
7 minute read
BISMARCK NEU DENKEN
Bsimarck Neu Denken
Erläuterungen

zur künstlerischen und didaktischen Konzeption des Entwurfs 1009
1. Formulierung der eigenen Position und Emotion in Bezug auf das Hamburger Bismarck-Denkmal:

Mit der Renovierung des Bismarckdenkmals werden Fakten geschaffen. Auch wenn der Verweis auf den Denkmalschutz aller Ehren wert ist, so wirft diese Renovierung doch Fragen von erheblicher Tragweite auf, insbesondere im Hinblick auf die notwendige Dekolonialisierung Hamburgs Wird hier nicht noch einmal unkritisch einem Akteur gedankt, dessen schonungslose Kolonialpolitik kleinen Teilen der Hamburger Bevölkerung zu großem Wohlstand verhalf und zwar auf Kosten der Ausbeutung, Unterdrückung und Verfolgung zahlloser Menschen, besonders auf dem afrikanischen Kontinent? Es ist unstrittig, dass es einigen (wenigen) Gruppen der Hamburger Zivilgesellschaft zu verdanken ist, diese und weitere Fragen in diesem Kontext ebenso präzise wie unüberhörbar gestellt zu haben!
Ein bautechnisch und künstlerisch begleiteter Verfall des Denkmals wäre eine ästhetische Intervention gewesen, die dem hier appräsentierten antidemokratischen, kolonialistischen, autoritärnationalistischen und toxisch-maskulin übersteigerten Weltbild den Boden entzogen hätte Da dies nun aber aus nachvollziehbaren Gründen nicht möglich ist, muss über andere Formen der Neukontextualisierung des Hamburger Bismarck-Denkmals nachgedacht werden.
Aus unserer Sicht sollte es darum gehen, durch die Auseinandersetzung mit Bismarck und seiner Zeit etwas Neues zu schaffen - etwas Neues, das in der Lage ist, neues Denken und neues Handeln angesichts von heutigen Formen des Kolonialismus, des Rassismus und der Ausgrenzung erfahrbar zu machen. Um eines jedoch sollte es dabei nicht gehen: Den ausschließlichen Blick zurück, ein „Teeren und Federn“ im Nachhinein, mit dem einzigen Ziel, uns moralische Überlegenheit zu attestieren.
Die präzise formulierte Aufgabe, wie sie in den Auslobungsunterlagen aber auch in den zahlreichen Begleitmaterialien und in vielen Beiträgen der verschiedenen Symposien zum Thema „BISMARCK NEU DENKEN“ oder z.B. „Hamburg dekolonisieren!“ formuliert wurde, ist, wenn man sie in ihrem gesamten Bedeutungshorizont wahrnimmt, ausgesprochen komplex. Der hier vorgelegte Entwurf 1009 versteht sich deshalb als ein künstlerisch-ästhetischer Ausgangspunkt eines fortdauernden Prozesses der Neukontextualisierung des Bismarck-Denkmals sowie der Dekolonisierung Hamburgs und keinesfalls als Endpunkt oder gar Abschluss eines solchen Prozesses.
2. Erläuterungen zum Entwurf 1009 (Säule der Gleichheit aller Menschen, Arbeitstitel)
2.1 Grundlagen

Der vorliegende Entwurf fußt auf der Umsetzung von fünf Grundanforderungen:

1. Errichtung eines Zeichens für die uneingeschränkte Gültigkeit des Satzes: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ (Vereinte Nationen, Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 1948, Artikel 1)
Dieses Zeichen für die Gleichheit aller Menschen und gegen Kolonialismus, Rassismus und Ausgrenzung muss WEITHIN SICHTBAR sein. Die ästhetische Intervention muss es mit der aus guten Gründen nicht mehr gewünschten, aber zweifellos immer noch gegebenen optischen Fernwirkung des Bismarck-Denkmals sowohl bei Tag (Höhe), als auch bei Nacht (Beleuchtung) aufnehmen können.
2. Schaffung eines Wirkraumes für die kontinuierliche Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe Hamburgs, ABER AUCH mit HEUTIGEN kolonialen, eurozentrischen Sichtweisen und Strukturen. Darüber hinaus soll hier ein Raum entstehen, der die kontinuierliche Auseinandersetzung mit rassistischen und ausgrenzenden Haltungen und Strukturen auch jenseits des primär kolonialistischen Kontextes ermöglicht.
3. Einladung und Einbeziehung von interessierten Menschen, um an der Errichtung und der kontinuierlichen Arbeit an der „Säule der Gleichheit aller Menschen“ (Arbeitstitel) mitzuwirken (Dies kann zu Beginn durchaus auch Spendensammelaktionen zur Mitfinanzierung der Baukosten beinhalten.)
4. Keine direkte Manipulation des ursprünglichen Denkmals. Kein ausschließlich retrospektives „Teeren und Federn“ (siehe oben) aber auch kein satirisch-humorartiger oder gar sportiv geprägter Ansatz. So sehr wir diese Ansätze bei anderen Projekten schätzen, so wenig sind sie in diesem Themenfeld und bei dieser klar formulierten Aufgabenstellung geeignet, denn sie werden der Komplexität der Auseinandersetzung mit dem Erbe Bismarcks nicht gerecht.
5. Nachhaltigkeit in Produktion und Unterhalt des neuen Zeichens als Ausdruck einer notwendigen heutigen Werthaltung, die in deutlichem Gegensatz zu kolonialem Denken steht, welches neben einem ausgeprägten Rassismus unter anderem durch die rücksichtlose Beschaffung von Ressourcen aus dem globalen Süden gekennzeichnet ist.
2.2 Zur Form des Entwurfs 1009
Um die oben formulierten Grundanforderungen gestalterisch umzusetzen, wird nahe der Blickachse des Bismarck-Standbildes eine weithin sichtbare Säule errichtet. In der Höhe überragt die Säule das Bismarck-Denkmal (die genaue Höhe bleibt festzulegen). Die Spitze der Säule wird durch einen Savonius-Rotor als vertikale Windturbine gebildet. Der Savonius-Rotor gilt als äußerst leise Form der Erzeugung von Energie durch Wind und kann deshalb auch in Wohngebieten aufgestellt werden . Die künstlerische Intervention operiert also gleichzeitig auf zwei Ebenen. Zum einen durch Form und Inhalt der gestalteten Säule, zum andren durch die praktische Funktion der nachhaltigen Energieerzeugung durch Wind.
Der Säulenschaft trägt den Text des ersten Satzes des Artikels 1 der UN Erklärung der Menschenrechte: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ Im unteren Bereich der Säule sind digitale, mit Apps verbundene zerstörungssichere Infoscreens integriert, um turnusmäßig wechselnde Inhalte zu kommunizieren (dazu siehe Seite 3).
Die Bewegung des Rotors am oberen Teil der Säule steht hier gegen die Starrheit des BismarckDenkmals, Einladung gegen Abwehr, Durchlässigkeit gegen Abschottung, nachhaltiger Umgang mit Ressourcen gegen Ausbeutung von Ressourcen. Die Assoziation einer Flamme für die Gleichheit und Würde aller Menschen steht gegen das gezogene, blanke Schwert in der Hand des in martialischer Körperhaltung aufgebauten Bismarck-Standbildes, um nur einige der appräsentierten nonverbalen, visuellen Dimensionen des neuen Zeichens zu nennen.
Soweit skizzenartige Angaben zur Schaffung eines neuen Zeichens im Alten Elbpark. Nun zum Bismarck-Denkmal selbst:
Auch wenn das Bismarck-Denkmal aus Denkmalschutzgründen aus unserer Sicht nicht manipuliert werden sollte, so spielt es in der ästhetischen Intervention doch eine gewichtige Rolle. Na ch der (nun einmal geschehenen) Renovierung soll die unmittelbare Umgebung des Denkmals und hier besonders der Raum vor dem Denkmal nicht wieder anheimelnd bepflanzt und mit bequemer Parkmöblierung ausgestattet werden. Die Gestaltung der Umgebung des Denkmals soll gartenbaulich sehr nüchtern und sehr zurückhaltend ausfallen. Es soll deutlich werden, dass dies nur noch ein historischer Ort aber kein Ort der unkritischen Verehrung Bismarcks mehr ist. Digitale Infoscreens in der Nähe des Denkmals erläutern die historische Rolle Bismarcks und Hamburgs unter deutlichem Hinweis auf die Themen „Kolonialisierung“ und „Menschen ausgrenzende Politik“
