38 minute read

Fünf Thesen zur Digitalisierung der Landstreitkräfte .........................Seite

Behörden Spiegel: Was genau ist die Ertüchtigungsinitiative und seit wann existiert sie?

von Weyhe: Die Ertüchtigungsinitiative der Bundesregierung – ein gemeinsames Instrument des Auswärtigen Amts und des Bundesverteidigungsministeriums – besteht seit 2016. Die deutsche Außen- und Sicherheitspolitikpolitik sollte hierdurch Mittel erhalten, um Sicherheitsinstitutionen in Partnerländern konkret unterstützen zu können. Die Ertüchtigungsinitiative ist somit ein Teil des Instrumentenkastens, mit dem wir früher, zielgerichteter und konkret unterstützend in Krisenregionen ansetzen wollen. Die Ertüchtigungsinitiative unterscheidet sich von anderen Instrumenten insofern, als dass dies der einzige Titel ist, der in der Bundesregierung von zwei Häusern gemeinschaftlich bewirtschaftet wird.

Dronia: Die Bundesregierung will mit dieser Initiative dazu beitragen, präventiv gegen schwelende Konflikte vorzugehen. Diese Konfliktverhütung durch Ursachenbekämpfung ist ein wesentlicher strategischer Ansatz unserer Außen- und Sicherheitspolitik. Sicherheit ist ein sehr kostbares Gut, an dem es in vielen Regionen dieser Welt mangelt, was oft genug auf die mangelnde oder gar fehlende Handlungsfähigkeit von Regierung und Staatswesen zurückzuführen ist. Hier leistet die Ertüchtigungsinitiative einen wichtigen Beitrag.

Behörden Spiegel: Wer sucht die Regionen aus?

Dronia: Dazu gibt es einen eingespielten Prozess. Wir sitzen regelmäßig mit dem Auswärtigen Amt zusammen und besprechen, wo wir mit Blick auf die Möglichkeiten unserer Initiative Handlungsbedarf in dieser Welt sehen, um mit den dort vorhandenen Regierungsvertretern ins Gespräch zu kommen. Es zeigt sich aber auch, dass Dinge sich nicht von heute auf morgen verändern, sodass Partner der Ertüchtigungsinitiative, die im Jahre 2016 mit dabei gewesen sind, teilweise auch im Jahr 2021 noch Nutznießer der Initiative sind.

von Weyhe: Unsere Unterstützung staatlicher Sicherheitsakteure zielt auf Kernaspekte staatlichen Handelns und ist daher ein sehr politischer Prozess. Unser Ziel ist es, staatliche Sicherheitsstrukturen zu ertüchtigen, damit diese wiederum für die Bevölkerung Sicherheit erbringen. Dadurch stärken wir letztendlich die staatliche Legitimität und das staatliche Gewaltmonopol. Die fortlaufende Berichterstattung aus den Botschaften, den Einsatzkontingenten der Bundeswehr wie auch den eingesetzten militärischen Beratern liefert uns wertvolle Informationen, wer als Partner der Ertüchtigungsinitiative geeignet sein könnte.

Behörden Spiegel: Die Partner müssen also stabile Staaten sein?

Dronia: Failing States sind keine Partner der Ertüchtigungsinitiative. Es bedarf eines gewissen Grundsockels an Staatlichkeit, auf den wir aufsatteln können. Wir wollen natürlich mit unserer Initiative verhindern, dass aus einem labilen – das ist noch nicht fragil – ein Failing State entsteht.

von Weyhe: Die Frage nach der genauen Abgrenzung ist natürlich sehr schwierig. Es braucht zwar eine gewisse Staatlichkeit, diese kann aber eine regional sehr umrissene Staatlichkeit sein. Nehmen wir als Beispiel Libyen oder Somalia, wo man sicherlich nicht schon von einer Gesamtstaatlichkeit sprechen kann. Hier können wir die regionalen Sicherheitsakteure unterstützen und gewissermaßen die sicheren Inseln des Landes fördern. Das kann auf Provinzebene sein oder nur in der Hauptstadt, um im Ansatz wieder die Funktionalität des Staates mit aufzubauen. Aber vom Grundgedanken haben Sie Recht, es bedarf gerade im Sicherheitsbereich eines funktionierenden Staatsgefüges.

Stärkung der Sicherheit von Staaten

Die Ertüchtigungsinitiative der Bundesregierung

(BS) Nicht nur unter humanitären Gesichtspunkten hat Deutschland ein Interesse daran, dass im Grunde alle Regionen der Erde ein funktionierendes Sicherheitsgefüge besitzen. Schließlich bedrohen Terrorismus oder Organisierte Kriminalität, die in instabilen Regionen entstehen, direkt auch die Sicherheit der deutschen Bevölkerung. Zur Stärkung der Staaten hat die Bundesregierung unter anderem die Ertüchtigungsinitiative in der gemeinsamen Verantwortung von BMVg und Auswärtigem Amt ins Leben gerufen. Der Behörden Spiegel sprach mit den Urhebern dieser Ertüchtigungsinitiative, Oberst i.G. Jörg Dronia (BMVg) und Dr. Ferdinand von Weyhe (AA). Das Interview führte Dorothee Frank.

Behörden Spiegel: Könnten Sie ein konkretes Beispiel für eine solche Hilfe im Rahmen der Ertüchtigungsinitiative nennen?

Nigrische Spezialkräfte bei der Ausbildung. Foto: BS/Bundeswehr, Marc Tessensohn

Dronia: Ich nehme als Beispiel mal ein Projekt, das wir in Niger bereits zum Abschluss gebracht haben. Vor etwa fünf Jahren hat uns die nigrische Regierung angesprochen, dass die nigrischen Sicherheitskräfte im Nordosten des Landes ein besonderes Problem mit Organisierter Kriminalität und irregulärer Migration sowie aufkeimendem Terrorismus hätten. Um dem entgegenzuwirken, benötigten die nigrischen Sicherheitskräfte vor allem Fahrzeuge und Systeme für die Kommunikation. Die den staatlichen Sicherheitskräften entgegenstehenden Opponenten waren zu dem Zeitpunkt bereits modern ausgestattet. Die staatlichen Sicherheitsakteure hatten hingegen fast keine adäquate Ausstattung.

Diese Anfrage haben wir mit dem Auswärtigen Amt gemeinsam besprochen und bewertet, dass dies unserer Zielrichtung entspräche. Wir stellten fest, dass es in der Region zu terroristischen Aktivitäten sowie Übergriffen der Organisierten Kriminalität gegenüber der Bevölkerung kam und wir mit der Deckung der genannten Bedarfe wirklich zur Stärkung der Sicherheitskräfte beitragen können und wollen. Wir haben dort dann innerhalb relativ kurzer Zeit Pick-Ups, Motorräder und auch Satellitentelefone zur Verfügung gestellt. Und die Rückmeldungen, die wir vom nigrischen Staat erhalten haben, zeigen uns deutlich, dass es tatsächlich gelungen ist, mit diesem Beitrag die Sicherheitssituation im Nordosten Nigers stabilisiert zu haben. Ich möchte gleich hinzufügen, dass wir keine “Einkaufslisten” abarbeiten: Die Bedarfe, die bei uns angemeldet werden, müssen aus einem uns zu erklärenden Gesamtkonzept abgeleitet werden. In unseren Projekten betrachten wir immer die Anteile Beratung, Ausbildung, Ausstattung inklusive Infrastruktur und Nachhaltigkeit. Alle diese Bausteine müssen einfließen. Aus dem Gesamtbild wird dann ermittelt, ob ein Bedarf existiert, wie dieser gegebenenfalls gedeckt werden kann und welchen Beitrag die Ertüchtigungsinitiative dazu leisten kann. von Weyhe: Ich würde gerne noch weitere Beispiele ergänzen, um die ganze Bandbreite aufzuzeigen. Zum einen ein konkretes Beispiel für die Verzahnung mit anderen Ansätzen, das ebenfalls zufälligerweise in Niger angesiedelt ist. Hier ist die Mission EUCAP Sahel Niger schon mit Beratern und Ausbildern vor Ort aktiv. Aber zum Aufbau von mobilen Grenzpolizeieinheiten fehlte dann schlicht die materielle Unterlegung, die im Rahmen der EUCAP-Mission nicht gewährleistet werden konnte. Und so konnten wir diese Mission durch die materielle Unterstützung beim Aufbau dieser mobilen Polizeistrukturen in den Grenzregionen – die oft ein Rückzugsort oder Agitationsfeld von Terroristen und der Organisierten Kriminalität sind – flankierend begleiten.

