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Das Pasticcio Funkelnde Neuschöpfung oder einfach nur geklaut?
Wortgeschichtlich bedeutet Pasticcio nichts anders als «Pastete». Und wie diese ist auch das Opernpasticcio mehr als nur die Summe seiner Ingredienzen.
Text Silvio Badolato
Man nehme ein beliebtes Libretto, vertone es mit Rezitativen und bekannten Arien aus verschiedenen Opern und passe diese, wo nötig, der veränderten Affektlage und dem Können der Sängerinnen und Sänger an. Das Resultat daraus ist ein «Pasticcio» wie es die Royal Academy of Music von ihrem italienischen Agenten Swiney bestellte, als sie nach dem Ausscheiden Giovanni Bononcinis für die Spielsaison 1725 neues Repertoire benötigte. Swiney griff dazu auf Apostolo Zenos Libretto I rivali generosi und Musik aus Opern von Leonardo Vinci und Giuseppe Maria Orlandini zurück. In London angekommen, wurden dem Pasticcio noch an einigen Stellen die Lieblingsarien der anwesenden Sänger:innen eingesetzt und Händel, der musikalische Leiter der Akademie, bearbeitete wohl auch einige Rezitative und Arien, bevor er die Oper unter dem Namen Elpidia im King’s Theatre zur Aufführung brachte.
Was aus Sicht der seit dem 19. Jahrhundert immer stärker überhandnehmenden Originalitätsästhetik wie ein billiges Plagiat klingen mag, war in der Opernwelt des 17. und 18. Jahrhunderts eine gängige Praxis. Freilich, ausschlaggebend für diese war die Organisation der Opernhäuser als Wirtschaftsunternehmen. Als solche standen sie unter dem Druck, stets neue Werke auf die Bühne zu bringen. Gleichzeitig erhöhten beliebte Arien von bekannten Komponisten die Erfolgsaussichten der Produktion. Doch erst diese Praxis ermöglichte es, einen grösseren Publikumskreis in ganz Europa verhältnismässig kostengünstig mit den aktuellsten Werken vertraut zu machen.
Im Grunde genommen waren Pasticcio-Bearbeiter wie Händel und Swiney Dramaturgen. Als ein solcher versteht sich auch Dirigent und Blockflötist Maurice Steger, wenn er für das Zürcher Kammerorchester und die Sopranistin Julia Lezhneva ein Programm mit Arien aus verschiedensten Barockopern zusammenstellt:
«Ich sehe mich als ein historischer Dramaturg, der versucht, gewisse Handlungen in einem neuen Kontext darstellen zu lassen. Wir nehmen pasticciomässig gewisse Stellen und lassen sie dann als etwas Neues auffunkeln. Die Praxis des Pasticcios finde ich hervorragend, um besondere Schönheiten vielleicht etwas anders wahrzunehmen als in einer originalen Handlung.»
In das Zentrum dieser Dramaturgie stellt Steger die neapolitanische Oper. Als Übervater dieser Schule wird oft Alessandro Scarlatti angesehen, dessen Name bis heute mit der Einführung der dreiteiligen Operneinleitung, der Sinfonia, verbunden ist. Mit ihrer Satzfolge schnell-langsam-schnell ist sie seit Scarlattis Oper Mitridate Eupatore (1707) die dominierende Form, dennoch muss bezweifelt werden, dass er der alleinige Begründer dieser Tradition ist. Nicht minder prägend für den neapolitanischen Operntypus waren die Opernstoffe von Metastasio. Bevor der fast konkurrenzlose Librettist 1730 Zenos Nachfolge als habsburgischer Hofpoet in Wien antrat, arbeitete er in Neapel und Rom mit Komponisten wie Domenico Sarro und Leonardo Vinci zusammen. Eines seiner beliebtesten Werke war Didone abbandonata mit über 60 Vertonungen, unter anderem von Johann Adolf Hasse, Sarro und eben Vinci, dessen Fassung – wie hätte es anders sein können – von Händel als Pasticcio in London aufgeführt wurde.
Julia Lezhneva & Maurice Steger
Di | 15. April 2025 | 19.30 Uhr Tonhalle Zürich
Maurice Steger Blockflöte und LeitungJulia Lezhneva Sopran Zürcher Kammerorchester
Charles AvisonConcerto grosso Nr. 5 d-Moll
Antonio VivaldiMotette «Nulla in mundo pax sincera», RV 630
Domenico Natale Sarro Konzert für Blockflöte und Streichorchester Nr. 11 a-Moll
Alessandro Scarlatti Ouvertüre, aus: Il Mitridate Eupatore
Carl Heinrich GraunArie «No, no di Libia fra l’arene», aus: Silla, B:I:27
Leonardo VinciOuvertüre, aus: Elpidia
Johann Adolf HasseArie «L’augelletto in lacci stretto», aus: La Didone abbandonata
Antonio VivaldiArie «Sol da te, mio dolce amore», aus: Orlando furioso, RV 819
Georg Friedrich HändelArie «Da tempeste», aus: Giulio Cesare in Egitto, HWV 17
Antonio VivaldiConcerto ripieno C-Dur, RV 114
Johann Adolf HasseArie «Cieli audite», aus: Serpentes Ignei in Diserto
TicketpreiseCHF 115 / 105 / 90 / 65 / 40