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Vorbemerkungen des Verfassers
Die Naturschutzvereinigung Grütried und ich sind diesen Frühling beide 75-jährig geworden. Während etwas mehr als der Hälfte dieser Zeit war ich Beobachter, gewissermassen erster Augenzeuge und mit andern Aktiven auch Mitgestalter.
Nun versuche ich Rückschau zu halten, vom Wandel zu erzählen und die Arbeit der Akteure zu würdigen. Natürlich gebe ich mir Mühe, dies möglichst wahrheitsgetreu zu tun. Wie total unterschiedlich präsentiert sich die Aktenlage: Für die ersten Jahre liegen sehr viele schriftliche Dokumente vor: Briefe von zähen, ja gehässigen Verhandlungen, ausführliche Protokolle, Jahresberichte, detaillierte Abrechnungen, aber – abgesehen von einer kleinen Serie von Ansichtskarten der Gründerzeit – kein Bildmaterial, schon gar keine Personenbilder. Mit viel Mühe war schliesslich noch ein Foto des Hauptinitianten Joseph Debrunner aufzutreiben. Ein Mitarbeiter der ersten Stunde sagte mir einmal, dass sie eben ins Grütried gingen, um zu arbeiten und nicht, um sich für die Nachwelt ablichten zu lassen! Ab den 70er Jahren werden die schriftlichen Dokumente spärlicher, denn der Grundbesitz ändert sich kaum mehr. Auch die Veränderungen in den Schutzgebieten werden kleiner, weil die Unterhaltsarbeiten sich kaum mehr ändern.
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Von 1968 an war ich selber aktiv, ich weiss also noch «wie es war» und lasse Bilder und Erinnerungen sprechen. Auch diese direkten Zeugnisse sind mit Vorsicht aufzunehmen. Die Fotografien wurden mit einer bestimmten Absicht gemacht, das Bild sollte eine Idee zur Darstellung bringen. Die Erinnerungen sind ebenfalls nicht objektiv, da sie vom Gedächtnis unbewusst dauernd bearbeitet und neu bewertet werden. Ausserdem: Die Ansichten über Wald- und Landschaftspflege haben sich im Laufe von zwei Generationen verändert. Während anfänglich die fast kahle, baumlose Fläche kräftig aufgeforstet wurde, setzte sich die zweite Generation dafür ein, den ursprünglichen Charakter des Rieds wieder sichtbar zu machen und es nicht in einem Auenwald versinken zu lassen. Die Luftaufnahmen belegen diese Entwicklung.
Auch bei den leitenden Persönlichkeiten meine ich einen Wandel ausmachen zu können. Die Gründer waren von ihrer Mission völlig durchdrungen. Es schwang etwas vom Geist der Wandervogel-Naturbewegung aus den Dreissigerjahren mit, der sich schon im Anfangssatz des ersten Jahresberichts kämpferisch dokumentiert: «Die mächtigen Welle rücksichtsloser Nutzungsbestrebungen auf landwirtschaftlichem Gebiet hat auch die thurgauische Landschaft erfasst».
Die heutige Betrachtungsweise kommt ohne Feindbilder aus und ist realistisch genug zu erkennen: Ein solches Schutzgebiet ist keine unberührte, paradiesische Naturoase, sondern gehört zu den gewachsenen Kulturlandschaften, welche sich seit der menschlichen Besitznahme kontinuierlich verändert haben.
Ruedi Götz im September 2011