TURTELEI 12./13. JAN. 22 19.30 UHR
STADTCASINO BASEL
PROGRA MM-MAGAZIN NR. 5 SAISON 21/22
Sinfonieorchester Basel Isabelle Faust, Violine Antoine Tamestit, Viola Alasdair Kent, Tenor Ivor Bolton, Leitung
Zuhause in Basel. Daheim in der Welt. F E n td ü r ec baz.c ker: h
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SINFONIEKONZERT
INH A LT
TURTELEI Liebes Konzertpublikum Die Geigerin Isabelle Faust und den Brat schisten Antoine Tamestit haben Sie als Solistin bzw. als Solist mit unserem Or chester bereits in ganz unterschiedlichen Konzerten erleben dürfen. Unvergesslich, wie uns Isabelle Faust zusammen mit Ivor Bolton – bei dessen Basler Debüt – im Stadtcasino Basel Beethovens Violinkon zert in einer aussergewöhnlichen Inter pretation neu entdecken liess. Beeindru ckend, wie Antoine Tamestit jede Minute vor seinem Auftritt mit Bartóks Bratschen konzert im Basler Münster nutzte, um auf der anderen Seite des Münsterplatzes in der Paul Sacher Stiftung Einblick in die originale Handschrift des Fragments zu nehmen. Nun treffen beide in Mozarts Sinfonia Concertante aufeinander – erst mals in Basel, aber schon in den vergan genen Monaten sind sie einander immer wieder begegnet. Gerade ist eine CD mit der Berliner Akademie für Alte Musik herausgekommen, auf der die beiden zu sammen Bachs Brandenburgische Konzerte eingespielt haben. Man darf gespannt sein, welche Auswirkungen dieses Alte-MusikErlebnis auf ihr Mozartspiel haben wird. Ivor Bolton hat aus seiner Heimat England zwei Werke von Benjamin Britten mitgebracht, die vermutlich zum ersten Mal im Stadtcasino Basel aufgeführt werden. Mehr über die Künstlerinnen und Künstler und über das Programm erfah ren Sie im neuen Programm-Magazin. Wir wünschen Ihnen bei der Lektüre viel Vergnügen.
Hans-Georg Hofmann Künstlerischer Direktor
Ivor Bolton Chefdirigent
PROGR A MM
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IN TERV IE W Isabelle Faust & Antoine Tamestit
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WOLFG A NG A M A DÉ MOZ A RT Sinfonia Concertante
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IN TERV IE W Alasdair Kent
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BENJA MIN BR IT TEN Matinées Musicales & Gloriana
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ORTSGESCHICHTEN von Sigfried Schibli
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VORGESTELLT Megan McBride, Horn
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FR AGEN DE ZEICHEN von EGLEA
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IN ENGLISH by Bart de Vries
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V ER EIN ‹FR EU N DESK R EIS SIN FON IEORCHESTER BASEL›
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IM FOK US
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DEMNÄCHST
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VORV ER K AUF
© Benno Hunziker
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Ivor Bolton, Chefdirigent
VORV ER K AUF, PR EISE U ND INFOS VORV ER K AU F
Bider & Tanner – Ihr Kulturhaus in Basel Aeschenvorstadt 2, 4010 Basel +41 (0)61 206 99 96 ticket@biderundtanner.ch Billettkasse Stadtcasino Basel Steinenberg 14 / Tourist Info 4051 Basel +41 (0)61 226 36 00 Sinfonieorchester Basel +41 (0)61 272 25 25 ticket@sinfonieorchesterbasel.ch www.sinfonieorchesterbasel.ch Z UG Ä NGL ICHK EIT
Das Stadtcasino Basel ist rollstuhlgängig und mit einer Induktionsschleife versehen. Das Mitnehmen von Assistenzhunden ist erlaubt.
PR EISE
CHF 105/85/70/55/35 ER M ÄSSIGU NGEN
• Studierende, Schülerinnen und Schüler sowie Lernende: 50 % • AHV/IV: CHF 5 • KulturLegi: 50 % • Mit der Kundenkarte Bider & Tanner: CHF 5 • Begleitpersonen von Menschen mit Behinderung: Eintritt frei (Reservation über das Orchester büro)
PROGR A MM
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TURTELEI Mi, 12. Jan. 2022, 19.30 Uhr Do, 13. Jan. 2022, 19.30 Uhr Stadtcasino Basel, Musiksaal Benjamin Britten (1913−1976):
Sinfonische Suite aus Gloriana, op. 53a (1953/54)
18.30 Uhr: Konzerteinführung mit Isabelle Faust, Antoine Tamestit und Hans-Georg Hofmann
ca. 26’
1. The Tournament 2. The Lute Song 3. The Courtly Dances 4. Gloriana moritura PAUSE
Wolfgang Amadé Mozart (1756−1791):
Sinfonia Concertante für Violine, Viola und Orchester Es-Dur, KV 364 (1779)
ca. 30’
1. Allegro maestoso 2. Andante 3. Presto
Benjamin Britten:
Matinées Musicales, op. 24 (1941)
ca. 16’
1. March 2. Nocturne 3. Waltz 4. Pantomime 5. Moto perpetuo
Sinfonieorchester Basel Isabelle Faust, Violine Antoine Tamestit, Viola Alasdair Kent, Tenor Ivor Bolton, Leitung
Konzertende: ca. 21.15 Uhr
INTERV IE W
ISA BELLE FAUST & A NTOINE TA MESTIT im Gespräch
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NICHT ZU ÜBERBIETEN
VON BENJA MI N HER ZOG
«Mozart zieht hier die Summe aus all sei nen bisher gewonnenen Erfahrungen und schreibt ein Werk, das an Schönheit und Ausgewogenheit nicht zu überbieten ist.»
Die Geigerin Isabelle Faust und der Bratschist Antoine Tamestit sind sich einig: Mozarts Sinfonia Concertante KV 364 ist eines der besten Werke, die Mozart geschrieben hat. BH
A lfred Einstein meinte, die Sinfonia Concertante sei «die Krönung dessen, was Mozart in seinen Violinkonzerten angestrebt hatte». Wie stehen Sie zu dieser Aussage? IF Ich kann dem nur zustimmen. Die Sinfonia Concertante ist sicherlich das schönste Werk, das Mozart für solistische Streicher und Orchester geschrieben hat. AT Die Violinkonzerte sind grossartig. Aber die Sinfonia Concertante ist ein Bijou. Punkto Form und emotionaler Struktur ist sie unglaublich gut geschrieben. Da höre ich den Mozart der Operndialoge und der Streichquartette, die ja auch sehr dia logisch sein können.
BH
Das
Werk stammt aus dem Jahr 1779. Die fünf bekannten Violinkonzerte aus den Jahren 1773 bis 1775. Hören Sie da eine Entwicklung, einen Unterschied? IF Mozart hat schon während der Ar beit an den Violinkonzerten innerhalb einer kurzen Zeitspanne eine enorme Ent wicklung der Form und des Stils voran getrieben. Wenn man das Violinkonzert KV 207 mit KV 219 vergleicht, wird dies sehr deutlich. Die Sinfonia Concertante ist nun aber das Resultat eines längeren Auf enthalts in Mannheim, wo Mozart sich mit dem Stil der Konzertanten Sinfonie und insbesondere der Musik von Carl Stamitz auseinandersetzen konnte. Eben so spielen hier seine Pariser Erfahrungen mit hinein. Die Sinfonia Concertante ver einigt auf einmalige Weise Tiefgründigkeit
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© Felix Broede
ISA BEL L E FAUST & A N TOI N E TA M EST I T
© Julien Mignot
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und Unterhaltendes. Mozart zieht hier die Summe aus all seinen bisher gewonne nen Erfahrungen und schreibt ein Werk, das an Schönheit und Ausgewogenheit nicht zu überbieten ist. AT Mozart geht formal weiter als in sei nen Violinkonzerten. Das gilt auch für die Freiheit dieser Form. Der langsame Satz hat eine viel grössere emotionale Tiefe a ls die langsamen Sätze der vorangegan genen Konzerte. In beidem, der Form und der emotionalen Tiefe, sind die Violin konzerte klassischer, erwartbarer. In der Sinfonia Concertante dagegen spüre ich sowohl grössere Reife wie auch grössere Freiheit.
gerne Viola gespielt hat. Zum Beispiel im Streichquartett. Und vermutlich hat er auch die Solostimme in der Sinfonia Concertante selber gespielt. Befreit hat Mozart eher die Viola als solche. In diesem Werk hebt er sie auf das Niveau der Violine.
