei der langwierigeren Aufgabe der Erfassung und Verarbeitung von Datensätzen. So kann mehr Arbeitszeit mit der tatsächlichen Auswertung der Daten verwendet werden. Der vielfältige
Gesund genug?
Eine Kolumne von Ralph Heiermann
Einsatz, den KI in Singapur bereits erfährt, zeigt deutlich, dass das Experimentieren mit verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten oder das „Spielen“ mit denselben zu vielen guten und praktischen Anwendungen führen kann. Für Arrufat ist das „Spielen“ mit möglichen KI-Anwendungen sogar der beste Weg, solche Produkte zu etablieren.
Offen für Vorschläge Ang weist jedoch darauf hin, dass man sich in Singapur bei all diesen Projekten auch darum bemüht, die Beschäftigten in die Optimierung
und Auswertung ihrer Arbeit einzubeziehen.
Das Einbeziehen der Fachkräfte in die Implementierung von KI ist dabei aus mehrerlei Hinsicht eine große Hilfe. Zum einen erhalten Unternehmen so direktes Feedback der Beschäftigten zur effektiven Implementierung der Anwendungen und können zum anderen auch auf die Bedenken der Beschäftigten eingehen. Eine offene Kommunikation kann hier früh Sorgen über die Zukunft der eigenen Stelle nehmen und Unmut verhindern.
Der gleiche Ansatz gilt dabei auch für die Erhebung von Beschäftigten-Daten. Ein Thema, welches in Deutschland häufig für Gegenwind sorgt. Sie kann aber dabei helfen, die Beschäftigten in modernere Jobs zu bringen und ihre Fähigkeiten effektiver zu nutzen. Shaheen Abdullah, Senior Manager of People Analytics bei der Transdev Group, sagt, dass KI potenziell noch mehr Jobs schaffe als ersetze. In diesem Fall könnten Arbeitskraft und Fachwissen der Angestellten in andere Aufgaben eingebunden werden. Dafür müsse man die Menschen im eigenen Unternehmen jedoch nicht nach ihren Jobs bewerten, sondern anhand ihrer Fähigkeiten. Wenn dies der Fall sei, könnten Beschäftigte neuen Jobprofilen zugeteilt werden.
Vor die Kündigung kommen Abdullah sieht in der Analyse von Personaldaten darüber hinaus auch noch Möglichkeit, eine Kündigung durch Beschäftigte zu verhindern. Er spricht dabei besonders die Praxis der sogenannten Exit-Interviews an, die in seinen Augen keinen Zweck erfüllen. Schließlich ist es bei einem solchen Interview bereits zu spät, um noch etwas zu ändern. Durch eine Vorab-Auswertung könne der Arbeitgeber jedoch gegensteuern, bevor die Entscheidung zum Verlassen des Unternehmens falle, erklärt er. Aber eine offene Kommunikation bleibt entscheidend, denn wie Saskia Heidenberger, Vorstand für Personal und Soziales der Hochbahn AG, es zusammenfasst, verlassen Menschen ein Unternehmen nicht wegen der Einbindung von KI, sondern wegen der Geschäftsführung und ihres Umgangs mit dem Thema.
D as Einstellungsverfahren in den Öffentlichen Dienst nach erfolgreicher Bewerbung ist normalerweise unspektakulär und verursacht keine Probleme. Stimmen die zu beteiligenden Gremien zu, wird der Arbeitsvertrag geschlossen und dann kann es losgehen.
Komplizierter ist die Einstellung beim Beamtenverhältnis. Sie erfolgt nach Erwerb der Laufbahnbefähigung zunächst im Beamtenverhältnis auf Probe. Stehen der Eignung für das Beamtenverhältnis gesundheitliche Gründe entgegen, erfolgt regelmäßig schon keine Einstellung in das Probebeamtenverhältnis. Welche gesundheitlichen Gründe sind aber für die Einstellung hinderlich?
Bis zur Altersgrenze Entscheidend für die gesundheitliche Eignung ist die positive Beantwortung der Frage, ob die Bewerberin oder der Bewerber den besonderen Anforderungen des Dienstes genügen wird. Das ist eine simpel klingende Frage,
die aber nicht leicht zu beantworten ist. Denn die Prognose betrifft den Zeitraum bis zum Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze. Klar ist, dass es nur um dauerhafte und nicht um vorübergehende gesundheitliche Beeinträchtigungen gehen kann.
Besondere Anforderungen Große Bedeutung hat diese Prognose in Laufbahnen, die besondere gesundheitliche Anforderungen stellen, wie etwa der Feuerwehrdienst oder der Polizeidienst. Sie muss nicht nur den aktuellen Gesundheitszustand in den Blick nehmen, sondern auch die zukünftige Entwicklung, die bei Vorliegen einer Vorerkrankung erwartet werden kann. Bei Vorerkrankungen wird zu diesem Zweck regelmäßig durch den Dienstherrn ein amtsärztliches oder polizeiärztliches Gutachten eingeholt. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich im Februar dieses Jahres mit dieser Frage neuerlich auseinandersetzen müssen ( Urteil vom 13.02.2025 – 2 C 4.44). Der
Dienstherr und das Berufungsgericht hatten die gesundheitliche Eignung eines Bewerbers für den Polizeivollzugsdienst verneint, der während seiner Ausbildung zum Polizeikommissar im Beamtenverhältnis auf Widerruf einen Schlaganfall erlitten hatte. Der Bewerber hatte glücklicherweise mangels fortdauernder gesundheitlicher Einschränkungen sein Studium dennoch erfolgreich fortsetzen und beenden können. Nach dem eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten lag sein Risiko, bis zum Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze erneut einen Schlaganfall zu erleiden, bei 35 Prozent. Das ist deutlich höher als das Risiko der Normalbevölkerung. Das Berufungsgericht hatte deswegen die Ablehnung der Bewerbung durch den (potenziellen) Dienstherrn als rechtmäßig angesehen. Die Polizeidienstfähigkeit fehle, wenn ein gegenüber der Normalbevölkerung erhöhtes Risiko für diese Erkrankung bestehe, deren Auftreten in besonderen Einsatz-
lagen eine Gesundheitsgefahr für den Beamten oder auch für Dritte darstellen könne.
Mehr als 50 Prozent Dem ist das Bundesverwaltungsgericht entgegengetreten und hat dem Kläger in der Revisionsinstanz, wie das Verwaltungsgericht in der ersten Instanz, recht gegeben. Es hat festgestellt, dass für die Prognose, ob ein gegenwärtig gesundheitlich geeigneter Bewerber voraussichtlich vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze polizeidienstunfähig werden könnte, kein anderer Maßstab gelte als für den allgemeinen Verwaltungsdienst. Auch hier ist deswegen der Maßstab einer überwiegenden
Wahrscheinlichkeit anzulegen. Liegt die Wahrscheinlichkeit einer vorzeitigen Dienstunfähigkeit bei über 50 Prozent, fehlt die gesundheitliche Eignung, sonst nicht. Auch ein solcher gesundheitlicher Schicksalsschlag, wie er dem Kläger hier widerfahren war, muss also nicht das Aus für den angestrebten Beruf bedeuten. Dass dies nicht einmal dann der Fall sein muss, wenn eine dauerhaft notwendige Medikamenteneinnahme die Folge der Erkrankung ist, hat das Verwaltungsgericht Hannover im Fall eines HIV-infizierten Bewerbers für den Vorbereitungsdienst der Polizei schon 2019 entschieden (VG Hannover, Urteil vom 18.07.2019 – 13 A 2059/17).
Dr. Ralph Heiermann ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Arbeitsrecht und besitzt eine Kanzlei in Hannover. Er berichtet an dieser Stelle regelmäßig über arbeitsrechtliche Entwicklungen in der Verwaltung und die aktuelle Rechtsprechung.
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Aktuelles aus dem Arbeitsrecht
Besonders im Öffentlichen Dienst seien Modernisierungsprojekte oft schwergängig, so Stadelmaier in einem Webinar zu Staatsmodernisierung auf der Plattform Digitaler Staat Online. Den entscheidenden Grund dafür sieht er aber weder in der Natur der öffentlichen Verwaltung mit ihren besonderen Anforderungen noch in fehlender oder schlechter Technik. Stattdessen seien psychologische Aspekte wie mangelnde Akzeptanz oder auch innere Widerstände verantwortlich für das Scheitern von Prozessen. Faktor Mensch
Der Schlüssel zu erfolgreicher Veränderung liegt laut Stadelmaier darin, die Beschäftigten einzubeziehen. Kommunikation möchte er nicht als Add-on verstanden wissen, sondern als Motor von Veränderung. Gerade auf kommunaler Ebene, wo verschiedenste Lebensbereiche zusammenkämen und bearbeitet werden müssten, könnten partizipative Prozessanalysen dabei helfen, Prozesse sinnvoll aufeinander abzustimmen. Der gezielte Einbau von Feedbackschleifen könne zudem helfen, Prozesse zu verbessern und im Gespräch zu bleiben.
Vorangehen
Egal bei welchem Projekt: Kommunikation und Beteiligung müssten von Anfang an mitgedacht und bis zum Ende durchgehalten werden, findet auch Larissa Bebensee, Stabsbereich Steuerung und Kommunales beim Kreis Stormarn. Dabei sei der Dialog mit den Beschäftigten wichtig, um Inhalte mitzuteilen und Verbindlichkeit zu schaffen. Gleichzeitig müsse Kommunikation im GPM auch eine klare Handlungsempfehlung enthalten –insbesondere, wenn es um Aspekte wie Dokumentation, das gemeinsame Verständnis eines Prozesses oder einheitliches Wording gehe. Bebensee stellt klar: „Veränderung
Vor diesem Hintergrund rückt eine Frage in den Mittelpunkt: Wie lassen sich diese Herausforderungen bewältigen? Antworten bietet der erste ProzessmanagementTag für die deutsche Verwaltung, der am 25. September 2025 im digitalen Format stattfindet. Veranstaltet vom Behörden Spiegel und der PICTURE GmbH, richtet sich das neue Format an Fach- und Führungskräfte aller Verwaltungsebenen. Unter dem Motto „Effizienz steigern. Bürokratie abbauen. Zukunft gestalten.“ steht dabei nicht die Theorie, sondern die konkrete Umsetzung im Fokus.
Verwaltung unter Druck
Die Probleme, mit denen sich Verwaltungen konfrontiert sehen, betreffen sowohl ihr organisatorisches Fundament als auch ihre Rolle im Zusammenspiel mit Gesellschaft und Politik. Extern wachsen Aufgabenbestand und Anforderungen an staatliches Handeln, während intern ein massiver Wissensverlust durch den demografischen Wandel droht. Viele erfahrene Mitarbeitende scheiden aus, Nachwuchs fehlt. Gleichzeitig erschweren veraltete Abläufe, Medienbrüche und unklare Zuständigkeiten innerhalb der Verwaltung die Umsetzung dieser Aufgaben. Strukturelle und personelle Belastungen führen Verwaltungen an ihre Grenzen.
Hier setzt professionelles Prozessmanagement als Werkzeug der Verwaltungsmodernisierung
Der Motor der Veränderung
Staatsmodernisierung ist kein technisches Problem
(BS/Ann Kathrin Herweg) Angst vor Veränderung, Frustration aus Überforderung oder der Stolz auf alte Routinen können ganze Prozesse zum Scheitern bringen. Wenn die Mitarbeitenden nicht an Bord seien, helfe auch die beste Software nicht, betont Dr. Ulrich Stadelmaier. Der Co-Gesamtleiter der Deutschen Gesellschaft für Personalwesen e. V. (dgp) empfiehlt daher, psychologische Faktoren stärker in das Geschäftsprozessmanagement (GPM) einzubeziehen.
Führungskräfte spielen eine wichtige Rolle beim GPM. Wo ihre Leitung fehlt, rät Volker Gilbert der Mitarbeiterschaft, diese aktiv einzufordern. Foto: BS/Parradee, stock.adobe.com
geht nur gemeinsam“ und plädiert dafür, Menschen, die schon weiter vorausschauen, eine Stimme zu geben und auf diese zu hören. Sie dürften nicht eingebremst werden, sondern müssten die Möglichkeit bekommen, sich auszudrücken.
Von innen heraus In der Landeshauptstadt Stuttgart werden junge Mitarbeitende bereits in der Ausbildung bzw. im Verwaltungsstudium mit GPM und dem Ablauf von Verwaltungsprozessen vertraut gemacht, berichtet Martina Bramm, Abteilungsleiterin Personalentwicklung, Aus- und Weiter-
bildung bei der Landeshauptstadt. „Das ist die Generation, von der wir ja auch wollen, dass sie nachher die Verwaltung von innen heraus verändert“, erläutert sie. Deshalb werde der Verwaltungsnachwuchs in Stuttgart schon früh ermutigt, Prozesse zu hinterfragen, sich eine eigene Meinung dazu zu bilden und auch die Bürgersicht einzubeziehen.
Neben den üblichen Ausbildungsfächern erhalten die Nachwuchskräfte vor Ort Zusatzunterricht. Sie bekommen einen Einblick in die Zusammenhänge innerhalb der Verwaltung und lernen auf spiele-
rische Weise z. B. einen Dienstweg oder den Umgang mit KI kennen.
Kompetenzen stärken Für das Gelingen von GPM braucht es Prozessverstehen und Kenntnisse über die benötigte Technik. Im Landkreis Goslar wurde Digitalkompetenz daher bereits vor einigen Jahren in das Anforderungsprofil für Beschäftigte aufgenommen, erklärt Jens Goldmann, Leiter Personal, Organisation, IT, Zentrale Dienste und Kasse beim Landkreis. Mittlerweile wurde sie auch in das dienstliche Beurteilungssystem integriert.
Wo Prozesse wirken, funktioniert Verwaltung
Erster Prozessmanagement-Tag (BS/Silke Nolopp*) Demografischer Wandel, überlastete Teams und Digitalisierungsdruck – die deutsche Verwaltung ist mitten im Umbruch. Zugleich steigen die Erwartungen an funktionierende, verständliche Dienstleistungen. Die Folge: Mitarbeitende geraten zunehmend an ihre Belastungsgrenzen, Projekte stocken und für viele Bürgerinnen und Bürger wirkt der Weg durch die Verwaltung wie ein undurchsichtiges Labyrinth.
Eine gute Auswahl an Werkzeugen kann das Prozessmanagement vereinfachen und optimieren. Bild: BS/PICTURE GmbH, KI-generiert mit DALL·E
an. Ziel ist es, Abläufe sichtbar zu machen, zu verstehen und gezielt zu verbessern. Mithilfe einer strukturierten Prozessdokumentation lassen sich ineffiziente Abläufe identifizieren, verschlanken und an neue Anforderungen anpassen. Das spart Kosten und entlastet Mitarbeitende. Prozessmanagement leistet dabei einen zentralen Beitrag zu Zusammenarbeit und Wissensmanagement: Wird Prozesswissen dokumentiert und nachvollziehbar aufbereitet, bleibt dieses beim
Ausscheiden von Mitarbeitenden erhalten. Zudem können neue Mitarbeitende schneller eingearbeitet sowie Zusammenarbeit und Vertretungen besser organisiert werden. Ein einheitlich dokumentiertes Vorgehen sorgt dafür, dass Aufgaben unabhängig von der bearbeitenden Person auf einem hohen Niveau erledigt werden können. Auch flexibles und mobiles Arbeiten wird mit modernen und digitalen Prozessen erleichtert. Gleichzeitig profitieren Bürger von digitalen,
Um Beschäftigte im Auf- und Ausbau ihrer Digitalkompetenzen zu unterstützen, bietet der Landkreis Goslar interne Seminare an. In einer „Digitalen Woche“ wurden erst kürzlich wieder täglich mehrere Veranstaltungen zu unterschiedlichen Digitalthemen angeboten –von Kolleginnen und Kollegen aus dem Hause und auch von externen Referentinnen und Referenten. In das Assessment-Center zur Führungskräfteauswahl hat das Thema Digitalkompetenz laut Goldmann ebenfalls Einzug erhalten. In Rollenspielen übten die Führungskräfte, mit Beschäftigten umzugehen, die z. B. die elektronische Akte nicht nutzen wollten oder mit einem bestimmten Endgerät nicht zurechtkämen. Das helfe den Führungskräften selbst dabei, den Mehrwert zu erkennen und an Mitarbeitende zu kommunizieren.
Raum schaffen
„Die Begleitung einer Veränderung ist Führungs- und Leitungsaufgabe“, betont Volker Gilbert, stellvertretender Direktor und Leiter der Zentralabteilung Staatliche Schlösser und Gärten Hessen. Führungskräfte müssten den Impuls geben, Veränderung anzugehen. Sie müssten das Vorgehen abstimmen, die nötigen Rahmenbedingungen schaffen, die Umsetzung starten, begleiten und prüfen sowie im Nachgang einer Evaluation unterziehen. Gilbert rät dazu, gezielt Raum für Prozessmanagement zu schaffen. Sich einen halben Tag Zeit zu nehmen, um über Veränderung zu sprechen, sei effektiver, als das neben der Arbeit zu erledigen. „Modernisierung braucht Mut, weil Modernisierung immer Kulturveränderung ist“, erklärt Stadelmaier Damit dies gelingt, appelliert er an die Verantwortlichen, zu investieren: auch in Tools, aber vor allem in Gespräche, Beteiligung und Führung.
verständlichen Prozessen und Dienstleistungen. Die Verwaltung wird durch Prozessmanagement nicht nur resilienter, sondern auch attraktiver für Nachwuchskräfte, die eine moderne, strukturierte Arbeitsumgebung erwarten. Nicht zuletzt verbessert Prozessmanagement die Ressourcennutzung. Mithilfe eines strukturierten Überblicks können die relevantesten Prozesse gezielt identifiziert und optimiert werden. Werden Mitarbeitende früh einbezogen, verbessert dies die Akzeptanz und es entsteht ein neues, prozessbasiertes Denken.
Einblicke aus erster Hand Welche Herausforderungen sich bei der Einführung von Prozessmanagement ergeben, wie der Einstieg gelingt und warum Prozessmanagement als Grundlage für eine erfolgreiche Digitalisierung fungiert, steht im Zentrum des Programms am 25. September. Im Rahmen des digitalen Fachformats berichten Vertreterinnen und Vertreter aus verschiedenen Verwaltungen von ihren Erfahrungen. Im Mittelpunkt stehen praxisnahe Einblicke, konkrete Projektbeispiele und erprobte Vorgehensweisen. Ergänzt wird das Programm durch exklusive Vorträge der PICTURE
GmbH, die bereits über 1.200 Organisationen bei der Einführung eines professionellen Prozessmanagements unterstützt hat. Der Fokus liegt auf konkreten Lösungen statt auf allgemeinen Konzepten – mit dem Ziel, Verwaltungen aller Ebenen Anregungen für die eigene Arbeit zu liefern – auch mit KI. Der gemeinsam von Behörden Spiegel und PICTURE GmbH online ausgerichtete Prozessmanagement-Tag eröffnet der öffentlichen Verwaltung konkrete Impulse und vielfältige Perspektiven und soll eine Plattform schaffen, auf der Verwaltungen voneinander lernen und sich über Herausforderungen und funktionierende Ansätze austauschen können.
„Ein durchdachtes Prozessmanagement ist entscheidend, um Verwaltungen auch unter schwierigen Rahmenbedingungen handlungsfähig zu halten“, erklärt Dr. Lars Algermissen, Geschäftsführer der PICTURE GmbH. „Mit dem gemeinsamen Veranstaltungstag zeigen wir, wie konkrete Verbesserungen in der Praxis angestoßen werden – unabhängig von Größe oder Ebene der Behörde.“
Die Teilnahme am ersten Prozessmanagement-Tag ist kostenfrei und offen für Beschäftigte aller Verwaltungsebenen. Weitere Informationen zum Programm und die Anmeldung finden Interessierte unter www.digitaler-staat.online/events/ prozessmanagementtag.
*Silke Nolopp ist Junior Content Managerin bei der PICTURE GmbH.
Behörden Spiegel: Herr Prof. Schönbohm, Sie haben sich dem Thema Fortbildung verschrieben. Welche Rolle spielt das Thema bei den zentralen Tätigkeitsfeldern der BAköV?
Prof. Arne Schönbohm: Die Bundesakademie ist die zentrale Fortbildungseinrichtung des Bundes. Es wurde mal gesagt, dass sich das Wissen der Welt derzeit alle fünf Jahre verdoppelt. Wir haben Tausende von Erlassen, Richtlinien und anderen Themen, die umzusetzen sind. In den letzten zehn Jahren gab es rund 9.000 neue Erlasse. Da muss die Verwaltung Schritt halten und die Beschäftigten entsprechend fortbilden. Hier kann die Bundesakademie einen substanziellen Beitrag leisten.
Behörden Spiegel: Wie schlägt sich dieser Leitspruch: „Wir wollen die zentrale Fortbildungseinrichtung des Bundes sein“ in ihrer Behörde nieder?
Schönbohm: Wir haben zahlreiche Bundesakademien mit teilweise unterschiedlichen Aufgaben, aber auch große Themenüberschneidungen wie Kommunikation, Kooperation, Führungsaufgaben und so weiter. 1969, als die Bundesakademie gegründet wurde, war sie die zentrale Fortbildungseinrichtung des Bundes. Mit dem Leitspruch ging es mir zum Antritt der Präsidentschaft der BAköV darum, das wieder zu erreichen. Wir wollen uns mit den anderen Akademien besser abstimmen. Dazu haben wir verschiedene Treffen mit den Fortbildungsbeauftragten des Bundes und der Länder. So hat zum Beispiel Nordrhein-Westfalen bei der Gründung seiner Digitalakademie von den Lessons Learned der Bundesverwaltung profitiert. Durch solche Kooperationen entsteht ein immer stärkeres Netzwerk, welches
In der Nacht zum 11. September 2024 stürzte plötzlich die Carolabrücke im Zentrum Dresdens ein. Verletzt wurde glücklicherweise niemand. Ein Wunder, schließlich überquerte 18 Minuten vor dem Einsturz die letzte Straßenbahn der Nacht die Brücke. Der Grund für den Einsturz: Der Ende der 60er-Jahre verbaute Stahl war korrodiert und gerissen. Tausenden Brücken in Deutschland könnte ein ähnliches Schicksal bevorstehen. Sie müssten dringend saniert oder sogar abgerissen und neu aufgebaut werden. Konkret sind es 5.000 Autobahnbrücken, bei denen laut Bundesverkehrsministerium (BMV) dringender Sanierungsbedarf besteht. Eine Bestandsaufnahme, die den konkreten Handlungsbedarf deutlich macht. Doch nicht nur das Verkehrsmittel Auto braucht Unterstützung. Immer wieder gibt es Streit um Priorisierung, gerade zwischen Bahn und Auto – ein Kampf um Aufmerksamkeit, der laut den Gewerkschaften des Beamtenbunds und Tarifunion (dbb) nicht notwendig bzw. gar hinderlich ist. „Die Bürgerinnen und Bürger erwarten ein leistungsfähiges, vernetztes und nachhaltiges Verkehrssystem, von dem alle Bevölkerungsgruppen, unabhängig von Einkommen oder Herkunft, profitieren können“, betonte Volker Geyer, der jetzige dbb Bundesvorsitzende. Worte, die Geyer im Rahmen des ersten dbb Verkehrstags gezielt wählte. Denn: Deutschland stehe vor vielen großen verkehrspolitischen Herausforderungen.
Messbare Lernerfolge
Fortbildungsangebote für jeden zentral
(BS) Die moderne Arbeitswelt entwickelt sich ständig weiter, sodass auch die Beschäftigten immer wieder neue Kernkompetenzen erlangen müssen. Im Gespräch mit BAköV-Präsident Arne Schönbohm geht es um die Weiterbildungslandschaft der Bundesakademie der öffentlichen Verwaltung und wie sich auch diese weiterentwickelt. Die Fragen stellten Guido Gehrt und Sven Rudolf.
die Bundesverwaltung agiler und schlanker werden lässt.
Behörden Spiegel: Was sind die zentralen Themen und Herausforderungen, die Sie aktuell beschäftigen?
Schönbohm: Wie immer in der Verwaltung gibt es eine Limitierung an Ressourcen. Auf der einen Seite sagen wir, wir müssen nicht immer alles selbst machen. Daher haben wir eine Vielzahl von Rahmenverträgen abgeschlossen, woraus dann die Behörden flexibel abrufen können. Auf der anderen Seite haben wir uns sehr intensiv mit dem Thema der Künstlichen Intelligenz beschäftigt. Wie kann man diese in der Verwal-
tung einsetzen und wie kann man dann damit schneller zu besseren Ergebnissen kommen? Als drittes Thema wäre da das digitale Lernen zu nennen. Wir haben die digitale Lernplattform und -strategie weiterentwickelt, sodass die Nutzenden lernen können, wann und wo sie wollen.
Behörden Spiegel: Wie ist bei den E-Learning-Angeboten das Feedback der Teilnehmenden?
Schönbohm: Sehr gut. Wer zum Beispiel Kinder betreuen muss, kann nur sehr schwer für drei, vier Tage am Stück auf eine Fortbildung gehen. Darum ist das selbst-
organisierte Lernen von extremer Bedeutung. Wenn man mal eine Stunde Zeit hat, kann man individuell Lernvideos anschauen und knifflige Aufgaben lösen, um das eigene Wissen zu prüfen. Man ist also Herrin oder Herr der eigenen Wissensvermehrung. Als Gegenstück haben wir die Lernwelt in Boppard. Dort kann man zusammenkommen, auch behördenübergreifend. So können Netzwerke aufgebaut, persönliche Verbindungen gepflegt und bilateral miteinander Aufgaben gelöst werden. Das sind beides sehr wertvolle Themen für die Bundesverwaltung, die auch sehr viel Spaß machen.
Zwischen Brückensanierung und Bahnausbau
Uneinigkeit über Mobilitätskonzepte der Zukunft
(BS/mk) Durch das Sondervermögen der Bundesregierung für die Sanierung der Infrastruktur in Deutschland öffnen sich neue Wege. In welche Richtung es genau gehen wird, muss nun jedoch dringend entschieden werden. Die zusammenfallenden Brücken warten schließlich nicht, bis das Geld verteilt ist.
Ereignisse wie in Dresden sollen nicht mehr passieren, dabei sind sich alle einig. Foto: BS/pureshot, stock.adobe.com
Behörden Spiegel: Wie messen sie die Lernerfolge und wie schlägt sich das in ihrem Portfolio nieder?
Schönbohm: Das ist eine wichtige und schwierige Frage. Das ist ein bisschen wie die Suche nach dem Heiligen Gral. Wir führen im Nachgang Befragungen durch. Hat alles gut funktioniert? Wie hat sich der Wissensstand verändert? Arbeiten die Beschäftigten nach einer zweitägigen Fortbildung effizienter? Das ist für einige Themenbereiche schwerer zu messen als für andere. Bei einzelnen Themen wie etwa Haushaltsrecht lässt sich das noch messen, bei Themen wie Kommunikation und Kooperation ist dies aber ungleich schwieriger. Darum ist die Selbsteinschätzung hier von elementarer Bedeutung für uns.
Behörden Spiegel: Sie digitalisieren gewissermaßen an zwei Fronten: Zum einen im eigenen Haus, zum anderen die Angebote der BAköV. Wie ist hier der aktuelle Stand?
Schönbohm: Wir haben die Lernplattform Bund deutlich weiter ausgebaut, so beispielsweise um digitale Lernformate des Verfassungsschutzes. Vertrauliche Themen wie die Führung von V-Leuten natürlich ausgenommen. Die Aufnahme allgemeiner Fortbildungskurse funktioniert bereits sehr gut. Bei der Digitalisierung der Bundesakademie sind wir ebenfalls vorangekommen. Zum Beispiel bei der KI-Pilot-Anwendung. Wir haben möglichst viele KI-Lizenzen besorgt, sodass jeder dritte Beschäftigte der Bundesakademie verpflichtet ist, KI zu nutzen. Aktuell sind wir in der Auswertung, um zu sehen, wie es weitergehen kann. So sollen mehr Kapazitäten geschaffen werden und die Angst vor der neuen Technologie genommen werden. Denn je häufiger ein Tool genutzt wird, desto effizienter kann damit umgegangen werden.
Gemeinsam sich der sozialen Frage stellen
Hinzu kommt die Problematik des ländlichen Raums. Dort ist das Angebot für verlässliche, öffentlich zugängliche Mobilitätsangebote knapp gesät. In diesen Regionen verfügen über 90 Prozent der Haushalte über mindestens ein Auto, häufig sogar über zwei oder mehr.
So das Ergebnis der Studie Mobilität in Deutschland (MiD) von März 2025, die im Auftrag des BMV bundesweit Haushalte zu ihrem alltäg-
„Der Klimawandel verlangt nach nachhaltigen und intelligenten Verkehrslösungen. Gleichzeitig stellt uns der Fachkräftemangel vor enorme Aufgaben – in Planung, Betrieb und Erhalt unserer Verkehrssysteme.“
lichen Verkehrsverhalten befragt hat. Das Auto bleibt hier ein elementarer Bestandteil der persönlichen Mobilität. Einen alleinigen Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel sehen viele somit als falschen Ansatz für Gesamtdeutschland. Die Gewerkschaften des dbb streben viel mehr Fortschritt unter dem Motto „Hand-in-Hand“ an. Claus Weselsky, Bundesehrenvorsitzender der Gewerkschaft deutscher Lokomotivführer (GDL), fasst dies, wie folgt zusammen: „Mobilität muss ganzheitlich gedacht werden.“ So sieht Weselsky für eine funktionierende infrastrukturelle Zukunft Deutschlands ein kombiniertes
Verkehrsangebot – auf dem Land, in der Luft und auf dem Wasser. Zu einem gemeinsamen Agieren rief auch der Mobilitätswissenschaftler Prof. Dr. Oliver Schwedes während seines Vortrags auf dem Verkehrstag auf. Konkret forderte er eine Bündelung der Kräfte der Gewerkschaften, um die Politik zum Handeln zu bewegen. Das Deutschland-Ticket etwa ist in seinen Augen eine „echte Revolution“, das unter dem Dach der Fachgewerkschaften zu einem gemeinsamen Projekt werden könnte. Ein weiteres strategisches Ziel könne sein, sich für die Einstellung von Kurzstreckenflügen einzusetzen und die Verbindungen aus der Luft auf die Schiene zu verlagern. Bündnisse zu schließen, das sei von zentraler Bedeutung, um Interessen gegenüber der Politik zu behaupten und die Verkehrspolitik sozialer, ökonomischer und ökologischer zu machen. Drei Schwerpunkte, an denen es aktuell fehle. Denn das deutsche Verkehrssystem ist laut Schwedes weder ökonomisch effizient noch nachhaltig oder sozial-gerecht. Sanieren, sanieren, sanieren Eine Problematik, bei der sich auch die Bundestagsabgeordneten Swantje Michaelsen (Bündnis 90/ Die Grünen) und Luigi Pantisano (Die Linke) einig sind. Laut Michaelsen werden Kinder und ältere Menschen beim Ausbau der Infra-
struktur in Deutschland zu wenig berücksichtigt. „Das Auto ist nicht für alle da“, konkretisierte die Abgeordnete. Um mehr Gerechtigkeit in der Mobilität zu erreichen, müssten der öffentliche Nah- und Fernverkehr günstiger und die Wirtschaft vor Ort gestärkt werden, sodass die Bürgerinnen und Bürger künftig insgesamt kürzere Wege zurücklegen müssten. Pantisano kritisierte, dass Kinder häufig mit dem Blick in den Auspuff aufwachsen müssten. Der Fokus beim Stadtbau entstehe meist aus der Perspektive des Autos. Stattdessen müsse die Zahl der Autos auf den Straßen halbiert werden, um anderen Verkehrsmitteln mehr Raum zu geben. Konkret sprach sich der Linken-Politiker für einen Ausbau der Schiene aus. Über die künftige Ausrichtung der Investitionen herrscht dagegen Uneinigkeit. Michaelsen fordert eine klare Priorisierung: „Sanieren, sanieren, sanieren“ – insbesondere bei Straßen und Wasserwegen. Zwar seien im vergangenen Jahr bereits rund 200 marode Brücken instand gesetzt worden, nötig wären jedoch doppelt so viele, so die Grünen-Politikerin. Der CDU-Abgeordneter Michael Donth widersprach: Sanierungen allein reichten nicht aus, auch Neubauprojekte müssten vorangetrieben werden. Einen umfassenden Ausbau des öffentlichen Verkehrs sieht er nur im urbanen Raum für realistisch. Auf dem Land hingegen bleibe das Auto für viele unverzichtbar. Die Positionen zur künftigen Ausrichtung der Infrastruktur bleiben unterschiedlich. Einigkeit besteht vor allem in der Kritik an bestehenden Strukturen.
Prof. Arne Schönbohm ist seit 2023 Leiter der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung.
Foto: BS/Werner
Sorgenkinder der Schulleitungen
(BS/sr) Der Mangel an Lehrkräften bleibt eines der großen Sorgenkinder an Schulen. Das zeigen Umfragen unter Schulleitungen. Gleichzeitig hat die Zahl der Lehrkräfte, die in Teilzeit arbeiten über die letzten Jahre über zehn Prozent zugenommen. Damit Schülerklassen und die Arbeitsbelastung der Lehrkräfte nicht noch größer werden, wird um mehr Lehrkräfte geworben.
Die Teilzeitquote bei Lehrerinnen und Lehrern in Deutschland
Staatssekretärin
Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Arbeit, Technologie und Tourismus
E-Mail: poststelle@wimi.landsh.de Minister Claus Ruhe
Düsternbrooker Weg 94, 24105 Kiel Telefon: 0431/988-4760 Fax: 0431/988-4700
Abteilung
VII 5 Arbeitsmarkt und Fachkräftesicherung
Kerstin Ehlers -4813 Vertreter: Michael Reidl -4644 Assistenz: -4436
Brigitte Eller -4500
Leitungsassistenz: Birgit Schlüßler -4407
Abteilung VII 4 Verkehr und Straßenbau
Michael Pirschel -4504 Vertreterin: Karin Druba -4561 Assistenz: -4804
Abteilung VII 3 Technologie, Tourismus und Marketing Johannes Hartwig -4250 Vertreterin: Dr. Birte Pusback -4547 Assistenz:4251
23 Branchenund Industriepolitik Dr. Arne Engel -4514
24 Unternehmensfi nanzierung, Schiff bau Jörg-Alexander Kaul -4541
25 Ansiedlungspolitik Britta Friedrich -4543
10 Personal, Organisation, Fortbildung Randy Lehmann -4511
Prüfbehörde für EFRE und ESF 11 Informationstechnik, Innerer Dienst Sandra Raihofer -4440
Bescheinigungsbehörde für EFRE und ESF 12 Finanzen, Haushalt Hendrik Rosenthal -4512 13 Justitiariat, Wirtschaftsordnungsrecht Frank Hunsrügge -4513
Vergabekammer York Burow -4634 Anna Lange -4632 14 Auftragswesen, Wettbewerbsrecht, Eichwesen, Versicherungsaufsicht, Preisaufsicht York Burow -4634 Projekt Ideenmanagement Projektgruppe Zentrales Fördermittelmanagement Nina Pesarra -5159
Das größte Problem sind die Umwälzungen in der Industrie. Hans-Werner Sinn, der frühere Präsident des Münchener Ifo-Instituts, erklärte auf die Frage, ob es durch Klingbeils Booster wieder aufwärts gehen werde: „Ich wäre froh, wenn es nicht weiter abwärts ginge. Angesichts der miserablen Situation der deutschen Industrie, die seit sieben Jahren schrumpft, wäre das viel.“ Die Lage ist in der Tat besorgniserregend: Während die weltweite Industrieproduktion stieg, sank die deutsche Industrieproduktion im Vergleich zum Vorjahr um 2,7 Prozent und im Vergleich zu 2019 (vor der Corona-Pandemie) sogar um rund elf Prozent. Auch die Wettbewerbsfähigkeit hat nachgelassen. Projektionen der Bundesregierung gehen bisher erst ab dem nächsten Jahr von einem Wachstum der Wirtschaft aus.
„Diese Superabschreibungen sind einfach, sie sind unkompliziert.“
Lars Klingbeil, Bundesfinanzminister In den vergangenen Wochen häuften sich die negativen Nachrichten über Konkurse, Betriebsschließungen und -verlagerungen. Zuletzt kündigte der Stahlkonzern ArcelorMittal den Verzicht des Umbaus seiner deutschen Stahlwerke auf kohlendioxidfreie Produktion an – trotz bereits zugesicherter Fördermittel in Höhe von 1,27 Milliarden Euro durch den Bund und das Land Bremen. Als Grund nannte das Unternehmen die schlechte Wirtschaftlichkeit der Betriebe in Deutschland unter anderem durch hohe Energiepreise. Auch dem größten deutschen Stahlkonzern ThyssenKrupp geht es schlecht. Das Unternehmen steht vor der Zerschlagung.
Das Bundeskabinett hat dem Haushaltsentwurf von Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) zugestimmt. Gleichzeitig beschloss es Eckwerte für das Jahr 2026 sowie die grobe Finanzplanung bis 2029 und gab dem Gesetz zur Aufstellung eines Sondervermögens Infrastruktur und Klimaneutralität grünes Licht. Insgesamt plant Klingbeil für das laufende Jahr mit Ausgaben von 503 Milliarden Euro. Dabei umfasst die Investitionssumme im laufenden Jahr 62,7 Milliarden Euro im Kernhaushalt, 25,7 Milliarden Euro im Klima- und Transformationsfonds sowie 27,2 Milliarden Euro aus dem neuen Sondervermögen. Der neu aufgestellte Haushaltsentwurf sieht eine erhebliche Ausweitung von Wehretat und Neuverschuldung vor: Für das laufende Jahr beträgt die Neuverschuldung 81,8 Milliarden Euro, 2026 soll sie auf 89,3 Milliarden steigen. Der Verteidigungsetat soll 2025 bei 62,4 Milliarden Euro liegen, womit eine Nato-Quote von 2,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreicht ist. Anschließend sollen die Ausgaben für die Verteidigung schrittweise steigen, sodass sie im Jahr 2029 bei 3,5 Prozent liegen und der Etat dann auf 152,8 Milliarden Euro anwachsen wird.
Geld für den Wehretat „effizient ausgeben“
Dies entspricht auch der Verpflichtung, zu der sich die 32 Nato-Mitgliedsstaaten kürzlich auf ihrer Konferenz in Den Haag verständigt hatten: Bis 2035 wollen sie jährlich fünf Prozent in die Verteidigung investieren. 3,5 Prozent der Wirt-
Ein Booster mit Bremsen
Bund macht Milliarden für Investitionen frei
(BS/Hans-Jürgen Leersch) Die Botschaft ist klar: „Wir wollen Deutschland wieder auf Wachstumskurs bringen“, verspricht Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) und setzt voll und ganz auf den „Investitions-Booster“ der Koalition. Doch der Booster hat die eine oder andere Bremse, die die Wachstumserwartungen nicht ganz in Erfüllung gehen lassen könnten.
Der vom BMF vorgelegte „Investitionsbooster“ soll klare Signale in Richtung Wachstum senden und für wirtschaftlichen Aufschwung sorgen.
Der Bundesfinanzminister erklärte im Bundestag: „Wir alle sind tief geprägt davon, dass wir in den letzten Monaten in unseren Wahlkreisen Gespräche mit Menschen geführt haben, die Angst um ihren Arbeitsplatz haben.“ Die schwarz-rote Koalition sende ein „klares Signal“, sagte Klingbeil mit Blick auf den Booster, der bessere Rahmenbedingungen für Investitionen schaffe. „Diese Superabschreibungen sind einfach, sie sind unkompliziert“, lobte Klingbeil Mit dem vom Bundestag inzwischen beschlossenen Booster sollen Unternehmen Investitionen, die
sie zwischen dem 1. Juli 2025 und Ende 2027 tätigen, mit 30 Prozent pro Jahr abschreiben können.
Gesamtsteuerbelastung der Unternehmen sinkt Damit können Investitionskosten schneller von der Steuer abgesetzt werden. Hinzu kommt eine schrittweise Senkung der Körperschaftssteuer auf Unternehmensgewinne: Der Steuersatz soll ab 2028 fünf Jahre lang um einen Prozentpunkt pro Jahr von 15 auf zehn Prozent gesenkt werden. Außerdem sind eine bessere Forschungsförderung und Zuschüsse für den Kauf von
Foto: BS/SunSpirit, stock.adobe.com
Elektroautos geplant. Die Gesamtsteuerbelastung der Unternehmen würde von knapp 30 Prozent auf knapp 25 Prozent ab 2032 sinken, die Entlastung würde von 2025 bis 2029 rund 46 Milliarden Euro betragen. Den gegen die drohenden Steuerverluste protestierenden Ländern und Kommunen hatte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) eine Kompensation der Ausfälle zugesagt. Die mit den Ländern vereinbarte Regelung sieht einen vollen Ausgleich der Steuerausfälle der Kommunen vor. Bei den Ländern wird etwa die Hälfte der Steuerausfälle ausgeglichen.
Rekord-Investitionen und Rekord-Schulden
Finanzministerium legt Haushaltsentwurf vor
(BS/Anne Mareile Moschinski) Nachdem die Vorgängerregierung an der Haushaltsaufstellung zerbrochen ist, legt die neue Regierung nun den Entwurf für 2025 vor. Der Großteil der Ausgaben soll in Verteidigung und Investitionen fließen.
Der Haushaltsentwurf für 2025 steht. Geplant ist vor allem eine Erhöhung des Verteidigungsetats, bis 2029 sollen die Ausgaben auf 152,8 Milliarden Euro steigen.
schaftskraft fließen direkt in die Verteidigung, 1,5 Prozent in verteidigungsrelevante Infrastruktur. Nach einer entsprechenden Grundgesetzänderung sind in Deutschland künftig Ausgaben für die äußere und innere Sicherheit von der Schuldenbremse ausgenommen.
„Deutschlands Sicherheit ist bedroht. Erstmals seit Ende des Zweiten Weltkrieges müssen Deutschland und Europa in der Lage sein, ihre Sicherheit selbst zu gewährleisten“, heißt es in Klingbeils Haushaltsentwurf. Bei der Vorstellung
des Haushaltsentwurfs kündigte Klingbeil an, er wolle sichergehen, dass das Geld für den Wehretat „effizient ausgegeben wird“. Die anhaltende Wachstumsschwäche der Wirtschaft sowie der hohe Investitionsbedarf in die Infrastruktur mache strukturelle Maßnahmen für mehr Potenzialwachstum nötig.
Anstehende Herausforderungen für Deutschland meistern
Dabei hält der Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt drei zentrale finanzpolitische Prioritäten
Die Unternehmenssteuern in Deutschland befinden sich auf Rekordniveau: Der deutsche Satz von knapp 30 Prozent liegt rund sechs Prozentpunkte über dem Durchschnitt der OECD-Staaten und neun Punkte über jenem der EU-Mitglieder. Für die Wirtschaft werden aber mit dem Booster die Bremsen für die Betriebe zu spät gelockert: In einer Stellungnahme der Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft für den BundestagsFinanzausschuss heißt es, „dass eine frühere Entlastung deutlich vor 2028 sinnvoll und notwendig wäre, um die steuerliche Wettbewerbsfähigkeit sofort nachhaltig zu verbessern“.
Steuersenkungen früher umsetzen Auch die Wirtschaftsweise Veronika Grimm erklärte vor dem Ausschuss: „Die Steuersenkung sollte früher und schneller umgesetzt werden, um so die Investitionen deutlich und nachhaltig zu erhöhen. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund des internationalen Steuerwettbewerbs dringend geboten.“
Eine schnellere Wirkung für die Wirtschaft erwartet Klingbeil vom Bundeshaushalt für 2025, dessen Entwurf inzwischen vom Kabinett beschlossen wurde und der massiv erhöhte Investitionen vorsieht. Klingbeil sprach von „Rekordinvestitionen“, die in diesem Jahr insgesamt 62,7 Milliarden Euro im Kernhaushalt, 25,7 Milliarden Euro im Klima- und Transformationsfonds und 27,2 Milliarden Euro aus dem neuen Sondervermögen ausmachten (s. Text unten). Im Gegenzug steigt aber die Neuverschuldung auf 81,8 Milliarden Euro (Vorjahr: 33,3 Milliarden). Klingbeil rechtfertigte die hohe Kreditaufnahme: „Die schwarze Null ist für mich kein Wert an sich, wenn dabei Brücken und Schulen vergammeln und die Bundeswehr vernachlässigt wird.“
ten die haushaltspolitische Grundlage, um die „aktuell anstehenden Herausforderungen für Deutschland zu meistern“.
Kritik kommt von der Opposition. Der Vize-Fraktionschef der Grünen, Andreas Audretsch, bemängelte die Absicht, künftig die Gaspreise aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) subventionieren zu wollen. „Subventionen für dreckiges Gas sollen künftig aus dem Klima- und Transformationsfonds finanziert werden. Dann fehlt das Geld, um Menschen bei der energetischen Sanierung zu unterstützen oder den Einbau von Wärmepumpen zu fördern“, erklärte er gegenüber dem RND.
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fest: Investitionen für schnelles Wachstum und für die Stärkung der inneren und äußeren Sicherheit, Strukturreformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit und zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger sowie die Konsolidierung des Haushalts unter striktem Finanzierungsvorbehalt, konkreten Einsparungen und Überprüfung aller staatlichen Aufgaben auf ihre Notwendigkeit. Weiter schreibt das Bundesfinanzministerium (BMF) in seinem Entwurf: Die Haushalte 2025 und 2026 und die neue Finanzplanung bilde-
Kritik von Grünen und Linken Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge forderte zudem, den Klimaund Transformationsfond stattdessen für „echte Investitionen in Klimaschutz“ zu nutzen. Es müsse in die Schieneninfrastruktur investiert werden, um die Bahn zukunftsfit zu machen. Die Linke spart ebenfalls nicht mit Kritik. Sie stört sich vor allem an den hohen Verteidigungsausgaben, denn dadurch entstehe „ein finanzpolitisches Ungleichgewicht zu den Kommunen“, sagte der Sprecher für Kommunalfinanzen, Sascha Wagner Nach den 503 Milliarden Euro in diesem Jahr (dies entspricht sechs Prozent mehr als 2024) soll im kommenden Jahr das Etatvolumen schließlich auf 519,5 Milliarden Euro steigen. Nach der Zustimmung des Bundeskabinetts müssen noch Bundesrat und Bundestag grünes Licht für den Regierungsentwurf geben.
► AUSSCHREIBUNGSREIFE Rahmenverträge
Missbrauch bei feststehendem Bedarf
Dieser Rechtsstreit bezog sich auf die Frage, inwieweit es in Anbetracht eines feststehenden, definierten Bedarfes rechtlich zulässig ist, ein Verfahren als Rahmenvertrags-Ausschreibung anzulegen. Bei Rahmenverträgen sind zwar die Produktkategorien feststehend, jedoch bleiben die Menge der abzufragenden Artikel und die genauen Zeitpunkte offen. Vorliegend gab die öffentliche Auftraggeberin den geschätzten Bedarf mit sechs Kontroll- und Streifenbooten, sowie sieben Tochterbooten an (ABl. EU 2023/S 195 609542). Genau diese Boote sollen – „Eins-zu-eins“ – die im Einsatz befindlichen Boote ersetzen. Der Düsseldorfer Vergabesenat beanstandet das Vergabeverfahren der Auftraggeberin, weil sie hier unzulässig das Modell eines Rahmenvertrages gewählt habe. In diesem Fall stünden die Bedarfe exakt fest. Außerdem helfe es der Auftraggeberin nicht, wenn sie anführe, sie wisse nicht, ob sie zu späteren Zeitpunkten Haushaltsmittel zur Verfügung habe. Diesbezüglich wendet der Senat ein, dass eine Auftraggeberin für haushaltstechnische Verbindlichkeit sorgen müsse. Es müssten hinreichende Mittel für das Projekt im Haushalt als Ausgabe oder als Verpflichtungsermächtigung veranschlagt, worden sein. Gesichert ist die Finanzierung dann, wenn die Mittel zugewiesen sind oder die Verpflichtungsermächtigung erteilt ist. Gebe es solche Haushaltsbindungen nicht, so verstoße dies gegen den Grundsatz der Ausschreibungsreife. Das bedeutet, dass die tatsächlichen rechtlichen und haushaltstechnischen Voraussetzungen in einer Phase geschaffen werden müssen, in der die Ausschreibung unmittelbar bevorsteht.
