
7 minute read
"Vertreibung ist ein Anschlag auf die Wurzeln der Menschenrechte"
❯ Bernd Posselt, Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe, und Landesobmann Steffen Hörtler beim Festakt „75 Jahre Vertreibung“:
Vor 75 Jahren, am 25. Januar 1946, hat der erste Zug mit 1200 Sudetendeutschen das Durchgangslager in Furth im Wald erreicht. 1950, nur vier Jahre später, wurden in Bayern bereits 1,923 Millionen Vertriebene gezählt, was 21,2 Prozent der Bevölkerung entsprach. Mit einer Kranzniederlegung und einem Festakt hat die Landesgruppe Bayern am vergangenen Freitag in Bayreuth an diesen historischen Einschnitt erinnert.
Advertisement

Bernd Posselt, Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe, und Schirmherrschaftsministerin Carolina Trautner hielten die Festreden.
Das Grundübel sei der Nationalismus und dessen Streben nach einer ethnisch homogenen Bevölkerung, wobei die Nationalisten all jene, die anders sind, aus dem Land jagen, zwangsassimilieren oder sogar ermorden“, erklärt Bernd Posselt, Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe, in seiner Festrede.
Posselts Fazit: „Vertreibung ist ein Anschlag auf die Wurzeln der Menschenrechte. Vertreibung läßt sich deshalb nur bekämpfen mit dem Kampf für die Menschenrechte.“

Emma, Marie-Therese und Stefan Daubner.
Mit der Erinnerung an die Vertreibung der Sudetendeutschen vor über 75 Jahren gehe es nicht darum, Wunden zu lecken, sondern dies sei ein zentraler Dienst an allen Menschen, damit solche Verbrechen in Zukunft möglichst nicht mehr möglich sind – „ein zentraler Dienst an einem Europa der Menschenrechte und ein zentraler Dienst an einer Welt der Menschenrechte“, sagte Posselt und zog daraus den Schluß, daß das Engagement der Sudetendeutschen von unverminderter Wichtigkeit sei.
„Das ist keine Vergangenheitsbewältigung, sondern notwendig, um die Zukunft in Europa zu gestalten. Freiheit und Demokratie, ein geeintes Europa und garantierte Menschenrechte sind keine Selbstverständlichkeiten für alle Ewigkeit. Wir müssen diese Errungenschaften jeden Tag verteidigen“, mahnte Posselt und forderte, wachsam zu sein und auf allen Ebenen dem Nationalismus entgegenzutreten: „Wenn eine Generation glaubt, daß sie Frieden und Freiheit, Demokratie und europäische Einigung automatisch in der Tasche hat, ist dies in diesem Moment auch schon wieder hinfällig.“ Auch dies sei ein Grund, warum man sich mit der Geschichte beschäftigen müsse, so der Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe: „Wir müssen aus der Geschichte lernen und dafür sorgen, daß sich die dunklen Seiten nicht wiederholen.“

Landesobmann Steffen Hörtler, Zeitzeuge Peter Hucker, Staatsministerin Carolina Trautner, Sylvia Stierstorfer, Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für Aussiedler und Vertriebene, und Bernhard Pohl, Landtagsabgeordneter und vertriebenenpolitischer Sprecher der Freie-Wähler-Landtagsfraktion.
Bayreuth habe man deshalb bewußt als zentralen Ort für diesen Festakt ausgewählt, erklärte Landesobmann Steffen Hörtler: „Die Stadt Bayreuth war 1946 ein Hotspot für den Weitertransport der sudetendeutschen Vertriebenen zu ihren Zielorten in den westlichen Besatzungszonen.“
So wurde in Bayreuth ein Lager für bis zu 1200 Personen errichtet. Insgesamt kamen 1946 fast 40000 Vertriebene aus dem gesamten Sudetenland am Bayreuther Bahnhof an.
„Entrechtung, Entwurzelung, Heimatverlust – das ist die schreckliche Bilanz der Vertreibung von über drei Millionen Sudetendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg“, sagte Hörtler und erinnerte daran, daß die sogenannte wilde Vertreibung bereits kurz nach Kriegsende im Jahr 1945 begonnen hatte, aber der Großteil der Sudetendeutschen erst 1946 vertrieben wurde.
Der Landesobmann: „Vor genau 75 Jahren kamen hier und anderswo in Bayern die organisierten Vertreibungstransporte an. Es waren nicht spontane Racheaktionen nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges, sondern eiskalt geplante Nachkriegsverbrechen.“