Soldaten der nigrischen Nationalgarde kontrollieren die gelieferten Fahrzeuge im Rahmen des Ertüchtigungsprojekts. Foto: BS/Bundeswehr, Jana Neumann

Einen weiteren Ansatz zeigen unsere Projekte im Bereich der Governance, wo wir die Parlamente stärken, um diese zur tatsächlichen Kontrolle der Sicherheitsbehörden zu befähigen. Hierzu gehört auch eine Stärkung der Medien, um sie in der Berichterstattung über sicherheitsrelevante Vorkommnisse zu schulen. Ein anderes Beispiel veranschaulicht den Dreiklang Beratung, Ausbildung und Ausstattung besonders gut. Gemeinsam mit dem Technischen Hilfswerk (THW) bauen wir u. a. in Tunesien zivile Ehrenamtsstrukturen auf. Das THW schult die dortigen Freiwilligenverbände und die Hauptamtlichen, während wir beim Aufbau einer landesweiten Ehrenamtsstruktur, die dem deutschen Prinzip ähnelt, unterstützen.. Dies ist ein sehr erfolgreiches Projekt, durch das in Tunesien mittlerweile den rund 8.000 Hauptamtlichen jetzt schon über 2.000 Ehrenamtliche zur Seite stehen. Hierbei geht es nicht nur um eine Stärkung der Katastrophenschutzstrukturen, sondern auch um die Stärkung der Legitimität des Staates, indem die Bürger sich mehr mit ihrem Staat und seinen Sicherheitsstrukturen identifizieren.

Dronia: Ich ergänze auch noch ein weiteres Beispiel aus Tunesien, das den Unterschied zwischen unserem Ansatz und etwa in Kontexten, wo VN- oder EU-Missionen vor Ort sind.

Behörden Spiegel: Wie viele Projekte sind bereits entstanden bzw. umgesetzt?

dem, was normalerweise unter dem Begriff “Ausbildung” verstanden wird, verdeutlicht. Wir bauen in Zusammenarbeit mit den Tunesiern die dortige Militärakademie neu. Herr von Weyhe und ich haben hatten vor einigen Jahren die Gelegenheit, uns die Militär-Akademie anzuschauen. Die Unterstützung des Baus einer neuen Akademie ist für die Soldaten täglich von Bedeutung – damit sie effektiver lernen und besser wohnen können – aber auch für Tunesien als ein nordafrikanisches Land, das sich auf einem demokratischen Weg befindet, denn damit stärken wir das Ansehen der Streitkräfte, allerdings ohne eine direkte Schulung durch ausländische Kräfte.

Behörden Spiegel: Einige dieser Beispiele betreffen allerdings nicht nur das Auswärtige Amt und das Verteidigungsministerium, sondern auch das Innenministerium und das Entwicklungsministerium. Wie sind Sie mit denen verzahnt?

von Weyhe: Im Bereich des BMI befinden sind tatsächlich viele der nachgeordneten Behörden, die unmittelbar Projekte umsetzen. Wir arbeiten hier nicht nur mit diesen Behörden, sondern natürlich auch mit dem Innenministerium ganz eng zusammen. Wir besprechen die Planung einzelner Projekte und teilen mit BMI und BMZ relevante politische Überlegungen, oftmals eingebettet in multilaterale Zielsetzungen, Dronia: Wir sprechen im Augenblick von rund 300 Projekten, die wir über die Jahre abgeschlossen haben. Aktuell laufen noch um die 120. In der Regel versuchen wir unsere Projekte so zu gestalten, dass sie möglichst schnell beim Partner zur Anwendung und zur Wirkung kommen können. Unsere ideale Vorstellung ist, am 1. Januar eine Projektidee gebilligt zu haben, direkt loslegen zu können und am 31. Dezember zu sagen: Erfolgreich abgeschlossen, die Region ist nun friedlicher, stabiler und sicherer. Das ist die Idealvorstellung, sprich unterjährig zu einer Finalisierung im Projekt zu kommen. Aber abhängig von der Komplexität der gestellten Aufgabe und des Bedarfs ist dieses Ideal nicht immer umsetzbar oder angebracht.

Behörden Spiegel: Gibt es auch Projekte in Afghanistan?

Dronia: Afghanistan ist kein Partnerland der Ertüchtigungsinitiative. Wir haben dort keine Projekte durchgeführt.

Behörden Spiegel: Sie beide haben ja die Initiative gewissermaßen mitbegründet. Welches Fazit würden Sie ziehen?

von Weyhe: Dies muss auf verschiedenen Ebenen betrachtet werden. Der erste Aspekt ist die Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Häusern. Ich glaube, das kann man gar nicht hoch genug schätzen. Wir sprechen so viel vom ressortgemeinsamen Ansatz, ohne Silodenken, mit vernetztem Handeln. Ich habe in diesen fünf Jahren die Erfahrung gemacht, dass es um wesentlich mehr als das Aufteilen des Titels geht. Wir ergänzen uns, auch in unseren Perspektiven auf die Fragen, die wir gemeinsam angehen. Ich habe das immer als sehr bereichernd empfunden. Der zweite Aspekt sind die deutlichen Sympathien, auch aus dem Bundestag, für unseren Ansatz, gerade die Sicherheitsbehörden und somit die Staaten zu stärken. Dieser Ansatz findet zudem bei den Partnern große Akzeptanz, sodass selbst höchste Ebenen nach unseren Leistungen fragen. Die Ertüchtigungsinitiative hat sich auch als ein wichtiges Instrument in der bilateralen Zusammenarbeit für unsere Botschaften und Kolleginnen und Kollegen vor Ort erwiesen. Oftmals stärken wir damit auch die Umsetzung multilateraler Zielsetzungen, auch um VN Peacekeeping effektiver zu machen. Man kann den Nutzen an sehr vielen einzelnen Projekten ganz konkret messen, wenn z. B. sondergeschützte Fahrzeuge bei einem Anschlag auf Soldaten in Mali tatsächlich Leben gerettet und darüber hinaus die Moral der Truppe gestärkt haben. Oder wenn mit dem Aufbau von Grenzpolizeieinheiten in Niger bei der Bevölkerung langsam wieder ein Gefühl von Sicherheit einkehrt, dann legen wir damit einen Grundstein für das Vertrauen in den Staat und die konkrete Sicherheit einer Region. Wir tragen an sehr vielen Stellen effektiv zur Stärkung der Sicherheitskräfte und zugleich zur Kontrolle über die Sicherheitskräfte bei. Wir wollen die Sicherheitskräfte stärken, aber eben auch die parlamentarische, demokratische, mediale oder auch zivilgesellschaftliche Kontrolle ertüchtigen.

Dronia: Ergänzend möchte ich erwähnen, dass wir mit der Ertüchtigungsinitiative ein “Einfallstor” bei jenen Partnern oder in den Sicherheitsregionen erhalten, die für uns außenpolitisch und sicherheitspolitisch von Interesse sind. Unsere Partner sprechen vor diesem Hintergrund auch offener über ihre Probleme, ihre Vorstellungen und ihre Lösungsansätze. Wir erfahren eine besondere Wertschätzung durch die Partner, gerade auch im Vergleich mit anderen Gebern in den Regionen. Es zeichnet unsere Initiative zudem aus, dass wir nicht aus einer außenwirtschaftlichen Motivation heraus agieren. Unsere Auswahl orientierte sich daran, was vor Ort üblicherweise an Lkw fährt, welche Infrastruktur etwa zur Wartung vorhanden ist usw. Das wird von den Partnern als sehr positiv empfunden. Wir gehen eben nicht als Lehrer oder Verkäufer rein, sondern fragen und hören zu. Und daraus entwickeln wir den Ansatz zur Deckung eines Bedarfs, gemeinsam und auf Augenhöhe.

Luftbeweglicher Waffenträger

Präsentation des möglichen Wiesel-Nachfolgers

(BS/df) Mitte Oktober wurde im Rahmen einer funktionalen Präsentation der aktuelle Sachstand zum F&TProjekt “Gesamtsystemdemonstrator für einen zukünftigen Luftbeweglichen Waffenträger” (GSD LuWa) u. a. vor Vertretern des BMVg und des BAAINBw gezeigt. Ziel dieses Vorhabens ist es, Konzepte und Technologien eines möglichen Nachfolgesystems für den Waffenträger Wiesel 1 zu untersuchen.

