Interview mit Martin Herbert Dzingel, dem Präsidenten der Landesversammlung (Seite 3)
Sudetendeutsche Zeitung Die Zeitung der Sudetendeutschen Landsmannschaft
Reicenberger Zeitung 160. Jahrgang
HEIMATBOTE
VOLKSBOTE
Postvertriebsstück · Deutsche Post AG · Entgelt bezahlt Sudetendeutsche Verlagsgesellschaft mbH · Hochstraße 8 · D-81669 München · eMail zeitung@sudeten.de
Jahrgang 73 | Folge 44 | 2,80 EUR · 75 CZK | München, 5. November 2021
B 6543
� Regierungsbildung
Koalitionäre sind auf der Zielgeraden Am 8. November, wenn das neu gewählte tschechische Abgeordnetenhaus erstmals zusammentritt, soll auch der Koalitionsvertrag unterschrieben werden. Darauf haben sich die Bündnisse Spolu, bestehend aus ODS, KDU-ČSL und TOP 09, sowie Piraten und Bürgermeisterpartei verständigt. Die fünf Parteien verfügen mit 108 von 200 Sitzen über eine deutliche Mehrheit im Parlament.
� Bernd Posselt, Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe, und Landesobmann Steffen Hörtler beim Festakt „75 Jahre Vertreibung“:
„Vertreibung ist ein Anschlag auf die Wurzeln der Menschenrechte“
A
nschließend soll Petr Fiala, der Vorsitzende der Bürgerdemokraten ODS, zum neuen Premierminister gewählt werden. Fiala, der den ODS-Vorsitz 2014 übernommen und die Partei damals aus einer schweren Krise geführt hat, gilt als trocken, aber integer. Der praktizierende Katholik wurde 1964 in Brünn geboren und studierte in den 1980er Jahren Literatur Petr Fiala. und Geschich Foto: privat te. Wegen regimekritischer Äußerungen verwehrten ihm die Kommunisten eine Karriere an der Universität. Nach der samtenen Revolution konnte Fiala an die Universität zurückkehren und arbeitete ab 1996 als Dozent an der KarlsUniversität in Prag. 2002 wurde er zum ersten Professor für Politikwissenschaften in Tschechien berufen. Von 2004 bis 2011 war Fiala Rektor der MasarykUniversität in Brünn sowie von 2009 bis 2011 Vorsitzender der Tschechischen Rektorenkonferenz, bevor er in die Politik wechselte und zunächst als parteiunabhängiger Abgeordneter über die ODS-Liste in das Parlament einzog. Unter Premierminister Petr Nečas leitete Fiala dann von 2012 bis 2013 das Ministerium für Jugend, Bildung und Sport. Fiala ist verheiratet mit der Biologin Dr. Jana Fialová, der Vizedekanin der medizinischen Fakultät der Masaryk-Universität. Das Paar hat drei studierende Kinder. Kennengelernt haben sich die beiden in Brünn 1989 während der Samtenen Revolution, wo das Paar gemeinsam an Demonstrationen gegen die kommunistischen Machthaber teilnahm. 1992 folgte dann die Hochzeit. „Ich könnte nicht tun, was ich tue, wenn ich nicht die Unterstützung meiner Familie hätte. Manchmal höre ich Seufzer, aber kein Bedauern oder Zweifel“, hat Fiala einmal in einem seiner seltenen privaten Interviews erzählt und gebeichtet, daß sich seine Frau innerhalb der Familie um eine gesunde Lebensweise, die richtige Ernährung und die Schädlichkeit des Rauchens kümmere. Zumindest der dritte Punkt dürfte Fiala direkt betreffen – er ist passionierter Pfeifenraucher. Torsten Fricke
Vor 75 Jahren, am 25. Januar 1946, hat der erste Zug mit 1200 Sudetendeutschen das Durchgangslager in Furth im Wald erreicht. 1950, nur vier Jahre später, wurden in Bayern bereits 1,923 Millionen Vertriebene gezählt, was 21,2 Prozent der Bevölkerung entsprach. Mit einer Kranzniederlegung und einem Festakt hat die Landesgruppe Bayern am vergangenen Freitag in Bayreuth an diesen historischen Einschnitt erinnert.