«Die Inspiration ist einfach perfekt. Man könnte fast meinen, dass Mozart hier ein derart sensationel les Werk geschaffen hat, dass er zum Thema Streichersolisten nichts mehr hinzuzufügen hatte.» BH
Einstein nannte die Violine Mozarts «Dienstinstrument». Er spielte damit auf das gespannte Verhältnis zum Salzburger Erzbischof Colloredo an. Hat sich Mozart mit der Sinfonia Concertante davon befreit? IF Interessant ist, dass Mozart nach der Sinfonia Concertante kein solistisches Werk für Violine mehr geschrieben hat. Offensichtlich hat er seine Ressentiments diesem Instrument gegenüber, die sicher von seiner geigerischen Anstellung im Or chester in Salzburg herrührten, nie ganz ablegen können. Dennoch lassen die solis tischen Parts hier keinen Hauch von Überdruss oder Routine erahnen, im Ge genteil: Die Inspiration ist einfach perfekt. Man könnte fast meinen, dass Mozart hier ein derart sensationelles Werk geschaffen hat, dass er zum Thema Streichersolisten nichts mehr hinzuzufügen hatte. AT Sicher ist, dass Mozart auch sehr
BH
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Sinfonia Concertante entstand nach einer Paris-Reise, auf der Mozart grosse Erfolge feiern konnte. Ein einschneidendes Erlebnis dieses Aufenthalts war aber auch der Tod der Mutter 1778 in Paris. Ist der langsame Mittelsatz ein Lamento? IF Der langsame Satz ist sicher einer der schönsten in Mozarts Gesamtwerk. Er hat einen sehr ernsten, klagenden Cha rakter, ist aber nicht todtraurig, es gibt immer wieder auch etwas hellere Anklän ge. Im Vergleich zur herzzerreissenden und extrem intimen e-Moll-Violinsonate, die sicherlich während der Trauer um die Mutter geschrieben wurde, wirkt der Mit telsatz hier nicht ganz so tragisch. Aber wer weiss, natürlich kann es sich auch hier um eine Erinnerung an Mozarts Mutter handeln. AT Auf jeden Fall ist das Musik mit ganz tiefem Ausdruck. Mozart beherrscht den emotionalen Ausdruck hier extrem gut. Diese Modulationen, diese Betonung des tiefen C – das hinterlässt ein regelrechtes Gewicht der Trauer im Körper und auch im Ohr. Und dann gibt es daneben diese Zärtlichkeit in Dur, Erinnerungen an die Mutter vielleicht. Wie die Musik das be schreibt, ist jedenfalls absolut fabelhaft. Das spüre ich jedes Mal beim Spielen. BH
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Werktyp ‹Symphonie Concertante› schien damals gerade in Paris sehr beliebt zu sein. Hören Sie Französisches in Mozarts Musik? IF Die Form der Konzertanten Sinfonie war damals in Paris, aber auch in Mann heim, sehr in Mode. Wir wissen, dass Mozart speziell für Paris eine Symphonie Concertante (auch in Es-Dur!) für Oboe, Klarinette, Fagott und Horn geschrieben hat. Leider ist diese verschollen. Hier wäre es extrem spannend, den Stil dieses Werks mit demjenigen von KV 364 zu vergleichen. Sicherlich hatte Mozart hier noch ein paar französische Spezialitäten eingebaut, als Hommage an die Pariser. In KV 364 er
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kenne ich mehr Form-Merkmale aus der Mannheimer Schule. Mozart hat sich zum Beispiel auch nicht gescheut, das Hauptthema des 1. Satzes bei Stamitz zu stibitzen. AT Ich höre nicht allzu viel Französi sches. Vielleicht zu Beginn des 1. Satzes. Hier hat sich Mozart möglicherweise von der majestätischen Eleganz der französi schen Barockouvertüre mit ihren punk tierten Rhythmen leiten lassen.
IF In diesem Falle ganz bestimmt ‹dop peltes Aufblühen›. Mit einem solch gran diosen Partner wie Antoine Tamestit ist das gar nicht anders denkbar! AT Zweiteres. Oder sagen wir es so: Wenn man mit jemandem wie Isabelle Faust spielt, die ich sehr schätze, mit der ich ähnliche musikalische Überzeugungen teile, dann ist es kein Kompromiss im ne gativen Sinne, sondern es stellt sich eher die Frage, was man vom anderen überneh men kann, wie man sich gegenseitig auf einem höheren Niveau Antworten zuspie len kann. Das ist ein Zuhören und Spielen über Kreuz: Wie kann ich das Gleiche sagen, was ich vom anderen gehört habe, aber doch auf meine Weise? Das ist dann ein sehr schöner Kompromiss.
«Das ist ein Zuhören und Spielen über Kreuz: Wie kann ich das Gleiche sagen, was ich vom anderen gehört habe, aber doch auf meine Weise? Das ist dann ein sehr schöner Kompromiss.» BH
Haben
Sie auch schon einmal die andere Stimme gespielt? IF Die andere Stimme habe ich leider nie seriös zu spielen hinbekommen. Aber beide Stimmen sind einander ebenbürtig, beide haben eigentlich identische Parts zu spielen. Für die Viola gibt es allerdings noch einen extra Spass: Sie ist normaler weise in Skordatur zu spielen (Antoine Tamestit lässt sich das natürlich nicht nehmen), sodass trotz der Tonart Es-Dur viele leere Saiten benutzt werden können, die Bratsche dadurch heller klingt und sich besser von den Tutti-Bratschen (die übrigens in zwei Stimmen unterteilt sind) abhebt. Überhaupt ist die Viola im Tutti besonders bedacht worden, die Teilung in zwei unterschiedliche Stimmen ist ausser gewöhnlich und verleiht dem Orchester klang etwas speziell Rundes und Warmes. AT Ich habe die andere Stimme noch nie gespielt. BH
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einigt man sich auf eine ge meinsame Interpretation? Ist es am Schluss eher ein Kompromiss oder gerade das Gegenteil: doppeltes Aufblühen?
BH
Eine Zusatzfrage, Antoine Tamestit. Warum spielen Sie Ihren Part in Skordatur, also mit Saiten, die alle einen Halbton höher gestimmt sind? AT Längere Zeit dachte man, das sei bloss eine Vereinfachung für die Bratschis ten. Das ist es aber nicht nur. Das Instru ment höher zu stimmen, ist eher eine Frage der Resonanz. Die Viola gleicht sich dadurch klanglich der Violine an. Weil die Saiten stärker gespannt sind, hat das Instrument mehr Brillanz. In normaler Stimmung klingt die Viola vielleicht tiefer, dunkler. In Skordatur klingt sie eher wie eine Schwester der Violine. Oder wie ihr Bruder.