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 18.09.2024 (Verg 16/24)
► REFERENZAUFTRAG Vergleichbarkeit
Welche Anforderungen gelten?
Im Vergaberechtsstreit betreffend den Winterdienst auf Bundes- und Landesstraßen bezweifelte die unterlegene Konkurrentin, dass die vorgesehene Zuschlagsbieterin „vergleichbare“ Referenzen vorgelegt hat. Sie dürfe, weil sie mutmaßlich nicht die Referenzanforderungen dieser Ausschreibung erfülle, mit ihrem Angebot nicht gewertet werden.
Die Konkurrentin hat vier Referenzen für den Winterdienst angeführt, wovon sich zwei auf Stadtgebiete inklusive dortiger Bundes-, Landes- und Kreisstraßen bezogen. Deren Bewertung als „vergleichbare Leistungen“ sei nicht zu beanstanden. Die Referenzen mit vergleichbaren Leistungen seien Teil einer Prognose für die Leistungserbringung. Es gehe nicht um einen „Eins-zu-eins“-Vergleich bereits erfüllter Aufträge mit dem zu vergebenden Auftrag, sondern darum, ob eine Prognose gerechtfertigt sei, dass die erforderliche Leistungsfähigkeit bzgl. des Auftrages existiert. Diese Auslegung entspricht dem Sinn und Zweck des Vergabeverfahrens. Anderenfalls würden alle Bewerber, welche die ausgeschriebene Leistung bisher nicht in ihrem Portfolio hatten, von vornherein ausgeschlossen.
Somit sei die Wertung nicht zu beanstanden. Der Auftraggeber habe bewusst darauf verzichtet, Anforderungen aufzustellen, die über die Straßenklassifizierung hinausgehen. Damit hat er den Maßstab der Vergleichbarkeit rechtskonform bestimmt. Tauglich ist eine Referenz bereits, wenn ein Leistungsgegenstand dieser Art in der Vergangenheit erbracht wurde. Bei mehrjährigen Dienstleistungsaufträgen ist es ausreichend, wenn die Leistung bereits seit längerer Zeit erbracht wird.
OLG Jena, 19.02.2025 (Verg 10/24)
► ELEKTRONISCHE ANGEBOTE
Unterschrift entbehrlich
Textform dauerhaft gespeichert
Der Auftraggeber hatte Kartierungen von Biotopen ausgeschrieben. Es entstand Streit um die Frage, ob eine Wertbarkeit des Angebotes einer Bietergemeinschaft möglich ist, weil eines der Mitglieder lediglich in Form einer Nachbildung des Formblattes „Fehlen von Ausschlussgründen“ die geforderte Erklärung abgegeben hat. Sie war nur dem Inhalt nach gleich. Zudem war streitig, ob es genügt, in der Zusammenschau mit dem Hochladevorgang ein rechtsgültiges elektronisches Angebot abzugeben. Die Vergabekammer stellt fest: Das Angebot ist gültig. Die Erklärungen mit den inhaltlichen Vorgaben des Formblattes B 3 waren vorhanden. Es bedurfte zudem keiner eigenhändigen Unterschrift. Die Bietergemeinschaft hat ihr Angebot elektronisch in Textform übermittelt (Paragrafen 126b BGB, 53 Abs. 1 VgV). Die „Textform“ erlaubt es – in Abgrenzung zur „Schriftform“ nach Paragraf 126 BGB und der „elektronischen Form“ nach Paragraf 126a BGB –, mittels einer unterschriftslosen Erklärung elektronisch zu kommunizieren. Es bedarf einer lesbaren Erklärung, die auf einem dauerhaften Datenträger abgegeben werden muss. Gemäß dem Erwägungsgrund 20 der Richtlinie 2002/65/EG gehören zu den dauerhaften Datenträgern insbesondere CDROMs, DVDs, USB-Sticks, etc. und die Festplatte des Computers, auf der die elektronische Post gespeichert wird. Websites zählen hingegen nur dann dazu, wenn sie die Voraussetzungen eines „dauerhaften Mediums“ erfüllen. Bei der elektronischen Angebotsabgabe ist das auf dem Server der Vergabeplattform hochgeladene Angebot auf einem dauerhaften Datenträger gespeichert. Das Angebot ist daher insgesamt gültig gewesen. VK Thüringen, Beschl. v. 15.01.2025 (5090-250-4003/456)
► LEISTUNGSFÄHIGKEIT Konkrete Hinweise
Auftraggeber unterließ Prüfung zu Unrecht
Streitgegenstand ist die Ausschreibung von Leistungen der Sammlung und Verwertung von Altpapier im Offenen Verfahren. Der im (vorläufigen) Ergebnis des Vergabeverfahrens unterlegene Bieter hat nach Auffassung der Vergabekammer keine „Rüge ins Blaue hinein“ im Sinne einer „Konkurrentenanschwärzung“ erteilt, indem er vorbrachte, dass der für den Zuschlag vorgesehene Bieter die Leistung nicht (mehr) erbringen könne. Der Bieter habe mit seinen vorgetragenen Bedenken ernst genommen werden müssen. Hintergrund ist, dass es in der Übernahmestelle des vorgesehenen Zuschlagsbieters einen in der Öffentlichkeit durch Radio- und TVBerichte sowie Stellungnahmen des Oberbürgermeisters bekannten Großbrand gegeben hat. Diesem Vorbringen hätte der öffentliche Auftraggeber unbedingt nachgehen müssen. Er hat sich nach Ansicht der Vergabekammer nicht darauf beschränken dürfen, Rechtsprechung anzuführen, die von einem grundsätzlichen Vertrauen in die Leistungsfähigkeit eines Bieters ausgeht. Vielmehr reduziert sich der Handlungsspielraum eines öffentlichen Auftraggebers im Falle von mit Tatsachen unterlegten Hinweisen eines Konkurrenten in besonderen Ausnahmefällen – wie vorliegend – auf null. Er muss unter dem Eindruck aktueller, überholender Ereignisse wie z. B. einem Großbrandes zwingend in eine neue Eignungsprüfung eintreten. Macht er das nicht, handelt er vergaberechtswidrig. VK Sachsen, Beschl. v. 19.12.2024 (1/SVK/017–24)
Der Europäische Gerichtshof hat in einem erneuten Verfahren im Anschluss an sein Urteil vom 22.10.2024 (Az. C-652/22) bekräftigt, dass Anbieter aus Drittstaaten, welche keine internationalen Übereinkommen mit der Europäischen Union haben, keinerlei Ansprüche besitzen, zu einem EU-weiten Vergabeverfahren zugelassen zu werden. In einem Fall, der eine Ausschreibung der Eisenbahnbetriebe in Bulgarien betraf, wiederholte der EuGH insbesondere den Gesichtspunkt, dass Anbieter aus Drittstaaten wie zum Beispiel der Türkei oder der Volksrepublik China, welche nicht über Abkommen in dem betreffenden Sektor verfügen, schlechter gestellt werden müssen als anbietende Unternehmen aus der EU bzw. denjenigen Staaten, die außerhalb der EU entsprechende Beschaffungsübereinkommen haben. Es gibt demzufolge keinen Anspruch auf eine gleich günstige Behandlung von anbietenden Unternehmen aus Drittstaaten. Im Übrigen ist es Sache der Willensbildung in der EU, entsprechende Vereinbarungen in der Handelspolitik abzuschließen. Dies bedeutet in der Schlussfolgerung allerdings, dass durch Entscheidung der einzelnen Vergabestelle Drittunternehmen durchaus zugelassen werden können, aber nicht müssen. Die Unternehmen aus Drittstaaten besitzen jedenfalls keinerlei Rechte, sich den Zugang zu öffentlichen Aufträgen in der EU zu erstreiten.
EuGH, Urt. v. 13.03.2025 (C 266/22)
Zusammenfassung der Entscheidungen: RA und FA für Vergaberecht Dr. Rainer Noch, München (Kanzlei Dr. Noch)
Ein Vorgehen, das Schule machen kann
Sammelbeschaffungen im BOS-Bereich
(BS/bk) Die Vorteile von Sammelbeschaffungen für Einsatzfahrzeuge liegen auf der Hand. Doch scheint das Vorgehen des Landes Brandenburg im Rest Deutschlands noch nicht ganz Schule gemacht zu haben. Sammelbeschaffungen sind dabei nicht nur für die Kommunen interessant.
Im Moment sei viel Bewegung bei der Beschaffung im BOS-Bereich, zeigte sich Günther Pinkenburg, Rechtsanwalt und Geschäftsführer bei der MAYBURG Rechtsanwaltsgesellschaft, auf dem BOS-Beschaffertag überzeugt. Es bleibe spannend, was mit dem 500 Milliarden Euro schweren Sondervermögen des Bundes passiere. Eine Möglichkeit, effektiv die Finanzspritze für den BOS-Bereich zu nutzen, seien Sammelbestellungen. Wie Sammelbestellungen zielführend eingesetzt werden können, kann Maurice Kuhnert von der Landesschule und Technischen Einrichtung für Brand- und Katastrophenschutz (LSTE) des Landes Brandenburg berichten. Dabei blickt seine Einrichtung auf einen großen Erfahrungsschatz. Seit 2012 führt das Land Brandenburg nach der Veröffentlichung einer Katastrophenschutzverordnung regelmäßig zentrale Beschaffungsmaßnahmen durch. Damit will das Land die unteren Katastrophenschutzbehörden beim Erreichung der Mindestaus-
stattung unterstützen. „Wenn das Land Vorgaben macht, muss das Land auch unterstützen“, sagt Kuhnert
„Wir wollen eine Rabattierung durch große Lose“, erklärt der Brandenburger weiter. Es sei nachweisbar, dass man so Rabatte von über 20 Prozent im Vergleich zu Einzelbeschaffungen erreichen könne. Kommunen könnten sich dann entweder über Fördermittelanträge beteiligen oder, wenn sie keine Förderung erhalten, sich mit einer 100-prozentigen Eigenbeteiligung an dem Verfahren beteiligen. Das Land erstellt nach der Identifizierung der Bedarfe eine Leistungsbeschreibung. Üblicherweise wird keine losweise Vergabe ausgeschrieben, sondern es wird ein Generalunternehmer beauftragt. Die Ausnahme bilden dabei Spezialfahrzeuge. Einzelauftraggeber haben bei der Sammelbeschaffung jedoch kein Anrecht auf Individualisierung. Dies sei eine Lehre, die man daraus gezogen habe, dass sich die Änderungen teilweise als
fördermittelschädlich erwiesen hätten, weil die Individualisierungen zu Kostensteigerungen geführt hätten. Zudem: „Das ist dann keine richtige Sammelbestellung mehr“, sagt Kuhnert. Das Ziel der Sammelbeschaffung und eine geringe Stückzahl, die aus Individualisierungen resultierten, stünden sich entgegen. Eine Sammelbeschaffung unterstütze die einzelnen Kommunen, da diese kaum leistungsfähig seien, was die Beschaffung und die Durchführung angehe. Auch das Land habe ein Interesse daran, dass die Ausstattung gleich sei. Dies sei für die Leistungsfähigkeit und die Zusammenstellung der Katastrophenschutzkontingente von Vorteil. Mit den Vorteilen gingen aber auch Risiken für die Beschaffung einher. Fehler im Vergabeverfahren sowie technische Probleme in der Produktion hätten Auswirkungen auf die gesamte Serie. Zudem müsse die Landesverwaltung einen erheblichen administrativen und organisatorischen Aufwand leisten, so Kuhnert
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Freund und Partner
Berliner Gespräch mit Aserbaidschans Botschafter Nasimi Aghayev (BS/ps) Sein Land liegt zwischen dem Kaspischem Meer und dem Kaukasus, grenzt nördlich an Russland, nordwestlich an Georgien, südlich an den Iran und im Westen an Armenien. Zehn Millionen leben in dem vorderasiatischen Staat, der mit 86.000 km2 so groß ist wie Österreich und Luxemburg zusammen: Aserbaidschan. Ein an der Kreuzung von Kulturen und Zivilisationen mitten auf der historischen Seidenstraße gelegenes, vielfältiges multikulturelles Gebiet – und mit Deutschland durch eine über 200-jährige Geschichte verbunden. Zwischen der zweiten Hälfte des 18. und des 19. Jahrhunderts kommen schwäbische Siedler auf Einladung der Zarin Katharina II. und ihres Enkels Alexander I. dorthin.
Baku, Aserbaidschans Hauptstadt, liegt an der Westküste des Kaspisches Meeres. Die drei Türme sind die „Baku Flame Towers“, die als „ewige Flamme“ für das moderne Baku
Die Auswanderung beginnt im Raum Tübingen, Reutlingen, Urach und im Remstal 1816 mit den ersten 40 Familien aus Schweikheim. Dabei gründen sie Ortschaften wie Elisabethtal, Katharinenfeld, Marienfeld (alle heute Georgien), Helenendorf, Annenfeld oder Georgsfeld (alle heute Aserbaidschan). Die bilateralen Beziehungen beruhen daher auf Vertrauen, gleichberechtigter Zusammenarbeit in Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport, Bildung und im Gesundheitswesen.
Also allerbeste Voraussetzungen für Botschafter Nasimi Aghayev sich „entspannt“ um die Kontakte zu Landsleuten, Parlamentariern und anderen Entscheidungsträgern zu kümmern, sie fortzuführen, auszubauen und seine Regierung in Baku über bedeutende Ereignisse hierzulande auf dem Laufenden zu halten. Der 46-Jährige kennt die Bundesrepublik seit 2003, als er an der Universität Saarbrücken Europarecht studiert. 2005 kommt er erstmals an die aserbaidschanische Vertretung in Berlin und ist seit 2022 Hausherr in der Hubertusallee.
„Wichtig ist mir“, so Botschafter Aghayev, „das Bewusstsein und Ver-
ständnis für Aserbaidschan hierzulande mit intensivem kulturellem Austausch, Bildungskooperationen und öffentlichen Veranstaltungen zu fördern. Wir möchten zeigen, dass wir ein weltoffener Vielvölkerstaat mit einer starken Kultur der Toleranz und des harmonischen Zusammenlebens sind.“
Das ist seit Aufnahme der diplomatischen Beziehungen 1992 auch gut gelungen. Aserbaidschan ist mit über 250 deutschen Unternehmen der größte Wirtschafts- und Handelspartner im Südkaukasus. Deutschland exportiert Maschinen, Kraftfahrzeuge, Kfz-Teile, Eisen- und Stahlerzeugnisse sowie Fabrikationsanlagen. Besondere Bedeutung kommt dem kaukasischen Staat freilich als einer unserer wichtigsten Erdgaslieferanten zu.
Wichtiger Erdgaslieferant seit dem Ukraine-Krieg “Über den südlichen Gaskorridor lieferten wir im vergangenen Jahr fast 13 Milliarden Kubikmeter Erdgas nach Europa – ein deutlicher Anstieg gegenüber den acht Milliarden Kubikmetern vor Beginn des Ukraine-Krieges“, so Aghayev Vor Kurzem sei zudem ein neuer
langfristiger Vertrag mit Deutschland unterzeichnet worden, der die Gasexporte aus Aserbaidschan auf 3 Milliarden Kubikmeter pro Jahr verdoppele. Das zeige das Engagement Aserbaidschans, Deutschland und Europa in Zeiten der Energiekrise aktiv zu unterstützen. Aktuell beziehen elf europäische Länder, darunter neun EU-Mitgliedsstaaten wie Deutschland, dieses Gas. Dies unterstreiche die zunehmende strategische Rolle Aserbaidschans in der europäischen Energieversorgung – sowohl im Rahmen der Energiewende als auch im Umgang mit globalen Unsicherheiten, erzählt der Botschafter. Damit das so bleibt, plant Baku Investitionen in Erneuerbare Energien und strebt eine führende Rolle in der regionalen grünen Energieversorgung an. Das Land verfügt über Vorräte von 135 Gigawatt an Land- und 157 Gigawatt an Offshore-Reserven im Kaspischen Meer, insbesondere für die Windund Solarenergie.
1/3 erneuerbare Energie im Gesamtverbrauch bis 2030 „2023 wurde als erster der Garadagh-Solarpark, der größte im Kaspischen Raum mit 230 Megawatt,
„Wir möchten zeigen, dass wir ein offener Vielvölkerstaat sind.“
in Betrieb genommen. Unser Ziel ist es, bis 2030 den Anteil Erneuerbarer Energien in unserem Energiemix auf 35,5 Prozent zu erhöhen.“
Ein geplanter Ökostromkorridor über Georgien und das Schwarze Meer soll den Weg für den Export grüner Energie aus Aserbaidschan nach Rumänien, Ungarn und, perspektivisch, auch nach Deutschland ebnen. Aserbaidschan sei die Brücke zwischen Asien und Europa. Für deutsche Unternehmen eröffneten sich dabei vielfältige Chancen – etwa bei der Netzinfrastruktur, der Energie-Speicherung und bei grünem Wasserstoff, so Aghayev Auch die kulturelle und humanitäre Zusammenarbeit zwischen den beiden Staaten läuft sehr gut und Deutsch ist in Aserbaidschan eine beliebte und populäre Fremdsprache. „Zudem ist es uns ein wichtiges Anliegen, mit deutschen Regionen direkte Kontakte zu knüpfen und zwischengesellschaftliche Beziehungen anzustoßen und zu fördern.“
Nasimi Aghayev ist seit 26 Jahren Diplomat. „In Deutschland wird Aserbaidschan teilweise noch durch Stereotype oder veraltete Vorstellungen geprägt.“ Oft fehle „ein vollständiges Bild unseres Landes, seiner Kultur, Dynamik und modernen Entwicklungen. Zudem würden komplexe geopolitische Zusammenhänge oder historische Hintergründe nicht ausreichend
Rezept des Botschafters
Dolma (Yarpaq Dolması)
Zutaten (4-6 Portionen): 500 g Hackfleisch (Rind/ Lamm),100 g Rundkornreis (gewaschen), 2 Zwiebeln (fein gehackt), 1 Bund Kräuter (Petersilie, Dill), Salz, Pfeffer, evtl. Kurkuma, 200–300 g Weinblätter (frisch oder eingelegt), 100 ml Wasser)
berücksichtigt, und es entstehe ein verzerrtes Bild unseres Landes“, erläutert er.
Schnittstelle zu Europa Solche Vorstellungen ändern sich nur langsam, aber Aserbaidschan ist überzeugt: Mehr Austausch –in Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Kultur – führt zu mehr Verständnis. Persönliche Begegnungen seien der beste Weg, Vorurteile abzubauen und ein realistisches Bild zu vermitteln. Aserbaidschan liegt an der Schnittstelle Europas und Asiens – ein Land, in dem jahrtausendealte Geschichte auf moderne Dynamik trifft. Geprägt von kultureller Vielfalt, religiöser Toleranz und reichem Erbe, entwickele es sich durch seine strategische Lage, Energieressourcen und Innovationskraft zu einem zentralen Wirtschafts- und Logistikstandort Eurasiens und einem verlässlichen Partner und Freund Deutschlands, resümiert der 46-Jährige. Über die Hälfte seines Lebens ist Aghayev erfolgreich in Diensten seines Landes. Möchte er dennoch mit jemandem für einen Tag tauschen? „Vielleicht mit einem Lehrer oder Arzt irgendwo in Deutschland oder Aserbaidschan. Diese Berufe leisten einen unschätzbaren Beitrag für die Gesellschaft – ein Perspektivwechsel würde mir sicher interessante Einsichten geben.“
Zubereitung: Frische Blätter blanchieren, eingelegte gut wässern. Füllung mischen: Hackfleisch, Reis, Zwiebeln, Kräuter und Gewürze vermengen und in mehrere Stücke rollen und abschneiden, dass sie in die Weinblätter passen, Seiten einklappen, fertig rollen und in einem Topf schichten und beschweren. Wasser angießen, ca. 45–60 Min. bei mittlerer Hitze köcheln. Mit Natur- oder Knoblauchjoghurt servieren. Foto:
Botschafter Nasimi Aghayev lernte Deutschland bereits durch sein Studium am Europa-Institut der Universität des Saarlandes kennen. Seit knapp drei Jahren ist er Bakus Vertreter in Berlin.
stehen. Foto: BS/saiko3p, stock.adobe.comcom
Behörden Spiegel Berlin und Bonn / Juli 2025
Tauschen für ein besseres Wohnen
(BS/Anne Mareile Moschinski) Trotz Bau-Turbo und Mietpreisbremse: Der Wohnungsmarkt steht unter Druck. Auf der Suche nach Gegenmaßnahmen setzen viele Kommunen auf einen geförderten Wohnungstausch und bezahlen Mietenden Prämien. Eine sinnvolle Strategie gegen Wohnungsnot?
www.behoerdenspiegel.de
Zu viele Treppen und etliche Räume werden nicht mehr genutzt: Die seit Jahrzehnten genutzte Mietwohnung ist längst nicht mehr mit den Lebensgewohnheiten der Seniorinnen und Senioren kompatibel, die sie bewohnen. Die Kinder sind ausgezogen, der Ehepartner ist verstorben und die leerstehenden Räumlichkeiten in Schuss zu halten, wird immer schwieriger. Ein Umzug in eine kleinere Wohnung wäre theoretisch angebracht. Auf der anderen Seite gibt es vor allem in Städten viele Familien mit Kindern, die händeringend nach einer komfortableren Bleibe suchen –der Platz fürs zweite Kinderzimmer fehlt oder sie wollen sich endlich den Traum von Haus und Garten verwirklichen. Allzu oft bleibt es allerdings bei dem hehren Wunsch, der Umzug in ein großräumigeres Domizil rückt in weite Ferne. Zu angespannt ist die Wohnungssituation und Neubauprojekte werden meist zu horrenden Preisen auf den Mietmarkt gespült. Wer neue vier Wände sucht, bleibt am Ende in den gewohnten vier Wänden wohnen. Prämien für den Wohnungswechsel Damit Familien mit Kindern trotzdem ausreichend großen Wohnraum finden, fördern viele Kommunen den freiwilligen Wohnungstausch: Die Oma in der 120-QuadratmeterWohnung tauscht mit der vierköpfigen Familie und verkleinert sich um die Hälfte ihrer Quadratmeterzahl – so die Idealvorstellung. In einigen Regionen haben kommunale wie landeseigene Wohnungsbaugesellschaften zu diesem Zweck Tauschportale eingerichtet, andere Städte bieten tauschwilligen Mietenden Prämien an. So führte das Land Baden-Württemberg im Mai dieses Jahres das
Programm „Wohnflächenbonus BW“ ein. Hier werden freiwillige Wohnungswechsel finanziell honoriert, damit große Wohnungen vor allem Familien zur Verfügung stehen. Kommunen, die den Tausch aktiv bewerben und erreichen, dass Mietende sich durch einen Wohnungswechsel um mindestens 15 Quadratmeter verkleinern, erhalten im Rahmen des Programms eine Grundprämie von 3.000 Euro. Wird die Wohnfläche noch weiter reduziert, erhöht sich die Prämie auf bis zu 7.500 Euro pro Wohnungswechsel. Allerdings ist das Förderprogramm erst seit Kurzem in Kraft, belastbare Zahlen zur Inanspruchnahme kann das Landesbauministerium Baden-Württemberg deshalb noch nicht vorlegen, heißt es auf Anfrage.
„Ein alter Mietvertrag ist ein Wertpapier und ein Wertpapier zerreißt man nicht.“
Prof. Dr.Harald Simons, Professor für Volkswirtschaftslehre
Sebastian Ritter, zuständiger Dezernent des Städtetags BadenWürttemberg, hält den Wohnflächenbonus für „hilfreich“ – mit Einschränkung. Als Teil eines breit angelegten Förderprogramms könne er dem Wohnraumdruck entgegenwirken, doch Ritter sagt auch: „Das Förderprogramm ist kein Allheilmittel und wird keine Trendwende auf dem Wohnungsmarkt schaffen. Wir rechnen auch nicht
damit, dass das Förderprogramm von allen Städten in Anspruch genommen wird.“
Problematisch findet Ritter, dass die Landesmittel nicht direkt an die tauschenden Mieterinnen und Mieter überwiesen werden. „Das Haushaltsrecht des Landes verlangt, dass Städte ein eigenes Förderprogramm auflegen, das dann mit den Mitteln des Landes gespeist wird“, erklärt der Dezernent. Für diese unnötige Bürokratie müsse eine Lösung gefunden werden.
Förderprogramm ist kein Allheilmittel
In Berlin richteten die sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften 2018 ein Portal für den Wohnungstausch ein. Seitdem haben sich dort 32.500 Mieterinnen und Mieter registriert, 5.000 von ihnen sind derzeit aktiv. 431.000 Wohnungstauschverfahren wurden in den vergangenen sieben Jahren angefragt – doch nur eine verschwindend geringe Zahl von 1.600 neuen Mietverträgen ist in dieser Zeit unterzeichnet worden. Dr. David Eberhard , Sprecher des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU), erklärt dazu: „Im Schnitt kommen fünf Bietende auf ein Angebot.“ Bei vielen Mietenden sei der wirtschaftliche Druck nicht groß. „Sie schauen sehr genau, ob es passt.“ Deshalb würde ein Großteil der in die Wege geleiteten Tauschverfahren nicht bis zum Ende durchgeführt. Hinzu kommt: Die infrage kommenden großen Tauschwohnungen sind häufig seit 20 oder 25 Jahren bewohnt und wurden in der Zeit nicht renoviert. „Ziehen Senioren hier aus, dann wechseln sie meist ins Heim, aber nicht in eine kleinere Wohnung“, sagt Eberhard
Trotzdem setzen vor allem im Südwesten Deutschlands viele Kommunen auf das Konzept Tausch.
Sie versuchen mit Prämien, Bürgerinnen und Bürger zum Umzug zu bewegen und den vorhandenen Wohnraum effizienter zu verteilen.
In Lörrach wird beispielsweise seit 1990 der Umzug in eine kleinere Behausung finanziell bezuschusst. Zu Beginn des Programms waren es 30 Prämien, die pro Jahr ausgezahlt wurden, zuletzt maximal fünf.
In Freiburg erhalten Parteien, die über die städtische Wohnungstauschbörse ihre Wohnungen wechseln, eine Umzugskostenpauschale von 2.000 Euro. Die Stadt Mannheim bietet seit diesem Jahr eine Wohnungstauschprämie von bis zu 5.000 Euro für den Umzug in eine kleinere Wohnung an.
Wohnungstausche unter Freunden
Prof. Dr. Harald Simons, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik, Wirtschaft, Kultur Leipzig (HTWK), hat den Erfolg der kommunal geförderten Tauschprojekte in einer Studie im Auftrag des Bundesbauministeriums untersuchen lassen. Für die Erhebung wurden kommunal geförderte Wohnungstauschprojekte in den fünf Städten bzw. Regionen Berlin, Potsdam, Frankfurt a. M., München und Nordrhein-Westfalen unter die Lupe genommen.
Das erschütternde Ergebnis: In drei Städten gab es im untersuchten Zeitraum 2018 bis 2022 noch nicht einmal zweistellige Tauschergebnisse.
Die Hauptstadt Berlin agierte im Vergleich noch am erfolgreichsten: Von den 350.000 Wohnungen, die die sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften verwalten, wurden in dem Zeitraum 267 ge-
tauscht – eine verschwindend kleine Zahl, aber die höchste innerhalb der Untersuchung. Den klassischen Fall – die Seniorin überlässt ihre 100-Quadratmeter-Wohnung einer Familie – habe es kaum gegeben, sagt Simons. In den meisten Fällen hätten Freunde untereinander die vier Wände getauscht.
Reine Kopfgeburt „Wir waren zu Beginn optimistischer, als uns das Ergebnis am Ende gezeigt hat“, sagt Simons. Das Konzept des kommunal geförderten Wohnungstauschs bezeichnet er als Kopfgeburt. Denn auch finanzielle Anreize blieben ohne Effekt. So ermöglichte beispielsweise die Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) in Nordrhein-Westfalen ihren Mietenden, bei einem Tausch ihre bisherige Miete „mitzunehmen“. Die Stadt Frankfurt bezuschusste den Umzug und vergab Renovierungsprämien – alles ohne Erfolg. Viele Menschen wollten eben große Wohnungen und kaum jemand eine kleine, führt der VWL-Professor aus. „Senioren sparen vielleicht 200 Euro, wenn sie ihre große Wohnung tauschen. Dafür tut sich niemand den Umzugsstress an“, sagt Simons Zudem müssten bei einem Tausch beide Parteien am selben Tag umziehen, faktisch werde also eine dritte Wohnung benötigt. Solange sich die Politik darauf konzentriere, die Bestandsmieten nicht weiter steigen zu lassen, werde das Problem größer, sagt Simons. „Die Neuvertragsmieten gehen immer weiter hoch, weil keiner seine Wohnung aufgibt. Ein alter Mietvertrag ist ein Wertpapier und ein Wertpapier zerreißt man nicht.“ Wenn keiner mehr eine Wohnung aufgebe, könne man so viel bauen, wie man wolle – es werde nie reichen.
Foto: BS/Kati Günter
Behörden Spiegel: Sie haben den Aufruf „Für einen Zukunftsstaat“ unterzeichnet. Welche konkreten Reformen halten Sie für notwendig, um die Handlungsfähigkeit des Staates zu stärken?
Adrian Sonder: Der Kern des Problems ist unsere Herangehensweise an das Thema. Ein handlungsfähiger Staat muss in der heutigen Zeit digital sein. Zu diesem Zweck muss das Thema Digitalisierung eine hohe Priorität einnehmen und gleichzeitig eine Dringlichkeit haben. Dies war in der Vergangenheit in Deutschland öfters nicht der Fall und deshalb sind einige Reformansätze auch ins Leere gelaufen. Ein handlungsfähiger und digitaler Staat braucht vor allem eine gute Architektur, effiziente Prozesse und bessere Lösungen für Schnittstellenprobleme. Dazu gehört unter anderem, dass Gesetze praxistauglicher, einfacher und innovationsfreundlicher gestaltet werden. Darüber hinaus sind Instrumente wie Pauschalierungen oder Bagatellvorbehalte stärker einzusetzen, um den Erfüllungsaufwand zu senken. Ein Kernbereich für einen handlungsfähigen Staat ist auch die Aufgabenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen sowie die Zuordnung der Finanzierung. An dieser Stelle gibt es erheblichen Reformbedarf. Im Bereich der Verwaltung hat die jetzige Bundesregierung mit dem neuen Digitalministerium ein wichtiges Zeichen gesetzt. Es ist von zentraler Bedeutung, dass das neue Digitalministerium eine steuernde und zugleich federführende Rolle bei der Modernisierung der gesamten Verwaltung einnimmt. Um unseren Staat noch handlungsfähiger zu machen, braucht es natürlich auch Veränderungen im Bereich der Arbeits- und Personalkultur. Nur auf diesem Wege
Das
Ufer der Saar in Saarbrücken erfreut sich mit seinen zahlreichen Liegewiesen großer Beliebtheit und stellt die Stadtreinigung vor besondere Herausforderungen. Ob Zigarettenkippen, Kronkorken oder Plastikschnipsel –kleinteilige Verschmutzungen sind auf den unbefestigten Grünflächen besonders schlecht sichtbar. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtreinigung müssen die Kleinabfälle aufwendig und zeitintensiv durch Aufpicken mit einer Zange beseitigen.
Gerät soll für Zeitersparnis sorgen Um die Mitarbeitenden bei der Reinigung solcher und anderer unbefestigter Flächen zu unterstützen, entstand bereits 2024 die Idee, sich testweise die darauf spezialisierte, autonome Reinigungsmaschine der Firma Angsa ins Haus zu holen. Während die Grundreinigung weiterhin durch die Mitarbeiter des ZKE erfolgt, soll das Gerät für eine Zeitersparnis bei der Sammlung des Kleinmülls sorgen. Das Saarufer hat sich dabei als ideales Testgebiet angeboten.
Effiziente Müllerkennung
VIER Fragen– VIER Antworten
Interview mit Adrian Sonder, Bürgermeister von Freudenstadt
Staat braucht Struktur
Warum Kommunen mehr Einfluss auf Reformen brauchen
(BS) Was braucht es für einen handlungsfähigen Staat? Für Adrian Sonder, Bürgermeister von Freudenstadt, ist die Antwort klar: digitale Durchlässigkeit, klare Zuständigkeiten – und mehr Einfluss der Kommunen auf Gesetzgebung und Reformprozesse. Wir sprachen mit ihm über seine Vorstellung von Staatsmodernisierung. Die Fragen stellte Julian Faber.
können die Herausforderungen der Zeit gemeistert werden.
Behörden Spiegel: Wie setzen Sie in Freudenstadt die Prinzipien eines handlungsfähigen Staates um, insbesondere in Bezug auf Digitalisierung und Bürgerbeteiligung?
Sonder: Auf kommunaler Ebene – Freudenstadt hat rund 25.000 Einwohner – sind wir in unserer täglichen Arbeit nah dran an den Bürgerinnen und Bürgern. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter suchen Lösungen, wenn die Menschen mit Problemen zu uns kommen. Gleichzeitig wollen wir Bürgerinnen und Bürger in den
kommenden Jahren noch mehr als bisher mit Online-Umfragen und Workshops an der Gestaltung der Zukunft in unserer Stadt beteiligen. Schon jetzt binden wir die Menschen bei Projekten wie der kommunalen Wärmeplanung oder städtischen Veranstaltungsformaten aktiv ein. Hier sehe ich noch ein großes Potenzial. Beim Thema Digitalisierung setzen wir intern auf einen breit angelegten Strategieprozess, der alle Ämter und Organisationseinheiten mitnimmt. Im Kern geht es um verbindliche Ziele und klare Prozesse für die Digitalisierung unserer Verwaltung. Unser Zielbild: eine effiziente digitale Verwaltung, die noch bürgerfreundlicher und produktiver arbeitet.
Behörden Spiegel: Welche Herausforderungen begegnen Ihnen bei der Umsetzung von Verwaltungsmodernisierungen auf kommunaler Ebene, und wie gehen Sie damit um?
Sonder: Viele Prozesse, in denen andere Behörden und Verwaltungsebenen involviert sind, sind nicht digital durchlässig bzw. medienbruchfrei abbildbar. Das heißt, irgendwann kommt der Punkt, an dem ein Vorgang ausgedruckt, verschickt und beim Empfänger wieder eingescannt werden muss, um ihn zum Abschluss zu bringen. Das berichten uns auch Unternehmen, die durchgängig digital arbeiten, aber Abrechnungen bei den Krankenkassen dann auf Papier einreichen müssen. Da ist vielfach zwar schon ein Anfang gemacht, aber es bleibt auch noch viel zu tun. Anderes Beispiel: Wenn ein Einwohner zu unserem Bürgerservice kommt, um einen Ausweis zu beantragen, die dafür notwendige Geburtsurkunde aber ein Zimmer weiter liegt, bringt das Reibungsverluste mit sich. Ein digitales Konto mit Zugriffsrechten wäre da schon eine Erleichterung, damit Bürger nicht ständig dieselben Dokumente für verschiedene Anliegen beantragen oder vorlegen müssen. Wir setzten verstärkt auf ämterübergreifende Projektteams und Zusammenarbeit und haben diesbezüglich schon sehr gute Erfahrungen gesammelt. Ein anderer aktueller Fall sind die neuen Ausweise: Seit 1. Mai gilt eigentlich die
Scharfer Blick für Kleinteiliges
KI reinigt Grünflächen in Saarbrücken
(BS/Patrick Berberich/Simone Stöhr/Björn Althaus) Seit Mitte Mai sammelt ein selbstfahrender Roboter der Firma Angsa Robotics Kleinmüll auf Grünflächen entlang der Saar ein. Der vom Amt für Stadtgrün und Friedhöfe mit der Reinigung beauftragte Zentrale Kommunale Entsorgungsbetrieb (ZKE) der Landeshauptstadt Saarbrücken erprobt das autonome Gerät. Der städtische Eigenbetrieb testet, was die Künstliche Intelligenz (KI) anders macht als ihre menschlichen Kolleginnen und Kollegen und ob sich die neue Technik im Arbeitsalltag bewährt.
Ganz autonom
Nach Auslieferung des Geräts definierte der ZKE zunächst die zu reinigenden Flächen einmalig über ein Programm. Dank KI verbleibt der Roboter innerhalb dieser vorbestimmten Areale. Während die KI Menschen, Tiere und Objekte sicher erkennt und umfährt, sucht das Gerät per Bildabgleich gezielt nach kleinteiligem Müll und saugt die Abfälle in einen intern installierten Müllbehälter mit einem Volumen von etwa zehn Litern ein. Der Untergrund wird dabei geschont. Die effi ziente Erkennung und schnelle Entfernung von Abfällen, die dem menschlichen Auge entgehen können, ist auch der Hauptvor-
teil der Reinigungsmaschine, deren Arbeitsweise ansonsten schwer mit ihren menschlichen Kollegen zu vergleichen ist.
Handhabung und Überwachung
Das Gerät misst 120 auf 80 Zentimeter, ist 75 Kilogramm schwer und reinigt bis zu 1.000 Quadratmeter in einer Stunde. Es kann zwischen sechs und acht Stunden
pro Tag eingesetzt werden. Der Roboter ist in Saarbrücken montags bis freitags vormittags im Einsatz. Morgens wird das Gerät von den Mitarbeitern vor Ort transportiert und nach dem Einsatz abgeholt. Dann wird auch der Behälter geleert. Mithilfe einer kontinuierlichen GPS-Lokalisierung kann der Gerätezustand dauerhaft überwacht werden. Auffälligkeiten werden direkt an den ZKE gemeldet.
Projekt dauert bis Ende September Interessant für den ZKE sind die Daten zum Müllaufkommen, die das Gerät als visualisierte Reinigungsberichte liefert. Die Berichte enthalten Angaben zur Größe der gereinigten Fläche, zur Reinigungsdauer sowie zu Anzahl und Art der gesammelten Müllmengen. Das Pilotprojekt dauert voraussichtlich bis Ende September. Bis dahin will der ZKE den zeitlichen Aufwand für den Transport und die Bedienung sowie die Reinigungsergebnisse zusammenfassend evaluieren und entscheiden, ob das derzeit nur gemietete Reinigungs-
neue Regelung, dass wir nur noch digitale Bilder verwenden dürfen, aber die Bundesdruckerei kann die entsprechenden Automaten nicht liefern. Wir haben mit einer Drogeriekette und einem örtlichen Fotogeschäft Partner gefunden, die uns die Fotos datenanforderungsgerecht übermitteln. Aber auf den Bürger wirkt es schon ein wenig absurd, wenn der Staat Regeln macht, aber selbst nicht liefern kann.
Behörden Spiegel: Welche Rolle sehen Sie für die Kommunen in der bundesweiten Diskussion über eine mutige Staatsreform und wie können sie aktiv zur Transformation beitragen?
Sonder: Die Kommunen sind der Nukleus der Demokratie und der Gesellschaft. Wer etwas vom Staat braucht, kommt wahrscheinlich in 95 Prozent aller Fälle im Rathaus oder im Landratsamt vorbei. Unsere Erfahrungen wären daher sicher wertvoll für praxisnahe Reformen und die Verbesserungen von Prozessen. Gleichzeitig müssen Kommunen eine verbindlichere Rolle in Gesetzgebungsprozessen auf allen Ebenen bekommen. Diese Expertise muss von Anfang an eingebracht werden.
gerät dauerhaft angeschafft werden soll. Bei den Saarbrückerinnen und Saarbrückern konnte der Roboterkollege schon mal punkten. Nach großem Medieninteresse und einer umfangreichen Berichterstattung sind die Reaktionen in den Sozialen Medien und vor Ort überwiegend positiv und sogar „fürsorglich“ ausgefallen. Denn einige Saarbrücker befürchteten, der Roboter könnte in der Saar landen oder Opfer von Vandalismus werden. Beide Szenarien sind glücklicherweise aufgrund der eingrenzbaren Reinigungsflächen und der Echtzeitüberwachung bislang nicht eingetreten.
Patrick Berberich ist Vorsitzender des Werkausschusses, Baudezernent und Beigeordneter der Landeshauptstadt Saarbrücken.
Foto: BS/LHS
Simone Stöhr und Björn Althaus sind die Werkleitung des Zentralen Kommunalen Entsorgungsbetriebs (ZKE) und vertreten dessen Belange gegenüber dem Werkausschuss, der Landeshauptstadt Saarbrücken, den Vertragspartnern und der Öffentlichkeit.
Foto: BS/LHS
funktioniert der Roboterkollege natürlich nicht. Wenn sein Behälter voll ist oder er an einem Erdloch hängen bleibt, muss ein menschlicher Kollege nach ihm schauen.
Foto: BS/LHS
Vor Ort beginnt die Reform: Freudenstadt setzt auf direkte Rückkopplung und digitale Beteiligungsformate. Foto: BS/Kati Günter
In einem thüringischen Dorf klagte ein Anwohner gegen den geplanten Bau einer Windkraftanlage – und bekam vor dem Verwaltungsgericht Gera Recht. Die Genehmigung war fehlerhaft, entscheidende Umweltgutachten fehlten. Immer wieder gerät die kommunale Verwaltungspraxis unter juristischen Beschuss. Bei genauer Betrachtung der Zahlen ergibt sich jedoch ein differenzierteres Bild – jedenfalls für die Fälle, die ihren Weg bis zu den Oberverwaltungsgerichten (OVG) finden: „Insgesamt vier Entscheidungen sind seit Januar 2024 zu Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden ergangen. Eine besondere Häufung ist das nicht“, erklärt Gudrun Dahme, Vorsitzende Richterin des OVG Nordrhein-Westfalen. Auch von Richterin Dr. Andrea Kloster vom OVG Baden-Württemberg heißt es: „Es lassen sich keine besonderen Trends und Häufungen ausmachen.“ Nachfragen am OVG Bayern, Sachsen, Berlin, Hamburg und Niedersachsen bestätigen dies. Recht schafft keine Akzeptanz Anders verhält es sich auf der Ebene der Erstinstanz: Laut den Jahresberichten der Verwaltungsgerichte stieg die Zahl der Bürgerklagen 2024 beispielsweise in Bremen um rund zehn, in NRW um 15, in Rheinland-Pfalz um 19 und in SchleswigHolstein um 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Insbesondere bei Bebauungsplänen, umweltbezogenen Großprojekten oder politisch sensiblen Vorhaben beschreiten Bürgerinnen und Bürger den Rechtsweg gegen ihre Kommune deutlich häufiger, als noch vor einigen Jahren. Auch Normenkontrollklagen, die primär der Offenlegung von Verfahrensfehlern oder Informationsdefiziten bei Bauvorhaben dienen, häufen sich. Dass sich diese Steigerung auf die lokale Ebene konzentriert, mindert keineswegs ihre Bedeutung – im Gegenteil: Gerade vor Ort sorgen Rechtsstreitigkeiten zwischen Bürgern und Kommunen für öffentliche Aufmerksamkeit, politische Brisanz und erheblichen Verwaltungsaufwand.“
Das bestätigt auch Dr. Klaus Effing, Vorstand der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt). Er interpretiert die steigenden Zahlen nicht nur als juristisches Problem, sondern als gesamtgesellschaftliches Symptom: „Die wachsende Zahl an Bürgerklagen ist kein Randphänomen – sie ist Spiegel eines tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandels.“ Hinter den Streitigkeiten stecke ein neues Selbstverständnis der Zivil-
„Die wachsende Zahl an Bürgerklagen ist kein Randphänomen – sie ist Spiegel eines tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandels.“
Dr. Klaus Effing, Vorstand KGSt
Zwischen Vertrauen und Verfahren
Wenn Bürger klagen
(BS/Julian Faber) Stromtrassen, Windräder oder andere Projekte spalten immer wieder die Gemüter in Städten und Gemeinden. Doch wie häufig sind Rechtsstreitigkeiten dazu tatsächlich – und was bedeutet das für Verwaltung, Demokratie, die kommunale Projektverantwortung und deren Handlungsfähigkeit?
gesellschaft: Informierter, konfliktbereiter, mit hohem Anspruch auf Beteiligung. Das Vertrauen in politische und administrative Entscheidungen schwinde, juristische Auseinandersetzungen würden oft als letzter Ausweg empfunden. „Paragrafentreue allein schafft noch keine Akzeptanz“, so Effing. „Es braucht Vertrauensarbeit.“
Kommunen in der Pflicht
Die Grenzen der kommunalen Selbstverwaltung sind klar: Laut Artikel 28 Absatz 2 des Grundgesetzes haben Städte und Gemeinden weitreichende Rechte, doch unterliegen sie der gerichtlichen Kontrolle nach Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz. Kommunen dürfen gestalten, müssen sich aber an gesetzliche Vorgaben halten – und diese sauber umsetzen. Insbesondere bei großen Infrastrukturprojekten oder Eingriffen in Umweltbelange sind Planungs- und Beteiligungsverfahren oft komplex, langwierig und fehleranfällig.
Hier setzt auch die Kritik von Interessenverbänden an: „Unsere Klagen richten sich immer gegen Verstöße gegen gesetzliche Mindeststandards“, so Jonathan Deupmann von der Deutschen Umwelthilfe (DUH).
In vielen Fällen würden Hinweise in Beteiligungsverfahren ignoriert, was letztlich den Gang vor Gericht notwendig mache. „Transparenz ist dabei eine Selbstverständlichkeit, Intransparenz darf keine Option sein.“ Auch der Personalmangel in kommunalen Umweltämtern sei ein Problem: Eine einzelne Fachkraft könne nicht gleichzeitig für Lärmaktionspläne, Luftreinhalteprogramme und Naturschutz verantwortlich sein.
Vergaberecht und Vertrauenspflege
Was also tun, um Bürgerklagen zu vermeiden, ohne demokratische Beteiligung auszubremsen?
brauche nicht nur Juristen, sondern auch Kommunikationsexperten und Strategien zur Vertrauensbildung.
Neben Klagen wegen mangelnder Transparenz und Beteiligung stehen auch formale Vergabeverfahren im Fokus. Deshalb begrüßt der
Landkreistag Nordrhein-Westfalen die geplante Reform des kommunalen Vergaberechts durch die Landesregierung: „Mit der Änderung werden den Städten, Kreisen und Gemeinden deutlich mehr Spielräume zur Ausgestaltung des Vergaberechts unterhalb der Schwellenwerte zur europaweiten Ausschreibung an die Hand gegeben“, so Pressesprecherin Rosa Moya. Durch weniger strikte Vorgaben bei Ausschreibungen und Wertgrenzen sowie fortschreitende Prozessdigitalisierung könnten Kommunen flexibler und effektiver zusammenarbeiten. Die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Transparenz blieben jedoch unangetastet. Hier sind Fingerspitzengefühl und Kommunikation gefragt: Gerade bei sensiblen Auftragsvergaben kann fehlende Begründung oder mangelnde Nachvollziehbarkeit zu Misstrauen führen – bei Wettbewerbern wie auch in der Öffentlichkeit. Kommunale Klagen werden in den wenigsten Fällen aus Prinzip angestrengt. Sie sind Ausdruck konkreter Frustration – über Missverständnisse, fehlende Mitsprache oder unzureichende Kommunikation. Wer Konflikte vermeiden will, braucht klare Verfahren, transparente Kommunikation und den Mut, den Bürger als Partner statt als Störfaktor zu sehen. Wenn Kommunen darauf reagieren, entsteht daraus nicht nur rechtssicherer Planung, sondern auch demokratische Resilienz.
