LEADER November/Dezember 2020

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«Die Zahl der Mandate ist nicht entscheidend»

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Editorial

Am Futtertrog des Staates Die Staatsausgaben in der Schweiz wachsen ungebremst: Der Bund etwa hat seine Ausgaben in den letzten 27 Jahren mehr als verdoppelt (218 %). Die Ostschweizer Kantone bekleckern sich ebenfalls nicht mit Ruhm: Der Thurgau (215 %) und St.Gallen (203 %) liegen über dem gesamtschweizerischen Median (195 %), die beiden Appenzell (AR: 171, AI: 172 %) darunter. «Corona halt» werden Sie nun versucht sein zu sagen. Falsch: Die Zahlen beziehen sich auf den Zeitraum zwischen 1990 und 2017! Es steht zu befürchten, dass es heute noch viel schlimmer aussieht. Die Staatsquote liegt aktuell jedenfalls bei rund 33 Prozent (ohne Corona-Effekte). Trotz immer mehr Geld und Personal – der öffentliche Sektor stellt heute in der Schweiz fast ein Viertel aller Arbeitsstellen – werden die Staatsapparate aber sofort an ihre Grenzen geführt, passiert etwas Unvorhergesehenes wie die Coronakrise: Firmen mussten ewig auf Kurzarbeitentschädigungen warten, Selbstständige verzweifelten ob dem Erwerbsersatz-Wirrwarr, das Contact-Tracing stiess beängstigend schnell an seine Grenzen, Fallzahlen wurden spät oder gar falsch geliefert. Das Einzige, was schnell funktionierte, waren die Covid-Kredite – aber da hatte Bundesrat Maurer auch in weiser Voraussicht die Banken eingespannt. Wird sich dieses ungebremste Aufblähen jemals bremsen oder gar rückgängig machen lassen? Schön wärs, aber: Beunruhigend viele Volksvertreter in den Ostschweizer Kantonsparlamenten verdanken ihr Einkommen direkt oder indirekt dem Steuerzahler. Während diese «Staatsquote» in Innerroden bei 38 Prozent liegt, sind es im Ausserrhodischen bereits 46 und in St.Gallen unglaubliche 57 Prozent! Diese verstörenden Zahlen kratzen nicht nur an der Unabhängigkeit der Parlamente, die ja eigentlich Regierung und Verwaltung kontrollieren sollten. Sie verunmöglichen auch ein Reduzieren der Staatshaushalte, denn wer sägt schon am Ast, auf dem er sitzt? Und was fällt den bürgerlichen Parteien als Lösungsvorschlag zu diesem Dilemma ein? Ein Stellen- und Ausgabenstopp! Mit Verlaub: Damit ist es nicht getan. Ein «Masterplan Verwaltung 2.0» müsste vorsehen, dass jedes Jahr Stellen in den Verwaltungen abgebaut werden. Unmöglich? Nein, wenn die Rechte und Pflichten des Staats wieder auf seine wesentlichen Aufgaben eingeschränkt werden und ihm die «Nanny-Mentalität» ausgetrieben wird, mit der er sich in immer mehr Bereiche des privaten, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens einmischt.

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Im Fokus

Karl Müller, Erfinder Für Karl Müller steht der wohl grösste Schritt seiner 48-jährigen Unternehmerkarriere bevor: Der Thurgauer übergibt die Geschäftsführung von Kybun in jüngere Hände. Seine Nachfolge tritt Urs Koller per sofort an. Müller selbst konzentriert sich auf das Verwaltungsratspräsidium. Der bald 68-jährige Erfinder des Luftkissenschuhs Kybun und Namensgeber des FCSG-Heimstadions «Kybunpark» freut sich auf den neuen Lebensabschnitt, auf den er seit drei Jahren hingearbeitet habe – seit er «offiziell Rentner» wurde.

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Inhalt

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10 Spotlight Wichtiges in Kürze 14

Verwaltungsratslandschaft Ostschweiz Verwaltungsrat – ein Job für Profis

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Jan Martel Der World-Wine-Web-Pionier

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Michael Kummer Mitarbeiterbeteiligung 2.0

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Tobias Wolf KMU-Tag soll Live-Event bleiben

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Claudius Habisreutinger & Paul Preiss Auf dem Silbertablett serviert

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Robert Stadler Aufstrebendes «Portal zur Ostschweiz»

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Leo Staub Grossartige Zusammenarbeit

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Helen Fricker Die Zukunft ist divers

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Raoul Egeli Gefährlicher Dominoeffekt

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Andrea Berlinger Schwyter Weltmarktführer und Krisenmeister

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Fokus Marketing Die Marke als roter Faden

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Fokus Sicherheit Angriffe mit Verschlüsselungssoftware

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Fokus Bau Nicht die Billigsten, sondern die Besten überleben

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Edith Graf-Litscher & Hansjörg Brunner Die Arbeit zurück an den Wohnort bringen

98 Schlusspunkt Rotlicht

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Profil People

Debakel mit Ankündigung Was die medizinischen und epidemiologischen Corona-Massnahmen des BAG betrifft, möchte ich mich hier nicht auch noch in den Chor der Kritiker einreihen. Anders sieht das allerdings beim Thema Digitalisierung aus. Seit geschlagenen 15 Jahren weiss man nämlich offenbar beim BAG, dass es Probleme bei der Digitalisierung gibt. Das betrifft insbesondere auch das Meldewesen. Unternommen hat man dagegen in den vergangenen Jahren zu wenig, wie eine Analyse der Beratungsfirma Bolz und Partner enthüllt, die Anfang November öffentlich wurde. Darin ist zum Thema Digitalisierung und Meldewesen unter anderem die Rede von «Vollzugsrückstand», «nicht ausreichend und funktional» oder «nicht mehr zeitgemäss». Kein Wunder also, mussten Ärzte zu Beginn der Pandemie ihre Coronafälle noch per Fax ans BAG übermitteln, wo die Daten dann von Hand in den Computer eingegeben wurden. Darauf, dass solche Abläufe vor allem in Krisensituationen untauglich sind, wies vor 15 Jahren bereits die WHO hin. Gemäss Expertenbericht bezeichnete sie die Übermittlung von Meldungen per Papier, Telefon und Fax damals als «Schwachstelle im Hinblick auf die Datenqualität» und machte dem BAG Vorschläge zur «Möglichkeit digitalisierter Meldungen». Nachdem 2009 und 2012 erneut Experten auf das Problem hingewiesen haben, hiess es beim BAG, dass die elektronische Lösung mit der Inkraftsetzung des Epidemiengesetzes im Jahr 2016 oder «zumindest zeitnah» eingeführt werde. Passiert ist nichts. Seit April dieses Jahres hat das BAG immerhin eine Abteilung «Digitale Transformation». Das ist gut – aber 15 Jahre zu spät.

Patrick Stämpfli Redaktor east#digital und LEADER LEADER | März 2020

Die Menschen und die Wirtschaft brauchen Sicherheit In Wien, quer durch Deutschland, in Belgien, in jeder grösseren Stadt Frankreichs – der brutale islamistische Terror hat sich in Europa festgesetzt. Die «Gefährder» sind unter uns. Der ehemalige deutsche Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich umriss den Begriff folgendermassen: «Gefährder sind Personen, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie erhebliche Straftaten begehen könnten.» Anschläge eingeschlossen. Mehrere islamistische «Gefährder» haben sich ganz in der Nähe von uns eingenistet, nicht zuletzt in Winterthur. Die falsche Toleranz gegenüber derartigen Individuen muss ein Ende haben. Und wir müssen endlich geregelt und konsequent gegen Islamisten vorgehen. Nach einer kurzen «Corona-Pause» werden in unseren Nachbarländern seit ein paar Wochen wieder Menschen abgeschlachtet. Die Mörder von Wien, als Beispiel, hatten engste Verbindungen in die östliche Schweiz. Hilfsorganisationen schleppen Flüchtlingsterroristen illegal nach Europa. Es mag paradox klingen: Doch je besser die Rechtsstaatlichkeit entwickelt ist, desto «erfolgreicher» können die Terroristen wüten – entweder bandenmässig organisiert oder als Einzeltäter. Sowohl hiesige Zellen als auch Neuankömmlinge nutzen unsere demokratischen Systeme gnadenlos aus. Wenn wir das weiterhin zulassen, werden wir bald schon zuschauen müssen, wie auch auf Strassen und in Kirchen der Ostschweiz unschuldige Menschen erschossen, abgestochen oder enthauptet werden. Handeln wir endlich! Nach jeder Ausschreitung, nach jedem Anschlag, ja selbst nach schweren Attentaten mit vielen Toten reagiert die Politik mit «politisch korrekter» Redekunst. Das Heft resolut in die Hand nehmen? Fehlanzeige! In dieser Wintersession hat das eidgenössische Parlament die Möglichkeit, die richtigen Weichen zu stellen. Die Gelegenheit sollte genutzt werden. Denn viele Chancen haben wir nicht mehr.

Der Rheintaler SVP-Nationalrat Roland Rino Büchel ist Mitglied der Aussenpoli­tischen Kommission und Mitglied des Europarates.


