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Das geheime Tal der Orchideen

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Sieht aus, als wäre eine fette Hummel auf der Blüte gelandet. Deshalb auch der Name: Hummel-Ragwurz. Sie blüht von Mai bis Juni

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FOTOS: AdobeStock/Ines Porada, Beate Bannach, IMAGO/imagebroker

Es gibt mehrere Rundwege im Liliental. Dieser hier führt durch ein zauberhaftes Birkenwäldchen, wo man besonders viele Orchideen finden kann

OrchideenDas geheime Tal der

Blüten, die wie kleine Äffchen oder Hummeln aussehen, andere riechen streng nach Ziegenbock: Im Liliental am südlichen Rand des Kaiserstuhls gibt es die unglaublichsten Orchideen, die auch noch raffi nierte Tricks auf Lager haben…

Helm-Knabenkraut bevölkert diese Wiese. Es gehört zu den frühen Blühern im Liliental

Da! Hannelore Heim deutet auf die Wiese. Sie hat die erste Orchidee entdeckt. Eine Pyramide, auch Pyramidenorchis genannt. Sie ist gut erkennbar, weil sie oben spitz ist, kurz bevor sie aufblüht. Ich bin mit der Gästeführerin vom Naturzentrum Kaiserstuhl auf Blumenjagd. Genauer gesagt suchen wir nach Orchideen. 32 verschiedene Arten soll es hier im Liliental am Südrand des Kaiserstuhls geben.

Das Liliental hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Es war einmal Siedlungsland; Ackerbau und Viehzucht wurden betrieben. Tabak wurde angebaut, und es gab eine Pferdezucht, bis das Gebiet 1957 an das Land Baden-Württemberg verkauft wurde. Es umfasst 200 Hektar, auf 80 Hektar hat die Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt der Universität Freiburg ein Arboretum angelegt. Darunter versteht man eine Sammlung von Gehölzen, die aus verschiedenartigen, oft auch exotischen Bäumen und Sträuchern besteht, um zu beobachten, wie sie mit dem hiesigen Klima zurechtkommen (siehe auch Kasten Seite 27).

Orchideen mögen kalkhaltige Böden

Doch die riesigen Tulpen-, Mammut- und Affenbrotbäume lassen wir heute einfach links liegen. Es geht leicht bergauf an Lösswänden vorbei, bis wir zu sonnenverwöhnten Wiesenflächen kommen, wo das Gras höher wächst und weniger dicht ist – ein Zeichen für nährstoffarme Böden. Löss ist übrigens Gesteinsstaub, der während der Eiszeit aus der Rheinebene herangeweht und am Kaiserstuhl aufgelagert wurde. Er besteht aus 30 Prozent Kalk. Viel Sonne, magere Böden mit Kalk – ein ideales Biotop also für etliche Orchideenarten, weshalb man im Liliental ständig Menschen sieht, die den Blick starr in die Wiesen richten. Seit der Umwandlung zu einem forstwirtschaftlichen Versuchsgelände nimmt die Zahl und Vielfalt der Orchideen sogar stetig zu.

Plötzlich erfasst ein durchdringender „Duft“ meine Nase. Es riecht nach… – genau, nach altem Ziegenbock! Laufen hier etwa Ziegen herum und fressen die unter Naturschutz stehenden Orchideen? „Nein“, sagt Hannelore Heim und lacht. „Das ist die Bocks-Riemenzunge, eine Orchidee, die man schon im Vorbeilaufen erschnuppert. Vor allem, wenn die Sonne draufscheint.“ Groß und stattlich ist die Blüte, mit kleinen Pünktchen, und das mittlere Blütenblatt ist zu einer langen Zunge gewachsen – deshalb der Name Bocks-Riemenzunge. Eine schöne Blüte, nur der Geruch ist halt etwas gewöhnungsbedürftig. „Oh, darauf habe ich gehofft“, freut sich die zertifizierte „Kaiserstühler Gästeführerin“, die früher in ihrem Hauptberuf als medizinische Fachangestellte gearbeitet hat, aber schon immer jede freie Minute in der Natur verbracht hat. „Hier ist das Rote Waldvöglein, eine wunderschöne Blüte!“ Sie erinnert ein bisschen an eine Glockenblume.