NürnbergMesse
22. – 23. Oktober 2025
Kommunale Bedarfe auf den Punkt gebracht.
Aus Sicht der DUH braucht es vor allem klare Verfahren, bessere Ressourcenausstattung und eine neue Beteiligungskultur: digitale Partizipationstools, strukturierte Beteiligungsformate und eine echte Auseinandersetzung mit Einwänden. Dr. Effing geht noch einen Schritt weiter: „Die Antwort darauf ist keine Abwehrhaltung, sondern ein Perspektivwechsel: Beteiligung statt Konfrontation, Prävention statt Verteidigung.“ Verwaltung
KOMMUNALE.de
In Zusammenarbeit mit:
KOMMUNALE.de/linkedin #KOMMunity
Symbol der Gerechtigkeit: Justitia wacht auch über kommunale Rechtsstreitigkeiten.
Foto: BS/WilliamCho, pixabay.com
Stesstest statt mehr Geld
Kommunen fordern Handlungsfähigkeit und mehr Beteiligung
(BS/Anne Mareile Moschinski) Lösungen für die Finanznot der Kommunen und die Demokratiemüdigkeit der Bürgerinnen und Bürger: Die Jahreskonferenz des Netzwerks Junge Bürgermeister*innen hatte sich prominenten aktuellen Themen verschrieben.
Einen Stresstest für die öffentlichen Haushalte statt mehr Geld von Bund und Ländern. Das forderte der Heidenheimer Oberbürgermeister Michael Salomo (SPD) auf der Jahreskonferenz des Netzwerks Junger Bürgermeister*innen (NJB) und unterstrich damit einen wesentlichen inhaltlichen Schwerpunkt der Versammlung, zu der sich rund 250 junge Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aus ganz Deutschland in der Hauptstadt eingefunden hatten.
Salomo, der auch Bundesvorsitzender des NJB ist, konkretisierte seinen Appell: Es müsse geprüft werden, ob die in der Verfassung verbrieften Rechte mit dem Geld, das jede Ebene für sich in Anspruch nehme, überhaupt finanzierbar seien. Salomo bezweifelt dies. Denn tatsächlich seien die Gemeinden immer stärker finanziell von Fördertöpfen abhängig – die politischen Weichen würden dadurch in Berlin und nicht mehr vor Ort gestellt.
Mehr Vertrauen von Bund und Ländern gefordert
Gleichzeitig seien Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, so Salomo, diejenigen, denen die Bürgerinnen und Bürger am meisten Vertrauen schenkten. „Ich bitte deshalb auch um mehr Vertrauen von Bund und Ländern“, schlussfolgerte er. Die Aufgaben zum Nutzen der Bürger müssten umgesetzt werden, nur so sei weiterer Vertrauensverlust in die Demokratie zu verhindern.
„Wenn die Bürgerinnen
und Bürger sehen, dass sich etwas tut, dann erhöht sich auch wieder der Respekt.“
Dr. André Berghegger, Hauptgeschäftsführer Deutscher Städte- und Gemeindebund
Daseinsvorsorge sichtbar machen
Kommunale Leistungen im Blick (BS) Zum Tag der Daseinsvorsorge zeigten kommunale Unternehmen bundesweit, was Daseinsvorsorge bedeutet – und wer sie ermöglicht.
An diesem Tag rückten Stadtwerke, Entsorger, Verkehrsbetriebe und viele weitere kommunale Unternehmen ihre Leistungen ins öffentliche Bewusstsein. Der Tag der Daseinsvorsorge machte sichtbar, was im Alltag oft übersehen wird: Strom, Wasser, Müllabfuhr, Wärme, Internet oder Kita-Betrieb – all das geschieht meist leise, zuverlässig und hinter den Kulissen. Doch ohne diese Leistungen funktioniert kein Gemeinwesen. Der bundesweite Aktionstag wird vom Verband kommunaler Unternehmen (VKU) koordiniert und stand unter dem Motto „Heldinnen und Helden der Daseinsvorsorge“.
ment stabil bleibe und wir weiter eine Spaltung vermeiden könnten. Er empfindet es als Pflichtaufgabe von Bund und Ländern, Sicherheit für diejenigen zu garantieren, die sich an der Spitze der Kommunalpolitik engagieren.
… berichtete mir mein Nachbar über ein Schreiben der Bauaufsichtsbehörde. Das Vordach über seiner Haustür rage ca. zehn Zentimeter aus dem vorgeschriebenen Baufenster des Bebauungsplanes heraus. Ihm wurde ein Bußgeldverfahren angedroht und aufgegeben, zurückzubauen, was in der Realität „Entfernung des Vordaches“ bedeutet. „Oha“ dachte ich mir, dem deutschen Staat entkommst du bei solch schlimmen Vergehen nicht.
Baurecht funktioniert, Abschiebung eher nicht
Leider spielt Deutschland nicht bei allen Aufgaben in der Champions-League, bei Abschiebungen von Straftäterinnen und Straftätern eher in der Kreisklasse. Obwohl das Gesetz eine Ausweisung bei schweren Straftaten vorsieht, scheitern Abschiebungen in der Praxis häufig. Richtig ist: Bei Baurecht handelt es sich um nationales Recht, klar geregelt und durchsetzbar. Migrations- und Abschieberecht dagegen ist ein komplexes Geflecht aus internationalen Abkommen, Menschenrechten und diplomatischen
Erste positive Signale aus Berlin stimmen aus Sicht des Hauptgeschäftsführers des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB), Dr. André Berghegger, hoffnungsfroh. So habe Bundeskanzler Friedrich Merz beim Kommunalkongress des DStGB den Eindruck vermittelt, dass die Bedeutung der kommunalen Ebene in der Regierung angekommen sei. „Wir hoffen, dass aus den Ankündigungen nun auch Taten werden“, sagte Berghegger Dabei sei es nicht nur die eine Maßnahme, die die Handlungsfähigkeit der Kommunen infrage stelle, es sei
„die Summe der Entscheidungen“. Bislang hätten die Kommunen nicht mit am Tisch gesessen, das müsse sich ändern. Der kommunale Investitionsstau summiere sich auf rund 200 Milliarden Euro. Hinzu komme: Jeden Tag verliere die kommunale Infrastruktur 13 Millionen Euro an Wert und den Gemeinden fehlten täglich 26 Millionen Euro, um ihre Ausgaben auszugleichen. Das Geld aus dem Sondervermögen Infrastruktur müsse deshalb nun da ankommen, wo es gebraucht werde. „Wenn die Bürgerinnen und Bürger sehen, dass sich etwas tut, dann erhöht sich auch wieder der Respekt“, prognostizierte der DStGB-Hauptgeschäftsführer.
Politische Polarisierung hat Gesellschaft nicht gespaltet „Kommunalpolitik ist ein Teil der Kritischen Infrastruktur“, erklärte der TV-Moderator und Journalist Jörg Schönenborn. Die politische Polarisierung habe bislang glücklicherweise nicht zu einer Spaltung der Gesellschaft geführt – dabei seien die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister wichtige Schnittstellen in der Frage, ob dieses Funda-
Neulich …
Beziehungen. Hier prallen Ideal und Wirklichkeit oft schmerzhaft aufeinander. So sind die Behörden selbst bei Intensivstraftätern häufig machtlos und greifen eben nicht wie beim Bauen mit aller Konsequenz durch. Abschiebungen von Straftätern wirken meistens wie ein Kampf gegen Windmühlen. Man könnte annehmen: Wer in Deutschland baut, muss mit Sanktionen rechnen, wenn er Fehler macht. Wer schwere Straftaten begeht und abgeschoben werden soll, profitiert von einem dysfunktionalen System von Unzuständigkeiten und hoffnungslos unterbesetzten Ausländerbehörden.
Resignation und Vertrauensverlust
Das sorgt für Frust in der Bevölkerung und wirft Fragen nach der Balance von Rechtsstaatlichkeit und Handlungsfähigkeit auf. Jetzt möchte ich mich nicht am bequemen „Behörden-Bashing“ mancher Politiker beteiligen, die allzu schnell nach Terrorakten wie beispielsweise in Solingen, Magdeburg oder München von Vollzugsdefiziten sprechen. Sie fördern mit solchen
reflexartigen Schuldzuweisungen die Generalisierung von Misstrauen und nicht nur gegen Ausländerbehörden, sondern gegen die Verwaltung allgemein. Vor allem kommunale Behörden, die an der „Front“ sitzen, haben das auszubaden. Und das in einer Zeit, in der Deutschlands Kommunen längst nicht mehr pulsierende Orte demokratischer Gestaltung, sondern nur noch graue Verwaltungsapparate mit leerem Konto und leeren Händen sind.
Städte und Gemeinden sind zu Bittstellern degradiert Während der Kanzler von Sondervermögen spricht und mit Milliarden jongliert, kämpfen Rathäuser landauf, landab darum, ob sie sich die örtliche Bibliothek oder das Freibad noch leisten können. Handlungsfähig? Unsere Kommunen sind am Limit. Finanziell, personell, politisch. Die Wahrheit ist bitter: Städte und Gemeinden sind zu Bittstellern degradiert. Sie dürfen Kitas betreiben, aber nicht entscheiden, wie viele Erzieher sie bezahlen können. Sie sollen Wohnungen schaffen, aber
Sicherheit für die Spitzen der Kommunalpolitik gewährleisten „Wenn Kommunalpolitik Kompromisse stiften soll, braucht man dafür auch Gestaltungsmasse. Dann muss unsere finanzielle Struktur so gestaltet sein, dass die Pflichtaufgaben auch erfüllt werden können“, sagte Schönenborn Doch genau das gestaltet sich vielerorts schwierig. So wies der NJBVorsitzende Salomo darauf hin: Es sei zwar schön, wenn der Bund das Wohngeld erhöhe, aber wenn die Bearbeitung wegen Stellenmangels schlussendlich zwei Jahre dauere, sei damit auch niemandem geholfen. Wenn sich die Kommunen dagegen bei zehn bis 15 Themen erfolgreich zeigten, sei das schon ausreichend, „damit die Menschen wieder an uns glauben." Bei Bund und Ländern müsse mehr Überzeugungsarbeit geleistet werden, dass es ohne die Kommunen nicht gehe.
ohne Grundstücke, ohne Fördermittel, ohne Planungskapazitäten. Wie soll ein Vertrauen in den Staat entstehen, wenn das Bürgeramt vier Wochen auf einen Termin warten lässt und die marode Schule bei einem Regen die Eimer aufstellt? Wenn wir nicht bald radikal umdenken, droht der Kollaps der kommunalen Handlungsfähigkeit.
Mehr Verantwortung für die Basis dringend notwendig Was es dann überhaupt nicht braucht, sind Politikerinnen und Politiker, die unseren Kommunen in den Rücken fallen, sondern solche, die die strukturellen Defizite aufarbeiten. Unsere Städte und Gemeinden haben Ehrlichkeit verdient.
Die Debatte um Abschiebungen ist schon emotional genug aufgeladen. Kommunen dürfen nicht als bloße
Wachsende Herausforderungen Kommunale Daseinsvorsorge ist mehr als Versorgung – sie ist Teil der öffentlichen Infrastruktur, Garant für Lebensqualität und zentral für gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land. Doch sie ist zunehmend gefordert: Klimakrise, Digitalisierung und der demografische Wandel verlangen enorme Anpassungen. Hinzu kommt der Fachkräftemangel: Laut VKU berichten rund 90 Prozent der kommunalen Unternehmen von Unterbesetzung. Berufe mit Sinn Deshalb wurde der Tag auch genutzt, um junge Menschen für technische und soziale Berufe in kommunalen Betrieben zu begeistern. Unter dem Hashtag #TeamDaseinsvorsorge geben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Videos und Kampagnen persönliche Einblicke in ihren Berufsalltag – und zeigen, wie sinnstiftend ihre Arbeit ist. Städte wie Essen, Würzburg, Solingen oder Oberursel laden zudem zu Führungen, Mitmachaktionen und Gesprächen ein. Die Botschaft: Daseinsvorsorge ist systemrelevant – nicht nur in der Krise, sondern jeden Tag.
Rolf Hartmann war von 2004 bis 2020 Bürgermeister der Gemeinde Blankenheim. Foto: BS/privat
Ausführungsorgane behandelt werden. Sie brauchen Verantwortung, Ressourcen und den Respekt, den sie verdienen. Wenn die Basis des Staates nicht mehr funktioniert, hilft auch kein Superman in Berlin. Deutschlands Zukunft entscheidet sich nicht in Talkshows – sie entscheidet sich im Rathaus.
Moderatorin Sally Lisa Starken, Prof. Dr. Petra Roth, Oberbürgermeisterin a. D. der Stadt Frankfurt am Main, TV-Journalist Jörg Schönenborn, Prof. Stephan Habscheid, Uni Siegen, und Michael Salomo, Oberbürgermeister der Stadt Heidenheim (v. l.) Foto: BS/Moschinski
Kolumne Hartmann
Soziale Netzwerke, Clouds, Digital Twins, Metaverse können ergänzen, jedoch nicht die Kommunikation und den persönlichen Austausch vor Ort ersetzen. Menschen leben und arbeiten in Städten und Gemeinden, auch Prozesse der Entörtlichung und Regionalisierung oder Globalisierung haben daran nichts geändert. Dort sind die Kommunen gefordert. Sie müssen handlungsfähig sein, um das Miteinander in der örtlichen Gemeinschaft, Vertrauen und Akzeptanz sowie Identifikation mit dem Gemeinwesen zu fördern. Digitalisierung als Chance So hat die Konferenz der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder bei ihrer Jahreskonferenz vom 23. – 25. Oktober 2024 in Leipzig zu Recht beschlossen: Konkrete Ansprechpartner vor Ort werden auch in Zukunft eine besondere Bedeutung behalten. Aber die Digitalisierung der Verwaltung gibt uns die Chance, Bürgernähe, moderne Verwaltung und Daseinsvorsorge neu zu denken. Sie bietet die Chance, Strukturen und Verfahren zu verbessern. Und weiter heißt es: Es ist unter Wahrung der kommunalen Selbstverwaltung zu prüfen, ob bei Verwaltungsverfahren ohne Ermessens- und Gestaltungsspielraum für die vollziehende Behörde die Bearbeitung nicht mehr zwingend an die örtliche Zuständigkeit der Kommune gebunden sein muss. Damit wird auf die so genannte Dresdner Erklärung des
Starke Kommunen, starke Demokratie
Lokale
Handlungsfähigkeit als Schlüsselfrage
(BS/Hermann Hill) Digitalisierung, demografischer Wandel, Klimakrise: Die Herausforderungen für Städte und Gemeinden wachsen. Warum kommunale Selbstverwaltung jetzt gestärkt werden muss – rechtlich, finanziell und digital.
Deutschen Städtetages hingewiesen, nach der staatliche Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises, wie etwa das Meldewesen, mithilfe der Digitalisierung zentral durch Bundesbehörden durchgeführt werden können, um den Kommunen mehr Freiraum für ihre eigentlichen Aufgaben der kommunalen Selbstverwaltung zu verschaffen.
Um diese Aufgaben wirkungsvoll zu erfüllen, bedarf es weiterer Maßnahmen zur Stärkung der kommunalen Handlungsfähigkeit. Der Gedanke der kommunalen Selbstverwaltung geht auf den Freiherrn vom Stein zurück, der im preußischen Staat grundlegende Reformen initiierte. Ihr Sinn ist auch heute noch gültig:
Die Bürgerinnen und Bürger kennen die Verhältnisse in ihrem Lebensumfeld am besten und erfahren auch alle Veränderungen unmittelbar. Wenn sie daher selbst an ihrer Ausgestaltung mitwirken, steigert das sowohl ihre Motivation und ihre Zufriedenheit als auch die Bereitschaft, die Umsetzung zu fördern.
Foto: BS/Hans, pixabay.com
Die so genannte Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, Rechtsstaat und Sozialstaat verlangen, dass das Recht, die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung zu regeln, gemäß Art. 28 abs. 2 GG im Rahmen der Gesetze erfolgt. Dies ergibt sich schon allein daraus, dass man bei einem Umzug immer noch den Eindruck haben soll, sich im gleichen Staat zu befinden. Gleichwohl soll kommunale Selbstverwaltung nicht standardisiert oder austauschbar erfolgen, sonst wären Kommunen eine reine Außenstelle des Staates. Vielmehr bedeutet Selbstverwaltung auch Selbstgestaltung im Sinne von Indi-
vidualität, Identität und Unverwechselbarkeit der jeweiligen Kommune. Handlungsfähigkeit mit Grundlagen Dazu braucht es indessen kommunale Handlungsfähigkeit. Diese sollte in den Feldern Recht, Geld, Technik, Kompetenzen und Identität vorhanden sein und verwirklicht werden. So muss etwa das Kommunalrecht ausreichende Spielräume für eigenständige Gestaltungen belassen, was gerade Forderungen nach einem Bürokratieabbau gegenüber den Kommunen bzw. Experimentierklauseln für neue Wege beinhaltet. Insbesondere ist der in den Gemeindeordnungen, etwa in Paragraf 117 GO RP, verankerte Appell zu beachten: Die Aufsicht ist so zu führen, dass die Entschlusskraft und die Verantwortungsfreude der Gemeindeorgane gefördert und nicht beeinträchtigt werden. Kommunen sind Teil der Länder, die damit auch Verantwortung und Haftung für die Finanzlage übernehmen. Deshalb ist die Forderung
Neue Schulden für Investitionen einsetzen
Landesrechnungshof Schleswig-Holstein legt Bemerkungen 2025 vor (BS/Anne Mareile Moschinski) Durch die Lockerung der Schuldenbremse stehen dem Land Schleswig-Holstein künftig Kreditmittel in Höhe von rund 800 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung. Dabei unterstützt der Bund das Land mit rund 290 Millionen Euro.
Die frei werdenden Kreditmittel in Höhe von 800 Millionen Euro sollte Schleswig-Holstein für Investitionen einsetzen, erklärt der Landesrechnungshof in seinen Bemerkungen für das Jahr 2025. Foto: BS/Sergey Nivens, stock.adobe.com
„Jetzt kommt es entscheidend darauf an, dass die Landesregierung die zusätzlich eingeräumten Verschuldungsmöglichkeiten auch für zusätzliche Investitionen einsetzt, die über den Status quo hinausgehen und damit zu einer finanziellen und wirtschaftlichen Stärkung des Landes beitragen“, erklärte die Präsidentin des Landesrechnungshofes Schleswig-Holstein, Dr. Gaby Schäfer, anlässlich der Veröffentlichung der Bemerkungen 2025.
Personalausgaben immer schwerer zu finanzieren
Die neuen Kreditmöglichkeiten dürften weder direkt noch indirekt für konsumtive Zwecke genutzt werden. Stattdessen müssten Investitionen Vorrang haben, denn „nur dann sind die zusätzlichen Zinsbelastungen für die künftigen Generationen überhaupt zu rechtfertigen.“ Es müssten spürbare Verbesserungen in der Infrastruktur von Land und Kommunen herbeigeführt werden. Ein weiteres Thema der Bemerkungen sind die Personalausgaben, die immer schwerer zu finanzieren seien. Bis zum Schuljahr 2035/36 würden nach den Prognosen des Bildungsministeriums die Schülerzahlen um 26.000 steigen. Dem steht ein sinkendes Lehrerangebot gegenüber. Dabei sei neben den Altersab-
gängen die sinkende Lebensarbeitszeit der Lehrkräfte problematisch: Mit 42,3 Prozent befinde sich die Teilzeitquote bei Lehrkräften bundesweit auf einem Höchststand, in Schleswig-Holstein liegt die Quote sogar bei 45,1 Prozent. Parallel gehen immer mehr Lehrkräfte vorzeitig in den Ruhestand. So ging die Zahl derjenigen, die die gesetzliche Regelaltersgrenze erreichen, von 2020 bis 2023 um zehn Prozent zurück. Stationäre Alterspflege unter der Lupe
Der LRH empfiehlt deshalb, finanzielle Anreize für Lehrkräfte zu prüfen. So hätten andere Bundesländer bereits in Mangelbereichen vergütete duale Studiengänge eingeführt. Darüber hinaus nahm der LRH die stationären Alterspflegeeinrichtungen des Landes unter die Lupe. Diese müssen qua Gesetz einmal pro Jahr überprüft werden. 2023 hatte es nur in 62 Prozent der Einrichtungen eine solche Regelprüfung gegeben. Laut Bemerkungen ist hierfür der Grund, dass die Aufgaben der Aufsichtenzu weit gefasst seien und zum Teil das Personal fehle, um die Anforderungen zu erfüllen. Der LRH rät: Damit die Kreise und kreisfreien
Städte künftig bei allen Einrichtungen Regelprüfungen durchführen können, sollte der festgelegte Prüfungsumfang reduziert werden.
nach Haushaltsausgleich samt der Folgen häufig ein Streitpunkt zwischen Land und Kommunen, wobei die Kommunen zu Recht darauf hinweisen, dass ihnen von Bund und Land vielfach gesetzliche Lasten auferlegt werden, ohne ausreichende finanzielle Mittel dafür bereitzustellen (so genannte Konnexität). So ist aktuell die von den Kommunen geäußerte Forderung verständlich, dass der grundsätzlich begrüßte „Investitions-Booster“ der neuen Koalition im Bund den Kommunen keine finanziellen Nachteile verschaffen darf bzw. diese ausgleichen muss. Eine ausreichende Finanzausstattung ist indessen nicht nur mit konkreten Zwecken und entsprechenden Zuweisungen zu verbinden, sondern verlangt pauschale Mittel zur Konkretisierung durch die kommunale Selbstverwaltung. Der Streit, wie das im Einzelnen geschehen soll, ist ein Dauerbrenner in den politischen Diskussionen. Neben Recht und Geld stellen die Ausstattung und der Umgang mit
neuen technischen Möglichkeiten im Rahmen der Digitalisierung und des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz eine weitere Voraussetzung für Handlungsfähigkeit dar. Ein Positionspapier, das die Arbeitsgemeinschaft der parlamentarisch gewählten Bürgerbeauftragten der Länder verabschiedet hat, fordert dabei zu Recht eine Digitalisierung in zwei Richtungen: Als Prozess „nach innen“ zur nachhaltigen Steigerung der Effektivität der Arbeit und als Prozess „nach außen“ als Kommunikationsweg mit den Bürgern. Handlungsfähigkeit erfordert weiterhin entsprechende Kompetenzen bei den Kommunalorganen, den Bediensteten, aber auch in der Zusammenarbeit mit dem Ökosystem der Kommune aus Wirtschaft und Gesellschaft wie im Rahmen interkommunaler Kooperation. Dies betrifft etwa die Möglichkeiten der Datennutzung, aber auch neue Formen der Kooperation und Entscheidungsfindung. All dies trägt zum Selbst- und Fremdbild der Kommunen bei, die sich verstärkt auch dem interkommunalen Standortwettbewerb stellen müssen. Herausforderungen, an denen sich diese Handlungsfähigkeit beweisen kann, gibt es genug. Sie gehen von Klima und Verkehr über Erneuerung der Infrastruktur und Smart City bis hin zu sozialen Fragen wie Diversität, Integration und gesellschaftlichem Zusammenhalt. Die kommunale Handlungsfähigkeit ist nicht zuletzt auch ein Prüfstein für die Zukunft der Demokratie. Die Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung macht Staat und Gemeinwesen daher lebenswert.
Prof. Dr. Hermann Hill ist Professor an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer. Foto: BS/privat
Reform des Staatshaushalts
LRH Sachsen veröffentlicht Mängelliste (BS/amm) Schlechte Straßen, Zusatzausgaben für Unterrichtsausfall – und eine Reform des Landeshaushalts ist auch dringend angebracht: Der Landesrechnungshof Sachsen legt seinen Jahresbericht für das Haushaltsjahr 2023 vor.
Für den Bericht nahmen die Rechnungsprüfer das Haushaltsjahr 2023/2024 unter die Lupe. In Einnahmen und Ausgaben stellten sie den Haushaltsplan für das Haushaltsjahr 2023 auf rund 24,3 Milliarden Euro auf. Dies entspricht einer Steigerung von gut elf Prozent gegenüber dem Vorjahr. Allerdings stellten die Rechnungshof-Prüfer eine Deckungslücke von rund 1,1 Milliarden Euro fest. Um einen daraus resultierenden Fehlbetrag zu vermeiden, bediente sich das Finanzministerium unter anderem aus der Haushaltsausgleichsrücklage. Der Rechnungshof kritisiert, dass keine andere Option genutzt wurde.
Teure Überstunden-Zulagen
„Ein Staatshaushalt soll aus sich selbst heraus tragfähig sein. Die Hausaufgaben, strukturelle Reformen anzugehen, müssen jetzt gemacht werden“, erklärte dazu der Präsident des Sächsischen Rechnungshofs, Jens Michel. Diese dürften nicht weiter in die Zukunft verschoben werden. Trotz eines neuerlichen Rekordhaushaltes für 2025/2026 reiche das Geld erneut nicht. „Da läuft aus unserer Sicht etwas schief“, so Michel. Für den ineffizienten Einsatz von Steuergeldern zeigt der Rechnungshof weitere Beispiele auf. So rügt er unter anderem die teure Überstun-
den-Zulage für Lehrer. Seit 2017 vergütet der Freistaat Lehrkräfte für jede zusätzliche Unterrichtsstunde, seitdem steigen die Ausgaben. „Mehrarbeitsunterricht wurde nach Inkrafttreten der Sonderregelung in großem Umfang abgerechnet und führte zu erheblichen zusätzlichen Ausgaben. Das damit verfolgte Ziel der Verbesserung der Unterrichtsversorgung konnte jedoch nicht erreicht werden“, erklärte Rechnungshof-Direktorin Isolde Haag Fokus auf Krypto-Werte legen Daneben mahnt der LRH auch die Fokussierung der Finanzbehörden auf die Besteuerung von KryptoWerten an. So müsse die Bearbeitung von Steuererklärungen mit Krypto-Bezug effektiver gestaltet werden. Nachbesserungsbedarf sehen die Prüfer auch beim Erhalt der staatlichen Straßeninfrastruktur. Der LRH weist darauf hin, dass die Ausbau- und Erhaltungsstrategie des Verkehrsministeriums konsequent umgesetzt werden müsse. Die jährlichen Mittel für den Straßenerhalt befinden sich laut dem Vizepräsidenten des Sächsischen Rechnungshofs, Stefan Rix, seit 2021 unter dem ermittelten Bedarf. „Ein Erhalt unserer Straßen oder gar eine Verbesserung des Straßenzustands kann so nicht erreicht werden“, sagte er.
Demokratie beginnt vor der Haustür: Kommunale Selbstverwaltung schafft Nähe, Vertrauen und Gestaltungskraft.
Das grundlegende Problem dabei ist, dass ein kommunaler Friedhof sich refinanzieren muss und die steigenden Kosten für ungenutzte Flächen nicht auf die Gebührenzahler umgelegt werden können. Nun muss die Gemeinde einen schmalen Grat beschreiten: Entweder wird die Fläche anderweitig öffentlich genutzt oder veräußert. Jedoch spielt dabei auch immer die Frage nach der Pietät eine Rolle. Und eine gänzliche Schließung des Friedhofs kommt für viele Bewohnerinnen und Bewohner der Gemeinden oft nicht infrage. Ein weiterer Kostenfaktor sei auch immer häufiger die Frage nach der Zuständigkeit für die Bestattungen, erklärt Herbert Schneider, der erste Vorsitzende beim Verband der Friedhofsverwaltung Deutschlands e. V. Denn immer häufiger habe sich die ganze Familie in alle Winde zerstreut und wenn kein Angehöriger in der Lage sei, die Bestattung durchzuführen, müsse diese von der Ortspolizei angeordnet und von der Gemeinde arrangiert werden.
Dazu seien nicht überall Vollzeit-Friedhofsverwalter im Einsatz. Für viele sei dies nur ein kleiner Teil ihrer Tätigkeiten und gerade diese Gemeinden hätten dann ein Problem, wenn so ein Antrag nur alle paar Jahre mal eintrudele und die betroffenen Sacharbeiter nicht damit umzugehen wüssten. „Und dann wird im Nachgang natürlich versucht, herauszufinden, wer denn zuständig gewesen wäre, um das Geld zurückzuholen. Aber das klappt nicht immer.“ Auch könne es vorkommen, dass alle nahen Verwandten bereits verstorben seien, sodass außer der Gemeinde niemand zum Bestatten übrig sei, weiß Schneider. Hier stellt sich für
Klassische Förderprogramme, die heute einen erheblichen Teil der Investitionsunterstützung der Länder und des Bundes für die Kommunen ausmachen, werden mit dieser Aufgabe absehbar überfordert sein. Erstens werden über die Formulierung von Fördergegenständen und förderfähigen Kosten sowie über die Definition von Nebenbedingungen der Förderung eine Reihe von Vorgaben gemacht, welche die kommunale Selbstverwaltung einschränken. Dies bewirkt, dass Kommunen regelmäßig eher nach verfügbaren Fördermitteln investieren, anstatt ihre tatsächlichen lokalen Bedürfnisse zu berücksichtigen. Es erfordert erheblichen kommunalpolitischen Einsatz, um sich gegen die Nutzung hoch dotierter Förderprogramme zu entscheiden. Zweitens entstehen beträchtliche Transaktionskosten. Die inzwischen schon sprichwörtliche Förderbürokratie bindet und belastet die Verwaltungen – und das sowohl auf der Seite der Kommunen als Fördermittelempfänger als auch auf der Seite der Länder, die die Programme administrieren. Antragstellung, Bewilligung, Abrechnung und Kontrolle können mitunter dazu führen, dass die Kosten der begleitenden Bürokratie höher ausfallen als die absehbaren Fördermittel. Ganz zu schweigen vom Frust, den die wiederholte Ablehnung eines Förderantrags mit sich bringt und zugleich Förderprogramme unausgeschöpft bleiben. Besonders der akute Fachkräftemangel in Kommunen und Ländern, der sich im Zuge des demografischen Wandels noch verschärfen wird, führt zu einer Lähmung der Verwaltungen, obwohl die Fördermittel eigentlich Unterstützung bieten sollten. Drittens sind Fördermittel mit fiskalischen
Nichts ist umsonst…
…nicht mal der Tod
(BS/Scarlett Lüsser) Kostengünstiger, platzsparender und weniger pflegeintensiv ist es, wenn sich Hinterbliebene für eine Urnenbestattung entscheiden. Die Trendrichtung bestätigt diese Vorteile – Feuerbestattungen werden mehr gewünscht als die traditionellen Sargbestattungen. Doch dadurch entsteht für die Friedhofsverwaltungen ein Problem: Die zur Verfügung stehenden Flächen werden nicht gebraucht, müssen aber dennoch gepflegt und die Unterhaltskosten bezahlt werden.
ter verstehen, der den Ansprüchen der Angehörigen nachkommen will und muss.
ihn die Frage: Wie viele Mittel muss eine Gemeinde in so einem Fall aufbringen, um jemanden menschenwürdig zu bestatten?
Für Schneider ist klar, dass es hier mehr Zuwendungen von der Gemeinde in Richtung der Friedhöfe geben muss. „Wir kämpfen seit Jahren dafür, dass es hier einfach eine Quersubventionierung geben muss. Entweder man sagt, der Friedhof als Grünanlage muss auch als Grünanlage gepflegt werden –und damit stehen ihm auch Zus-
chüsse aus dem Haushalt zu. Oder man deklariert den Friedhof als Kulturraum und wir müssen, so wie für das Theater, einen Zuschuss zahlen.“
Neue Verwendungsmöglichkeiten Dennoch sollten die überschüssigen Flächen auch genutzt werden. Hier sei der Verband der Friedhofsverwaltung froh über neue Möglichkeiten von Bestattungsarten, wie sie z. B. muslimische Gräber mit sich bringen, erklärt
Schneider. Diese sollen u. a. nach Mekka ausgerichtet sein. Als weitere Möglichkeit der „friedshofsnahen“ Umnutzung bzw. Mitnutzung sieht Christoph Keldenich, Vorsitzender von Aeternitas e. V., den Tierfriedhof. Als gutes Beispiel nennt er den Dortmunder Tierfriedhof, der in unmittelbarer Nähe des Hauptfriedhofs liegt. Die Grenzen des Möglichen regele im Einzelfall die Friedhofssatzung, jedoch sei die Nutzung sehr nah an dem ursprünglichen Verwendungszweck für die Fläche. Zudem wünschten sich auch immer mehr Menschen, mit ihrem Tier bestattet zu werden. Dies sei in den meisten Fällen auch schon möglich, ergänzt Schneider, denn als Grabbeigabe könne das eingeäscherte Tier mit dem Besitzer in einem Grab bestattet werden. Eine Fremdnutzung sei hingegen davon abhängig, wie nah die brachliegende Fläche sich am Friedhof selbst befinde. Handele es sich dabei um eine geplante Reservefläche, auf der nie ein Grab angelegt worden sei, habe man hier viel Spielraum: Sie ließe sich z. B. zum Baugebiet erklären und verkaufen, so Schneider. Handele es sich aber schon um eine Fläche mit Bestattungen, könne man höchstens einen Teil der Fläche z. B. für Gewerbetreibende als Lagerräume nutzbar machen. „Schwierig wird
Staatliche Fördermittel für Kommunen
Von goldenen Handschellen zur intelligenten Gießkanne
(BS/Dr. Mario Hesse/André Grüttner) Wie ein Lichtschein am Horizont kündigt sich für die Kommunen das historisch umfangreiche Investitionspaket des Bundes an. Noch ist unklar, welcher Teil der 100 Milliarden Euro, die für Länder und Kommunen vorgesehen sind, tatsächlich an die kommunale Ebene gehen wird. Klar ist allerdings, dass es schnelle und direkte Transferwege braucht, damit die erhofften positiven Impulse gesetzt werden können – sowohl für die Qualität der kommunalen Infrastruktur als auch für die Konjunktur.
Abhängigkeiten verbunden. Die Kommunen müssen nicht nur Eigenanteile zur Kofinanzierung aufbringen. Zudem werden die durch die geförderten Infrastrukturen entstehenden Folgekosten meist nicht durch Fördermittel gedeckt. Nach der Anschubfinanzierung folgt häufig der „Kater“, wenn später Kosten im Lebenszyklus der Maßnahmen aus kommunalen Mitteln getragen werden müssen. Insgesamt können gut gemeinte Fördermittel sich somit als eine Art goldene Handschellen für die Kommunen erweisen. Die Nachteile sind umso schwerwiegender, da insbesondere steuerschwächere Kommunen auf Investitionsunterstützung angewiesen sind und bereits Probleme ha-
ben, Eigenanteile für Fördermittel aufzubringen. Stattdessen setzen sich im Wettbewerb um Fördermittel oftmals die „cleveren“ Kommunen durch, die steuerstärker sind und sich dadurch spezialisierte Fördermittelstellen leisten können, welche versiert im Umgang mit dem Förderrecht und der Steuerung von Projekten sind. Dies entspricht weder den Absichten der Förderstellen noch einer gleichwertigen Bereitstellung kommunaler Infrastruktur in räumlicher Hinsicht.
Stau auflösen
Mehr denn je sind daher verwaltungsschlanke und schnelle Transferwege gefragt, um eine wirkungsvolle Unterstützung der
es immer, wenn ich in den Boden eingreifen muss, denn ich möchte ja nicht, dass da etwas ausgegraben wird, was da noch liegt. Ich möchte auch die Würde dieses Ortes nicht verletzen, also ist die Nutzung einge-schränkt.“
Der ideale Weg, der jedoch auch von den anfallenden Kosten abhänge, sei die Umwidmung zur Grünanlage. Hier könnte man bei Bedarf noch weitere Gräber anlegen und bspw. historisch wichtige Grabanlangen erhalten, während die Anlage eher einem Park ähnelt, ist Schneider der Ansicht. Jedoch müsse gerade eine solche Grünanlage mit Publikumsverkehr ordentlich gepflegt sein, was den Kostenfaktor wieder erhöhe, ergänzt Keldenich Daneben sind auch andere Modelle denkbar. So gibt es bspw. den Karlsruher Hauptfriedhof, auf dem sich ein Kinderspielplatz, die „Kinderwelten“, befindet. Hier sollen Kinder spielerisch lernen, dass Tod und Trauer zum Leben dazugehören. Dafür besteht der Spielplatz aus einem Teil mit funktionierenden Spielgeräten und einem spiegelverkehrten Teil, bei dem die Spielgeräte „eingefroren“ und nicht nutzbar sind. Hier ist die Welt vor Trauer erstarrt. Ein anderes Konzept für Begegnung in der Friedhofsumgebung stellt das Soester Café Kränzchen dar. Zweimal im Monat finde das Café in der Trauerhalle des Osthofenfriedhofs statt, erklärt ein Sprecher der Stadt. Die Idee für diesen Begegnungsort sei auf die Initiative einer älteren Soesterin zurückgegangen, die sich zuvor als ehrenamtliche Senior-Trainerin mit den entsprechenden Kompetenzen habe ausbilden lassen, um sich „bürgerschaftlich sinnvoll zu engagieren“.
kommunalen Investitionsfähigkeit zu leisten. Angesichts der beschriebenen Nachteile der klassischen antragsgebundenen Zuwendungen heißt es, „mehr Gießkanne“ zu wagen. So, wie die kommunale Infrastrukturlücke mittlerweile fast im ganzen Land spürbar ist, sollte eine wirkungsvolle Unterstützung – zumindest in der ersten Zeit – stark pauschaliert ausfallen.
Die Länder, denen absehbar die Steuerung des kommunalen Anteils am Investitionspaket zufällt, haben bereits das geeignete Instrumentarium zur Verfügung. Sie können Investitionspauschalen gewähren und vor allem den kommunalen Finanzausgleich nutzen. Besonders die ostdeutschen Kommunen sind mit dem Instrument der investiven Schlüsselzuweisungen vertraut, die ohne Antrag gewährt werden, den Ausgleich zwischen steuerstarken und steuerschwachen Kommunen befördern und mit vereinfachten, listenmäßigen Nachweisen auskommen. Nach diesem Vorbild können auch Pauschalensysteme außerhalb des kommunalen Finanzausgleichs gestaltet werden. Ein nicht zu unterschätzender Vorteil dieses Transferweges ist, dass Mittel nicht liegenbleiben, sondern die Investitionskraft der Kommunen auch dann stärken, wenn es Verzögerungen bei den konkret finanzierten Projekten gibt. Eine effektive Sockelförderung, die eine breite Wirksamkeit entfal-
tet, kann durch eine gezielte (und klassisch antragsgebundene) Förderung für ausgewählte Projekte ergänzt werden. Für diese lohnt sich der Verwaltungsaufwand für Antragstellung, Genehmigung und Prüfung, wenn die Fördermittelgeber eigene Ziele verfolgen und das kommunale Handeln steuern wollen. Es ist denkbar, den Anteil dieser zielgerichteteren Förderung über den Zeitraum des Investitionspakets steigen zu lassen. Für den überwiegenden Teil der finanziellen Unterstützung ist jedoch mehr Vertrauen in die kommunale Ebene gefragt, sowohl bei der Auswahl geeigneter Investitionsprojekte als auch bei einer angemessenen Projektsteuerung. Der Impuls des Investitionspakets kann damit zugleich als Anstoß für die Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung und Eigenverantwortung dienen.
Dr. Mario Hesse ist Geschäftsführer des Kompetenzzentrums für kommunale Infrastruktur Sachsen (KOMKIS) der Universität Leipzig. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Kommunalfinanzen, der kommunalen Infrastruktur sowie der Regionalökonomik.
Foto: BS/Matthias Förster
André Grüttner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am KOMKIS. Seine Expertise umfasst insbesondere die Forschungsschwerpunkte Regionalund Stadtentwicklung, öffentliche Wirtschaft sowie Infrastrukturen und Daseinsvorsorge im Wandel.
Foto: BS/Matthias Förster
Laut Herbert Schneider muss sich die Friedhofsverwaltung heute mehr wie ein Dienstleis-
Foto: BS/Eberhard Spaeth, stock.adobe.com
Der Finanzierungsstau muss aufgelöst werden, damit die Mittel sinnvoll fließen können. Foto: BS/Rere_Art151, stock.adobe.com
Die Leistungsfähigkeit kommunaler Haushalte
Steuerungsinnovation durch digitale IKZ
Wenn es um digitale Transformation im öffentlichen
Sektor geht, stoßen viele Kommunen schnell an ihre Grenzen. Ressourcenmangel, personelle Engpässe und das Fehlen spezialisierter Kompetenzen erschweren die eigenständige Umsetzung digitaler Projekte erheblich – gerade in kleineren Kommunen. Ein vielversprechender Ausweg ist die digitale interkommunale Zusammenarbeit (IKZ). Dass sie mehr sein kann als bloße Arbeitsteilung, zeigt das Beispiel der Stadt Usingen und der Gemeinde Glashütten im Hochtaunuskreis.
Überforderung im Finanzmanagement
Glashütten hatte ein Problem –und das gleich mehrfach: Die Kommune konnte zentrale, rechtlich vorgeschriebene Aufgaben nicht mehr fristgemäß erfüllen. Haushaltspläne wurden nicht rechtzeitig aufgestellt, Jahresabschlüsse verzögerten sich, immer wieder war die Kommune in der vorläufigen Haushaltsführung und kämpfte mit Personalmangel und -fluktuation im Finanzmanagement. Gleichzeitig stiegen die Anforderungen. Digitale Verfahren sollen eingeführt, IT-Sicherheitsstandards eingehalten, Fachkräfte gewonnen werden.
Interkommunale Partnerschaften sind der Schlüssel
Die Wende kam mit der interkommunalen Zusammenarbeit mit Usingen. Was zunächst wie eine klassische Kooperation wirkte, entwickelte sich rasch zur digitalen Partnerschaft mit strategischer Tiefe – nicht nur wegen der Themen, sondern auch, weil die beiden Kommunen nicht einmal direkt benachbart sind. Die Verbindung lebt von der digitalen Infrastruktur, nicht von räumlicher Nähe.
Heute sehen wir, was diese digitale IKZ bewirkte. Glashütten erfüllt die gesetzlichen Anforderungen wieder fristgerecht – von der Aufstellung des Haushaltsplans bis zum geprüften Jahresabschluss. Und das mit vergleichsweise schlanker Personaldecke. In
Digitalisierung auf Haushaltsverantwortung
arbeit schafft Effizienz.
Fragen der Prozessstabilität und Servicequalität ist die Verwaltung inzwischen auf einem stabilen Fundament angekommen. Auch das Personal profitiert von der neuen Struktur. Fachkräfte werden gemeinsam gewonnen, qualifiziert und eingesetzt. Das erhöht nicht nur die Attraktivität als Arbeitgeber, sondern stabilisiert auch die Personalstruktur. Glashütten und Usingen zeigen damit, wie Personalbindung und Fachkräftesicherung interkommunal gelingen können.
Warum die digitale IKZ funktioniert
Drei Faktoren trugen maßgeblich zum Erfolg bei:
1. Beide Kommunen arbeiteten bereits vorher mit demselben Softwaresystem. Das erleichterte den Einstieg in die digitale IKZ, reduzierte den Schulungsaufwand auf nahezu null, erlaubte ein Arbeiten auf gleicher Augenhöhe und ermöglichte ein abgestimmtes Arbeiten über die Kommunalgrenzen hinaus.
2. Usingen betrieb bereits mit NeuAnspach gemeinsam das Finanzmanagement. Insofern gab
Gemeinsam stark: Glashütten, Neu-Anspach und Usingen konnten ihr Finanzmanagement durch eine strategische und digitale Partnerschaft revolutionieren. Grafik: BS/eigene Darstellung
es dort schon klare Pläne, wann was wie an den gesetzlichen Vorgaben zu Haushaltsaufstellung und Jahresabschluss zu bearbeiten war. Entscheidungen über Budgets, Prioritäten
Dr. Ulrich Keilmann
leitet die Abteilung Überörtliche Prüfung kommunaler Körperschaften beim Hessischen Rechnungshof in Darmstadt. Foto: BS/privat
und Zeitpläne wurden nicht einzeln, sondern gemeinsam getroffen. Das sparte Zeit, schaffte Klarheit und stärkte die Verbindlichkeit.
3. Alle Partner waren bereit, Verantwortung zu teilen und zu übernehmen. Der Wille zur operativen und strategischen Zusammenarbeit war spürbar und wurde zur treibenden Kraft.
Ein Modell mit Zukuft Dieses Modell funktioniert nicht nur in Glashütten, es ist auch übertragbar – gerade für kleinere Kommunen, die ähnliche Herausforderungen kennen. Die räumliche Entfernung zwischen den Beteiligten ist kein Hindernis mehr. Entscheidend sind ge-
meinsame Systeme, gemeinsame Steuerung und der Mut, gewohnte Zuständigkeiten und Abläufe zu hinterfragen. Digitalisierung ist kein Selbstzweck, sondern ein Werkzeug für bessere Verwaltung. Wer ernsthaft modernisieren will, braucht Partner. Die digitale IKZ von Glashütten und Usingen zeigt, wie es gehen kann.
Lesen Sie mehr zu diesem Thema im Kommunalbericht 2024, Hessischer Landtag, Drucksache 21/1148 vom 11. Oktober 2024, S. 162 ff. Der vollständige Bericht ist kostenfrei unter rechnungshof.hessen.de abrufbar.
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Die Personalberatung für die Kommunalwirtschaft und die öffentliche Verwaltung
Strategisch denken, operativ steuern – Ihre neue Leitungsfunktion in Krefeld.
Die Stadtverwaltung Krefeld sucht Sie für den Fachbereich Jugendhilfe und Beschäftigungsförderung als Abteilungsleitung (w/m/d) Zentralbereich, stellvertretende Fachbereichsleitung. In dieser Position sind Sie verantwortlich für die strategische Planung, Koordination und Überwachung der Aktivitäten innerhalb des Fachbereiches Jugendhilfe und Beschäftigungsförderung. Dazu gehört die Führung des Teams, Planung und Steuerung der Personal- und Budgetangelegenheiten. Neben einer effizienten Kommunikation geht es insbesondere um die Sicherstellung der Voraussetzungen/Rahmenbedingungen (Personal, IT, Raum etc.) zur Erfüllung der jeweiligen Aufgaben in den Abteilungen. Zudem sind Sie für die Umsetzung von Qualitätszielen (z. B. Innenrevision zur Implementierung interner Kontrollsysteme (IKS)) verantwortlich.
Wir suchen zum 01.11.2025 eine engagierte Führungspersönlichkeit als Abteilungsleitung (w/m/d)
Zentralbereich
Die attraktive Position wird für Beamtinnen und Beamte nach A 15 LBesG bzw. nach EG 15 für Tarifbeschäftigte vergütet. Die Besetzung der Position ist grundsätzlich in Teilzeit möglich, sofern die Aufgabenerledigung in vollem Umfang sichergestellt ist.
Interessiert?
Details zu dieser Position finden Sie auf www.zfm-bonn.de, der Website der von uns beauftragten Beratungsgesellschaft zfm. Für einen ersten vertraulichen Kontakt stehen Ihnen dort unter der Rufnummer 0228 265004 Sanny Martinez, Raza Hoxhaj oder Julia Schwick gerne zur Verfügung.
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Die Personalberatung für die Kommunalwirtschaft und die öffentliche Verwaltung
Verantwortung übernehmen, Kreislaufwirtschaft stärken –führen Sie unser Unternehmen in eine nachhaltige Zukunft!