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REICHTUM A N IDEEN U ND K L Ä NGEN
VON THOM AS M AY
Im Jahr 1779, einige Jahre bevor Haydn seine Sinfonie Nr. 76 niederschrieb, brann te der 23-jährige Mozart darauf, sich von den Einschränkungen zu befreien, die ihm sein Dienstherr in Salzburg, der Erzbi schof Colloredo, auferlegt hatte. Seine kurz zuvor unternommene Reise nach Mannheim und Paris war dabei von ent scheidender Bedeutung; sie regte Mozart offenbar dazu an, mit instrumentalen For men und Stilen, denen er dort begegnet war, zu experimentieren. Ein Ergebnis davon war die Sinfonia Concertante – ein Werk, das vor Freude am Erforschen neuer instrumentaler Klang kombinationen und -möglichkeiten nur so strotzt. Es markiert gleichzeitig eine Art Wendepunkt und fasst zusammen, was Mozart bis dahin als Künstler erreicht hatte. Nicht lange nach der Vollendung des Werks – und zum Teil wegen seiner rein vergnüglichen kreativen Unterneh mungen auf Kosten seiner Pflichten als Hoforganist – wurde er von seinem Vor gesetzten fristlos entlassen (wie er in einem Brief sardonisch formuliert, «durch einen Tritt im Arsch») und verliess Salz burg endgültig, um in Wien zu leben. Die genannte Gattung ist, wie der Name schon sagt, eine Mischung aus Sinfo nie und Konzert, was im späteren 19. Jahr hundert als Doppelkonzert für Violine und Viola bezeichnet werden sollte. D och
die Sinfonia Concertante vereinigt diese verschiedenen Dimensionen auf wunder same Weise. Wie Haydn schöpft Mozart sein eher bescheidenes Orchesterensem ble maximal aus; es gibt kein Schlagzeug, nicht einmal Flöten oder Mozarts gelieb te Klarinetten, dafür die Einteilung der Bratschen in zwei Stimmen, um eine reichere Streichermischung zu erreichen. Die Proportionen des Eröffnungssatzes (der mit dem episch klingenden Tempo Allegro maestoso gekennzeichnet ist) sind grosszügig und umfangreich, was den sinfonischen Aspekt des Werks noch ver stärkt. Für viele ist dieses Stück das gross artigste von Mozarts Konzerten für die Violine und übertrifft die fünf offiziellen Violinkonzerte. Gleichzeitig spielt die Bratsche in der Sinfonia Concertante nicht die Rolle der zweiten Geige. Mozarts Wahl des Instruments für den zweiten Solisten ist aufschlussreich: Obwohl ein hervor ragender Geiger, spielte er selber gerne Bratsche in Streichquartett-Ensembles und genoss es, im ‹Mittelpunkt› zu stehen. Ein unverwechselbares Merkmal der Sinfonia Concertante ist die bemerkens werte Partnerschaft und Gleichberechti gung der beiden Solistinnen oder Solisten sowie die mitreissend schöne Klangmi schung, die sie erzeugen. In Mozarts Ori ginalpartitur ist die Bratschenstimme sogar in D-Dur notiert, sodass die Solo-
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© Wikimedia Commons
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Bratsche die Saiten einen Halbton höher stimmen muss. Damit soll der sonst eher zurückhaltenden Bratsche eine gewisse Resonanz verliehen werden, um die Klang fülle der üblicherweise im Rampenlicht stehenden Violine auszugleichen. Mozarts Kunst bringt an vielen Stel len der Sinfonia Concertante mit schein barer Leichtigkeit einen aussergewöhn lichen Reichtum an Ideen und Klängen hervor – wie reife Früchte, die einfach nur gepflückt werden wollen. Dies zeigt sich gleich in der eröffnenden Orchesterexpo sition, wo sich eine Idee an die nächste reiht, bis man bei einem halben Dutzend den Überblick verliert. Und es folgen wei tere, sobald sich der Vorhang hebt und die Solistinnen oder Solisten in einer der er habensten Mozart-Passagen einsetzen, indem sie sich mit einem anhaltenden hohen Es vom Orchesterhintergrund ab heben. Es ist wohl keine Überraschung, dass George Balanchine ein berühmtes Ballett zu dieser Musik choreografierte, denn die beiden Solistinnen oder Solisten stehen nicht nur im Dialog mit dem ge samten Orchester, sondern auch mitein ander. In den vielen sich entfaltenden widerhallenden Passagen und im Aufbau der ausdrücklich ausgeschriebenen Kaden zen ist vielleicht sogar Mozart selbst als Bratschist herauszuhören. Neben diesen instrumentalen Dimen sionen gibt es noch eine weitere. Diese ist die Welt der Oper, des Klagelieds, mit ei nem Hauch archaischer Barockstimmung, die im empfindsamen und langen Andante, einem der relativ seltenen langsamen Moll-Sätze Mozarts, aufscheint. Hier ist eine emotionale Tiefe zu spüren, die, wie Maynard Solomon in seiner bemerkens werten Biografie spekuliert, die Verlust erfahrung des Komponisten beim Tod seiner kurz zuvor verstorbenen Mutter widerspiegeln könnte. Auch die Dualität des Violin-Viola-Klangs trägt zur atem beraubenden Schönheit des Stücks bei: Hören Sie auf die klagende Trauer-Arie der Solo-Violine und die Antwort der Bratsche, die nun plötzlich, aber glaubwürdig, Trost spendet. Auch im Folgenden bilden die beiden ein komplementäres Paar, während Mozart sein Lied bruchlos weiterentwi ckelt – eine Melodik, die Wagner in seinen Bühnenwerken später als «unendliche Me lodie» bezeichnen wird.
Wolfgang Amadé Mozart (1756–1791)
Mit dem Presto-Rondo-Finale kehrt eine unbändige freudige Energie zurück. Wie Alfred Einstein bemerkte, resultiert diese «Heiterkeit hauptsächlich aus der Tatsa che, dass in der Kette der musikalischen Ereignisse das Unerwartete immer zuerst auftritt und dann das Erwartete folgt». Oder, um es mit Hesses ätherischen Un sterblichen aus dem Roman Der Steppenwolf zu vergleichen: Die Sinfonia Concertante endet mit dem Lachen der Unsterb lichen, einem Lachen «ohne Gegenstand». Aus dem Englischen übersetzt von Lea Vaterlaus. Verwendung mit Genehmigung der Los Angeles Philharmonic Association.
Sinfonia Concertante BESETZUNG
Violine solo, Viola solo, 2 Oboen, 2 Hörner, Streicher ENTSTEHUNG
1779 in Salzburg UR AUFFÜHRUNG
nicht überliefert DAUER
ca. 30 Minuten
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A L ASDA IR K ENT im Gespräch
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«INTENSITÄT DES GEFÜHLS U ND IN NERE ZERBRECHLICHK EIT»
VON CHR ISTI A N F LU R I
Alasdair Kent ist ein exzellenter lyrischer Tenor, vor allem des Belcanto, mit einer hohen, wendigen und ausdrucksstarken Stimme und er ist ein gros ser Schauspieler. Er tritt überall auf der Welt in bedeutenden Opernhäusern auf. Wir führten unser Gespräch, als er in Tel Aviv Mozarts Zauberflöte probte. Kent, der in seiner austra lischen Heimatstadt Perth und in Philadelphia in den USA sein Studium absol vierte und in diesen beiden Ländern bereits wichtige erste Preise gewann, singt nun in Basel in Benjamin Brittens Sinfonischer Suite aus Gloriana, op. 53a, das Lautenlied.
