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von EGLEA
FRAGENDE ZEICHEN
VON EGLEA Beide sassen erschöpft und hungrig an unserem Tisch, sie Geigerin, er Cellist, mitgebracht von gemeinsamen Musikerfreunden. In den letzten Tagen waren sie in Deutschland, Österreich und Frankreich auf Tournee gewesen und zwischendrin Hals über Kopf von London nach Brüssel umgezogen. Beide keine Engländer, hatten sie sich als Engländer gefühlt. Nach der Suppe fragte ich, warum denn jetzt, das war 2018, auf einmal Brüssel, wo es ihnen in London so gut gefallen hatte. «Geht nicht mehr», sagten sie, «sobald der Brexit durchgezogen ist, wird das zwischen Insel und Kontinent nicht mehr funktionieren.»
Wussten diejenigen, die Ende letzten Jahres den mehr als 1200 Seiten dicken BrexitVertrag verabschiedeten, dass sie damit nicht nur eine vitale europäische Musikszene zerstören würden, vielmehr eine Verbindung, in der so viel Geniales gezeugt und geboren wurde, dass einem beim Zurückblicken schwindlig wird?
Mozart war erst vor etwas mehr als einem Jahr aus Salzburg nach Wien gezogen, als er seinem Vater schrieb, eigentlich sei er ein Engländer, ein ErzEngländer sogar. Das beunruhigte den Vater anfangs nicht. Schon als Achtjähriger war sein Sohn in London gewesen und hatte damals mitbekommen, was diese Musikstadt zu bieten hatte. Nervös wurde der Vater erst ein paar Jahre später, als der Sohn von seinen englischen Musikerfreunden in Wien schwärmte, die zurück nach London und ihn mitnehmen wollten, wenigstens für eine Tournee, natürlich mit seiner Frau. Ob der Vater währenddessen die beiden Kinder hüten könne. Der Vater schmetterte die Bitte ab, unverschämt sei das, zudem befürchtete er, sein Sohn würde dortbleiben. Es war ein deutscher Konzertunternehmer namens Salomon aus Bonn, in London sensationell erfolgreich, der Mozart angebaggert hatte; es fiel ihm nicht schwer, Musiker auf die Insel zu locken, denn er konnte ihnen dort ein Vielfaches an Auftrittsmöglichkeiten, Zuhörern und Geld bieten.
Leopold Mozart hielt die Sache für erledigt, er wusste nicht, welches Buch sein Sohn in der Freizeit durchgeackert hatte: An Attempt to facilitate the study of English language. In das Gästebuch eines Schweizers hatte Mozart geschrieben: Patience and tranquillity of mind contribute more to cure our distempers as the whole art of medicine. Der Mann war sein Englischlehrer. Noch las Mozart Shakespeare auf Deutsch, das aber wollte er schleunigst ändern.
Aus Mozarts EnglandTraum wurde nichts. Kurz nach der Abreise seiner englischen Freunde starb der ErzEngländer in Wien; sein Freund Joseph Haydn, vor einigen Monaten nach London emigriert
KOLUMNE und dort, vom Eis befreit, produktiv und hoch bezahlt wie nie, erfuhr erst ein paar Wochen später davon. Die Todesnachricht, sagte er, habe ihn völlig aus der Bahn geworfen, vor allem aber bedaure er, dass Mozart «nicht zuvor die noch dunklen Engländer hat überzeugen können, wovon ich denselben täglich predige». Wer sich abschottet, um den bleibt es finster. Erhellend, predigte Haydn, wirke der Austausch. Wenn die Funken fliegen, wird es lichter, und es funkt oft dort, wo keiner es vermutet. Bei Britten funkte Mozart, als er in jungen Jahren zum ersten Mal Le nozze di Figaro im Royal Opera House London erlebte. «Diese einfache Schönheit, die sämtliche Emotionen auszudrücken vermag, ist vernichtend für jeden Ehrgeiz.» Kein Komponist, keine Komponistin hat auf so vielen Einspielungen Mozart dirigiert wie Britten.
Hans Keller, ein Musikwissenschaftler aus Wien, der 1938 als Jude nach England flüchten musste, schrieb als erster darüber, was Mozart und Britten verbindet: Dass sie extrem viele Menschen erreichen, die ihre Musik nicht verstehen, weil sie deren Tiefe verkennen, das Dämonische, Abgründige darin nicht wahrnehmen wollen. Mozart wie Britten kannten ihre Kellergewölbe und die der ganzen Menschheit und wussten deswegen, wo und wie man dort das Licht einlässt: eine Öffnung in die Mauern brechen, durch die das Neue, das Unerwartete, Fremde hereinkommt. Mozart lernte die brandneue Form der ‹Symphonie Concertante›, wie sie dort hiess, in Paris kennen, als es zappenduster aussah mit seiner Zukunft, er sich mit Neid, Intrigen und Geldnot herumschlagen musste, in finsteren Zimmern zum Hof einquartiert war und am Sterbebett seiner Mutter sass. Seine Sinfonia Concertante ist ein Werk des ‹Chiaroscuro›, des Helldunkels. Auf den leuchtenden Beginn folgt ein Andante, dessen Schatten der Engländer Peter Greenaway sichtbar machte; er liess Takte daraus in seinem Film Drowning by Numbers erklingen, während eine feine ältere Dame sich ihres Ehemanns entledigte, der ihr das Leben zur Hölle gemacht hatte.
Britten komponierte in Zeiten des Krieges und der Bombennächte die Matinées Musicales, die sich auf Rossinis Soirées Musicales bezogen, doch neben Rossinis
Lea Singer = Eva Gesine Baur
funkelnde Glanzlichter setzte er Schatten. Mozart und Britten bewegten sich ständig zwischen Hell und Dunkel, eine innere Unruhe und Rastlosigkeit trieb sie ein Leben lang an. «Lernen ist Rudern gegen den Strom», hat Britten gesagt. «Sobald man aufhört, treibt man zurück.» Wer ernsthaft Musik macht, darf niemals aufhören zu üben.
Die BrexitUnterhändler ruderten mit dem Mainstream, lernten daher nichts, versenkten die Ruder und treiben nun zurück. Einen Ruderkurs im Ärmelkanal werden sie nicht absolvieren wollen. Wer dessen Strömungen falsch berechnet, braucht doppelt so lang wie nötig.
Würde ihnen vielleicht ein Grundkurs bei den Musikern helfen? Oder ein Konzert mit Mozart und Britten?
Was die beiden ebenfalls verbindet, schrieb Hans Keller, sei die Universalität.