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Im Portrait: Raphaël Pichon

Dramaturg der Klangwelten: Raphaël Pichon wird gefeiert für seine tiefgründigen Interpretationen. Seine Porträtreihe beschließt er an den Pulten des Originalklangensembles Pygmalion und des Mahler Chamber Orchestra

VON ANNELIE LECHNER

Sein Name taucht in der Klassikwelt immer wieder auf – und das zu Recht: Raphaël Pichon. Der 40-jährige Franzose wird insbesondere für seine Kreativität in der Gestaltung außergewöhnlicher Programme, die einen dramaturgischen Bogen zwischen den einzelnen Epochen spannen, geschätzt. Er versteht es meisterhaft, das Publikum zu fesseln. Ob in der Oper, auf der Konzertbühne oder bei szenischen Aufführungen: Pichons Programme sind faszinierend vielseitig.

Untrennbar mit dem Dirigenten ist sein Ensemble Pygmalion verbunden. 2006 wurde es von Pichon, damals Anfang zwanzig, gegründet. Pygmalion besteht aus einem Chor und einem Originalklangensemble. Mit ihm hinterfragt Pichon immer wieder klassische Repertoirewerke. Mit innovativen und anspruchsvollen Projekten hat sich Pygmalion mittlerweile eine einzigartige Identität in der internationalen Musiklandschaft erspielt. Für seine CD-Produktionen hat es zahlreiche Auszeichnungen erhalten, darunter den Diapason d’Or und den Gramophone Award.

Eine besondere Stellung im künstlerischen Schaffen Raphaël Pichons hat die Musik von Johann Sebastian Bach, die er als »Erweckungserlebnis« bezeichnet. Als er das erste Mal Bachs Johannespassion zum Erklingen brachte, damals als junges Mitglied im Knabenchor von Versailles, hinterließ das nachhaltige Spuren: »Bach hat mein Leben verändert«, so Pichon. Auch die ihm gewidmete Personale im Wiener Konzerthaus eröffnet der Orchesterleiter am 10. April mit der Aufführung von Bachs hochdramatischer Johannespassion –Pichon steht hier am Pult von Pygmalion, als Evangelist ist Julian Prégardien zu erleben, und auch die restliche Solist:innenbesetzung lässt nichts zu wünschen übrig.

Mit zwei weiteren Programmen, in denen Pichon einmal mehr sein dramaturgisches Geschick unter Beweis stellt, beschließt er seine Porträtreihe im Mai.

Requiem pour Ophélie

Am 17. Mai stellt Pichon mit Pygmalion eine der wohl bekanntesten Figuren der Literaturgeschichte in den Mittelpunkt eines Konzertabends: Ophelia aus Shakespeares »Hamlet«. Bei seiner geistreichen Programmzusammenstellung überlässt der Franzose dabei nichts dem Zufall: So verdichtet er Auszüge aus Ambroise Thomas’ romantischer Oper »Hamlet« mit Gabriel Faurés Requiem zu einem »Requiem pour Ophélie«. Eine gelungene Werkkombination: Thomas’ »Hamlet« besticht mit einer raffinierten Mischung aus französischem Romantizismus und dramatischem Pathos.

»Ophelia« von John Everett Millais Öl auf Leinwand (1851–52) Raphaël Pichon stellt die tragische Figur der Ophelia aus Shakespeares »Hamlet« in den Mittelpunkt seines Konzertabends »Requiem pour Ophélie«.

Demgegenüber steht Gabriel Faurés Requiem op. 48, das für seine nahezu beruhigende Spiritualität und zärtliche Schönheit berühmt ist. Das Requiem unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von traditionellen Totenmessen: Fauré verzichtet auf eine dramatische Vertonung des »Dies irae«, im Vordergrund seiner Komposition steht die Erlösung. Dem Komponisten war es ein Anliegen, ein tröstendes, friedvolles Bild des Todes zu zeichnen. Für vokale Glanzleistungen sorgen an diesem Abend Bariton Stéphane Degout und Sopranistin Sabine Devieilhe, die kongeniale Partnerin Raphaël Pichons.