2.3 Zum Innenraum/Bunker unterhalb des Denkmals
Bislang scheint es unklar zu sein, ob dieser Innenraum zukünftig für die Öffentlichkeit zugänglich sein wird oder nicht. Sollte dies der Fall sein, dann wäre es ein hervorragender Ort, um eine wissenschaftliche Dokumentation der Geschichte des Bismarck-Denkmals zu präsentieren, einschließlich der propagandistischen „Wandmalereien“ und Parolen aus national-sozialistischer Zeit. Sollte sich kein permanenter Zugang für die Öffentlichkeit ergeben, dann können allenfalls streng limitierte und beaufsichtige Führungen stattfinden, um hier nicht einen Wallfahrtsort für Menschen mit völkischer Gesinnung zu Schaffen, was den Dekolonialisierungsbemühungen diametral entgegenstehen würde.
2.4 Zum Inhalt des Entwurfs 1009
Die Vermittlung von Inhalten mittels digitaler Infoscreens, die im Idealfall vom Windrotor der Säule mit Energie versorgt werden, unterteilt sich in der ästhetischen Intervention in zwei Bereiche:
1. Inhalte zum alten Zeichen (Bismarck-Denkmal): Hier geht es, wie oben bereits angedeutet, im Wesentlichen retrospektiv um die historische Rolle Bismarcks und Hamburgs unter expliziter Einbeziehung der Themen „Kolonialisierung“ und „Menschen ausgrenzende Politik“
2. Inhalte zum neuen Zeichen (Säule der Gleichheit): Wie dargestellt, wird auf dem Säulenschaft der Satz „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ stehen Damit wird inhaltlich ein verbindlicher und nicht diskutabler moralischer Maßstab gesetzt. Das neue Zeichen ist darüber hinaus der Ort für die Präsentation und Diskussion aktueller Entwicklungen in den Bereichen Kolonialismus, Rassismus und Ausgrenzung. So wird z.B. der umfangreiche Abbau von Seltenen Erden zur Ermöglichung der Energie- und Verkehrswende im globalen Norden von vielen Menschen des globalen Südens als neue Form des Kolonialismus erlebt und verstanden. Hier ist der Platz für aufklärerische, mahnende Fakten aber auch für die Darstellung positiver und zukunftsweisender Projekte, die sich gegen kolonialistische und ausgrenzende Haltungen und Strukturen wenden.
2.5 Zum Beteiligungsprozess an der formalen und an der inhaltlichen Gestaltung Der Beteiligungsprozess gliedert sich in einen kürzeren, klar terminierten und einen kontinuierlichen Teil:
Im ersten, kürzeren, klar terminierten Teil geht es um die Mitarbeit interessierter Menschen an der endgültigen Gestaltung der Säule. Bei der Diskussion gestalterisch-ästhetischer Themen bis hin zur Namensgebung der Säule, geht es insbesondere um die Einbeziehung der in unmittelbarer Nachbarschaft zum Aufstellungsort lebenden Menschen. Hier ist auch das aktive Zugehen in Form von Umfragen vorgesehen, die z.B. auch die obdachlosen Menschen, die sich unter der Kersten-Miles-Brücke aufhalten, einbeziehen sollen. (Hinsichtlich der letztgenannten Gruppe sollte dringend überlegt werden, wie sie konkret von der künstlerischen Intervention profitieren kann, z.B. durch einen zu schaffenden Aufwärmraum in der Nähe der Säule, etc.) In die erste, kürzere Beteiligungsphase fällt auch die Mitarbeit an der Entwicklung der Inhalte zum alten Zeichen (Bismarck-Denkmal). (siehe oben) Der kontinuierliche Teil des Beteiligungsprozesses bezieht sich dann auf die turnusmäßig wechselnden Inhalte, die an der Säule kommuniziert werden. Hier können sich wieder Einzelpersonen oder Gruppen der Zivilgesellschaft bewerben und beteiligen und für jeweils 6 oder 12 Monate ihre erarbeiteten Inhalte zur notwendigen Dekolonialisierung aber auch zu aktuellen Formen des Kolonialismus, des Rassismus und der Ausgrenzung von Menschen, ob in Textform oder in künstlerischen Werken, präsentieren. Ein wissenschaftlicher und künstlerischer Beirat begleitet sie dabei.
2.6 Die Dekolonialisierung Hamburgs über die Umgebung des Bismarck-Denkmals hinaus Um die Aktivitäten der Dekolonialisierung nicht nur auf das Bismarck-Denkmal und seine Umgebung zu beschränken, ist geplant, in einem zweiten Schritt deutlich kleinere Info-Säulen mit SavoniusRotoren, die gestalterisch mit der großen Säule in Beziehung stehen, an den entsprechenden Orten zu errichten. (Solche Orte sind z.B. das heutige Vorlesungsgebäude der Universität Hamburg am Dammtor-Bahnhof. Der Bau wurde, bekanntlich, ursprünglich für das "Hamburgische Kolonialinstitut" errichtet.)
Beitragsverfasser/-innen:
Bildhauer Georg Weyerer
Kennzahl: 729191
Erläuterungsbericht zur künstlerischen Konzeption zum Wettbewerb
„Bismarck Neu Denken“