«Oper ist mehr als Gesang. Wir entwickeln ein Drama, machen durch Text, Musik und Regie gestaltete Charaktere lebendig.» CF Wir
haben in Basel Ihre Spiellust und Ihre schöne, helle Stimme bereits kennenlernen dürfen. Sie sangen im Herbst 2019 den Conte Almaviva in Gioachino Rossinis Il barbiere di Siviglia. Im Spiel auf der Bühne – da lebten Sie förmlich auf? A K Meine Arbeit ist mehr als mein Be ruf, sie ist meine Berufung. Wie kann man auf der Bühne auftreten, ohne im Spiel zum Leben zu erwachen? Oper ist mehr als Gesang. Wir entwickeln ein Drama, machen durch Text, Musik und Regie ge staltete Charaktere lebendig. CF Sie
spielen viel Oper, singen auch Konzerte. Ergänzen die beiden einander? A K Ich geniesse die Abwechslung. Oper lehrt uns dramatische Wahrhaftigkeit und Texttreue. Der Konzertgesang lehrt uns musikalische Exaktheit und schafft eine Art Symbiose mit einem Orchester.
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CF Gefällt
CF
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© John Matthew Myers
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Ihnen Basel so gut, dass Sie hierhergezogen sind? A K Ich liebe Basel. Während der Auffüh rungen des Barbiere verliebte ich mich in meinen Partner, der in Basel zu Hause ist. So folgte ich dem Ruf der Liebe. Basel ist ein fantastischer Ort. Die Stadt bietet ein vielfältiges kulturelles Leben von hoher Qualität. Nehmen wir als Beispiel das Sin fonieorchester Basel, das jedem der gröss ten Orchester Europas oder der USA eben bürtig ist. In allen Bereichen gibt es hier eine Dichte an künstlerischer Exzellenz.
«In Basel an sechsoder siebenhundert Jahre alten Gebäuden vorbeizugehen, ist für mich eine ganz andere Welt.»
ie stammen aus Australien, leben S nun in Europa. War das für Sie ein Schritt in eine andere Welt? A K Ich verliess Australien 2013 und konnte in Philadelphia an einer der füh renden Opernschulen, an der Academy of Vocal Arts, mein Gesangsstudium abschlies sen. Ich war schon in jungen Jahren viel gereist, nach Europa, in die USA. In Perth hatte ich neben Gesang und Musik italie nische, französische und deutsche Spra che und Literatur studiert. Bevor ich mich in Basel niederliess, hatte ich in verschie denen europäischen Ländern gelebt und gearbeitet. Ich denke, dass sich Europa und Australien näher sind, als man denkt. Den grössten Unterschied macht wohl die lange und wechselhafte Geschichte Euro pas, die Australien so nicht hat. In Basel an sechs- oder siebenhundert Jahre alten Gebäuden vorbeizugehen, ist für mich eine ganz andere Welt. CF Sie
sind in Perth aufgewachsen. Wie ist es für Sie, dass Sie seit Beginn der Corona-Pandemie vor gut eineinhalb
KlassiX – Das Sinfonieorchester Basel auf Sendung. Kostproben, Eindrücke und Storys aus dem Orchesteralltag, jeweils sonntags um 20 Uhr.
16. Jan. 2022 27. März 2022 22. Mai 2022 Hören Sie sich die Sendung live auf Radio X zum Sendetermin an oder ab dem Folgetag online in unserer Mediathek unter: www.sinfonieorchesterbasel.ch
RADIO
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Jahren nicht mehr in Ihr Heimatland reisen durften? A K Es stimmt mich traurig, dass ich so lange keinen meiner Verwandten gesehen habe. Ich verstehe zwar die Notwendigkeit, das Virus einzudämmen und die Gesund heit der Menschen zu schützen. Aber zum jetzigen Zeitpunkt gibt es für mich keine Rechtfertigung für solche drakonischen Massnahmen. Australien ist nicht fähig, die notwendigen Kompromisse einzugehen, die in der Schweiz so gut funktionieren. CF
ie schwierig war für Sie als Sänger W die Zeit der strengen Corona-Massnahmen? A K Ich gehörte noch zu den Glückliche ren. Ich konnte Aufnahmen machen, eine mit dem Sinfonieorchester Basel, und ei nige Streaming-Konzerte geben. In Oviedo debütierte ich als Arturo in Bellinis Oper I puritani. Aber auch ich musste mit vielen Absagen wichtiger Engagements leben. CF Sie
singen vor allem Mozart und Belcanto-Partien in den Opern Bellinis, Donizettis und Rossinis. Wie entdeckten Sie, dass Ihre Stimme dafür wie geschaffen ist? A K Ich hatte immer eine sehr hohe Stimme. Es fiel mir leicht, hohe Töne und Koloraturen zu singen. Aber das Timbre meiner Stimme eignet sich auch für eng lische Musik. So war es meine Wahl, mich auf Mozart und Belcanto zu konzentrie ren. Schon als Teenager faszinierten mich die Eleganz und Melodik des Belcanto. CF Sie
beschränken sich aber nicht auf den Belcanto, sondern wenden sich auch anderen Genres zu, so beispielsweise den Liedern von Lili Boulanger. A K Kein Sänger kann sich auf ein Genre beschränken. Ich habe eine unter Tenören seltene Flexibilität in der dynamischen Gestaltung, die auch zu Tenor-Partien von lyrischen französischen Opern der Ro mantik passt. Nun wende ich mich auch dem französischen Barock zu. Und ich singe alle Kunstlieder, die mich von ihrer Poesie und Melodik her ansprechen.
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«Das erforderliche Timbre ist Teil meines britischen Erbes. Es gilt, die Melancholie zum Ausdruck zu bringen.» CF Nun
konzertieren Sie in Basel mit Benjamin Brittens Lute Song, dem Gesangspart der Sinfonischen Suite aus Gloriana ... A K Das Lautenlied liegt zwar tief für meine Stimme. Aber es gibt eine grosse dynamische Variation, dies ist eine meiner Stärken. Das erforderliche Timbre ist Teil meines britischen Erbes. Es gilt, die Me lancholie zum Ausdruck zu bringen: die Intensität des Gefühls und innere Zer brechlichkeit. Innerhalb der sinfonischen Suite ist das Lautenlied ein Moment in tensiver, ergreifender Sehnsucht.
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BENJA MIN BR IT TEN Matinées Musicales & Sinfonische Suite aus Gloriana
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K Ü NSTLICHE BLUMEN U ND GROSSE KÖNIGIN NEN
VON A L A I N CL AU DE SU L Z ER
Über mangelnde Popularität konnte sich Rossini zeitlebens ebenso wenig beklagen wie über fehlende Anfeindungen von Kolle gen; von beidem gab es reichlich. Während sich Berlioz über Rossinis «melodischen Zynismus» ereiferte, blieb Schopenhauer immer «Mozart und Rossini treu»; Schu mann bezeichnete ihn als den «trefflichs ten Decorationsmaler» und Wagner, des sen Zusammentreffen mit Rossini doku mentiert ist, nannte ihn nach seinem Tod einen «ungemein geschickten Verfertiger künstlicher Blumen», wohingegen Giaco mo Meyerbeer die «neuen Aspekte eines unsterblichen Genies» bewunderte. Carl Maria von Weber hingegen – den wiede rum Rossini schätzte – sah in ihm einen «Luzifer der Musik», vor dem er davon laufen müsse, «sonst fange er noch an, das Zeug gern zu haben». Rossini überlebte unbeschadet Ver ehrung wie Verachtung. Mithin auch Beet hovens maliziöses Diktum vom «guten Bühnenmaler» und dessen Empfehlung bei einem persönlichen Treffen in Wien, noch «viele Barbiere», aber «bloss nichts Ernst haftes zu machen». Und auch Wagners dick aufgetragenes Bild vom «Schmetter ling» Rossini, dem der «Adler» Beethoven geschickt auswich, «um ihn nicht durch das Schlagen seiner Schwingen zu erdrü cken», konnte dem leicht dahingleitenden Schwan von Pesaro nichts anhaben.
