Isabella Studer-Geisser
Das HVM als Gesamtkunstwerk Ein Spaziergang durch die Säle, Zimmer und Korridore
Das HVM kombiniert wie das 1898 eröffnete Landesmuseum in Zürich verschiedene Architekturstile. Es gehört zu den kulturgeschichtlichen Museen und wurde als letztes der grossen Schweizer Museen seiner Art von 1915 bis 1921 erstellt. Die heutigen «Kulturtempel» werden meist als einfache Bauten konzipiert, die möglichst viele Formen der Präsentation ermöglichen. Nicht so bei den bürgerlichen Museen des 19. Jahrhunderts. Das Gebäude selbst sollte visuell schon als Stätte der Kultur erkennbar sein. Wenn wir uns dem HVM vom Stadtpark her nähern, beeindruckt seine klassizistische Fassade über einem massiven Treppenaufbau. Die sechs Säulen mit ionischem Volutenabschluss, die Symmetrie des Gebäudes und seine monumentale Architektur erinnern an einen Tempel der Antike. Die Formensprache der griechisch-römischen Antike wurde im 19. Jahrhundert gern für kulturgeschichtliche Gebäude, Bildungsstätten und Regierungssitze genutzt. Sie stand für Werte von Demokratie und Bildung der Antike. Begleiten wir eine Besucherin bei einem Spaziergang durch das Museum! Sie steigt die breite Treppe hinauf und kommt zu einem kleinen Eingang, der so gar nicht mit der Grösse der Fassade korrespondiert. Soll sie ihr Haupt beim Betreten des Orts vor der Kultur neigen? Ein schmaler Durchgang führt sie zur lichten Halle mit zweiläufiger Treppe, die an ein fürstliches Gebäude des Barocks erinnert. Nun steht sie vor der Wahl, nach Süden in die hellen Räume der Völkerkunde oder Richtung Norden in die kleinteilige Sammlung der regionalen Geschichte und Kultur mit den historischen Zimmern einzutreten. Im Obergeschoss wiederholt sich diese Zuordnung der Säle. Im Scheitelpunkt der Sandstein-Eingänge verraten ein Gesicht, eine Fratze oder Zierelemente die ursprüngliche Funktion des Raums. Die weiss gehaltenen Südsäle mit ihren grossen Vitrinen verströmen den Geist des europäischen Kolonialzeitalters. Hier sollte man Einblick in fremde Kulturen erhalten. Die Form der Präsentation hat sich seither verändert, doch die Räume zeigen immer noch Objekte aus anderen Welten, die – obwohl hinter Glas – eine intensive Kraft und Magie ausstrahlen können. Das Museum ist über langrechteckigem Grundriss errichtet, symmetrisch und klar strukturiert und schliesst mit einem wuchtigen Satteldach. Trotzdem glaubt die Besucherin oft, sich in den Fluren zu verlieren. Doch sie hat nichts zu befürchten. Vielleicht fehlt ihr oftmals die Musse, die doch die beste Begleiterin eines Museumsbesuchs wäre. Es gilt einfach, von Saal zu Saal zu
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