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Blickpunkt: Schubert & seine Dichter
Franz Schubert prägte mit Zyklen wie »Die schöne Müllerin« und »Winterreise« die Liedkunst. Dabei fand er in Dichtern wie Wilhelm Müller, Ludwig Rellstab und Heinrich Heine wichtige Inspirationsquellen. Musikwissenschafter Thomas Seedorf schreibt über Schuberts Liederzyklen und ihre Dichter
VON THOMAS SEEDORF
Trotz der enormen Beliebtheit des »Forellenquintetts«, der »Unvollendeten« oder der Klavier-Impromptus gilt Franz Schubert bis heute vor allem als Meister des Liedes. Dabei sind es vor allem die großen Liederzyklen, die stellvertretend für Schuberts Schaffen stehen. Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert gehören »Die schöne Müllerin« und die »Winterreise« zum Kernrepertoire aller Liedsänger und seit einigen Jahrzehnten zunehmend auch vieler Liedsängerinnen, mehr noch: Sie sind Prüfsteine des Liedgesangs schlechthin. Die Gewohnheit, noch von einem weiteren großen Liederzyklus Schuberts zu sprechen, ist eine Erbschaft des 19. Jahrhunderts: Die Zusammenstellung jener 14 Lieder, die unter dem Namen »Schwanengesang« berühmt geworden sind, stammt indessen so wenig von Schubert wie der bis heute übliche Titel. Er geht auf den Wiener Verleger Tobias Haslinger zurück, der diese Lieder aus dem Nachlass des Komponisten als »die letzten Blüten seiner edlen Kraft« herausgab. Heute sieht man in dieser Sammlung keinen zusammenhängenden Zyklus mehr, sondern eine Zusammenstellung von zwei Liedgruppen auf Gedichte von Ludwig Rellstab und Heinrich Heine und dem Einzellied »Taubenpost« auf ein Gedicht von Johann Gabriel Seidl.
Schuberts lebenslange Vorliebe für das Lied ist der kompositorische Ausdruck seines geradezu existenziellen Verhältnisses zur Dichtkunst. Literarisches Qualitätsbewusstsein zeigte sich schon früh, als Schubert die Lyrik Goethes für sich entdeckte und mit ihrer Hilfe seinen ganz eigenen Weg als Liedkomponist fand. Goethe und sein Dichterpendant Schiller traten im Laufe der Jahre zurück zugunsten von Dichtern, die zur selben Generation gehörten wie Schubert selbst. Mit einigen von ihnen wie Johann Mayrhofer und Franz von Schober war Schubert befreundet, andere waren ihm nur durch ihre Werke oder allenfalls flüchtige Begegnungen bekannt.
Auch Wilhelm Müller, Ludwig Rellstab und Heinrich Heine zählten zu dieser Generation junger Künstler. Bei aller Unterschiedlichkeit der Lebensläufe und -entwürfe verband sie eines: Sie litten, wie Schubert, unter der eisigen Atmosphäre, die Europa nach dem Wiener Kongress erfasste, einer Melange aus gesellschaftlich-politischem Stillstand und staatlicher Repression, die in fast allen Lebensbereichen zu spüren war. Die vermeintlich gemütliche Außenseite dieser Zeit ist als Biedermeier bekannt: eine Bürgerkultur des Privaten, die sorgsam darauf bedacht war, jeden Zusammenstoß mit der Staatsmacht zu vermeiden. Die andere, dunklere Seite der Restaurationszeit ist die Flucht vor einer als schwer erträglich empfundenen Wirklichkeit – als Abtauchen in den politischen Untergrund oder als Ausweichen in jene Parallelwelten, zu denen man mit den Mitteln der Kunst gelangte.
»Wer in dieser Zeit nicht handeln kann, der kann doch ruhen und trauern.« So brachte Wilhelm Müller das Lebensgefühl seiner Zeit schon 1820 auf eine Formel. Das beruflich-gesellschaftliche Leben als Bibliothekar und Lehrer, das Müller in Dessau führte, war die bürgerliche Außenseite seiner Existenz, neben der er sein eigentliches Leben, das eines Künstlers, führte. In zwei »Bändchen« erschienen 1821 und 1824 seine »Sieben und siebzig Gedichte aus den hinterlassenen Papieren eines reisenden Waldhornisten«, die ein starkes Echo in der literarischen Welt hervorriefen.