Mit dem GSD LuWa soll das Verhalten von Technologien im Systemverbund untersucht werden. Dies betrifft gerade die Technologien und Teilsysteme, die neuartige Ansätze beinhalten und einen möglichst hohen Grad an Forderungserfüllung versprechen, zugleich aber noch Entwicklungsrisiken in sich tragen. Hierzu zählen besonders eine 27-Millimeter-Maschinenkanone zur Erhöhung der Kampfentfernung und Wirkung im Ziel, ein dieselelektrischer Hybridantrieb für Schleichfahrt sowie ein geteiltes und nivellierbares Kettenlaufwerk für Luftverladung und Notlauf. Alle Forderungen sollen unter den Randbedingungen eines in den Mittleren Transporthubschrauber CH-53 luftverladbaren Waffenträgers nachgewiesen werden. Trotz der schwierigen, pandemiebedingten Randbedingungen ist es dem Generalunternehmer IABG dennoch nach nur 17 Monaten intensiver Projektarbeit gelungen, den GSD LuWa termingerecht zu realisieren und mit der Inbetriebnahme zu beginnen. Als Projektpartner waren dabei die deutschen Unternehmen ACS und FFG sowie Valhalla Turrets aus Slowenien in das Projekt integriert. Der GSD LuWa beinhaltet dabei nicht nur das eigentliche Fahrzeug mit Waffenanlage, sondern auch einen Innenraumdemonstrator und einen sogenannten Digitalen Zwilling. Mit dieser Kombination soll das vorhandene operationelle Know-how der bisherigen Wiesel-Besatzungen erfasst und für die weiteren Schritte im Rüstungsprozess nutzbar gemacht werden. Des Weiteren wurden die Ergonomie sowie technologische und taktische Fähigkeiten eines Nachfolge-

Der Luftbewegliche Waffenträger (LuWa) bei der Demonstration vor Vertretern aus Bundeswehr und BAAINBw. Foto: BS/IABG

systems bewertet und optimiert. Dies dient dazu, die anstehenden Lösungsvorschläge des BAAINBw vorzubereiten, die notwendigen Fakten für eine Auswahlentscheidung zusammenzutragen, Risiken zu vermindern, die Innovationskraft und den Einsatzwert des zukünftigen Systems zu erhöhen und die Weichen für die Realisierung einer späteren Serie zu stellen.

Künstliche Intelligenz in hybriden Operationen

Fünf Thesen zur Digitalisierung der Landstreitkräfte

(BS/Dorothee Frank) In seiner Eröffnungsrede des NATO-Symposiums, “AI, ML and BD for Hybrid Military Operations”, erläuterte der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Alfons Mais, anhand von fünf Thesen, was er von der Digitalisierung für die Streitkräfte erwartet. Generalmajor Dr. Michael Färber, Kommandeur des Kommandos Informationstechnik, moderierte das Forum, in das Experten aus allen NATO-Mitgliedsstaaten ihre Expertise, Planungen und Überlegungen zur Nutzung von Künstlicher Intelligenz einbrachten.

Als ersten und wichtigsten Punkt nannte der Inspekteur die Nutzung von Cloud-Technologien. Die Landstreitkräfte benötigten einen Shared Information Space, der durch eine funktionierende Multi-Cloud ermöglicht werde. Unter einer Multi-Cloud verstehe er eine umfassende Informationsumgebung, um besonders auch in internationalen Einsätzen alle relevanten Informationen zu teilen. Sie stelle die Verbindung zwischen der strategischen Ebene in der Heimat und der ersten Meile im Einsatzgebiet dar. Daneben müsse sie auch die verschiedenen Systeme von Luft, Land, See und Cyber-Raum miteinander verbinden, um Multi-Domain Operations zu unterstützen. Auch wenn der Begriff MultiCloud erst einmal gewöhnungsbedürftig erscheint, da eine Cloud eigentlich per Definition allumfassen ist, spiegelt sich hier doch ein tiefes Problem der Streitkräfte wider: Es gibt zu viele Informationsräume mit unterschiedlichen Formaten. Als erste Informationscloud ging seinerzeit das Afghanistan Mission Network an den Start. Need-to-Share wurde zum Ansatz der (meisten) NATOStreitkräfte. Mittlerweile gibt es Nachfolgemodelle des AMN mit dem deutschen Beitrag German Mission Network. Daneben existieren aber nicht nur nationale Informationsräume, sondern auch streitkräfte- und organisationsinterne. Es gibt eine Vielzahl unterschiedlichster Führungssysteme, proprietäre Fachanwendungen, Insellösungen. Wenn demnächst das Future Combat Air System (FCAS) über eine Combat Cloud verfügt, dann muss das nicht dieselbe Combat Cloud sein, von der das Deutsche Heer aktuell spricht. Die vom Inspekteur Heer erwähnte Multi-Cloud könnte das Dach über allen diesen Clouds sein.

Wirksamkeit auf der ersten Meile

Die Wirksamkeit auf der ersten Meile sei entscheidend, nannte Generalleutnant Mais als zweite These. Hier träfen die neuesten Technologien aufeinander, von Drohnenschwärmen zur Aufklärung bis hin zu auf Künstlicher Intelligenz basierenden Abwehrmaßnahmen. Aufklärung und die Analyse der gelieferten Ergebnisse würden im Zusammenspiel mit Battle-Management-Systemen die Gefechtsfelder der Zukunft bestimmen, prognostizierte Generalleutnant Mais. Durch den geteilten Informationsraum könnten alle Befehlsebenen zur selben Zeit dieselben Gefechtsbilder erhalten. Auch hier sprach der Inspekteur Heer eines der grundlegenden Probleme von Streitkräften an: Die Konnektivität. Um die

Der Puma ist das erste vernetzt gedachte Gefechtsfahrzeug der Bundeswehr, das mit entsprechender Anbindung an die weiteren Systeme die Vorstellungen von Generalleutnant Alfons Mais, Inspekteur des Heeres, unterstützt. Foto: BS/Bundeswehr

Funkverbindung in der Bewegung zu halten, müssten neue Ansätze zusätzlich zur üblichen Richtfunkantenne gedacht werden. Mobile Ad-hoc-Netzwerke (MANets) können eine Lösung sein. Hierbei wird jeder Nutzer zum Sender und Empfänger, die Informationen springen gewissermaßen von einem Soldaten oder Fahrzeug zum nächsten, bis sie ihr Ziel erreichen. Hierfür braucht es allerdings flächendeckend eingeführte moderne Funkgeräte. Zudem funktioniert dies nur, wenn die Einheiten nicht weit auseinandergezogen sind oder sich in dichter Vegetation – einem deutschen Mischwald bei Nebel zum Beispiel – befinden. Als zweite Lösung böten sich Drohnen oder Drohnenschwärme als Kommunikationsrelais an. Die Aufklärbarkeit ist mit im Blick zu behalten. Allerdings gibt es zum vernetzten Gefechtsfeld keine Alternative, wenn die Truppen auf der ersten Meile effektiv wirken sollen. Russland beispielsweise hat bei den jüngsten Übungen an der ukrainischen Grenze eine Geschwindigkeit und Mobilität gezeigt, auf welche die Bundeswehr erst einmal reagieren können muss. Mit den aktuell vorhandenen Technologien wäre dies wenig wahrscheinlich. Mobilere Streitkräfte

“Wir müssen kleiner, leistungsfähiger und vollständig mobil werden”, benannte dementsprechend auch der Inspekteur als eine wichtige Anforderung an das Heer, um in modernen Konflikten bestehen zu können. Eine besondere Bedeutung kämen neuen, hochmobilen Gefechtsständen zu, welche nicht länger stationär zu denken seien. “Geschwindigkeit und Mobilität gewährleisten den Schutz der Forward Command Posts”, sagte Generalleutnant Mais. Daneben solle es weitere Main Command Posts geben, welche außerhalb der gegnerischen Reichweite stationär eingerichtet würden. Diese Forward Command Posts müssen dann allerdings auch in den Informationsraum eingebunden werden. Aktuell geschieht die Vernetzung in den Gefechtsständen noch mit Kabeln. Die Bundeswehr kennt dafür den Fernmelder, welcher die Cyber-Welt vor Ort erst einmal ermöglichen soll. Die meiste Zeit wird beim Aufbau eines Hauptquartiers mittlerweile für die Verkabelung der IT benötigt. Es bräuchte die Einführung nicht kabelgebundener Übertragungsmöglichkeiten wie beispielsweise des auf jedem Campingplatz vorhandenen WLANs. Erst wenn moderne – im zivilen Bereich zum Standard gehörende – Technologien auch in der Truppe eingeführt werden, ist ein leistungsfähigerer und vor allem mobiler Einsatz möglich. Ergänzung zum Menschen

