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Peter Müller

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Arno Noger

Arno Noger

Peter Müller Post und Gäste aus aller Welt

Das globale Netzwerk des HVM

Die Briefträger werden wohl immer wieder gestaunt haben, welche Post sie im HVM abzuliefern hatten. Der Kurator der Völkerkunde-Abteilung korrespondierte mit der halben Welt und musste das tun, wenn er seine Sammlung ausbauen, pflegen und erforschen wollte. Das Korrespondenz-Archiv zeigt ein beeindruckendes Netzwerk. Es umfasst Donatoren, Ethnographica-Händler, Wissenschaftler, Universitäten, andere Museen, wissenschaftliche Gesellschaften, Freunde, Bekannte… Archivalisch ist es inzwischen gut erschlossen. Seine wissenschaftliche Aufarbeitung aber ist erst ansatzweise erfolgt. Es wäre eine Riesenarbeit.

Auch über die Persönlichkeit, das Leben und das fachliche Selbstverständnis der Konservatoren erzählen die Briefe und Karten manches – vor allem, weil von der ausgehenden Post vieles in Durchschlägen erhalten ist. Am reichsten dokumentiert ist Hans Krucker, der die völkerkundliche Sammlung 1928–1969 betreute. Die folgenden Beispiele vermitteln einen Eindruck davon.

Am 28. Juni 1929 scherzt Krucker in einem Brief an den Geologen Edmund Scheibener in Java: «Als anhänglicher St.Galler wird Sie die Mitteilung interessieren, dass wir nächsten Dienstag das Eingeborenenfest, unser Kinderfest feiern. Heute schon webt die Freude durch alle Gassen.» Insgesamt gilt aber doch: «Hier in der Ostschweiz draussen sind wir an einem sichern und ruhigen (zu ruhigen) Fleck Erde zuhause, als dass uns viel passieren könnte, wogegen den Herren Überseern immer wieder allerhand in den Weg kommen kann.» Diese Sätze finden sich im Brief, den Krucker am 20. November 1951 dem Tierhändler August Künzler in Arusha, im heutigen Tansania, schrieb. Mit dramatischen Weltereignissen kam Krucker zum Beispiel über HVM-Donator Toni Hagen in Kontakt. Der Geologe arbeitete in Nepal und engagierte sich nach der Niederschlagung des Tibet-Aufstandes durch China 1959 als Flüchtlingshelfer und Chefdelegierter des IKRK. Was Hagen in den St.Galler Stadtpark berichtete, bewegte Krucker tief. Am 3. April 1960 veröffentlichte er im St.Galler Tagblatt einen Artikel über die Situation im Tibet («Verlorenes Tibet»). Ein Ausschnitt: «Wiederum sinkt eine der eigenartigen jahrhundertealten Menschheitskulturen ins Grab. Es werden später nur noch die Museen sein, welche in mehr oder weniger anschaulicher Weise über das Vergangene Aufschluss zu geben vermögen (…). Die wirtschaftlichen Kräfte des Landes sind viel zu schwach, als dass sich das morsche spirituelle Gebäude des alten Priesterstaates halten könnte. Tibet wird durch den Kommunismus und seine Gottlosigkeit dem religiösen Nichts überliefert. Was bleibt, ist nur das grosse und tiefe Bedauern, dass es der heutigen Generation der Menschheit nirgends mehr rasch genug gehen kann, mit dem Früheren aufzuräumen und es im Strudel der Politik und der Technik vollends untergehen zu lassen.» Dieser Kulturpessimissmus zieht sich durch Kruckers ganze Korrespondenz. Er verstand seine ethnographische Sammlung als eine Art Dokumentationsstelle für untergehende und untergangene Kulturen.

Auch Gäste aus aller Welt gab es im HVM von Anfang an. Zunächst waren es vor allem Donatoren oder einfach Interessierte, die wieder einmal die alte Heimat besuchten. Menschen aus fremden Kulturen erhalten erst ab den 1990er-Jahren eine gewisse Präsenz – sicher auch im Rahmen der

Möglichkeiten, die eine globalisierte, multikulturelle Gegenwart bietet. 2006 waren zum Beispiel zwei Tupinambá-Indianer aus Brasilien zu Besuch und veranstalteten Workshops. 2010 und 2020 streuten Mönche aus dem tibetischen Klosterinstitut Rikon ein Sandmandala und zerstörten es ein paar Wochen später. Und 2015 beherbergte das HVM sogar für zwei Wochen einen «Artist in Residence» aus Kanada: den Künstler und Textilunternehmer Alano Edzerza. In Workshops mit Schulklassen und öffentlichen Veranstaltungen erzählte Alano vom Leben heutiger Indianer, von den Herausforderungen und Problemen der indigenen Kulturen Nordamerikas, führte die Kinder in die Kunst des Siebdrucks ein.

Vor allem aber sind hier die Communities zu erwähnen: Menschen fremder Herkunft, die in der Schweiz leben. Sonderausstellungen mit Themen aus ihrer Heimat locken viele von ihnen ins Museum. Ein frühes Beispiel ist die Ausstellung Tibetische Schätze im Exil (1989), eines der jüngsten Poesie der Farben – Koreanische Kunst aus Schweizer Sammlungen (2017/18). Das HVM versucht dabei, die Communities auch aktiv in die Ausstellung einzubinden, zum Beispiel für das Catering oder die Musik bei der Vernissage. Und für die neue Asien-Dauerausstellung Spiel der Kultur(en) gibt es einen Kurzfilm, in welchem 28 Menschen mit asiatischem Hintergrund auftreten. Einzeln oder in Gruppen präsentieren sie das «Spiel der Begrüssung», wie es in ihren Heimatländern der Brauch ist.

1 Biwa-Spieler Silvain Kyokusai Guignard zu

Gast an der Vernissage von «Fliessende Welt.

Verborgene Schönheit. Schätze aus Japan», zusammen mit Asien-Kuratorin Jeanne

Fichtner-Egloff, 2014.

2 Zwei Tupinambá-Indianer aus Brasilien an einem Workshop für Kinder. Sommerferienaktion «Körperbemalung der Amazonas-

Indianer», 2006.

3 Alano Edzerza aus West-Vancouver, mit Kulturvermittlerin Sabrina Thöny, 2015.

4 Einige der Menschen mit asiatischem

Hintergrund, die im Filmclip «Asia with us» auftreten. Sie begrüssen die Besucherinnen und Besucher der neuen Asienausstellung

«Spiel der Kulturen», 2019.

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