Die unzähligen Variationen, die auf der Grundlage der Opernmelodien des Italie ners entstanden, sprechen eine andere Sprache: die der Huldigung und des Res pekts vor so viel Einfallsreichtum. Ob Bottesini, Mercadante oder Moscheles oder die bedeutenderen Paganini, Chopin, Liszt, Offenbach oder Respighi, sie alle – und viele mehr – haben sich mit Rossinis Werk auseinandergesetzt. Benjamin Brit ten erwies ihm mit den Soirées Musicales und den Matinées Musicales gleich zwei Mal die Ehre. Bei den von ihm orchestrier ten Stücken handelt es sich vorwiegend um Kanzonetten und Arietten für eine oder zwei Singstimmen und Klavier, die Rossini zu Lebzeiten unter dem Titel Soirées Musicales veröffentlicht hatte. Laut eigener Aussage hatte Britten diese als Kind oft aus dem Mund seiner musika lisch begabten Mutter gehört, die sie für Gesangsübungen verwendete, weshalb Brittens Kompositionen wohl auch als Hommage an Edith Rhoda Britten, gebo rene Hockey, gehört werden dürfen. Britten hat diese Stücke, die in ihrer endgültigen Gestalt 1941 in Rio de Janeiro uraufgeführt wurden, in Rossinis Glanz erstrahlen lassen. Auch wenn er dem ver ehrten Älteren den Vortritt liess, trat er als Komponist mit eigenen Vorstellungen nicht völlig zurück. Das von Rossini be reits orchestrierte Pas de six aus der Oper Guillaume Tell etwa kürzte Britten nicht
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Bette Davis und Errol Flynn im Film The Private Lives of Elizabeth and Essex (1939)
nur gegenüber dem Original empfindlich, er gab auch der Instrumentierung mehr Leichtigkeit, indem er den Umfang des Orchesters für die Grande Opéra auf jene Durchsichtigkeit reduzierte, die Rossinis italienische Opern auszeichnete. Ohne Geist und Charakter von Rossinis Musik zu verändern, kommentierte sie Britten mit geradezu britischer Zurückhaltung, indem er sie in seine eigene Tonsprache übertrug, die von jener des Vorbilds nicht allzu weit entfernt, aber auch nicht völlig mit ihr identisch war. Der Klangteppich, den er unter Rossinis kammermusika lischen Stücken ausbreitete, blieb aber in jeder Hinsicht harmonisch. So wenig es Rossini 1825 abgelehnt hatte, eine Oper zur Krönung des letzten Bourbonenkönigs Karl X. zu schreiben, wäre es Benjamin Britten in den Sinn ge kommen, sich dem Ansinnen zu widerset zen, 1953 eine Oper zur Krönung der jun gen Elizabeth II. zu komponieren. Doch anders als Il viaggio a Reims von Rossini war Gloriana kein rauschender Erfolg
beschieden. Das Werk, das wie Rossinis Elisabetta regina d’Inghilterra eine Episo de aus dem Leben der ersten Elizabeth behandelte, fiel durch – weniger beim P ublikum als bei einem Grossteil der Kri tik. Es wurde als «trocken, uninspiriert, langweilig, ermüdend und kakophonisch» bezeichnet; so jedenfalls zitierte Le Monde die englischen Kritiker anlässlich der französischen Erstaufführung 1967 in Bor deaux. Die junge Queen hingegen, die – wie einst Karl X. – die Oper in einer Pri vatvorführung sah und hörte, war ent zückt; gewiss fühlte sie sich geehrt, Anlass für diesen in unüblicher Eile ausgeführten Auftrag an einen der bedeutendsten leben den Komponisten der Gegenwart gewesen zu sein, der weit über England hinaus be kannt war. Vom durchwachsenen Erfolg erholte sich Gloriana nie, auch wenn es im Lauf der Jahre immer wieder zu beachteten Aufführungen kam, etwa 2018 unter Ivor Boltons Leitung im Teatro Real in Madrid. Im Gegensatz zu Peter Grimes, Billy Budd
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Benjamin Britten (1913–1976)
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oder The Turn of the Screw schaffte es das Werk unverständlicherweise nicht ins Repertoire der internationalen Opern bühnen. Die unbefriedigende Rezeption der Oper, deren Libretto auf einem Roman von Lytton Strachey basiert, dürfte einer der Gründe dafür gewesen sein, zumindest einen kleinen Teil der Musik in eine Suite hinüberzuretten, die ohne grossen Auf wand in jedem Konzertsaal gespielt wer den konnte; die Uraufführung fand 1954 in Birmingham statt. Einen Eindruck von der Oper gibt in der Gloriana-Suite vor allem der Lute Song, der auf einen Text jenes Robert Devereux, Earl of Essex, komponiert wurde, von dessen Liebes beziehung zur ‹jungfräulichen› Königin Elizabeth I. Gloriana handelt, eine Liai son, die für Essex bekanntlich auf dem Schafott endete. Wie in anderen Opern, Dramen und Filmen ging die Sache für Elizabeth zumindest machtpolitisch gut aus; wie es im Herzen der alternden Köni gin aussah, liess jede Menge Raum für künstlerische Spekulationen. Die letzten an Elizabeth I. gerichte ten Worte der Oper sollten sich als Wunsch von prophetischer Reichweite erweisen, der für Elizabeth II. in ganz besonderem Mass in Erfüllung ging. Sie lauten: «I wish your majesty long life.»