Künstliche Intelligenz und menschliche Fähigkeiten seien als Ergänzungen zu verstehen, die beide dauerhaft notwendig seien, nannte Generalleutnant Mais als vierte These. “Ich bin davon überzeugt, dass auch künftige Konflikte Hierarchien und Befehlsketten brauchen.” Die Fähigkeiten der Künstlichen Intelligenz lägen in der Verarbeitung großer Datenmengen sowie einer schnellen Analyse, in beiden Punkten übertreffe sie den Menschen. Dies gelte es zu nutzen, in Verbindung mit dem menschlichen Willen zur humanen Verteidigung sowie der menschlichen Fähigkeit zur übergeordneten Analyse. Was der Inspekteur nicht ausführte, was allerdings im Hintergrund mitschwang, ist, dass, während in Deutschland der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) und anderen Assistenzsystemen vor allem unter ethischen Gesichtspunkten im politischen Bereich diskutiert wird, das Augenmerk der meisten anderen Staaten eher auf dem praktischen Nutzen liegt. Ferngesteuerte oder autonome Systeme wurden in allen größeren Konflikten der letzten Jahrzehnte eingesetzt. Die Frage nach dem “Ob” stellt sich nicht mehr, das “wie” wird entscheidend. Wie werden Streitkräfte KI und andere Assistenzsysteme einsetzen? Und wo beginnt die KI? Wenn ein Navigationssystem einem eine Route anhand der ermittelten Luftverteidigungssysteme vorschlägt, ist das bereits KI. Wenn statt einer Rakete eine bewaffnete Drohne eingesetzt wird, die im Gegensatz zur Rakete auf den letzten Metern die Mission noch abbrechen kann, dann wäre die bewaffnete Drohne eigentlich ethischer als die “dumme” Rakete. Beim Vortrag betonte Generalleutnant Mais, dass die KI immer nur eine Ergänzung, kein Ersatz sein könne. Durch die Zunahme von ausgezeichneten Sensordaten überschreitet die Auswertung schließlich mittlerweile – wenn sie nicht durch KI unterstützt wird – die personellen Fähigkeiten der meisten Armeen.

Open Source

“Die Nachrichtengewinnung aus Open-Source-Quellen könnte zum Gamechanger werden”, stellte Generalleutnant Mais als fünfte These auf. Besonders bei hybriden Operationen ist er davon überzeugt, dass irgendwer irgendwo die Kamera seines Handys auf den Punkt halte, der von relevanter Bedeutung für den Einsatz sei. Die öffentlich zugänglichen Informationen in den Sozialen Netzen und anderen Informationsplattformen müssten dementsprechend aktiv erfasst und durch Künstliche Intelligenz ausgewertet werden, um die Befehlshaber mit den richtigen Informationen zu versorgen. Geschwindigkeit und Präzision

Hohe Geschwindigkeit und Präzision seien die entscheidenden Fähigkeiten für die Streitkräfte in zukünftigen Gefechten, fasste der Inspekteur Heer zusammen. Da Digitalisierung, mit allen genannten Elementen, sowie Künstliche Intelligenz beides deutlich verbesserten, seien ihre Implementierungen in die Landstreitkräfte unbedingt notwendig, um der Politik auch in Zukunft das Heer als operationelle Option zur Verfügung zu stellen. Die entscheidende Frage der Zukunft sei allerdings: “Können wir unseren Systemen vertrauen?”

MELDUNGEN Neue Optiken für die Sturmgewehre der Bundeswehr

(BS/df) Jüngst unterzeichneten das BAAINBw und Leonardo Germany einen Rahmenvertrag über die Lieferung von bis zu 107.929 Tageslichtoptiken für aktuelle und neue Sturmgewehre der Bundeswehr. Hierbei handelt es sich um ELCAN Specter DR 1-4x Optiken, welche an die Anforderungen der Bundeswehr angepasst wurden. Diese spezifischen Anpassungen beziehen sich auf ein modifiziertes Visier und das Gehäuse mit integrierter Picatinny-Schiene. Die wichtigste Änderung ist allerdings, dass mittels eines Hebels direkt von einer vierfachen Vergrößerung zu einer einfachen Close-QuartersBattle (CQB)-Sicht gewechselt werden kann, ohne dass sich weitere Elemente verändern. Zudem kann der Nutzer zwischen dem Anleuchten des gesamten Fadenkreuzes oder einem einzelnen roten Leuchtpunkt wählen. Im normalen Handel kostet eine solche Optik übrigens 2.700 Euro.

Die nächsten australischen Schützenpanzer

(BS/df) Ende Oktober übermittelte das Unternehmen Rheinmetall sein Best and Final Offer für das australische Programm “Land 400 Phase 3 Mounted Close Combat Capability”. Rheinmetall bietet hierfür seinen Lynx-Schützenpanzer, der durch das Unternehmen aus den Erfahrungen mit dem deutschen Schützenpanzer Puma selbstständig entwickelt und im Export angeboten wurde. Für die australischen Streitkräfte wird der Lynx mit dem ebenfalls von Rheinmetall stammenden Lance-Turm angeboten. Im Rahmen von “Land 400 Phase 3 Mounted Close Combat Capability” will Australien laut dem Australian Defence Magazine 400 Schützenpanzer beschaffen, davon 281 mit Turm und 119 ohne. Im Budget sind hierfür über 20 Milliarden Australische Dollar (rund 12,8 Milliarden Euro) vorgesehen. Aktuell sind nur noch zwei Wettbewerber im Rennen. Rheinmetall mit dem Lynx und Hanwha mit dem Redback.

3D Software-Defined Radar

(BS/df) Thales Deutschland hat mit eigenen Forschungsmitteln ein neues Radar entwickelt: Der Ground Observer 20 Multi-Mission (GO20 MM) feierte Ende Oktober seine Premiere. Das Besondere ist die dreidimensionale (3D) 360°-Abdeckung. Durch die Kombination von Boden- und Tiefflugüberwachung innerhalb eines einzigen Gerätes bietet das Radar zudem neben der frühzeitigen Erkennung von Bedrohungen auch eine automatische Klassifizierung der anfliegenden Systeme. Das Radar erfasst eine große Fläche in 3D mit kurzen Aktualisierungszeiten, was beispielsweise eine schnelle Erkennung und automatische Klassifizierung von Langstreckendrohnen ermöglicht. Hierdurch können die Drohnen frühzeitig als Gefahr erkannt und bekämpft werden. Zum Leistungsspektrum des Radars gehören neben den größeren Vertretern der unbemannten Flugsysteme auch Klein- und Nanodrohnen, also jene UAV, welche nicht größer als eine Handfläche sind. Das GO20 MM ist für den mobilen Einsatz ausgelegt. Innerhalb von fünf Minuten können zwei Soldatinnen oder Soldaten das Radar aufbauen und für einen neuen Einsatz schnell verlegen, sei es am Mast oder für Einsätze abseits des Fahrzeugs. Im Akkubetrieb ist das Radar über Stunden einsatzfähig. Durch das Verzichten auf die Generatoroption lässt sich das GO20 MM geräuschfrei betreiben. Da es sich um ein SoftwareDefined-Radar handelt, lassen sich neue Funktionen und Entwicklungen einfach aufspielen und unterstützen.

Neue Fuchs-Version mit Hochdach

(BS/df) Im Oktober stellte Rheinmetall eine neue Version des Transportpanzers Fuchs vor: als geschütztes Sanitätskraftfahrzeug. Dieser Fuchs wurde als Hochdach-Demonstrator realisiert und fällt bereits äußerlich durch das modernisierte Fahrzeugdesign und die vergrößerte Dachhöhe auf. Hierdurch erweitert sich das Innenraumvolumen auf zwölf Kubikmeter. Die Stehhöhe liegt dadurch bei 1,60 Meter statt bisher bei 1,26 Meter. In der Version als geschütztes Sanitätskraftfahrzeug kann der Fuchs bis zu vier Verwundete (zwei liegend, zwei sitzend) transportieren. Weiterhin verfügt das Fahrzeug über ein modernes 360-Grad-Sichtsystem mit Tag- und Nachtsicht sowie Fusion, welches bereits im Schützenpanzer Puma eingesetzt wird. Der modernisierte Fuchs zeichnet sich darüber hinaus durch ein neues, leistungsgesteigertes Triebwerk, ein neues Verteilergetriebe, eine neue Bremsanlage und eine digitale Bordelektronik aus. Das alles macht das Fahrzeugsystem beweglicher im Gelände und noch ergonomischer zu bedienen.

