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Zurechtgestutzt und aufgehübscht

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Besser als ihr Ruf

Besser als ihr Ruf

In Plattenbauten gibt es oft viel Leerstand. Das lässt sich ändern. Durch Teilrückbau, Grundrissänderungen und energetische Sanierung verwandeln sich vielerorts monotone Großwohnblöcke in attraktive und nachgefragte Wohnhäuser.

Eigentlich spricht nichts für einen Abriss. Die Plattenbauten im Halberstädter Hermann-Matern-Ring, erbaut zwischen 1970 und 1972, liegen nah zum Stadtzentrum und zum Bahnhof. Obendrein gibt es viel Grün im Umfeld. Aber: Die Fünfgeschosser haben keine Aufzüge. Die Folge: Die oberen Etagen verwaisen. Das Problem betrifft bereits sechs Wohnblöcke. Was tun?

Die Eigentümerin der Plattenbausiedlung, die Halberstädter Wohnungsgesellschaft HaWoGe, hat sich bereits entschieden. Nach dem Vorbild anderer Genossenschaften sollen die Häuser um zwei Etagen verkleinert, energetisch saniert und mit neuen Wohnungsgrundrissen an heutige Mieteransprüche angepasst werden. Der Clou: Die künftigen Dreigeschosser bekommen Satteldächer, die dem Viertel ein völlig neues Aussehen verleihen werden.

Rund zwei Millionen Plattenbauwohnungen sind zu DDR-Zeiten entstanden. Das war Weltspitze. 1990 lebte jeder dritte DDR-Bürger in der „Platte”, in der alten Bundesrepublik dagegen nur jeder 60. Einwohner. Nach der Wende mussten Plattenbauten jahrzehntelang wegen Leerstands abgerissen werden. Doch die Situation ändert sich. Der verbliebene Bestand wird zunehmend durch Teilrückbau und Modernisierung an die Nachfrage angepasst. Vielerorts stoppte man so die Abwanderung und beseitigte Leerstand.

Im Greifswalder Ostseeviertel Parkseite zum Beispiel wurden zahlreiche Häuser stufenweise um ein bis drei Geschosse verkleinert, die Zahl der Wohnungsgrundrisse von sieben auf 50 erhöht sowie Dachterrassen, Balkone und Mietergärten gebaut. In Frankenberg bei Chemnitz entstand durch den Teilrückbau von Sechsgeschossern eine ansprechende Siedlung mit Reihenhaus-Charakter, bewirkt durch unterschiedliche Dachhöhen und Fassadenfarben je Eingang sowie rote Ziegeldächer. Im thüringischen Leinefelde erfolgte der Umbau eines 180 Meter langen Sechsgeschossern zu acht freistehenden Stadtvillen. Weitere Plattenbauten bekamen eine terrassenartige Abstufung, um Penthäuser und Dachterrassen zu schaffen.

Vernünftige Produkte

Auch Henri Schulz, Geschäftsführer der Wohnungsgenossenschaft Gardelegen (WGG), ist über die Abrissphase hinaus. Die WGG hat 480 von 1.036 Wohnungen, also fast ihren halben Bestand, „vom Markt genommen“, wie Henri Schulz es ausdrückt. Grund dafür war die demographische Entwicklung in der altmärkischen Hansestadt nach der Wende.

„1995 hatten wir einen Leerstand von 47 Prozent“, so Henri Schulz. Heute sei dieses Problem weitgehend gelöst. Darum will die WGG im Wohngebiet Schlüsselkorb erstmals drei Fünfgeschosser lediglich stutzen statt entsorgen. Geplant ist, die oberen beiden Etagen abzutragen, in der dritten Etage größere Wohnbereiche mit offenen Küchen zu schaffen und die vollvermieteten ersten beiden Etagen im bewohnten Zustand zu sanieren. 1,8 Millionen Euro will Henri Schulz in den Umbau investieren. Sein Ziel: „vernünftige Produkte“ anbieten. „In wenigen Jahren wird keiner mehr sagen: Im Plattenbau möchte ich nicht wohnen“, ist der WGG-Geschäftsführer überzeugt.

Passiv, klimaneutral und energieautark

Quelle: Wienerberger / Gerard Halama

Zur künftigen Attraktivität umgebauter Plattenbauten dürfte angesichts steigender Nebenkosten auch die energetische Sanierung beitragen. Mit guter Dämmung, neuen Heizungen und Lüftungen, Solaranlagen, Gründächern, kleinen Windkraftanlagen und modernem Energiemonitoring lassen sich große Energieeinspareffekte erzielen. Wie groß genau, zeigte eindrucksvoll ein Projekt in Ungarn. Dort erreichte bereits 2005 ein Plattenbau aus den 1970er-Jahren nach entsprechender Renovierung den Passivhausstandard.

Jetzt könnte ein Musterprojekt im thüringischen Stadtroda zur Blaupause für die Sanierung hiesiger Betonbauten werden. Bis 2023 soll in der August-Bebel-Straße 13 ein Gebäude mit 144 Wohnungen aus dem Baujahr 1982 so modernisiert werden, dass es sich klimaneutral betreiben lässt. Erreicht wird das durch Isolierverglasungen an den Balkonen, Solarmodule an den Brüstungen, Photovoltaik auf dem Dach, eine Lüftungsanlage zur Vermeidung von Wärmeverlusten und eine Fassadenbegrünung zur Kühlung des Hauses bei sommerlicher Hitze. Obendrein bringt ein innovativer Wärmetuscher die Wärmeenergie aus dem Wasser von Dusch- und Badewannen sowie Spül- und Waschmaschinen über die Heizungsanlage in die Wohnungen zurück.

Bundesweit einzigartig ist bislang der Umbau eines Plattenbaus im sachsen-anhaltischen Aschersleben zu einem Mehrfamilienhaus, das von März bis Oktober energieautark ist. Photovoltaikmodule auf dem Dach und an den Fassaden versorgen die Haushalte mit Strom, Warmwasser und Heizwärme. Um die Autarkie zu erreichen, wird der Solarstrom in Batterien, Warmwasser-Boilern und per Infrarotheizung in den Hauswänden gespeichert. Der Strom reicht sogar für ein gemeinsames E-Auto, dass die Mieter kostenfrei nutzen können.

Dass der Umbau im Vergleich zum Abriss auch „graue“ Energie für das Herstellen, Transportieren und Verarbeiten neuer Baumaterialien einspart, ist ein weiteres Argument dafür, sich eine Platte um die Platte zu machen. Denn eigentlich spricht nichts für einen Abriss.

Frank Baecke

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