Kurzbeschreibung der Intervention:
Titel: „Bismarck weint“
Leitgedanken:
- Umdeutung der historischen hin zu einer aufgeklärten, aktuellen Perspektive
- Entkräftung der stereotypisch-maskulinen Symbolik
- Minimaler, diskreter Eingriff in das bestehende Denkmal

Umsetzung:
Wasserpumpe, ca. 2-3 mm PVC-Schlauch
Tröpfchenbewässerung der Augen
Kennzahl: 729191
Interventionsidee und künstlerischer Leitgedanke
Interventionsidee:
Die Intervention lässt die monumentale Bismarck-Statue weinen. Auf dem hellen Kalkstein sollen die Tränen und der resultierende Tränenfluss bei guter, trockener Witterung auf der gesamten Statue sichtbar sein. Es ist bewusst eine auf den ersten Blick unauffällige, diskrete Intervention.

Leitgedanken:
Es soll eine Umdeutung des Denkmals erfolgen, vom heroischen hin zur menschlich im Rückblick eingestehenden, bereuenden Aussage. Es wird versucht, diesem vermeintlichen, stereotypisch maskulinen „Krieger“ mit Schwert eine ungewohnte Eigenschaft zuzuschreiben. Die Fähigkeit zu bereuen und dieses mit entsprechenden Tränen auszudrücken. Damals hochverehrt, bejubelt, heroisiert, ein Kind seiner Zeit, einer Zeit mit mangelndem (humanistischem & empathischem)
Weitblick aus heutiger Perspektive. Heutigen politischen und anderen mächtigen gesellschaftlichen Akteuren, soll die Intervention zudem einen gewissen Weitblick nahelegen, da die Zukunft sie und ihre Entscheidungen, wie in diesem Fall, ggf. in einem anderen Licht betrachten wird.
Umsetzung und Aufbau der Intervention
Bestandteile der Arbeit:
– Wasserpumpe zur Tröpfchenbewässerung
– PVC-Schlauch transparent, ca. 2-3 mm Durchmesser
– Wasserreservoir nach Bedarf oder ggf. Wasseranschluss
Die Umsetzung der Arbeit soll mithilfe einer Wasserpume sowie transparentem PVC-Schlauch mit einem Durchmesser von ca. 2-3 mm erfolgen. Die Wasserspeisung könnte je nach Möglichkeit durch einen Wasseranschluss oder auch einem ggf. im Sockel der Statue untergebrachten kleinen Wasserreservoir erfolgen. Durch die wassersparende Tröpfchenbewässerung ist ein minimaler Wasserbedarf gewährleistet.
Der dünne, kaum sichtbare Schlauch wird entlang der Statue nach oben Richtung Kopf geführt. Dies erfolgt möglichst unsichtbar, (z.B. auf der Rückseite des Schwerts). Auf Kopfhöhe wird eine Aufteilung auf zwei Schläuche vorgenommen, um beide Augen entsprechend zu versorgen. Die Tröpfchenmenge wird vor Ort je nach Wasseraufnahme und Entwicklung des entstehenden Tränenflusses vor Ort eingestellt. Die gelegentliche Befestigung des 3mm Schlauches wird mit Rücksprache unter Berücksichtigung des Denkmalschutzes ohne nachhaltige Beschädigung des Denkmals vorgenommen (z.B. durch Einspreizungen, Klemmungen, Kleinstbefestigungen o.Ä.)
Beitragsverfasser/-innen: Bildhauer Georg Weyerer