People Manser unter Beschuss

Über 400 Clever-Fit-Studios gibt es in Europa, 15 davon in der Schweiz. Sie werden von der Clever Sports AG aus Arbon betrieben, hinter der Baulöwe Patrick Manser steht. Dieser gerät nun im «Blick» wegen Zahlungsverzögerungen und Betreibungen unter Beschuss. Ursprünglich zählte die Gesellschaft drei Aktionäre, mittlerweile gehörten über 99 Prozent der Aktien zum Universum von Manser. Vor gut 20 Jahren begann der Horner mit dem Aufbau der heutigen Manser Group AG mit Sitz in Arbon; aktuell hält er gemäss «Moneyhouse» Mandate in 24 verschiedenen Firmen.

Jussel gibt ab

Geschäftsführer Richard Jussel übergab die Leitung der Gossauer BlumerLehmann AG an ein Dreierteam. Die Geschäftsführung übernehmen Martin Looser, Markus Rutz und Lukas Osterwalder. Dass sich die Geschäftsführung der Holzbauspezialistin nun gerade mit drei Bereichsleitern verstärkt, trage dem Wachstum und der Entwicklung des Unternehmens Rechnung.

Würth soll Wolf ersetzen

Wechsel im Verwaltungsrat des FC St.Gallen 1879: Stefan Wolf, der dem Gremium seit Dezember 2017 angehört und für Sport/Nachwuchs zuständig ist, legt sein Amt nieder. Für seinen Sitz kandidiert der St.Galler Ständerat Beni Würth. Wolfs Rücktritt geschehe aus privaten und beruflichen Gründen.

Vincenz von Zürcher Staatsanwaltschaft angeklagt

Dem langjährigen Raiffeisen-CEO werden Betrug, Veruntreuung, Urkundenfälschung und Bestechung zum Nachteil der Aduno und der Raiffeisen vorgeworfen. In den Augen der Justiz hätte Pierin Vincenz Investitionen offenlegen und den daraus erzielten Ertrag abliefern müssen. Vincenz soll als Chef von Raiffeisen Schweiz und Präsident des Bezahlspezialisten Aduno bei Firmenübernahmen ein doppeltes Spiel gespielt und sich persönlich bereichert haben. Aduno reichte im Dezember 2017, Raiffeisen im Februar 2018 Anzeige gegen Vincenz ein.

Aktuelle News aus der Ostschweizer Wirtschaft und Politik finden Sie täglich auf www.leaderdigital.ch

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Kopf des Monats Die Breitenmoser Fleischspezialitäten AG von Barbara Ehrbar-Sutter wurde vom Beratungsunternehmen iCommit beim «Swiss Arbeitgeber Award 2020» mit dem 1. Rang in der Kategorie «Mittelgrosse Unternehmen» ausgezeichnet.

Barbara Ehrbar-Sutter

Barbara Ehrbar-Sutter aus Teufen, Geschäftsführerin der Breitenmoser Fleischspezialitäten AG mit Standorten in Appenzell, Gais, Teufen, Rorschacherberg und Steinegg, freut sich entsprechend: «Der Preis erfüllt mich mit grosser Freude und Stolz, weil es sich hier um ein Gemeinschaftswerk handelt, zu dem jeder einzelne unserer Mitarbeiter durch sein grosses Engagement und seine grosse Identifikation mit dem Betrieb beigetragen hat. Das ist ein sehr schöner Lohn für unsere Arbeit und zeigt uns, dass wir es richtig machen. In unserem familiären Betrieb können sich Mitarbeiter ihren Fähigkeiten entsprechend entwickeln und haben so auch einen direkten Einfluss auf ihre persönliche Zukunftsentwicklung.» Der seit dem Jahr 2000 vergebene Preis fokussiert auf die typischen KMU der Schweiz. Der Award wird vom Schweizer Arbeitgeberverband sowie von HR Swiss mitgetragen. Die Preisvergabe erfolgt auf der Basis einer extensiven Mitarbeiterbefragung – die grösste in der Schweiz. Aus Sicht des Schweizer Fleisch-Fachverbandes SFF unterstreicht die Verleihung des Preises an die Breitenmoser Fleischspezialitäten AG einmal mehr die hohe Qualität der Arbeitsplätze, welche die Schweizer Fleischbranche zu bieten hat.


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Spotlight

Findus geht an Briten

Die Fischstäbchen-Marke Findus Switzerland wechselt den Besitzer: Die Iglo-Mutter Nomad Foods übernimmt Findus von der Goldacher Froneri Switzerland S.A. und zahlt dafür 110 Millionen Euro. Nomad Foods wird das gesamte Tiefkühlgeschäft in der Schweiz sowie den Produktionsstandort in Rorschach übernehmen. Frisco-Glacés werden weiterhin in Goldach produziert.

Continuum und KMU Recovery Partners kooperieren

Die St.Galler Unternehmensberaterin Continuum AG ist neu unabhängiger Partner von KMU Recovery Partners, einer ebenso unabhängigen Netzwerkplattform von Experten in Restrukturierungs- und Sanierungslösungen. Vertreter von KMU und Banken können sich über die Netzwerkplattform informieren und einen Berater ihrer Wahl engagieren. Abgedeckt werden Themen wie Restrukturierung/Sanierung/Turn Around, Finanzen/Controlling, Rekapitalisierung sowie Steuer- und Rechtsfragen.

Arbonia refinanziert Konsortialkredit

Die neue Kreditfazilität über 250 Millionen Franken wird wieder in Form eines Konsortialkredits aufgelegt und ersetzt vorzeitig den bestehenden Konsortialkredit über 350 Millionen, der eine Laufzeit von September 2016 bis September 2021 hatte. Die Arbonia konnte strukturell bessere Konditionen vereinbaren.

TKB neu mit Saron-Produkten

Die Thurgauer Kantonalbank bietet ihren Kunden ab sofort Finanzierungen auf Basis des neuen Referenzzinssatzes Saron an. Als Folge der Ablösung des Libor durch den Saron bietet die TKB Saron-Flexi-Hypotheken und Saron-basierte Feste Vorschüsse an.

Leuzingers gründen Immobilienunternehmen

Raiffeisen tritt aus Bankiervereinigung aus

Die Schweizerische Bankiervereinigung muss einen gewichtigen Abgang hinnehmen: Raiffeisen verlässt den Branchenverband per Ende März 2021. Die drittgrösste Bankengruppe der Schweiz will ihre Interessen künftig eigenständig vertreten. Bei der Bankiervereinigung wird seit Längerem von Differenzen zwischen den unterschiedlichen Bankengruppen berichtet. LEADER | Nov./Dez. 2020

Peter und Marc Leuzinger haben in St.Gallen die ImmoLeu AG gegründet. Das Familienunternehmen tritt als Partner in allen Immobilien-, Treuhand- und Steuerfragen auf. Als regional verankerte Firmen wollen sich die Leuzingers auf den Ostschweizer Immobilienmarkt fokussieren. Mit der ImmoLeu AG unterstützen sie ihre Kunden in der Bewirtschaftung und Vermarktung – sei dies ein Eigenheim, ein Mehrfamilienhaus oder ein Gewerbeobjekt. Dank ihrer langjährigen Erfahrung bieten sie in Ergänzung zur Immobilientreuhand auch die klassischen Treuhand-Dienstleistungen an.


Spotlight

SFS schafft globale MedizinaltechnikFertigungsplattform

ifolor doppelt ausgezeichnet

Der Schweizer Fotoproduktmarktführer aus Kreuzlingen hat gleich zweifachen Grund zur Freude: Mitte Oktober durfte CEO Hannes Schwarz den «gfm Marketingpreis 2020» entgegennehmen. Am gleichen Abend wurde ifolor von «Kassensturz» auch als Fotobuch-Testsieger gekürt.

Die Heerbrugger SFS weitet ihre Strategie der globalen Produktionsplattform auf Leistungen für die Medizinaltechnik aus. Durch den Einbezug weiterer Standorte der SFS-Gruppe werden zukünftig neben Kunden in Nordamerika auch solche in Europa und Asien lokal unter der Marke «Tegra Medical» mit Medizinaltechnikprodukten bedient.

St.Gallen stellt Weichen für Innovationspark Ost

Die vorberatende Kommission des Kantons St.Gallen beantragt dem Kantonsrat, auf die Vorlage zum Innovationspark Ost einzutreten. Zudem spricht sie sich für eine Anschubfinanzierung von zehn Millionen Franken aus. Zu stehen kommen soll der Innovationspark Ost auf den Campus Lerchenfeld in St.Gallen in der Nähe von EMPA und Startfeld.

WTT Young Leader Award findet statt

Das WTT-Team der OST - Ostschweizer Fachhochschule hat entschieden, dass der WTT Young Leader Award 2020 am 8. Dezember definitiv stattfinden wird. Möglich macht dies ein neues Hybrid-Modell. Neu werden einzig die 50 Bühnenteilnehmer (Studenten, Coachs, Projektleiter, Preissponsoren, Referenten) vor Ort sein können – alle anderen Gäste werden den Anlass online, aber interaktiv mitverfolgen.

Huber+Suhner streicht 250 Stellen

Der Herisauer Verbindungstechnikspezialist Huber+Suhner hat in den ersten neun Monaten 2020 zwölf Prozent weniger Umsatz gemacht. Deshalb will er bis Mitte 2021 250 Stellen abbauen, 100 davon in der Schweiz.