Kranzniederlegung am Vertriebenenmahnmal (von links): Sylvia Stierstorfer, Margaretha Michel, Steffen Hörtler und Heidrun Piwernetz.
Diese Tragödie auf europäischem Boden dürfe deshalb nicht vergessen werden. „Als größte Landesgruppe der Sudetendeutschen Landsmannschaft wollen wir an dieses schwere Schicksal unserer Landsleute denken“, so Hörtler.
Daß hinter jeder Vertreibung ein menschliches Schicksal steht, daran erinnerte Peter Hucker eindrucksvoll als Zeitzeuge. Der heute 89jährige konnte erst 1948 die Tschechoslowakei verlassen, wo er als 15jähriger zur Zwangsarbeit verpflichtet worden war. Nach der Ankunft in Bayern lebte er mit seiner Familie über ein Jahr im Lager in Bayreuth (siehe Sudetendeutsche Zeitung, Ausgabe 43) und fand hier auch den Kontakt zur SL.

Manuel Lodes an der Trompete.
Ministerin Trautner: „Die Zukunft Europas liegt im Miteinander“
Politiker würdigen beim zentralen Festakt „75 Jahre Vertreibung“ das Schicksal und die Aufbauleistung der Sudetendeutschen
Klares Bekenntnis zu den Heimatvertriebenen: Mit Staatsministerin Carolina Trautner, Vertriebenen-Beauftragter Sylvia Stierstorfer, Oberbürgermeister Thomas Ebersberger und MdL Bernhard Pohl haben am Freitag vier Politiker beim Festakt „75 Jahre Vertreibung“ der Landesgruppe Bayern in Bayreuth an das Schicksal der Sudetendeutschen erinnert und die Aufbauleistung der Vertriebenen gewürdigt.

Bayerns Staatsministerin für Familie, Arbeit und Soziales sowie Schirmherrschaftsministerin der Sudetendeutschen Volksgruppe, Carolina Trautner
Carolina Trautner würdigte in ihrer Festrede die Sudetendeutschen als „absolute Leistungsträger unserer Gesellschaft“. Über Bayerns Vierten Stamm sagte die Schirmherrschaftsministerin der Sudetendeutschen: „Vor 75 Jahren haben Sie Ihre Heimat verloren – Ihren Besitz und Eigentum. Geblieben sind Ihnen Ihr Können, Ihr Wissen und Ihre Identität, die Ihnen niemand nehmen konnte. Seien Sie immer stolz auf sich und Ihre Ahnen. Ihre Werte haben Ihnen die Kraft zum bewundernswerten Neuanfang in Bayern gegeben. Sie sind die besten Vorbilder, die unsere Gesellschaft haben kann.“
Trautner erneuerte dabei das Versprechen, das Ministerpräsident Markus Söder auf dem Sudetendeutschen Tag gegeben hatte: „Der Freistaat Bayern wird immer fest an Ihrer Seite stehen. Diese Verpflichtung bedeutet für uns: Ihre Volksgruppe zu stärken und zu schützen – Ihr sudetendeutsches Kulturgut zu pflegen und unsere Gesellschaft für Ihre Geschichte zu sensibilisieren.“ Daß diesen Worten auch Taten folgen, belegte die Staatsministerin mit Blick auf die Investionen in die drei sudetendeutschen Museen in München, Marktredwitz und Kaufbeuren sowie die Unterstützung des Heiligenhofs.

Sylvia Stierstorfer, Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für Aussiedler und Vertriebene
„Es ist unglaublich, was die Erlebnisgeneration geleistet hat. Trotz ihres schweren Schicksals haben die Heimatvertriebenen schon bald nach Kriegsende ihre Hand zur Versöhnung ausgestreckt. Damit haben sie die Verständigung in Europa vorangetrieben und viel dazu beigetragen, daß unsere östlichen Nachbarn und wir heute friedlich – und häufig sogar freundschaftlich – zusammenleben“, hatte zuvor Sylvia Stierstorfer, die Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für Aussiedler und Vertriebene, bei der Kranzniederlegung am Vertriebenendenkmal erklärt. Stierstorfer: „Die Vertreibung war ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.“ Es bleibe „die Erinnerung an das Leid der Vertreibung und die Mühen des Neuanfangs, aber auch an die geliebte alte Heimat“.