Die AVEA GmbH & Co. KG mit Sitz in Leverkusen und in Engelskirchen ist ein kommunales Entsorgungsunternehmen, das zu gleichen Teilen von der Stadt Leverkusen und dem Bergischen Abfallwirtschaftsverband (BAV) getragen wird. Als eines der führenden kommunalen Entsorgungsunternehmen der Region deckt die AVEA die gesamte Palette moderner Entsorgungsleistungen vom Einsammeln und Transport der Wertstoffe und Abfälle über die Verwertung und Beseitigung bis zur umweltgerechten Deponierung der Reststoffe ab.
Rund 450 Mitarbeitende arbeiten an einer zuverlässigen, nachhaltigen und zukunftsorientierten Abfallwirtschaft für die Region.
Im Zuge einer Nachfolgeregelung suchen wir ab dem 01.01.2026 eine umsetzungsorientierte und innovative Führungspersönlichkeit als
Geschäftsführung der AVEA (w/m/d)
Die Vertragslaufzeit beträgt fünf Jahre. Stillstand gibt es bei uns nicht – werden Sie Teil dieser dynamischen Entwicklung! Interessiert?
Details zu dieser Position finden Sie auf www.zfm-bonn.de, der Website der von uns beauftragten Beratungsgesellschaft zfm. Für einen ersten vertraulichen Kontakt stehen Ihnen dort unter der Rufnummer 0228 265004 Alexander Wodara, Yanna Schneider oder Roland Matuszewski gerne zur Verfügung.
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Die Personalberatung für die Kommunalwirtschaft und die öffentliche Verwaltung
Behörden Spiegel: Warum widmet sich die Studie dem Thema Nicht-Abgas-Emissionen?
Yoann Le Petit: Ich muss in diesem Zusammenhang sagen, dass wir Glück hatten, mit Transport of London und der Greater London Authority für dieses Projekt zusammenzuarbeiten. Sie sind Experten, was die Regulierungsmaßnahmen zur Luftreinhaltung angeht und verfügen über erhebliche Datensätze und Fachwissen zu dem Thema NichtAbgas-Emissionen. Die Zusammenarbeit mit diesen Organisationen und ihre vorhandenen Datensätze zu dem Thema sind dabei wohl auch Auslöser für die Studie, denn wir haben uns gesagt, dass Erkenntnisse zu diesem Thema auch für andere europäische Städte von Interesse sind.
Auf der anderen Seite gibt es dann noch die Euro-7-Norm, die in diesem Jahr an den Start geht und bereits das Thema Bremsenverschleiß anspricht. Die Legislative beschäftigt sich also ebenfalls bereits mit den Themen Feinstaub aus Bremsen und Reifen.
Behörden Spiegel: Gibt es diese Datensätze auch für andere Städte?
Le Petit: Daten zu diesem Thema werden aktuell eher selten erhoben. Wir waren schon froh, dass wir ein paar Fälle wie mit Mailand und Barcelona gefunden haben, die Daten zum Thema erheben. Das ist sicherlich ein Grund, warum das Thema bislang nicht viel diskutiert wurde. Unter Experten besteht bereits länger ein Bewusstsein für das Thema und dass hier etwas unternommen werden muss. Bei vielen Gesetzgebern und in der breiten Öffentlichkeit ist das Thema wohl noch nicht ganz angekommen. Die Awareness für das Thema zu steigern war dabei Ziel unserer Studie.
Behörden Spiegel: Welche der NichtAbgas-Emissionen ist denn die problematischste?
Allerdings können Maßnahmen des Parkraummanagements nur dann ihre Wirkung entfalten, wenn diese auch begleitend kontrolliert werden. Dies ist aufgrund von Personalkapazitäten, hoher Fluktuation und steigenden Kosten in den Ordnungsbehörden jedoch häufig nicht in einem solchen Umfang möglich, dass die volle Wirkung entfaltet werden kann. Genau hier kommt der Einsatz von Scan-Fahrzeugen mit Kameratechnologie ins Spiel. Mit ihnen ist ein erheblicher Effizienzgewinn in der Parkraumkontrolle verbunden. Das haben bereits verschiedene Erfahrungen im europäischen Ausland bestätigt. So sind Scan-Fahrzeuge in den Niederlanden, in Frankreich oder Polen seit Jahren üblich und erprobt.
Rechtliche Rahmenbedingungen Als erstes deutsches Bundesland ermöglicht nun Baden-Württemberg den Einsatz von Scan-Fahrzeugen zur Parkraumkontrolle. Mit dem Inkrafttreten des neuen Landesmobilitätsgesetzes (LMG) können Kommunen in Baden-Württemberg Scan-Fahrzeuge in die Anwendung bringen. Diese landesgesetzliche Regelung war aufgrund der fehlenden bundeseinheitlichen Bestimmungen erforderlich, um die Verarbeitung der datenschutzrechtlich geschützten Kennzeichen zu gestatten. Personalverfügbarkeit und hoher Kostendruck sind die größten Hürden für eine wirksame Parkraumkontrolle. Das Scan-Fahrzeug soll und kann hier aushelfen und den Kommunen die Kontrollarbeit er-
Nicht nur den Auspuff im Blick
Was Bremse und Reifen mit der Verkehrswende zu tun haben
(BS) Schadstoffe aus Abgasen werden schon seit Längerem zum Beispiel über die EU-Abgasnormen reguliert, um die Luftqualität in Städten zu verbessern mit Erfolg. Eine Studie der EIT Urban Mobility zeigt jedoch, dass andere Schadstoffe weiterhin ein deutlich größeres Problem darstellen. Im Gespräch mit Yoann Le Petit, Thought Leadership Manager bei der EIT Urban Mobility, spricht er über die Ursachen und Maßnahmen gegen diese Nicht-Abgas-Emissionen. Die Fragen stellte Sven Rudolf.
Le Petit: Das ist eine schwierige Frage, denn es kommt darauf an, was betrachtet wird. Für die menschliche Gesundheit ist zum Beispiel der Abrieb vom Bremsen gefährlicher, weil er vor allem die feinen Partikel freisetzt. Dabei werden 40 Prozent dieser Bremspartikel direkt in der Luft freigesetzt. Diese können tief in die Lungen eindringen und diese angreifen, wenn man ihnen über einen längeren Zeitraum ausgesetzt ist. Wenn man sich auf der anderen Seite Reifen anschaut, bleiben über
90 Prozent der Partikel auf dem Boden. Diese Partikel sind eher eine Gefahr für die Umwelt, Gewässer und Böden. Wenn es an die Etablierung von abriebresistenten Materialien geht, ist es daher wichtig, dass wir darauf achten, dass wir mit den neuen Materialien keine anderen Probleme verursachen.
Behörden Spiegel: Noch in diesem Jahr sollen mit der neuen Euro-7-Abgasnorm erstmals auch Grenzwerte für Bremsemissionen festgesetzt werden. Was kann sonst noch für
eine Verringerung von Nicht-AbgasEmissionen getan werden?
Le Petit: Mit der Euro-7-Abgasnorm wird es dauern, bis alle Fahrzeuge dementsprechend ausgestattet sind. Aus diesem Grund legen wir den verschiedenen politischen Ebenen weitere politische Maßnahmen nahe, um gegen Nicht-Abgas-Emissionen vorzugehen. Ein Beispiel für eine lokale Maßnahme sind zum Beispiel die erhöhten Parkgebühren für SUVs in Paris, die schwerere Autos unattraktiver machen sollen. Aber solche Maßnahmen werden im besten Fall durch Maßnahmen auf nationaleroder EU-Ebene unterstützt.
unterstützen zum Beispiel in diesem Sommer ein Pilotprojekt in Straßburg, welches Filter für Reifenemissionen testet. Eine weitere Maßnahme, die nicht immer positiv ankommt, sind Umweltzonen, die dann Nicht-Abgas-Emissionen berücksichtigen.
Behörden Spiegel: Wenn wir von Investitionen und Maßnahmen sprechen, wird der Kosten-Nutzen-Faktor sicherlich eine Rolle spielen. Welche Berechnungen habt ihr dazu angestellt?
Le Petit: Eine allgemeine Antwort kann ich hier leider nicht geben, da unsere Simulation auf London gemünzt war und Daten der Stadt benötigte. Nichtsdestotrotz konnten wir einen Return of Investment feststellen, wenn man die positiven Auswirkungen auf die Gesundheit mit einbezieht. Dann überwiegen die Nutzen die Kosten. Die effizientesten Maßnahmen sind dabei, wie schon gesagt, die Fokussierung auf verschleißfeste Materialien für Bremsen und Reifen sowie alternativ
„Das Beste, was man tun kann ist aber sicher, sich mit den Ursachen der Abgase zu befassen.“
Eine weitere Empfehlung ist die Elektrifizierung der Flotten. Aber was noch effizienter ist, ist einfach die Verlagerung vom Individualverkehr hin zu öffentlichen Verkehrsmitteln. Das Beste, was man tun kann, ist aber sicher, sich mit der Ursache der Abgase zu befassen. Im Anschluss können dann auch andere Maßnahmen betrachtet werden. Zum Beispiel die bereits angesprochenen verschleißfesten Materialien für Bremsen und Reifen. Eine weitere Möglichkeit ist die Filterung dieser Abgase. Wir
1.000 Fahrzeuge pro Stunde
Scan-Fahrzeug stellt in Baden-Württemberg Knöllchen aus
(BS/Cristian Förster/Eric Simon) Parkraummanagement ist ein wichtiges Instrument für die Verkehrssicherheit, die Straßenraumnutzung und für den Klimaschutz. Aus Studien ist bekannt, dass etwa jeder fünfte Unfall innerorts im Zusammenhang mit dem ruhenden Verkehr steht. Modellrechnungen zu Klimaschutzmaßnahmen zeigen zudem, dass Parkraummanagement zu den wirksamsten kommunalen Stellschrauben für die Reduktion von CO2-Emissionen im Verkehr gehört.
leichtern. Schätzungen der Expertinnen und Experten des Kompetenznetzes Klima Mobil, das bei der Nahverkehrsgesellschaft BadenWürttemberg (NVBW) angesiedelt ist, haben ergeben: Ein Scan-Fahrzeug kann bis zu 1.000 Fahrzeuge pro Stunde kontrollieren, während eine Kontrollkraft zu Fuß auf bis zu etwa 50 Fahrzeuge pro Stunde kommt. Aufgrund der erhöhten Entdeckungswahrscheinlichkeit durch den Einsatz von Scan-Fahrzeugen wurden beispielsweise in Amsterdam und Paris die Regeln signifikant häufiger befolgt. Die freiwerdenden personellen Kapazitäten können dadurch zielgerichteter an Schwerpunkten wie Schulwegen eingesetzt werden. Auch Geh- und Radwege sowie Busspuren können so effizienter freigehalten werden. Der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann sagte hierzu: „Mit der digitalen Parkraumkontrolle sorgen wir für übersichtlichere Straßen für Autofahrende und schützen Menschen, die zu Fuß unterwegs sind. Denn klar ist: Falschparken ist kein Kavaliersdelikt. Falsch geparkte Fahrzeuge auf Gehwegen schränken vor allem ältere Menschen, kleine Kinder und Menschen mit Mobilitätseinschränkungen massiv in ihrer
Bewegungsfreiheit ein und provozieren dadurch gefährliche Situationen und Unfälle.“
Die Erfahrungen aus dem Ausland zeigen auch: Scan-Fahrzeuge sind als Ergänzung zum bestehenden Personal zu verstehen. Sie können und sollen das Personal nicht ersetzen, schon weil die Fahrzeuge nicht überall effizient eingesetzt werden können. Übersichtliche Straßenzüge und Parksituationen stellen gute Anwendungsfälle für Scan-Fahrzeuge dar, ebenso Kontrollen, bei denen zwischen einzelnen Hotspots größere Distanzen zu überbrücken sind.
Datenschutz steht im Fokus
In Zusammenarbeit mit dem Landesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Baden-Württemberg (LfDI) ist für den Einsatz von Scan-Fahrzeugen eine datensparsame Lösung entstanden. Im Kontrollbetrieb werden Kennzeichen, Ort und Zeit der Kontrolle sowie Bilder des geparkten Fahrzeugs aufgenommen und verarbeitet. Liegt eine Parkberechtigung vor, werden die aufgenommenen Daten unverzüglich gelöscht. Sollte keine Parkberechtigung hinterlegt sein, werden die Daten für die Dauer der Ermittlung und Ahn-
dung des Verstoßes gespeichert –wie bisher auch. Es werden die gleichen Daten erhoben und gespeichert wie bei der Kontrolle zu Fuß. Außerdem werden aufgenommene Personen unkenntlich gemacht und die erhobenen Daten verschlüsselt. Die Befahrungsgebiete und die Scan-Fahrzeuge sind klar ersichtlich gekennzeichnet, um möglichst große Transparenz zu schaffen. Universität Hohenheim – das perfekte Versuchsgebiet
Zur Erprobung und um neue Erkenntnisse zu gewinnen, führen das Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg und die Parkraumgesellschaft Baden-Württemberg aktuell auf dem Gelände der Universität Hohenheim einen Pilotversuch durch. Wichtig für die Auswahl des Standorts Hohenheim waren die vorhandenen smarten Parkscheinautomaten, bei denen das Kennzeichen beim Kauf eines Parktickets angegeben werden muss. Das Fahrzeug scannt in der ersten Phase den Straßenraum und generiert eine digitale Parkplatzkarte. Dadurch „weiß“ das Fahrzeug, wo geparkt werden darf und wo nicht. In der zweiten Testphase werden die parkenden Fahrzeuge mit den hinterlegten Kennzeichen
die Förderung zur Etablierung von Filtern. Hier haben wir für London einen Nettogewinn von 235 Millionen Euro ermittelt – vom Stand heute bis ins Jahr 2050. Diese Zahl wird sich mit neuen Datensätzen natürlich verändern. Uns ging es in erster Linie darum, zu zeigen, dass sich eine Investition lohnen kann. Die vollständige Studie, sowie Infografiken finden Sie unter: https://www.eiturbanmobility.eu/ knowledge-hub/non-exhaust-emission-study/
abgeglichen. Erste Beobachtungen zeigen, dass die Kartierung des Straßenraums und der Abgleich von digital hinterlegten Berechtigungen mit den parkenden Fahrzeugen reibungslos funktionieren. Für den Testversuch werden die erfassten Daten nicht zur Ahndung von Parkverstößen herangezogen, sondern lediglich genutzt, um das System auf seine Praxistauglichkeit zu prüfen. Am Ende des Testzeitraums im Juli 2025 werden alle Erfahrungen dokumentiert, um bei der Einführung in die kommunale Praxis zu unterstützen. Drei weitere Verkehrsversuche in den Städten Heidelberg, Mannheim und Freiburg befinden sich in der Planung. Die Erkenntnisse der Pilotversuche fließen dann in einen Leitfaden ein, der sich an kommunale Anwenderinnen und Anwender richtet.
Eric Simon ist Referent für Klimaschutz im Verkehr, Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg. Foto: BS/privat
Yoann Le Petit ist Thought Leadership Manager bei EIT Urban Mobility. Foto: BS/EIT Urban Mobility
Christian Förster ist Leiter des Referats Klimaschutz im Verkehr, Ministerium für Verkehr BadenWürttemberg. Foto: BS/privat
Bei der größten sicherheitsbehördlich koordinierten Evakuierungs- und Entschärfungsmaßnahme seit Ende des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren sind die Sicherheitsvorkehrungen auf die höchste Stufe hochgefahren. Anlass ist die Entschärfung von drei Blindgängern aus dem Zweiten Weltkrieg, die bei Bauarbeiten auf dem Gelände der rechtsrheinischen Deutzer Werft entdeckt wurden. Es handelt sich um zwei amerikanische 20-Zentner-Bomben und eine 10-Zentner-Bombe mit gefährlichen Aufschlagzündern – eine Entschärfung der Sprengkörper vor Ort ist unumgänglich.
Ein Aufschlagzünder ist ein mechanischer Zünder, der beim Aufschlag auf den Boden auslöst. Ist dies nicht geschehen, kann der Zünder dennoch immer noch scharf sein. Durch die hohe Empfindlichkeit kann er bereits durch kleine Erschütterungen, z. B. beim Freilegen der Bombe, ausgelöst werden. Jede Bewegung der Bombe – etwa durch einen Bagger oder beim Abtragen von Erdreich – kann die Sprengladung ungewollt zur Detonation bringen. Durch Alterungsprozesse und Korrosion können die Zünder zudem instabil geworden sein. Kommt eine Sprengung nicht infrage müssen diese daher in einem hochpräzisen Arbeitsprozess vor Ort ausgebaut werden. Aus Sicherheitsgründen muss die Bevölkerung in der Nähe des Fundortes evakuiert werden.
Großflächige Räumung
Bereits ab 8 Uhr beginnt die Evakuierung des etwa zwei Kilometer großen Gefahrenradius mitten im Herzen der Stadt. Dieser umfasst nicht nur große Teile des rechtsrheinischen Stadtteils Deutz, sondern reicht auch auf das linke Rheinufer – weite Teile der Kölner Altstadt müssen geräumt werden. Neben privaten Haushalten sind auch Kritische Infrastrukturen wie Verwaltungsgebäude, ein Krankenhaus und mehrere Alten- und Pflegeheime betroffen. Deren Evakuierung erfordert besondere organisatorische Sorgfalt. Schulen, Kitas sowie kulturelle und mediale Einrichtungen wie die Kölner Philharmonie, die Lanxess Arena und der Fernsehsender RTL sind ebenfalls betroffen. Die Maßnahmen betreffen über 20.000 Menschen und weite Teile der Kölner Innenstadt
Sicherheit geht vor
Erfolgreiche Evakuation des Kölner Stadtzentrums
(BS/Lars Mahnke) Stille liegt über der sonst so quirligen Stadt. Kein Mensch ist zu sehen, die Straßen leer, kein Schiff auf dem Rhein. Spannung liegt in der Luft. Zwei Männer kauern hochkonzentriert am Rheinufer. Jede ihrer Bewegungen ist wohl überlegt. Ihre Aufgabe: die Entschärfung dreier Weltkriegsbomben. Eine falsche Bewegung – und es kommt zur Katastrophe.
– ein logistischer Kraftakt, für den die Stadt zuvor umfassende Vorbereitungen getroffen hatte. Auch drei der sieben Kölner Brücken müssen für den Verkehr gesperrt werden. Die Sperrung wird sowohl zeitlich koordiniert als auch mehrstufig nach Verkehrsarten durchgeführt, um die Sicherheit im Evakuierungs- und Entschärfungsgebiet zu gewährleisten. Neben der direkt an den Fundort angrenzenden Deutzer Brücke betrifft dies auch die Severins- und die Hohenzollernbrücke. Letztere ist eine der meistbefahrenen Eisenbahnbrücken Deutschlands und stellt einen Knotenpunkt im europäischen Fernverkehr dar, weshalb sie erst kurz vor Beginn der eigentlichen Entschärfung gesperrt wird. Zahlreiche Verbindungen müssen aufgrund der Sperrung umgeleitet werden. Die Bahn schaltet den Bahnhof Köln Messe/Deutz aus dem Betrieb, organisiert Umleitungen und setzt Züge um. Der Kölner Hauptbahnhof liegt wie der Dom außerhalb der Sperrzone, wird durch die Sperrung der Hohenzollernbrücke jedoch faktisch lahmgelegt. Auch der Schiffsverkehr auf
dem Rhein – Europas meistbefahrener Wasserstraße – und der Luftraum über dem betroffenen Gebiet werden für die Dauer der eigentlichen Entschärfung gesperrt. Die Polizei spielt eine entscheidende Rolle bei der Absicherung des Evakuierungsgebiets und unterstützt aktiv bei der Durchsetzung der Sperrmaßnahmen. Sie koordiniert die Schließung der Brücken und des Deutzer Bahnhofs. In enger Abstimmung mit den Verkehrsbehörden werden großflächige Umleitungen im örtlichen Bahn- und Busverkehr organisiert.
Evakuierung mit allen Kräften Im Zentrum der Einsatzleitung steht der Kommunale Ordnungsdienst (KOD) , der unter der Leitung der Stadtverwaltung die gesamte Räumung koordiniert. Dazu wurde bereits zwei Tage vor der Evakuierung ein umfassendes Lagezentrum eingerichtet, in dem Ordnungsdienst, Feuerwehr, Polizei und der Kampfmittelräumdienst (KBD) der Bezirksregierung Düsseldorf nun optimal zusammenarbeiten können. Der KOD plante Evakuierungsrouten, organisierte
Informationskanäle, richtete Notunterkünfte ein und koordinierte mit der Feuerwehr die Versorgung sowie den Transport mobilitätseingeschränkter Personen. Dabei werden die 240 Kölner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch von 24 Kolleginnen und Kollegen des Bonner Ordnungsamtes unterstützt. Etwa 400 Polizistinnen und Polizisten und 450 Feuerwehrleute sorgen für die Sicherung der Maßnahmen und helfen bei der Versorgung hilfsbedürftiger Betroffener. Pünktlich um acht Uhr beginnen die Ordnungskräfte, die im Vorfeld verschiedenen Zonen zugeteilt wurden, die erste Klingelrunde: Gemeinsam mit den Kräften von Polizei und Feuerwehr klingeln die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an jeder Wohnungstür. Dabei werden die Bewohnerinnen und Bewohner über die Situation unterrichtet und aufgefordert, das betroffene Gebiet zu verlassen und gegebenenfalls die Notunterkünfte aufzusuchen. Zu diesem Zweck hatte die Stadt Köln jeweils im Links- und im Rechtsrheinischen eine zentrale Anlaufstelle für evakuierte Menschen bereitgestellt.
Nahezu reibungslos gelingt Ordnungsdienst und Rettungsdiensten nun die Evakuierung und sie übernehmen die Koordination mit Pflegeheimen, Kliniken und Angehörigen. Etwa vier Stunden vor dem geplanten Beginn der Entschärfung erfolgt dann die zweite Runde, bei der die Bewohnerinnen und Bewohner mit Nachdruck aufgefordert werden, die Häuser zu verlassen. Sollte niemand angetroffen werden, wird genau geprüft, ob sich nicht doch noch jemand in einer Wohnung aufhält. Sollte sich ein Anwohner oder eine Anwohnerin weigern, die Wohnung zu verlassen, kann ein Bußgeld von bis zu 1.000 Euro erhoben werden.
Zeitplan verzögert sich Und tatsächlich weigert sich eine Person, das Gefahrengebiet in der Altstadt zu verlassen und flüchtet vor den Einsatzkräften in einen Hauseingang. Die Suchaktion verläuft zwar erfolglos, jedoch wird der betroffene Bereich kurze Zeit später als sicher deklariert. Nachdem die Einsatzleitung mit fast zwei Stunden Verzögerung um 18:18 Uhr grünes Licht für die Entschärfung gibt, beginnen die beiden Experten des Kampfmittelräumdienstes ihre riskante Arbeit. Bereits um 19:19 Uhr kann die Entschärfung aller drei Bomben erfolgreich gemeldet werden. Die beiden Sprengmeister und ihr Team haben den Job in einer knappen Stunde statt, wie geplant, anderthalb erledigt. In der Folge setzt der KOD unmittelbar die Rückführung der Bevölkerung in Gang und sorgt für die Wiederherstellung der Verkehrsflüsse. Um 21:00 Uhr kann der Einsatz für die beteiligten Kräfte schließlich beendet werden.
Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker dankt allen Beteiligten, insbesondere den Einsatzkräften von Feuerwehr, Polizei, Ordnungsdienst und Verwaltung, für den hochprofessionellen Ablauf. Eine Maßnahme in dieser Größenordnung sei ohne disziplinierte Bürgerbeteiligung und reibungslose Behördenkoordination nicht möglich. So fällt die Bilanz der Behörden eindeutig positiv aus: Keine Verletzten, eine erfolgreiche Entschärfung in rekordverdächtiger Zeit und ein Stadtgebiet, das – trotz massiver Einschränkungen – innerhalb weniger Stunden in den Normalzustand zurückgeführt werden konnte.
Köln kam während der Evakuierung einer Geisterstadt gleich. Die Rheinuferstraße, wo sonst reger Verkehr herrscht, wirkte wie leergefegt. Hinweisschilder riefen die Autofahrer dazu auf, die Sperrzone weiträumig zu umfahren. Foto: BS/Mahnke
Digitaler Staat
Behörden Spiegel Berlin und Bonn / Juli 2025
Zentren am Stadtrand
(BS/Christian Brecht) Daten aus dem öffentlichen und privaten Sektor, dadurch gesteuerte digitale Prozesse und Dienstleistungen – und als Nebenprodukt: Abwärme. Rechenzentren nehmen eine große Rolle im kommunalen wie globalen Gefüge ein. Sie zeigen die Potenziale, aber auch Probleme der Digitalisierung auf.
www.behoerdenspiegel.de
„Eine absolute Vorbildfunktion“ für kommende, ähnlich gelagerte Projekte bescheinigt Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) den Rechenzentren Berlin 1 und Berlin 2, die vom Unternehmen NTT Global Data Centers betrieben werden. Am Standort Berlin 1 in Spandau würden die Daten von rund 50 Kunden verarbeitet, von denen „ein wesentlicher Anteil“ der Bund bzw. die öffentliche Verwaltung seien, wie Günter Eggers, Director Public bei NTT erklärte.
Wegners Einschätzung bezieht sich auf ein Wärmekonzept, das mit den beiden Standorten in Zusammenhang steht: Die durch die Rechenaktivität der Server entstehende Abwärme wird für das angrenzende, 31 Hektar große Neubaugebiet „Das neue Gartenfeld“ genutzt. 20 bis 30 Grad Celsius beträgt die Temperatur dieser Abwärme, die über eine zwei Kilometer lange Leitung an eine Energiezentrale abgeführt wird. Dort heben Wärmepumpen das Temperaturniveau auf 65 bis 70 Grad Celsius an – die erforderliche Netztemperatur, vor allem zur Wasserbeheizung. 10.000 Menschen in 4.500 Wohnungen und 200 Gewerbeeinheiten sollen so mit CO2-freier Wärme versorgt werden.
Für Nah- und Fernwärmeengpässe, etwa durch schwankende Abwärmetemperatur oder kalte Jahreszeiten, existiere ein Back-up, wie Leif Cropp, Managing Director des Projektpartners GASAG Solution Plus, ergänzte. Dieses sei „Erdgasbasiert“.
Berlins Bürgermeister sieht in dem Projekt einen weiteren Vorteil: die Unabhängigkeit von anderen Staaten, wobei er explizit die durch den Angriffskrieg auf die Ukraine deutlich gewordene energetische Abhän-
gigkeit Deutschlands von Russland nennt. Apropos Abhängigkeit: Nach der des „Gartenfelds“ von Abwärme und somit Rechenleistung gefragt, gibt sich Eggers entspannt: Das Datenaufkommen werde in den nächsten Jahren „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ steigen – und damit die Abwärme.
Input – Service – Output
Durch derartige Projekte werden Rechenzentren, die häufig in Industriegebieten an den Stadträndern angesiedelt sind, mehr und mehr zu Zentren des urbanen Lebens und beeinflussen die Lebensqualität der Menschen. Die Lieferung von Abwärme ist dabei weniger reiner Altruismus als vielmehr eine Symbiose: Die Abwärme muss ohnehin bestmöglich abgeleitet werden, um die Kosten für die Kühlung der Rechner zu reduzieren.
„Rechenzentren wie Berlin 1 und Berlin 2 machen uns unabhängig von anderen Staaten.“
Kai Wegner, Regierender Bürgermeister von Berlin
In diesem Bereich wird konstant an Innovationen geforscht: Bei der Methode „Liquid Cooling“ (Flüssigkeitskühlung) sitzt entweder eine von Flüssigkeit durchströmte Kühlplatte auf den Hauptwärmequellen
des Rechners oder es werden komplette Server-Komponenten in eine elektrisch nichtleitende Flüssigkeit getaucht.
Vor allem jedoch macht das Energieeffizienzgesetz (EnEfG) den Rechenzentren Vorgaben zur bestmöglichen Reduzierung bzw. Nutzung von Abwärme. Mit der Power Usage Effectiveness (PUE) gibt es ein konkretes Maß für Energieeffizienz. Seit diesem Jahr müssen zumindest neue Rechenzentren mindestens zehn Prozent ihrer Abwärme nutzbar machen, ab 2027 sind es 20 Prozent. Nicht nur die Abgabeseite ist im EnEfG geregelt: Ebenfalls ab 2027 müssen Rechenzentren in Deutschland ihren Strom zu 100 Prozent aus Erneuerbaren Energien beziehen. Rechenzentren agieren somit immer als „Jongleur“ mit dem, was sie als Service anbieten (Daten), was sie dazu verbrauchen (Energie) und was sie Umwelt und Gesellschaft zurückgeben (Abwärme).
Wolkig mit Aussicht auf Souveränität
Was weniger abkühlt als die Server in den Rechenzentren sind die Debatten um deren Anbieter. Insbesondere bei Hyperscalern aus den USA, die Finanzkraft und Marktdominanz mitbringen, kommen immer wieder Bedenken bezüglich des Datenschutzes auf. Insbesondere wenn die Daten aus dem öffentlichen Sektor stammen und deren Missbrauch politisch angespannte Verhältnisse noch verschärfen kann.
Die Verwaltung setzt auch deshalb zunehmend auf eigene Rechenzentren. Das Bundesland NordrheinWestfalen hat mit IT.NRW einen eigenen Landesbetrieb, IT-Dienstleister wie Dataport betreiben Re-
chenzentren für gleich mehrere norddeutsche Länder. Ein weiteres Modell zeigt sich in Thüringen. Das dortige Landesrechenzentrum (TLRZ) ist dem Thüringer Ministerium für Digitales und Infrastruktur (TMDI) nachgeordnet, betreut Einrichtungen des Landes und vereinzelt Kommunen. Rund 140 E-Government-Basisdienste und Fachverfahren werden dort betrieben. Mit dem ThüringenCERT gibt es ein internes Computer Emergency Response Team, dazu das BSIzertifizierte Sprach- und Datennetz CNFT (Closed Network for Thuringia).
Aktuell wird an dem Projekt „RZplus“ gearbeitet, der Errichtung eines neues Standorts in Ilmenau. Bis Ende 2026 sollen alle Dienste und Verfahren dorthin migriert werden – weg von älterer Technologie und hin zu einem Cloud-basierten Rechenzentrum, das auf Open-Stack-Technologie basiert –der ThVC (Thüringer VerwaltungsCloud). Deren Bereitstellung folge „dem Open-Source-First-Gedanken des Thüringer E-Government-Gesetzes konsequent“, erklärt Dietmar Kramer, Leiter des Referats 12 Systemtechnik und Datenbanken II im TLRZ. Dies ergebe einen Mehrwert für die Nutzerinnen und Nutzer –„sowohl für IaaS (Infrastructure as a Service) als auch für Managed Services wie Fachverfahren, deren technischer Applikationsbetrieb vollständig durch das TLRZ gewährleistet wird“, so Kramer
Am Rande des Netzwerks Auch europaweit gilt es, für maximale Datensicherheit in den Rechenzentren zu sorgen – und der Aufbau einer Art Zwischeninfrastruktur ist in vollem Gange: Sogenannte Edge Nodes (Randknoten)
sind Rechner am Rand eines Netzwerks, die sich meist in der Nähe der ursprünglichen Datenquelle wie Funkmasten, Firmengebäude, Smart Homes oder öffentlichen Einrichtungen befinden. Edge Nodes filtern die Daten, bevor diese an größere, zentrale Rechenzentren weitergeleitet werden.
Im Rahmen der Digital Decade, dee europäischen Digitalziele bis 2030, hat die EU das ambitionierte Ziel, rund 10.000 hochsichere und klimaneutrale Edge Nodes zu installieren. Nach derzeitigem Stand, der auf dem Digital Decade Report 2025 basiert, sind in Europa bereits 1.186 dieser Zwischenfilter aktiv. 351 der Netzwerkknotenpunkte stehen in Deutschland, was die Bundesrepublik in dieser Hinsicht zu einem der führenden EU-Staaten macht.
Wertvolle Daten, triviale Daten
Die Entwicklung von Rechenzentren und wer sie wofür nutzt, bleibt mit Spannung abzuwarten. Selbst wenn alle großen und kleinen Rechenzentren dieser Welt mit Erneuerbaren Energien laufen, schließt sich auch die sozialrelevante Frage an, für welche Art von Daten wir diese Energie als Gesellschaft nutzen möchten. Immerhin werden in den Rechenzentren weltweit schätzungsweise rund 80 Prozent „triviale Daten“ verarbeitet – Social Media, Entertainment, Videostreaming, Gaming. Sind ausreichend Datenspeicher und Rechenleistung vorhanden, ausreichend Platz für die Rechenzentren selbst, ausreichend Energie und Datensicherheit, stehen sich privatwirtschaftliche und öffentliche Daten nicht im Wege. Werden diese Ressourcen knapper, ist es auch eine Frage der Prioritäten.
Über kurz oder Lang
Digitalrendite: Digitalisierung, die sich für die Menschen auszahlt
Eine Kolumne von Christina Lang
In den vergangenen Jahren hat der Bund Milliarden in die Digitalisierung der Verwaltung investiert – aber waren diese Ausgaben wirksam? Viele Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und auch Verwaltungsmitarbeitende fragen sich: Was ist konkret dabei herausgekommen? Wo merken wir im Alltag, dass Behördengänge digital einfacher geworden sind, dass Prozesse schneller funktionieren oder weniger Papierkram nötig ist? Tatsächlich werden Digitalprojekte in der Verwaltung bisher noch häufig entlang technischer Anforderungen, Budgets und Zuständigkeiten geplant. Doch der eigentliche Maßstab für Digitalisierung
Executive Officer
sollte ein anderer sein: Wirkt sie für die Menschen? Entsteht durch sie ein spürbarer Unterschied – sei es durch weniger Aufwand, mehr Transparenz oder bessere Zugänglichkeit?
Wenn Digitalisierung gut gemacht ist, profitieren alle Gut gestaltete digitale Services machen das Leben leichter: Bürgerinnen und Bürger verstehen Anträge intuitiv und müssen nicht mehr nachfragen. Unternehmen reichen ihre Daten nicht mehrfach ein, sondern können vorhandene Informationen wiederverwenden. Und Verwaltungsmitarbeitende gewinnen Zeit für das, was zählt: fundierte Beratung, komplexe Entscheidungen und den direkten Kontakt mit den Menschen. Genau diesen messbaren Mehrwert nennen wir beim DigitalService Digitalrendite. Sie entsteht, wenn digitale Prozesse klug, nutzerorientiert und nachhaltig gestaltet sind. Denn Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Sie ist ein Werkzeug, um die Verwaltung effizien-
ter, verständlicher und menschlicher zu machen.
Nutzerfreundlichkeit ist Grundvoraussetzung
Ein entscheidender Erfolgsfaktor ist die Nutzerfreundlichkeit. Sie wird noch immer vielerorts als nettes Extra betrachtet – als etwas, das man berücksichtigt, wenn am Ende noch Budget übrig ist. Dabei ist Nutzerfreundlichkeit eine Grundvoraussetzung für eine funktionierende digitale Verwaltung. Sie bedeutet: digitale Angebote so zu gestalten, dass wir sie ohne Hürden verstehen und nutzen können – mit klarer Sprache, einfachen Abläufen und barrierefreiem Zugang. Ein konkretes Beispiel dafür ist der Antrag auf Beratungshilfe im Justizbereich: Menschen mit geringem Einkommen haben Anspruch auf staatliche Unterstützung, wenn sie rechtliche Hilfe benötigen. In der Praxis scheitern jedoch viele an einem komplizierten Formular und unklaren Voraussetzungen. Die Folge: Anträge sind unvollstän-
Die Anforderungen in der IT ändern sich ständig. Für IT-Professionals ergeben sich daraus neue Herausforderungen, aber auch neue Chancen. Gezielte Weiterbildung ist
dabei der entscheidende Faktor. Als Partner für professionelle und praxisbezogene IT-Weiterbildung stehen wir Ihnen zur Seite. Machen Sie sich selbst ein Bild.
dig oder fehlerhaft und die Justiz benötigt Zeit und Ressourcen für die Korrekturen.
Der Mensch im Mittelpunkt Gemeinsam mit dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz entwickeln wir daher eine digitale Anlaufstelle, über die sich Justizdienstleistungen verständlich, barrierefrei und einfach online beantragen lassen. In dem Projekt haben wir die analogen und digitalen Erfüllungsaufwände gegenübergestellt. Das Ergebnis: Investitionen in digitale Angebote lohnen sich – je nach Szenario nach fünf Jahren, bei optimistischen Annahmen sogar schon nach zwei Jahren. Danach spart der Staat messbar Geld. Der Schlüssel liegt darin, digitale
Prozesse nicht einfach eins zu eins von analogen Vorbildern zu übernehmen, sondern sie aus der Perspektive der Betroffenen neu zu gestalten – dazu zählen sowohl die Menschen, die einen Dienst nutzen, als auch die Mitarbeitenden der Verwaltung.
Genau das sollte unser Anspruch sein: Digitalisierung, die im Alltag spürbar entlastet und echten Mehrwert schafft. Investitionen lohnen sich dann, wenn sie eine messbare Digitalrendite bringen –wenn sie Abläufe beschleunigen und verständlicher machen. Davon profitieren wir alle: die Bürgerinnen und Bürger, die Unternehmen und die Verwaltung selbst – durch weniger Aufwand, zufriedenere Mitarbeitende und mehr Attraktivität als Arbeitgeber.
Neustart des Motors
Zentrale Kfz-Zulassung konkretisiert Dresdner Forderungen (BS/cb) Die Dresdner Forderungen von 2021 sollten Deutschlands Digitalisierung mehr Tempo verschaffen. Doch der Motor stottert noch. Eine neue Initiative will das ändern und legt mit der Deutschen liebstem Kind los: dem Auto. „(Neu)Start Kfz: die Dresdner Forderungen für moderne Zulassung“ heißt das Konzept, das die Zulassung von Kraftfahrzeugen in Deutschland strukturierter digitalisieren und zentralisieren will. Dessen Initiatoren sind die sächsische Landeshauptstadt Dresden, die Stadt Leipzig, der Sächsische Städte- und Gemeindetag sowie Dr. Markus Reichel, MdB (CDU). Gemeinsam mit Expertinnen und Experten des Digitalausschusses des Bundestags wurde das Papier erarbeitet. Dessen Kern ist die Zusammenführung der Fachverfahren der kommunalen Kfz-Behörden auf Bundesebene. Die Fokussierung auf das Thema Kfz sei auch deshalb erfolgt, weil rund 100 dieser 411 Kommunalbehörden ihre IT-Fachverfahren bis 2027 ohnehin erneuern müssten, teilt die Initiative mit.
300 Millionen Euro Ersparnis Rund 3,5 Millionen Kfz-Neuzulassungen gab es 2024 in Deutschland, gut 49 Millionen Fahrzeuge sind insgesamt zugelassen. Das Thema betreffe „die Lebenswirklichkeit der Menschen und Unternehmen in unserem Land“, sagt Bert Wendsche, Präsident des Sächsischen Städte- und Gemeindetags (SSG) und Mitautor des Konzepts. Dessen Umsetzung könne die deutschen Kommunen ab 2027 um mehr als 300 Millionen Euro im Jahr entlasten, gibt Wendsche eines der Kernargumente der Initiative wieder. Das Konzept wird unter anderem von Thomas de Maizière (CDU) begrüßt, dem ehemaligen Bundesverteidigungsminister und Mitbegründer einer anderen Initiative, die Anfang des Jahres für Aufsehen sorgte: die "Initiative für einen handlungsfähigen Staat", auf die im Koalitionsvertrag eingegangen wird und die sich selbst wiederum auf die Dresdner Forderungen bezieht. Nicht zuletzt weckt das neue Bundesministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung (BMDS) die Hoffnung auf schnellere Umsetzungen. Dessen „Kompetenzbündelung“ sieht Reichel als Voraussetzung dafür, „die Aufgabenneuordnung zwischen Bund, Ländern und Kommunen beherzt anzugehen“.
Als Grundlage für die Schaffung der rechtlichen und organisatorischen Voraussetzungen inklusive Portalzugang auf Bundesebene führt die Initiative den Erlass der Rechtsverordnung nach OZG/OZG 2.0, Paragraph 4 an: die „Elektronische Abwicklung von Verwaltungsverfahren, Verordnungsermächtigung“. Damit kann die Verwendung von IT-Komponenten geregelt werden, die das jeweils zuständige Bundesministerium bereitstellt. Weitere rechtliche Punkte sind die Prüfung der Anpassungsnotwendigkeit von Fachgesetzgebungen, die Schaffung der organisatorischtechnischen Voraussetzungen beim Bund, Kommunikationsunterstützung sowie der „Rückbau personeller und technischer Ausstattung in den Kommunen“. Zum definierten „Zielbild 2030“ gehört vorrangig die zentrale Bearbeitung aller Standard-Kfz-Vorgänge beim Kraftfahrt-Bundesamt (KBA). Die kommunalen Stellen sollen beratend tätig bleiben, die Einbindung von Versicherungen, Steuerbehörden, Prüfungseinrichtungen sowie anderen bei der Zulassung beteiligten Stellen soll über standardisierte Schnittstellen erfolgen. Der Zielwert: 80 Prozent aller Vorgänge sollen digital erfolgen. i-Kfz und Umsetzungsstufen Laut Ziel-Prozessarchitektur ist die Antragstellung über das i-Kfz-Portal geplant, die Authentifizierung über BundID oder EUDI-Wallet. Bei der Bearbeitung ist eine vollautomatische Vorprüfung vorgesehen, Sonderfälle wie Importfahrzeuge sollen hingegen durch eine zentrale Prüfgruppe abgearbeitet werden. Auch die Übermittlung digitaler Dokumente und der Versand der Kennzeichenplakette sollen über digitale Nutzerkonten erfolgen.
Die Schaffung der Grundlagen ist bis 2026 geplant, i-Kfz 4.0 wird dann bundesweit verpflichtend sein. Zwischen 2026 und 2027 soll die technische Zentralisierung starten, 2027 dann die Migration der Standardprozesse erfolgen. Die Schritte vier und fünf kämen ab 2027 hinzu: Beratungstransfer und Personalumbau sowie Vollumstellung und letztlich Rollout.
Christina Lang ist Chief
(CEO) des DigitalSer vice. Foto: BS/DigitalService
Immer mehr Verwaltungsdienstleistungen werden digital angeboten. Um die Nutzung und Akzeptanz dieser Angebote sicherzustellen und zu steigern, müssen Kommunen und Landkreise die Qualität und Effizienz ihrer digitalen Services messbar machen. Die Städte Marburg, Fulda, Gießen, Limburg, Offenbach und Wetzlar haben als „Digitale Kommune@ Hessen“ frühzeitig erkannt, wie wichtig eine datenbasierte Steuerung ihrer Online-Services ist. Im Rahmen eines zweijährigen Projekts entwickelten sie das eGovernment Service- und Analyse-Dashboard, kurz eGovSAD, das Kommunen auf einen Blick zentrale Informationen zur Nutzung ihrer Online-Dienste liefert. In dem Folgeprojekt „GoDonu – Gemeinsam online Daten offen nutzen“ wird die Plattform gemeinsam mit Frankfurt, Kassel und dem Rheingau-Taunus-Kreis weiterentwickelt, um einen Austausch und Vergleich innerhalb der Gemeinschaft zu ermöglichen.
Analyse der Nutzungsdaten und des Nutzungsfeedbacks
Das Dashboard bietet eine übersichtliche Darstellung von Nutzungsdaten und Nutzerfeedback zu Online-Diensten und ermöglicht eine tiefgehende, zugleich leicht verständliche Analyse. Kommunen und Landkreise in Hessen können so Nutzungszahlen aus verschiedensten technischen Systemen aufbereiten und direkt interpretieren. Die vom kommunalen ITDienstleister ekom21 im eigenen, BSI-zertifizierten Rechenzentrum betriebene Plattform stellt fertige Auswertungsmodule bereit, die fl exibel zusammengestellt werden können. Dadurch wird nicht nur die Steuerung der Digitalisierung verbessert, sondern auch die Grundlage für datenbasierte Entscheidungen geschaffen, die Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen zugutekommen. EGovSAD ermöglicht zudem die automatisierte und datenschutzkonforme Erfassung der in der DIN SPEC 66336 definierten Kennzahlen zur Nutzung von Online-Services. Neben der übersichtlichen Darstellung von Online- und OfflineDienstleistungen liefert eGovSAD detaillierte Aussagen zu Nutzungshäufigkeiten, Nutzungszeitpunkten, Abbruchquoten und Zahlungsdaten. Anwenderinnen und
Wirkungscontrolling
eGovSAD revolutioniert Erfolgsmessung von Online-Diensten
(BS/Dr. Karen Verbist/Johanna Hübel) Neun hessische Kommunen haben es vorgemacht: Mit dem „eGovernment Serviceund Analyse-Dashboard“ (eGovSAD) lässt sich die Qualität digitaler Services kontinuierlich überprüfen und optimieren. Die Analyse-Software führt Nutzungsdaten aus unterschiedlichen technischen Systemen auf einer zentralen Plattform zusammen und markiert damit ein grundlegendes Umdenken in der Verwaltungsdigitalisierung. Statt Insellösungen entsteht ein herstellerneutrales System, das Transparenz, Standardisierung und Wirkungscontrolling von Online-Diensten vorantreibt. Dank einer Landesförderung können alle Kommunen und Landkreise in Hessen eGovSAD kostenlos nachnutzen. Zukünftig soll die Nachnutzung auch in anderen Bundesländern ermöglicht werden.
Anwender erhalten Einblicke in Abbruchpunkte von Online-Prozessen und können Nutzermeinungen über Sternebewertungen oder Textfeedback direkt in die Weiterentwicklung einfließen lassen. „Behördengänge quasi vom Sofa aus sind unser Ziel. Aber diese müssen auch komfortabel und einfach zu nutzen sein. Daher ist es äußerst sinnvoll, ein Tool zu haben, das Rückschlüsse zum Beispiel auf Nutzungszahlen und abgebrochene Vorgänge zulässt oder Feedback der Nutzenden ermöglicht. Denn nur so können Prozesse verbessert und die Verwaltungsdigitalisierung kann zu einem wirklichen Erfolgsprojekt werden“,sagte Digitalministerin Prof. Dr. Kristina Sinemus Verschiedene Auswertungsmodule mit Mittelwertberechnungen
ermöglichen eine Vergleichbarkeit mit anderen Kommunen oder dem Landesdurchschnitt. Die Möglichkeit, Nutzungsdaten mit anderen eGovSAD-Nutzerinnen und Nutzern zu teilen oder DashboardAnsichten im Internet zu veröffentlichen, stärkt die Transparenz des Verwaltungshandelns und erleichtert vergleichende Analysen. Erst der Vergleich mit anderen Kommunen oder Durchschnittswerten schafft einen echten Mehrwert beim Wirkungscontrolling von Online-Diensten.
Datenschutz und Anonymität Ein Schwerpunkt von eGovSAD liegt auf Datenschutz und Anonymität: Personenbezogene Daten werden nicht gespeichert und die Darstellung der Nutzungsdaten er-
folgt vollständig anonymisiert. So bleibt die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger gewahrt und die Einhaltung der Datenschutzbestimmungen sichergestellt. Bei der technischen Anbindung digitaler Verwaltungsdienste setzt eGovSAD auf Herstellerneutralität. Verschiedene Anbieter von Online-Diensten und Fachverfahren können Nutzungsdaten über eine frei verfügbare REST-Datenkonnektor-Schnittstelle übermitteln. Die Konnektorbeschreibung steht in eGovSAD zum Download bereit und enthält alle relevanten Informationen für die Schnittstellenanbindung. Ein Testsystem unterstützt Hersteller bei der Entwicklung. Kommunen können die Anbindung eigenständig durchführen, erfolgreiche Anbindungen
werden auf der Projektwebseite veröffentlicht. Die nachnutzende Community profitiert direkt von jedem neuen Datenkonnektor.
