Etwa 100 Jahre dauerte die Blütezeit, bevor es ab 1950 langsam zu Ende ging und 1992 die letzte Produktion eingestellt wurde. Danach lag das Areal der Spinnerei und Weberei rund 20 Jahre lang brach bis die Sozialbau sich dem Stadtquartier 2013 annahm.
Bauliche Höchstleistung Die 125 Jahre alte Stahl-Sheddachhallen-Konstruktion wurde bis auf die Bodenplatte vollständig zurückgebaut, hunderte Stahlstützen sandgestrahlt, zwischengelagert und aufwändig wieder neu aufgebaut. Für die Planer und die Bauabteilung der Sozialbau als Bauherrin galt es, auf die Sondersituation des Industriedenkmals sensibel einzugehen und gleichzeitig moderne Wohnformen zu schaffen. Anspruchsvolle Details waren mit dem Denkmalamt und den Baubehörden abzustimmen: Wie ist das Tragwerk zu erhalten? Wie sind die historisierenden Fenster neu zu gestalten? Wie kann die Klinkerfassade mit neuen Balkonen umgestaltet werden? Manche Lösungen bedurften eines Spagats zwischen Optik und energetischen Anforde-rungen, zum Beispiel die Fensterprofilierung. Fragen zur thermischen Trennung und den technischen Anschlüssen zwischen neuen Wohnungen und den bestehenden Stützen, Träger oder Gefache mussten gelöst werden. Insbesondere bei der thermischen Umsetzung waren eigens für das Objekt
Das Stadtquartier „Keselstraße“ an der Iller
gewählte Wege nötig. Standard-DIN-Lösungen hätten hier nicht zum Erfolg geführt. Auch erwies sich der vollständige Rückbau bis auf die Bodenplatte und die anschließende Wiederherstellung des gesamten Tragwerks als äußerst komplexe technische Aufgabe. Immer wieder traten technische Überraschungen auf, die erhöhten Aufwand in der baubegleitenden Planung und Bauüberwachung nach sich zogen. Denn trotz der Erfüllung aktueller Normen, wie z.B. Brand- und Schallschutz, war der Sozialbau die Einhaltung des Kostenrahmens wichtig. Statt überzogener EnEV-Anforderungen an die Altbausubstanz zu stellen, galt die Umsetzung mit pragmatischem Augenmaß als Leitbild.
Heute erlebbarer Industriecharakter Die 46 Loft-Wohnungen im „Kemptener Modell“ sind von 50 bis 128 m² Wohnfläche in drei Wohnungstypen realisiert. Die Ost-Wohnungen ermöglichen einen idyllischen Blick auf die Iller und „funktionieren“ wie ein Reihenhaus über drei Ebenen. Im mittleDER ALTSTADTBRIEF 46/2019
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