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Mahler: Lied & Symphonie

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Seelenfeuer

Seelenfeuer

Lied und Symphonie: Bei keinem anderen Komponisten durchdringen einander diese so unterschiedlichen Gattungen so kühn und beziehungsreich wie bei Gustav Mahler –und werden auf höherer Ebene eins

VON WALTER WEIDRINGER

»Wenn ich ein großes musikalisches Gebilde konzipiere«, so schrieb Gustav Mahler 1897, »so komme ich immer an den Punkt, wo ich mir das ›Wort‹ als Träger meiner musikalischen Idee heranziehen muß.« Das »große musikalische Gebilde« umschreibt dabei natürlich die monumental-öffentliche Form der Symphonie. Und das Wort? Das kommt für Mahler aus den intim-privaten Gefilden des Liedes.

Diese beiden so unterschiedlichen Genres boten seiner kompositorischen Fantasie zeitlebens nicht nur die zentralen, ja nahezu ausschließlichen Betätigungsfelder, sondern sie bedeuteten für ihn auch alles andere als einen Widerspruch.

Beethovens Neunte mit dem Schlusschor über Schillers Ode »An die Freude« hatte erstmals die eigentlich rein instrumentale Gattung der Symphonie durch Solostimmen und Chor gesprengt. Wann immer ein Komponist danach einen ähnlichen Schritt wagte, musste er sich dieses Vorbilds als würdig erweisen und ein gewichtiges Bekenntniswerk liefern. Gustav Mahler hat das mehrfach getan – über das Lied.

Diese eigentümliche Verbindung knüpft er dabei auf symptomatische Weise zunächst in seinen ersten vier, den in der Musikliteratur so genannten »Wunderhorn-Symphonien«: In allen diesen Werken tauchen, das eine Mal in instrumentaler Form, das andere Mal gesungen, von ihm selbst komponierte Lieder auf. Ihre Texte stammen aus der Sammlung »Des Knaben Wunderhorn«: erfundener, nachempfundener Volkston der Romantik; Schlichtheit, gespickt mit düsteren Abgründen.

Mit Gesang wagt er es freilich nicht bereits in der Ersten, sondern erst in der Zweiten, komponiert 1888 bis 1894. Darin stellt Mahler den Menschen in den Mittelpunkt – zwischen dem Schrecken des Todes zu Beginn und einer schließlich feierlich inszenierten Gewissheit der Auferstehung. »Ich trug mich damals lange Zeit schon mit dem Gedanken, zum letzten Satz den Chor herbeizuziehen und nur die Sorge, man möchte dies als äußerliche Nachahmung Beethovens empfinden, ließ mich immer und immer wieder zögern«, setzte Mahler im eingangs zitierten Brief an den Kritiker Arthur Seidl fort. Nach ergebnisloser Suche »durch die ganze Weltliteratur bis zur Bibel« sei ihm jedoch just bei der »Todtenfeier« für den Dirigenten Hans von Bülow am 29. März 1894 die rettende Idee gekommen: »Die Stimmung in der ich dasaß und des Heimgegangenen gedachte, war so recht im Geiste des Werkes, das ich damals mit mir herumtrug. – Da intonierte der Chor von der Orgel den Klopstock-Choral ›Aufersteh’n!‹ – Wie ein Blitz traf mich dies, und alles stand ganz klar und deutlich vor meiner Seele! Auf diesen Blitz wartet der Schaffende, die ist ›die heilige Empfängnis‹! Was ich damals erlebte, hatte ich nun in Tönen zu schaffen.« Den Weg dahin bereitet der zuletzt noch eingeschobene vierte Satz (Des-Dur), das zuvor als selbstständiges »Wunderhorn«-Lied komponierte und für die Symphonie orchestrierte »Urlicht«, in dem die »rührende Stimme des ›naiven‹ Glaubens« erklingt und in schlichter Gewissheit vom »ewig selig Leben« kündet.