Qualitätskontrolle und Verbesserung der Angebote In der Stadtverwaltung Marburg spielt eGovSAD eine zentrale Rolle bei der Qualitätskontrolle der Online-Dienste und eröffnet neue Wege zur Verbesserung digitaler Angebote. Zu den meistgenutzten analysierten Diensten zählen die Bestellung der Geburtsurkunde, Online-Terminvereinbarungen und die Beantragung von Bewohnerparkausweisen. Das direkte, anonymisierte Nutzerfeedback ist wertvoll für die Optimierung der Services. So wurde etwa angemerkt, dass bei manchen OnlineDiensten ein freies Textfeld fehlt, wenn die vorgegebenen Optionen nicht ausreichen.
„Für uns als Verwaltung ist das Tool eine große Bereicherung, denn genau so einfach, wie Bürgerinnen und Bürger unsere Online-Dienste nutzen, können wir nun nachverfolgen, wie sie angenommen werden. Noch wichtiger ist für uns jedoch, dass wir auch nachvollziehen können, was noch verbessert werden muss“, betonte der Marburger Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies.
Die Entwicklung und Erweiterung wurden durch das Hessische Ministerium für Digitalisierung und Innovation ermöglicht. Das Ministerium finanziert auch die Bereitstellung für alle hessischen Kommunen und Landkreise bis Ende 2029. Aktuell wird eGovSAD bereits in 65 Kommunen und Landkreisen in Hessen eingesetzt. Im vergangenen Herbst wurde eGovSAD mit dem bundesweiten DIGITAL-Award in der Kategorie „Landkreise, Regierungspräsidien und andere Behörden“ ausgezeichnet.
Infobox
Das Thema „Wirkungscontrolling von Online-Diensten“ auf eGovSAD ist auch Gegenstand eines Fachforums auf dem Kongress „HessenDigital“, den der Behörden Spiegel am 21. August in Bad Homburg veranstaltet. Weitere Informationen zu dieser Veranstaltung und eine Anmeldemöglichkeit finden sich unter: www.hedigital.de.
V.l.n.r: Dr. Karen Verbist, Leiterin des Fachdienstes Digitalisierung der Stadt Marburg, sowie Jonas Wagner, Johanna Hübel und Daniel Biecker vom Fachdienst Digitalisierung setzen bei der Erfolgsmessung ihrer Online-Dienste auf eGovSAD und freuen sich über den DIGITAL-Award. Foto: BS/Stefanie Ingwersen
Juli 2025
Deutschland-Index der Digitalisierung vergleicht die Länder
Das Kompetenzzentrum Öffentliche IT (ÖFIT) am Fraunhofer FOKUS hat den „Deutschland-Index der Digitalisierung 2025“ veröffentlicht. Die Studie vergleicht Stand und Entwicklung der Digitalisierung in den bundesdeutschen Ländern in den Themenfeldern Infrastruktur, Digitales Leben und Digitale Verwaltung. Während der Infrastrukturausbau große Fortschritte macht, gibt es bei der Nutzung Licht und Schatten.
Nicole Opiela ist stellvertretende Leiterin des Kompetenzzentrums Öffentliche IT am Fraunhofer-Institut FOKUS. Foto: BS/privat
Behörden Spiegel: Frau Opiela, Sie leiten das Projekt „Deutschland-Index der Digitalisierung“. Was sind die wesentlichen Erkenntnisse der aktuellen Studie?
„Biszum Jahr 2030 wollen wir in Deutschland 80 Prozent unseres Stroms aus nachhaltigen Energiequellen gewinnen“, sagt Prof. Dr. Lilian Busse, Vizepräsidentin des Umweltbundesamts. „Ein wichtiger Teil davon ist die Windkraft an Land. Sie soll bis 2030 rund 115 Gigawatt liefern. Dazu müssen jedes Jahr zehn Gigawatt neu dazukommen.“
Um solche Vorhaben umzusetzen, sind genaue Angaben zu bestehenden Windenergieanlagen (WEA) unerlässlich, um den Ausbau fundiert planen zu können. Eine wesentliche Information ist deren geografische Lage. Das klingt trivial, allerdings beruhen die Daten dazu im Marktstammdatenregister der Bundesnetzagentur auf Nutzereingaben und sind entsprechend fehlerbehaftet. Überprüfungen haben gezeigt, dass manche Anlagen mehrere hundert Meter falsch platziert sind oder sogar außerhalb des Bundesgebietes liegen.
Effiziente Informationsgewinnung mit Geo-KI
Alle Standorte von Hand zu kontrollieren, wäre zu aufwendig. Luft- und Satellitenbilder ersparen den Weg ins Gelände, aber auch ein manueller Kartierungsprozess ist sehr ressourcenintensiv. Hier kommt die KI ins Spiel: Im genannten Fall hat das Anwendungslabor für Künstliche Intelligenz und Big Data am Umweltbundesamt (KI-Labor am UBA) ein Modell trainiert, das WEA deutschlandweit mit einer Genauigkeit von 97,5 Prozent findet und lokalisiert. Das spart Zeit, erhöht die Datenqualität und
Nicole Opiela: Beim Infrastrukturausbau zeigt sich eine hohe Dynamik. 5G-Mobilfunk ist inzwischen in allen Ländern fast flächendeckend verfügbar. Auch Breitband mit 50 Mbit/s ist in nahezu allen Ländern für 95 Prozent der Haushalte verfügbar. Ursprünglich wurde das Ziel einer Vollversorgung schon für 2018 angestrebt, die aktuelle Situation zeigt aber, dass ein „Vollausbau“ realistischerweise eher 95 Prozent als 100 Prozent bedeutet und sehr abgelegene Liegenschaften über geeignete Alternativen zu erschließen sind. Dies ist auch für die Versorgung mit Glasfaser wichtig, die bis 2030 flächendeckend sein soll. Ende 2024 lag diese bei 40 Prozent, damit ist das erste Etappenziel, bis 2025 die Hälfte aller Haushalte anzuschließen, in greifbarer Nähe. In den Ländern folgt der Glasfaserausbau unterschiedlichen Mustern: In manchen Ländern sind vor allem städtische Räume bereits gut versorgt, in anderen erfolgt der Ausbau gleichmäßiger auch in ländlichen Räumen. Daher
Verzerrung: Deutschlandkarte 2025
Einfärbung: Onlineanträge 2025
In den letzten zwölf Monaten haben in den Ländern zwischen 54,2 und 80,6 Prozent der Bürgerinnen und Bürger mit einem Verwaltungsanliegen Anträge oder Formulare auch online an Behörden übermittelt. Grafik: BS/ÖFIT
berechnen wir erstmalig eine Art „Gerechtigkeits-Index“ des Ausbaus.
Behörden Spiegel: Wie sieht es bei der Digitalisierung der Verwaltung aus?
Opiela: Gute Nachrichten gibt es auch dort: Das Angebot flächendeckend verfügbarer Onlinedienste für OZG-Leistungen in den Ländern ist stark gewachsen, um durchschnittlich 42 Prozent in den letzten zwei Jahren, das heißt, dass im Mai für durchschnittlich 227 Leistungen Onlinedienste verfügbar waren. Die Unterschiede zwischen den Ländern hinsichtlich Angebot und Dynamik sind aber weiterhin groß. Hinzu kommt, dass sich der Anteil der Bürgerinnen und Bürger mit einem Verwaltungsanliegen, der Onlinedienste nutzt, nicht erhöht hat. Zwei von drei Befragten, die im letzten Jahr Anträge oder Formulare an Behörden übermittelt haben, haben
dies auch online getan, 2,5 Prozentpunkte weniger als zwei Jahre zuvor. Es scheint demnach insbesondere schwierig, neue Nutzendengruppen zu gewinnen. An mangelnder Zufriedenheit scheint es indes nicht zu liegen. Rund 70 Prozent der Befragten bewerten die Auffindbarkeit und Bedienbarkeit des kommunalen Webangebots positiv. Basiskomponenten wie E-Payment-Möglichkeiten oder die eID werden hingegen von immer mehr Bürgerinnen und Bürgern genutzt, genauso wie Chats mit Verwaltungsmitarbeitenden, Chatbots oder Mängelmelder.
Behörden Spiegel: Verwaltungsdienste finden also nicht mehr Nutzende. Wie steht es mit der generellen Nutzung digitaler Angebote im Alltag?
Opiela: Einen deutlichen Anstieg gibt es bei der Telemedizin: Hier hat sich der Anteil der Nutzenden innerhalb von zwei Jahren verdoppelt auf nun-
Nicht nur Text – Kontext!
Wie Geo-KI Informationslücken in der Verwaltung schließt (BS/Hendrik Wagenseil/Stephan Klingner) Ein weniger beachtetes, aber hochrelevantes Anwendungsfeld für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) liegt in der intelligenten Analyse raumbezogener Daten – der sogenannten Geo-KI. Gerade für die Verwaltung, die täglich mit räumlichen Fragestellungen befasst ist, eröffnet Geo-KI enormes Potenzial. Sie erschließt Informationen aus großen Datenmengen, macht Zusammenhänge sichtbar und schafft Entscheidungsgrundlagen. Während Sprach-KI „spricht“, liefert Geo-KI den Kontext – und damit häufig die Basis für vorausschauendes Handeln.
ermöglicht regelmäßige Updates –eine wichtige Voraussetzung für Planung und Monitoring. Der Nutzen solcher Verfahren geht weit über Windkraft hinaus: Wo hat sich die Waldstruktur verändert? Wie ist die Auslastung von Parkplätzen? Wie viele Gebäude sind nach einem Hochwasser beschädigt? Zu vielen Themen liegen keine aktuellen und vollständigen Informationen vor. Geo-KI kann solche Informationslücken schließen – u. a. mithilfe automatisierter Auswertungen von Erdbeobachtungsdaten.
„Geo-KI wird oft zur Auswertung von Fernerkundungsdaten eingesetzt, umfasst aber grundsätzlich alle KI-Verfahren zur Auswertung von Geodaten“, sagt Prof. Dr. Paul Becker, Präsident des Bundesamtes für Kartographie und Geodäsie (BKG).
mehr 14 Prozent. Einen klaren Anstieg gibt es auch bei denjenigen, die sich online engagieren, also beispielsweise Open-Source-Software entwickeln oder offene Lernmaterialien erstellen. Der Anteil der Befragten, die angeben, bestimmte digitale Basiskompetenzen zu beherrschen, wie das Installieren von Programmen oder anonymes Surfen, sinkt hingegen. Auch sichern weniger Personen ihre Daten durch Back-ups. Dies ist eine bedenkliche Entwicklung.
Behörden Spiegel: Welche Rolle spielt generative Künstliche Intelligenz im Leben der Bürgerinnen und Bürger?
Opiela: Nach unseren Daten noch keine große Rolle. Nicht einmal die Hälfte der Befragten hat generative KI überhaupt schon einmal genutzt. Genutzt wird sie vor allem im Kontext von Beruf und Ausbildung. Die Erwartungen an die Auswirkungen von KI sind eher negativ, vor allem für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Deutlich positiver sind die Erwartungen bezüglich der Auswirkungen auf Bildung und Forschung sowie die öffentliche Verwaltung. Besonders optimistisch sind übrigens Personen, die generative KI bereits häufig nutzen.
Info
Der „Deutschland-Index der Digitalisierung 2025“ steht kostenlos unter: www.oeffentliche-it.de/deutschlandindex/ zur Verfügung. Dort haben Sie auch die Möglichkeit, die Daten mithilfe eines interaktiven Onlinetools selbst zu entdecken und zu vergleichen, Visualisierungen zu erstellen und Daten zu exportieren.
Planungsbeschleunigung, Maßnahmenumsetzung oder Politikberatung sind verlässliche und aktuelle Daten entscheidend.
Am Ende braucht es einen gemeinsamen Rahmen, der den Datenaustausch und die Nutzung vorhandener Daten erleichtert. Nur so lässt sich ihr volles Potenzial ausschöpfen und der Weg für neue, innovative Lösungen ebnen.
Zurück zum Thema WEA: Die Standorte der Anlagen sind nicht nur energiepolitisch relevant. So hat die Deutsche Flugsicherung den Auftrag, Flughindernisse zu erfassen. Dazu zählen u. a. WEA, Strommasten, hohe Vegetation oder Gebäude. Relevante Parameter wie die maximale Höhe oder – im Falle der WEA – Rotordurchmesser und Nabenhöhe zur Berechnung der maximalen Ausdehnung lassen sich aus 2D-Bilddaten nicht verlässlich ermitteln. Hierfür braucht es 3DDaten, wie sie das BKG im Projekt „Digitaler Zwilling Deutschland“ mit flächendeckenden Laserscanning-Befliegungen erhebt. Die entstehenden 3D-Punktwolken werden mithilfe spezialisierter Geo-KI automatisiert ausgewertet, relevante Objekte werden identifiziert, lokalisiert und charakterisiert.
Forum GEO.KI – Austausch fördern Um Geo-KI-Akteure aus Verwaltung, Wissenschaft und Wirtschaft besser zu vernetzen, haben BKG und KI-Labor am UBA eine Veranstaltungsreihe gestartet. Nach einem Workshop im Mai 2024 fand am 2. und 3. April 2025 das zweite „Forum GEO.KI“ statt – mit neuem Namen und deutlich mehr Teilnehmenden. Über 140 Expertinnen und Experten von mehr als 70 Institutionen waren dabei – Behörden, Forschungseinrichtungen und Unternehmen. Gezeigt wurden forschungsnahe Entwicklungen, aber auch praktische Anwendungen. Auch Voraussetzungen für die Implementierung sowie Aspekte vertrauenswürdiger Geo-KI wurden intensiv diskutiert.
Die im Forum vorgestellten Beispiele zeigen: Für den Erfolg von Geo-KI sind aktuelle und qualitativ hochwertige Geodaten unverzichtbar. „Höhere Datenqualität und -quantität führen zu besseren Lösungen“, betont Prof. Dr. Becker Das gilt auch für abgeleitete Datensätze, etwa zu bestimmten Objekten oder zur Landnutzung. Die Datenerhebung ist jedoch oft kostenintensiv – umso wichtiger ist es, vorhandene Daten optimal zu nutzen und über institutionelle Grenzen hinweg auszutauschen.
Verfügbarkeit und Qualität der Daten sind entscheidend Doch der Datenaustausch stockt oft – technische, organisatorische und rechtliche Hürden bremsen das Potenzial. Ein besserer Informationsfluss zwischen Institutionen – horizontal (z. B. zwischen Ministerien) und vertikal (zwischen Bund, Ländern und Kommunen) – ist entscheidend. Auch Forschungseinrichtungen sollten aktiv eingebunden werden.
„Wenn Wissen, Daten und Modelle freier fließen, können viele Prozesse verbessert werden – selbst bei knappen Ressourcen“, so Prof. Dr. Busse. Besonders in Bereichen wie
Geo-KI gewinnt an Bedeutung Geo-KI ist ein wichtiger Bestandteil einer umfassenden KI-Strategie zur Modernisierung der Verwaltung. Der Bedarf an aktuellen, flächendeckenden und hochwertigen Geodaten ist stark gestiegen. Geo-KI kann bei der Gewinnung dieser Daten unterstützen und diese in entscheidungsrelevante Informationen überführen. Ihre strategische Integration sollte daher als Schlüsselfaktor für eine zukunftsorientierte Verwaltung verstanden werden.
Hendrik Wagenseil (l.) arbeitet in der Taskforce Künstliche Intelligenz im Bundesamt für Kartographie und Geodäsie. Stephan Klingner ist im Anwendungslabor für Künstliche Intelligenz und Big Data im Umweltbundesamt tätig. Fotos: BS/privat
RPA-Bots arbeiten strikt nach festgelegten Regeln und in vorab definierten Prozessen mit Menschen und Programmen zusammen. So kann der „Bot-Kollege“ monotone Tätigkeiten übernehmen, etwa Online-Anträge über Nacht in ein Fachverfahren übertragen oder im Hintergrund Dokumente automatisch in die E-Akte ablegen. Bei hohem Fallaufkommen und zunehmendem Fachkräftemangel kann dies ein echter Segen sein.
Ist die Technologie eingeführt, lässt sie sich relativ einfach in Softwaregestützte Prozesse einbinden, weil RPA wie ein menschlicher Benutzer innerhalb der bestehenden Rechte und Rollen sowie Programm- und Datenstrukturen arbeitet.
Positive Effekte hat RPA insbesondere auf die
• Zufriedenheit durch Einbindung und Entlastung der Beschäftigten, Servicequalität durch schnellere Abwicklung von Anträgen,
• Datenqualität durch Vermeidung von Übertragungsfehlern und strikte Programmlogik,
• Verfügbarkeit und Umsetzungsgeschwindigkeit von Automatisierungsprojekten,
• Bereitschaft, im Sinne des Geschäftsprozessmanagements Ende-zu-Ende-Prozessuntersuchungen durchzuführen,
• Nachweisbarkeit der Wirtschaftlichkeit von Automatisierungsmaßnahmen.
Robotic Process Automation
Allheilmittel für die öffentliche Verwaltung?
(BS/Manuel Malter/Dr. Matthias Latus) Die kommunale Ebene ist eine Welt voller spezialisierter Softwarelösungen, sogenannter Fachverfahren. Entsprechend vielfältig sind die langjährig gewachsenen IT-Landschaften, wenn es um Personenstandsregister, Einwohnermeldedaten, Gewerbewesen, Bauanträge, Sozialleistungen, Kulturförderung, Bildung usw. geht. Viele der eingesetzten Fachverfahren sind in puncto Schnittstellenfähigkeit und Datenintegration begrenzt. Hier kann Robotic Process Automation (RPA) wirksam Abhilfe schaffen, indem Software-Roboter sich wiederholende Tätigkeiten automatisiert ausführen. Die „Bots“ erkennen Bildschirminhalte und steuern Benutzeroberflächen, indem sie Bedienvorgänge mit Maus und Tastatur nachahmen. Doch welche Chancen und Risiken sind mit RPA verbunden?
suchung Abhilfe schaffen, das zur grundsätzlichen Bedingung gemacht wird.
Organisationale Leistungsfähigkeit im Mittelpunkt
RPA sollte mit dem Organisationsund Geschäftsprozessmanagement verzahnt werden. Auf diese Weise können auch der zielgerichtete Einsatz und die Wirtschaftlichkeit sichergestellt werden. Für den Be-
Risiken und Nebenwirkungen Neben den Vorteilen birgt RPA aber auch Gefahren und unerwünschte Nebenwirkungen. Einführung, Monitoring, Wartung und Weiterentwicklung von RPA-Lösungen sind aufwendig und erfordern technisches Fachwissen und wertvolle ITKapazitäten. Beides muss entweder mühsam aufgebaut oder teuer eingekauft werden. Im laufenden Betrieb ist die Störungsanfälligkeit von RPA eine zentrale Herausforderung. Die Technologie ist stark von den zugrunde liegenden Anwendungen und Prozessen abhängig. Wenn sich diese ändern oder Fehler auftreten, funktionieren Bots häufig nicht mehr. Da RPA unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten meist in hochvolumigen Prozessen eingesetzt wird, muss es schnell auffallen, wenn ein Bot fehlerhaft läuft oder falsche Ergebnisse produziert. Dies setzt schnelle Reaktionszeiten sowie einen effizienten Informationsfluss zwischen beteiligten Organisationseinheiten wie Fachdienststellen, IT, Prozessanalysten und ggf. externen Dienstleistern voraus. Die Möglichkeiten für Fehler sind vielfältig: von einer nicht berücksichtigten Prozessvariante über ein abgelaufenes Zertifikat bis hin zu einem simplen Browserupdate. Tendenziell führt Automatisierung zu einer Verlagerung von Aufwänden vom jeweiligen Fachbereich auf die interne IT bzw. auf externe ITDienstleister. Um dies zu begrenzen, sollte klar geregelt werden, dass die Fachbereiche weiterhin fachlich zuständig sowie prozessverantwortlich bleiben. Sie sollten zudem die korrekte Arbeitsweise des „Software-Kollegen“ selbst überwachen. Fachbereiche, die RPA einsetzen, stehen damit vor der Herausforderung, neue technische Kompetenzen aufzubauen. Die Versuchung liegt nahe, daraus Anträge zur Schaffung neuer Stellen abzuleiten. Doch dies würde die Wirtschaftlichkeit des RPA-Einsatzes verringern. Ein organisatorisches Risiko besteht in einem vorschnellen und zu häufigen RPA-Einsatz. Da RPA oft schneller verfügbar ist als integrative Lösungen, besteht die Gefahr, Ineffizienzen mit Bots nur zu kaschieren. Die tiefer liegenden Ursachen in den Prozessen, Systemen und Strukturen sollten deshalb so weit wie möglich durch die Umsetzung von Prozessoptimierungen behoben werden.
trieb ist ein robustes Modell mit ausreichenden Kapazitäten, Monitoring und schnellen Reaktionsprozessen wichtig. Eigentlich ist es klar, keine schlechten Prozesse zu automatisieren. Trotzdem liegt die Versu-
chung nach einer schnellen Lösung nahe. „Das machen wir später in Ruhe“ wird selten engagiert weiterverfolgt, wenn der größte Druck erst mal raus ist. Hier kann ein klar kommuniziertes Vorgehensmodell mit ergebnisoffener Prozessunter-
Aspekte von RPAPotenzialeHerausforderungen
Technologische Einbindung
Automatisierungspotenzial
Effizienz & Wirtschaftlichkeit
Organisationale Auswirkungen
• Einfache Umsetzung in bestehenden IT-Systemen
Übernahme repetitiver, monotone Tätigkeiten
• Entlastung der Beschäftigten
• Erhöhung der Servicequalität
• Schnellere Bearbeitung von Anträgen
• Verbesserte Datenqualität durch automatisierte Logik
• Nachweisbare Wirtschaftlichkeit
• Förderung der Prozessanalyse und Ende-zuEnde-Betrachtung
• Potenzial zur Motivation für weitere Prozessoptimierung
Risiko-Management Ermöglicht gezieltes Monitoring und Fehlererkennung
Zukunftsperspektiven
Fazit
• Verbindung mit KI ermöglicht komplexere Automatisierung und Hyperautomation.
RPA ist ein gutes Instrument für Entlastung und Automatisierung, wenn es in optimierte Prozesse eingebettet ist.
• Abhängigkeit von stabilen Anwendungen und Prozessen
Fehleranfälligkeit bei Prozessänderungen oder technischen Updates
• Relativ hoher Aufwand für Einführung, Monitoring und Wartung
• Erhöhter IT-Kapazitätsbedarf
• Verlagerung von Aufwand auf IT oder externe Dienstleister
• Gefahr der Überlastung der Fachbereiche durch technische Verantwortung
Ohne sorgfältiges Vorgehen und organisatorische Einbindung kann RPA ineffizient oder fehleranfällig sein.
Die Einbettung von RPA bietet der öffentlichen Verwaltung ein großes Potenzial zur Entlastung und Automatisierung. Grafik: BS/Malter/Latus
Mit Blick auf die Geschäftsprozesse und den Betriebsaufwand ist es kein Gütekriterium, möglichst viele Bots zu betreiben. Vielmehr geht es darum, RPA an der richtigen Stelle und in Verbindung mit anderen Maßnahmen gezielt einzusetzen, wo die Technologie ihre Stärken hat. Wenn aus theoretischen Nutzenargumenten spürbare Entlastungen werden, kann RPA der Türöffner für ein systematisches Geschäftsprozessmanagement in den Fachbereichen sein. Erfolgreiche Automatisierungsprojekte sind der beste Motivator, um die Prozessoptimierung dezentral engagiert voranzutreiben.
Auch der Einsatz von Künstlicher Intelligenz spielt eine zunehmend wichtigere Rolle in der Entwicklung zur Hyperautomation. Durch die Verknüpfung von RPA mit KI können intelligente, selbstlernende Systeme entwickelt werden, die zunehmend komplexere Aufgaben übernehmen. Neben optimierten Prozessen bedarf es für deren erfolgreichen Einsatz stets strukturierter, qualitätsgesicherter Daten, die in vielen öffentlichen Verwaltungen meist noch nicht vorliegen. Als Bestandteil eines größeren Instrumentenkoffers kann die Technologie die digitale Transformation der öffentlichen Verwaltung wirksam unterstützen, es bedarf aber immer eines überlegten Vorgehens. RPA ist somit kein Allheilmittel. Aber in der richtigen Dosis und für den richtigen Zweck kann es wirksam Linderung verschaffen.
Manuel Malter ist Diplom-Betriebswirt (FH) M.A. und Leiter des Sachgebiets Prozessmanagement beim Amt für Digitalisierung und Prozessorganisation der Stadt Nürnberg. Foto: BS/privat
Dr. Matthias Latus ist promovierter Volkswirt und Leiter des Amtes für Digitalisierung und Prozessorganisation der Stadt Nürnberg. Foto: BS/privat
„Wirdürfen nicht nur an den Bund und die Länder denken. Die wesentliche Arbeit am Bürger findet in den Kommunen statt. Wir müssen dafür sorgen, dass sie handlungsfähig und informationssicher aufgestellt sind“, betonte Bernd Schlömer, Staatssekretär und CIO in Sachsen-Anhalt, auf der PITS in Berlin. Er blickte auf den Cyber-Angriff auf den Landkreis Anhalt-Bitterfeld im Jahr 2021 zurück, als in der Folge der Katastrophenfall ausgerufen wurde. Dieses Erlebnis sowie die NIS2-Richtlinie hätten ihn dazu bewogen, gemeinsam mit der Wissenschaft einen Konzeptvorschlag zur Einrichtung eines nationalen Übungszentrums zu entwickeln.
Trotz Angriff arbeitsfähig
Das Zentrum soll dazu dienen, Führungskräften, Hauptverwaltungsbeamten und auch dem Fachpersonal die kommunale Cyber-Sicherheit näherzubringen und die Frage zu beantworten: „Was passiert eigentlich in meiner Kommune, in meinem Landratsamt, Bürgeramt oder Rathaus, wenn ein Cyber-Angriff geschieht?“ Die Mitarbeitenden sollen lernen und üben, wie die Geschäftsbearbeitung ungehindert weiterlaufen könne – etwa die Auszahlung von Sozialleistungen. Zudem soll das Zentrum eine Stelle für den Wissenstransfer werden. Kommunen sollen dort Sicherheitslösungen testen und evaluieren können. Auch die angewandte Cyber-Sicherheitsforschung und daraus resultierende Prototypen sollen künftig verprobt werden. Daher gebe es viele Synergien, etwa mit der Cyberagentur, die ihren Sitz in Halle (Saale) hat. Das Konzeptpapier sei fertig, eine Machbarkeitsstudie in Vorbereitung, teilte Schlömer mit. Ziel sei, das Zentrum einmal bun-
Kluge , stellvertretende Abteilungsleiterin für Cyber- und Informationssicherheit im Bundesministerium des Innern (BMI), gab in ihrer Rede einen Ausblick auf die Vorhaben ihres Hauses in dieser Legislaturperiode. Der Fokus liege vor allem auf der Umsetzung europäischer Initiativen. NIS2 sei dabei die „Top-Priorität für die nächsten Wochen und Monate“. Hinzu kämen die Umsetzungen des Cyber Resilience Act (CRA) und des AI Act. Zweite Stufe des Vertragsverletzungsverfahrens Bei NIS2 habe man während der Verhandlungen in Brüssel vergeblich versucht, den Verpflichtetenkreis zu verringern. Nun sei besondere Eile geboten, da der Umsetzungszeitpunkt – der 17. Okto-
Üben, üben, üben
Zentrum soll kommunale Cyber-Resilienz stärken
(BS/Anna Ströbele) Wie lässt sich die Cyber-Resilienz in den Kommunen nachhaltig verbessern? Sachsen-Anhalt will zu diesem Zweck ein nationales Übungszentrum aufbauen. Auch das bayerische LSI hilft seinen 2.056 Gemeinden bei der Erprobung des Ernstfalls und der Schulung von kommunalen Entscheidungsträgern. Die Stadt Witten übt, seitdem sie 2020 angegriffen wurde, ebenfalls den Cyber-Katastrophenfall und setzt darüber hinaus auf eine Mischung aus zentralen Lösungen und interkommunaler Zusammenarbeit.
Sachsen-Anhalts CIO Bernd Schlömer führt derzeit viele Gespräche rund um die Errichtung eines nationalen Cyber-Übungszentrums. Ziel ist, die Kommunen auf einen möglichen Cyber-Vorfall vorzubereiten.
desweit zugänglich zu machen – für Kommunen in ganz Deutschland. Dies könne beispielsweise über den IT-Planungsrat ablaufen. Wichtig sei, dass es von der Politik getragen werde, von den Ländern und Kommunen, sagte Schlömer. Er erklärte: „Es gibt aus allen Bundesländern sehr starkes Interesse, dass wir die Idee fortsetzen und weiterentwickeln, weil alle glauben, dass es eine richtige Sache ist“. Auch mit BSI-Präsidentin Claudia Plattner stehe der CIO diesbezüglich im Austausch.
Skalierbare Tabletop-Übungen
In Bayern wurden ebenfalls bereits Wege gefunden, um Kommunen auf Cyber-Vorfälle vorzubereiten. Bernd
Geisler, Präsident des Landesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (LSI), berichtete von sogenannten Tabletop-Übungen, bei denen kommunale Entscheidungsträger wie Bürgermeister, Informationssicherheitsbeauftragte und Amtsleiter ihre Rollen und Reaktionen während eines Notfalls durchsprechen. Dafür wurden vier Szenarien entwickelt. „Die Übungen werden ganz gut angenommen – der Bedarf ist da“, so Geisler Angesichts der über 2.000 Gemeinden im Freistaat müsse das Angebot unbedingt skalierbar sein. Deshalb stelle das LSI die Übungsmodule inklusive Video-Unterstützung und Anleitung zur eigenständigen Durchführung bereit. Einige Kom-
munen wünschten sich dennoch eine Moderation durch das LSI. Dies sei zwar grundsätzlich möglich, aber bei derzeit 15 bis 20 Mitarbeitenden in der Kommunalberatung des LSI nicht flächendeckend realisierbar. Unabhängige Beratung für Kommunen
Das LSI versuche darüber hinaus, die Kommunen mit einem niedrigschwelligen Angebot wie einem einfachen Informationssicherheitsmanagementsystem (ISMS) zu gewinnen. Ein vollständiger ITGrundschutz überfordere kleine Gemeinden schnell. Daneben betreibe das LSI einen Warn- und Informationsdienst, über den sich Kommunen über aktuelle Bedrohungen informieren und ihre Systeme überprüfen könnten. Insgesamt würden die Kommunen es begrüßen, eine unabhängige Stelle zu haben, die sie berate und „bei der sie anrufen können, ohne dass gleich eine Rechnung ins Haus flattert“, verdeutlichte Geisler Matthias Kleinschmidt, Erster Beigeordneter und Stadtkämmerer von Witten, berichtete von einem Vorfall aus 2020: „Am Sonntag, 17. Oktober, war plötzlich unsere gesamte IT-Umgebung verschlüsselt.“ Daraufhin wurde der Stab für ungewöhnliche Ereignisse einberufen – eigentlich nicht für solche Fälle
Ein neuer NIS2-Anlauf
Innenministerium möchte Klageerhebung seitens der EU vermeiden (BS/sp) Cyber-Sicherheit wird zunehmend zur Grundvoraussetzung für Zusammenleben und Zusammenarbeit. Das Cybercrime-Lagebild 2024 des BKAs zeigt deutlich: Angreifer professionalisieren sich immer weiter und Kriminelle können sich zunehmend in ihrem „Geschäftsfeld“ spezialisieren. Dabei verschwimmen auch die Grenzen zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren, berichtet Barbara Kluge auf der Public IT-Security Conference 2025 in Berlin.
ber 2024 – bereits lange verstrichen sei. Ende letzten Jahres und Anfang dieses Jahres sei man jedoch „auf der Zielgeraden verhungert“.
Auch weil sich Deutschland inzwischen in der zweiten Stufe eines Vertragsverletzungsverfahrens durch die Europäische Union befindet, sei nun Tempo bei der Fertigstellung der Richtlinie geboten, erklärte Dr. Daniel Meltzian, Leiter des Grundsatzreferats Cyber- und Informationssicherheit im BMI.
Dabei könne man kaum auf Nachsicht seitens der EU hoffen: „Der EU kann es erst mal egal sein, dass in Frankreich und Deutschland Wahlen waren“, sagte der Referatsleiter mit Blick auf mögliche Gründe für die verspätete Umsetzung. Jetzt soll es schnell gehen: Ende Mai und im Juni wurden neue Referentenentwürfe zur NIS2-Umsetzung veröffentlicht. Manuel Atug, Gründer und Sprecher der AG KRITIS, kommentierte auf LinkedIn,
der aktuelle Entwurf sehe unter anderem eine Überarbeitung des IT-Grundschutzes zum 1. Januar 2026 vor. Zudem müssten Einrichtungen der Bundesverwaltung die Erfüllung der Anforderungen künftig alle drei statt fünf Jahre nachweisen. Fachkreise und Verbände haben nun bis Anfang Juli Zeit, ihre Stellungnahmen einzureichen. Auf dem roten Sofa berichtete Meltzian, dass das NIS2-Umsetzungsgesetz im besten Fall noch in diesem
begrüßen.
vorgesehen –, um die Krise zu bewältigen. Fragen bzgl. der Wiederherstellung der Kommunikation, der Organisation der Öffentlichkeitsarbeit und der Schadensbegrenzung mussten geklärt werden. Heute lasse die Stadt ihre Mitarbeitenden zweimal jährlich einen IT-Sicherheitstest absolvieren – bei dreimaligem Nichtbestehen drohten Konsequenzen. Außerdem sei im Katastrophenschutz das Szenario ausfallender IT-Struktur(en) eingebaut worden, welcher nun ebenfalls geübt werde, so Kleinschmidt
Incident Response zentral bereitgestellt
In Nordrhein-Westfalen sei nun ein landesweiter Rahmenvertrag für Incident Response geschlossen worden. Sollte eine Stadt einen Vorfall haben, könne sie sich dort bedienen und brauche daher nicht mehr einen eigenen Rahmenvertrag mit einem Unternehmen. „Dadurch werden wir deutlich Mittel sparen. So kann man durch gemeinsame Lösungen auf Landesebene etwas bewegen“, erklärte der Kämmerer der nordrhein-westfälischen Stadt. Auch bei seiner Systemlandschaft setzt Witten auf einen hybriden Ansatz. Einige IT-Dienste werden selbst betrieben, andere liegen bei kommunalen Rechenzentren oder benachbarten Städten, etwa das Standesamtsverfahren in Dortmund. „Als wir gehackt waren, konnten die Kollegen nach Dortmund fahren und dort weiterarbeiten, weil ihnen ein Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt wurde“, erzählte Kleinschmidt Witten betreibe hingegen das Dokumentenmanagementverfahren für acht Städte im Kreis. Für Kleinschmidt ist das ein Beispiel für gelungene interkommunale Zusammenarbeit.
Monat im Kabinett beraten werde. Wenn der Zeitplan eingehalten werde, könne die Richtlinie noch in diesem Jahr im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden: „Dann könnten wir die Umsetzungsfortschritte der Europäischen Union mitteilen, damit aus dem Vertragsverletzungsverfahren keine Klageerhebung wird“, resümierte er.
„NIS2 ist die Top-Priorität für die nächsten Wochen und Monate.“
Barbara Kluge, stellvertretende Abteilungsleiterin für Cyber- und Informationssicherheit im Bundesministerium des Innern
Adebahr, Cyber-Botschafterin beim Auswärtigen Amt, informierte über Deutschlands Cyber-Außen- und
Oberst Guido Schulte, CISO der Bundeswehr, sieht bei der IT-Sicherheit „keine Erkenntnis-, sondern Umsetzungsprobleme“.
Zur Eröffnung des Kongresses blieb kein Sitz leer. Insgesamt konnte die PITS in diesem Jahr über 600 Teilnehmende
Maria
Sicherheitspolitik.
Fotos: BS/Bildschön
Foto: BS/Bildschön
I
m Bereich Office- und Collaboration-Software setzen etwa 96 Prozent der Unternehmen auf Lösungen des US-Software-Anbieters Microsoft. Diese Tatsache diente Leonhard Kugler, Leiter der OpenSource-Plattform des Zentrums für digitale Souveränität (ZenDIS), auf der PITS 2025 als Beispiel, um klarzumachen, wie stark die Marktkonzentration einzelner Anbieter ist. Denn die US-amerikanische Dominanz erschöpfe sich nicht auf OfficeAnwendungen. Auch auf anderen Ebenen zeichne sich ein ähnliches Bild ab – so zum Beispiel im Datenbankbereich oder bei der Virtualisierung. Dieser Umstand sei aus verschiedenen Gründen problematisch. Denn die Hyperscalers auf der anderen Seite des Atlantiks nutzten ihre Monopolstellung, um die Preise für ihre Dienstleistungen nach oben zu treiben. Darüber hinaus ist die öffentliche Verwaltung in Deutschland von ihren Lösungen abhängig. Die Bundesregierung hat das Problem erkannt und versucht mit der Gründung des ZenDIS aus dem Bundesministerium des Innern (BMI) im Jahr 2019, die digitale Souveränität
Was die Bekämpfung von Informationsmanipulation – Fake News und Deepfakes – angeht, seien viele Stellen in Deutschland noch „in der Analysephase“, wie Hanna Katharina Müller, Leiterin des Referats Politische Ordnungsmodelle, hybride Bedrohungen, Desinformation und Leiterin der Projektgruppe Zentrale Stelle zur Erkennung ausländischer Informationsmanipulation (ZEAM) im BMI, klarmachte. Die ZEAM bezeichnet Müller als „sehr technische Einheit“, die zunächst ein Verständnis dafür gewinnen wolle, „wie Informationen manipuliert und verbreitet werden“. Als konkretes Beispiel nannte sie Deepfake-Videos von angeblichen Wahlmanipulationen durch Wahlhelferinnen und Wahlhelfer im Rahmen der letzten Bundestagswahl, die sich als unwahr herausgestellt hätten. Dass für kriminelle Cyber-Handlungen manchmal gar kein Cyber-Angriff stattgefunden haben muss, erläuterte Dr. Kerstin ZettlSchabath, Senior Cyber Threat Researcher bei der Deutschen Cyber-Sicherheitsorganisation
Die Krux mit den Hyper-Scalern
Der öffentliche Sektor sucht die europäische Alternative (BS/jb) Beim Threat-Monitoring, der Leistungsfähigkeit und der Verfügbarkeit ist den großen US-Cloud-Anbietern nicht das Wasser zu reichen. Das führt zu Abhängigkeiten. Eine Open-Source-Konkurrenz aufzubauen, gestaltet sich aber herausfordernd.
„Wenn die CISOs an uns herantreten, dann geht es häufig gar nicht um Sicherheits-, sondern um Grundsatzfragen der Anwendung.“
Martin Bierwirth, Leiter des Referats „Cloud-Sicherheit – Technik, Evaluierung“, Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik
Deutschlands zu fördern. Ziel ist es, Wechselfähigkeit und Anpassungsfähigkeit im Cloud-Bereich herzustellen.
Eine Konkurrenz zu Produkten, die mehr als 20 Jahre Entwicklung hinter sich haben, zu generieren, gestalte sich aber herausfordernd. Deshalb setze das ZenDIS stattdessen auf Open-Source-Lösungen, führte Kugler aus. Es gebe eine Vielzahl einzelner Open-Source-Anwendungen von renommierten Herstellern, die seit Jahren in der Entwicklung und auf Millionen Systemen installiert seien. Die ZenDIS habe es sich zur Aufgabe gesetzt, diese in einer konsistenten Softwaresuite zusammenzuführen. Auf diese Weise könne eine Alternative zu den US-
Anbietern geschaffen werden. Der Verhandlungsposition der öffentlichen Hand sei das zuträglich.
Open Source ist kein Allheilmittel Davon, dass Open Source zusätzlich auch Sicherheitsvorteile bietet, zeigte sich Steffen Lützenkirchen, Lead Architect Public Sector Germany bei Red Hat, überzeugt. „Jeder kann sich Open-Source-Code ansehen und eventuelle Sicherheitslücken aufdecken“, erläuterte er. Eine These, der Ingo Schubert, Field CTO, RSA, allerdings nicht beipflichten kann. Zwar biete Open Source ein Mehr an Transparenz im Vergleich zu proprietären Lösungen, die notwendige Kompetenz, um die Sicherheit eines Codes zu validieren, sei in der Breite aber nicht vorhanden. Diesen Mangel an IT-Kompetenz erlebt auch Martin Bierwirth, Lei-
Die größte Gefahr unserer Zeit
Cyber-Attacken und der Faktor Mensch
(BS/cb) Dass Cyber-Angriffe und Desinformationskampagnen eine Bedrohung für die Demokratie darstellen, ist bekannt. Wie groß die Bedrohung tatsächlich ist, wurde auf der PITS 2025 mehr als deutlich. Von der Wahlurne in der eigenen Kommune bis an die Front in der Ukraine – die Herausforderungen in Sachen Cyber-Sicherheit werden mehr und vielfältiger.
(DSCO). Hacker-Vereinigungen wie die Babuk2-Gruppe würden Cyber-Attacken einfach erfinden und darauf basierend Lösegeldforderungen stellen. Wie wenig es braucht, um die bestehenden Strukturen zu
„Gesetze für mehr Sicherheit und Transparenz im Internet wie den Digital Services Act (DSA) gibt es. Sie müssen nur wirklich genutzt werden.“
Anna Lührmann, Mitglied des Bundestags und im Ausschuss für Digitales, Bündnis 90/Die Grünen
erschüttern, zeigt auch der Fall des gehackten Twitter-Accounts von The Associated Press in den USA. Über ein gefälschtes User-Konto hatten Hacker die Falschinformation verbreitet, dass der damalige Präsident Barack Obama bei einer Explosion verletzt worden sei. Der Dow Jones Industrial Average fiel danach um 150 Punkte. Ein Beispiel, das bereits 2013 stattfand – die Manipulationsmöglichkeiten haben sich seitdem gerade durch den Einsatz von KI massiv verbessert.
Freund oder Feind
Apropos USA. Zur komplexen Bedrohungslage gehört dieser Tage auch die Möglichkeit, dass die befreundeten Nationen früherer Tage ebendies nicht mehr sind. Anna Lührmann (Bündnis 90/Die
Grünen), Mitglied des Bundestags und im Ausschuss für Digitales, appellierte daran, die hierzulande genutzten Netzwerke nicht „von USTech-Oligarchen kontrollieren zu lassen“. Gesetze für mehr Sicherheit und Transparenz im Internet wie den Digital Services Act (DAS) gebe es – sie müssten nur „wirklich genutzt werden“, so Lührmann Wenn es nicht anders ginge, müsse man insbesondere Soziale Netzwerke – Lührmann nannte explizit Elon Musks Plattform X – dazu zwingen, ihre Algorithmen offenzulegen und gegebenenfalls zu verändern.
Charles Darwin im Digitalen Eine ganz andere Dringlichkeit an Cyber-Abwehr gibt es in der Ukraine, die seit über drei Jahren von Russland angegriffen wird. Dr. Pas-
ter des Referats „Cloud-Sicherheit – Technik, Evaluierung“ im Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Aus seiner Sicht komme das Thema Cloud, obwohl die Technik bereits seit zehn Jahren etabliert sei, erst jetzt so richtig in Schwung. „Wenn die CICOs an uns herantreten, dann geht es häufig gar nicht um Sicherheits-, sondern um Grundsatzfragen der Anwendung“, machte er deutlich. Genau diese Grundsatzfragen möchte Bierwirth beantworten, um zu den spannenden Fragen der Sicherheit zu kommen. Denn in diesem Bereich seien die Verantwortlichen für Vorfälle vor allem an einer Stelle zu suchen.
Aus technischer Perspektive seien die Sicherheitssysteme der großen Anbieter bereits weit fortgeschritten. Das werde auch daran deutlich, welche Art von Sicherheitsvorfällen vornehmlich zu verzeichnen seien. Selten sei die Ursache des Vorfalls den Betreibenden der Cloud anzulasten. Viel häufiger würden Systeme korrumpiert, weil auf der Seite der Nutzenden schwache Prozesse existierten oder bei der Migration in die Cloud Fehler unterliefen.
cal van Overloop, Industry Advisor Defense & Intelligence bei Microsoft, erläuterte die für ihn im Kriegsfall entscheidende „Triade“: Resilienz, Cyber-Sicherheit und Innovation –drei Faktoren, die sich ständig in gegenseitiger Abhängigkeit befänden. Zudem gebe es ein „Survival of the Fittest“, eine natürliche Selektion bei digitalen Tools: Die Lösungen, die im Krieg im wahrsten Sinne des Wortes überlebten, blieben am Markt. Laut aktuellem Global Risk Report rangierte Desinformation als größtes Risiko auf Rang eins – noch vor Kriegsführung. Das berichtete Dr. Michael Littger, Strategiedirektor beim cyberintelligence.institute (CII). Littger verwies auf eine wichtige Metaebene – die Ebene des sozialen Miteinanders und der direkten zwischenmenschlichen Kommunikation, auf die eine Gesellschaft aufpassen müsse – „Wenn man sich gegenseitig nicht mehr zuhört, braucht man über alles andere gar nicht mehr zu sprechen.“ Damit machte der Strategiedirektor des CII klar, dass der Mensch immer noch vor der Technik kommt.
Prof. Dr. Dennis-Kenji Kipker, Direktor des cyberintelligence.institute, brachte seine Expertise in Cyber- und Rechtssicherheit gleich in mehrere Fachforen ein.
Netzwerken für sichere Netzwerke: Die Fachausstellung in den Räumen des Hotels Adlon in Berlin bot dafür den passenden Rahmen.
Thomas Jarzombek, Parlamentarischer Staatssekretär im „Start-up“ Digitalministerium, will auch der Cyber-Sicherheit neue Impulse geben.
Stammgast auf der PITS: Dr. Dirk Häger leitet die Beratungsabteilung Sichere Infrastrukturen im BSI – und bezeichnet sich selbst am liebsten als „Techniker“.
Isabelle Rosière, Geschäftsführerin von Deutschland sicher im Netz e. V. (DsiN), bei ihrer Moderation eines Panels zum Thema Cyber-Kompetenz.
Mirjam Klinger (re) befragte Dr. Lea Beiermann vom ZenDiS, welche europäischen Partnerschaften zur Einrichtung bisher bestehen. Fotos: BS/Bildschön
dem roten Sofa Rede und Antwort zur NIS2-Umsetzung beim Bund.
Cyber-Angriffe seien eine Bedrohung für „Wirtschaft, Staat und Gesellschaft“ – so lauteten die Worte von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) bei der Vorstellung des Bundeslagebilds Cybercrime 2024. Das Lagebild zeigt auch, dass geopolitische Konflikte zunehmend in den digitalen Raum verlagert werden. „Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen finanziell und politisch motivierten Cyber-Gruppierungen immer mehr“, mahnte Dobrindt. Der internationale Charakter der Bedrohung spiele ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung und Prävention von Cyber-Kriminalität. Hierzu äußerte sich BKA-Präsident Holger Münch bei der Präsentation des Berichts zuversichtlich: „Mit unseren international koordinierten Maßnahmen haben wir auch im vergangenen Jahr wieder gezeigt, dass wir nicht nachlassen und der gesteigerten Bedrohungslage effektive polizeiliche Maßnahmen entgegensetzen.“ Das Ziel, den Kriminellen technische Infrastrukturen und Finanzmittel zu entziehen und so auch Misstrauen in der „Underground
Von Mitte 2023 bis Mitte 2024 sind jeden Tag im Schnitt 309.000 neue SchadprogrammVarianten bekannt geworden, ein Anstieg von 26 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Dies geht aus dem aktuellen Bericht zur Lage der ITSicherheit hervor, den das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) Ende vergangenen Jahres veröffentlichte.
