Zwischen Großer Wasserstraße und Grubenstraße Eine der letzten Bombenlücken der Altstadt wird geschlossen
W
ohl jeder Rostocker kennt den Ausblick von den unbebauten Grundstücken nördlich des Krahnstöver-Hauses zum Turm der Nikolaikirche. Von dem erhöhten Punkt an der Einmündung der Kleinen in die Große Wasserstraße geht der Blick über die tiefer gelegene Grubenstraße hinüber auf die höher gelegene Wollenweberstraße, die Vosssche Brauerei mit ihrem Schornstein und die Rückseite der Straße Am Wendländer Schilde. Dieses etwas bizarre Gewirr aus Häusern und Dächern ist ein beliebtes Fotomotiv - ein Postkartenblick, welcher allerdings durch Kriegseinwirkung entstanden ist. Dem neugierigen Beobachter bot sich über viele Monate ein interessantes Bild. Die Freilegung der Keller der zerstörten Häuser durch Rostocker Archäologen ermöglichte einen Blick in die Vergangenheit - auf uralte Bögen, Ziegel-Fußböden, Kellerwände und Feldstein-Fundamente. Hier ist der Moment der Zerstörung im April 1942 festgehalten. Die aktuellen Pläne zu einer Neubebauung an der Großen Wasserstraße und der Grubenstraße machen neugierig auf die Zukunft, aber auch auf das, was gewesen ist - auf den Zustand vor der Zerstörung, welcher fast niemandem mehr vertraut ist und auf die Jahrzehnte ohne Bebauung. Die Große Wasserstraße war Teil eines Netzes von Handelswegen, welche das alte Rostock durchquerten. Über sie bewegte sich der Verkehr in einem weitem Bogen durch die Mittelstadt zur Viergelindenbrücke, der wichtigsten Überquerung der Grube. Ohne diesen großen „Anlauf“ mit etwas verringertem Gefälle wäre vermutlich das zum Wasserlauf abfallende Gelände zu steil für Pferd und Wagen gewesen. Jenseits der Viergelindenbrücke, in der Altstadt, ging es dann wieder steil bergauf zum Wendländer Schilde, einem kleinen Marktplatz, in die Altschmiedestraße oder Wollenweberstraße, weiter zum Alten Markt, dem wichtigsten Platz der Altstadt und zum Petritor. Einige repräsentative Häuser wie die „Fürstenherberge“ waren in der Großen Wasserstraße zu finden. Mit dem Haus Krahnstöver ist noch ein Einmündung der Kleinen- in die Große Wasserstraße um 1900; Häuser vom rechten Bildrand nach links: Große Wasserstraße 27 und 26, Kleine Wasserstraße 17 (Sammlung H.-O. Möller)
Die Häuser des neu zu bebauenden Abschnitts der Grubenstraße nach 1900 (Sammlung Hinrich Bentzien)
prächiges gotisches Giebelhaus in der Nachbarschaft der Baustelle erhalten geblieben, andere wurden im Krieg zerstört. Auch die Grubenstraße oder „Grube“, welche auf Höhe der zu bebauenden Bombenlücke in etwa 60 m Entfernung parallel zur Kleinen und Großen Wasserstraße verläuft, war eine wichtige Verkehrsader. Der Wasserlauf wurde in der Mitte des 19. Jahrhunderts zugeschüttet und durch eine Eisenbahn-Verbindung zwischen dem Rostocker Hafen und dem südlich gelegenen Friedrich-Franz-Bahnhof ersetzt.
Die Grundstücke reichten jeweils von der Großen Wasserstraße zur deutlich tiefer gelegenen Grubenstraße (das nördlichste Haus der heutigen Baulücke gehörte noch zur Kleinen Wasserstraße). In der Grubenstraße dominierten Speichergebäude, deren Besitzer im „Vorderhaus“ in der Großen Wasserstraße ansässig waren. In den Speichern wurden Waren gelagert, welche direkt per Bahn aus dem Binnenland oder vom nahen Hafen angeliefert oder verschickt werden konnten. Auf historischen Fotos sieht man nicht selten lange Güterzüge passieren oder einzelne Waggons auf dem Gleis der Grubenstraße stehen. Brauhäuser, Brennereien, Kolonialwaren-, Lebensmittel- Kornund Spirituosenhändler waren in der Umgebung ansässig, sodass auch gelegentlich Kesselwagen mit Hochprozentigem über Nacht geparkt wurden. Zum lebendigen Sagenschatz der Altstadt gehört die Geschichte vom „Melken der Grubenkuh“, dem Abzapfen von alkoholischen Resten am Boden eines Kesselwagens, die von verschiedenen Anwohnern bezeugt wird. In den 50er Jahren diente die neu entstandene Lücke, wie Fotos bezeugen, als unbefestigte Abkürzung zwischen den beiden Straßen. Sicher war sie wegen eines steilen Abschnitts nur bei Trockenheit zu benutzen. In den 60er Jahren hatte man einen Zaun gesetzt, welcher das Passieren verhinderte und eine Grünanlage angelegt, die mit den Jahren etwas verwucherte. Unten an der Grubenstraße gab es einen Park- oder Lagerplatz, der spätestens in den 80ern betoniert und durch eine Mauer mit Tor gesichert war. Diese wurden nach 1990 wieder abgetragen.. Älteren Rostockern ist noch die Farbenhandlung von Otto Bobsin in Erinnerung, welche sich in den Jahren nach dem II. Weltkrieg und bis weit in DDR-Zeiten hinein in einer Baracke auf dem Grundstück der zerstörten Kleinen Wasserstraße 17 befand (nach dem Krieg mit neuer Zählung: Kleine Wasserstraße 27). Dieser Behelfsbau wurde noch vor Kriegsende errichtet und ist erst in den 90er Jahren abgetragen worden. Auch dieser Unternehmer nutzte das gegenüberliegende Grundstück in der Grubenstraße als Speicher. Das im Krieg unversehrt gebliebene Gebäude machte nach 1990 wie große Teile der Grubenstraße einen vernachlässigten Eindruck und stand lange Zeit offen. Es wurde vor etwa zehn Jahren abgerissen. Das Grundstück ist Teil der Neubebauung.