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Alasdair Kent

«INTENSITÄT DES GEFÜHLS UND INNERE ZERBRECHLICHKEIT»

VON CHRISTIAN FLURI Alasdair Kent ist ein exzellenter lyrischer Tenor, vor allem des Belcanto, mit einer hohen, wendigen und ausdrucksstarken Stimme und er ist ein grosser Schauspieler. Er tritt überall auf der Welt in bedeutenden Opernhäusern auf. Wir führten unser Gespräch, als er in Tel Aviv Mozarts Zauberflöte probte. Kent, der in seiner australischen Heimatstadt Perth und in Philadelphia in den USA sein Studium absolvierte und in diesen beiden Ländern bereits wichtige erste Preise gewann, singt nun in Basel in Benjamin Brittens Sinfonischer Suite aus Gloriana, op. 53a, das Lautenlied.

«Oper ist mehr als Gesang. Wir entwickeln ein Drama, machen durch Text, Musik und Regie gestaltete Charaktere lebendig.»

CF Wir haben in Basel Ihre Spiellust und Ihre schöne, helle Stimme bereits kennenlernen dürfen. Sie sangen im Herbst 2019 den Conte Almaviva in Gioachino Rossinis Il barbiere di Siviglia. Im Spiel auf der Bühne – da lebten Sie förmlich auf? AK Meine Arbeit ist mehr als mein Beruf, sie ist meine Berufung. Wie kann man auf der Bühne auftreten, ohne im Spiel zum Leben zu erwachen? Oper ist mehr als Gesang. Wir entwickeln ein Drama, machen durch Text, Musik und Regie gestaltete Charaktere lebendig.

CF Sie spielen viel Oper, singen auch

Konzerte. Ergänzen die beiden einander? AK Ich geniesse die Abwechslung. Oper lehrt uns dramatische Wahrhaftigkeit und Texttreue. Der Konzertgesang lehrt uns musikalische Exaktheit und schafft eine Art Symbiose mit einem Orchester.

CF Gefällt Ihnen Basel so gut, dass Sie hierhergezogen sind? AK Ich liebe Basel. Während der Aufführungen des Barbiere verliebte ich mich in meinen Partner, der in Basel zu Hause ist. So folgte ich dem Ruf der Liebe. Basel ist ein fantastischer Ort. Die Stadt bietet ein vielfältiges kulturelles Leben von hoher Qualität. Nehmen wir als Beispiel das Sinfonieorchester Basel, das jedem der grössten Orchester Europas oder der USA ebenbürtig ist. In allen Bereichen gibt es hier eine Dichte an künstlerischer Exzellenz.

«In Basel an sechsoder siebenhundert Jahre alten Gebäuden vorbeizugehen, ist für mich eine ganz andere Welt.»

CF Sie stammen aus Australien, leben nun in Europa. War das für Sie ein

Schritt in eine andere Welt? AK Ich verliess Australien 2013 und konnte in Philadelphia an einer der führenden Opernschulen, an der Academy of Vocal Arts, mein Gesangsstudium abschliessen. Ich war schon in jungen Jahren viel gereist, nach Europa, in die USA. In Perth hatte ich neben Gesang und Musik italienische, französische und deutsche Sprache und Literatur studiert. Bevor ich mich in Basel niederliess, hatte ich in verschiedenen europäischen Ländern gelebt und gearbeitet. Ich denke, dass sich Europa und Australien näher sind, als man denkt. Den grössten Unterschied macht wohl die lange und wechselhafte Geschichte Europas, die Australien so nicht hat. In Basel an sechs oder siebenhundert Jahre alten Gebäuden vorbeizugehen, ist für mich eine ganz andere Welt.

KlassiX – Das Sinfonieorchester Basel auf Sendung. Kostproben, Eindrücke und Storys aus dem Orchesteralltag, jeweils sonntags um 20 Uhr.

16. Jan. 2022 27. März 2022 22. Mai 2022

Hören Sie sich die Sendung live auf Radio X zum Sendetermin an oder ab dem Folgetag online in unserer Mediathek unter: www.sinfonieorchesterbasel.ch

INTERVIEW

Jahren nicht mehr in Ihr Heimatland reisen durften? AK Es stimmt mich traurig, dass ich so lange keinen meiner Verwandten gesehen habe. Ich verstehe zwar die Notwendigkeit, das Virus einzudämmen und die Gesundheit der Menschen zu schützen. Aber zum jetzigen Zeitpunkt gibt es für mich keine Rechtfertigung für solche drakonischen Massnahmen. Australien ist nicht fähig, die notwendigen Kompromisse einzugehen, die in der Schweiz so gut funktionieren.

CF Wie schwierig war für Sie als Sänger die Zeit der strengen Corona-Massnahmen? AK Ich gehörte noch zu den Glücklicheren. Ich konnte Aufnahmen machen, eine mit dem Sinfonieorchester Basel, und einige StreamingKonzerte geben. In Oviedo debütierte ich als Arturo in Bellinis Oper I puritani. Aber auch ich musste mit vielen Absagen wichtiger Engagements leben.

CF Sie singen vor allem Mozart und Belcanto-Partien in den Opern Bellinis,

Donizettis und Rossinis. Wie entdeckten Sie, dass Ihre Stimme dafür wie geschaffen ist? AK Ich hatte immer eine sehr hohe Stimme. Es fiel mir leicht, hohe Töne und Koloraturen zu singen. Aber das Timbre meiner Stimme eignet sich auch für englische Musik. So war es meine Wahl, mich auf Mozart und Belcanto zu konzentrieren. Schon als Teenager faszinierten mich die Eleganz und Melodik des Belcanto.

CF Sie beschränken sich aber nicht auf den Belcanto, sondern wenden sich auch anderen Genres zu, so beispielsweise den Liedern von Lili

Boulanger. AK Kein Sänger kann sich auf ein Genre beschränken. Ich habe eine unter Tenören seltene Flexibilität in der dynamischen Gestaltung, die auch zu TenorPartien von lyrischen französischen Opern der Romantik passt. Nun wende ich mich auch dem französischen Barock zu. Und ich singe alle Kunstlieder, die mich von ihrer Poesie und Melodik her ansprechen.

«Das erforderliche Timbre ist Teil meines britischen Erbes. Es gilt, die Melancholie zum Ausdruck zu bringen.»

CF Nun konzertieren Sie in Basel mit

Benjamin Brittens Lute Song, dem

Gesangspart der Sinfonischen Suite aus Gloriana ... AK Das Lautenlied liegt zwar tief für meine Stimme. Aber es gibt eine grosse dynamische Variation, dies ist eine meiner Stärken. Das erforderliche Timbre ist Teil meines britischen Erbes. Es gilt, die Melancholie zum Ausdruck zu bringen: die Intensität des Gefühls und innere Zerbrechlichkeit. Innerhalb der sinfonischen Suite ist das Lautenlied ein Moment intensiver, ergreifender Sehnsucht.

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