Was »erzählt« eigentlich Musik? Stehen deskriptive, tonmalerische Klänge auf einer niedrigeren Stufe als ein reines »Denken in Tönen«, eine nur auf sich selbst verweisende Komposition? Seit der deutschen Romantik wurde über diese Frage verstärkt nachgedacht. Hier Programmmusik, dort absolute Musik – und dazwischen alle Graustufen: Mahlers Symphonien scheinen auch diese Kontroverse in Tönen abzubilden.

Zur Zeit des Briefes an Seidl hatte Mahler gerade seine Dritte abgeschlossen. Bei der Arbeit gleichsam übrig geblieben war ihm ein letzter, siebenter Satz, überschrieben mit: »Was mir das Kind erzählt«. Als Vertonung des »Wunderhorn«-Gedichts »Das himmlische Leben« war ihm dessen kindliche Naivität und Unschuld als die einzige noch mögliche Steigerung und Fortführung allumfassender Liebe erschienen. Dann aber erkannte er, dass das die ohnehin schon monumentale Konzeption sprengen würde. Er strich ihn – und machte ihn dafür, nach einer Kompositionspause von etwa drei Jahren, zum Ausgangspunkt und zugleich zum Ziel seiner Vierten. 1901 in München unter seiner Leitung uraufgeführt, wirkte die Symphonie Nr. 4 dann von Anfang an verstörend – auch deshalb, weil sie so gar nichts mit der triumphalen Monumentalität etwa der Zweiten zu tun hatte, welche das Münchener Publikum aus dem vorangegangenen Jahr noch im Ohr gehabt hatte …

Nach den rein instrumentalen Symphonien 5, 6 und 7 und der exorbitant besetzten Achten, einer Vertonung des Pfingsthymnus »Veni, creator spiritus« und der Schlussszene aus Goethes »Faust II«, sollte Mahler zu einem ganz anderen Text finden – und zur letzten großen Verschmelzung der beiden Sphären von Wort und Ton.

Das Ergebnis nannte er im Untertitel zwar Symphonie, wollte diese aber nicht als Nummer 9 in sein Schaffen einreihen. Stattdessen entschied er sich für die literarische Überschrift »Das Lied von der Erde«. Das Werk sei »wohl das Persönlichste«, schrieb er dem Freund Bruno Walter, »was ich bis jetzt gemacht habe«. Die Texte stellte Mahler frei aus Übertragungen aus dem Chinesischen von Hans Bethge zusammen. In wechselnden Gesängen der beiden Stimmen – eher impulsiven und ekstatischen des Tenors, mehr tiefsinnigen und transzendent tönenden des Alts – stoßen ein kammermusikalischer Grundton und expressionistische Eruptionen aufeinander. Im ausgedehnten Finale scheint sich, zusammen mit der Form, zuletzt auch die Musik und damit das Dasein selbst aufzulösen – zu den Worten »Ewig, ewig«.

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Mi, 14/05/25, 19.30 Uhr · Großer Saal

NHK Symphony Orchestra, Tokyo · Fang · Buchbinder · Luisi

Ying Fang, SopranRudolf Buchbinder, KlavierFabio Luisi, Dirigent

Edvard Grieg: Klavierkonzert a-moll op. 16 · Gustav Mahler: Symphonie Nr. 4 G-Dur für großes Orchester und Sopran-Solo

Karten: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/62051

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Do, 22/05/25, 19.30 Uhr · Großer Saal

ORF Radio-Symphonieorchester Wien · Hillebrand · Cooke · Alsop

Wiener SingakademieNikola Hillebrand, SopranSasha Cooke, MezzosopranMarin Alsop, Dirigentin

Gustav Mahler: Symphonie Nr. 2 c-moll für Sopran, Alt, Chor und Orchester »Auferstehungs-Symphonie«

Karten: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/62067

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Do, 05/06/25, 19.30 Uhr · Großer Saal

Wiener Philharmoniker · Baumgartner · Behle · Welser-Möst

Tanja Ariane Baumgartner, MezzosopranDaniel Behle, TenorFranz Welser-Möst, Dirigent

Joseph Haydn: Symphonie c-moll Hob. I/52Gustav Mahler: Das Lied von der Erde. Eine Symphonie für eine Tenor- und eine Alt-Stimme und Orchester

Karten: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/62094

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