Dann deutet die 67-Jährige auf eine Zweiblättrige Waldhyazinthe, elegant weiß blühend. Daneben das Große Zweiblatt – etwas unscheinbar, die Blüten sind gelblich-grün gefärbt, man sieht sie kaum, was man vom nächsten Exemplar wahrlich nicht behaupten kann, einer Orchidee, die so aussieht, als würden dicke Hummeln auf ihr sitzen. Sie heißt entsprechend Hummel-Ragwurz. „Man kann die Orchideen bei uns in zwei Gattungen einteilen“, erklärt die begeisterte Naturkundlerin, die sich ihr Wissen über die Pflanzen- und insbesondere Orchideen-Welt über zahlreiche Bestimmungsbücher angeeignet hat. „Es gibt die Knabenkräuter, also die Orchis, und die Ragwurzen, auch Ophrys genannt.“

Es hat übrigens seinen Grund, warum die Knabenkräuter diesen Namen tragen: Ihre Wurzelknollen sehen so ähnlich aus wie die Hoden des Mannes. Früher aß man die Knollen der Knabenkräuter. Das sollte für mehr männliche Kinder sorgen. Es verwundert also auch nicht, dass das Wort Orchidee von „Orchis“ abgeleitet wurde, dem altgriechischen Wort für Hoden.

Jede Gattung hat ihren eigenen Trick, um zu wachsen und sich zu vermehren. Die Orchis-Samen zum Beispiel können kilometerweit fliegen. Um sich zu entwickeln, brauchen sie allerdings einen bestimmten Pilz im Boden. Der versorgt den Samen mit Wasser und Nährstoffen. Und umgekehrt gibt der Orchideenkeim dem Pilz Kohlehydrate ab. Pilz und Orchidee führen also eine Beziehung zu beiderseitigem Nutzen, das heißt, sie gehen eine Symbiose ein. Irgendwann keimt der Orchideensame und bildet ein kleines Pflänzchen, das von Jahr zu Jahr größer wird, bis eine Knolle wächst, die die Nährstoffe speichert. Und irgendwann blüht dann die Orchidee. Das kann allerdings bis zu 15 Jahre dauern. Deshalb sei es im Liliental wichtig, auf den Wegen zu bleiben, erklärt Hannelore Heim. Sonst könne so ein kleines Pflänzchen zertreten werden, „und das war᾿s dann mit der Orchidee“.

Gästeführerin Hannelore Heim erklärt an einer Blüte des Wiesensalbeis den Bestäubungsmechanismus

Anmutig streckt das Rote Waldvöglein seine Blütenblätter der Sonne entgegen

Eine Waldhyazinthe, elegant weiß blühend und tatsächlich an eine Hyazinthe erinnernd … Der Klappertopf bringt gelbe Farbtupfer auf die Wiese, gehört aber nicht zu den Orchideen

Der Blütenstand des AffenKnabenkrauts besteht aus vielen kleinen Blüten. Jede sieht so aus, als würde da ein kleines gemustertes Äffchen hängen

Die Bocks-Riemenzunge verbreitet einen gewöhnungsbedürftigen Duft Auch die Pyramiden- orchis trägt ihren Namen wegen ihrer Form: Sie läuft nach oben spitz zu, bevor sie ganz aufblüht

Das PurpurKnabenkraut ist eine der größten heimischen Orchideen

Die meisten heimischen Orchideenarten sind auf sonnenexponiertem Trockenrasen zu fi nden

Die Ragwurzen, von denen es vier Sorten am Kaiserstuhl gibt – die Hummel-, die Bienen-, die Spinnen- und die Fliegen-Ragwurz –, wenden einen ganz anderen Trick an, um sich vermehren. Sie gehören zu den Sexualtäuschblumen. Das heißt, sie locken mit Pheromonen, also Duft stoff en, die an das Weibchen der jeweiligen Gattung erinnern, die Männchen an und lassen sich so bestäuben.

Eine Blüte wie ein Äffchen

Im Unterschied zu den Knabenkräutern bieten die Ragwurzen keinen Nektar an. Die Ragwurzen haben zwei Pollinien, d. h. zwei Pollenpakete, die mit einer Haft scheibe versehen sind. Wenn ein Insekt diese berührt, bleibt der Pollen an ihm kleben und es muss unverrichteter Dinge weiterfl iegen. Da die Blüte keinen Nektar produziert, ist die Chance größer, dass mehr Blüten bestäubt werden, weil die Insekten dann natürlich auch nicht so lange auf der Blüte verweilen. Ganz schön raffi niert, was die Natur da so eingerichtet hat!

