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Arno Noger

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Peter Müller

Peter Müller

Arno Noger Vorwort

100 Jahre HVM: Vom Kulturtempel zur modernen Gedächtnisinstitution

Mit einem Museum verbinden wir insbesondere den Gedanken an publikumswirksame Ausstellungen und interessante Begleitveranstaltungen. Dies deckt zwei seiner Kernaufgaben ab, nämlich «Ausstellen und Vermitteln» von Kulturgut. Damit das gelingt, sind aber weitere Arbeiten nötig, die oft im Hintergrund und fern der Öffentlichkeit ablaufen. Es geht ums «Sammeln, Dokumentieren, Erforschen und Bewahren». Dazu erarbeiten die grossen Verbände wie der Verband der Museen der Schweiz (VSM) oder der weltweit tätige International Council of Museums (ICOM) anerkannte Standards.

Weit zurück liegen die Zeiten, in denen ein pensionierter Gymnasiallehrer eine Museumsleitung übernahm und mit viel Engagement, aber beschränkten Mitteln die Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich machte. Es gibt heute selbstverständlich Aus- und Weiterbildungsprogramme für Museumsfachleute. Wer ein modernes Museum leitet, sollte auf verschiedenen Klaviaturen spielen können. Vielfältig sind die Bedürfnisse der zahlreichen Anspruchsgruppen von ausserhalb des Museums, und ebenso vielfältig sind die Spezialkenntnisse und Aufgaben der Kuratorin-

Ende März 2021: Die sechs mächtigen Säulen des HVM erstrahlen in Gold, zur Feier des 100-Jahr-Jubiläums und gleichzeitig als erweitertes Entree der Jubiläumsausstellung «Klimt und Freunde»

nen und Kuratoren, der Ausstellungsgestaltenden, der Mitarbeitenden im Sammlungsbereich, der Vermittlung und der Dienste (Kasse, Aufsichten, Technik und Hausdienst).

Ebenfalls gewandelt hat sich die Form der Darbietung. Die ganze Sammlung in Vitrinen zu zeigen, mehr der Masse als der Qualität des Einzelobjekts verpflichtet, Beschriftungen von Hand oder mit Schreibmaschine auf kleinen Kärtchen anzubringen – auch das ist vorbei. Heute arbeiten Fachpersonen der unterschiedlichsten Berufe Hand in Hand. Sammlungen werden digitalisiert, online verfügbar gemacht. Objekte werden bezüglich ihrer Provenienz erforscht, und über sie wird eine ganze Geschichte erzählt. Die Ausstellungen folgen thematischen Konzepten, nehmen Rücksicht auf Erkenntnisse bezüglich textlicher und visueller Aufnahmefähigkeit, integrieren digitale Vermittlungskanäle, kreieren Stimmungen und Informationsmomente in passender Abfolge. Sie

«Heute Gratiseintritt» verkündet das Plakat am 31. März 2021. Wegen der Corona-Pandemie liess sich der 100. Geburtstag des HVM leider nur in bescheidenem Rahmen feiern.

bieten sich an für einen schnellen Durchgang wie für eine punktuelle Vertiefung mit verschiedenen Informationsebenen. Sie laden zu wiederholten Besuchen ein – nicht zuletzt aufgrund eines reichhaltigen Rahmenprogramms, das Wissen und Erkenntnisse über den engeren Ausstellungsinhalt hinaus anbietet. Das Museum wird so zu einem Ort des Austauschs im weitesten Sinne.

Wenn das Historische und Völkerkundemuseum St.Gallen auf 100 Jahre erfolgreicher Tätigkeit zurückblicken kann, so ist das ein Grund zu Stolz und Freude, denn auch Museen können in Vergessenheit geraten oder gar ganz verschwinden. Unser Haus hat sich in den letzten Jahren dank öffentlicher Hilfe und dank grossem Engagement des Museumsteams enorm entwickelt. Schön gestaltete, gut recherchierte Ausstellungen leuchten nach aussen, aber auch «backstage» ist das ein aufgeräumtes Haus, das seine Sammlungen kennt, sie optimal schützt und dennoch zugänglich macht, dokumentiert und erforscht. Darum ist es dem HVM auch gelungen, sich als zuverlässiger Partner für andere Häuser zu etablieren und für wichtige Ausstellungen auch auf hochkarätige Leihgaben zählen zu können.

Und last but not least: Im Laufe dieser 100 Jahre ist unser Haus selbst zu einem Kulturgut von historischer Bedeutung geworden. Entstanden während der Zeit des Ersten Weltkriegs hat es eine wechselvolle Zeit im 20. Jahrhundert und im neuen Millennium erlebt. Wir sehen heute das Historische und Völkerkundemuseum als Gesamtkunstwerk, das Stadt- und Kantonsgeschichte in einem weltgeschichtlichen Zusammenhang zeigt und selbst Teil dieser Geschichte ist. Gereift über 100 Jahre, bereit für weitere Entwicklungen und offen für Neues: Das ist doch wunderbar!

Arno Noger Bürgerratspräsident der Ortsbürgergemeinde St.Gallen Präsident der Stiftung Historisches und Völkerkundemuseum St.Gallen

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