Publizieren Sie Ihre Veranstaltung gratis auf leaderdigital.ch Sie können Ihre Veranstaltung selbst auf leaderdigital.ch/agenda eintragen. Damit wird die LEADER-Webseite zum One-Stop-Shop für News, Jobs und Events aus der wirtschaftlichen Ostschweiz. Voraussetzungen für einen Eintrag sind: Veranstaltungsort in der Ostschweiz (SG, AR, AI, TG, FL), öffentliche Veranstaltung mit noch freien Plätzen, wirtschaftsnahe Themen. LEADER | Nov./Dez. 2020

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Digital

NAMICS UND ISOBAR WERDEN ZU MERKLE Die zwei Full-Service-Digitalagenturen Namics – A Merkle Company aus St.Gallen und Isobar Schweiz aus Carouge schliessen sich per 1. Januar 2021 zusammen, das Rebranding zu Merkle soll im ersten Quartal 2021 folgen. CEO des neuen Unternehmens wird Patrik Gamryd.

PRIME COMPUTER LANCIERT MIETMODELL Die lüfterlosen Mini-PCs und Server des St.Galler Herstellers Prime Computer kann man jetzt auch mieten. Das neue Mietmodell bietet Prime Computer in Kooperation mit dem internationalen Technologiedienstleister CHGMeridian an.

LEHRMITTELVERLAG GEWINNT WORLDDIDACAWARDS Das crossmediale Lehrmittel «zikzak» und das Online-Tool «Schulsportplaner» wurden mit dem 19. WorlddidacAward ausgezeichnet. Der Lehrmittelverlag St.Gallen mit Sitz in Rorschach ist ein Dienstleistungsunternehmen für die Schulen des Kantons St.Gallen und der ganzen Deutschschweiz. Er entwickelt Lehrmittel, Lern-Applikationen und Lernfördersysteme für die Volksschule.

NEOVAC, WINTERHALTER + FENNER UND NAMICS GEWINNEN BRONZE Schweiz Tourismus gewinnt den Titel «Master of Swiss Web 2020»: An der Award Night sind 82 Projekte mit Gold, Silber und Bronze ausgezeichnet worden. Unter den BronzegewinLEADER | Nov./Dez. 2020

nern sind auch die Projekte der Oberrieter NeoVac ATA AG und der Winterhalter + Fenner AG aus St.Gallen. Die Namics AG, ebenfalls aus St.Gallen, hat ein Projekt für Amag Clyde gestaltet, das auch mit Bronze ausgezeichnet wurde. Das Projekt von Winterhalter + Fenner wurde von der Valantic CEC Schweiz AG umgesetzt, die auch in St.Gallen domiziliert ist.

«CYBER SECURITY»AUSBILDUNG AN DER OST Das Lehrangebot der Fachhochschule OST im Bereich «Cyber Security» wurde stark ausgebaut und ist nicht nur fester Bestandteil des Studiengangs Informatik. Zusätzliche Weiterbildungsangebote und die einzigartige Laborinfrastruktur ermöglichen Studenten und Kursteilnehmern, sich auf praxisorientierte Weise mit den technischen Herausforderungen der IT-Sicherheit auseinanderzusetzen.

«ICT YOUNG PROFESSIONAL AWARD» GEHT IN DIE OSTSCHWEIZ Der «ICT Young Professional Award» in der Kategorie «Beste Berufsmeisterschaft» geht in diesem Jahr an Timon Frey. Der Lehrling, der seine Ausbil-

dung bei der Ivoclar Vivadent in Schaan absolviert, ist Schweizermeister in der Disziplin «IT Network Systems Administration» (Systemtechnik). An den nationalen Berufsmeisterschaften ICTskills2020 im September hat der Grabser mit 91,7 Punkten über alle ICT-Disziplinen hinweg die höchste Punktzahl erreicht.

BODENSEE-HOCHSCHULE SUCHT CYBER-TALENTE Die Internationale Bodensee-Hochschule möchte Fachkräfte aus dem IT-Bereich mit potenziellen Arbeitgebern in Kontakt bringen. Dazu lanciert sie Ende November die Initiative cyberTALENTS Bodensee. Die IBH arbeitet dazu mit dem in Konstanz ansässigen länderübergreifenden Netzwerk für Digitalexperten am Bodensee, cyberLAGO, zusammen.

ACREVIS KOOPERIERT MIT ALTOO Die St.Galler Acrevis Bank AG und das Zuger Fintech-Unternehmen Altoo AG haben eine Partnerschaft für eine digitale Vermögensplattform besiegelt. Acrevis ermöglicht dadurch Vermögensverwaltern, Stiftungen und Family Offices den Zugang zur AltooWealth-Platform, die ihnen Transparenz und Kontrolle über ihr gesamtes Vermögen bietet.

Alle Digitalnews der Ostschweiz auf eastdigital.ch Der Hub east#digital der LEADER-Herausgeberin MetroComm AG begleitet den digitalen Wandel der Ostschweiz – mit der News-, Job- und Eventplattform eastdigital.ch, mit dem east#digital-Magazin und der east#digital conference. www.facebook.com/eastdigital.ch


Kommentar

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Klimaschutz – ein Gebot der Stunde

Klimaschutz: Ja – Bevormundung: Nein

Im Herbst war ich einige Tage in den Glarner Bergen auf einer Wandertour. So eindrucksvoll die Wanderungen waren, einige Wege konnten wir nicht begehen: Die Glarner Behörden haben sie gesperrt, da es dort immer wieder zu Hangrutschen kommt. Die Folgen des Klimawandels spüren wir überall ganz direkt.

Die Klima- und Umweltpolitik geht uns alle an. Deshalb setzte ich mich in verschiedenen Funktionen für eine vernünftige, nachhaltige Umweltpolitik ein. Dazu zähle ich den Ersatz von fossilen Heizungen oder die Einrichtung von Photovoltaik- und anderen innovativen Energieanlagen.

Wir müssen etwas ändern, bevor es zu spät ist. Eine breite Allianz hat im Parlament eine gut abgestützte und ausgewogene Revision des CO2-Gesetzes erarbeitet. Der Klimajugend geht das Paket zwar zu wenig weit. Sie will die Klimaziele und Netto-Null bis 2030 erreichen. Damit haben die jungen Leute Recht. Aber weitergehendere Massnahmen, die in einer Volksabstimmung keine Mehrheit finden, werfen uns nur wieder zurück. Das Parlament hat sich an der Machbarkeit orientiert und sich für ein schrittweises Vorwärtsgehen entschieden. Das CO2-Gesetz bringt umsetzbare Lösungen und sowohl für die Bevölkerung wie auch für die Wirtschaft Verbesserungen. Das ist kluge, mit Anreizen verbundene Lenkungspolitik. Eine sinnvolle Klimapolitik schützt nicht nur unsere Lebensgrundlagen, sondern schafft auch neue Arbeitsplätze. Ein der Teil der Abgaben, etwa jene auf Flugreisen, wird an die Bevölkerung zurückverteilt. Einkommensschwache Haushalte werden also nicht übermässig belastet und werden unter dem Strich mit einem zurückhaltenden Konsum gar besser fahren. Ein anderer Teil der Abgaben fliesst in den Klimafonds. Damit sollen klimafreundliche Massnahmen finanziert werden. Mit dem Gebäudeerneuerungsprogramm wird die Sanierung alter Gebäudehüllen und der Ersatz von Öl- und Gasheizungen durch CO2-neutrale Systeme gefördert. Das ist wichtig, denn hier werden rund 40 Prozent der klimaschädlichen Gase verursacht. Das CO2-Gesetz ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung – für das Klima, die Menschen und die Wirtschaft. Im Parlament haben wir heftig über dieses Gesetz debattiert. Es nun aufs Spiel zu setzen, nützt niemandem, weder dem Klima noch der Wirtschaft.

Barbara Gysi Nationalrätin, Vizepräsidentin SP Schweiz

Als Kantonsrat durfte ich vor wenigen Wochen die Kommission präsidieren, welche die Energiestrategie 2021 bis 2030 des Kantons St.Gallen diskutiert hat und das Energiekonzept 2021-2030 einstimmig unterstützt. Es legt Ziele und Massnahmen fest, mit denen der CO2-Ausstoss weiter gesenkt, die Energieeffizienz erhöht und den Zuwachs des Strombedarfs gebremst werden kann. Mit einem Kredit von 25 Millionen Franken sollen energetische Modernisierungen von Gebäuden weiterhin gefördert werden können. Ich unterstütze aber das Referendum zum CO2-Gesetz, das im eidg. Parlament eine Mehrheit gefunden hat. Denn es führt zu massiv höheren Steuern und Abgaben, welche die Landbevölkerung und den Mittelstand besonders hart treffen. Es ist deshalb wichtig, dass wir dieses teure Gesetz zur Abstimmung bringen können! Im Gegensatz zu meinen anderen Engagements besteht das geplante CO2-Gesetz vor allem aus Verboten und Abgaben. Ich bin überzeugt, dass mit Verhaltensökonomie viel mehr erreicht werden kann: Die Energieverbraucher müssen aus Überzeugung einen bewussteren Umgang pflegen. Darauf baut auch der Kanton St.Gallen in seiner geplanten Energiestrategie. Das nationale CO2-Gesetz belastet uns ganz unterschiedlich: Familien, Auto-Pendler und die Land- und Bergbevölkerungen werden stärker unter den neuen Abgaben leiden als ÖVBenutzer und die Stadtbevölkerung. Industrie- und Gewerbebetriebe mit hohem Energieverbrauch wie beispielsweise Bäckereien werden stärker zur Kasse gebeten als Banken oder Werbeagenturen. Der Weg hin zur angestrebten Klimaneutralität ist nur über Forschung, Innovation und nachhaltige Anreizsysteme und nicht über Verbote, Vorschriften und neue Steuern möglich.