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Matinées Musicales BESETZUNG
2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 2 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Pauken, Perkussion, Harfe, Celesta, Streicher ENTSTEHUNG
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UR AUFFÜHRUNG
27. Juni 1941 im Theatro Municipal in Rio de Janeiro unter der Leitung von Emanuel Balaban DAUER
ca. 16 Minuten Sinfonische Suite aus Gloriana BESETZUNG
3 Flöten, 2 Oboen, Englischhorn, 3 Klarinetten, 3 Fagotte, 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Pauken, Perkussion, Harfe, Streicher ENTSTEHUNG
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UR AUFFÜHRUNG
23. September 1954 in Birmingham mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra unter der Leitung von Rudolf Schwarz DAUER
ca. 26 Minuten
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ORTSGESCHICHTEN
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BRITTEN IN SUFFOLK
VON SIGF R IED SCHIBL I
Benjamin Britten wurde 1913 in Lowestoft geboren und starb 1976 in Aldeburgh. Beide Städte liegen an der Ostküste Eng lands in der Grafschaft Suffolk. Im Norden davon Norfolk, im Süden Essex, im Wes ten Cambridgeshire. Daraus den Schluss zu ziehen, Britten sei nicht viel in der Welt herumgekommen, wäre voreilig. Er war als bedeutendster englischer Kompo nist des 20. Jahrhunderts häufig bei Auf führungen seiner Werke zugegen. Aber dass er Suffolk und die Ostküste liebte und nie ganz von seiner Heimat loskam, steht ausser Zweifel. Die erste Musik, die er gehört habe, sei das Rauschen der Wellen an den Klippen gewesen, sagte Britten einmal. Und dieses Rauschen, diese Küste, diese Landschaft begleiteten ihn sein Leben lang. Edward Benjamin Britten wurde als viertes Kind einer Mittelschichts-Familie geboren. Sein Vater Robert war Zahnarzt in Lowestoft und an Musik wenig interes siert; es heisst von ihm, er habe jeden Morgen um elf Uhr eine Whisky-Pause eingelegt, um sich von seinem Handwerk zu erholen. Dafür förderte seine Mutter Edith das musikalische Talent ihres Soh nes und erteilte ihm schon im frühen K indesalter Klavierunterricht. Eine Foto grafie zeigt den siebenjährigen Benjamin am Klavier, vor seinen Augen mindestens fünf Musikstücke. Er spielte häufig mit
seiner Mutter vierhändig am Klavier; be sonders schätzte man in der Familie das Sieg fried-Idyll von Richard Wagner, das der Junge aus der Partitur spielen konnte. Dazu lernte er noch Bratsche. Über seine Grundschulzeit in South Lodge in Lowestoft äusserte sich Britten positiv: Dort habe er gelernt, diszipliniert zu arbeiten. Sein Schulweg war kurz. Die Familie lebte an der Kirkley Cliff Road in einem Haus, das heute ‹Britten House› genannt wird. Die weiterbildende Schule besuchte Britten in Holt in Norfolk, auch hier wieder nicht weit entfernt von der Küste der Nordsee, vom ‹German Ocean›. Mit 17 Jahren verliess Britten das geliebte ‹East Anglia›, um eine solide Ausbildung als Musiker zu absolvieren und am Royal College of Music in London Klavier und Komposition zu studieren. Nach drei Jah ren war seine Ausbildung beendet, und er galt als vollwertiger Komponist. Obwohl er als Homosexueller in der Grossstadt London besser untertauchen konnte als im provinziellen Suffolk, sehnte er sich nach der Heimat. Nach dem Tod seines Vaters zog er zurück nach Lowestoft. Da er häufig in London zu tun hatte, mietete er sich dort eine Wohnung, aber sein Hauptwohnsitz war weiterhin in ‹East A nglia›. Über seine Sinfonie in g-Moll von 1937 sagte er, er habe den langsamen Satz «in den Sanddünen und Sümpfen des öst lichen Norfolk konzipiert».
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© Wikimedia Commons
ORTSGESCH ICH T EN
‹The Red House› im englischen Aldeburgh, Suffolk
‹Britten minor›, wie man ihn im Unter schied zu seinem älteren Bruder Robert nannte, stand schon als Jugendlicher in Opposition zu den gängigen gesellschaft lichen Normen. Er verurteilte die in Eng land populäre Fuchsjagd, verbrachte die Freizeit lieber mit Komponieren als mit Sport und interessierte sich nicht für Mädchen, und als er sich zum Militär dienst stellen sollte, verweigerte er diesen. Dies war der Grund, weshalb er 1939 mit seinem Lebensgefährten Peter Pears Eng land verliess und über Kanada in die Ver einigten Staaten zog. Kaum in Amerika angekommen, wurde er von Heimweh nach Suffolk ergriffen. Seine Bekannte Enid Slater hatte ihm im Juni 1939 Fotos von zu Hause geschickt, und Benjamin schrieb ihr im Zug nach New York zurück: «Wenn sie den Zweck hatten, mich heim wehkrank zu machen, haben sie ihren Zweck voll erfüllt!» 1942 kehrten Britten und Pears nach England zurück. Von da an hielten sie sich häufig im Dorf Snape am Fluss Alde auf, wenige Kilometer von A ldeburgh entfernt. Nachdem seine Mut ter gestorben war, hatte sich Britten 1937 dort eine alte Mühle gekauft, die er re novieren und umbauen liess. Dort kom ponierte er The Young Person’s Guide to the Orchestra und die Opern The Rape of
Lucretia und Albert Herring. ‹The Old Mill› diente ihm als ruhiger Zufluchtsort, bis er sich 1947 in Aldeburgh niederliess und dort das bis heute mit seinem Namen ver bundene Musikfestival gründete. Ihre letzten Lebensjahre verbrachten Britten und Pears im ‹Red House› in Aldeburgh, umgeben von einem grossen Blumengar ten. Eine englische Strauchrose wurde nach Benjamin Britten benannt. Als Britten 1951 gebeten wurde, eine Art Selbstporträt zu verfassen, schrieb er ein Loblied auf «Suffolk mit seinen Sümp fen, wilden Seevögeln, grossen Häfen und kleinen Fischerdörfern. Ich bin wirklich verwurzelt in diesem herrlichen Land. Und das bewies ich mir selbst, als ich ein mal versuchte, anderswo zu leben. Selbst wenn ich Länder besuche, die so prächtig sind wie Italien, so freundlich wie Däne mark oder Holland, habe ich immer Heim weh und freue mich, zurückzukehren nach Suffolk.»
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MEG A N MCBR IDE im Gespräch
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«EUROPÄ ISCHE U ND A MERIK A NISCHE ORCHESTER SPRECHEN W IRK LICH EINE A NDERE SPR ACHE» VON L E A VATER L AUS
Megan McBride stammt aus dem amerikanischen Oxford im Bundesstaat Ohio und absolvierte ihr Musikstudium zunächst in Cincinnati, Philadelphia und Boston, wo sie mit Mitgliedern des renom mier ten Philadelphia Orchestra sowie des Boston Symphony Orchestra zusammenarbeitete. Ihr Masterstudium führte sie daraufhin nach Lugano, und schliesslich kam sie zum Sinfonieorchester Basel, wo sie seit 2009 als Hornistin tätig ist.
LV Megan
McBride, Du bist ‹Wechselhornistin› beim Sinfonieorchester Basel. Was kann man sich darunter vorstellen? MMB Das bedeutet, dass ich sowohl die tiefere zweite als auch die höhere dritte Stimme spiele. Das Hornregister ist ei gentlich in ‹hohe› und ‹tiefe› Hornistin nen und Hornisten eingeteilt – ich mache beides. Unser Instrument hat dabei eine besonders grosse Bandbreite an Tönen. Mit der Grösse des Mundstücks lässt sich die Tonhöhe etwas einfacher erreichen – ich benutze ein mittleres Mundstück, da mit ich sowohl hohe als auch tiefe Stim men angenehm spielen kann. LV Du stammst aus dem englischsprachi
gen Raum, wo das Horn als ‹French Horn› bezeichnet wird. Im Volksmund sagt man auch ‹Waldhorn›. Welcher Name ist der richtige? MMB Das war tatsächlich eine gewisse Zeit lang eine grosse Debatte! Der Vorläu fer des heutigen Horns, das Naturhorn, stammt allerdings nicht nur aus Frank reich, weshalb die Bezeichnung ‹French Horn› so nicht stimmt. Beide Begriffe, so wohl ‹French Horn› als auch ‹Waldhorn›, gehen darauf zurück, dass das Horn frü her vor allem als Signalinstrument bei der Jagd verwendet wurde, bevor es im Barock als Orchesterinstrument eingeführt wur de. Die Jagdinstrumente waren dabei
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© Pia Clodi / Peaches & Mint
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kreisrund und innen hohl, damit man sie auf dem Pferd direkt am Körper tragen konnte. Heute lautet der offizielle Name nur ‹Horn›, wie auch der Name der International Horn Society bestätigt.