Co-Creation und Innovationskultur

(BS) Außerhalb militärischer Bereiche sind Chief Information Officers oftmals auch Chief Innovation Officers – Informationstechnologie und Innovationen gehen Hand in Hand. In der Bundeswehr ergibt sich dazu ein differenziertes Bild: Innovationsansätze sind dezentral und fragmentiert vorhanden. Das Mindset ist geprägt von linearem Denken und Wasserfall-Ansätzen. Rahmenbedingungen wie das Vergabe- oder Haushaltsrecht wirken konservativ. Dem Leitspruch von AFCEA International “Connecting people, ideas and solutions globally”, folgend wurde Anfang Oktober unter dem Motto “Co-Creation und Innovationskultur” ein tieferer Blick in die genannten Herausforderungen gewagt. Anfangs wurden durch Sven Weizenegger, Prof. Michael Eßig, Haya Shulman und Maximilian Rapp Denkimpulse gesetzt und im Anschluss in drei parallelen Workshops vertieft. Die Opening Keynote kam vom Gastgeber der Veranstaltung, dem CIHBw. Dessen Chef Sven Weizenegger hat nach seinen ersten 16 Monaten als Leiter der ersten Digital Innovation Unit (DIU) eines deutschen Ministeriums ein Zwischenfazit gezogen. Die Impulse der jeweiligen Vortragenden und die weiteren Erkenntnisse können auf der Plattform des Behörden Spiegel für junges Governemt, Future4Public, nachgelesen werden: bit.ly/youngafcean

Die Gebirgsjägertruppe bildet den Kern der Gebirgsjägerbrigade. Sie leistet ihren Beitrag im gesamten Aufgabenspektrum der Bundeswehr, vor allem im schwierigen bis extremen Gelände und unter extremen Klima- und Wetterbedingungen. Dieses Alleinstellungsmerkmal macht sie zu einem unverzichtbaren Teil des aktuellen und zukünftigen Fähigkeitsprofils der Bundeswehr. Die Gebirgsjägertruppe verfügt über alle querschnittlichen Befähigungen der Infanterie zu Operationen in durchschnittenem, bewaldetem und urbanem Gelände. Sie ist ergänzend befähigt, die Rettung und Bergung von Personen in schwierigem bis extremem Gelände durchzuführen.

Deutschland hat sich zudem im Rahmen der NATO-Planungsziele verpflichtet, diese einzigartige Fähigkeit in Form einer “Mountain Light Infantry Brigade” dem Bündnis zur Verfügung zu stellen.

Schwieriges bis extremes Gelände schränkt die Beweglichkeit stark ein, etwa durch das Fehlen befestigter Straßen und Wege oder Geländeteile mit großem Neigungswinkel. Hierbei ist der Untergrund meist steinig bis felsig und teilweise mit Gras bewachsen, kann aber auch schneebedeckt, vereist oder sandig sein. Das Gelände ist möglicherweise gekennzeichnet von großen Moor- oder Sumpfgebieten in Niederungen und entlang von Flussläufen. Flache Fließgewässer müssen bei Fehlen von Brücken gefurtet werden. Ein Versinken ist durch Eigenauftrieb oberhalb bzw. jenseits der Wattiefe zu verhindern.

Extreme Klima- und Wetterbedingungen umfassen alle Klimakategorien von extremer Kälte bis zu extremer Hitze, gepaart mit Trockenheit oder hoher Luftfeuchtigkeit. Besonders in winterlicher, hochalpiner und arktischer Umgebung ist mit hohen und flächendeckenden Schneelagen zu rechnen. Die Gebirgsjägertruppe muss unter den oben beschriebenen Bedingungen zur Erfüllung ihrer Aufgaben weltweit, durchgängig und verlässlich auf ihre Mobilität zurückgreifen können. Im Hinblick auf eine strategische Verlegung müssen ihre Plattformen auch zum Lufttransport im A400M geeignet sein.

Forderungen an die Überschneemobilität

Erfüllung der Aufgaben in schwierigem bis extremem Gelände

(BS/Oberleutnant Jakob Ningelgen*) Eis, Schnee und Kälte. Eine Gebirgsjägerkompanie, eingesetzt in arktischer Umgebung nahe dem Polarkreis. Vier Fahrzeuge nähern sich der Kompanie auf den scheinbar ewigen Schnee- und Eisflächen der Arktis und bringen die ersehnte Versorgung. Szenenwechsel: Trockenheit, Sand, Hitze. Ein auf sich gestellter Gebirgsjägerzug betreibt auf einer Wüstendüne einen Feldposten. Ein kurzer Funkbefehl, drei Kettenfahrzeuge graben sich durch den leichten Sand, nehmen die abgesessenen Kräfte zum Beziehen einer Wechselstellung auf. Das sind nur zwei von vielen möglichen Szenarien, in der sich die Gebirgsjägertruppe in der Zukunft wiederfinden kann.

Modernisierung

Die Modernisierung verfolgt das Ziel, die Bestandssysteme BV206S den aktuellen Herausforderungen und technischen Anforderungen anzupassen, um der Gebirgsjägerbrigade einen modernen und zukunftsfähi-

gen Konstruktionsstand zur Verfügung stellen zu können. Im Mittelpunkt steht dabei die Beseitigung von Obsoleszenz, insbesondere eine Überarbeitung des Energiemanagements durch die Einrüstung moderner Kommunikationsmittel. Es gibt verschiedene Ansätze zur Nutzungsdauerverlängerung, die jedoch durch die lange Laufzeit der Systeme in der Truppe und den damit einhergehenden, zunehmenden Verschleiß erschwert werden. Grundsätzlich dient die Modernisierung und Nutzungsverlängerung ausschließlich zur Aufrechterhaltung der Mobilität der Gebirgsjägerbrigade, bis die neubeschafften Transportfahrzeuge in der Truppe verwendet werden können.

BV 206D bei der Übung Cold Response 2020 Foto: BS/Bundeswehr, Maximilian Schulz

Aktueller Sachstand

Zur Aufrechterhaltung der Mobilität bei den beschriebenen hohen Geländeanforderungen setzt die Bundeswehr auf kettengetriebene Transportfahrzeuge. Derzeit befinden sich der ungeschützte Bandvagn BV206D sowie der leicht geschützte BV206S der Firma BAE Systems Hägglunds in der Gebirgsjägerbrigade im Einsatz. Durch die unterschiedlichen Varianten wird ein großes Aufgabenspektrum abgebildet. Von Gruppenfahrzeugen zum Transport von Soldatinnen und Soldaten über Sanitätsfahrzeuge bis hin zu Fahrzeugen zum Betrieb eines Bataillonsgefechtstands bieten diese Systeme ein vielseitiges Einsatzspektrum. Aufgrund der einzigartigen Konzeption der Knicklenkung, gepaart mit den vier differentialgesteuerten, breiten “Raupenantrieben”, sind die Transportfahrzeuge hochmobil und meistern mit geringem Bodendruck nicht nur Tiefschnee, sondern sind auch in der Lage, sich in Moorgebieten sowie extrem sandigem Gelände fortzubewegen. Die Robustheit der Systeme gegen Kälte und Hitze ermöglicht einen Einsatz unter arktischen Bedingungen ebenso wie in der Wüste. In der Bundeswehr werden sie hauptsächlich im alpinen und arktischen Bereich innerhalb der Gebirgsjägerbrigade eingesetzt. Derzeit wird zur Sicherstellung der Überschneebeweglichkeit der Gebirgsjägertruppe parallel zu Maßnahmen für eine Nutzungsdauerverlängerung der vorhandenen Überschneefahrzeuge auch an einer Neubeschaffung von Überschneefahrzeugen der nächsten Generation im Rahmen einer internationalen Kooperation gearbeitet.

