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„Bremsspuren in den Innenstädten unausweichlich“

Prof. Dr. Werner Reinartz, Inhaber des Seminars für Handel und Kundenmanagement an der Universität zu Köln und Direktor der IFH FÖRDERER, spricht über den Handel in Krisenzeiten.

IMMOBILIEN AKTUELL (IA): Lange Zeit wurde das Narrativ des Onlinehandels als Sargnagel des stationären Einzelhandels genutzt. Muss das nun zurückgenommen werden?

Dr. Werner Reinartz (WR): Ein klares Nein. Die digitale Transformation bleibt und entwickelt sich natürlich weiter. Sie dringt immer weiter in die Lebenswirklichkeit der Konsumentinnen und Konsumenten vor und wird nach wie vor nachhaltig das Einkaufsverhalten beeinflussen. Damit bleibt der Druck auf den stationären Einzelhandel. Wir sehen jedoch, dass sich die Wachstumsraten des Onlinehandels deutlich reduzieren. Das heißt, auch dort wachsen die Bäume nicht in den Himmel.

IA: Die Pandemie hat ebenfalls noch einmal Schwachstellen aufgezeigt: Welche sind das aus Ihrer Sicht?

WR: Mittlerweile haben fast alle Konsumentinnen und Konsumenten Erfahrungen im E-Commerce gesammelt und die im Vergleich zum stationären Einzelhandel große Sortimentsbreite und -tiefe zu schätzen gelernt. Komplementiert wird dieser Sortimentszugang durch entsprechende ausführliche Produktinformationen, eine effektive Suchbarkeit und ausführliche Bewertungen. Dies alles sind wichtige Treiber hinter dem dynamischen Onlinewachstum – aus Konsumentensicht wird hier klarer Nutzen gestiftet. Auf der anderen Seite haben viele Kunden während der Pandemie die sofortige Verfügbarkeit im Geschäft wieder zu schätzen gelernt.

IA: Wie viel Innovation kann vom Internet in die Läden übertragen werden?

WR: Geschäftskonzepte brauchen eine kontinuierliche Entwicklung, um mit den Konsumentenbedürfnissen Schritt zu halten. Dazu gehören die Nutzung und Integration digitaler Möglichkeiten. Beispielsweise erwarten immer mehr Menschen – vor dem Besuch des Geschäftes – Informationen zur Verfügbarkeit. Ist ein Produkt in der gewünschten Form, Farbe oder Größe überhaupt in einer Filiale vorrätig? Ein anderes Beispiel ist die erwartete WLAN-Verfügbarkeit in stationären Geschäften. Alle möchten online sein, egal wo und wann. Daher ist die digitale Komplementierung des stationären Besuches unumgänglich.

IA: In einer Studie haben Sie die Wertschöpfung des Onlinehandels untersucht: mit welchen Ergebnissen?

WR: Ein Kernergebnis der Studie ist, wenig überraschend, dass die Onlineformate deutlich an Bedeutung gewinnen. Natürlich sind daran auch die etablierten Händler beteiligt und hier gibt es viele gute Beispiele. Diese Entwicklungen sind besonders stark im Textil- und Elektronikhandel ausgeprägt, jedoch haben hier gerade in der Pandemie viele andere Branchen wie Möbel, Schreibwaren, Einrichtung, DIY nachgezogen. Kauf- und Warenhäuser und der kleinbetriebliche Fachhandel kommen unter signifikanten Druck.

IA: Sind Multi-Channel-Händler die Zukunft?

WR: Mehr oder weniger ja. Auch wenn ich nicht immer über das Internet verkaufen muss, so ist die digitale Integration ein Muss. Die digitale Präsenz, das Bespielen der sozialen Netzwerke, Warenverfügbarkeitsinformationen und Click & Collect sind hier beispielsweise wichtige Zugangspfade.

IA: Die Textilbranche leidet weiter, die Umsätze sind durch Corona stark gesunken: Werden wir in diesem Bereich ein Ladensterben sehen und wie beeinflusst das die Entwicklung der Innenstädte?

WR: Die Probleme der Textiliten in den Innenstädten haben vielfältige Gründe, die Pandemie ist nur einer davon. Die Kleiderschränke sind übervoll, Kleidungskonventionen ändern sich weg von der formellen Bekleidung, der Homeoffice-Trend hinterlässt Spuren und das digitale Einkaufen sowieso. Insofern sind die damit verbundenen Bremsspuren in den Innenstädten unausweichlich und nachhaltig. Die Diskussion um die zukünftige Struktur in den Innenstädten ist voll entbrannt – Multifunktionalität ist hier das Stichwort. Der innerstädtische Handel bleibt auch in Zukunft essentiell, aber es müssen andere Kräfte für zusätzliche Attraktivität sorgen.

IA: Die Preise in Deutschland steigen, droht hier die nächste Krise? Nämlich dann, wenn die Konsumenten ihr Kaufverhalten stark reduzieren?

WR: Diese Entwicklung ist sehr ernst. Konsumentinnen und Konsumenten haben bereits beträchtliche Verhaltensänderungen an den Tag gelegt. Die Krise ist bereits da und der Konsum wurde aufgrund der hohen Inflationsrate und der steigenden Energiepreise reduziert. Darüber hinaus werden Handelswaren und Discountformate deutlich stärker nachgefragt. Hier sehe ich kurz bis mittelfristig erhebliche Herausforderungen für den stationären Handel.

Interview: Ivette Wagner

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