Insgesamt kommt der Bericht zu dem Ergebnis: Deutschland ist auf dem Weg zur resilienten „Cybernation“ ein gutes Stück weitergekommen. Für die einzelne Kommune ist das trotzdem nur bedingt beruhigend, denn gerade im Krisenfall reicht der Informationsfluss zwischen den föderalen Ebenen nicht.
Sicherheit nach dem Studium Deshalb rückt für die öffentliche Verwaltung immer stärker die Notwendigkeit einer kompetenten Personalausstattung in den Vordergrund – dabei sind es vor allem die Hochschulen der öffentlichen Verwaltung, die in die Ausbildung von Cyber-Fachkräften investieren sollten. 2020 gründete die Infor-
Die Moderatoren Anna Ströbele und Reinhard Wolski präsentierten das Kongress-Magazin „PITS-Report“ mit dem diesjährigen Schwerpunkt digitale Souveränität.
Moderator Christian Brecht, Dr. Kerstin Zettl-Schabath von der Uni Heidelberg und Benjamin Koch von der Bundesagentur für Arbeit diskutierten Fallbeispiele für Deep Fakes.
Der Vortänzer verlässt das Parkett
Europa muss die Führungsrolle der USA übernehmen
(BS/mk) Der politische Wandel zieht sich nicht nur durch die analoge Welt. Auch im digitalen Raum – genauer bei der IT-Sicherheit – schreitet die Veränderung voran und lässt die Fragen aufkommen: Welche Lücken hinterlassen die USA?
Verblasst ihr bisheriger Einfluss? Und wer in Europa übernimmt die Verantwortung?
Economy“ zu schüren, wollen die Strafverfolgungsbehörden laut Münch konsequent weiterverfolgen. Die Bekämpfung ist also abgedeckt, bei der Prävention jedoch stößt man auf eine andere Herausforderung.
Aus der Abhängigkeit raus Über Jahre hinweg haben die USA in die globale IT-Sicherheit investiert. Nun jedoch steht Sparen auf dem Plan des aktuellen Präsidenten Donald Trump. Laut Dr. Dirk Häger, Leiter der Beratungsabteilung Sichere Infrastrukturen im Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), könnte dadurch nun eine Gefahr für die digitale Welt drohen. „Wir müssen die USA entlasten“, fand Häger Worte, die aktuell eher ungewöhnlich klingen dürften. Doch der Apell dahinter ist
real. Durch die Sparmaßnahmen in den USA entsteht ein finanzielles Vakuum, welches der globalen IT-Sicherheit schadet. Um das Ausmaß der aktuellen Situation zu unterstreichen, wählte der IT-Sicherheitsexperte zwei Beispiele: So hatte der US-amerikanische Softwarehersteller Adobe 2019 alle Nutzerkonten in Venezuela geschlossen. Grund dafür war die „Exekutivanweisung 13884“ der US-Regierung, welche praktisch jede Transaktion zwischen Unternehmen, Organisationen und Personen aus den USA und Venezuela verbot. „Eine Mietsoftware kann von jetzt auf gleich beendet werden“, mahnte Häger in diesem Zuge. Ein Jahr zuvor kam es in der Ukraine zu einem Angriff auf deren Steuersoftware MeDoc. Über ein automatisches MeDoc-Update ver-
breitete sich der NotPetya-Trojaner. Die Angreifer hatten es geschafft, die Update-Server der ukrainischen Steuer-Software zu übernehmen und ein von ihnen kontrollierbares, bösartiges Update einzuspielen. Der Trojaner übernahm den lokal laufenden MeDoc-Prozess und konnte dann fast nach Belieben schalten und walten und sich in den Unternehmensnetzen verbreiten. Auf den befallenen Computern löschte er gründlich die Festplatte. Die Software MeDoc nutzte jeder, der in der Ukraine Steuern zahlt, unter anderem große, multinationale Konzerne. Laut Häger ein Beispiel dafür, dass ein Cyber-Angriff einen ganzen Staat lahmlegen könnte. Das ebenfalls betroffene Nachbarland Moldau zog daraus bereits Konsequenzen: Seit 2022 werden
Mehr Anreize für den IT-Sicherheitsnachwuchs
Fachkräftegewinnung für die Cyber-Sicherheit
(BS/Anne Mareile Moschinski) Cyber-Angriffe auf kommunale Einrichtungen haben bekanntermaßen weitreichende Konsequenzen: Daten werden abgezogen, Bescheide können nicht mehr ausgestellt und Gelder nicht bezahlt werden. Kompetentes Fachpersonal wird deshalb für die Verwaltung immer wichtiger.
matikerin Prof. Dr. Anna Schulze, zuvor beim Bundesverwaltungsamt beschäftigt, an der Hochschule des
Lars Hoppmann, geschäftsführender Vorstand bei VITAKO, forderte die Kommunen dazu auf, den Weg in die BSI-Basisabsicherung anzutreten.
Bundes den Studiengang „Digital Administration and Cyber Security“. Auf der PITS in Berlin erklärte
sie, wie wichtig es sei, Anreize zu setzen, um junge Menschen zur Aufnahme des Studiums zu bewegen. Eine große Rolle bei der Entscheidung spiele der Faktor Regionalität: 50 Prozent der Studierenden an ihrer Hochschule kämen aus Nordrhein-Westfalen.
Familiäre und regionale Nähe Auch Philipp Krohn, Fachgruppenleiter an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, Polizei und Rechtspflege des Landes Mecklenburg-Vorpommern, wies darauf hin: die „familiäre und regionale Nähe“ sei ein wichtiger Punkt, um Menschen zu binden. Seine Hochschule adressiere gezielt Hochschulstandorte und gehe Kooperationen ein, um Studierende für die Fachhochschule des Bundes zu gewinnen. Den jungen Menschen würden sie
Für Barbara Kluge, Ständige Vertreterin des Abteilungsleiters für Cyberund Informationssicherheit im BMI, hat die Umsetzung der NIS2-Richtlinie „Top-Priorität“.
keine automatischen Updates mehr verwendet. Das jedoch ist laut Häger keine ideale Lösung. Viel wichtiger wäre es, die IT-Sicherheit global zu stärken – und das durch die EU. Die Risiken der Abhängigkeit von amerikanischen Tech-Konzernen sind bereits weit oben auf der politischen Agenda angekommen.
Eine Welt ohne Abhängigkeiten ist Utopie
Eine IT-Welt ohne Abhängigkeiten von Dritten ist jedoch ebenfalls unrealistisch, schließlich kann kaum eine Firma das gesamte Know-how für immer komplexer werdende Produkte selbst vorhalten. Gerade die Abhängigkeit von Microsoft-Software und Cloud-Diensten beunruhigt viele europäische Politiker. Sollte der Konzern durch Anordnungen der US-Regierung gezwungen sein, Cloud-Dienste wie 365 abzuschalten, wären die Auswirkungen drastisch: Ministerien und Behörden mit 365-Abo könnten von jetzt auf gleich nicht einmal mehr chatten oder mailen. „Wir müssen aus der Abhängigkeit von der USA raus“, so Häger
berufspraktische Erfahrungen garantieren, um sie schlussendlich mit A 9 oder A 10 einzustellen.
Cyber-Sicherheitskräfte in der Verwaltung halten Das Anwerben der Cyber-Sicherheitskräfte von morgen ist die eine Sache, eine andere ist, sie auch zu halten. „Man sollte den jungen Leuten nicht mit der Hierarchiekeule kommen“, empfiehlt beispielsweise Schulze Krohn wies darauf hin: Mit den sechsstelligen Jahresgehältern der freien Wirtschaft sei nicht zu konkurrieren, auch würden dort flexiblere Arbeitszeitregelungen angeboten. „Hier können und müssen wir besser werden“, erklärte er. Mit Mietzulagen versucht die Hochschule Niederrhein, ihre Attraktivität zu erhöhen. Prof. Dr. Martin Grothe, Professor für Netzwerksicherheit und sichere Softwarearchitekturen an der Hochschule Niederrhein, gab zudem folgenden Hinweis mit auf den Weg: Beamten sei es immer möglich, einer Nebentätigkeit nachzugehen. Damit ließe sich eine vergleichsweise geringe Vergütung aufwerten.
Prof. Dr. Stefanie Grünewald von der Forschungsstelle KI und polizeiliche Praxis (KIPP) demonstrierte den Test eines KI-Tools am Hamburger Hansaplatz. Alle Fotos: BS/Bildschön
Prof. Dr. Anna Schulze gründete 2020 den Studiengang „Digital Administration and Cyber Security“ an der Hochschule des Bundes.
Foto: BS/Bildschön
Dr. Daniel Meltzian, Leiter des Grundsatzreferats Cyber- und Informationssicherheit im BMI, stand auf
Behörden Spiegel: Herr Professor Merli, Sie sind an der Technischen Hochschule Augsburg aktiv und leiten dort das Institut für innovative Sicherheit. Womit befassen sich Ihr Team und Sie?
Prof. Dr. Dominik Merli: Wir als Technische Hochschule unterstützen gezielt den Praxistransfer, sodass unsere wissenschaftlichen Erkenntnisse in der Wirtschaft genutzt werden. Und in unserem Bereich ist das eben bezogen auf die Sicherheit, konkreter die Cybersecurity, wo wir den Organisationen mit unserer Expertise zur Seite stehen.
Behörden Spiegel: Sie und Ihr Team beschäftigen sich insbesondere mit dem Cyber Resilience Act (CRA). Warum haben Sie Ihr Augenmerk auf die Verordnung gelegt?
Merli: Ich habe eine Vergangenheit im Bereich Produktentwicklung und mich dort insbesondere mit der Sicherheit von Produkten beschäftigt. Genau mit diesem Thema beschäftigt sich der Cyber Resilience Act und betrifft so fast jedes Produkt – sei es ein vernetzter Kühlschrank, ein Netzwerkgerät oder eine Industriesteuerung. Viele Produkte, die in der EU verkauft werden, sind von dieser Verordnung betroffen. Deswegen war es für uns ein wichtiges Anliegen, darüber zu sprechen, zu informieren und Bewusstsein zu schaffen.
Behörden Spiegel: Sie haben unter anderem mit einem Musikvideo für Begeisterung gesorgt, dem „Cyber Gangsta’s Paradise“. Sind Sie zufrieden, wie gut das Video ankam?
Merli: Wir wollten ein bisschen wachrütteln und auch mal was Kreatives machen. Und da bot es sich eben aufgrund der großen Menge an Schwachstellen und Sicherheitslücken, die kursieren, an, das zu thematisieren. Aufgrund des florierenden Cybercrime-Business wollten wir darauf hinweisen, dass die Cybergangster in einem „Paradies“ leben. Und so kam es dazu, dass wir uns damit auseinandergesetzt haben – wie sieht denn dieses Cyber Gangsta’s Paradise
Ein Paradies für Cyber-Kriminelle
Augsburger Professor wirbt für Cybersecurity – auf seine eigene Art
(BS) Cybersecurity braucht Awareness. Dafür gibt es neben Schulungen und Workshops auch kreative Mittel, um die Öffentlichkeit über Cyber-Risiken zu informieren. Dominik Merli, Professor an der THA, hat dazu kürzlich ein Musikvideo mit dem Titel „Cyber Gangsta’s Paradise“ veröffentlicht. Der Song wirbt für ein Mindestmaß an Cyber Security bei Produkten. Doch der Song ist nicht das einzige Werkzeug, mit dem der Experte für Aufmerksamkeit sorgt. Paul Schubert hat mit dem Wissenschaftler über seine Projekte gesprochen.
eigentlich aus? Und was kann man dagegen tun?
Behörden Spiegel: Waren Sie überrascht, dass das Video so beliebt geworden ist? Haben Sie Ihre gesetzten Ziele erreicht?
Merli: Absolut. Also ich glaube, das kann man bei solchen Aktionen immer schwer vorhersagen, wie gut das Ganze angenommen wird. Aber ja, ich bin erstaunt, wie gut das Video ankam. Mich sprechen auch fremde Leute darauf an. Es wird mir berichtet, dass der Song auf Events gespielt wird oder dass es Leute zu Hause in Dauerschleife hören. Und es kommt eben auch bei
Abteilungsleitern und Geschäftsführern als Ohrwurm an, und das finde ich natürlich wahnsinnig gut.
Behörden Spiegel: Haben Sie mit dem Lied auch Menschen erreicht, die mit Cyber Security sonst weniger am Hut haben?
Merli: Naja, was heißt „weniger am Hut haben“. Ich glaube, einfach dadurch, dass es eben etwas ungewöhnlicher ist und das Video überspitzt bestimmte Situationen darstellt, wird man einfacher auf das Lied aufmerksam. Das Video belehrt eben nicht nur oder befasst sich ausschließlich mit schlimmen Bedrohungen, sondern informiert
Advertorial
Zukunftssichere Rechenzentren
Mit BSI-zugelassener Netztechnik und quantensicherer Verschlüsselung (BS) Cyber-Angriffe auf staatliche Einrichtungen und kritische Infrastrukturen zeigen deutlich: Wer digitale Verwaltung ernst nimmt, muss Datensicherheit zur Priorität machen. Im Zentrum steht das Rechenzentrum – als Drehscheibe für sensible Informationen, moderne Anwendungen und digitale Souveränität.
Ob föderale Cloud, E-Government oder automatisierte Verwaltungsprozesse – ohne leistungsstarke und verlässliche Rechenzentren ist die digitale Transformation nicht umsetzbar. Besonders gefährdet ist die Kommunikation zwischen Standorten oder Liegenschaften, Clouds und Backup Systemen. Hier drohen Abfluss sensibler Daten durch Abhören der Glasfaser oder Manipulation.
Technologie für eine souveräne digitale Verwaltung
Adva Network Security bietet Sicherheitslösungen, die speziell für den Einsatz im öffentlichen Sektor entwickelt wurden. Als einziger Hersteller in Deutschland bieten wir eine BSI-zugelassene Verschlüsselung für optische Transportsysteme – ein entscheidender Beitrag zur sicheren Digitalisierung kritischer Infrastrukturen. Wir sichern optische und CarrierEthernet Netzwerke mit quantensicherer Verschlüsselung auf Leitungsebene – für einen Schutz, der nicht nur heutigen, sondern auch
Adva Network Security steht für moderne Anwendungen und digitale Souveränität. Foto: BS/Adva Networks SE
zukünftigen Bedrohungen standhält. Ergänzt wird unser Portfolio durch umfassende Dienstleistungen, etwa Security Operations Center Service und Penetrationstests. Mit sicherer Lieferkette, hoher
Leistung und einfacher Integration schaffen wir Vertrauen in die digitale Zukunft. Adva Network Security: – Ihre Lösung aus Deutschland für sichere und zukunftsfeste Netze in Deutschland.
„Wenn dann der eine oder andere sagt, dass es [das Musikvideo] eine Inspiration war, sich mit dem Thema zu befassen, haben wir unser Ziel erreicht.“
über die Thematik mit einem Augenzwinkern. Wenn dann der eine oder andere sagt, dass es eine Inspiration war, sich mit dem Thema zu befassen, haben wir unser Ziel erreicht.
Behörden Spiegel: Das Musikvideo ist nur eine der Aktionen, wie Sie für den CRA und generell Cybersecurity werben. Was machen Sie sonst noch?
Merli: Speziell für den CRA haben wir im vergangenen Jahr auf LinkedIn über drei Monate quasi wöchentlich berichtet und immer wieder bestimmte Themenbereiche der Verordnung herausgegriffen und angesprochen. Ungefähr in diesem Zeitfenster wurde der CRA auch von der EU finalisiert, was gut gepasst hat, da die Awareness-Wirkung so verstärkt wurde. Zum Abschluss unserer Kampagne haben wir auch YouTube-Videos produziert, die noch mal in aller Kürze die wichtigsten Informationen zusammenfassen und auf der anderen Seite eben noch mal mit dem Augenzwinkern über dieses Gangsta’s Paradise sprechen.
Behörden Spiegel: Haben Sie den Eindruck, dass die Awareness der Bevölkerung für Cyber Security gestiegen ist?
Merli: Ich würde sagen, das ist sehr unterschiedlich. Es gibt Unternehmen, die haben bereits früh erkannt, dass sie was tun müssen. Und zwar nicht heute, sondern bereits gestern. Die machen sich auf den Weg und fangen an – das ist das Entscheidende. Man kann dieses Thema nicht auf- oder wegschieben. Nun ist der Gesetzgeber gekommen und hat gesagt: Na gut, wenn es nicht von selber geht, dann muss ich so ein Mindestmaß an Sicherheit eben ins Gesetz schreiben. Manche Unternehmen haben sich vor etwa fünf Jahren bereits auf den Weg gemacht. Die betrachten den CRA anders als Unternehmen, die erst anfangen, sich damit zu beschäftigen. Einige sehen die Anforderungen aus der Verordnung nicht als Riesenherausforderung, weil sie schon einiges an Vorarbeit gemacht haben. Aber man sieht eben auch an anderer Stelle, dass der CRA für viele überraschend kommt und einige Organisationen sich noch nicht damit befasst haben, wie man denn das eigene Produkt bezüglich Cybersecurity in Zukunft aufstellen will. Für sie steht nun viel Arbeit an. Die Frist für die Hersteller läuft zwar bis Dezember 2027, aber Produktentwicklung braucht ihre Zeit. Selbst wenn Unternehmen sich entschei-
den, die alten Produkte nicht mehr sicher zu machen und abzukündigen, dann muss diese strategische Entscheidung heute getroffen und die Arbeit an der neuen Generation gestartet werden.
Behörden Spiegel: Wenn Organisationen sich jetzt erst auf den CRA vorbereiten – womit sollten sie beginnen?
Merli: Sie sollten mit der Bedrohungs- und Risikoanalyse für jedes Produkt starten. Auf dieser Basis kann entschieden werden, welche Schutzmaßnahmen gebraucht oder welche nicht benötigt werden. Das führt auch zu einer effi zienteren Umsetzung. Auf der anderen Seite fordert der CRA dazu auf, das Thema Schwachstellenmanagement zu bearbeiten, was stark prozesslastig ist. Das heißt, Unternehmen sollten heute anfangen, Verantwortliche zu benennen und eben auch interne Prozesse aufzubauen, damit im Falle einer Schwachstellenmeldung nicht alle rumrennen wie aufgescheuchte Hühner und wochenlang unklar ist, wie weiter vorgegangen werden soll. Stattdessen muss ein klarer Ablauf festgelegt werden, der eine effiziente und sinnvolle Behandlung von Schwachstellen möglich macht.
Behörden Spiegel: Auch mit NIS2 haben wir eine Richtlinie, bei der man trotz langer Frist die rechtzeitige Umsetzung verpasst hat. Sind Sie beim CRA optimistischer?
Merli: Bei NIS2 gibt es die Problematik, dass das Umsetzungsgesetz noch fehlt, und das führt zu Unsicherheit. Es mangelt an Rechtssicherheit und deswegen zögern einige Organisationen bei der Umsetzung. Auch in der Verwaltung, insbesondere im Bereich der Kommunen, kann der Eindruck entstehen, dass sie sich noch Zeit lassen können. Auch beim CRA wird zum Stichtag nicht die komplette Umsetzung stattgefunden haben – das wäre sicherlich eine Illusion. Aber auch da ist es wichtig, die Grundlagen zu schaffen, die Bedrohungen und Risiken zu analysieren, Verantwortliche zu benennen und letztendlich kontinuierlich an der Sicherheit zu arbeiten. Die Thematik ist kein „One-Shot“, den man einmal bezahlt und aufbaut. Es gibt keine Alternative, als durchweg an der Cybersecurity zu arbeiten.
Musikvideo
Der Song „Cyber Gangsta’s Paradise“ ist eine Coverversion des bekannten „Gangsta’s Paradise“ von US-Rapper Coolio. Das Musikvideo beginnt mit einer Szene, in der zwei mutmaßliche Geschäftsführer einer fiktiven Firma den Professor bitten, ihnen zu erklären, wie sie die CRA-Vorgaben umgehen können. Anschließend rappt Prof. Merli darüber, welche Schäden durch mangelnde Schutzmaßnahmen entstehen können –und dass Cyber-Kriminalität für Angreifer ein lukratives Geschäftsfeld darstellt. Im weiteren Verlauf des Videos schlüpft Merli auch in die Rolle eines Black-HatHackers.
Das Musikvideo des Augsburger Cybersecurity-Professors kann hier abgerufen werden:
Prof. Dr. Dominik Merli möchte mit seiner Awareness-Kampagne insbesondere auf die Richtlinien des CRA aufmerksam machen. Foto: BS/Pia Simon für die Technische Hochschule Augsburg
Sicherheit & Verteidigung
Behörden Spiegel Berlin und Bonn / Juli 2025
Die Kommunikationssysteme der Bundeswehr gehören zur Gen Z – sie sind Kinder der 2000er-Jahre. Das hat Konsequenzen, die sich bis in die Gegenwart auswirken. Denn die Planung und Konzeption stammt aus einer Zeit, in der sich Deutschland von Freunden „umzingelt“ sah, wie Oberst i. G. Michael Fraas, Leiter des Referats Strategie im Kommando Cyber- und Informationsraum, in Berlin erläuterte. Gehärtete Systeme, Dislozierbarkeit und Verlegefähigkeit spielten zu diesem Zeitpunkt keine Rolle. Zusätzliche Mittel aufzuwenden, um die Infrastruktur für ein mögliches Landes- und Bündnisverteidigungs(LV/BV-)Szenario zu rüsten, erschien den Planerinnen und Planern unter den damaligen Umständen nicht notwendig. Space war schlicht keine „contested domain“, machte Fraas klar. Die Gegner im Zeitalter des Internationalen Krisenmanagements (IKM) – wie zum Beispiel die Taliban – verfügten nicht über Möglichkeiten, die Fähigkeiten im Welt- oder im Cyber-Informationsraum zu kompromittieren. Anderthalb Dekaden später zeigt sich, dass dieser Ansatz zu kurz gesprungen war. Der Krieg ist längst nach Europa zurückgekehrt und LV/BV-Szenarien werfen ihre Schatten voraus. Bei einem möglichen symmetrischen Konflikt mit einem hochentwickelten Gegner im Baltikum werden die Domänen Cyber und Space zum Gefechtsfeld, machte Fraas deutlich. Ein solcher Gegner werde Maßnahmen ergreifen, um den militärischen Zugang zum Weltraum zu verwehren. Wie das in der Praxis aussehen kann, erläuterte Esther Kern, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Brandenburgischen Institut für Gesellschaft und Sicherheit. Im
Februar 2022 griff Russland den Satellitendienstleister Viasat mit dem Ziel an, die Kommunkation der ukrainischen Steitkräfte zu stören.
Kein MDO ohne Cyber und Space
Angesichts dieser Umstände überrascht es kaum, dass sowohl die Nationalen Sicherheitsstrategie als auch der Koalitionsvertrag den Cyber- und Informations- sowie Weltraum als strategisch relevant identifizieren. Denn das neue Primat der Gefechtsführung – die Multi-Domain Operations (MDO) – ist ohne sie nicht denkbar. Etwas vereinfacht versteht die Bundeswehr unter MDO die durchgehende Vernetzung der gesamten militärischen Wertschöpfungskette. Vom Sensor bis zum Effektor soll das militärische Wirken datenzentriert beschleunigt werden. Cyber und Space sind dabei ein unverzichtbares Bindeglied.
Was bereits fliegt
Die Aktivitäten der deutschen Streitkräfte im Weltall ruhen auf vier Säulen: Weltraumlage, Weltraumoperationen, Einsatzunterstützung aus dem Weltall und dem Betrieb der Weltraumsysteme der Streitkräfte.
Konkret fliegt die Bundeswehr zurzeit weniger als zehn Segmente. Diese sind den Bereichen Intelligence Support Activity (ISA), Satellitenkommunikation und Geoinformationsunterstützung zuzuordnen. Unter ISA fallen die radarelektronische Aufklärung aus niedrigen Höhen und die elektromagnetische Aufklärung aus dem Low Earth Orbit (LEO). Dazu kommt die elektrooptische Aufklärung – ebenfalls aus dem LEO. Zum Zweck der Spacebased Missile Detection verfügen die deutschen Streitkräfte gegen-
wärtig über Systeme im geostationären Orbit (GEO). Sie erlauben die Detektion von großen interkontinentalen ballistischen Raketen. Im Bereich der Satellitenkommunikation setzt die Bundeswehr zwei eigene Systeme sowie ein Element auf dem Satelliten „Heinrich Hertz“ des Deutschen Zentrums für Luftund Raumfahrt (DLR) ein.
„Wir wollen eine Art Internet im Weltraum aufbauen.“
Oberst i. G. Michael Fraas
Geoinformationsdienste erhalten die deutschen Streitkräfte über Partner im Rahmen des US-amerikanischen GPS oder des EU-Projekts Galileo.
Es braucht mehr Fähigkeiten Wenn Deutschland in einem LV/ BV-Szenario bestehen will, braucht die Bundeswehr mehr Fähigkeiten im All. Was zurzeit geflogen wird, wurde einst in den Orbit geschossen, um die Einheiten in Afghanistan mit der Kommandozentrale auf deutschem Boden zu verbinden. Den Anforderungen des symmetrischen Gefechts und MDO sind sie nicht gewachsen. So verfügt die Bundeswehr mit ihren zwei Kommunikationssatelliten in diesem Feld nur über sehr wenige Systeme, wie Fraas erläuterte. Für einen Gegner sei das eine Einladung, diese anzugreifen. Die Lösung für dieses Problem ist schlicht: mehr Satel-
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liten. Diese zu beschaffen, gestaltet sich allerdings schwierig. Die Bundeswehr diskutiert zurzeit eine mehrgleisige Strategie. Kommerzielle Anbieter könnten schnell Fähigkeiten ins All bringen. Auf der anderen Seite steht die Überlegung, auf eigene Systeme zu setzen. Das europäische Konstellationsprojekt IRIS² steht hierbei im Zentrum der Debatten. Zusätzlich planen die deutschen Streitkräfte diese, mit einer eigenen, ähnlich gelagerten Konstellation zu ergänzen. An andere Stelle müssen Kapazitäten überhaupt erst geschaffen werden. Über Aufklärungsfähigkeiten für radarelektronische Emissionen verfügt die Bundeswehr bisher nicht. Hier soll nachgestuert werden. Gegen die niedrig fliegenden hypersonischen Flugobjekte genügt die gegenwärtig betriebene Überwachung aus dem geostatitionären Orbit nicht mehr. Auch hier braucht es Fähigkeiten im LEO. Die deutschen Streitkräfte kooperieren dafür mit der EU: Das Projekt Odins Eye soll im europäischen Verbund niedrig fliegende Flugobjekte aufklären.
Das Internet im All Neben der bloßen Anzahl der Systeme im Orbit soll sich auch deren Kommunikation untereinander grundlegend wandeln. Alle Satelliten sollen miteinander verbunden sein. Laserkommunikationsterminals (LCTs) bilden dafür das technische Rückgrat. „Wir wollen eine Art Internet im Weltraum aufbauen“, fasste Fraas zusammen. In anderen Staaten ist das längst Realität. So betreiben die USA allein für ihre Raketenabwehr ein eigenes Data-Relay-Segment. Damit auch die Bundeswehr in dieses Feld vorstoßen kann, bedarf es eines gänzlich anderen Verständnisses dafür,
wie die deutschen Streitkräfte Satelliten ins All bringen. Statt nur einmal in der Dekade neue Systeme in den Orbit zu entsenden, fordert Fraas, rollierend Einheiten ins All zu schießen. Wie früher nur Einzellsysteme zu rüsten, sei den neuen Lagen nicht länger angemessen. Diese Vorgehensweise ist laut Fraas nicht nur für die Bundeswehr von Vorteil, die dadurch über zeitgemäße Fähigkeiten verfügen könnte. Auch der Industrie komme dieses Arrangement entgegen, da es erlaubt, dauerhaft Kapazitäten vorzuhalten und Produktionsprozesse zu verstetigen.
Der Faktor Mensch
Das größte Kopfzerbrechen bereiten den Planern bei der Bundeswehr allerdings nicht die technischen Fragen – vielmehr ist Personalmangel der größte Hemmschuh. Das ist der Komplexität der Ausbildung in diesem Segment geschuldet. Während ein Infanterist sich in wenigen Monaten Grundkenntnisse aneignen könne, beansprucht die Ausbildung, die zum Fliegen von Satelliten befähige, Jahre. „Wir haben kein Personal, das ist unser größtes Problem“, fasste es Fraas zusammen. Hinzu komme, dass bisher zur Steuerung Bundeswehr-eigener Satelliten vornehmlich ziviles Personal zum Einsatz komme. Dieses sei in Friedenszeiten verlässlich. Wie sich die Einsatz- und Aufopferungsbereitschaft in der angespannten Lage eines Krieges darstelle, sei aber unklar. Denn in einem LV/BV-Szenario sind die Betreibenden der Satellitennetzwerke militärische Hochwertziele. Dem gegenüber steht, dass ziviles Personal – anders als Soldatinnen und Soldaten – keiner besonderen Treuepflicht gegenüber dem Arbeitgeber unterliegt.
Die ARMAS-Einheit gehört zur Bereitschaftspolizei der Bundespolizei. Sie ist für Räumungen, Logistik und Transport zuständig. Ihr Markenzeichen: der Unimog – ein geländegängiges Fahrzeug, das selbst dichtesten Wald und unbefestigte Wege bewältigt. Der Unimog war auch beim Einsatz im Hambacher Forst mit vor Ort, bei dem die Bundespolizei auf die technische und taktische Unterstützung der ARMAS-Einheit zurückgriff.
Marco Seidl, Zugführer der technischen Einsatzhundertschaft, schilderte den Einsatz bei einem Interview auf dem diesjährigen European Police Congress (EPC): „Vor jedem Einsatz bewertet ein Polizeiführer die Lage. Dieser teilte uns mit, dass die Zufahrten zum Hambacher Forst gezielt durch Gräben der Protestierenden blockiert waren.“ Die ARMAS-Einheit wurde daraufhin angefordert, um einen Zugang zum Einsatzort zu schaffen und logistische Mittel sowie benötigtes Material dorthin zu bringen.
Seit 2012 existierten im Hambacher Forst mehrere Baumhäuser. Als Protest gegen eine geplante Rodung durch den Energieversorger RWE hatten sich Umweltschützerinnen und -schützer dort verbarrikadiert. Im September 2018 beschloss die damals schwarz-gelbe Landesregierung unter Armin Laschet (CDU) eine Räumung des Forsts aus Brandschutzgründen. Sowohl die Räumung als auch die Rodung wurden schlussendlich gestoppt. Nach Schätzungen der Gewerkschaft der Polizei (GdP) leistete die Polizei insgesamt rund eine Million Arbeitsstunden in den fünf Wochen der Räumung.
Die Zahnräder greifen inneinander „In der Regel reisen wir ein bis zwei Tage vorher an“, so Seidl Nach dem Eintreffen erfolge dann zunächst eine eigene Lageeinschätzung durch die Einheit. Im Fall des Hambacher Forsts mussten die blockierten Zufahrten erst einmal planiert werden, bevor mit der Räumung der Bäume begonnen werden
Im Jahr 2024 zog die Behörde 32 Tonnen Betäubungsmittel – darunter 16 Tonnen Kokain – sowie fünf Millionen Fälschungen aus dem Verkehr. Die aktuelle Jahresbilanz der Generalzolldirektion zeigt: Der Kampf gegen grenzüberschreitende Kriminalität bleibt ein Kraftakt. Allein gegen den Drogenhandel wurden rund 10.000 Ermittlungsverfahren eingeleitet. Auch der Schmuggel von Zigaretten nimmt zu: 205 Millionen Stück wurden 2024 beschlagnahmt, ein Anstieg von 60 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Der Trend zeigt: Die Aufgaben des Zolls werden nicht weniger, im Gegenteil – sie wachsen. Ob Partner der Wirtschaft, Einnahmeverwaltung und Teil der deutschen Sicherheitsarchitektur – der Zoll sei all dieses, betonte Dr. Frank Müller, Direktionspräsident der Direktion III (Allgemeines Steuerrecht und Kontrollen) bei der Generalzolldirektion. Er äußerte sich bei einer Veranstaltung des Behörden Spiegel und der Philip Morris GmbH unter dem Titel „Herausforderungen des Zolls 2025+: Zoll stärken, Wirtschaft schützen“. Das breite Aufgabenspektrum verschaffe dem Zoll ein besonderes Profil. Gleichzeitig bedeute es wachsende Anforderungen an Personal und Ausstattung.
Mit der Strategie „Zoll 2030“ sollen weitere strukturelle Optimierungen umgesetzt werden, um den bestehenden und künftigen Herausfor-
Technik trifft Taktik
So räumt die Bundespolizei den Weg frei
(BS/mk) Wenn die Polizei an ihre Grenzen stößt, kommen die Spezialkräfte der Bundespolizei-Einheit ARMAS (Absperren/ Räumen und Einsatz von Spezial-Kfz) zum Einsatz. Sie sind immer dann am Zug, wenn unwegsames Gelände oder massive Barrikaden den Zugang erschweren. Ob im Wald, auf schmalen Pfaden oder bei gewaltsamen Blockaden – die Einheit ist mit schwerem Gerät zur Stelle.
Auch der Transport von Polizeischiffen ist für den Kran des neuen Unimogs kein Problem. Fotos: BS/ Woerth, Bundespolizei
konnte. Der Unimog ermöglichte es dann, die Klettereinheit TMHT (Taktisch-technische Maßnahmen in Höhen und Tiefen) – gesichert an einem Haken – direkt bis an die besetzten Bäume heranzuführen. „Am Ende greift alles wie Zahnräder ineinander“, fasste Seidl den Einsatz zusammen.
Um möglichst autark und flexibel agieren zu können, ist die Bundesbereitschaftspolizei in spezialisierte Einheiten untergliedert. Diese kommen je nach Lage zum Einsatz und arbeiten Hand in Hand. Bundesweit gibt es insgesamt fünf ARMAS-Einheiten, die jeweils einer
der fünf Technischen Einsatzhundertschaften zugeordnet sind. Jede dieser Hundertschaften gliedert sich in zwei Technische Einsatzeinheiten mit unterschiedlichen Aufgabenbereichen sowie in einer Wasserwerfer-Sonderwagen-Einheit. In Deggendorf hat die fachkoordinierende Stelle ihren Sitz. Dort arbeiten aktuell insgesamt zehn Beamtinnen und Beamte. Einer von ihnen ist Marco Seidl Die Arbeit der ARMAS-Einheiten wird seit rund einem Jahr durch ein neues Einsatzfahrzeug unterstützt: den Unimog U 530. Dieses Modell wurde speziell nach den
Anforderungen der ARMAS-Einheit ausgestattet. Es verfügt unter anderem über einen Frontlader, der mit einer Palettengabel bestückt werden kann, sowie über einen Kran, der bis auf 12,40 Meter ausgefahren werden kann und dabei 1.180 Kilogramm hebt. „Wir sind für schwere Fahrzeuge verantwortlich. Das ist unser Spezialgebiet“, erklärte Seidl Insgesamt ist der Unimog zehnmal vorhanden und auch in den leichteren technischen Einheiten vertreten. Die Technische Einsatzhundertschaft verfügt laut Seidl über eine Ausstattung, die
Der Schutzwall bröckelt
Mit dem Zoll in eine handlungsfähige Zukunft
(BS/mk) Drogen, Zigarettenschmuggel, Produktfälschungen – der Zoll steht vor großen Herausforderungen. Die Aufgaben nehmen zu, während Personal und Ausstattung weiter knapp bleiben. Ein Lichtblick ist die Strategie „Zoll 2030“ des Bundesfinanzministeriums, doch weitere Stellschrauben müssen folgen.
derungen noch effizienter begegnen zu können. Noch während der vorherigen Regierung wurde diese unter dem damaligen Finanzminister Christian Lindner (FDP) angestoßen. Teil der Strategie ist eine Verschlankung der Generalzolldirektion. Sie soll als Bundesoberbehörde künftig maßgeblich auf die beiden Fachstränge „Wirtschaft und Einnahmen“ sowie „Sicherheit und Vollzug“ ausgerichtet werden. Außerdem plant das Finanzministerium (BMF), dass freie Dienstposten gezielt zur Stärkung der Ortsbehörden eingesetzt werden sollen. Auch in der Ausbildung sind neue Akzente geplant: Mit einem eigenen Studiengang für den Vollzugsbereich soll die Qualifikation des Personals weiterentwickelt werden. Zusätzlich ist ein neues Lage- und Krisenzentrum vorgesehen, das direkt der Leitung der Generalzolldirektion unterstellt sein soll. Im Zuge der angestrebten Modernisierung ist zudem eine stärkere internationale Ausrichtung vorgesehen – inklusive eines Benchmarkings für alle zollrelevanten Bereiche mit Adressatenbezug. Die Strategie setzt damit auf Effizienzsteigerung, Bündelung
von Zuständigkeiten und gezielte Personalstärkung. Laut BMF sind erste Ergebnisse noch für dieses Jahr vorgesehen. Zuvor muss jedoch die neue Hausleitung der Strategie zustimmen.
Gemeinsam – national und international Eine weitere mögliche Entlastung sieht Müller in der fortschreitenden Digitalisierung. Herausfordernd sei dabei die Digitalisierung laufender Prozesse. Die Digitalisierungsoffensive der Bundesregierung wird durch eine umfassende Digitalstrategie des Zolls unterstützt. Der Zoll sei hier auf gutem Wege. So konnte 2024 die Mehrheit der Anträge digital zur Verfügung gestellt werden – die Digitalkontaktquote stieg um 30 Prozent. Seit Oktober 2024 testet der Zoll zudem eine Künstliche Intelligenz (KI)-Plattform mit dem Namen Zoll GPT – „als digitaler Assistent für die Beschäftigten“. Diese soll Mitarbeitende im Arbeitsalltag unterstützen. Müller stellte jedoch klar: „KI wird nicht alles übernehmen können.“
Auch Ingo Vogel (SPD), Mitglied des Finanzausschusses im Bundestag
das „Grundfahrzeug“ in dreifacher Größe und als Spezialvariante übertrifft. „Wenn es mal mehr sein muss, können wir immer eine Schippe drauflegen“, so Seidl
Von der Ausbildung bis zum Grenzeinsatz Neben Räumungsaufgaben übernimmt die Einheit auch logistische Aufgaben wie den Transport von Containern mit einem Ladekran bis direkt an den Grenzübergang. „Wir laden den Container ab, bauen ihn auf, sodass er sicher steht, und erstellen die Infrastruktur, um die Kontrollen dort möglich zu machen.“ Auch für eine funktionierende Strom- und Lichtversorgung ist die ARMAS-Einheit zuständig –damit die eingesetzten Kolleginnen und Kollegen ihre Arbeit uneingeschränkt ausführen können. Darüber hinaus ist die Einheit bundesweit in der Ausbildung tätig – sowohl für eigene Kolleginnen und Kollegen, die den Umgang mit dem Fahrzeug erlernen müssen, als auch für verschiedene Landespolizeien. „Die kommen dann zu uns und werden bei uns geschult“, erläuterte Seidl
Für eine größere Ladefläche verfügen die neuen Unimogs U 530 nur noch über eine Doppelkabine. So kann unter anderem Einsatzgerät auf bis zu drei Paletten mitgeführt werden.
und Polizist, dämpfte überhöhte Erwartungen an die Digitalisierung: „Digitalisierung allein spart nicht eine Stelle.“ Vielmehr verlagerten sich die Aufgaben: Digitale Werkzeuge könnten zwar Verwaltungstätigkeiten erleichtern, den personellen Bedarf jedoch nicht ersetzen. Die Digitalisierung sei ein Baustein von vielen, um den Zoll zukunftsfest zu machen. Ein weiterer zentraler Punkt: Zusammenarbeit – sowohl national als auch international. Für sicherheitsbehördenübergreifende Kooperation benötigt es laut Vogel mehr Aufklärungsarbeit bei den anderen Sicherheitsbehörden.
„Mit dem Blick aus dem Alltag einer Länderpolizei: Kontrolliert man eine Person, die ein Päckchen Zigaretten dabei hat, ohne Steuerbanderole, wird dies schmunzelnd als Beiwerk abgetan“, monierte Vogel. Hier gebe es keinen Austausch mit dem oder einen Hinweis an den Zoll. „Es geht nicht um das Päckchen an sich. Aber das sind keine Delikte, die im Verborgenen allein stattfinden.
Die Millionen Zigaretten müssen schließlich irgendwo an den Mann oder die Frau kommen.“ Somit brauche es mehr Fokus auf dieses
Thema. Es müsse ins Bewusstsein der Polizistinnen und Polizisten gerückt werden. Für eine interantionale stärkere Vernetzung sprach sich Thomas Liebel , Bundesvorsitzender der Deutschen Zoll- und Finanzgewerkschaft (BDZ) aus. „Dazu zählt auch, dass wir stärker auf den Einsatz von Zollverbindungsbeamtinnen und -beamten setzen – nicht nur bei der Tabaksteuerkriminalität, sondern insbesondere bei der explosionsartigen Entwicklung im Bereich Kokainschmuggel“, so Liebel Bei Kokain müsse inzwischen über industrielle Hochproduktion auch in Deutschland gesprochen werden. „Wir müssen uns stärker zwischen den Sicherheitsbehörden vernetzten“, unterstrich der BDZ-Bundesvorsitzende. „Natürlich ist es auch eine personelle Herausforderung. Aber es wäre schon ein wichtiger Schritt getan, wenn der Zoll zusammen mit den anderen Sicherheitsbehörden an das große Datenhaus P20 mit angedockt werden könnte.“ So wäre es möglich, gemeinsam entsprechende Bedrohungsanalysen zu erstellen. Neben diesem Wunsch wurde Liebel bezüglich der finanziellen Situatio des Zolls noch deutlicher: Eine eigenen Sicherheitsmilliarde benötige es. Schließlich sei der Zoll – den Liebel als Schutzwall in der deutschen Sicherheitsarchitektur bezeichnete – in den letzten Jahren kaputtgespart worden. „Der Schutzwall bröckelt“, so Liebel
In Nordrhein-Westfalen sorgte Anfang 2019 der Missbrauchsfall von Lügde für einen ähnlichen Schock. So zieht Dr. Daniela Lesmeister, Staatssekretärin im Ministerium des Innern in Nordrhein-Westfalen, auf dem Digitalen Polizeitag des Behörden Spiegel rückblickend ein positives Fazit bezüglich der behördeninternen Aufarbeitung. Bereits 2019 wurde erstmals gefordert, den Strafrahmen für Kindesmissbrauch anzuheben. Am 25. März 2025 konnte dann ein Gesetz mit erheblich verschärfter Strafandrohung verabschiedet werden, das Missbrauchstaten nicht mehr nur als Vergehen, sondern als Verbrechen mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr ahndet.
Kindesmissbrauch als Chefsache Auch die Möglichkeiten im Strafverfahren wurden in den Bereichen der Telekommunikationsüberwachung, Online-Durchsuchung und bei der Datenerhebung ausgeweitet. Daneben konnten auch die Fristen für die Eintragung in das polizeiliche Führungszeugnis verlängert werden. Seit 2020 werden Fälle von Kindesmissbrauch in NRW auf gleicher Stufe wie Tötungsdelikte verfolgt. Doch nicht nur die justiziellen Konsequenzen, sondern auch die polizeiliche Arbeit und Prävention wurden komplett auf den Prüfstand gestellt, so Lesmeister: „Unter dem Blick der Behörden wurde das Leben der Kinder zerstört.“
Eine direkt bei Innenminister Herbert Reul (CDU) angesiedelte und neu eingerichtete Stabstelle machte das Thema zur Chefsache. Sie sollte interne Abläufe überprüfen und klären sowie Missstände aufdecken. Seit 2020 organisiert die Polizei in Nordrhein-Westfalen die Sachbearbeitung zentral in den 16 Kriminalhauptstellen des Landes, weil diese besser ausgestattet sind. Denn, so Lesmeister: Die größte Herausforderung für die Ermittler stellten die massenhaften Daten dar. Die spezialisierten Kommissariate wurden ausgebaut und die Zahl des eingesetzten Personals erhöht.
Ein Meilenstein für die Ermittler war die Einführung des Paragrafen 184b StGB im März 2020, der die künstliche Herstellung von Kinderpornografie ermöglicht. In Foren und Chats werden diese als Einstiegsinstrument verwendet, damit die Undercover-Ermittler ein Vertrauensverhältnis zu den Tätern aufbauen können. Denn diese verlangen in der Regel von Unbekannten eigenes Material. Weitere wichtige Maßnahmen waren die verpflichtende Teilnahme an Stressbewältigungsseminaren sowie die Einführung einer Erschwerniszulage von monatlich 300 Euro ab dem 1. Januar 2021. Zur Unterstützung der Ermittlungen im Fall Lügde wurden im Rahmen der Amtshilfe Datenträgerspürhunde von anderen Bundesländern ausgeliehen, da NRW zu diesem Zeitpunkt noch keine eigenen besaß.
Wichtigkeit psychologischer Betreuung
Michael Mertens, stellvertretender Bundessvorsitzender der GdP, ergänzte, dass die Kolleginnen und Kollegen, die in Ermittlungen eingebunden gewesen seien, „diese ersten Tage, Wochen, Monate niemals vergessen“ würden. Die Kreispolizeibehörde Lippe – eine der kleinsten Polizeibehörden von Nordrhein-Westfalen – habe es seinerzeit „unverhofft und mit aller Härte“ getroffen. Die ständige Konfrontation mit Missbrauchsszenen bringe die Mitglieder von Ermittlungsgruppen oft an ihre persönlichen Grenzen. Laut Mertens benötigt die Polizei zwingend eine moderne Analyse-
Die Lehren aus Lügde
Mehr Schutz für die Schwächsten der Gesellschaft
(BS/Lars Mahnke) Als die Polizei Hamburg Mitte Juni die schrecklichen Taten eines 20-Jährigen publik machte, der Kinder und Jugendliche dazu getrieben haben soll, sexuelle Handlungen an sich vorzunehmen und sich selbst zu verletzen – in einem Fall bis zum Tod – reagierte die Öffentlichkeit geschockt. Gerade die digitale Welt verschafft Tätern die Möglichkeit, ihre grausamen Taten im Verborgenen zu begehen.
Das Lagebild des BKA offenbarte erneut einen deutlichen Anstieg sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche – die Fallzahlen haben sich in fünf Jahren mehr als verdreifacht. Oft wird das Internet als Tatmittel genutzt, etwa bei Kontaktanbahnung oder Live-Übertragungen von Missbrauch. Screenshot: BS/Mahnke
Software – KI könne zwar bei der Auswertung des riesigen Datenmaterials helfen, jedoch bedürfe es noch immer des Augenbeweises, um Beweise gerichtskräftig darzulegen. Effektive psychologische Betreuungskonzepte seien aufgrund der enormen psychologischen Belastungen für die Ermittlerinnen und Ermittler von zentraler Bedeutung. Gesunde Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien der Schlüssel für den Ermittlungserfolg. Um den Herausforderungen angemessen entgegentreten zu können, bedürfe es dringend einer Speicherverpflichtung von Verbindungsdaten durch die Provider, damit die Polizei rückwirkend Sachverhalte ermitteln könne. Die Polizei müsse zudem durch IT-Experten verstärkt und mit der nötigen technischen Hardware ausgestattet werden.