Michael Götte Fraktionspräsident SVP St.Gallen Gemeindepräsident Tübach LEADER | Nov./Dez. 2020

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Schwerpunkt Verwaltungsratslandschaft Ostschweiz Verwaltungsratssitzungen sind keine gemütlichen Gesellschaftstreffen mehr, heute sind die Kompetenzen von ausgewiesenen Profis gefragt.

Verwaltungsrat – ein Job für Profis In der Ostschweiz gibt es eine stattliche Zahl von Verwaltungsräten, die gleich mehrere Dutzend Mandate auf sich vereinen. Im Idealfall profitieren die jeweiligen Unternehmen von diesem geballten Know-how.

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Schwerpunkt Verwaltungsratslandschaft Ostschweiz

Vor wenigen Jahrzehnten noch waren die Verwaltungsräte kleiner und mittlerer Unternehmen ein Eldorado für Herren aus der besseren Gesellschaft: Man kannte sich, und damit waren die Voraussetzungen für ein solches Mandat auch schon weitgehend erfüllt. Das ist heute in einer entscheidenden Dimension definitiv anders. Verwaltungsräte werden nach unterschiedlichen Kompetenzen zusammengestellt, auch kommt heute kaum noch ein Gremium ohne Frauen aus. Doch etwas scheint gleich geblieben zu sein: Man kennt sich.

«Es braucht Leute, die sich auch trauen, etwas zu sagen.» Tatsächlich trifft man auch im Jahre 2020 auf einem Streifzug durch die obersten Organe von Ostschweizer Unternehmen immer wieder auf altbekannte Namen. Nur der Grund ist ein anderer. Waren früher Kameradschaften von der Pfadi über die Hochschule bis zum Militärdienst die Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit auch im Beruf, so sind es heute die gestiegenen Anforderungen an die Aufsichtsgremien, die eine neue Spezies hervorgebracht haben: Den Profi-Verwaltungsrat. Eine Auswertung, die Moneyhouse Ende Oktober für den LEADER gemacht hat, zeigt, dass eine ganze Reihe von Männer und einige wenige Frauen in der Ostschweiz jeweils mehrere Dutzend Verwaltungsratsmandate auf sich vereinen. Für die meisten ist das längst nicht mehr ein Nebenprodukt ihrer Arbeit, sondern der zentrale Inhalt. Serielle Aktiengesellschaften Rasch wird allerdings auch klar, dass die schiere Zahl der Mandate wenig über den wirtschaftlichen Einfluss des jeweiligen Verwaltungsrats aussagt. Gerade im Baubereich können solche Mandate schon fast inflationär anfallen: Es kommt nicht selten vor, dass sich eine Firma technisch in 20 oder mehr Gesellschaften gliedert, um Abläufe besser organisieren oder Risiken ausgliedern zu können. Auf diese Art kann zum Beispiel der Geschäftsführer jeder Divison direkt mit Aktien am Erfolg «seines» Unternehmensteils beteiligt werden. Manchmal werden auch fertige Überbauungen als eigenständige Aktiengesellschaften geführt. Das ist offensichtlich im Portefeuille von Oliver Müller aus Rapperswil-Jona der Fall. Müller kommt gemäss der Auswertung von Moneyhouse auf stolze 199 Verwaltungsratsmandate, niemand anderes in der Ostschweiz kommt nur in die Nähe einer dreistelligen Zahl. Im Kanton St.Gallen liegt Lukas Frank mit 65 VR-Mandaten auf dem zweiten Platz, die Spitze im Thurgau hält Wolfgang Maute mit 52 Einträgen, in Appenzell Ausserrhoden liegt Clemens Ruckstuhl mit 42 Mandaten an der Spitze, in Appenzell Innerrhoden ist es Benno MockManser mit 30 Mandaten.

Die Liste der Firmen bei Rekordhalter Oliver Müller liest sich beispielsweise so: Société Immobilière Morillon 1 SA, Société Immobilière Morillon 5 SA, Société Immobilière Morillon 11 SA, Société Immobilière Morillon 17 SA, Société Immobilière Morillon 19 SA … usw. Die auf den ersten Blick eindrückliche Zahl verliert so rasch von ihrem Zauber. Wenige gewichtige Mandate Ein weiteres Indiz, das die reine Anzahl der Mandate eine trügerische Grösse sein kann und zumindest nicht direkt die wirtschaftliche Bedeutung einer Person spiegelt: Kaum eine Verwaltungsrätin, kaum ein Verwaltungsrat mit vergleichsweise vielen Mandaten ist gleichzeitig auch auf der Liste des grössten repräsentierten Aktienkapitals vertreten. Im Kanton St.Gallen führt Thomas Fürer aus Rapperswil-Jona dieses Ranking an, mit gerade einmal drei Mandaten kommt er auf ein kumuliertes Aktienkapital von 2'771'705'000 Franken. Der Thurgauer Heinz Huber aus Münsterlingen kommt mit einem einzigen Mandat auf 900'000'000 Franken Aktienkapital, auch beim Innerrhödler Ueli Manser aus Schwende ist für ein Aktienkapital von 1'625'000'000 Franken nur ein Mandat registriert. Stefan Loacker aus Speicher führt mit seinen vier Mandaten mit 964'557'491 Franken die Liste in Ausserrhoden an. Firmen im Ausland nicht erfasst Einige der einflussreichsten Ostschweizer Wirtschaftslenker werden von den Schweizer Registern allerdings gar nicht erfasst, weil dort Mandate in ausländischen Unternehmen nicht aufgeführt werden. Hinweise auf solche Mandate lassen sich dann finden, wenn diese Verwaltungsrätin oder dieser Verwaltungsrat auch in einer börsenkotierten Firma eine Organfunktion hat. Dann nämlich müssen weitere Interessenbindungen im Geschäftsbericht aufgeführt werden. Sonst gehört eher nobles Schweigen zu den Gepflogenheiten, einige angefragte Verwaltungsräte mit vielen Mandaten verspürten wenig Lust, namentlich Auskunft über ihre Tätigkeit zu geben. Allerdings: Off record sind manche Top-Verwaltungsräte durchaus gesprächig. Was dann unisono zu hören ist: Die Arbeit in den Verwaltungsräten ist anspruchsvoller und seriöser geworden, darum ist auch eine gewisse Professionalisierung zu beobachten. Die Geschichten von Verwaltungsräten, die zu Sitzungsbeginn das Couvert mit den Tagungsunterlagen aufreissen und sich dabei beim Vorsitzenden nach dem anschliessenden Menu erkundigen werden noch erzählt, doch es sind Stories «von früher». Wie auch diese: Ein routinierter Verwaltungsrat, der vorbereitet wirken wollte, wies immerhin seine Sekretärin an, das Couvert vorgängig zu öffnen und mit auf allen Seiten mit einem Leuchtstift ein paar Punkte zu markieren. Gute Leute sind gefragt Tempi passati, wie alle Gesprächspartner beteuern. Die Anforderungen an Verwaltungsräte verunmöglichen heute eine solch gemütliche Berufsauffassung. Dafür sind die guten LEADER | Nov./Dez. 2020

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Schwerpunkt Verwaltungsratslandschaft Ostschweiz

Leute umso mehr gefragt. Wer heute in einem Verwaltungsrat sitzt und einen guten Job macht, habe gute Chancen, bald in einem zweiten und dritten Gremium tätig zu sein, wird kolportiert. Insbesondere gute Frauen blieben nicht lange unentdeckt. «Wenn man mal im Fokus ist, kommen die Anfragen regelmässig», sagt ein erfahrener, langjähriger Verwaltungsrat. Allerdings reicht es nicht, geeignete Verwaltungsräte zu identifizieren, man muss sie auch noch für sich gewinnen können. «Es ist gar nicht so einfach, die jeweiligen Wunschkandidaten zu bekommen», beklagt sich ein Wirtschaftsmann, der gerade einen Verwaltungsrat ergänzen muss, «oft scheitert ein Engagement an der zeitlichen Verfügbarkeit der Kandidatin oder des Kandidaten.»

