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Arno Noger

Arno Noger Bauherrin, Geldgeberin, Museumsherrin

Ohne die Ortsbürgergemeinde St.Gallen gäbe es kein HVM

Das HVM von 1921 ist ein Gemeinschaftsprojekt: Zwei Vereine lieferten die Museumsobjekte, und die Ortsbürgergemeinde St.Gallen (OBG) baute das Museum. Die OBG versteht sich seit Anbeginn und noch heute als eine der wesentlichen Förderinnen des stadt-st.gallischen Kulturlebens.

Die eigentliche Museumsgeschichte St.Gallens startet mit dem Bau des ersten Museumsgebäudes: dem heutigen Kunstmuseum im Stadtpark. Der St.Galler Architekt Johann Christoph Kunkler hatte im Auftrag der Ortsbürgergemeinde den Bau entworfen und in den Jahren zwischen 1873 und 1877 realisiert. Es ist einer der ältesten Museumsbauten und gleichzeitig eines der bedeutendsten neoklassizistischen Gebäude der Schweiz. Der sogenannte Kunklerbau beherbergte ursprünglich die naturhistorische Sammlung der Ortsbürgergemeinde, aber auch die Sammlungen des Historischen Vereins und des Kunstvereins. Der Bürgerrat bemerkte im Jahresbericht 1877 hoffnungsvoll: «Damit ist nun auch grundsätzlich die Bedeutung dieser beider Anstalten für einen weitern Kreis und eine gewisse moralische Verpflichtung des Staatswesens, für das Gedeihen und die Fortentwicklung derartiger, der Allgemeinheit dienender, wissenschaftlicher Anstalten ebenfalls beizutragen, anerkannt.»

Die Räume des Kunklerbaus im Stadtpark waren für das Mehrspartenmuseum schon bald zu klein. 1912 beschrieb der Bürgerrat den Raummangel im Museum und die Notwendigkeit, für die Sammlung des Historischen Museums und die Sammlungen der Völkerkunde durch einen Neubau Abhilfe zu schaffen. Die letzteren waren übrigens seit 1899 im Festsaal des Stadthauses untergebracht, dem Amtssitz der Ortsbürger. Auch das war auf die Dauer keine Lösung. Der Plan, im Stadtpark ein «neues Museum» zu bauen, zeugte von visionärer Kraft im beginnenden 20. Jahrhundert. Es wurde ein Architekturwettbewerb durchgeführt, und mittels Subskription wurde Geld für den Neubau gesammelt. Der Beschluss zum Neubau wurde kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs gefällt. Die Eröffnung des neuen Museums im April 1921 setzte ein grosses Zeichen. Im St.Galler Tagblatt schrieb Redaktor August Steinmann: «Späteren Zeiten wird der Bau, der heute dem Schutze der Öffentlich-

Das Stadthaus, zwischen Kathedrale und St.Laurenzenkirche: seit 1869 der Verwaltungssitz der Ortsbürgergemeinde St.Gallen.

keit anvertraut wird, Zeugnis ablegen von dem Vertrauen zu einer besseren Zukunft.» Und die NZZ lobte die «Genossenburgergemeinde» von St.Gallen dafür, dass sie «den Mut hatte, in schwerster Zeit der Wissenschaft ein so stattliches Heim zu bauen».

Das neue Haus, über dem Eingang in goldenen Lettern bezeichnet als «Historisches Museum und Sammlung für Völkerkunde», sollte für fast hundert Jahre der letzte grosse Museumsbau in der Stadt St.Gallen bleiben. Das Sammlungsgebiet des Historischen Museums umfasste in erster Linie die Stadt und den Kanton St.Gallen sowie die appenzellische Nachbarschaft. Die

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1 Sollen das Kunstmuseum, das Naturmuseum und das HVM ein gemeinsames Dach erhalten?

Flyer zur kommunalen Abstimmung über die

Schaff ung der «Stift ung St. Galler Museen» vom 24. September 1978.