Im Verbund gegen Missbrauch Thorsten Massinger, Präsident des LKA Niedersachsen, betont, dass es nicht nur darum gehe, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Die Polizei müsse auch präventiv tätig werden, da Minderjährige aufgrund ihrer Arglosigkeit besonders schutzbedürftig seien. Die Folgen sexuellen Missbrauchs reichten von Angst, Scham- und Schuldgefühlen sowie Vertrauensverlust zu Bezugspersonen bis hin zu Depressionen, Angststörungen oder Posttraumatischen Belastungsstörungen. Um effektiver gegen Missbrauch vorgehen zu können, gründete das LKA Niedersachsen 2023 im Verbund mit den LKAs aus Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern die „Norddeutsche Allianz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt an Kindern", denn „niemand, der Kindern Gewalt antut, darf sich jemals sicher fühlen“, so Massinger Umso erschreckender der dramatische Anstieg, den die Zahlen vermuten lassen: So stieg die Zahl der Meldungen beim National Center for Missing & Exploited Children (NCMEC) von 2014 mit 14.500 Fällen auf 205.000 Fälle im Jahr 2024. Niedersachsen hat 2014 noch 362 Taten, im Jahr 2024 jedoch 6.338 Taten verzeichnet. Die gute Nachricht sei, dass sich die Aufklärungs-
quote mit 80 bis 90 Prozent auf einem relativ hohen Niveau bewege. Dies liege zum einen an den detailreichen Meldungen, zum anderen an den verbesserten technischen Möglichkeiten, so Massinger Es bedürfe einer verstärkten länderübergreifenden Zusammenarbeit. So würden im Rahmen der Norddeutschen Allianz gemeinsame Aktionswochen mit anderen Bundesländern erfolgreich durchgeführt. Aber auch auf internationaler Ebene schreitet die Zusammenarbeit voran: Im März 2025 fand unter Führung Polens erstmalig eine europaweite Aktionswoche statt, an der sich zwölf Staaten beteiligten. Die Polizei handele entschlossen, systematisch und sichtbar, um die Täter aus der Anonymität zu holen und eindeutig zu zeigen, dass die Taten konsequent verfolgt würden. Auch Massinger betonte die enorme Herausforderung, die die Auswertung der Datenmengen darstelle. Dazu brauche es „Menschen, Fachkräfte, polizeiliche und forensische Expertise, aber eben auch Technologie wie intelligente, unterstützende Systeme.“
Die KI im Einsatz Künstliche Intelligenz (KI) kann das Bildmaterial auswerten und für die Kategorisierung vorsortieren. Auf diese Weise sind auch bundes- und landesweite Vergleiche möglich, die helfen, bekannte und unbekannte Missbrauchsfälle zu identifizieren und zu unterscheiden. Das LKA Niedersachsen stellt für die Auswertung zwei selbstentwickelte Tools zur Verfügung. So hilft der „KiPo Analyzer“ in der IT-Forensik bei Analyse und Einordnung des vorhandenen Bildmaterials. „Tracebook KiPo“ baut auf diesen Ergebnissen auf und wird in der Sachbearbeitung verwendet. Die KI „ist kein Selbstzweck, sondern ein Werkzeug im Dienst des Kinder- und Jugendschutzes“, stellt Massinger klar und fordert daher den weiteren Ausbau der Technologie. Zudem ist die länderübergreifende Vereinheitlichung der Auswertung in seinen Augen hilfreich, um die Zusammenarbeit zu erleichtern. Vor große Probleme hinsichtlich KI stellt die ermittelnden Beamtinnen
und Beamten laut Sven Schneider, Leiter der Kriminalinspektion 1 im Polizeipräsidium Köln, vor allem die Tatsache, dass derzeit keine Daten aus der Verkehrsdatenspeicherung zur Verfügung stehen, auf die zugegriffen werden kann. Auch bereite ten die Auswertung von Chat-Verläufen und die Verfügbarkeitsreduzierung aufgrund gelöschter Links Schwierigkeiten. Allerdings helfe KI bei der Auswertung von Massendaten nicht nur bei der Identifizierung von Straftaten, sondern auch bei der Mustererkennung. So könnten beispielsweise wiederauftauchende Muster im Hintergrund Hinweise auf Netzwerke liefern. Bereits 2018 erkannte man beim LKA NRW, dass man den schieren, insbesondere wegen der Verbreitung von Smartphones stetig steigenden, Datenmengen nicht mehr gewachsen war. Im Dezember des gleichen Jahres wurde die Landesarbeitsgruppe Kinderpornografie ins Leben gerufen und im Februar 2019 mit den Maßnahmen zur Zentralisierung der Datenaufbereitung und -auswertung im Landeskriminalamt begonnen. Die Zahl der offenen Strafverfahren stieg dennoch von knapp 2.000 auf über 12.000. Die durchschnittliche Belastung der einzelnen Sachbearbeiter ist dabei ebenfalls stetig gestiegen. Kindesmissbrauch sei ein internationales Thema, so Schneider: Im Jahr 2023 erhielt die sogenannte CyberTipline von NCMEC 36 Millionen Meldungen zzu 106 Millionen einzelnen Dateien – allein auf das Clearnet bezogen. Die BLAG (Bund-Länder-Ausgleichsgruppe) Digitale Daten teilt diese in sieben Fallgruppen ein, um sie hinsichtlich der Auffindewahrscheinlichkeit weiterer inkriminierter Daten zu priorisieren. Die KI sortiert dann die vorliegenden Dateien hinsichtlich ihrer Relevanz und kategorisiert diese, wodurch die manuelle Sichtung als irrelevant deklarierter Dateien entfallen kann.
Als Scheinkind im Netz Im Einsatz gegen Cybergrooming, also sexualisierte Interaktion mit Kindern, sind Uwe Skupin und Laura Ruschepaul, Sachgebietsleiter und Ermittlerin beim LKA NRW und
im Netzt als sogenannte Scheinkinder unterwegs. Unterschieden wird dabei zwischen Hands-on- und Hands-off-Delikten und der sexualisierten Berührung eines Kindes sowie dem Missbrauch ohne Berührung – also beispielsweise dem Versenden pornografischer Inhalte an Kinder – sowie der Vorbereitung von Kindesmissbrauch. Denn die Paragrafen 176 und 184 StGB ermöglichen es, bereits eine vorgelagerte Aktion des Täters strafrechtlich als Cybergrooming zu bewerten. „Zu den eigentlichen Missbrauchhandlungen, den Hands-on-Delikten, muss es gar nicht erst gekommen sein“, so Skupin Beide betrachten Cybergrooming als gesellschaftliches Problem. Es findet sich überall dort, wo sich Kinder und Jugendliche online im Netzt bewegen: in Sozialen Netzwerken, auf Chat-Plattformen oder im Gaming-Bereich. Jeder vierte Jugendliche hatte bereits Erfahrungen mit Cybergrooming. Beim Cybergrooming existieren Schnittmengen zu den kriminologischen Phänomenen des körperlichen Missbrauchs, der „Sextortion“ (Erpressung weiteren Materials mit sexuellen oder gewalttätigen Handlungen) und des Doxxings (Veröffentlichung persönlicher Daten). Bei den Scheinkind-Operationen geben sich die Ermittlerinnen und Ermittler als Kinder aus. Dabei müssen die Beamten glaubwürdige digitale Existenzen dieser Kinder anlegen. Mithilfe von KI werden glaubhafte Accounts vermeintlicher Kinder generiert, mit denen sich die Ermittler im Netz bewegen. Eine Herausforderung stellt es dar, dass die Scheinkinder möglichst passiv und eher ablehnend agieren müssen. Zusätzlich problematisiert wird die Arbeit dadurch, dass die Täter zunehmend Audio- und Videomaterial oder Plattformwechsel einfordern, was vorgehalten werden muss, um keinen Verdacht aufkommen zu lassen. Zudem müssen die vermeintlichen Kinder Tag und Nacht erreichbar sein.
Undercover im Netz
Die Täterstrategien umfassen emotionale Erpressung, Gaslighting, Täuschung und Verschleierung der Identität, Beziehungsaufbau und die Etablierung eines Anreizsystems. Dabei ist auf Ermittlerseite darauf zu achten, dass gegenüber den Cybergroomern das vorgespielte Alter deutlich kommuniziert wird. Hemmend bei der Dokumentation der strafbaren Handlungen wirken die mangelnde Auskunftsbereitschaft internationaler Plattformen sowie die kurzen Speicherfristen von IP-Adressen.
Diesbezüglich gewinnt die von Mertens geäußerte Forderung, endlich Fortschritte bei der Umsetzung der Verkehrsdatenspeicherung und des Quick-Freeze-Verfahrens zu erzielen, eine neue Qualität.. Schneiders Kritik, bei Polizei und Staatsanwaltschaft sei das Mindset entstanden, dass immer eine vollumfängliche Auswertung aller Datenquellen zu erfolgen habe, bekräftigte Dr. Christos Katzidis, MdL NRW, auch für die politische Ebene. Der Untersuchungsausschuss zu Lügde solle endlich beendet werden, da weitere Erkenntnisse nicht zu erwarten seien. Dennoch fordert Lesmeister: „Wir dürfen nicht aufhören, aus dem Entdeckten zu lernen!“ Und Mertens ergänzt: „Die Dunkelziffer ist hoch und wir wissen, Kinder brauchen im Durchschnitt sieben Anläufe, bis ihnen geglaubt wird.“ Daher seien Vertrauen und Zuhören wichtig, aber auch die präventive Arbeit in Schulen, Familien und der digitalen Welt. Es bedürfe einer wachsamen Gesellschaft.
Auf der Innenministerkonferenz (IMK) in Bremerhaven berieten die Innenministerinnen, Innenminister sowie Innensenatorinnen und -senatoren der 16 Länder über insgesamt 82 Tagesordnungspunkte. Einer davon: der Umgang mit Femiziden. „Die meisten Femizide geschehen nach Trennungen, wenn Männer ihre ehemaligen Partnerinnen als Besitz betrachten und der Kontrollverlust zur tödlichen Bedrohung wird“, erklärte der Bremer Innensenator und diesjährige Vorsitzende der IMK, Ulrich Mäurer (SPD), im Anschluss an die Konferenz. Gerade hier setze die „elektronische Aufenthaltsüberwachung“, die Fußfessel für Täter, an. Die IMK beschloss, die Kapazitäten der Gemeinsamen Elektronischen Überwachungsstelle der Länder (GÜL) in Hessen auszubauen, um die technische Voraussetzung für einen bundesweiten Einsatz zu schaffen. „Es ist ein wichtiger Schritt, dass sich die IMK bei der Erweiterung der Kapazitäten der Gemeinsamen Elektronischen Überwachungsstelle einig ist“, so Mäurer
Der Einsatz von elektronischen Fußfesseln nach dem sogenannten „spanischen Modell“ ist bereits in Sachsen und Hessen polizeiliche Realität. Das Besondere an dieser Art der Fußfesseln: Dabei tragen nicht nur Täter, sondern auch potenziell betroffene Personen einen Sensor – letzteres auf freiwilliger Basis. Der Sensor ermöglicht es, dass nicht nur der Aufenthalt des Gefährders und festgelegte Sperrzonen von der Polizei überwacht werden können. Das System kann so auch dann Alarm schlagen, wenn sich der Überwachte absichtlich oder unabsichtlich außerhalb der
Von Fußfesseln bis AfD-Verbot
Das große Themen-Potpourri der Innenministerkonferenz
(BS/mk) Einen Schwerpunkt der ersten Innenministerkonferenz unter Bremens Leitung stellte der Kampf gegen Gewalt an Frauen dar. Ein bundesweiter Einsatz von elektronischen Fußfesseln soll künftig betroffene Frauen besser vor den Tätern schützen. Kein neues Konzept, nach der Konferenz der Innenministerinnen und Innenminister in Bremerhaven könnte die Umsetzung jedoch jetzt schnell näher rücken.
Die „Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder“, kurz Innenministerkonferenz (IMK), wurde 1954 von den Chefs der Innenressorts mit dem Ziel gegründet, die länderübergreifende Zusammenarbeit zwischen den Bundesländern auch auf politischer Ebene zu organisieren. Foto:
gen Schutzmaßnahmen veranlasst.
In Spanien ist dieses Modell seit 2009 in Anwendung. Neben anderen Maßnahmen – wie dem „Nurja-heißt-ja“-Gesetz – konnte dort so ein Rückgang der Anzahl an jährlichen Femiziden erreicht werden. Im vergangenen Jahr wurden
„Es ist ein wichtiger Schritt, dass sich die IMK bei der Erweiterung der Kapazitäten der Gemeinsamen Elektronischen Überwachungsstelle einig ist.“
Ulrich Mäurer, Bremer Innensenator
Sperrzonen einer gefährdeten Person nähert. Der Schutz ist somit deutlich ausgeweitet. Im Falle einer Alarmmeldung wird sofort die örtlich zuständige Kreispolizeibehörde verständigt, die dann die notwendi-
Bei der EM 2024 in Deutschland suchten sie in den Stadien nach Gefährdern. Nach den Ausschreitungen an Silvester identifizierten sie diejenigen, die Rettungskräfte angegriffen hatten. Auch an der Aufklärung des Raubs im Bode-Museum waren sie beteiligt. Super-Recognizer sind inzwischen ein fester Bestandteil der Berliner Polizei. Die neue Einheit entstand im Rahmen einer Pilotphase von Mai 2023 bis April 2025, in der sie nicht nur ihre Fähigkeiten, sondern auch den konkreten Nutzen für die Polizeiarbeit unter Beweis stellen sollte. Dabei ist es laut Stefan Redlich, dem stellvertretenden Leiter des Landeskriminalamts (LKA) Berlin, fast zu einer Überlastung der Dienststelle durch die vielen Anfragen – zum Beispiel aus der Mordkommission oder dem Raubdezernat – gekommen. Im Schnitt bearbeitete die Einheit 85 Fälle pro Monat.
Vor Beginn der Pilotphase hatten 1.500 Mitarbeitende der Berliner Polizei an einem mehrstufigen Testverfahren teilgenommen, zum weltweit ersten Mal auch mit authentischem Polizeimaterial. Bei 22 Beamtinnen und Beamten wurde
in Spanien 94 Femizide begangen, in 52 Fällen hat der Partner oder Ex-Partner die Frau getötet. 2010 waren es noch 74 Frauen, die von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet wurden. Auch auf der Agenda
der neuen Bundesregierung steht die ausgeweitete Anwendung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung. So kündigte diese bereits an, den Einsatz des spanischen Modells durch eine Gesetzesänderung zu ermöglichen.
Migration und Extremismus Beim Thema Migration lag der Fokus während der IMK auf einem gesamteuropäischen Weg. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) betonte: „Die europäische Ebene bei der Reduzierung der illegalen Migration ist ein wesentlicher Punkt“. Instrumente wie das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) müssten jedoch noch „nachgeschärft“ werden. Auch Bremens Innenminister Mäurer betonte, nationale Alleingänge seien keine dauerhafte Lösung: „Sichere europäische Außengrenzen sind der zentrale Schlüssel. Wir müssen auch dringend dysfunktionale Verfahren wie Dublin reformieren.“ Skeptisch zeigte sich
Sport
Mäurer im Hinblick auf ein mögliches AfD-Verbot. Das Gutachten des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) konzentriere sich stark auf das Thema Menschenwürde, bleibe aber bei Demokratie- und Rechtsstaatsgefährdung vage. „Wenn man ein solches Verfahren betreiben will, muss man es sehr, sehr sorgfältig machen“, so Mäurer. Der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) plädierte für einen geschlossenen Umgang der Mitglieder der IMK. „Das war vor der Innenministerkonferenz mein Ansatz, dass die Demokraten zusammenbleiben im Kampf gegen die Extremisten“, erklärte Strobl So habe man sich darauf geeinigt, dass die IMK – für den Fall, dass die Einstufung der AfD als gesichert rechtsextrem gerichtlich bestätigt wird – eine gemeinsame Bewertung zu den Auswirkungen auf den Öffentlichen Dienst und das Dienstrecht, auf den Waffenbesitz und auf Sicherheitsüberprüfungen
Überall bekannte Gesichter
Super Recognizer im Einsatz der Berliner Polizei
(BS/mk) Einmal angeschaut und nie wieder vergessen. So ergeht es sogenannten Super-Recognizern, wenn sie Menschen ins Gesicht schauen. Eine spezielle Fähigkeit, die auch der Polizei von Nutzen sein kann.
schließlich festgestellt, dass sie eine überdurchschnittliche Fähigkeit zur Gesichtserkennung besitzen. Fünf davon arbeiten nun in der neu geschaffenen Einheit. Die übrigen 17 werden bei Bedarf angefordert, verbleiben ansonsten aber in ihrer bisherigen Dienststelle.
Das nahezu perfekte Erkennen Eine davon ist Claudia. Ihr richtiger Name und ihr Gesicht sollen nicht in der Öffentlichkeit auftauchen – zum Schutz der Beamtin und um Ermittlungen nicht zu gefährden. Claudia kann – wie ihre vier Kolleginnen und Kollegen – sich nicht nur außerordentlich gut Gesichter einprägen, sondern sie auch nahezu perfekt noch Jahre später präzise zuordnen. „Was ich sehe, sehe ich“, erklärte die Super-Recognizerin bei der Pressekonferenz. So sei es egal, wenn sich die Frisur, der Haarwuchs oder die Gesichtsfülle veränderten oder das
betrachtete Foto verwackelt oder verpixelt sei. Das Erkennen ist ein intuitiver, beinahe instinktiver Mechanismus, der angeboren ist und nicht erlernt werden kann. Fehler passieren laut Claudia quasi nie: „Wir liegen eigentlich immer richtig.“ So auch bei einem Raub, der sich im Januar 2020 in den Neukölln Arcaden abspielte. Der 22-jährige Giuseppe T. griff damals mit Reizgas zwei Mitarbeiter eines Geldtransports an. Sie wollten eigentlich ganz routinemäßig einen Geldautomaten auffüllen. Giuseppe T. und zwei Mittäter konnten dabei zwei Geldkassetten im Wert von 166.000 Euro stehlen. Sie flüchteten ins Unbekannte, wurden jedoch von Kameras bei ihrem Überfall gefilmt. Die Berliner Staatsanwaltschaft bezog schließlich im Rahmen ihrer Ermittlungen Claudia und ihr Team mit ein. Über 40 Videodateien und etliche Bilder wurden durchgeschaut
entwickeln soll. Dass jedoch keine komplette Einigkeit beim Umgang mit der AfD herrscht, zeigen die Aussagen des Innenministers Thüringens, Georg Maier (SPD). Im Gegensatz zu seinem Bremer Kollegen sprach sich Maier in der Vergangenheit immer wieder explizit für ein AfD-Verbot aus.
Ziviler Schutz gegen hybride Bedrohungen
Die IMK sieht angesichts der vor allem durch russische Aktivitäten erhöhten Bedrohungslage dringenden Nachholbedarf bei Vorsorgemaßnahmen zum Schutz der deutschen Bevölkerung im Spannungs- oder Kriegsfall. Joachim Herrmann (CSU), Bayerns Innenminister und Sprecher der Innenministerinnen und -minister der CDU- und CSU-geführten Länder, machte auf der Abschlusspressekonferenz der IMK diesbezüglich auf die Bedeutung der zivilen Verteidigung aufmerksam. „Zivile Verteidigung und Zivilschutz sind aus meiner Sicht sehr wichtige Punkte dieser IMK. Angesichts der geänderten Sicherheits- und Bedrohungslage müssen wir nicht nur die militärischen Fähigkeiten ausbauen, sondern auch die zivile Verteidigung umfassend stärken“, so Herrmann. Bund und Länder müssten eine klare Botschaft senden: „Wir sind abschreckungs- und verteidigungsbereit.“ Dies gelte es bis 2029 umzusetzen. Laut Herrmann brauchen die Länder hierfür umgehend Investitionen des Bundes zum raschen Aufbau von Strukturen im Zivilschutz und der zivilen Verteidigung innerhalb der laufenden Legislaturperiode. Sachsen-Anhalts Innenministerin Tamara Zieschang (CDU) schlug in dieselbe Kerbe: Ein Investitionsvolumen von mindestens zehn Milliarden Euro sei für den Bevölkerungsschutz dringend notwendig. Auch Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) unterstrich die Dringlichkeit: „Wir müssen uns darauf einstellen, dass Russland in naher Zukunft bereit sein könnte, einen Mitgliedsstaat der NATO anzugreifen.“ Deutschland müsse sich deshalb nicht nur militärisch, sondern auch im Bereich Zivilschutz und zivile Verteidigung neu aufstellen. Ihre Forderung: „Da haben wir Länder die klare Erwartungshaltung an den Bund, dass wir jetzt auch beim zivilen Teil der Zeitenwende ins Handeln kommen.“
und mit dem Tatverdächtigen abgeglichen – mit Erfolg. Die SuperRecognizer dokumentierten ihre Erkenntnisse detailliert in einem Auswertungsbericht. Zusammen mit weiteren Beweisen bildete dieser die Grundlage für eine Verurteilung: Guiseppe T. wurde zu acht Jahren Haft verurteilt.
Die Forschung geht weiter Seit rund 30 Jahren ist Claudia bereits bei der Berliner Polizei, ihre Fähigkeiten habe sie dabei schon immer eingesetzt – früher nur nicht offiziell. Der Test, der Claudia als Super-Recognizerin identifizierte, wurde von der Schweizer Neurowissenschaftlerin Prof. Dr. Meike Ramon gemeinsam mit der Berliner Polizei entwickelt. Aufgrund des sogenannten beSure-Tests können die Erkenntnisse der Super-Recognizer auch vor Gericht verwendet werden. Der Test sei somit gezielt auf die
Bedürfnisse der Polizei abgestimmt. Allerdings kann das Verfahren aus Datenschutzgründen von den Landespolizeien anderer Bundesländer nicht verwendet werden – und das, obwohl auch andere Behörden an dem Test interessiert sind. Konkret sei man gerade mit Nordrhein-Westfalen im engen Austausch, erläuterte Ann-Cathrin Spranger-Rittmann, stellvertretende Dezernatsleiterin beim LKA. Hierfür arbeitet Ramon nun an einem neuen Verfahren, das dann auch von anderen Landespolizeien verwendet werden kann. Entdeckt wurde das Phänomen der Super-Recognizer 2009 eher zufällig. Die britischen Forscher Richard Russell, Brad Duchaine und Ken Nakayama untersuchten eigentlich das Phänomen der Gesichtsblindheit. Vier Probanden ihrer Versuchsreihe fielen schließlich dadurch auf, dass sie sich Gesichter außergewöhnlich gut merken konnten. Das Forschungsfeld zählt jedoch immer noch zu den neueren in der Neurowissenschaft. „Es gibt noch keine empirischen Ergebnisse in Bezug auf Vererbbarkeit, aber Indizien. Es wird noch viel geforscht“, sagt Meike Ramon
BS/Senator für Inneres und
Auf der Critical Communication World 2025 (CCWorld) in Brüssel nutzte die KOM jetzt das größtmögliche europäische Event, um bei den BOS der EU-Mitgliedstaaten für das künftige European Critical Communication System (EUCCS) zu werben. Nach dem Willen der Initiatoren aus EU-Mitgliedsstaaten und Kommission soll mit dem EUCCS ein paneuropäisches Netz für einsatzkritische BOS-Kommunikation entstehen. Ein neues europäisches Zentralsystem sei nicht vorgesehen, versichert Max Brandt , der zuständige „Team Leader Critical Communication“ in der Generaldirektion Migration und Inneres (DG HOME). Vielmehr soll auf Basis gemeinsamer EU-Standards für die Gestaltung der Schnittstellen ein Verbund zwischen den bestehenden Systemen der Mitgliedsstaaten geschaffen werden. Als gesetzliche Grundlage sähe der KOM-Vertreter gern eine Verordnung, die alle Mitgliedsstaaten gleichermaßen und direkt verpflichten würde, ihre Systeme interoperabel zu machen. Alternativ bliebe eine Richtlinie. Aber wie sich u. a. gerade bei NIS- 2 zeigt, führt da die Verlagerung der gesetzlichen Ausgestaltung in die Mitgliedsstaaten zu erheblichen Verzögerungen bei der Umsetzung. Europäische Souveränität stärken Dabei ist das EUCCS-Mandat aus den Mitgliedsstaaten außergewöhnlich belastbar. Max Brandt klingt fast etwas verwundert: Das habe er noch nicht erlebt, dass die Länder wie beim EUCCS die KOM geschlossen zur Einleitung eines Gesetzesvorhabens auffordern. Inzwischen steht die Strategie in Umrissen. Eine Mitgliedsstaaten-Expertengruppe ist eingerichtet und tagt regelmäßig zur Abstimmung der Länderinteressen mit der Kommission. In den Geltungsbereich des künftigen Gesetzes sollen vor allem Kommunikationssysteme des Blaulicht-Bereichs sowie aus Militär und Diensten des Militärs fallen, möglicherweise auch die anderer Kritischer Infrastrukturen. Über die technische Ausgestaltung wird noch zu diskutieren sein. Fest stehen die Orientierung an internationalen Standards und das Ziel, die europäische Souveränität zu stärken. Hinter der jetzigen EUCCS-Initiative stehen jahre-
N
ordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg wagen einen neuen Versuch. Beide Bundesländer haben im Mai ein neues Verfassungsschutzgesetz auf den Weg gebracht. Bei den Neuerungen geht es in beiden Ländern um die Telekommunikationsüberwachung (TKÜ). So ist im neuen Gesetz für den Verfassungsschutz NRW eine besondere Form der TKÜ vorgesehen. Die sogenannte Quellen-TKÜ wird eingesetzt, um verschlüsselte Kommunikation über MessengerDienste überwachen zu können. Der Verfassungsschutz setzt dafür an der Quelle an: also dort, wo die Nachrichten noch nicht verschlüsselt sind – zum Beispiel auf einem Smartphone. Um die noch unverschlüsselte Information abzugreifen, müssen die Ermittlerinnen und Ermittler heimlich eine spezielle Überwachungssoftware auf das Gerät spielen. Der Eingriff in die Privatsphäre der überwachten Person ist tiefgreifend – entsprechend streng sind die rechtlichen Voraussetzungen. Laut den Plänen des baden-württembergischen Innenministeriums sollen Ermittelnde im Verdachtsfall künftig Verbindungsdaten bei Telekommunikationsfirmen abfragen dürfen. Zumindest jene, die in einer bestimmten Funkzelle in einem bestimmten Zeitraum angefallen sind. Diese Art der Überwachung ist sehr umstritten. Laut Bundesnetzagentur ist sie bislang ausschließlich zulässig, „wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder
(BS/Barbara Held) Die Europäische Kommission (KOM) treibt mit viel Aufwand ein neues Gesetzesvorhaben voran, das die Mitgliedsstaaten verpflichten soll, ihre einsatzkritischen BOS-Systeme für einen nahtlosen grenzüberschreitenden Datenaustausch fit zu machen.
Das Atomium auf der Expo Brüssel. Es wurde für die Weltausstellung Expo 58 erbaut, deren optimistisches Motto „Fortschritt der Menschheit durch Fortschritt der Technik“ auch über der CCWorld 2025 hätte stehen können.
lange konzeptionelle Vorarbeiten und technische Pilotstudien, die die KOM im Rahmen der HorizonProgramme gefördert hat: Broadmap, Broadway und neuerdings EUCCS Preparation. EUCCS wird europäisch-national geteilt finanziert – durch EU-Programme, nationale Mittel und Industriepartner.
Zukünftige Infrastrukturprojekte könnten die Finanzierung weiter diversifizieren. Das heißt, auch die Mitgliedsstaaten werden ihre „Hausaufgaben“ machen müssen. Diese müssen unter anderem ihre Systeme aufrüsten, um die künftig geforderte Resilienz zu erfüllen. Der Zeitplan ist ambitioniert: In der DG HOME will man noch im Herbst mit der Formulierung des Gesetzestextes beginnen. Im Augenblick müssen KOM und Mitgliedsstaaten allerdings noch auf die Ergebnisse des verpflichtenden „Impact Assessments“ warten. Das ist eine Art extern vergebene Machbarkeitsstudie, die Empfehlungen zu rechtlichen, organisatorischen und technischen Aspekten des Projekts gibt. Spätestens 2030 soll EUCCS in den Betrieb begehen.
Der Schauplatz der EUCCSWerbeaktion war gut gewählt: Rekordverdächtige 7.000 Teilnehmeranmeldungen zählten die Organisatoren der diesjährigen CCWorld auf dem traditionsreichen Brüsseler Expo-Gelände. Zum internationalen Treffpunkt der Branche wird die Veranstaltung vor allem durch die Anreise öffentlicher BOS-Digitalfunk-Betreiber: Im „Global Village“ der Messe bespielten nicht nur praktisch alle europäischen Provider und das große amerikanische FirstNet eigene Stände; hinzu kamen Vertreterinnen und Vertreter aus Australien, Südkorea, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Mexiko u. a. Die deutsche BDBOS (Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen) mit Sicherheitsaufgaben war inklusive Präsident Jens Koch angereist.
Die Regularien des Verfassungsschutzes
Zwischen zu viel und zu wenig Kommunikation
(BS/mk) Wie viel darf der Verfassungsschutz wissen? Wie viel darf er erzählen? Das Bundesverfassungsgericht hat über die letzten 20 Jahre hinweg immer wieder die Verfassungsschutzgesetze der Bundesländer gestoppt – und dies mit konkretem Blick auf diese beiden Fragen.
wesentlich erschwert wäre“. Daher müssten sie zunächst durch ein Gericht angeordnet werden. Immer wieder wurden solche gesetzlichen Vorstöße einzelner Bundesländer in der Vergangenheit vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gestoppt. Zuletzt geschah dies im September 2024 mit dem hessischen Verfassungsschutzgesetz (HVSG). Als Begründung der Einstufung als verfassungswidrig gab das BVerfG an, die Regelungen im Gesetz würden gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht oder gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen verstoßen. Konkret bezog sich diese Einschätzungen auf Regelungen zur Handyortung, auf den Einsatz von verdeckten Mitarbeitenden sowie auf die Abfrage von Flugdaten. Im Jahr 2022 widerfuhr dieses Schicksal auch dem Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG). Als verfassungswidrig stufte das BVerfG die Weitergabe von heimlich gesammelten persönlichen Daten der Nachrichtendienste an die Polizei ein. Diese stellt nach Ansicht des Gerichts einen Verstoß gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar, sofern
die „Übermittlung mit nachrichtendienstlichen Mitteln heimlich erhobene personenbezogene Daten“ betreffe.
Getrennt und doch vereint
Laut Thorsten Voß , dem Hamburger Verfassungsschutzchef, erschweren die Entscheidungen des BVerfG die Arbeit der Nachrichtendienste deutlich. Voß spricht dabei vor allem das Trennungsgebot zwischen der Polizei und den Nachrichtendiensten an. Dieses wurde in der Vergangenheit in drei Stufen aufgebaut und verschärft. Als Geburtsstunde der Trennung gilt der sogenannte Polizeibrief. Am 14. April 1949 schickten die Militärgouverneure der westdeutschen Besatzungszonen ein Schreiben an den Parlamentarischen Rat inmitten der Schlussberatungen zum Grundgesetz. Die Verfasser gestatteten darin den westdeutschen Besatzungszonen, eine eigene Stelle „zur Sammlung und Verbreitung von Auskünften über umstürzlerische, gegen die Bundesregierung gerichtete Tätigkeiten einzurichten.“ Die Angst vor einer neuen Gestapo führte jedoch zum Verbot, der Behörde auch Polizeibefugnisse einzuräumen. Somit darf der Verfassungsschutz beispielsweise der
Das über allem schwebende Thema: der mühsame Übergang der kritischen Kommunikation in eine Breitband-Welt, die den strengen Kriterien der BOS gerecht wird. Angesichts der unterschiedlichen nationalen Umsetzungsszenarien war immer wieder von einem Weg der verschiedenen Geschwindigkeiten die Rede – mit nur begrenzt übertragbaren Lösungen. Harmonisierung angestrebt Einig war man sich über die Bedeutung internationaler Standards von 3GPP, ETSI und anderen SDOs, die globale Interoperabilität gewährleisten. So können jetzt auch 3GPP-Standard-basierte Endgeräte für Breitband offiziell zertifiziert werden. In Zusammenarbeit mit der TCCA hat das Global Certification Forum (GCF) seit Juni 2024 ein entsprechendes Programm aufgesetzt, das zurzeit allerdings erst 3GPP Release 14 abdeckt. Das Interesse der BOS-Funk-Betreiber an einer Mitwirkung war dennoch groß. Weitere Harmonisierungstendenzen zeichnen sich aus Richtung der äußeren Sicherheit ab. Gerard Elzinga, Sachgebietsleiter Digital Capabilities bei der NATO, berichtete von der „Digitalisierung“ des Bündnisses. Gemeint ist damit die voranschreitende Umstellung militärspezifischer IT-Standards auf die kommerziellen Normen. Da 3GPP-Standards existierten, sei es nicht sinnvoll, für Breitband NATO-eigene Standards zu entwickeln, so Elzinga. Vielmehr werde man sich mit eigenen Bedarfsprofilen in die 3GPP-Gremien einbringen.
In jedem Fall biete es sich an, „mit der inneren Sicherheit gemeinsame Sache zu machen“. Nächstes Jahr trifft sich die „Gemeinde“ der kritischen Kommunikation in London. Da wird man kritisch auf die unendliche Geschichte der holprigen Breitband-Migration der BOS im Vereinigten Königreich blicken. Und natürlich auch auf die Fortschritte beim EUCCS.
Polizei keine Informationen weitergeben, wenn diese durch Methoden erlangt wurden, die der Polizei nicht gestattet sind. Zwei Gerichtsurteile des BVerfG in den Jahren 2013 und 2016 sorgten für eine Verschärfung: eine sogenannte informationellen Trennung. Somit dürfen die Nachrichtendienste erst dann Informationen weitergeben, wenn sie auch durch die Polizei hätten beschafft werden dürfen.
„Es ist eine Quadratur des Kreises, dass einerseits von den Nachrichtendiensten ein möglichst breiter und effektiver Informationsaustausch bei der Beobachtung und Bekämpfung rechtsextremistischer oder islamistischer Verfassungsfeinde gefordert wird, die derzeitige Rechtslage dies aber häufig ganz und gar nicht zulässt“, mahnte Voß
Wirksamer (Verfassungs-)Schutz Hessen statet nun einen neuen Versuch. Am 25. Juni fand die erste Lesung des Gesetzentwurfs zur Reform des HVSG statt. Der hessische Innenminister Roman Poseck (CDU) verwies darauf, dass Hessen damit auf die aktuelle Sicherheitslage reagiere. „Unsere Sicherheitsbehörden brauchen mehr Befugnisse, um mit den neuen Herausforderungen Schritt halten zu können“, so Poseck. Teil des reformierten Gesetzes sollen neben neuen Befugnissen zur Überwachung auch mehr Kommunikationsmöglichkeiten für den Landesverfassungsschutz (LfV) sein. So soll das HVSG eine Rechtsgrundlage zur Aufklärung der Öffentlichkeit durch das LfV enthalten. „Nur informierte und aufgeklärte Bürgerinnen und Bürger können für ihre Demokratie eintreten, um extremistischen Bestrebungen gesamtgesellschaftlich effektiv zu begegnen“, erklärte Poseck. Das sich künftig auch an der Kommunikation zwischen Verfassungsschutz und Polizei etwas ändern wird, ist wahrscheinlich. Dies ist jedoch eine Bundesangelegenheit. Im Koalitionsvertrag einigten sich Union und SPD auf eine Novellierung des Rechts der Nachrichtendienste des Bundes „einschließlich der rechtlichen Rahmenbedingungen für einen effektiven und effizienten Datenaustausch zwischen den Diensten und anderen Behörden“.
Foto: BS/Held
Behörden Spiegel: Wie bewerten Sie das momentane Forschungsumfeld im Bereich der zivilen Sicherheitsforschung?
Dr.-Ing. Sarah-K. Hahn: Sicherheit ist ein Querschnittsthema, das es grundsätzlich bei allen Fachrichtungen zu berücksichtigen gilt. Wenn Sicherheit von Anfang an berücksichtigt wird, muss sie nicht im Nachhinein teuer implementiert werden. Beispiele aus der Praxis sind etwa die frühzeitige Einbindung von Brandschutzplanern bei der Errichtung von Gebäuden oder die Hinzuziehung von Explosionsschutzexperten bei der Planung von Anlagen. Auch in der anwendungsorientierten Forschung könnte dieser Aspekt in den unterschiedlichen Forschungsprogrammen noch stärker berücksichtigt werden. Gleichzeitig bleibt es von zentraler Bedeutung, die zivile Sicherheitsforschung als etabliertes, eigenständiges Forschungsfeld zu betrachten und gezielt zu fördern. Hierbei rückt die Anwendung zunehmend in den Fokus: Durch die frühzeitige Einbindung von Anwenderinnen und Anwendern in Forschungsprojekte werden praxisgerechte Lösungen entwickelt und die spätere Umsetzung von Forschungsergebnissen sichergestellt.
Behörden Spiegel: Der vfdb-Präsident Dirk Aschenbrenner sagt häufig: „Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem.“ Woran scheitert die Umsetzung von Forschungsergebnissen in die Praxis? Welche Hindernisse gilt es zu überwinden?
Nur im Einklang erfolgreich
Warum Forschung kein Selbstläufer ist
(BS) Die deutsche Sicherheitsforschungsszene ist sehr rege. Viele Konzepte, Ideen und Demonstratoren finden den Weg an die Öffentlichkeit. Doch dann ist häufig Schluss. Dr. Sarah-K. Hahn, stellvertretende Generalsekretärin und Forschungskoordinatorin der Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes (vfdb), erklärt im Interview, was die Gründe sind. Die Fragen stellte Bennet Biskup-Klawon.
ein soziotechnisches System entwickelt, mit dessen Hilfe bereits geringe Raumluftanomalien detektiert und Ersthelfende alarmiert werden können, um so Kulturgut
„Es muss auch ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass Forschung „nicht mal eben nebenbei“ zu leisten ist. Über die Projektförderung hinaus müssen finanzielle Ressourcen eingeplant werden.“
Dr. Hahn: Die Hindernisse befinden sich auf unterschiedlichen Ebenen. Ein Beispiel: Im Forschungsprojekt „BRAWA – Kulturgut bewahren durch Helfermotivation und geringe Brandwahrscheinlichkeiten“ haben wir im Verbund mit Partnerinnen und Partnern aus Wirtschaft, Technik und Wissenschaft der Bereiche Brandschutz und Psychologie zusammengearbeitet. Es wurde
Mehr als eine Spielerei: vfdbPräsident Dirk Aschenbrenner eröffnete die Tagung gemeinsam mit seiner KI-Assistentin Dora. Mit diesem Mensch-Maschine-Dialog wollte er die Bedeutung von KI unterstreichen – und zeigen, dass ihr Einsatz längst keine Zukunftsvision mehr ist. Dass Technik künftig eine noch größere Rolle spiele, liege an den vielfältigen Herausforderungen.
Zwischen Natur und menschlichen Katastropen
Im Dialog mit Dora benannte Aschenbrenner fünf zentrale Problemfelder:
1. Die Klimakrise führe zu häufigeren und heftigeren Extremwetterereignissen – etwa Stürmen, Hochwasser und Hitzewellen. Das erfordere neue Strategien, bessere Vorsorge und mehr Resilienz.
2. Die geopolitische Lage und hybride Bedrohungen verlangten einen stärkeren Fokus auf den
vor schlimmeren Schäden zu bewahren. Die Vorschriften halten jedoch nicht immer Schritt mit den neuen Entwicklungen. Anstatt des neuen, multifunktionalen Systems mit seinen vielfältigen integrierten Möglichkeiten – neben der Branddetektion ist etwa eine Raumluftfeuchteüberwachung zur frühzeitigen Schimmeldetektion durchführbar – sind „Standardlösungen“ gefragt,
die jeweils nur eine Gefahrenkomponente abdecken.
Behörden Spiegel: Was muss die Politik liefern?
Dr. Hahn: Mit Blick auf das obige Beispiel sind regulatorische Hindernisse von Bedeutung. Beispielsweise könnten rechtliche Vorgaben fachübergreifende Lösungen befürworten. Dies ist insbesondere im Kontext der zunehmenden Vernetzung relevant. Für kommunale Gefahrenabwehrbehörden wie Feuerwehren ist zudem eine verbesserte Zusammenarbeit von Bund-, Länder- und Kommunalebene wichtig. Nur so können mit Bundesmitteln finanzierte Forschungsergebnisse auf kommunaler Ebene umgesetzt werden. Es muss auch ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass Forschung „nicht mal eben nebenbei“ zu leisten ist. Über die Projektförderung hinaus müssen finanzielle Ressourcen eingeplant werden. Nur so kann kompetentes Personal aufgebaut und gehalten werden. Die Politik auf kommunaler Ebene könnte ihre Feuerwehren beispielsweise dabei unterstützen, Forschungsprojekte anzugehen.
Nachdem eigene Fähigkeitslücken identifiziert wurden, kann in einer wissenschaftlich-technischen Vereinigung wie der vfdb zunächst die überregionale, fachübergreifende Bedeutung analysiert werden. Im nächsten Schritt kann unter Einbindung aller relevanten Stakeholder an ihrer Lösung gearbeitet werden. Im Verbund mit erfahrenen, anwendungsorientierten Forschungspartnerinnen und -partnern können dann Fördermöglichkeiten identifiziert und Forschungsprojekte durchgeführt werden. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass bereits die kommunale Ebene den gewinnbringenden Nutzen anwenderorientierter Forschung erkennt und sich hierfür einsetzt. Es sollte auch im Selbstverständnis der Politik einer freien, demokratischen Gesellschaft liegen, die Vorteile unabhängiger, anwendungsorientierter Forschung zu kommunizieren und für die Bedeutung dieser Forschung einzustehen.
Behörden Spiegel: Was müssen die BOS anders machen?
Dr. Hahn: Forschung ist kein Selbstläufer, aber die Investition lohnt sich. Auch wenn es zunächst kompliziert erscheinen mag, ist der Einstieg mit überschaubarem Aufwand möglich –in einem gemeinsamen Verbund mit forschungserfahrenen Partnerinnen und Partnern. Die aktuellen Förderprogramme stellen bewusst die Anwendenden in den Fokus. Wer seine Fähigkeitslücken kennt, ist bestens gerüstet, um mithilfe öffentlicher Fördermittel Lösungen im Verbund zu erarbeiten. Treten Sie gerne mit uns in Kontakt!
Behörden Spiegel: Was braucht es für eine erfolgreiche Umsetzung?
Dr. Hahn: Den Willen der Beteiligten und finanzielle Ressourcen. Während erstere Voraussetzung eine (persönliche) Entscheidung und Haltung sein kann, ist für Letzteres die politische Ebene gefragt. Wir haben gute Voraussetzungen und es gibt bereits großartige Strukturen. Erst die finanzielle Komponente ermöglicht es jedoch, diese optimal zu nutzen, auszubauen und dauerhaft zu etablieren. Ein Beispiel ist etwa
Mit Technik gegen Katastrophen
An KI kommt keiner vorbei
(BS/bk) Künstliche Intelligenz (KI) ist gekommen, um zu bleiben. Technologie und Hoffnungen, die mit ihr verbunden sind, machen auch vor dem Katastrophenschutz nicht halt. Auf der 71. Jahresfachtagung der Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes (vfdb) war das Thema allgegenwärtig. Und eines wurde deutlich: Wer nicht mitgestaltet, fällt zurück.
Aschenbrenner eröffnete unkonventionell
Schutz der Bevölkerung sowie der Kritischen Infrastrukturen.
3. Der demografische Wandel und
der Fachkräftemangel bedeuteten, dass immer weniger Menschen für zunehmend komplexe
das ForAn-Netzwerk, das mithilfe öffentlicher Forschungsförderung zahlreichen Anwenderinnen und Anwendern die Sicherheitsforschung auf europäischer Ebene nähergebracht und ihnen so ganz neue Wege zum Schließen ihrer Fähigkeitslücken eröffnet hat. Dies ist die gute Seite der Nachricht: Die Kompetenz liegt vor, wir müssen sie nur nutzen.
Behörden Spiegel: Auf der vfdb-Jahresfachtagung haben Sie die vfdb-Akademie vorgestellt. Was verbirgt sich dahinter? An wen richtet sich diese?
Dr. Hahn: Mit der Gründung der vfdb-Akademie setzt die vfdb einen bedeutenden Meilenstein für die Zukunft der Aus- und Weiterbildung in den Bereichen Schutz, Rettung und Sicherheit. Die Akademie dient als zentrale Plattform für den Wissenstransfer und bietet praxisnahe, wissenschaftlich fundierte Schulungen sowie Fachveranstaltungen an. Sie richtet sich ausdrücklich nicht nur an Feuerwehren, sondern möchte ein breites Zielpublikum ansprechen. Entsprechend der fachspezifischen Nachfrage können beispielsweise Ergebnisse aus Forschungsprojekten einfließen und zielgruppenorientiert aufgearbeitet werden. Damit leistet die vfdb-Akademie einen wichtigen Beitrag zum Transfer von Forschungsergebnissen in die Praxis.
Behörden Spiegel: Was sind die Ziele der Akademie?
Dr. Hahn: Zentrales Ziel der vfdb-Akademie ist der Wissenstransfer: Mithilfe des neuen Angebots können die in der vfdb erarbeiteten Erkenntnisse noch besser direkt zu den Menschen gelangen. Neben Resultaten aus Forschungsprojekten werden insbesondere Ergebnisse aus der Arbeit der Referate des Technisch-Wissenschaftlichen Beirats vermittelt, indem sie in praxisnahe und zukunftsorientierte Weiterbildungsformate sowie innovative Trainingsmethoden für Fachkräfte überführt werden. Ein erstes Highlight ist die Veranstaltung zum Merkblatt „Technische Hilfeleistung bei Straßen- und UBahnen“ des Referats 6 Fahrzeuge und technische Hilfeleistung, in der neben dem intensiven fachlichen Austausch mögliche Unfallszenarien praxisnah trainiert werden. Am 24. September 2025 lädt die vfdb dann zum Bausymposium ein. Hier werden Herausforderungen und Chancen beim Neubau und der Modernisierung von Feuerwehrgebäuden beleuchtet. Die Themen sind vielfältig und orientieren sich an den aktuellen Bedarfen der Anwenderinnen und Anwender.
Diese Entwicklungen machen deutlich: Die Gefahrenabwehr der Zukunft muss schneller, vernetzter und vorausschauender agieren. Davon zeigten sich der vfdb-Präsident und seine KI-Assistentin überzeugt.
Die Zukunft im Blick
Einsätze zur Verfügung stünden. Das mache neue Konzepte für Ausbildung, Organisation und Technik notwendig.
4. Die technologische Transformation – insbesondere durch Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und Robotik – verändere Ausrüstung und Einsatzführung grundlegend. Gleichzeitig würden neue Herausforderungen im Bereich der Cyber-Sicherheit entstehen.
5. Die zunehmende Komplexität der Gefahrenabwehr erfordere eine intensivere Zusammenarbeit aller relevanten Akteure – von Feuerwehr, Rettungsdienst und Polizei über das THW bis hin zu privaten Partnern.
Die vfdb werde dabei eine zentrale Rolle spielen, versprach Aschenbrenner. Sie verstehe sich als neutrale, unabhängige Plattform, die Wissenschaft, Praxis und Politik zusammenbringe. Ihre Aufgabe sei es, innovative Lösungen voranzutreiben und den Wissenstransfer zu sichern. Als Brückenbauerin zwischen den Akteuren sorge sie dafür, dass Standards und Best Practices kontinuierlich weiterentwickelt würden.
„Kurz gesagt: Die vfdb wird eine treibende Kraft sein, um die Gefahrenabwehr zukunftsfest zu machen – innovativ, vernetzt und strategisch“, erklärten Aschenbrenner und Dora
Dr.-Ing. Sarah-K. Hahn ist stellvertretende Generalsekretärin und Forschungskoordinatorin bei der vfdb.