«Wenn man mal im Fokus ist, kommen die Anfragen regelmässig.» Im Gespräch werden die heute gängigen Lehrbuch-Anforderungen an die Zusammensetzung eines Verwaltungsrat bestätigt: Das Gremium soll möglichst divers sein und verschiedene Kompetenzen auf sich vereinigen. Die gelebte Erfahrung spielt dann bei der konkreten Auswahl oft eine entscheidende Rolle. Es brauche Leute, die «Leben in die Bude bringen» oder einmal «einen Stein ins Wasser werfen», es nütze nichts, wenn alle im Gremium die gleiche Meinung verträten. Dennoch dürfe man nicht «Querdenker mit Querschläger verwechseln». Auch nütze es nichts, wenn ein Verwaltungsrat nominell grosse Kompetenzen bündle, aber diese nicht zum Tragen kommen. «Wenn das einzige Alphatierli in der Runde der CEO ist, dann erfüllt der Verwaltungsrat seine Aufgabe nicht.» Sich trauen, etwas zu sagen Eine wesentliche Eigenschaft für einen fruchtbaren Wettstreit der Ideen im Verwaltungsrat: «Es braucht Leute, die sich auch trauen, etwas zu sagen», betont ein VielfachVerwaltungsrat. Dafür sei die Unabhängigkeit der jeweiligen Person wichtig – «und die ist dann gegeben, wenn die Gesprächspartner genau wissen, dass dies nicht dein einziges Mandat ist.» Gerade in Familien-AG werde die klare, unabhängige Meinung von externen Verwaltungsräten ausdrücklich eingefordert, ein Verwaltungsrat kann auch ein Vertrauter sein, der dem Inhaber nötigenfalls mal ins Gewissen redet. Und dafür eine Honorarnote schickt, getreu der Erkenntnis «schlechter Rat ist teuer, guter Rat ist kostbar.» Wenn die Mitglieder eines Verwaltungsrates jeweils auch in anderen Gremien sitzen, hätte dies weitere Vorteile, halten mehrere Multi-Verwaltungsräte fest: Man könne ähnliche Fragestellungen vergleichen. «Ein Problem im Zusammenhang mit Corona haben wir in Firma A so gelöst, diese Idee könnte auch für B eine Option sein», wird als Beispiel angeführt. «Fürs Homeoffice galten diese Vorgaben, wir LEADER | Nov./Dez. 2020

haben eine Hotline für Mitarbeiter eingerichtet, was sich als sehr wertvoll herausstellte, für die verbleibenden Funktionen vor Ort bleiben haben wir die Belegschaft in zwei redundante Equipen geteilt, die sich nie begegnen; das würde sich in diesem Fall auch anbieten … » Die Liste der Headhunter Während Funktionen in Geschäftsleitungen sehr oft ausgeschrieben werden, sind Stellenausschreibungen für Verwaltungsräte die absolute Seltenheit. Meistens setzen Unternehmen bei der Suche nach neuen Verwaltungsräten auf die Unerstützung von Headhuntern. Wer also je an die Spitze eines Unternehmens kommen möchte, muss vor allem einmal auf die Liste der Headhunter gelangen Die Dienste dieser Top-Personal-Vermittler werden in der Regel geschätzt. Während ein Verwaltungsrat zwar meint, die Listen der einschlägigen Häuser kenne man mit der Zeit, sagt ein anderer, er werde von den Vorschlägen oft angenehm überrascht. Die Professionalisierung in den KMU-Verwaltungsräten dient nicht zuletzt dem Schutz der Verwaltungsräte selbst. Immerhin werden in der Schweiz jährlich etwa 1500 Verantwortlichkeitsklagen gegen einen Verwaltungsrat angestrengt. Unter gewissen Voraussetzungen ist ein Verwaltungsrat persönlich haftbar, dann etwa, wenn er seinen Pflichten im Gremium nicht nachkommt und das Unternehmen oder die Aktionäre schädigt. Deshalb sind heutige Verwaltungsratssitzungen während der offiziellen Traktanden um einiges formalistischer geworden, wie ein alter Hase mit etwas Wehmut feststellt, und auch das gesellige Debriefing nach der VR-Sitzung laufe durchwegs «im gesitteten Rahmen» ab.

Meistens setzen Unternehmen bei der Suche nach neuen Verwaltungsräten auf Headhunter. Manche VR-Sitzungen sind inzwischen annähernd Fliessbandprodukte. Bei Schwestergesellschaften, etwa in einem Immobilien-Portefeuille eines Bauunternehmens, werden eine ganze Reihe von Aktiengesellschaften vom gleichen oder zumindest fast identischen Verwaltungsrat in kurzer Kadenz unter die Lupe genommen. «Da erübrigt es sich ja, jedes Mal von neuem über die Strategie zu diskutieren», sagt ein Verwaltungsrat, der solche Mandate hat. Wenn unterschiedliche Geschäftsleitungen involviert sind, müsse eine solche Sitzungs-Kaskade eben gut geplant werden.

Text: Philipp Landmark Bild: 123rf.com


Die Ostschweizer Top-Verwaltungsräte nach vertretenem Aktienkapital Kanton

Position innerhalb Kanton

Name

Wohnort

Summe von Aktienkapital

Anzahl Mandate

SG

1

Thomas Alois Fürer

Jona

2771705000

3

SG

2

Thomas Buess

Jona

822545640

5

SG

3

Franziska Anita Tschudi Sauber

Jona

765182491

8

SG

4

Gabriel Josef Kemmler

Zuzwil

708680000

2

SG

5

Urs Stephan Baumann

Wil

700000000

1

SG

6

Peter Meier

Wil

700000000

1

SG

7

Alfred Schaub

Montlingen

700000000

1

SG

8

Marc Steiger

Schmerikon

700000000

1

SG

9

Thomas August Gutzwiller

St.Gallen

656530240

13

SG

10

Hans Wey

St.Gallen

599493280

2

TG

1

Heinz Huber

Münsterlingen

900000000

1

TG

2

Jens Hauke

Kreuzlingen

700158700

2

TG

3

Gabriele gen. Gabi Grässli

Wilen b. Wil

700000000

1

TG

4

Markus Maag

Uttwil

700000000

1

TG

5

Patrick Weibel

Horn

700000000

1

TG

6

Dieter Reichelt

Alterswilen

622600000

8

TG

7

Roland Marcel Eberle

Weinfelden

420100000

20

TG

8

Walter Oberhänsli

Steckborn

298137160

3

TG

9

Marcel Ziwica

Berg

296949160

3

TG

10

Thomas Schneider

Tägerwilen

289739160

4

AI

1

Ueli Manser

Schwende

1625000000

1

AI

2

Ruth Maria Metzler-Arnold

Appenzell Steinegg

434589851

12

AI

3

Daniel Georg Gobbo

Berneck

249340000

16

AI

4

Hans Rudolf Ulmann

Gonten

227200000

3

AI

5

Max Müller

Appenzell

75267000

13

AI

6

Johannes Michael Burger

Berneck

51000000

3

AI

7

Karl Fässler-Enzler

Appenzell

41200000

7

AI

8

Roland Albert Waibel

Appenzell Meister.