Hannelore Heim und ich machen uns langsam auf den Rückweg. Die Gästeführerin entdeckt noch eine Purpurorchis, die aber leider schon verblüht ist. „Die Blütezeit der Orchideen ist von April bis Juli“, erzählt die 67-Jährige. „Insgesamt sind die Orchideen drei Viertel der Zeit als Knolle unter der Erde, und nur etwa zwei Wochen blühen sie.“ Zu den Frühblühern im Liliental zählt zum Beispiel das Aff en-Knabenkraut. Sein Blütenstand besteht aus vielen kleinen Blüten. Jede einzelne sieht so aus, als würde da ein kleines, pink-weiß gemustertes Äff chen hängen. Verrückt!

Die Orchideen sind übrigens die zweitgrößte Pfl anzengruppe der Erde. Die Orchideen im Liliental sind Erd-

Die Mücken-Händelwurz verströmt einen süßen Duft, der Tag- und Nachtfalter anlockt

orchideen, sie wachsen in der Erde. Sie haben mit denen, die wir zu Hause auf der Fensterbank stehen haben, nichts zu tun. Diese kommen aus den Tropen und wachsen auf Bäumen, haben also Luft wurzeln. Hannelore Heim und ich sind wieder am Startpunkt unseres Spaziergangs, dem „Lilienhof“, angekommen. Voller neuer Eindrücke verabschiede ich mich von der Orchideen-Expertin. Vor allem einer hat sich eingebrannt. Ich sag nur „Ziegenbock“… BEATE BANNACH KONTAKT Die Orchideenführung ist ein Angebot des Naturzentrums. Infos unter www.naturzentrum-kaiserstuhl.de, Telefon 0 76 68/71 08 80. Die nächste Führung mit Hannelore Heim, die auch uns begleitet hat, fi ndet am 26.5. um 18 Uhr statt. Um Voranmeldung wird gebeten

Wandern und Heiraten im schönen Liliental

5Das Liliental nördlich von Ihringen wurde 1957 von der Landesforstverwaltung gekauft, um dort ein Versuchsgelände für Pflanzenkultur und ein Arboretum (Sammlung seltener Bäume) aufzubauen. Gleich hinter der Gaststätte beginnt die Exoten-Schau: Griechische Tannen, Lotuspflaumen und Tulpenbäume geben einen lebendigen Eindruck von der Vielfalt der Baumwelt. Dahinter Ahornbäume, Linden, Birken und Eichen. Eine der größten Attraktionen ist wohl der Wald aus Mammutbäumen. Die Samen stammen direkt aus Kalifornien. Viele Besucher kommen auch wegen der prachtvollen Orchideen. Die meisten Arten sind auf sonnenexponierten Trockenrasen zu finden. 5Das Gelände: In erster Linie dient das Versuchsgelände wissenschaftlichen Fragestellungen, ist aber auch ein Bildungs- und Erholungszentrum für die breite Öffentlichkeit. Forschern und Wanderern stehen rund 255 Hektar

1960 wurden Mammutbäume aus Kalifornien angepflanzt

Samenplantagen, Baum- und Strauchanlagen, Wiesen, Hütten und Feuerstellen, Fischteiche und Aussichtspunkte zur Verfügung. Es gibt mehrere Rundwege (2 bis 5,5 km); oder man flaniert einfach durch das Gelände. Kontakt zur Forstlichen Versuchs‐ und Forschungsanstalt Freiburg, Tel. 0761/40180, www.fva-bw.de 5Hofgut Lilienhof: Ende des 19. Jahrhunderts war das Liliental ein ausgedehnter Herrschaftsbesitz. 1870 kaufte Graf August von Bismarck, ein Neffe von Reichskanzler Otto von Bismarck, das Gut. 1897 wurde

Schloss Lilienhof errichtet, inzwischen ist es abgerissen. Heute ist das Gut eine gefragte Hochzeitslokalität. www.hofgut-lilienhof.de 5 Gasthaus „Zur Lilie“: Die

Gaststätte ist Ausgangspunkt für Exkursionen jeglicher Art.

Im oberen Bereich befinden sich die Räume der Forstverwaltung, unter anderem mit einem Vortragssaal. Neben der Gaststätte gibt es auch einen großen Kinderspielplatz. Tel. 0 76 68/9 95 63 93, www.lilie-liliental.de

FOTOS: AdobeStock/stellaweiss, Naturgarten Kaiserstuhl/Hannelore Heim, Wikipedia/Loz, Wikipedia/Adrian Thomale; Karte: Wikipedia/Maximilian Dörrbecker

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