MMB Ja,
LV I n der
historischen Aufführungs praxis wird das Naturhorn auch heute noch im Orchester verwendet. Braucht dies zusätzliche Übung? MMB Ja, die Spielweise ist vollkommen anders. Das Naturhorn hat keine Ventile, die Töne entstehen mit der richtigen An satztechnik und der Positionierung der rechten Hand am Instrument. In Boston, wo es eine grosse Alte-Musik-Szene gibt, habe ich diese Technik intensiv studiert. Auch hier beim Sinfonieorchester Basel brauchen wir Hornistinnen und Hornis ten häufig das Naturhorn für die Auffüh rung von Werken aus Zeiten Mozarts bis hin zu Berlioz. LV In
welcher Musikrichtung ist das Horn denn besonders zu Hause? MMB In allen! Deshalb mag ich das Horn so gerne! Vom Barock bis zur zeitgenössi schen Musik und auch in anderen Genres wie der Filmmusik ist das Horn immer sehr präsent. Unser Solo-Repertoire ist zwar nicht besonders gross, wenn man es mit jenem der Streicher vergleicht, es gibt von Mozart und Haydn über Strauss bis zu zeitgenössischen Kompositionen aber dennoch sehr prominente Werke, die für das Horn geschrieben wurden.
«Mozart hat sich wirklich gut ausgekannt mit den damaligen Instrumenten, auch damit, wie sie funktio nierten. Seine Horn konzerte gehören zum Grundrepertoire jedes Hornisten.» LV Mozart
hat vier Hornkonzerte geschrieben – das ist im Vergleich zu anderen Komponisten mehr als der Durchschnitt, oder?
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Mozart hat sich wirklich gut aus gekannt mit den damaligen Instrumenten, auch damit, wie sie funktionierten. Seine Hornkonzerte gehören zum Grundreper toire jedes Hornisten. Die vier Konzerte schrieb er für einen langjährigen Fami lienfreund, den Hornisten Joseph Leutgeb. Die beiden haben sich auf sehr humorvol le Weise ausgetauscht; so sind im Manu skript des Hornkonzerts Nr. 1 Kommenta re wie «oh Dio che velocità» oder «basta, basta!» zu finden. Das Konzert wurde trotz seiner Bezeichnung eigentlich als letztes geschrieben – zu einer Zeit, in der Leutgeb wohl schon älter war. So ist das Konzert in einer tieferen Tonart geschrie ben und besitzt einen kleineren Tonum fang. Vielleicht, weil Leutgeb bereits nicht mehr so viele Zähne hatte! (lacht) LV Braucht
die Technik des ‹Ansatzes› ein spezielles Training der Lippenmuskulatur? M M B Ich finde, man muss mindestens jeden Tag oder zumindest sechs Tage die Woche Aufwärmübungen machen. Es ist wie bei einem Sportler: Man kann keinen Mara thon rennen, wenn man zuvor nicht trai niert hat. Wir Blechbläser können nicht unbedingt stundenlang am Stück üben, dür fen dafür aber nicht lange Zeit pausieren. LV Apropos
Sport: Yoga ist eine Deiner grössten Leidenschaften neben der Musik. Was nimmst Du davon in Deinen Alltag mit? M M B Als Musikerin oder Musiker hat man oft muskuläre Beschwerden. Das Horn beispielsweise ist sehr schwer, und man hält es immer in derselben Position, wes halb ich lange Zeit Rückenprobleme hatte. Seit ich Yoga mache, habe ich keine Be schwerden mehr. Auch mental hilft mir der Sport sehr: Ich habe früher im Kon zert häufig gezittert, weil einfach zu viel Adrenalin in mir drin war. Nun bin ich sehr ausgeglichen und bleibe auch bei SoloStellen ruhig. Lange Zeit habe ich in der Mittagspause auch Yoga-Kurse für die Or chestermitglieder gegeben – danach wa ren wir wieder wach und gestärkt für die Nachmittagsprobe. Im letzten Jahr ist das etwas auseinandergefallen. Ich bekomme von meinen Kolleginnen und Kollegen aber ständig Anfragen, wann wir wieder damit beginnen können!
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© Dominik Ostertag
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Du bist in Amerika aufgewachsen und hast lange Zeit dort studiert. Wie unterscheiden sich amerikanische Orchester von europäischen? MMB Amerikanische Orchester haben ei nen sehr unterschiedlichen Klang und eine andere Spielweise. Bezogen auf das Horn ist der Klang dort sehr rund und breit, mit einem diffusen Kern. Von pianissimo bis fortissimo ist die Klangfarbe der Blechbläser immer sehr ausgeglichen, während in Europa bei grösserer Lautstär ke schnell ein ‹blecherner› Ton entsteht. Ich denke, dass die europäische Spielweise näher an der Herkunft des Instruments ist, denn auch beim Naturhorn entsteht dieser Blech-Klang schnell. Europäische und amerikanische Orchester sprechen wirklich eine andere Sprache! Mein Leh rer in Boston hat immer zu mir gesagt: «Du spielst, wie Du in Europa spielen soll test!» Jetzt bin ich tatsächlich hier! (lacht). LV
«Basel ist ein Dorf, das kein Dorf ist, sondern eine Stadt – das mag ich besonders.» LV War
es für Dich eine grosse Umstellung, in die Schweiz zu kommen? MMB Vollkommen! Als ich für mein Stu dium nach Lugano kam, konnte ich mich erst überhaupt nicht an den Lebensrhyth mus hier gewöhnen. Jedes Büro hatte im mer geschlossen, alles dauerte ewig! (lacht) Zudem ist es hier nachts so leise – ich konnte die ersten Monate überhaupt nicht schlafen. In amerikanischen Grossstädten ist immer extrem viel los, und es kann auch ziemlich gefährlich werden. Es ge fällt mir, dass man hier in Basel etwas weniger aufpassen muss, das kulturelle Angebot aber trotzdem riesig ist! Basel ist ein Dorf, das kein Dorf ist, sondern eine Stadt – das mag ich besonders. LV Megan McBride, herzlichen Dank für das Gespräch!