Thomas Ebersberger, Oberbürgermeister von Bayreuth
Bayreuths Oberbürgermeister Thomas Ebersberger rief in Erinnerung, daß ein großer Teil der heimischen Textilund Glasindustrie nach dem Krieg von den Sudetendeutschen aufgebaut worden sei. Das Stadtoberhaupt: „1950 sind 22 Prozent der Einwohner Bayreuths Vertriebene gewesen, im Landkreis waren es sogar 30 bis 40 Prozent.“

Bernhard Pohl, vertriebenenpolitischer Sprecher der Freien Wähler
„Sie haben nicht nur Ihre Heimat verloren“, sprach Bernhard Pohl, vertriebenenpolitischer Sprecher der Freien Wähler, die anwesenden Angehörigen der Erlebnisgeneration direkt an. „Sie hatten auch Angst vor dem, was kommt. Sie kamen in ein Land, das zerbombt und gezeichnet vom Zweiten Weltkrieg war. Aber Sie und die Menschen in Bayern haben ihr Schicksal in die Hände genommen und gemeinsam das aufgebaut, was wir heute haben.“

SL-Bezirksobfrau Margaretha Michl.
Auszug aus der Gästeliste
Milan Horaček, MdEP a.D. und MdB a.D, Träger des Europäischen Karls- Preises der Sudetendeutschen sowie Teilnehmer am Deutsch-Tschechischen Gesprächsforum.
Carolina Trautner, Staatsministerin für Familie, Arbeit und Soziales sowie Schirmherrschaftsministerin der Sudetendeutschen.
Sylvia Stierstorfer, MdL und Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für Vertriebene und Aussiedler, und Gudrun Brendel-Fischer, MdL und Integrationsbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung.

Sylvia Stierstorfer und Reinfried Vogler, Alt-Präsident der Sudetendeutschen Bundesversammlung.
Bernhard Pohl, MdL und vertriebenpolitischer Sprecher der Freien Wähler.
Tim Pargent, MdL und stellvertretender parlamentarischer Geschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen.
Dr. Beate Kuhn, Bezirksrätin Oberfranken und stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Bezirkstag.
Heidrun Piwernetz, Regierungspräsidentin von Oberfranken und Bezirksvorsitzende im Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge.

Manfred Kees, Ortsobmann der SL Bayreuth.
Thomas Ebersberger, Oberbürgermeister von Bayreuth, sowie Altoberbürgermeister Dr. Michael Hohl, Oberbürgermeisterin a.D. Brigitte Merk- Erbe und Stephanie Anna Kollmer, Geschäftsführerin der CSU-Fraktion im Stadtrat. Dr. Oliver Bär, Landrat von Hof, und Klaus Bauer, stellvertretender Landrat von Bayreuth. Petra Ernstberger, Geschäftsführerin des Deutsch- Tschechischen Zukunftsfonds.

Sprachen Gedenkanliegen: Elfriede Heider, Karl Heider und Gerda Mühlbacher.
Domkapitular Dr. Heinrich Hohl, Helmut Süß, Vorstand der Johannes- Mathesius-Gesellschaft, und Daniela Hofmann vom Zentralrat Orientalischer Christen in Deutschland.

Domkapitular Dr. Heinrich Hohl
Waldemar Eisenbraun, Vorsitzender des Bayerischen Kulturzentrums der Deutschen aus Rußland, Dr. Alfred Lange, Landesvorsitzender des Bundes der Danziger, Johannes Kijas, Bundesgeschäftsführer der Paneuropa-Union, Renate Koch, Vorsitzende Oberfranken des Bayerischen Trachtenverbandes, Markus Rückdeschel, Kreisgeschäftsführer des Bayerischen Roten Kreuzes, Wilhelm Wenning, Landesvorsitzender des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge und Dirk Mewes, Bezirksgeschäftsführer Mittelfranken des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge.
Richard Šulko, Vorsitzender des Bundes der Deutschen in Böhmen.
❯ Rudolf-Lodgman-Plakette
Albrecht Schläger ausgezeichnet

Bernd Posselt, Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe, und Landesobmann Steffen Hörtler zeichnen Albrecht Schläger aus.
Für sein jahrzehntelanges und vielfältiges Engagement für die Sudetendeutsche Volksgruppe ist Albrecht Schläger mit der Rudolf-Lodgman-Plakette ausgezeichnet worden.
Bernd Posselt und Bayerns Landesobmann nutzten den Festakt „75 Jahre Vertreibung“ als würdigen Rahmen, um diese Ehrung vorzunehmen.
Schläger war von 1990 bis 2003 Mitglied des Bayerischen Landtags und Sprecher für Vertriebenen- und Spätaussiedlerfragen der SPD- Fraktion. Mitglied des Kuratoriums des Hauses des Deutschen Ostens, Vorsitzender und Präsidiumsmitglied der Seliger-Gemeinde, Generalsekretär des Sudetendeutschen Rates, Vizepräsident des Bundes der Vertriebenen (BdV) und Mitglied im Verwaltungsrat des deutsch-tschechischen Zukunftsfond, dies sind einige Stationen von Schlägers ehrenamtlichen Engagement für die Sudetendeutsche Volksgruppe.
Albert Schläger wurde am 4. September 1942 in Marktredwitz nahe der heutigen bayerisch-tschechischen Grenze geboren, ist verheiratet und Vater zweier Kinder.