Die neue Apotheke – Tirol (Frühling 2022)

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SERIE: Vom Arzt erklärt

Zellen auf Abwegen Obwohl sie seit über 200 Jahren bekannt ist, gibt die Endometriose Medizinern bis heute Rätsel auf. Ein neuer Therapieansatz verspricht Linderung der schmerzhaften Erkrankung.

© Klaus Maislinger

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tarke Periodenschmerzen können Symptom einer Erkrankung sein, die acht bis zehn Prozent aller Frauen im gebärfähigen Alter betrifft: der Endometriose. Sie entsteht, wenn sich Zellen, ähnlich der Gebärmutterschleimhaut, außerhalb der Gebärmutterhöhle ansiedeln und dort den Reizen des Hormonzyklus folgen. Diese Endometrioseherde sind nicht nur körperlich unangenehm, erklärt Primar Dr. Peter Widschwendter vom Endometriosezentrum am Landeskrankenhaus Hall: „Die Betroffenen leiden, werden aber häufig nicht ernst genommen.“

Primar Univ. Prof. DDr. Peter Widschwendter ist seit 2019 Abteilungsvorstand für Gynäkologie und Geburtshilfe am Landeskrankenhaus Hall sowie Leiter des dortigen zertifizierten Endometriosezentrums.auf die Krankheit.

Vielfältige Symptome

Bei etwa 85 Prozent der Frauen äußern sich die Beschwerden entlang des Zyklus. Starke Schmerzen während der Periode, beim Geschlechtsverkehr oder auch bei Stuhlgang und Wasserlassen sind die Folge. Bei 15 Prozent treten die Schmerzen unspezifisch auf, außerhalb von Menstruation und Eisprung. Die Intensität sagt nichts über die Schwere des Befundes aus, weiß Widschwendter:

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DIE NEUE APOTHEKE

„Die Schwierigkeit bei der Erkrankung ist vor allem, dass viel Endometriose nicht zwingend viel Schmerz und wenig Endometriose wenig Schmerz heißt.“

Richtungswechsel

Die gängigste Entstehungstheorie ist die retrograde Menstruation: Blut und Schleimhaut fließen nicht nur nach

außen ab, sondern auch über die Eileiter nach innen in den Bauchraum. „Warum die Zellen dann bei der einen Frau anwachsen und bei der anderen nicht, weiß man nicht“, so Widschwendter. Man gehe aber von genetischen Faktoren aus, die die Ansiedelung der Zellen begünstigen, da es unter anderem zu familiären Häufungen kommt.

Weitreichende Problematik

Symptomvielfalt und Verharmlosung machen die Feststellung der Krankheit langwierig, weiß der Experte: „Studien aus dem deutschsprachigen Raum zeigen im Schnitt acht bis zehn Jahre Zeitverzögerung bis zur Diagnosestellung.“ „Das hat auch einen volkswirtschaftlichen Charakter“, fügt er hinzu. Zum einen durch Krankenhausaufenthalte und Operationen, zum anderen durch Einschränkungen der Betroffenen im Arbeitsleben. Diese können zu Anfeindungen führen, erklärt der Mediziner, da Endometriose weniger offensichtlich sei als etwa ein gebrochener Fuß und damit auf weniger Verständnis trifft.


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