2 1979 – 2012 gehörten die Museen im Stadtpark gemeinsam zur «Stift ung St. Galler Museen».

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Sammlung des Historischen Vereins war per 16. Oktober 1917 an die Ortsbürgergemeinde als Trägerin des Museums gegangen, die ethnographische Sammlung der Ostschweizerischen Geographisch-Commerciellen Gesellschaft hatte gemäss Beschluss vom 20. Dezember 1917 den gleichen Weg genommen.

In den 1970er-Jahren zeigte sich, dass die Betriebskosten der beiden grossen Museen die finanziellen Möglichkeiten der Ortsbürgergemeinde deutlich überstiegen. Trotz Subventionen von Stadt und Kanton St.Gallen von rund einer halben Million Franken (1975) musste die Ortsbürgergemeinde aus eigenen Mitteln jährlich zwischen 350000 und 500000 Franken beisteuern. Solche Beträge konnte sie nicht aus der laufenden Rechnung nehmen – sie war gezwungen, Liegenschaften zu verkaufen, um die nötige Liquidität bereitzustellen. Ein dauernder Mittelabfluss in dieser Höhe hätte die Existenz der Ortsbürgergemeinde aufs Spiel gesetzt.

Die überregionale Bedeutung der grossen Museen rechtfertigte eine Neuregelung der Finanzierung, die mit Zustimmung der Bürgerversammlung und der städtischen Einwohnerschaft im Jahr 1978 sowie mit der Gründung der Stiftung St.Galler Museen (1979) und der Übertragung der Museumsgebäude an die Stadt St.Gallen erreicht wurde. Gleichzeitig ging die bisherige Stadtbibliothek Vadiana samt Gebäude an den Kanton über und wurde zur Kantonsbibliothek.

Der Bürgerrat hielt im Amtsbericht für das Jahr 1978 abschliessend fest: «Damit ist die Autonomie der Ortsbürgergemeinde für Betrieb und Betreuung der Bibliothek Vadiana und der Museen beendet, und die Verantwortlichkeit geht auf die neuen Organe über. Wenn es auch für die Gemeinde bedauerlich ist, von den langjährigen, zugunsten der Gesamtöffentlichkeit erbrachten Dienstleistungen zurücktreten zu müssen, so darf sie die ihr in den Abstimmungsresultaten gezeigte Wertschätzung der Öffentlichkeit mit Genugtuung und Stolz erfüllen. Bestand und Betrieb sind sichergestellt.»

Ein letzter Schritt in der Verselbstständigung des HVM erfolgte im Jahr 2012 mit der Gründung von drei separaten Museumsstiftungen für das Naturmuseum, das Kunstmuseum und das HVM. Die drei Museen werden seither zur Hauptsache mit finanzieller Unterstützung durch die Stadt St.Gallen finanziert. Dazu kommen Leistungsvereinbarungen mit dem Kanton und der Ortsbürgergemeinde St.Gallen. Mit der Eröffnung des Neubaus für das Naturmuseum St.Gallen am östlichen Stadtrand im November 2016 wurde erreicht, dass die drei grossen städtischen Museen je über ein eigenes Museumsgebäude verfügen: drei Museen – drei Häuser – drei Stiftungen.

Die Ortsbürgergemeinde engagiert sich noch heute mit ihrem Stadtarchiv und der Vadianischen Sammlung für die Bewahrung, Erschliessung, Erforschung und Vermittlung der Geschichte der Stadt St.Gallen. Sie ist eigentliche Trägerin des Kompetenzzentrums für Regionalgeschichte, das sich in den letzten Jahren mit den genannten Institutionen gebildet hat. Die Verbindung zum Historischen Verein des Kantons St.Gallen und zum Verein zur Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung besteht durch Mitwirkung in den Vereinsvorständen und über das Erbringen von verschiedenen Dienstleistungen. Dem HVM ist die Ortsbürgergemeinde durch die Mitwirkung im Stiftungsrat und die Unterstützung mit Finanzdienstleistungen heute und auch in Zukunft eng verbunden.

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