Neubeschaffung

Im Zuge der Neubeschaffung haben sich vier Partnernationen – Schweden, Niederlande, Großbritannien und Deutschland – darauf geeinigt, ein neues Fahrzeugsystem zur Überschneemobilität gemeinsam einzuführen. Die Bundeswehr verfolgt so einen multinationalen Lösungsweg im Rahmen einer europäischen Kooperation mit dem Ziel der Senkung der Gesamtkosten der Beschaffung und der verbesserten multinationalen Interoperabilität. Die Führungsnation des Projektes ist Schweden. Kernforderung ist es, dass sowohl dem Anspruch höchster Mobilität als auch dem maximal möglichen Schutz der Besatzung Rechnung getragen wird. Durch dieses Projekt, das unter dem Namen Collaborative All-Terrain Vehicle (CATV) geführt wird, sollen die bestehenden Fähigkeiten im Bereich Mobilität, Schutz und Kommunikation ergänzt und erweitert werden. Eine Umsetzung mit einem marktverfügbaren bewährten System wird angestrebt. Der Zulauf der ersten Serienfahrzeuge soll im dritten Quartal 2024 erfolgen. Geeignete marktverfügbare Systeme wurden im Rahmen einer Marktsichtung bereits identifiziert. Die Hersteller unterscheiden sich durch unterschiedliche Spezifizierungen der Systeme mit individuellen Vor- und Nachteilen. Zahlreiche Fahrzeuge sind bereits in anderen Nationen in der Nutzung und konnten sich zudem teilweise schon in Stabilisierungsoperationen und im Gefecht bewähren. Durch die oft jahrelange Nutzung der Systeme konnte, sowohl bei den Nutzern als auch bei den Herstellern, ein hoher Erfahrungsschatz aufgebaut werden. Das schlägt sich teilweise in einer bereits hohen Einsatzreife der marktverfügbaren Fahrzeuge nieder. Aktuelle Entwicklungen zielen vor allem auf einen modularen Ansatz, der die nötige Flexibilität in der Konfiguration für unterschiedliche Auftragsszenarien ermöglicht. Einige Systeme unterscheiden sich in der Anordnung des Triebwerks und der Aggregate. Durch eine Verbauung im hinteren Fahrzeugteil ermöglichen manche Hersteller eine Erhöhung des Platzangebots für die Besatzung des Kampfraums. Dies trägt dem erhöhten Platzbedarf der Infanterie durch die komplexere Auftrags- und Ausrüstungsanforderung Rechnung. Gemeinsam haben die meisten Hersteller, dass ihre Systeme neben der geforderten Überschneefähigkeit auch eine Schwimmfähigkeit einschließen, welche die Flexibilität der Gebirgsjäger zusätzlich erhöht. Dies sind nur einige Beispiele aktueller Trends marktverfügbarer Systeme. Eine abschließende Entscheidung über die Beschaffung des Produkts steht gegenwärtig noch aus. Zukunft der Überschneemobilität

Ob eine komplette Neuentwicklung, eine Modernisierung bestehender Systeme oder eine Beschaffung markverfügbarer Systeme – die besondere Herausforderung bei der Konzeption und Konstruktion moderner Überschneesysteme ist die Abwägung zwischen Schutz und Mobilität. Mit der Forderung nach höherem Schutz zur Reduzierung der Gefährdung der Besatzung erhöht sich das Gesamtgewicht der Systeme. Daraus folgt eine Reduzierung der Nutzlast sowie eine Einschränkung der Mobilität, da ein höheres Gewicht die Überschneefähigkeit mindert. Eine tragfähige Lösung für dieses Problem stellt die Anpassungsfähigkeit des Schutzes der Überschneesysteme durch modulare Schutzausstattungen dar. Damit kann der Schutz lage- und auftragsbezogen angepasst werden. Eine Erhöhung der Mobilität, insbesondere bei Tiefschneeverhältnissen, kann zusätzlich, trotz eines steigenden Gesamtgewichts, durch eine Anpassung des Laufwerkes sowie der Laufbänder erfolgen. Der Grund hierfür liegt in der Verringerung des spezifischen

BV 206S bei der Brigade-Gefechtsübung Berglöwe 2019

Foto: BS/Bundeswehr, Stephan Schaffner

Bodendrucks durch die Erreichung einer erhöhten Auflagefläche der Laufbänder. Im Rahmen einer Designstudie des Bundesamts für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) werden derzeit Möglichkeiten zur Anpassung und Steigerung der Mobilität untersucht. Ein Demonstrator für den Komponententest wurde mit einigen innovativen Ideen ausgestattet. Er soll an der Wehrtechnischen Dienststelle (WTD) 41 weiter untersucht werden. Der Demonstrator wurde mit neu konzeptionierten, breiteren Laufbändern sowie technischen Lösungen zur Reduzierung des Wendekreises und Steigerung der Kletterfähigkeit ausgestattet. Mit dem Einbau eines Differentials mit integrierter hydraulischer Lamellenbremse wird derzeit eine weitgehend witterungsunabhängige Bremsanlage untersucht, um zukünftig Schäden an der Bremsanlage durch Schnee, Eis, Sand und Regen vermeiden zu können. In einem weiteren Untersuchungsanteil wird mit dem Demonstrator ein Hybridantrieb getestet. Ein zusätzlicher E-Motor im Antriebsstrang realisiert eine E-Boost-Funktion und unterstützt damit den Dieselmotor für eine definierte Zeitspanne. Zudem wird die Möglichkeit einer vom Dieselmotor unabhängigen Fortbewegung in “Schleichfahrt” geprüft und untersucht. Auch die Bordbewaffnung soll bei zukünftigen Systemen verbessert werden. Im Mittelpunkt steht dabei der verbesserte Schutz der Besatzung. Erreicht wird dies – wie auch schon bei anderen Systemen der Bundeswehr (wie bspw. beim GTK Boxer) – indem der Waffenbediener nicht mehr über eine körpergeführte Lafette außerhalb des Fahrzeugschutzes, sondern über eine fernbedienbare Waffenstation aus dem Kampfraum beobachten und wirken kann. Zusätzlich soll die Leistung des Waffensystems durch die Verwendung einer Kombination – je nach Konfiguration und Nutzer – aus schwerem Maschinengewehr oder Granatmaschinenwaffe sowie einer verbesserten Waffenoptik gesteigert werden. Bei einer zukünftigen Beschaffung bzw. Entwicklung eines neuen, modernen und überschneefähigen Systems für die Bundeswehr, über das Projekt CATV hinaus, verdient die Interoperabilität besonderes Augenmerk. Hierzu muss einerseits die Interoperabilität auf logistischer Ebene im Rahmen eines Single-Fuel-Concepts, der Wartung und Pflege sowie der Versorgung mit Ersatzteilen betrachtet werden. Andererseits bedarf es der Interoperabilität auf taktischer Ebene national wie international im Hinblick auf Führungsfähigkeit und Digitalisierung.

Zusammenfassung

Die Sicherstellung der Überschneemobilität ist ein fortlaufender Prozess, der besondere technische Herausforderungen mit sich bringt. Die Aufrechterhaltung dieser Fähigkeit ist vor allem im Hinblick auf die möglichen Konflikte der Zukunft, bspw. in arktischen und teil-arktischen Einsatzräumen an der NATO-Nordflanke, unabdingbar. Mit der multinationalen Einführung des CATV wird ein wichtiger Zwischenschritt zur Sicherstellung der Überschneemobilität in der Bundeswehr erreicht, aber auch ein Beitrag zur Erfüllung der NATO-Verpflichtung zur Beistellung einer kampfbereiten und bei jedem Klima, Wetter und Gelände beweglichen “Mountain Light Infantry Brigade” geleistet.

*Oberleutnant Jakob Ningelgen, Amt für Heeresentwicklung II 2 1

Test autonomer Funktionen

Robotersysteme in der Nutzung

(BS/df) Die Bundeswehr hat eine Felderprobung unbemannter Systeme im Rahmen der F&T-Studie “Unmanned Ground Vehicles (UGV) zur Unterstützung abgesessener Kräfte” durchgeführt. Im Rahmen der Studie, die durch das Amt für Heeresentwicklung zusammen mit dem Fraunhofer Institut FKIE durchgeführt wurde, sollten verschiedene UGV in realitätsnahen Szenarien getestet und bewertet werden.

Die bisherigen Kriterien wie z. B. Fahreigenschaften und Teleoperation/Fernbedienung wurden dabei ergänzt um die Nutzbarkeit autonomer Funktionen in einsatznahen Szenarien. Den Höhepunkt bildete ein Gefechtsschießen, bei dem die Soldaten durch die teilnehmenden UGV unterstützt wurden.

Probot V2

Elbit Systems Deutschland nahm mit zwei Probot V2 teil. “Unser UGV Probot (Professional Robot) ist ein geländegängiger Träger- und Aufklärungsroboter zur Unterstützung abgesessener Truppen und zur Steigerung deren Effektivität”, berichtet das Unternehmen. “Um die Einsatzkräfte zu entlasten, ist der Probot in der Lage, Verwundete liegend, Rucksäcke oder andere Lasten zu transportieren oder verschiedene Sensoren zur Aufklärung aufzunehmen. Beim aktuellen Test wurden neben normalen Lasten auch Granatmaschinenwaffen (GraMaWa) des schweren Zuges transportiert. Auch ein direkter Einsatz der GraMaWa vom Probot aus ist denkbar, wurde aber nicht im scharfen Schuss erprobt.” Im Rahmen der Studie wurde der Probot rein als Lastenträger in seiner Funktion als Cargo Mule eingesetzt. Zusätzlich zur Geländegängigkeit und dem ferngelenkten Fahren wurden die autonomen Funktionen “FollowMe” und Wegpunktnavigation einsatznah erprobt, u. a. in den Szenarien Logistik und Verwundetentransport. Das Einsatzkonzept (CONOPS) sieht dabei vor, dass der Probot kleinere UGV oder unbemannte Luftfahrzeuge (UAV) in ein Zielgebiet transportieren kann, um Aufklärungsmissionen durchzuführen und deren Reichweite erheblich zu vergrößern. Der Probot kann für Gefechtsstände auch als Relaisstation zur Erhöhung der Reichweite und Abstandsfähigkeit genutzt werden.