38962800

1

AI

9

Jürg Spiess

Berneck

38840000

10

AI

10

Benno Mock-Manser

Appenzell Steinegg

37544000

28

AR

1

Stefan Erich Loacker

Speicher

964557491

4

AR

2

Hans Steingruber

Schwellbrunn

700000000

1

AR

3

Manuel Max Ammann

Niederteufen

479593280

2

AR

4

Claudia Gietz Viehweger

Herisau

479493280

1

AR

5

Peter Mettler

Niederteufen

293337732

16

AR

6

Barbara Tettenborn

Speicher

252600000

2

AR

7

Stefano Garbin

Trogen

230991700

6

AR

8

Andreas Martin Tischhauser

Teufen

227700000

4

AR

9

Adolf Biasotto

Urnäsch

225000000

2

AR

10

Peter Eisenhut

Teufen

203400000

5


Top-Verwaltungsräte nach Anzahl Mandaten Kanton

Position innerhalb Kanton

Name

Wohnort

Anzahl Mandate

SG

1

Oliver Müller

Rapperswil

199

SG

2

Lukas Frank

Wil

65

SG

3

Heinz Ellenberger

Weesen

49

SG

4

Martin Kuster

Widnau

46

SG

4

Adrian Rüesch

St.Gallen

46

SG

6

Kurt Schnider

Widnau

44

SG

7

Bruno Looser

Thal

38

SG

8

Werner Bollhalder

Mörschwil

37

SG

9

Walter Stiefel

St.Gallen

35

SG

10

Ivo Grundler

Wil

32

SG

11

Roland Dietsche

Kriessern

30

SG

11

Peter Muri

St.Gallen

30

SG

13

Patrick Stach

St.Gallen

28

SG

14

Mathias Oertli

St.Gallen

27

SG

14

Thomas Schmidheiny

Jona

27

SG

16

Urs Aegerter

Rapperswil

26

SG

16

Remo Bianchi

Bad Ragaz

26

SG

18

Christian Appert

Andwil

25

SG

18

Carlo Ciampi

Goldach

25

SG

20

Christof Huber

St.Gallen

24

TG

1

Wolfgang Maute

Müllheim Dorf

51

TG

2

Reinhard Suhner

Berlingen

45

TG

3

Rolf Städler

Arbon

35

TG

4

Andreas Gubser

Frauenfeld

30

TG

4

Martin Kull

Steckborn

30

TG

6

Benno Andermatt

Schönenberg

28

TG

7

Rinaldo Breitenmoser

Weinfelden

27

TG

8

Andreas Kohm

Horn

26

TG

8

Rebecca Kull

Steckborn

26

TG

10

Roger Jann

Rickenbach b. Wil

25

TG

11

Patrik Manser

Horn

24

TG

12

Roland Eberle

Weinfelden

23

TG

12

Michael Städeli

Freidorf TG

23

TG

14

Peter Bachmann

Stettfurt

21

TG

14

Rolf Spühler

Frauenfeld

21

TG

16

Cyrill Stadler

Arbon

20

TG

17

Peter Di Gallo

Uttwil

19

TG

17

Fridolin Luchsinger

Altnau

19

TG

19

André Messerli

Berg

18

TG

19

Roman Meyenberger

Lanterswil

18

TG

19

Markus Widmer

Gachnang

18


Top-Verwaltungsräte nach Anzahl Mandaten Kanton

Position innerhalb Kanton

Name

Wohnort

Anzahl Mandate

AI

1

Benno Mock

Appenzell Steinegg

30

AI

2

Guido Eigenmann

Appenzell Meistersrüte

22

AI

2

Emil Nisple

Appenzell

22

AI

4

Martin Oberle

Appenzell

21

AI

5

Josef Eugster

Appenzell

18

AI

6

Guido Eugster

Appenzell Meistersrüte

17

AI

6

Ruth Metzler

Appenzell

17

AI

8

Hans Büchler

Appenzell Meistersrüte

16

AI

8

Emanuel Geiger

Oberegg

16

AI

8

Daniel Gobbo

Berneck

16

AI

11

Andreas Mazenauer

Appenzell

15

AI

11

Lukas Metzler

Appenzell Meistersrüte

15

AI

13

Rolf Engler

Appenzell Steinegg

14

AI

13

Jürg Spiess

Berneck

14

AI

15

Arthur Löpfe

Appenzell Meistersrüte

13

AI

15

Max Müller

Appenzell

13

AI

17

Josef Manser

Appenzell

11

AI

17

Rudolf Müller

Appenzell

11

AI

17

Andreas Scherrer

Brülisau

11

AI

17

Henrique Schneider

Appenzell

11

AI

17

Christian Sieber

Berneck

11

AR

1

Clemens Ruckstuhl

Rehetobel

42

AR

2

Felix Ludwig

Herisau

41

AR

3

Erika Hillers

Heiden

28

AR

4

Victoria Beninger

Teufen

27

AR

5

Maria Giuliani

Teufen

22

AR

6

Raoul Egeli

Teufen

21

AR

6

Christoph Senti

Gais

21

AR

6

Marcel Walker

Stein AR

21

AR

9

Peter Kriemler

Trogen

20

AR

10

Marco Cellere

Herisau

19

AR

10

Hans Hofstetter

Rehetobel

19

AR

12

Peter Mettler

Niederteufen

17

AR

12

Peter Weigelt

Speicherschwendi

17

AR

14

David Ganz

Teufen

16

AR

14

Christian Huber

Trogen

16

AR

14

Florian Kamelger

Rehetobel

16

AR

14

Christian Zanettin

Speicher

16

AR

18

Andreas Bänziger

Rehetobel

15

AR

19

Jürg Boppart

Gais

14

AR

19

Konrad Hummler

Teufen

14

AR

19

Hans Jüstrich

Walzenhausen

14

AR

19

Marcel Küng

Rehetobel

14

AR

19

Werner Rechsteiner

Trogen

14

AR

19

Christoph Schäfli

Teufen

14


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Schwerpunkt Verwaltungsratslandschaft Ostschweiz

Ausserordentliche Situationen In Krisensituationen müssen Verwaltungsräte oft operative Funktionen übernehmen.

Die limitierende Grösse für Mehrfach-Verwaltungsräte ist die zeitliche Verfügbarkeit. Budgetiert ist der Aufwand für die Überwachung und Steuerung des Gesellschaftsgangs, der Verwaltungsrat verantwortet Finanzen, wichtige Personalien und die Strategie. Der Zeitbedarf für ein VR-Mandat kann aber in Krisensituationen sprunghaft ansteigen; das kann dann der Fall sein, wenn etwa der Hauptkunde wegfällt oder ein Personalproblem vorliegt, aber auch, wenn die Aufhebung des Euro-Mindestkurses die ganze Wirtschaft schockt oder eine Pandemie das Geschäftsleben lähmt. Auch nicht-operative Verwaltungsräte müssen sich dann intensiv mit ihrer Firma befassen, insbesondere die Verwaltungsratspräsidenten müssen mit Hochdruck Notfallszenarien entwickeln oder das Business-Modell umstellen. Zwei Verwaltungsratspräsidenten skizzieren hier solche Fälle, in denen ihre ursprüngliche Belastung um ein Mehrfaches anstieg. Firma hat keine Zukunft Im ersten Fall geriet eine Firma aus einer sehr arbeitsintensiven Branche mit über 100 Mitarbeitern in Schwierigkeiten, weil zwei wichtige Abnehmer durch Konkurse ausfielen und die Umsätze einbrachen. Der CEO stellte sich in dieser Situation als überfordert heraus und musste durch einen Interimsmanager ersetzt werden, der Verwaltungsrat diskutierte Szenarien und musste erkennen, dass die Firma keine Zukunft mehr hat: «Nun musste man nachholen, was bei der Strukturbereinigung nicht gemacht wurde.» Das Gremium entschied, die Firma zu schliessen, was zu einem «geordneter

Rückzug» über ein Jahr hinweg bis zur Liquidation führte. Der Verwaltungsratspräsident musste dies den Mitarbeitern kommunizieren – und gleichzeitig dafür sorgen, dass Schlüsselmitarbeiter bis zum Schluss an Bord bleiben. Massenentlassungen und Konsultationsverfahren mussten korrekt durchgeführt werden, Verhandlungen mit Gewerkschaften geführt und Sozialpläne erstellen werden, auch mit den Behörden wurde das Gespräch gesucht. «Für den Verwaltungsrat war das gut der zehnfache Aufwand als üblich. Aber ein Profi-VR kann sich entsprechend organisieren.» Operative Rolle übernehmen Im zweiten Fall wurde ein Verwaltungsratspräsident mit dem überraschenden Unfalltod des CEOs konfrontiert. «Da galt es, sofort alle Termine absagen, in die Firma zu eilen und die geschockte Belegschaft zu informieren.» Dann wurde eine Geschäftsleitungssitzung anberaumt, um die wichtigsten Fragen zu klären, der Verwaltungsratspräsident übernahm sofort die operative Rolle des CEO. Wenig später konnte ein Interimsmanager an Bord geholt werden, parallel dazu wurde mit dem Aktionariat und dem Verwaltungsrat die Nachfolge des CEO aufgegleist. Auch hier hatte sich die zeitliche Beanspruchung von einem Moment auf den anderen vervielfacht.

Text: Philipp Landmark Bild: 123rf.com

LEADER | Nov./Dez. 2020

21


«Die Zahl der Mandate ist nicht entscheidend» Der Thurgauer Wirtschaftsanwalt Peter Muri lenkt in mehreren Verwaltungsräten die Geschicke von Ostschweizer KMU mit. Wichtig sei, dass die zeitliche Verfügbarkeit für jedes Mandat sicher gestellt werden könne.


Schwerpunkt Verwaltungsratslandschaft Ostschweiz Peter Muri, Sie sind in ziemlich vielen Verwaltungsräten tätig. Sagt die Anzahl Verwaltungsratsmandate überhaupt etwas aus? Das kommt sehr auf die Mandate an. Wenn in einer Gruppe mehrere Firmen miteinander verbunden sind, entstehen oft zusammenhängende Mandate, bei denen es im Wesentlichen dieselben wirtschaftlichen Vorgänge zu überwachen gilt. Wenn jemand Verwaltungsrat in einer Muttergesellschaft ist, dann kann es vorkommen, dass er auch in den Tochtergesellschaften Mandate wahrnimmt. Hinter einer solchen Gruppe stehen dann immer die gleichen wirtschaftlich berechtigten Personen. Die Zahl der Mandate ist darum nicht entscheidend.