Von Goethe hatte Müller gelernt, dass eine Lied-Dichtung imaginäre Musik in sich tragen muss. Schon mit 21 Jahren notierte er in sein Tagebuch: »Ich kann weder spielen noch singen und wenn ich dichte, so sing ich doch und spiele auch. Wenn ich die Weisen von mir geben könnte; so würden meine Lieder besser gefallen, als jetzt. Aber getrost, es kann sich ja eine gleichgestimmte Seele finden, die die Weise aus den Worten heraushorcht und sie mir zurückgibt.« Müller suchte Komponisten für seine Gedichte und er fand sie u. a. in der Berliner Gesellschaft, in der er sich während seiner Studienzeit bewegte. Dass auch Franz Schubert im fernen Wien die meisten seiner Gedichte von der »schönen Müllerin« vertont hat, scheint Müller in der Dessauer Provinz nicht erfahren zu haben. Und als Schubert die Gedichte der »Winterreise« auf einzigartige Weise in Musik setzte, war Müller bereits gestorben.

Zum Berliner Bekanntenkreis Müllers gehörte auch Ludwig Rellstab. Wie Müller begeisterte sich Rellstab für den Freiheitskampf der Griechen, und wie jener versuchte er sein Dichterglück zunächst auf dem Gebiet der Lyrik, arbeitete auch als Librettist und Romanautor, wandte sich dann mehr und mehr dem Journalismus zu und wurde schließlich zu einem der einflussreichsten Musikkritiker seiner Zeit. Bei einem Aufenthalt in Wien im Jahr 1825 traf Rellstab einige Male mit Beethoven zusammen. Er schickte dem von ihm verehrten Komponisten Abschriften eigener Gedichte, zu denen er in einem Begleitschreiben anmerkte: »Diese haben vielleicht das Neue, daß sie einen Zusammenhang unter sich bilden, der auf Glück, Vereinigung, Trennung, Tod und Hoffnung auf das Jenseits ahnen läßt, ohne bestimmte Vorfälle anzugeben.«

Zu den Bewunderern Müllers gehörte Heinrich Heine. In einem Brief an den Dichterkollegen bekannte er, ihm sei durch die Lektüre der »Waldhornisten«-Gedichte »klargeworden, wie man aus den alten vorhandenen Volksliedformen neue Formen bilden kann, die ebenfalls volkstümlich sind, ohne dass man nötig hat, die alten Sprachholperigkeiten und Unbeholfenheiten nachzuahmen. Im zweiten Teile Ihrer Gedichte fand ich die Form noch reiner, noch durchsichtig klarer – doch was spreche ich vom Formwesen, es drängt mich mehr, Ihnen zu sagen, daß ich keinen Liederdichter außer Goethe so sehr liebe wie Sie.« Die kunstvolle Einfachheit, das Moment einer artifiziell fingierten Volkstümlichkeit, das Heine an Müllers Dichtung bewunderte, ist auch für viele seiner eigenen Gedichte charakteristisch. Hier fand Schubert einen idealen Anknüpfungspunkt für seine Musik.
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Mi, 07/05/25, 19.30 Uhr · Mozart-Saal
Liederabend Andrè Schuen
Andrè Schuen, BaritonDaniel Heide, Klavier
Franz Schubert: Schwanengesang D 957 sowie weitere Lieder
Karten: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/62031
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Mo, 02/06/25, 19.30 Uhr · Mozart-Saal
Liederabend Julian Prégardien
Julian Prégardien, TenorKristian Bezuidenhout, Hammerklavier
Franz Schubert: Die schöne Müllerin D 795