Autonome Schiffe in Einsätzen

Ebenfalls autonome Funktionen testete im Oktober die britische Royal Navy. Diese meldete das Erreichen eines wichtigen Meilensteins zur Integration von autonomen Schiffen in Einsätze. Erstmals sei es dabei dem Kriegsschiff HMS Argyll gelungen, ein unbemanntes Pacific- 24-Schlauchboot (RIB) während der Fahrt auf See zu steuern. Bei den Tests übernahm die Fregatte vom Typ 23 das Kommando über das Schlauchboot, dabei lieferten die Kameras und Sensoren an Bord des unbemannten Schiffes durchgehend Daten an die Argyll. Die vorübergehende Einsatzzentrale befand sich im Hangar des Schiffes. Erstmals wurde zudem das Steuerungssystem des Schlauchbootes in den Operationsraum des Schiffes integriert. “Dies war ein großartiger erster Schritt bei der Integration vollständig autonomer Schiffe in Kriegsschiffe der Royal Navy”, sagte Lieutenant Commander Rob Manson, Leiter der Erprobung von NavyX bei der Royal Navy. “Mit diesen Versuchen konnten wir beweisen, dass Systeme zur Steuerung autonomer und unbemannter Technologie erfolgreich in unsere aktuelle Flotte eingeführt werden können. Der Betrieb mit dem Pac24 auf See hat zudem gezeigt, dass diese Schiffe in Zukunft das Potenzial haben, zusammen mit den derzeitigen Fregatten und Zerstörern eingesetzt zu werden und eine Reihe von operativen Aufgaben zu übernehmen.”

Integration in die Fregatte

Pac24 wurde bei den Versuchen aus einer Entfernung von bis zu zehn Meilen gesteuert. Zudem erhielt das unbemannte Schlauchboot Anweisungen von der Fregatte, die es im autonomen Betrieb ausführte, darunter beispielsweise die Durchführung grundlegender Missionen, die Identifizierung von Zielen auf dem Wasser sowie die Steuerung der Kamera und der ferngesteuerten Waffenstation zur Verfolgung von Zielen. “Die Royal Navy ist entschlossen, diese Art von Technologie auf Herz und Nieren zu prüfen und zu erproben, wie wir sie an vorderster Front einsetzen können”, betonte Lieutenant Commander Rob Manson. “In den vergangenen zwei Jahren haben wir entscheidende Entwicklungen im Bereich der unbemannten Einsätze erlebt und sind gespannt auf die Zukunft.”

Denn der durch ihre Beschäftigten und sie vorgenommene Abgleich zwischen Tatortspuren und Vergleichsmaterial von Verdächtigen kann wichtige Hinweise und neue Ermittlungsansätze bringen. Außerdem können Täterinnen und Täter so im besten Falle gerichtsfest überführt werden. Deshalb ist sich Tanzhaus auch sicher: “Wir machen einen Unterschied bei der Verbrechensaufklärung.”

Die 44-jährige gebürtige Berlinerin arbeitet bereits seit 2009 im LKA in Erfurt. Sie ist studierte und diplomierte Biologin. Studiert hat Tanzhaus dabei an der Freien Universität Berlin und an der Universität Göttingen. Ihre Schwerpunkte lagen schon damals auf den Bereichen Anthropologie und Molekularbiologie. Zu Letzterer hat sie auch ihre Doktorarbeit in Oxford verfasst. Anschließend absolvierte Tanzhaus einen Master-Studiengang zu “forensic science” an der Strathclyde-Universität im schottischen Glasgow. Nur Forschung reicht ihr nicht

“Ich habe aber schnell gemerkt, dass ausschließlich Forschung nichts für mich ist. Ich brauche auch ein wenig Anwendung”, erzählt sie über ihren Werdegang. Außerdem sei für sie immer der Inhalt der Arbeit wichtig gewesen. Seit 2018 ist Tanzhaus nunmehr Dezernatsleiterin sowie stellvertretende Abteilungsleiterin im LKA des Freistaates Thüringen. Ihr unmittelbarer Vorgesetzter ist der Abteilungsleiter. Derzeit nimmt sie aber auch diese Funktion für sechs Monate wahr. Seit ihrem Aufstieg zur Dezernatsleiterin ist sie deutlich stärker als früher mit organisatorischen Dingen beschäftigt. Tanzhaus steht nur noch in wenigen Ausnahmefällen selbst im Labor und führt Untersuchungen durch. Dazu gehört unter anderem die Erstellung des bereits erwähnten genetischen Fingerabdrucks, bei dem zum Beispiel ein unbekanntes männliches Profil an einer Spur entdeckt wird, das nicht mit dem Vergleichsmaterial übereinstimmt. Zudem führt Tanzhaus als einzige Sachverständige in ihrem Dezernat sogenannte Blutspurenmusteranalysen durch. Dabei wird anhand von Blutspuren eine Rekonstruktion des Tathergangs am Tatort vorgenommen. Solche Auswertungen sind kompliziert sowie zeit- und arbeitsaufwendig. “Deshalb landen pro Jahr auch nur zwei bis drei solcher Fälle auf meinem Tisch”, erzählt Tanzhaus, die Angehörige des höheren Dienstes ist.

Geregelte und flexible Arbeitszeiten

Wie bei allen anderen Untersuchungen erhält die ermittelnde Polizeidienststelle auch bei solchen Sachverhalten abschließend ein wissenschaftliches Sachverständigengutachten. Die Blutspurenmusteranalyse führt die Dezernatsleiterin, in deren Einheit mit Ausnahme einer Chemikerin und eines Biochemikers nur Biologinnen und Biologen beziehungsweise technische Assistentinnen und Assistenten arbeiten, dabei landesweit an Tatorten durch. Dennoch hat sie recht geregelte Arbeitszeiten. “Wir arbeiten in Gleitzeit. Von Montag bis Freitag können wir uns unsere Arbeitszeiten zwischen sechs und 20 Uhr flexibel einteilen”, berichtet die Biologin. Nur selten – und auch nur auf freiwilliger Basis – würden Wochenenddienste übernommen.

Zahlreiche Proben und Spurenträger im Bereich der Kriminaltechnik müssen per Mikroskop untersucht werden. Andernfalls ließen sich keine Spuren finden und Schlüsse für die Ermittlungen ziehen.

“Wir machen einen Unterschied”

Dr. Katrin Tanzhaus ist Sachverständige für forensische Genetik in Thüringen

(BS/Marco Feldmann) Sie arbeitet tagtäglich mit Blutspuren oder Speichelproben: Dr. Katrin Tanzhaus führt im Dezernat für forensische Genetik des Thüringer Landeskriminalamtes (LKA) zahlreiche molekulargenetische Untersuchungen durch. Dabei erstellen ihre Mitarbeiter und sie unter anderem genetische Fingerabdrücke. Diese können bei der Aufklärung von Verbrechen, insbesondere bei Sexual- und Kapitaldelikten, sehr helfen.

Ohne Fremdvergaben nicht zu schaffen

Im vergangenen Jahr hatte ihr Dezernat insgesamt 10.025 Untersuchungsaufträge zu bearbeiten. “Das war mit dem vorhandenen Personal nicht zu bewältigen”, gibt Tanzhaus zu. Aus diesem Grunde hätten auch Vergaben an Fremdfirmen erfolgen müssen. Dies habe allerdings nicht zur Beschleunigung der Auswertung beigetragen. An ihrer Arbeit schätzt die Sachverständige, die als Kontrollinstanz alle Gutachten noch mal auf Plausibilität überprüft und zudem für die Gerätebeschaffung in ihrem Dezernat zuständig ist, unter anderem die enge Kooperation mit anderen LKA-Dezernaten und der Rechtsmedizin. Denn Letztere nehme sehr ähnliche Aufgaben wie ihr Dezernat wahr, so Tanzhaus. Einen großen Unterschied gibt es aber doch: “Die Rechtsmedizin kann eine Spur nur molekulargenetisch untersuchen. Das LKA ist dagegen in der Lage, an einem Spurenträger unterschiedliche kriminaltechnische Untersuchungen, zum Beispiel daktyloskopische, molekulargenetische und chemische Analysen, dezernatsübergreifend vorzunehmen.” Interessant in diesem Zusammenhang: Laut Tanzhaus kennt die Rechtsmedizin nicht die Auswertungsergebnisse des LKAs und andersherum.