«Dann kommt die Erfahrung aus langjähriger Verwaltungsratstätigkeit zum Tragen.» Aber die Summe des vertretenen Kapitals. Auch die Kapitalgrösse ist nicht unbedingt entscheidend. Manchmal steckt auch hinter einem kleinen Nominalwert eine grosse wirtschaftliche Bedeutung. Die Kapitalgrösse ist auch trügerisch? Ja. Vor allem ältere Firmen können ein kleines Kapital haben, aber unterdessen kontinuierlich gewachsen sein. Ein bekanntes Beispiel war lange Zeit Roche mit einem Aktienkapital von 50 000 Franken – und einem Milliarden-Umsatz. Das Nominalkapital wurde inzwischen aber erhöht. Offensichtliche Kriterien sind also verfänglich. Welches wären denn die richtigen Kriterien? Die sind nicht immer so leicht ersichtlich … Man muss sich mit einem Unternehmen auseinandersetzen. Nehmen Sie ein Start-up, das kann noch sehr schwach finanziert sein oder auch kaum Umsatz aufweisen, steht aber gerade vor dem Abheben. Wie gross ist der Zeitaufwand für ein Mandat bzw. für die Mandate? Die Zahl der Mandate sagt darüber wenig aus. Schon ein, zwei Mandate können vorüberbegehend oder auch längerfristig zeitlich massiv belastend sein. Andere benötigen dagegen wesentlich weniger Zeit. Sie können das aber offenbar alles unterbringen? Ich weiss, dass ich die Verfügbarkeit sicher stellen kann und muss, auch kurzfristig. Ich plane in meiner Arbeit auch immer Reserven ein. Wie sind Sie zur Tätigkeit als Verwaltungsrat gekommen? Meine Anwaltspraxis war von Beginn weg sehr wirtschaftsnah. Mit der Zeit kennt man die Leute und die Themen. Ich weiss, wo die KMU der Schuh drückt. Parallel zu meiner Anwaltstätigkeit hielt ich Weiterbildungen in juristischen Fragen an Verwaltungsratsseminaren. So hatte ich immer mehr Entscheidungsträger kennengelernt und kam vor bald 30 Jahren zu meinen ersten Mandaten. Es folgte ein inten-

sives Learning by Doing. Ich habe auch aus der Praxis, von meinen Kunden, viel gelernt. Wie hat sich in den drei Jahrzehnten seither die Verwaltungsratstätigkeit verändert? Erst einmal die Gremien selbst, da sind heute mehr verschiedene Spezialisten vertreten. Dann das wirtschaftliche Umfeld: Durch die Globalisierung und die Öffnung der Märkte sind Prozesse schneller und der Wettbewerb härter geworden. Der Zugang internationaler Unternehmen in die Schweiz führt zu stetigem Innovationsdruck. Schweizer Firmen, auch KMU müssen neue Märkte erschliessen und internationalisieren. Der Verwaltungsrat muss laufend entscheiden, wo investiert werden soll, mit welchen Produkten welche Märkte erschlossen werden sollen. Die Verantwortung der Verwaltungsräte, die richtigen Entscheide zu treffen, ist gross. Alles ist schneller geworden? Vielleicht schneller, manchmal aber auch komplexer. Ich habe in all den Jahren kaum eine Firma erlebt, bei der wir nicht zumindest einmal gross gefordert waren. Trotz der Schnelligkeit ist es aber wichtig, die langfristigen Trends und Entwicklungen im Auge zu behalten. Im Moment dürften Sie überhaupt kein Mandat haben, das nicht herausfordernd ist. Klar, die Pandemie betrifft die ganze Wirtschaft, die einzelnen Firmen aber sehr unterschiedlich. Mancherorts sind aufgrund der Massnahmen gegen die Corona-Pandemie die Umsätze zum Teil weggebrochen. Oft gibt es Schwierigkeiten in der Lieferkette, ebenso in den Absatzkanälen. Aufgrund von Reisebeschränkungen können auch gewisse Abnahmen nicht gemacht und deshalb kann der geplante Umsatz nicht realisiert werden. Wirklich? Ein Fahrzeug, eine Maschine, kann vielleicht geliefert werden, wird aber nicht abgenommen? Ja, weil man vor Ort im Ausland dabei sein muss. Auch im Verkauf und Vertrieb muss man eine gewisse Kundennähe haben.

«Ich habe aus der Praxis, von meinen Kunden, gelernt.» Da muss es doch andere Wege geben? Wenn Reisen eingeschränkt werden, müssen wir andere Wege finden, um den Kundenkontakt aufrecht zu erhalten. Für die Abnahmen kommen nun zum Teil alternative Systeme wie Videounterstützung zur Anwendung. Routinierte Verwaltungsräte sagen ja, es sei ein Vorteil, wenn man in unterschiedlichsten Unternehmen ähnliche Probleme lösen müsse. Sicher hilft die Erfahrung aus anderen Unternehmungen, mit einer Einschränkung: Zur Verhinderung von Interessenkollisionen darf man in der gleichen Branche nur ein Mandat haben. Das macht es nötig, dass man sich in verschiedene Branchen hineindenken muss. Da hilft aber die Erfahrung aus Quervergleichen, oft sind es die gleichen Fragestellungen und die gleichen Prozesse. LEADER | Nov./Dez. 2020

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Schwerpunkt Verwaltungsratslandschaft Ostschweiz Sind Sie ein Allrounder, fühlen Sie sich in allen Branchen wohl? Ich sage immer: Ein Verwaltungsrat muss zuerst ein Generalist sein, er muss aber auch mindestens eine Spezialisierung wie Finanzen, IT, Marketing oder aber Branchenkenntnisse haben. Neben diesen Spezialisierungen braucht es aber auch Erfahrung in einer Führungsfunktion. Wie findet man die richtigen Leute für diese Aufgabe? Gerade jetzt suchen wir für ein Unternehmen einen neuen Verwaltungsrat. Darum haben wir eine Kompetenzenmatrix und, gestützt darauf, ein Suchprofil erstellt. Der nette Freund aus dem Rotary-Club steht also nicht mehr automatisch zuoberst auf der Liste. Das alleine als Qualifikation reicht sicher nicht. Aber: Ein nicht unwesentliches Element ist Vertrauen. Es hat bei einigen Mandaten von mir sicher mitgespielt, dass ich den Eigentümern des jeweiligen KMU nahestehe und deren Vertrauen habe. Das hat sich durch die langjährige Beziehung noch verstärkt. Wichtig ist, dass man sich auf einen Verwaltungsrat verlassen kann und auch darauf, dass er unabhängig seine Meinung äussert, auch wenn diese mal unbequem ist. In dem Verwaltungsrat, für den Sie nun suchen, haben Sie die Kompetenzen abgeklappert – und vermutlich festgestellt, dass Ihnen eine Frau fehlt und jemand, der oder die von Digitalisierung etwas versteht. Das ist in diesem Fall genau so. Es sind dies zwei Eigenschaften, die sehr gesucht sind. Plus vielleicht noch ehemalige CEOs, Leute mit ausgewiesener Führungserfahrung also. In dem jeweiligen Suchprofil wird dann beispielsweise auch das Alter noch definiert. Suchen Sie mithilfe von Externen, von Headhuntern? Ja, in vielen Fällen wollen wir jeweils eine neutrale, nach sachlichen Kriterien zusammengestellte Auswahl sehen. Sie haben eine ganze Reihe von Mandanten, und fast alle benötigen plötzlich sehr viel mehr Zeit als budgetiert. Wie schaffen Sie das? Ich kann meine Anwaltstätigkeit jederzeit zugunsten von Verwaltungsratsmandaten reduzieren. Auch kann ich verschiedene Tätigkeiten innerhalb der Kanzlei weitergeben, wir sind da sehr gut aufgestellt. Ich habe auch schon ganz bewusst Mandate abgegeben. Darum bin ich da recht flexibel. Das ist eine nötige Voraussetzung, weil, wie gesagt: Eigentlich jedes Unternehmen hat früher oder später seine Herausforderungen. Viele Unternehmen machen eine Phase durch, in der sehr viele Sitzungen stattfinden und eine sehr grosse Verfügbarkeit verlangt wird. Zum Glück nicht alle gleichzeitig. Ausser ... ... ausser bei systemischen Ereignissen wie dem Frankenschock oder jetzt der Corona-Pandemie. Ja, die Verfügbarkeit muss momentan grösser sein. Wie sehr dominiert die Pandemie Ihre Traktandenlisten? Corona war im Frühling eigentlich noch gut zu bewältigen mit den Massnahmen, die der Bund beschlossen hatte – Kurzarbeit, Liquiditätshilfen. Meines Erachtens kommen die eigentlichen Herausforderungen erst noch. LEADER | Nov./Dez. 2020

Woran machen Sie das fest? Es gibt vielerorts vorbehaltene Entschlüsse, die nicht nur Aufschwung bedeuten. Mir macht auch die Konsumentenstimmung Sorge – geht sie zurück, bleibt sie robust? Viele Unternehmen streichen jetzt Kosten raus, die Frage ist bloss: Wie viel ist richtig? Man muss ja auch bereit sein, wenn die Konjunktur wieder anzieht. Je nach Unternehmen fragen Verwaltungsräte nach den Lagerbeständen, den Lieferketten oder eben, ob die Abnahmen sicher gestellt werden können. Viele Fragen, die vorher nicht sonderlich relevant waren, werden durch Corona plötzlich akzentuiert.