Foto: BS/privat
Vfdb-Präsident
die 71. Jahresfachtagung in Koblenz. Foto: BS/Biskup-Klawon
Das Thema der sogenannten ungebundenen Spontanhelfenden ist in der vergangenen Dekade ausgiebig in Deutschland erforscht worden. Spontane Hilfe bei Katastrophen gehört zum Phänomenbereich der pro-sozialen, oft sogar altruistischen menschlichen Verhaltensweisen, die in Katastrophen stets dominieren – auch wenn die mediale Berichterstattung gelegentlich in eine andere Richtung geht. Darüber hinaus bleiben Menschen –nüchtern empirisch betrachtet –in Katastrophen und Krisen eher ruhig und besonnen. Beim jüngsten Stromausfall in Spanien gab es selbstverständlich Angst und Verunsicherung, eine Analyse der verfügbaren Presseberichte zeigte jedoch sowohl das Festhalten an sozialen Normen als auch pro-soziales Verhalten, keinesfalls einen Zerfall der Gesellschaft.
Dies lässt sich auch für die durch den Krieg und seine Begleiterscheinungen (z. B. Stromausfälle) geschundene Bevölkerung der Ukraine feststellen. Berichte legen nahe, dass der Krieg eher einer Alltagsintegration unterliegt. Denken wir an die ersten Kriegstage, so waren diese stark von organisierter und nicht organisierter Hilfe durch Bürgerinnen und Bürger geprägt, die zur Landesverteidigung beigetragen haben.
Spontane Hilfe in der Landesverteidigung
Vor diesem Hintergrund widmet sich die aktuelle Ausgabe der For-
Prof. Dr. Henning G. Goersch ist Leiter des Studiengangs B.Sc. Management in der Gefahrenabwehr und der Forschungsgruppe
Gefahrenabwehr am Institut für Public Management der FOM Hochschule. Foto: BS/privat Forschungskolumne
Spontanhelfende in der Landesverteidigung
schungskolumne Gefahrenabwehr der Frage, in welchem Maße es das Phänomen der spontanen Hilfe auch in der Landesverteidigung in Deutschland geben kann. Eine Übertragbarkeit aus zivilen Krisen scheint aufgrund der höheren Gefährdung der Helfenden nicht ohne Weiteres möglich zu sein.
Am wahrscheinlichsten wird sich eine spontane Unterstützung im Bereich der Zivilen Verteidigung, insbesondere im Zivilschutz, ergeben, da die Maßnahmen denen einer zivilen Krise weitgehend entsprechen. Um das Potenzial einer Hilfeleistung in diesem Bereich abschätzen zu können, wurde Forsa Sozialforschung beauftragt, eine repräsentative telefonische Befragung durchzuführen.
Überraschend deutliche Ergebnisse
Es wurde eine einleitende Frage gestellt, die sich auf spontane Hilfe in zivilen Katastrophen bezog: „Im Fall von Katastrophen, wie z. B. Überschwemmungen, gibt es neben den staatlichen Hilfs- und Rettungskräften immer wieder auch spontane private Hilfe. Haben Sie bereits einmal als Privatperson in einer Katastrophe in Deutschland vor Ort geholfen oder war das bisher noch nicht der Fall?“
Darauf aufbauend, wurde die zweite Frage gestellt: „Auch wenn alle hoffen, dass es nie dazu kommt: Stellen Sie sich bitte einmal vor, Deutschland befände sich infolge eines Angriffs von außen in einer kriegerischen Auseinandersetzung, ihre Region wäre aber nicht direkt betroffen. Wie wahrscheinlich wäre es, dass Sie in einem solchen Fall als Privatperson zivile Hilfe in betroffenen Landesteilen leisten würden, also z. B. bei der Versorgung der Menschen helfen würden? Wäre das sehr wahrscheinlich, eher wahrscheinlich, eher unwahrscheinlich oder sehr unwahrscheinlich?“
Diese Ergebnisse sind – vorsichtig formuliert – überraschend: In Bezug auf die erste Frage lässt sich festhalten, dass rund 20 Prozent der
Befragten angeben, bereits einmal privat bei einer Katastrophe geholfen zu haben. Kann diese Zahl auf die Gesamtbevölkerung übertragen werden? Das würde über 16 Millionen Menschen entsprechen. Selbst wenn man die letzten 25 Jahre mit einbezieht, ist diese Zahl rein auf Spontanhelfende nach gängiger Definition bezogen um den Faktor zehn zu hoch.
Abgesehen von dem Phänomen der sozialen Erwünschtheit, das bei Befragungen immer zu Verzerrungen führen kann, kann hier jedoch noch ein ergänzender Erklärungsansatz entwickelt werden: Neben den Spontanhelfenden, die aus nicht betroffenen Gebieten in das Schadensgebiet reisen, leisten auch viele Menschen in den betroffenen Gebieten selbst Nachbarschaftshilfe, die ebenso berücksichtigt werden müsste. Darüber hinaus waren während der Pandemie nahezu alle Menschen in Deutschland betroffen und es wurde in vielen Fällen gegenseitige Hilfe geleistet. Vor dem Hintergrund einer offeneren Definition sowohl des Begriffes „Katastrophe“ als auch des Begriffes „Spontanhelfende“ sind die Ergebnisse realistisch.
Nicht lokal begrenzt
Die Ergebnisse der zweiten Frage sind ebenso überraschend. Und sie sind vor allem eindeutig: Drei Viertel der Befragten können sich (sehr wahrscheinlich und eher wahrscheinlich) vorstellen, im Verteidigungsfall bei Nicht-Betroffenheit in anderen Landesteilen spontan Hilfe zu leisten.
Limitierend mag man einwenden, dass die Befragten sich ein Kriegsszenario gar nicht vorstellen können. Das ist sicherlich nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Zudem wird auch die soziale Erwünschtheit wieder eine Rolle gespielt haben. Nach Ansicht des Autors erklären beide Einwände aber nicht diese überwältigende Unterstützung: Erstens ist in der sozialwissenschaftlichen Forschung nie vollständig klar, ob
Permanente Beobachtung der Lage
Auswirkungen durch radioaktive Freisetzungen nach US-Angriff (BS/bk) Die Lage im Nahen Osten war sowieso schon angespannt genug. Der permanent schwelende Konflikt um Irans Atomprogramm eskalierte zu einem zwölftägigen Krieg zwischen Israel und dem theokratischen Staat. Die USA griffen ein und bombardierten die Atomanlagen mit bunkerbrechenden Bomben. Hätte eine anschließende Freisetzung von radioaktiven Stoffen Auswirkungen auf die Bundesrepublik gehabt?
Wie „erfolgreich“ der US-amerikanische Angriff auf die Atomanlagen und die Fähigkeiten des Irans, Uran anzureichern, war, lässt sich seriös von außen und ziviler Seite momentan kaum einschätzen.
Während die US-Administration um US-Präsident Donald Trump von einer Zerstörung des Programms spricht, zitieren US-Medien Geheimdienstberichte, die von wenig bis gar keiner Beeinträchtigung des Atomprogramms sprechen.
Keine vorbereitenden Maßnahmen nötig Auf deutscher Katastrophenschutzseite ist man dort schon etwas sicherer. „Nach derzeitiger Einschätzung liegen keine Hinweise auf erhöhte Strahlenwerte außerhalb der betroffenen Nuklearanlagen im Iran vor. Eine Gefährdung für die Bundesrepublik Deutschland infolge der Ereignisse ist aus fachlicher Sicht daher aktuell nicht zu erwarten“, heißt es vonseiten des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Vorbereitende oder weitergehende
Maßnahmen über die bestehenden Strukturen des Bevölkerungsschutzes hinaus seien angesichts der aktuellen Lagebeurteilung nicht erforderlich. Das BBK beobachte die Lageentwicklung in enger Abstimmung mit den zuständigen Fachbehörden, insbesondere dem Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), sehr aufmerksam. Eine zentrale Informationsquelle sei das Radiologische Lagezentrum des Bundes (RLZ), das eine kontinuierliche fachliche Bewertung vornimmt.
Schwierige Informationslage Auch das BfS zeigt sich entspannt, aber aufmerksam. Die Fachleute des BfS berechnen seit Oktober 2023 regelmäßig, welche Auswirkungen ein möglicher Unfall im Umgang mit radioaktiven Stoffen im Nahen Osten auf Deutschland hätte.
„Bei Beispielrechnungen für den Iran wäre dies statistisch an zwei Tagen im Jahr der Fall. Zusätzlich ist davon auszugehen, dass zwischen vier und sieben Tage
die Befragten sich einen Sachverhalt vorstellen können. Zweitens kann man der Bevölkerung auch unter Umständen mehr Verständnis zutrauen, als dies allgemein getan wird: Die Kriege der Welt sind medial allgegenwärtig. Drittens können Menschen sich in der Regel auch eine Katastrophe nicht vorstellen und fahren trotzdem – teilweise zu Zehntausenden – in die betroffenen Gebiete, um dort zu helfen.
Spontanhelfende mitplanen
Selbst wenn man verschiedene Einschränkungen berücksichtigt und die geäußerte Hilfsbereitschaft im Verteidigungsfall als weniger hoch ansetzt, bleibt noch sehr viel Hilfspotenzial übrig. Eingeschränkt würde dieses noch von der möglichen Eigenbetroffenheit der potenziell
Infos zur Untersuchung:
Helfenden. In diesem Fall würde sich das Potenzial jedoch in lokaler Nachbarschaftshilfe manifestieren. Letztlich bleiben zwei Lehren, die sich aus der Untersuchung und ihrer Diskussion ergeben: Bestehende Handreichungen und Konzepte zu Spontanhelfenden sollten um die Integration in die Zivile Verteidigung ergänzt werden. Darüber hinaus sollte diskutiert werden, wie mit spontanen Freiwilligen für den eher militärischen Part der Landesverteidigung umgegangen werden kann. Bricht man es auf eine binäre Entscheidung herunter, können auch kleine Maßnahmen des Widerstands aus der Bevölkerung (wie z. B. das Versperren von Straßen und Brücken) etwas bewirken und sollten daher nicht aus bürokratischen Gründen unterbunden werden.
Die operationalisierten Fragen wurden im Kontext einer Mehr-Themen-Befragung durch Forsa Sozialforschung im Zeitraum vom 13. bis 15. Mai 2025 in telefonischen Interviews (CATI) mithilfe einer Zufallsauswahl (d. h. repräsentativ für die deutsche Bevölkerung ab 14 Jahren) durchgeführt. Gewichtet wurde nach Region, Alter und Geschlecht. Befragte Personen: 1.004.
Abbildung 1: Ja, ich habe bereits als Privatperson geholfen. 19,8%
Nein, das war bisher noch nicht der Fall. 80,1%
Keine Angabe 0,1%
Abbildung 2: Sehr wahrscheinlich 31,7%
Eher wahrscheinlich 44,7%
Eher unwahrscheinlich 14,3%
Sehr unwahrscheinlich 8,2%
Weiß nicht 0,7%
Keine Angabe 0,3%
vergehen würden, bis radioaktive Luftmassen Deutschland erreichen würden“, so das BfS. Die freigesetzte Radioaktivität wäre dann bereits über ein großes Gebiet verteilt und entsprechend verdünnt worden, sodass selbst im schlimmsten Fall einer sehr erheblichen Freisetzung von radioaktiven Stoffen im Iran die Auswirkungen auf Deutschland so gering wären, dass keine Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung erforderlich wären. Es gebe zudem keine Meldungen über eine Freisetzung außerhalb der betroffenen Anlagen. „Das heißt: Für Deutschland können wir eine Gefahr ausschließen“, hält das Bundesamt fest. Das BfS arbeitete sehr eng unter anderem mit der IAEA, europäischen Nachbarländern, dem Auswärtigen Amt und dem Deutschen Wetterdienst (DWD) zusammen. Aufgrund der Lage seien die vorhandenen Informationen nur schwer zu überprüfen, allerdings werte das BfS viele unterschiedliche Quellen aus, um einen bestmöglichen Überblick zu erhalten und mögliche Falschmeldungen zu identifizieren.
F ür Haluk Görgün, den Präsidenten der türkischen Behörde für die Verteidigungsindustrie (SBB), verlief die Südasienreise zur INDO Defence 2025 in Indonesien äußerst erfolgreich. Von der Reise in das bevölkerungsreichste muslimische Land der Welt brachte Görgün den ersten Exportvertrag für das türkische Kampfflugzeug KAAN mit nach Hause. 48 Flugzeugmuster sollen in den 2030er-Jahren in Indonesien zulaufen – geschätzter Wert: zwölf bis 15 Milliarden USDollar. Doch damit reißen die Ambitionen nicht ab. Die türkischen Kampfjets für den Export sollen auch über ein national gefertigtes Triebwerk verfügen. Für die ersten Chargen des Flugzeugmusters, die bei den türkischen Luftstreitkräften zum Einsatz kommen sollen, sind zunächst aber noch Fabrikate aus den USA vorgesehen. Konkret handelt es sich um F110 GE 129 von General Electric.
Die Türkei rechnet damit, die ersten KAAN-Kampfjets im Jahr 2028 in Dienst zu stellen. Mit der Serienreife der nationalen Triebwerke vom Typ TF35000 ist allerdings nicht vor Anbruch des Jahres 2030 zu rechnen. Tusaş Engine Industries (TEL) aus Eskişehir arbeitet an dem Antriebssystem, das den türkischen Stealth-Kampfjet einmal mit 35.000 Pfund (knapp 156 Kilonewton) Schub vorantreiben soll. Wenn TEL seine Versprechen erfüllt, würde das türkische Triebwerk das zunächst verbaute US Modell um etwa 25 Kilonewton übertrumpfen.
Der unbemannte Verkaufsschlager
Während der (inter)nationale Einsatz des KAAN-Stealth-Fighter-Jets noch Zukunftsmusik ist, kann die Türkei bei einem anderen Luftfahrzeug schon jetzt Erfolge verzeichnen. Das unbemannte Luftfahrzeug (UAV) Bayraktar TB2 des türkischen Luftfahrtunternehmens
Neue Player auf dem Rüstungsmarkt
Asiatische Unternehmen auf Erfolgskurs
(BS/Jonas Brandstetter) Die durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ausgelöste Aufrüstung lässt die Nachfrage auf dem Rüstungsmarkt in historische Höhen schnellen. Davon profitieren nicht nur die etablierten Unternehmen aus den USA und Europa. Eine neue Generation an Rüstungsunternehmen in Asien macht den westlichen Platzhirschen mit innovativer Technologie zu erschwinglichen Preisen Konkurrenz.
Slowakei setzten die polnischen Streitkräfte den Kampfpanzer innerhalb des 1. Panzerbataillons der 9. gepanzerten Kavalleriebrigade ein.
Über Lizenz-Produkte zur Eigenentwicklung
Baykar kommt einschließlich der Türkei in 32 Ländern zum Einsatz. Größte Bedeutung hat dabei sicherlich die 2019 fixierte Beschaffung durch die Ukraine. Der größte Flächenstaat Kontinentaleuropas brachte das System umfänglich im Abwehrkampf gegen die russischen Streitkräfte zum Einsatz. Wie viele Systeme die Ukraine genau beschaffte und ob das Land immer noch über einsatzfähige Bayraktar TB2 verfügt, ist hingegen nicht bekannt. Des Weiteren nutzte Aserbaidschan die Drohne während des Konfliktes um Bergkarabach mit Armenien.
Vom Abnehmer zum Innovator Über Jahre zählte die Türkei zu den größten Rüstungsimporteuren innerhalb der NATO. Ausrüstung und Technik für die zweitgrößten Streitkräfte des Verteidigungsbündnisses wurden von westlichen Staaten – vornehmlich den USA – eingekauft. Davon musste das Land zwangsläufig in den 1970erJahren Abstand nehmen. Als Reaktion auf die türkische Invasion Zyperns 1974 sanktionierten die USA die Türkei und untersagten
Rüstungsexporte an den Bosporus. Die türkische Regierung zog daraus den Schluss, dass das Land über eigene rüstungsindustrielle Kapazitäten verfügen müsse. Diese Entwicklung gipfelte in der Gründung des Amtes für die Entwicklung und Unterstützung der Verteidigungsindustrie (SAGEB). In der Folgezeit legte die Türkei ihren Fokus auf die gemeinschaftliche internationale Entwicklung und Produktion von Rüstungsgütern. Weil sich der NATO-Mitgliedsstaat im Laufe der 90er-Jahre aber zusehends mit Export- und Einsatzeinschränkungen konfrontiert sah (unter anderem untersagte die Bundesrepublik in den frühen 90er Jahren Waffenexporte in die Türkei), strebte das Land mehr eigenständige Fähigkeiten an. Mit dem Umschwung der Nuller- in die 2010er-Jahre nahm der damalige und aktuelle Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan eine weitere Schärfung dieses rüstungspolitischen Profils vor. Der zehnte Entwicklungsplan (2014–2018) forderte eine wettbewerbsfähige Struktur für die Verteidigungsindustrie. Waffentechnologie und Logistik sollen in integrierter und nachhaltiger Weise von der einheimischen Industrie auf der Grundlage eigener Designs entwickelt und produziert werden. Diese Anstrengungen tragen Früchte. Im vergangenen Jahr war die Türkei elftgrößter Rüstungsexporteur der Welt, schenkt man den Daten des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) Glauben. 178 Staaten beschafften im vergangenen Jahr
türkische Rüstungstechnologie. Im Vergleich zum Zeitraum zwischen 2015 und 2019 entspricht das einer Zunahme von 103 Prozent. Abnehmer der türkischen Produkte sind dabei weniger Staaten in Europa, sondern vornehmlich im Nahen Osten. Die meisten Rüstungsprodukte exportierte die Türkei in den vergangenen fünf Jahren in die Vereinigten Arabischen Emirate, nach Pakistan und Katar.
Der Klassenprimus von der koreanischen Halbinsel
Wie man als aufstrebende Branche die westliche Industrie in die Schranken weist, macht Südkorea eindrucksvoll deutlich. Im Zeitraum 2020 bis 2024 behauptete sich Südkorea laut SIPRI-Rangliste als neunt erfolgreichster Rüstungsexporteur der Welt. Nebst China ist Südkorea damit der einzige asiatische Staat, der es in die Top Ten geschafft hat. Im Fünfjahreszeitraum konnte der südostasiatische Staat nach dem SIPRI-Trend Indikator Value (TIV) einen Wert von 3,097 Milliarden Euro exportieren. Zum Vergleich: Deutschland belegt Platz fünf auf der Liste. Das entspricht einem TIV von 7,98 Milliarden US-Dollar. Obwohl Südkorea sich global bei den Rüstungsexporten noch vielen „Westlern“ geschlagen geben muss, sind die heimischen Produkte absolut konkurrenzfähig. Das zeigt sich in Polen und Australien. In beiden Fällen gelang es den südkoreanischen Anbietern, die US-amerikanische und europäische Konkurrenz auszustechen. Statt für Rheinmetalls und KNDS Panzerhaubitze PzH2000 entschieden sich sowohl Norwegen als auch Polen für das südkoreanische Fabrikat K9 Thunder. Damit sind sie in guter Gesellschaft. Streitkräfte in Finnland, Indien und Australien bringen das System zum Einsatz. Seit Vertragsabschluss im März dieses Jahres wird mit Vietnam
noch ein weiterer Anwender hinzukommen. Der südostasiatische Staat wird das erste kommunistische Land, das südkoreanische Waffentechnik beschafft. Auch der koreanische Kampfpanzer K2 Black Panther findet international Abnehmer. Statt den deutschen Leopard 2 beschaffte Polen im Jahr 2021 das Modell aus Südkorea. Offensichtlich sind die Osteuropäer mit ihren neuen Kampfpanzern zufrieden. Im April dieses Jahres wurde bekannt, dass Polen weitere Kampfpanzer erwerben wird. Die Regierung in Warschau investiert 5,44 Milliarden Euro in die Beschaffung 180 zusätzlicher K2. Einen Monat später brachte Polen seine koreanischen Kampfpanzer zum ersten Mal im NATOKontext zum Einsatz. Im Rahmen der Übung Slovak Shield 25 in der
Südkoreas Aufstieg zum internationalen Player auf dem Rüstungsmarkt war allerdings kein Selbstläufer. Die Entwicklung findet ihren Ausgangspunkt in den 70er-Jahren. Angesichts der abnehmenden Bereitschaft der USA, für Südkorea militärisch einzustehen und des zunehmend aggressiven Gebaren Nordkoreas strebte das Land unter Präsident Park Chung-hee an, die nationalen Kapazitäten der Verteidigungsindustrie auszubauen. Das Sondergesetz zur Förderung der Verteidigungsindustrie aus dem Jahr 1974 und der National Investment Fund aus demselben Jahr sollten dem Vorschub leisten. Damit waren die Rechtsgrundlage für die Förderung der Rüstungsindustrie und direkte finanzielle Investition in selbige geschaffen. Produziert wurde in dieser Zeit vornehmlich unter Lizenz US-amerikanischer Hersteller oder die Technik der USA wurde schlicht kopiert. Mit der demokratischen Transformation im Jahr 1987 erfolgten auch Reformen zum Umgang mit der Verteidigungsindustrie. Die Regierung unter Roh Tae-woo verfolgte das Ziel, die Lücken, welche die anstehende Reduktion US-amerikanischer Truppen im Land hinterließ, mit eigenen Fähigkeiten zu stopfen. Die Streitkräfte Südkoreas sollten zu diesem Zweck ein gemischtes Arsenal aus hochmodernen, aber teuren Waffen und einfacheren preisgünstigeren Systemen erhalten. Beschaffungs- und Entwicklungsvorhaben wurden diesem Ziel entsprechend ausgerichtet. Unter Präsident Roh Moo-hyun erfuhr dieser Ansatz in den 2000erJahren eine weitere Zuspitzung. Der neu gegründete Ausschuss für Verteidigungsreformen verfolgte den Anspruch, die Durchschlagsfähigkeit der Streitkräfte trotz abnehmender Truppenstärke zu steigern. Gelingen sollte dies durch die Integration Südkoreas wachsender technologischer Fähigkeiten in die Rüstungsindustrie.
Rüstungsexporte in Milliarden
An diesem Technologiefokus hält das Land fest. Mit dem „Defense Acquisition Program“ vom April 2022 strebt Südkorea an, Kerntechnologien für künftige fortschrittliche Waffensysteme zu sichern und fortzuentwickeln. Eine wettbewerbsfähige nationale Verteidigungsindustrie ist dabei ein Kernelement. Gleichzeitig steckt sich die südkoreanische Regierung hohe Ziele. Bis zum Jahr 2027 soll das Land zum viertgrößten Waffenexporteur weltweit aufsteigen. Beim Import ist Indien ein Champion
Die größte Demokratie der Erde gehört auch zu den größten Rüstungsimporteuren des Planeten. Laut SIPRI-Daten war Indien im Jahr 2024 der drittgrößter Waffenimporteur weltweit. Indien importierte im Zeitraum 2020 bis 2024
hinter der Ukraine die zweitmeisten Waffen weltweit. Der globale Anteil in dieser Zeitspanne beläuft sich auf 8,3 Prozent. Traditionell kommt vor allem russische Technik bei den indischen Streitkräften zum Einsatz. Allerdings ist die rüstungsindustrielle Partnerschaft zwischen dem größten und dem bevölkerungsreichsten Land der Welt seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine spürbar abgekühlt.
Dennoch steht Russland weiterhin mit einem Anteil von 36 Prozent an indischen Waffenimporten auf Platz eins – dicht gefolgt von Frankreich mit 33 Prozent. Der Trend ist aber eindeutig: Zwischen 2015 und 2019 belief sich der Anteil russischer Produkte an indischen Waffenimporten noch auf 55 Prozent. In der halben Dekade zuvor waren es sogar 72 Prozent. An die Stelle Russlands treten westliche Staaten
– insbesondere Frankreich, die USA und Israel. Darüber hinaus wird auch die heimische Waffentechnologie zunehmend konkurrenzfähiger.
„Unternehmen aus dem gesamten Spektrum der Verteidigungsproduktion werden von der anhaltenden Ausweitung der Haushaltsausgaben seit 2015 profitieren “
Suprio Banerjee, Vice President und Co-Group Head, Corporate Ratings ICRA
Die große Diskrepanz
Die Europäer konnten Russland
Während der indische Subkontinent bei den Waffenimporteuren seit Jahren fest auf dem Treppchen steht, konnte sich die auf indischem Boden entwickelte Rüstungsindustrie auf dem Weltmarkt bisher kaum durchsetzen. Auch die Bedarfe der landeseigenen Streitkräfte kann die Industrie bisher nicht decken. An diesem Umstand nahm die indische Regierung unter Premierminister Narendra Damodardas Modi Anstoß. Im Rahmen der Initiative „Atmanirbhar Bharat“, welche die indische Regierung als Reaktion auf die Corona-Pandemie startete, strebt das bevölkerungsreichste Land der Erde nach mehr Unabhängigkeit und Eigenständigkeit („ self-reliance“). Das schließt auch die Verteidigungsfähigkeit und damit die Industrie mit ein. Folgerichtig bemüht sich die indische Regie-
Mit Deklarationen ist es wie mit Banknoten – nicht der Aufdruck ist entscheidend, sondern die Kaufkraft oder Substanz, die damit verbunden ist. Angesichts der gegenwärtigen sicherheitspolitischen Lage, der teilweise sehr irritierenden Äußerungen des amerikanischen Präsidenten seit dessen Amtsantritt zu wichtigen Themen wie Ukraine, Russland und zum Artikel 5 des Nordatlantik-Vertrages, musste es in erster Linie darum gehen, die Amerikaner an Bord zu behalten. Das soll den Europäern Zeit verschaffen, um ihre Verteidigung auf eine eigene europäische Basis zu stellen. Mit der Formulierung in Absatz 1 der Deklaration „We reaffirm our ironclad commitment to collective defence as enshrined in Article 5 of the Washington Treaty that an attack on one is an attack on all”, sowie der klaren Aussage zur langfristigen Bedrohung der Allianz durch Russland scheint dies zunächst gelungen zu sein – und dieses Verdienst kann sich der neue NATO-Generalsekretär Mark Rutte auf seine Fahnen schreiben.
Diesem Punkt wurden allerdings alle anderen Aspekte untergeordnet: die Aussage zur Unterstützung der Ukraine bleibt vage: „Allies reaffirm their enduring sovereign commitments to provide support to Ukraine, whose security contribu-
rung um ein bestmögliches Klima für ihren Verteidigungssektor. Maßnahmen, um ausländischen Investoren das Investment in die indische Industrie zu erleichtern und ein wachsender Verteidigungshaushalt sind hier zu nennen. Diesen Umständen entsprechend blickt die indische Rating-Agentur ICRA Limited optimistisch auf die Zukunft der heimischen Industrie. Im Geschäftsjahr2026 rechnet sie mit einem Umsatzwachstum von 15–17 Prozent. Die Agentur stützt ihre Prognose auf die Beschleunigung der Auftragsabwicklung und die prall gefüllten Auftragsbücher. „Nach der Analyse von ICRA werden Unternehmen aus dem gesamten Spektrum der Verteidigungsproduktion – Land, Marine, Luftfahrt, Rüstung und Munition sowie IKT – von der anhaltenden Ausweitung der Haushaltsausgaben seit 2015 profitieren“, so Suprio Banerjee, Vice President und Co-Group Head Corporate Ratings. Sie werde sich voraussichtlich in gesunden Auftragseingängen niederschlagen, da die Regierung die inländische Beschaffung weiter erhöht. Indien stampft Defence Industry Park aus dem Boden Wie sich das Ziel Kapazitätsausbau und ausländische Investitionen in der Praxis niederschlägt, lässt sich in Ratnagiri im Bundesstaat Maharashtra beobachten. Dort soll der größte verteidigungsindustrielle Komplex Südasiens entstehen. Unter der Führung der Reliance Group von Anil D. Ambani soll am Standort
unter anderem eine neue Produktionsstätte im Industriegebiet Watad entstehen. Nach deren Inbetriebnahme verspricht das Unternehmen eine jährliche Produktionskapazität von bis zu 200.000 Artilleriegranaten, 10.000Tonnen Sprengstoff und 2.000Tonnen Treibladungspulver.Dabei sucht Ambani die Unterstützung westlicher Partner. Bis zu sechs europäische oder USamerikanische Unternehmen sollen im Rahmen von Joint Ventures Teil des Projektes werden. Mindestens zwei davon kommen aus Deutschland. Im Mai verkündete Rheinmetall, dass man mit der verantwortlichen Reliance Defence Ltd. ein Joint Venture eingegangen sei. Ziel ist die gemeinsame Produktion von Sprengstoffen und Treibmitteln für mittel- und großkalibrige Munition. „Diese strategische Partnerschaft unterstreicht unser verlässliches Engagement für Indien unter der starken Führung von Premierminister Modi“, so Rheinmetall-CEO Armin Papperger. Vergangenen Monat zog das baden-württembergische Rüstungsunternehmen Diehl Defence nach. Ein Joint Venture mit der Reliance Group soll zur gemeinschaftlichen Produktion von 155 mm Munition beitragen.
NATO Summit 2025
Gipfel einer „Nations Appeasing Trump Organisation “?
(BS/th) Mit der kürzesten Summit Declaration in der Geschichte der Allianz wurde Ende Juni der NATO-Gipfel in Den Haag beendet. Während die Deklarationen anderer Gipfel bis zu 139 Paragrafen umfassten, beinhaltet die gegenwärtige gerade einmal fünf, von denen einer dem Dank an die Host Nation Niederlande gewidmet ist – kann dies ein hinreichender Indikator für einen erfolgreich verlaufenden Gipfel sein oder ist es eher ein Zeichen, dass das auf nunmehr 32 Nationen angewachsene Bündnis sich nicht auf viele Themen einigen konnte?
tes to ours, and, to this end, will include direct contributions towards Ukraine’s defence and its defence industry when calculating Allies’ defence spending.“ Zusagen oder mögliche Wege für eine NATO-Mitgliedschaft finden sich gar nicht mehr in dem Dokument.
Die sich gerade jetzt auf einem Höhepunkt befindenden Konflikte, die Fragilität und Instabilität in Afrika und im Nahen Osten mit ihren direkten Auswirkungen auf die Sicherheit sowie die in den vergangen Jahren immer stärker betonten Ambitionen der Volksrepublik China und die daraus resultierenden Herausforderungen für die Interessen der Allianz und die regelbasierte internationale Ordnung sind seit Ende Juni nicht einmal mehr eine Erwähnung wert. Dies ist sicher kein Ausfluss einer aktualisierten Bedrohungsanalyse, sondern ein klares Zeichen, dass sich alle brennenden Themen diesem einen Punkt „to keep the Americans in“
unterordnen mussten. Diese Entwicklung kann man sicherlich kritisieren, aber Mark Rutte tat gewiss gut daran, sich auf diesen Punkt und auf höhere Verteidigungsausgaben zu fokussieren.
Die doppelte Fünf Die erzielte Einigung auf fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsausgaben ist untrennbar mit dem Bekenntnis des US-amerikanischen Präsidenten zur Beistandsverpflichtung gemäß Artikel 5 des Nordatlantikvertrages verbunden. Diese „Doppel-Fünf“ stellt das Kernelement der neuen Deklaration dar und hat das Potenzial, zu einem historischen und bedeutsamen Schritt in die neue Realität zu werden. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der kritischen Stimmen aus Ländern wie Ungarn und der Slowakei, aber auch aus Spanien. Für die europäischen NATO-Staaten bedeutet dies einen wichtigen
Zeitgewinn, um ihre eigene Verteidigungsfähigkeit zu stärken und autarker zu gestalten – ein Schritt, der längst überfällig war. Die Frage bleibt, wie die Nationen dieses Bekenntnis mit Leben füllen. Bereits nach der russischen Annexion der Krim 2014 einigten sich die Alliierten darauf, jährlich zwei Prozent des BIP für die Verteidigung zu verwenden. Tatsächlich haben bis zum Jahr 2021 gerade einmal sechs Nationen diese Selbstverpflichtung auch umgesetzt. Seit der russischen Aggression gegen die Ukraine ist diese Zahl auf immerhin 23 angewachsen.
Europa muss sich koordinieren Die neue Zielmarke wird für viele Nationen eine Benchmark darstellen, die nicht die volle Unterstützung der Bevölkerung finden und nur unter Aufgabe oder Verminderung anderer wichtiger Ziele zu erreichen sein wird. Alle auf dieses Ziel ausgerichteten Aktivitäten soll-
ten darüber hinaus von dringend erforderlichen Maßnahmen zur Konsolidierung der europäischen Rüstungsindustrie begleitet sein. Nur so kann der seit vielen Jahren angestrebte höhere materielle Interoperabilitätsgrad erreicht werden, dessen Umsetzung noch immer an nationalen Egoismen mit entsprechenden Auswirkungen auf die Kosten und den logistischen Aufwand scheitert. Das beste Beispiel hierfür sind die Projekte „Future Combat Air System“ von Deutschland, Frankreich und Spanien und das konkurrierende „Global Combat Air Programme“ von Großbritannien, Italien und Japan. Zwei hochtechnische, kostenintensive Statusprojekte anstelle eines gemeinsamen Projektes, womit Kosten und Zeit gespart, Fähigkeiten gebündelt und Synergien erzielt werden könnten. In der gegenwärtigen Situation mag zunächst in Teilbereichen der schnelle Aufbau von Grundbefähigungen Priorität haben. Mittel- bis langfristig ist aber nicht die möglichst schnelle Ausgabe der verfügbaren Mittel gefragt, sondern der zielgerichtete Ausbau interopera_ bler europäischer Fähigkeiten für die Allianz mit einer kostensparenden, konsolidierten und leistungsfähigen Rüstungsindustrie. Womit wir wieder bei der Banknote wären. Wake up, Europe!
(BS/Anna Ströbele) Anja Voß spricht beruflich sehr viel: mit Kommunalverwaltungen aus ganz Schleswig-Holstein, mit Vereinen und Software-Unternehmen und natürlich auch mit ihren Kolleginnen und Kollegen des DigitalHubs.SH. Thema ist dabei stets die Entwicklung und Nutzung von Open-Source-Software mit dem Ziel, die Unabhängigkeit von großen Technologieanbietern zu stärken. Die Projektmanagerin ist von der Notwendigkeit und Dringlichkeit dieser Mission überzeugt. Und sie glaubt auch: Das geht nur gemeinsam.
Im Sommer 2024 wollte Anja Voß ihren Reisepass im Kieler Rathaus (Gebäude im Hintergrund) beantragen, doch wegen einer weltweiten IT-Störung war dies nicht möglich. Dieser Vorfall bestätigt die große Bedeutung der IT für unsere heutige Welt. Foto: BS/Ströbele
Es ist ein warmer Tag in Kiel. Reichlich Sonne, kaum Wind – eigentlich ungewöhnlich für die norddeutsche Stadt am Meer, die für ihr Schietwetter bekannt ist. Der Balkon der WT.SH (Wirtschaftsförderung und Technologietransfer Schleswig-Holstein GmbH) wird kräftig bestrahlt. „Heute Mittag wäre mir das schon zu warm, um hier zu sitzen", meint Anja Voß, Projektmanagerin im DigitalHub. SH, einem Projekt der WT.SH. Fünf Mitarbeitende kümmern sich dort derzeit um die Umsetzung der Landesmission, mehr Souveränität in die IT zu bringen, insbesondere der öffentlichen Verwaltung. Voß ist eine von ihnen. „Ich rette nicht die Welt. Es geht nicht um ökologische Nachhaltigkeit. Aber bezogen auf die Digitalisierung, glaube ich, dass ich gerade das Richtige mache, um etwas zu erreichen, das uns allen wichtig ist“, sagt sie.
sie sich entschied, zunächst eine Ausbildung zur Zimmerin zu machen. Danach informierte sie sich über das Angebot der Kieler Fachhochschule und begann das Studium der Betriebswirtschaftslehre (BWL). Ihr sagten sofort die kleineren Gruppen und die Module zum Projektmanagement und mit Bezug zur Informatik zu. Ihr dreimonatiges Pflichtpraktikum absolvierte sie dann bei einem Software-Hersteller und arbeitete dort während des Studiums als Product Ownerin weiter. Die Logiken der Digitalisierung begeisterten sie zu einer Zeit, in der sie selbst noch mit einem Tastenhandy unterwegs war. Ihr war wichtig, die ihr noch fremde „Bürowelt“ kennenzulernen und Erfahrungen in dem Bereich zu sammeln, in dem sie später arbeiten würde. „Fachlich habe ich sicherlich viel mitgenommen, aber vor allem habe ich gelernt, flexibel zu sein“, erzählt Voß
Wer sich ihren Lebenslauf ansieht, könnte auf die Idee kommen, dass sie lange nicht wusste, was sie beruflich machen will. Oder dass sie immer wieder ihre Meinung geändert hätte. Zwar hatte sie als Heranwachsende nicht ihre heutige Position vor Augen. Vieles von dem, was sie heute tut, hätte sie sich als Jugendliche wohl auch nicht zugetraut, sagt sie. Doch jede Station ihres Lebens hätte zu dem Zeitpunkt Sinn ergeben. Und aus jeder einzelnen Erfahrung zieht sie heute etwas: wenn nicht Fähigkeiten, dann das Wissen darum, welche Arbeitsbedingungen für sie nicht in Ordnung sind.
Vom Bau ins Büro
In der Schule fiel Voß ihren Lehrkräften durch ihre besonders guten Mathefähigkeiten auf. Da sie zudem den Leistungskurs Kunst belegte, wurde ihr der Beruf der Bauingenieurin oder Architektin nahegelegt. Ein Praktikum im Bauhauptgewerbe war vor dem Studium Pflicht. Die Arbeit gefiel ihr dann so gut, dass
Allein, sich auf unterschiedliche Tools einzustellen und verschiedene Arbeitsbedingungen zu erleben, helfe dabei, grundsätzlich besser mit Wechsel klarzukommen. Als sie im Spätsommer 2023 schließlich zum DigitalHub.SH kam, gab es diesen eigentlich noch gar nicht. Voß durfte ihn von Beginn an mitaufbauen – eine tolle Gelegenheit, wie sie fand. Doch bevor sie das theoretische Methodenwissen aus ihrem Studium in die Praxis umsetzen konnte, stand für sie zuerst ein Onboarding an. Open Source war ihr als Thema damals neu, genau wie die Welt der digitalen Verwaltung mit all ihren Akteuren und komplexen Zuständigkeiten. „Erst einmal durfte ich viel lesen und verstehen. Ich habe gemerkt, das ist ein superwichtiges Thema und hatte die Ahnung, dass das etwas Großes werden kann“, erinnert sie sich. Sie freute sich, Teil der Open-Source-Community zu werden – „die tickt irgendwie anders, der Umgang miteinander ist sehr angenehm“.
In der Digitalisierungsstrategie des Landes Schleswig-Holstein ist die Souveränität ein großes Thema. Diese soll unter anderem mit Hilfe von Open Source erreicht werden. Mit dem DigitalHub.SH wurde ein „Knotenpunkt“, also eine Anlaufstelle und ein Netzwerk für Interessierte, geschaffen. Genau das zeigt sein Logo: drei miteinander verbundene Punkte, welche die Verwaltung, Zivilgesellschaft und Wirtschaft repräsentieren.
Beraten und testen In ihrer Position vermittelt Voß sehr viel zwischen den drei Gruppen. Sie berät Verwaltungen beim Einreichen ihrer Projekte bei einem „Call for Concepts zum Landesprogramm Offene Innovation“, welches aktuell in zweiter Runde Ideen für OpenSource-Lösungen sucht, dessen Entwicklung anschließend finanziell unterstützt wird. Voß begleitet die ausgewählten Projekte durch den Prozess und berät sie dabei. Sie testet auch mal selbst intensiv Software für das eigenen Team – eine willkommene Abwechslung zu ihrem kommunikationsreichen Alltag. Und sie besucht regelmäßig Veranstaltungen – externe wie solche des DigitalHubs selbst. Für das Netzwerken empfiehlt sie als Einstiegsfragen: „Was bringt dich heute her?“ oder „Was würdest du sonst machen, wenn du heute nicht hier wärst?“ Die Projektmanagerin weiß: „Vielleicht gehst du nach Hause und denkst: ‚Oh, das war so unangenehm.‘ Aber das denken alle am Anfang.“
Voß arbeitet im Büro der WT.SH, die etwa 150 Mitarbeitende hat, und im Homeoffice und befürwortet diesbezüglich eine flexible Regelung. Kultur könne man nicht durch bloße Anwesenheit im Büro erzwingen, glaubt sie – es hänge vielmehr davon ab, „ob man gemeinsame Anknüpfungspunkte hat oder nicht, nicht ob man sich im Flur begegnet“. Natürlich müsse die Kommunikation rund ums Homeoffice klar sein. Auf die Frage, welche Fähigkeiten sie für ihren Arbeitsalltag braucht, nennt Voß an erster Stelle die Geduld, einerseits mit der unterschiedlichen Geschwindigkeit von Entscheidungsprozesse im Vergleich zur freien Wirtschaft und andererseits mit „vielen Fragen von Institutionen, die noch am Anfang stehen beim Verständnis von Open Source“. An zweiter Stelle stehen für sie die adressatengerechte Kommunikation, „also dass man sich auf jeden Menschen neu einstellt und guckt, wo er steht“, und eine „gewisse Service-Mentalität“, also Leute nicht von oben herab zu behandeln. Sie merkt, dass oft durch persönliche Gespräche wirklich „etwas hängen bleibt“. Essenziell seien zudem die
Aufgabenorganisation – zwischen der langfristigen Planung und akut aufkommenden Themen – sowie Resilienz gegenüber plötzlich aufkommenden politischen Entscheidungen und Prozessen. Der DigitalHub.SH untersteht schließlich der Staatskanzlei.
„Wir schützen mit dem, was wir tun, einen Teil unserer Demokratie, indem unsere Ämter und Kommunen handlungsfähig bleiben.“
Am Anfang hat sich Anja Voß manchmal „wie die mit dem AluHut“ gefühlt, wenn sie von den Vorteilen von Open Source erzählte. Doch dann wurde Donald Trump erneut zum Präsidenten der USA gewählt und die geopolitische Lage entwickelte sich so, wie es sich die wenigsten getraut hätten zu prognostizieren. Die Entwicklungen geben ihrer Arbeit und der Landesmission Recht: „Wir schützen mit dem, was wir tun, einen Teil unserer Demokratie, indem unsere Ämter und Kommunen handlungsfähig bleiben.“ Sie ist davon überzeugt, an etwas Gutem mitzuarbeiten: „Das fühlt sich ganz fantastisch an und gibt mir Motivation.“ Jetzt scrollt sie auch mal im Feierabend durch Fachartikel und markiert solche, die sie am nächsten Tag im Team besprechen möchte. Um trotzdem eine Work-Life-Balance zu erhalten, achtet sie auf ein paar Dinge: Manche Apps hat sie nur auf ihrem Diensthandy installiert, sie teilt ihre private Nummer in der Regel nicht mit ihren Kollegen, im Urlaub will sie nicht kontaktiert werden und sie befolgt die klaren Vorschriften des Tarifrechts, welche eine maximale Arbeitszeit vorgeben. Außerdem setzt sie Blocker in ihren Kalender, wenn sie mit ihrem kleinen Neffen Zeit verbringt. Diese würden von allen respektiert. „Ich habe mich schon einmal reichlich überarbeitet, deswegen kenne ich die Signale und kann meine Grenzen mittlerweile wahren“, erzählt Voß
Lieber gemeinsam als gegeneinander
DigitalHub.SH
Der DigitalHub.SH ist ein Projekt der Wirtschaftsförderung und Technologietransfer Schleswig-Holstein GmbH (WT. SH). Er soll ein Knotenpunkt für die digitale Souveränität im Land sein und die öffentliche Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft auf dem Weg zur Nutzung von Open-Source-Software unterstützen. Der DigitalHub untersteht der Staatskanzlei und hat derzeit fünf Mitarbeitende. Das Team befindet sich noch im Aufbau.
Neben der Arbeit findet sie Spaß an ihren Hobbies: Sie bastelt gerne an Möbelstücken, hat zum Beispiel vor kurzem einen Tisch restauriert. Und sie hat LEGO für sich entdeckt, eine Aktivität, die sie mit ihrem Partner teilt. Inzwischen besucht sie sogar Events, bei denen neue Sets vorgestellt werden. Vor ihrem Beruf in Vollzeit war sie auch stark ehrenamtlich aktiv, etwa im Sanitätsdienst und in der Flüchtlingshilfe. Sie ist nach wie vor davon überzeugt, dass ein solches Engagement sehr wichtig ist, doch heute ist ihre Zeit knapp bemessen. Dafür unterstützt sie nun im DigitalHub.SH auch Projekte aus dem Ehrenamt. Besonders stolz ist sie auf „Firemon 112“: Ein kleiner Verein aus Norderbrarup hat 300.000 Euro bekommen, um ein Open-Source-System zur Einsatzvorbereitung und -verwaltung zu weiterzuentwickeln. 93 Feuerwehren nutzen dieses bereits nach. Der Entwickler ist hauptberuflich in der IT tätig und in der Freiwilligen Feuerwehr aktiv. Mit dem Verein Firemon112 e.V. kümmern er und seine Kameraden sich in ihrer Freizeit um die Programmierung. Generell trifft Voß ständig auf Menschen, die wie sie sehr motiviert sind, und Dinge gemeinsam angehen möchten. Das kommt ihr gerade recht, denn kompetitiv ist sie überhaupt nicht: „Ich habe mal gemerkt, dass ich im Volleyball meinem Gegner den Ball zuspiele, weil es mir mehr Spaß macht, den Satz am Leben zu halten als den Satz zu gewinnen.“ Eine Lektüre inspiriert sie daher besonders: Das Buch „Im Grunde gut“ von Rutger Bregman kommt zu dem Schluss, dass Menschen eigentlich besser sind als oft angenommen und vor allem in der Gruppe und in der Zusammenarbeit ihre Stärke beweisen. Anja Voß ist auch Mitglied im Frauennetzwerk „Women in Digital Areas“. Es ist ihr ein Anliegen, die Sichtbarkeit von Frauen in der Digitalisierung zu stärken und zum Beispiel bei der Besetzung von Panels auf einen gleichen Anteil zu achten. Doch eigentlich fange es schon viel früher an: bei den Eltern, in der Kita, in der Schule. „Kindern muss klar gemacht werden, dass alles okay ist und sie nicht aufgrund ihres Geschlechts bestimmte Dinge machen sollten, andere wiederum nicht“, sagt sie. Ihr selbst sei oft vermittelt worden, „falsch“ zu sein – aufgrund ihrer Interessen für Mathematik, Handwerk und Computer. Glücklicherweise ist sie trotzdem ihren Weg gegangen – und hat noch lange nicht das Ende erreicht. Sie möchte mehr Aufmerksamkeit für die entwickelten Open-Source-Lösungen schaffen und diese bis Ende des Jahres auf der Plattform openCode zur Nachnutzung bereitstellen. Außerdem möchte sie sich zu technischen und rechtlichen Themen weiterbilden, um alle Seiten besser verstehen zu können. Wie während ihrer Ausbildung auf dem Bau ist sie heute noch gerne draußen. „Früher haben sich die Jahreszeiten viel länger angefühlt, weil man sie direkt miterlebt hat“, erzählt Voß. Im Büro ist sie den Temperaturbedingungen weniger ausgesetzt – für manche wäre das ein Vorteil, für sie nicht. Sie liebt das Klima ihrer Heimat, den Wind und die damit einhergehende frische Luft, aber auch die Ostsee, das viele Grün in ihrem Viertel Elmschenhagen-Kroog, die singenden Vögel, die Nähe zu ihrer Familie, die immer besser werdenden Fahrradwege und die norddeutsche Art: „Ich habe keinen Grund hier wegzuziehen.“
Anja Voß bespricht sich gerne bei größeren Themen mit ihren Kollegen – wenn nicht online, dann wie hier im Meetingraum der WT.SH. Foto: BS/Ströbele