Dr. Katrin Tanzhaus (44) ist Sachverständige für Gerichtsbiologie im Thüringer Landeskriminalamt (LKA) in Erfurt. Zudem leitet sie dort ein Dezernat und ist derzeit sogar mit den Aufgaben der Abteilungsleitung betraut.

Foto: BS/TLKA, Abteilung 4, Fotostelle

Kriminaltechnik sehr vielfältig

Es existieren verschiedene Bereiche der Kriminaltechnik. So werden unter anderem auch (technische) Formspuren untersucht. Analysiert werden dabei unter anderem Schließtechnik, wozu Schlösser, Schlüssel und Schließzylinder gehören, Werkzeug-, Schuh- oder Reifenspuren. Außerdem können Passspuren ausgewertet werden. Zudem geht es in diesem Bereich um die Wiedersichtbarmachung entfernter Prägezeichen sowie um die Analyse von Bissspuren. In einem weiteren Feld der Kriminaltechnik werden Waffen und Munition untersucht. Hierzu gehören sowohl Schuss- als auch Hieb- und Stichwaffen. Außerdem geht es um die rechtliche Einordnung von Waffen und Munition. Die Urkundentechnik wiederum beinhaltet eine umfassende physikalische und chemische Überprüfung von Urkunden, Druckerzeugnissen, Pässen, Papier und sonstigen Schriftträgern hinsichtlich Merkmalen, die bei einer Echtheitsprüfung fälschungsrelevant sind. Die forensische Biologie ist eine der jüngsten kriminaltechnischen Fachgebiete in der Forensik inzwischen jedoch unersetzlich. Hierzu zählen die Fachgebiete DNA-Analyse, morphologische Haaranalyse und Textiluntersuchungen. Letzterer Bereich beinhaltet die Faservergleichsuntersuchungen, die Untersuchung von Handschuhspuren und die Identifizierung von Bekleidung. Mit Blick auf DNA-Untersuchungen erläutert Tanzhaus: “Jedes Landeskriminalamt, mit Ausnahme des Saarlandes, hat eine DNA-Untersuchungsstelle.” Im Saarland übernehme die Rechtsmedizin diese Aufgabe. In der chemischen Analytik geht es wiederum insbesondere um Materialanalysen, wie die Untersuchung von Lacken, Farben und Schmauchspuren, Analysen von Betäubungsmitteln und toxikologische Untersuchungen. Des Weiteren spielen in diesem Bereich die Brandursachenermittlung und die Brandanalytik eine große Rolle. Unter dem Begriff Daktyloskopie werden alle Erkenntnisse und Maßnahmen zusammengefasst, die sich mit der Anwendung und Nutzbarmachung wissenschaftlicher Erkenntnisse im Hinblick auf kriminalistische Spuren von Hautleistengebilden beschäftigen. Dazu zählen insbesondere Fingerabdrücke. Der thematisch vielfältigste Bereich der Kriminaltechnik ist die forensische Informationsund Kommunikationstechnik (IuK). Hierbei geht es um die Untersuchung digitaler Spuren mit den Schwerpunkten Datensicherung, Datenrettung, Kryptoanalysen, Kfz-und Mobilfunkforensik, Hacking-Analysen und vieles mehr.

Original muss immer vorhanden sein

Forensische Handschriftenuntersuchungen haben schließlich das Ziel, durch den Vergleich von Merkmalen zweier oder mehrerer Schreibleistungen Aussagen zur Frage der Echtheit von Unterschriften zu treffen beziehungsweise eine Identifizierung des Schrifturhebers durchzuführen. In Ausnahmefällen ist mit diesen Methoden auch eine zeitliche Einordnung fraglicher Schreibleistungen möglich. Dann werden sogenannte relative Altersbestimmungen vorgenommen. Voraussetzung für forensische Handschriftenuntersuchungen ist, dass das fragliche Material im Original vorliegt. Darüber hinaus braucht es genügend Vergleichsmaterial. Neben den Landeskriminalämtern unterhält auch das Bundeskriminalamt (BKA) ein Kriminaltechnisches Institut (KTI). Ziel der Einrichtung ist es, mit neuartigen Begehungsformen und der dabei genutzten, sich stets weiterentwickelnden Technik Schritt zu halten. Zu den Aufgaben des BKA-KTI gehören die anlassbezogene Fallbearbeitung, Forschung und Entwicklung, die Unterhaltung kriminaltechnischer Sammlungen und Informationssysteme sowie die nationale und internationale Lehre und Beratung.

Ohne technische Unterstützung, zum Beispiel durch Roboter (Foto), geht es bei den Auswertungen im Bereich der Kriminaltechnik nicht mehr. Foto: BS/Fotostelle TLKA

In der Kriminaltechnischen Untersuchungsstelle (KTU) führen Tanzhaus und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zahlreiche Untersuchungen durch. Tanzhaus selbst, die promovierte Biologin ist, führt zudem Blutspurenmusteranalysen durch. Hierfür ist sie die einzige Sachverständige in ihrem Dezernat. Diese Aufgabe nimmt sie landesweit wahr. Dabei finden auch Tatortrekonstruktionen statt.

Das Thüringer Landeskriminalamt – zentrale Dienststelle der Kriminalpolizei

(BS/mfe) Beim Thüringer Landeskriminalamt (TLKA), zu dem auch die Abteilung Kriminaltechnik gehört, handelt es sich um die zentrale Dienststelle der Thüringer Polizei für kriminalpolizeiliche Aufgaben. Laut Polizeiorganisationsgesetz (POG) übt es unter anderem die Fachaufsicht über die kriminalpolizeiliche Tätigkeit der Dienststellen der Thüringer Polizei aus. Zudem ist das TLKA die zentrale Dienststelle der Thüringer Kriminalpolizei im Sinne des Bundeskriminalamtgesetzes (BKAG) sowie Zentralstelle für das polizeiliche Informations- und Kommunikationswesen. Darüber hinaus fungiert das TLKA als Service-Dienststelle für alle Polizeidienststellen des Landes, als zentrale kriminaltechnische Untersuchungs- und Gutachtenstelle und als Dienststelle für das europäische Polizeiamt Europol. Eigene Ermittlungszuständigkeiten bestehen für die Behörde bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität (OK), des Terrorismus, der qualifizierten Wirtschaftskriminalität sowie der Nuklearkriminalität. Nicht zuständig ist das TLKA für die Kriminalprävention. Sie fällt in den Aufgabenbereich der Landespolizeidirektion. Mehrere Abteilungen

Das TLKA besteht aus sieben Abteilungen sowie den jeweils dazugehörigen Dezernaten. Hinzu kommt der Bereich ControllingQualitätsmanagement-Präsidialbüro zur Unterstützung der Leitung der Behörde. Die Abteilung Zentrale Dienste ist unter anderem für die Bereiche Personal, Innerer Dienst und Standortverwaltung zuständig. In der Abteilung Polizeilicher Staatsschutz werden zentrale Aufgaben aus diesem Aufgabenbereich wahrgenommen. Weitere dort bearbeitete Phänomene sind die unterschiedlichen Formen der politisch motivierten Kriminalität aus allen Extremismusbereichen. Darüber hinaus sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Abteilung für den Personenschutz verantwortlich. Der Abteilung Einsatz- und Ermittlungsunterstützung obliegen lage- und einsatzbegleitende Maßnahmen, technische Unterstützung, die Spezialeinheiten sowie die Zuständigkeit für verdeckte Maßnahmen. In den Zuständigkeitsbereich der Abteilung Kriminaltechnik fallen unter anderem Physik, Chemie und Biologie. Außerdem geht es dort um Brände, DNA-Analytik sowie forensische Information und Kommunikation. Des Weiteren erfolgt hier die Analyse von Waffen, Formspuren und Urkunden. Auch die Daktyloskopie sowie die Bildbearbeitung sind hier verortet. Die Kräfte der Abteilung IuKTechnik sind zum Beispiel für Kommunikation, Vorgangsbearbeitungssysteme, Systemdienste, Fall- und Recherchesysteme sowie Verfahrensbetreuung und Auskunftsdienste zuständig. In der Abteilung Auswertung und Ermittlungen wird unter anderem gegen OK, Wirtschafts- und Umweltkriminalität sowie Cyber Crime vorgegangen. In der Abteilung IT-Koordination geht es schließlich um Multiprojektmanagement sowie Fachverfahren. Präsident des TLKA ist seit 2018 Jens Kehr. Er trat die Nachfolge von Frank-Michael Schwarz an, der die Behörde seit 2016 geleitet hatte.

Das Thüringer Landeskriminalamt (TLKA) ist die zentrale Dienststelle der Landespolizei für kriminalpolizeiliche Aufgaben im Freistaat. Seit 2015 befindet es sich in einem neuen Gebäude in Erfurt. Foto: BS/TLKA