90 JAHRE SCHAUBURG 28
Nicht fehlen durfte der Film, der dem bemerkenswerten, so lange unter Verschluss gehaltenen Filmjahrgang den Namen gab, „Kanin chenfilme“. Ausgerechnet Kurt Maetzig, der Mitbegründer der DEFA, der Macher der berühmtberüchtigten Filme über den KPDFührer Ernst Thälmann, drehte ‚Das Kaninchen bin ich‘. Es ist die Geschich te einer jungen Frau, die sich in den Richter verliebt, der ihren Bruder wegen versuchter „Republikflucht“ verurteilt. Das war dann doch offenbar zu viel für die SEDOberen, denen Kurt Maetzigs zweiter Film ‚Der Rat der Götter‘ (1950), der ebenfalls in Karlsruhe zu sehen war, über die Verstrickung des IG FarbenKonzerns in die NSVernichtungsmaschinerie weit besser ins Weltbild passte. Krieg und Vernichtung sind noch sehr präsent in dem schon ein Jahr nach Kriegsende entstandenen Filmklassiker ‚Die Mörder sind unter uns‘ von Wolfgang Staudte. Das ist nicht nur der erste DEFA-Film, sondern der erste deutsche Nachkriegsfilm überhaupt und einer der ganz wenigen alten Filme, die zeitlos perfekt, immer noch aktuell/ frisch auch in ihrer Botschaft sind.
REPRÄSENTATIV – SOWEIT ZUGÄNGLICH Zu sehen waren auch zwei weitere Evergreens auf Weltklasseniveau von Staudte: - die bitterböse Satire ‚Der Untertan‘ (1951), der übrigens in der Bundesrepublik einige Jahre lang nicht und dann nur mit Schnittauflagen gezeigt werden durfte! Und der bezaubernde und erfolgreichste DEFA-Märchenfilm ‚Die Geschichte vom kleinen Muck’ (1953), der zusammen mit zwei weiteren Filmen die beeindru ckende Kinder- und Jugendfilmsparte der DEFA repräsentierte. Gut vertreten waren die jüngere DEFA-Generation mit den Filmen von Hermann Zschoche (‚Bürgschaft für ein Jahr‘, ‚Die Alleinsegle rin‘, ‚Grüne Hochzeit‘), Lothar Warneke (‚Einer trage des anderen Last‘) und Roland Gräf (‚Fallada – Letztes Kapitel‘). In seinem musikalisch unterfütterten Frauenporträt‚ Solo Sunny‘ (1979) schlug auch Altmeister Konrad Wolf in seinem letzten Spielfilm erfrischend neue, leichtere Töne an. Einblicke in die Lebenswirklichkeit der DDR kurz vor deren Ende gaben die Dokumentarfilme von Heike Misselwitz und Andreas Voigt. Besonders präsent waren bei der Karlsruher Filmwoche aber Leben und Werk von Heiner Carow, der zusammen mit dem Autor Ulrich Plenzdorf den DDR-Kultfilm ‚Die Legende von Paul und Paula‘ (1972) geschaffen hatte. Der Film stand natürlich in Karlsruhe auf dem Programm neben den im Westen weniger bekannten Carow Filmen ‚Ikarus‘ (1976), ‚Bis dass der Tod euch scheidet‘ (1979) mit
Catrin Sass und ‚So viele Träume‘ (1986). Ein Rarität war auch dabei: „Die Russen kommen“. 1968 gedreht, kam der Film erst 19 Jahre später in einer restaurierten Fassung in die DDRKinos. Offenbar war das hier gebotene Bild vom russischen Befreier kurz nach Kriegsende den DDRBonzen nicht positiv genug (nicht mit der amerikanischen Filmsatire ‚Die Russen kommen! Die Russen kommen!’ von Norman Jewison, 1966, zu verwechseln).
SEXUELL FRÜHER OFFEN Den größten Tabubruch beging Heiner Carow aber, als er kurz vor dem Ende der DDR erstmals das Thema Homosexualität auf die Bildwand brachte, und das, obwohl die DDR beim Wegfall der Homosexuellen-Verfolgung (§ 175) der BRD weit voraus war. Am 9. November 1989 hatte ’Coming Out’ in OstBerlin Premiere, während die Stadt ein ganz anderes Coming Out erlebte: den Fall der Mauer. Zur Vorstellung des Films in der Karlsruher Schauburg brachte Heiner Carow zwei Darsteller mit und erzählte von dem jahrelangen Kampf um die Drehgenehmigung und den Reaktionen auf den Film, in dessen Mittelpunkt ein junger Lehrer mit seiner eigenen ver drängten Homosexualität konfrontiert wird. Lange traut der sich nicht, seiner Freundin, die ein Kind von ihm erwartet, die Wahrheit zu sagen. Am Ende entscheidet er sich für seinen Freund und ein anderes, ein schwules Leben. Der gradlinig und konventionell inszenierte Film vermittelt einen informativen Einblick in die damals immer noch recht subkulturelle Schwulenszene OstBerlins. Carow sprach auch über die Unsicherheit seiner Zukunft als Regisseur. Dass die DEFA abgewickelt werden würde, war klar, unklar war, was mit ihren Mitarbeitern passieren sollte, wie sie sich in der privatwirtschaftlich organisierten Filmwirtschaft des vereinten Deutschland behaupten sollten. Worüber Lothar Carow an diesem Abend nicht sprach, davon erzählt Jahre später bei einem Besuch in der Schauburg im privaten Gespräch der Filmkomponist Peter Gotthardt, der bei ‚Ikarus‘, ‚Die Legende von Paul und Paula‘ und ‚Bis dass der Tod euch scheidet‘ mit Carow zusammengearbeitet hatte. Carow hatte 1997 kurz vor seinem Tod zum Leidwesen seiner Familie sein persönliches Coming Out. Sein letzter DEFA-Film ‚Die Verfehlung‘ (1992) wurde kaum beachtet. Danach musste er sich mit unbedeutenden Fernseharbeiten über Wasser halten. Nach der Vorführung von ‚Die Legende von Paul und Paula‘ redete Gotthardt offen darüber, dass er sich beim Komponieren der beiden bekannten Filmsongs bei berühmten, aber in der DDR verpönten Vorbildern bedient hatte. „Wenn ein Mensch lebt“ klingt doch sehr nach den Bee Gees („Spicks and Specks“) und „Geh zu Ihr“ nach Slade („Look Wat You Dun“). Zum Glück für den Film und die Band „Puhdys“, die damit zwei ihre populärsten Titel eingespielt hat, nahm man es in der DDR nicht so genau mit dem Urheberrecht. Schön sind diese Ohrwürmer trotzdem und ein Teil der Legende, die sich um diesen Kultfilm rankt.
DEFA WEITER IM PROGRAMM Nach dieser Filmwoche, die auf große Beachtung deutschlandweit und ein reges Publikumsinteresse gestoßen war, hat die Schauburg auch in den Folgejahren den DEFA-Film nie aus den Augen verloren, obwohl solch ein arbeitsintensives Festival mit den Einladungen an Filmemacher ein Zuschussveranstaltung bleibt und DDRFilme per se keine Kassenknüller sind. Gewagt mit dem Mut der Verzweiflung - 1973 lallt in ‚Das zweite Leben des Friedrich Wilhelm Georg Platow’ der besoffene Reichsbahnler im Schulungsheim: „Du bist so gut zu mir… - bist Du in der Partei?“
In die 2. Karlsruher Filmwoche im Mai 1991, in der es eigentlich um das Filmland Finnland ging, wurde die Premiere eines der letzten