D
as Grundübel sei der Nationalismus und dessen Streben nach einer ethnisch homogenen Bevölkerung, wobei die Nationalisten all jene, die anders sind, aus dem Land jagen, zwangsassimilieren oder sogar ermorden“, erklärt Bernd Posselt, Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe, in seiner Festrede. Posselts Fazit: „Vertreibung ist ein Anschlag auf die Wurzeln der Menschenrechte. Vertreibung läßt sich deshalb nur bekämpfen mit dem Kampf für die Menschenrechte.“ Mit der Erinnerung an die Vertreibung der Sudetendeutschen vor über 75 Jahren gehe es nicht darum, Wunden zu lecken, sondern dies sei ein zentraler Dienst an allen Menschen, damit solche Verbrechen in Zukunft möglichst nicht mehr möglich sind – „ein zentraler Dienst an einem Europa der Menschenrechte und ein zentraler Dienst an einer Welt der Menschenrechte“, sagte Posselt und zog daraus den Schluß, daß das Engagement der Sudetendeutschen von unverminderter Wichtigkeit sei. „Das ist keine Vergangenheitsbewältigung, sondern notwendig, um die Zukunft in Europa zu gestalten. Freiheit und Demokratie, ein geeintes Europa und garantierte Menschenrechte sind keine Selbstverständlichkeiten für alle Ewigkeit. Wir müssen diese Errungenschaften jeden Tag verteidigen“, mahnte Posselt und forderte, wachsam zu sein und auf allen Ebenen dem Nationalismus entgegenzutreten: „Wenn eine Generation glaubt, daß sie Frieden und Freiheit, Demokratie und europäische Einigung automatisch in der Tasche hat, ist dies in diesem Moment auch schon wieder hinfällig.“ Auch dies sei ein Grund, warum man sich mit der Geschich-
Bernd Posselt, Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe, und Schirmherrschaftsministerin Carolina Trautner hielten die Festreden. Rechts: Landesobmann Steffen Hörtler, Zeitzeuge Peter Hucker, Staatsministerin Carolina Trautner, Sylvia Stierstorfer, Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für Aussiedler und Vertriebene, und Bernhard Pohl, Landtagsabgeordneter und vertriebenenpolitischer Sprecher der Freie-Wähler-Landtagsfraktion. Fotos: Torsten Fricke
� Rudolf-Lodgman-Plakette
Albrecht Schläger ausgezeichnet Für sein jahrzehntelanges und vielfältiges Engagement für die Sudetendeutsche Volksgruppe ist Albrecht Schläger mit der Rudolf-Lodgman-Plakette ausgezeichnet worden.
V
olksgruppensprecher Bernd Posselt und Bayerns Landesobmann nutzten den Festakt „75 Jahre Vertreibung“ als würdigen Rahmen, um diese Ehrung vorzunehmen. Schläger war von 1990 bis 2003 Mitglied des Bayerischen Landtags und Sprecher für Vertriebenen- und Spätaussiedlerfragen der SPDFraktion. Mitglied des Kuratoriums des Hauses des Deutschen Ostens, Vorsitzender und Präsidiumsmitglied der Seliger-Gemeinde, Generalsekretär des Sudetendeutschen Rates, Vizepräsident des Bundes der Vertriebenen (BdV)
Bernd Posselt, Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe, und Landesobmann Steffen Hörtler zeichnen Albrecht Schläger aus. und Mitglied im Verwaltungsrat des deutsch-tschechischen Zukunftsfond, dies sind einige Stationen von Schlägers ehrenamtlichen Engagement für die Sudetendeutsche Volksgruppe.
Albert Schläger wurde am 4. September 1942 in Marktredwitz nahe der heutigen bayerisch-tschechischen Grenze geboren, ist verheiratet und Vater zweier Kinder.
te beschäftigen müsse, so der Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe: „Wir müssen aus der Geschichte lernen und dafür sorgen, daß sich die dunklen Seiten nicht wiederholen.“ Bayreuth habe man deshalb bewußt als zentralen Ort für diesen Festakt ausgewählt, erklärte Landesobmann Steffen Hörtler: „Die Stadt Bayreuth war 1946 ein Hotspot für den Weitertransport der sudetendeutschen Vertriebenen zu ihren Zielorten in den westlichen Besatzungszonen.“ So wurde in Bayreuth ein Lager für bis zu 1200 Personen errichtet. Insgesamt kamen 1946 fast 40000 Vertriebene aus dem gesamten Sudetenland am Bayreuther Bahnhof an. „Entrechtung, Entwurzelung, Heimatverlust – das ist die schreckliche Bilanz der Vertreibung von über drei Millionen Sudetendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg“, sagte Hörtler und erinnerte daran, daß die sogenannte wilde Vertreibung bereits kurz nach Kriegsende im Jahr 1945 begonnen hatte, aber der Großteil der Sudetendeutschen erst 1946 vertrieben wurde. Der Landesobmann: „Vor genau 75 Jahren kamen hier und anderswo in Bayern die organisierten Vertreibungstransporte an. Es waren nicht spontane Racheaktionen nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges, sondern eiskalt geplante Nachkriegsverbrechen.“ Diese Tragödie auf europäischem Boden dürfe deshalb nicht vergessen werden. „Als größte Landesgruppe der Sudetendeutschen Landsmannschaft wollen wir an dieses schwere Schicksal unserer Landsleute denken“, so Hörtler. Daß hinter jeder Vertreibung ein menschliches Schicksal steht, daran erinnerte Peter Hucker eindrucksvoll als Zeitzeuge. Der heute 89jährige konnte erst 1948 die Tschechoslowakei verlassen, wo er als 15jähriger zur Zwangsarbeit verpflichtet worden war. Nach der Ankunft in Bayern lebte er mit seiner Familie über ein Jahr im Lager in Bayreuth (siehe Sudetendeutsche Zeitung, Ausgabe 43) und fand hier auch den Kontakt zur SL. Wie die Ehrengäste den Anlaß „75 Jahre Vertreibung“ würdigten, lesen Sie auf Seite 5. Torsten Fricke