KOLUMNE
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FR AGENDE ZEICHEN
VON EGL E A
Beide sassen erschöpft und hungrig an unserem Tisch, sie Geigerin, er Cellist, mitgebracht von gemeinsamen Musiker freunden. In den letzten Tagen waren sie in Deutschland, Österreich und Frank reich auf Tournee gewesen und zwischen drin Hals über Kopf von London nach Brüssel umgezogen. Beide keine Englän der, hatten sie sich als Engländer gefühlt. Nach der Suppe fragte ich, warum denn jetzt, das war 2018, auf einmal Brüssel, wo es ihnen in London so gut gefallen hatte. «Geht nicht mehr», sagten sie, «sobald der Brexit durchgezogen ist, wird das zwi schen Insel und Kontinent nicht mehr funktionieren.» Wussten diejenigen, die Ende letzten Jahres den mehr als 1200 Seiten dicken Brexit-Vertrag verabschiedeten, dass sie damit nicht nur eine vitale europäische Musikszene zerstören würden, vielmehr eine Verbindung, in der so viel Geniales gezeugt und geboren wurde, dass einem beim Zurückblicken schwindlig wird? Mozart war erst vor etwas mehr als einem Jahr aus Salzburg nach Wien gezo gen, als er seinem Vater schrieb, eigentlich sei er ein Engländer, ein Erz-Engländer sogar. Das beunruhigte den Vater anfangs nicht. Schon als Achtjähriger war sein Sohn in London gewesen und hatte da mals mitbekommen, was diese Musikstadt zu bieten hatte. Nervös wurde der Vater
erst ein paar Jahre später, als der Sohn von seinen englischen Musikerfreunden in Wien schwärmte, die zurück nach Lon don und ihn mitnehmen wollten, wenigs tens für eine Tournee, natürlich mit seiner Frau. Ob der Vater währenddessen die bei den Kinder hüten könne. Der Vater schmet terte die Bitte ab, unverschämt sei das, zudem befürchtete er, sein Sohn würde dortbleiben. Es war ein deutscher Konzert unternehmer namens Salomon aus Bonn, in London sensationell erfolgreich, der Mozart angebaggert hatte; es fiel ihm nicht schwer, Musiker auf die Insel zu lo cken, denn er konnte ihnen dort ein Viel faches an Auftrittsmöglichkeiten, Zuhö rern und Geld bieten. Leopold Mozart hielt die Sache für erledigt, er wusste nicht, welches Buch sein Sohn in der Freizeit durchgeackert hatte: An Attempt to facilitate the study of English language. In das Gästebuch eines Schweizers hatte Mozart geschrieben: Patience and tranquillity of mind contribute more to cure our distempers as the whole art of medicine. Der Mann war sein Englisch lehrer. Noch las Mozart Shakespeare auf Deutsch, das aber wollte er schleunigst ändern. Aus Mozarts England-Traum wurde nichts. Kurz nach der Abreise seiner eng lischen Freunde starb der Erz-Engländer in Wien; sein Freund Joseph Haydn, vor einigen Monaten nach London emigriert
und dort, vom Eis befreit, produktiv und hoch bezahlt wie nie, erfuhr erst ein paar Wochen später davon. Die Todesnachricht, sagte er, habe ihn völlig aus der Bahn ge worfen, vor allem aber bedaure er, dass Mozart «nicht zuvor die noch dunklen Engländer hat überzeugen können, wovon ich denselben täglich predige». Wer sich abschottet, um den bleibt es finster. Er hellend, predigte Haydn, wirke der Aus tausch. Wenn die Funken fliegen, wird es lichter, und es funkt oft dort, wo keiner es vermutet. Bei Britten funkte Mozart, als er in jungen Jahren zum ersten Mal Le nozze di Figaro im Royal Opera House London erlebte. «Diese einfache Schön heit, die sämtliche Emotionen auszudrü cken vermag, ist vernichtend für jeden Ehrgeiz.» Kein Komponist, keine Kompo nistin hat auf so vielen Einspielungen Mozart dirigiert wie Britten. Hans Keller, ein Musikwissenschaft ler aus Wien, der 1938 als Jude nach Eng land flüchten musste, schrieb als erster darüber, was Mozart und Britten verbin det: Dass sie extrem viele Menschen er reichen, die ihre Musik nicht verstehen, weil sie deren Tiefe verkennen, das Dämo nische, Abgründige darin nicht wahrneh men wollen. Mozart wie Britten kannten ihre Kellergewölbe und die der ganzen Menschheit und wussten deswegen, wo und wie man dort das Licht einlässt: eine Öffnung in die Mauern brechen, durch die das Neue, das Unerwartete, Fremde he reinkommt. Mozart lernte die brandneue Form der ‹Symphonie Concertante›, wie sie dort hiess, in Paris kennen, als es zap penduster aussah mit seiner Zukunft, er sich mit Neid, Intrigen und Geldnot he rumschlagen musste, in finsteren Zimmern zum Hof einquartiert war und am Sterbe bett seiner Mutter sass. Seine Sinfonia Concertante ist ein Werk des ‹Chiaroscuro›, des Helldunkels. Auf den leuchtenden Be ginn folgt ein Andante, dessen Schatten der Engländer Peter Greenaway sichtbar machte; er liess Takte daraus in seinem Film Drowning by Numbers erklingen, während eine feine ältere Dame sich ihres Ehemanns entledigte, der ihr das Leben zur Hölle gemacht hatte. Britten komponierte in Zeiten des Krieges und der Bombennächte die Matinées Musicales, die sich auf Rossinis Soirées Musicales bezogen, doch neben Rossinis
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© Jacques Schumacher
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Lea Singer = Eva Gesine Baur
funkelnde Glanzlichter setzte er Schatten. Mozart und Britten bewegten sich ständig zwischen Hell und Dunkel, eine innere Unruhe und Rastlosigkeit trieb sie ein Le ben lang an. «Lernen ist Rudern gegen den Strom», hat Britten gesagt. «Sobald man aufhört, treibt man zurück.» Wer ernst haft Musik macht, darf niemals aufhören zu üben. Die Brexit-Unterhändler ruderten mit dem Mainstream, lernten daher nichts, versenkten die Ruder und treiben nun zurück. Einen Ruderkurs im Ärmelkanal werden sie nicht absolvieren wollen. Wer dessen Strömungen falsch berechnet, braucht doppelt so lang wie nötig. Würde ihnen vielleicht ein Grund kurs bei den Musikern helfen? Oder ein Konzert mit Mozart und Britten? Was die beiden ebenfalls verbindet, schrieb Hans Keller, sei die Universalität.
IN ENGLISH
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DA NCING QUEEN
BY BA RT DE V R IES
Against all odds, Benjamin Britten (1913– 1976) became Britain’s national musical hero. As this concert demonstrates, some of his lesser-known works are now getting the exposure (and praise) they deserve. Dance is the red thread that holds the works of the program together. Britten’s talent for music was spot ted at an early age. As Imogen Holst, the daughter of the other great English com poser, Gustav Holst, once said, Britten could harmonise before he could write. His mother, a gifted singer, was confident enough to predict small Benjamin would be the next great B, the fourth after his illustrious predecessors Bach, Beethoven and Brahms. But his ascent to becoming England’s most celebrated living compos er wasn’t obvious. Just too young to be immersed in the cosmopolitan lifestyle of the roaring twenties, Britten always re mained a provincial guy. With the excep tion of a three-year interlude in New York, he lived for most of his life on the Suffolk coast. Moreover, although under the spell of Alban Berg as a teenager and young composer, he always stayed true to his belief in tonal music and classical form, making him the laughing stock among fellow composers who adhered to more modern styles. Furthermore, Britten’s ho mosexuality, and in particular his attrac tion to younger boys, was a continuous threat to his reputation. Perhaps most importantly, in the post-war years he was approached with suspicion due to his paci fism and his conscientious objection dur ing the Second World War. But despite the fact that he was almost certainly interro gated by the secret service in 1953, he was also commissioned in the same year by the Royal Opera House Covent Garden to write an opera, Gloriana, as a part of the festivi ties for Queen Elizabeth II’s coronation.
Edmund Spenser’s allegorical poem The Faerie Queene (from the 1590s) formed the base of the libretto for Britten’s opera G loriana, the name Elizabeth I goes by in the poem. As the opera not only heralded Elizabeth’s strengths, but also displayed her weaknesses, the work was met with dis gruntlement and largely disappeared from the stage. However, Britten did create a symphonical suite from its most impor tant musical material. In this suite, Britten displays his ability to blend his own style with a neo-Tudor (renaissance) style of music, much like Stravinksy did with clas sicism. After the first movement, depict ing a jousting tournament, the second is completely dedicated to a lute song. The Earl of Essex, for whom the queen had af fectionate feelings, sings the gentle, intro spective Happy were he. The lyrics reflect two of Britten’s most important themes: pressure of society on the individual and a yearning for a pure, unsullied and un corrupted world. While the third and bestknown movement is a mostly upbeat se quence of courtly dances, in the fourth and last reflective movement Gloriana moritura (Gloriana about to die) the queen seems to look back on her life gone by. Just like Mozart’s Sinfonia Concertante for violin and viola, Britten’s Mati nées Musicales, together with his earlier work Soirées Musicales, both recycling an array of Rossini themes, were used by George Balanchine to create ballets for the American Ballet Theatre. Dance thus links all three pieces on this program to gether.
V ER EIN ‹FR EU NDESK R EIS SINFONIEORCHESTER BASEL›
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& zen t ü t rs Unte n iessen ge
MUSIK V ERBINDET – FREU NDSCH A FT AUCH
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