Seelenverwandtschaften

Nur wenige Wochen später, am 26. Mai, kehrt Pichon zurück in den Großen Saal, diesmal am Pult des Mahler Chamber Orchestra. Das demokratisch strukturierte »nomadische Kollektiv«, gegründet 1997 in Berlin von Claudio Abbado und früheren Mitgliedern des Gustav Mahler Jugendorchesters, spielt in der gleichen musikalischen Liga wie Pygmalion historisch informiert und gibt weltweit Konzerte auf höchstem Niveau.

Die Werkkombinationen an diesem Abend versprechen ein nahezu poetisches Konzert voller Dramatik, Mystik und Melancholie: Erneut ist Stéphane Degout zu erleben.

Raphaël Pichon begann seine musikalische Ausbildung mit Violine, Klavier und Gesang an verschiedenen Konservatorien in Paris. Als professioneller Sänger trat er unter der Leitung von Persönlichkeiten wie Jordi Savall, Gustav Leonhardt und Ton Koopman auf. Heute ist der ehemalige Countertenor ein gefragter Dirigent.

»Stéphane und ich, wir sind mittlerweile zwei alte Weggefährten«, so Pichon. Die beiden arbeiten seit elf Jahren regelmäßig zusammen. Für das 2022 auf CD veröffentlichte Projekt »Mein Traum« haben sie sich unter anderem intensiv mit dem Schaffen Franz Schuberts befasst: »Oft zeugen die Texte der Lieder von so einer unglaublichen Musikalität und einer Tiefe, die über uns hinausgeht«, resümiert Degout im Interview. Der herausragende Bariton vollendet in der ersten Konzerthälfte Schuberts 7. Symphonie mit drei ausgewählten Schubert-Liedern –»Der Doppelgänger«, »Gruppe aus dem Tartarus« und »Nacht und Träume«. Deren Intensität wird durch ihre jeweiligen Orchesterbearbeitungen von Franz Liszt, Johannes Brahms bzw. Max Reger noch um ein Vielfaches erhöht.

In der zweiten Konzerthälfte stehen Werke von Richard Wagner und Felix Mendelssohn Bartholdy auf dem Programm. Das »Siegfried-Idyll« zählt zu den intimeren, persönlichen Werken in Wagners Schaffen, der es einst für seine Frau Cosima schrieb – als Geburtstagsgeschenk. Es zeichnet sich durch eine sanfte, lyrische Qualität aus.

Kurz darauf erklingt Mendelssohn Bartholdys Symphonie Nr. 3, die »Schottische«. Mit diesem Meisterwerk der symphonischen Literatur setzt Mendelssohn die raue Schönheit der schottischen Natur in Töne: ein wildromantischer Abschluss für eine bewegende Personale.

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Sa, 17/05/25, 19.30 Uhr · Großer Saal

Pygmalion · Pichon

»Requiem pour Ophélie«

Sabine Devieilhe, SopranStéphane Degout, BaritonRaphaël Pichon, Dirigent

Ambroise Thomas: Szenen aus »Hamlet«. Oper in fünf Akten · Gabriel Fauré: Requiem op. 48 für Sopran, Bariton, Chor, Orgel und Orchester

Karten: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/62060

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Mo, 26/05/25, 19.30 Uhr, Großer Saal

Mahler Chamber Orchestra · Degout · Pichon

Stéphane Degout, BaritonRaphaël Pichon, Dirigent

Franz Schubert: Der Doppelgänger D 957/13 (Bearbeitung für Gesang und Orchester: Franz Liszt) · 1 Satz: Allegro moderato (Symphonie Nr. 7 h-moll D 759 »Unvollendete«) · Gruppe aus dem Tartarus D 583 (Bearbeitung für Gesang und Orchester: Johannes Brahms) · 2. Satz: Andante con moto (Symphonie Nr. 7 h-moll D 759 »Unvollendete«) · Nacht und Träume D 827 (Bearbeitung für Gesang und Orchester: Max Reger)Richard Wagner: Siegfried-Idyll Felix Mendelssohn Bartholdy: Symphonie Nr. 3 a-moll op. 56 »Schottische«

Karten: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/62081

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