«Die eigentliche Herausforderung kommt erst noch.» Wenn gerade mal keine Krise zu bewältigen ist: Was ist die wichtigste Aufgabe eines Verwaltungsrates? Es sind sicherlich zum einen die gesetzlich umschriebenen Aufgaben. Meines Erachtens ist es aber vor allem sehr wichtig, dass die Geschäftsleitung richtig besetzt wird. Dabei ist nicht nur der CEO wichtig, sondern auch das Zusammenwirken der GL insgesamt: Ist das ein Team, das auch Differenzen auf gute Art austragen kann? Die operative Leitung hat gegenüber dem Verwaltungsrat einen riesigen Informationsvorsprung. Die GL muss dem Verwaltungsrat Anträge so begründen können, dass er die Überlegungen und Anträge nachvollziehen kann. Strategische Entscheide haben oft auch eine grosse Tragweite. Wie trifft man einen Entscheid, wenn es darum geht, eine grosse Investition zu tätigen, die z. B. sogar nahe an den Umsatz des Unternehmens kommen kann? Eine strategische Fehlentscheidung kann einem Unternehmen das Genick brechen. Solche Entscheidungsprozesse müssen sauber aufgegleist werden. Es braucht eine ausreichende Informationsbasis, die Entscheidung muss unabhängig getroffen werden, auch müssen Alternativen geprüft und verschiedene Szenarien-Betrachtungen vorgenommen werden. Dieser Entscheidungsprozess muss verständlich dokumentiert werden – möglicherweise wird einmal basierend auf diesen Dokumenten von einem Richter die Verantwortlichkeit des Verwaltungsrates geklärt. Letztlich haften Sie für Ihr Tun und Ihr Lassen. Genau. Gilt die Formel noch: VR-Sitzung halber Tag, Vorbereitung halber Tag? Sicher braucht die Vorbereitung meistens so lange wie die Sitzung dauert – wenn man Branche und Betrieb schon kennt. Dazu gibt es zwischen den Sitzungen oft Telefonate oder Korrespondenz. Auch ist die Sitzungskadenz je nach Situation ganz unterschiedlich, manchmal ist es nötig, während einer gewissen Phase alle 14 Tage eine Sitzung zu machen. Darf man davon ausgehen, dass Ihre Entschädigungen mit der Kadenz der Sitzungen steigen? Ich habe praktisch bei allen Mandaten eine Jahrespauschale.


Schwerpunkt Verwaltungsratslandschaft Ostschweiz Und wenn es einmal mehr Arbeit gibt als angenommen, dann braucht es ja allenfalls mehr Sitzungen, weil es bei der Firma nicht gut läuft. Dann kann man nicht auch noch gleichzeitig die Entschädigung erhöhen. Sie sind zum Teil Verwaltungsrat in Familienunternehmen. Sind das die schwierigeren Geschichten? Es gibt verschiedene Spezialsituationen in der Tätigkeit eines Verwaltungsrats, eine davon ist ein zerstrittenes Aktionariat. Das muss nicht unbedingt eine Familie sein; es reicht, wenn es grosse Anteilseigner mit unterschiedlichen Interessen gibt. Dann muss man versuchen, diese Interessen auszutarieren. Und wie? Als externer Verwaltungsrat bin ich dem Unternehmen verpflichtet. Ich versuche also, im Interesse des Unternehmens zu handeln und dabei auch möglichst die verschiedenen Anspruchsgruppen zu berücksichtigen. Das ist eine der Aufgaben, die ich relativ oft antreffe. Dafür braucht es die juristische Kompetenz. Und Führung. Das Rechtliche alleine reicht nicht, sicher hilft da auch die Erfahrung. Es braucht Erfahrung, um eine Familie subtil zu führen? In Familien kommen oft zusätzlich emotionale Verstrickungen dazu. Manchmal auch der falsche Glaube an die Fähigkeiten eines Familienmitglieds – und die späte Erkenntnis, dass man sich diesbezüglich getäuscht hat.

Mit Ihren unterschiedlichen Mandaten müssten Sie einen guten Überblick über die hiesige Wirtschaft haben. Wie schlägt sich die Ostschweiz? Wie immer: Die Ostschweizer Wirtschaft wird gerne unterschätzt. Wir haben hier auf allen Positionen im Grossen und Ganzen sehr gute Leute. Es ist aber auch wichtig und richtig, dass man sich nicht ausruht und sich neue Ziele setzt. Die ITBildungsoffensive im Kanton St.Gallen ist nur ein Beispiel, das in die richtige Richtung geht. Die Wirtschaft wächst hier vor allem in Bereichen wie Gesundheit und Bildung. Ja, es gibt ein Wachstum vor allem in staatsnahen, aber wichtigen Bereichen. Wir dürfen aber nicht alles in Staatshänden lassen. Alles, was die Privatwirtschaft leisten kann, sollte der Staat abgeben. Ihre Prognose? Ich bin kein Prophet. Ich bin für die unmittelbare Zukunft etwas skeptischer als andere. Die Ostschweiz ist recht baulastig, zumindest in den Bereichen Renovationen, Umnutzungen und Verdichtungen dürfte es weiter gut gehen, bei Neubauten, vor allem Wohnungsbau, ist die Luft wohl etwas draussen. Die in der Ostschweiz starke MEM-Industrie leidet natürlich ebenfalls unter Corona. Neben Verlierern gibt es aber auch viele Gewinner. Ich hoffe auch, dass es in der zweiten Hälfte des Jahres 2021 wieder gewisse Nachholeffekte gibt.

Nicht nur potenzielle Nachfolger sind ein Problem, oft kann die abtretende Generation nicht loslassen. Was kann man dann tun? Das ist eine häufige Erscheinung. Ich habe da sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht: Es gibt Unternehmer, die sehr gut loslassen können, und andere, die sich damit sehr schwertun. Man kann dann als alternative Lösung ein Fremdmanagement einsetzen. Die Familie beschränkt sich dann auf die Formulierung einer Eignerstrategie und allenfalls einer Familienverfassung. Oft als letzte Möglichkeit wird das Unternehmen verkauft. Wie gross muss die Schnittmenge der Eignerstrategie und der Unternehmensstrategie sein? Die Familie wird ja primär noch finanzielle Ziele haben. Meistens beschränkt sich die Familie auf finanzielle Vorgaben, die Wahl der Organe und Hinweise zur Ausrichtung, wie ethische, übergeordnete Ziele oder zum Beispiel Nachhaltigkeit. Die Unternehmensstrategie muss sich selbstverständlich danach richten. Ein häufiges Merkmal bei Familienunternehmen ist der Wunsch, sicherzustellen, dass die Firma langfristig im Eigentum der Familie bleibt. Dann geht die erbrechtliche Gestaltung mit einher. Eine Stiftung mit Nutzniessern? Das ist eine Möglichkeit. Oft werden eingeheiratete Familienmitglieder von der Nachfolge im Aktienbesitz ausgeschlossen. Dann gehen die Aktien nur im Stamm weiter. Es gibt diverse Gestaltungsvarianten. Es kann aber auch das Gegenteil eintreten, dass nämlich ein eingeheiratetes Familienmitglied die Firma übernimmt.

Peter Muri ist Spezialist für Gesellschafts-, Wirtschafts- sowie Erbrecht und führt eine Anwaltskanzlei in Weinfelden. Er ist unter anderem Verwaltungsrat bei Aebi Schmidt-Gruppe, Gerlinger Industries AG, Dr. Ulrich Knapp AG, KMU Personal AG, polygal ag, Rausch Kreuzlingen AG, SwissChem AG, TLF Fischer Spedition AG, KIFA AG, SUN Bürglen AG, Arbenz + Partner AG Risk Service etc. Bis 2019 war er Vorstandsmitglied der Industrie- und Handelskammer Thurgau. Text: Philipp Landmark Bilder: Marlies Thurnheer

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Profil

25 Jahre Unternehmertum Es gibt immer eine Lösung! Das war und ist das Motto von Andreas Wawrla, der vor 25 Jahren den Schritt ins Unternehmertum wagte. Inzwischen macht die aufgebaute Unternehmensgruppe jährlich über 130 Millionen Franken Umsatz.

Vor 25 Jahren war «Start-up» noch kein Begriff. Insofern erweckte Andreas Wawrlas Entscheidung im persönlichen Umfeld grösseres Erstaunen: Eine erfolgreiche Berufskarriere mit besten Zukunftsaussichten auf Top-Management-Positionen mit 38 Jahren buchstäblich «an den Nagel zu hängen», um bei Null zu beginnen, war für viele schwer nachvollziehbar. Seine inzwischen aufgebaute, erfolgreiche Unternehmensgruppe mit einem stetig wachsenden Umsatz von derzeit mehr als 130 Millionen Franken und die damit verbundenen Beteiligungen sind das erfreuliche Ergebnis seiner Entscheidung.

Aus einem Start-up mit zwei Mitarbeitern entwickelten sich zwei erfolgreiche «Aquis»-Unternehmen. Ingenieur und Betriebswirtschafter In Vorarlberg als Sohn einer Architektenfamilie mit Schweizer Mutter aufgewachsen, absolvierte Andreas Wawrla die ETH in Zürich als Dipl. Ing. Maschinenbau. Im Anschluss an seine Assistententätigkeit in Zürich schloss er 1985 zusätzlich das Wirtschaftsstudium in St.Gallen als lic. oec. HSG ab.

Beide Studien finanzierte Wawrla mit Nebenjobs als Musiker, Skilehrer, wissenschaftlicher Assistent und Dozent sowie verschiedenen Praktika selbst. Je vier bis fünf Jahre wirkte Andreas Wawrla bei renommierten Unternehmen – so war Bühler in Uzwil sein erster Arbeitgeber und Balzers in Liechtenstein ein weiterer. 1994 veränderte eine Begegnung sein Leben: Auf der Suche nach einer neuen Herausforderung bot sich Wawrla die Möglichkeit, anhand einer unfertigen Vorentwicklung ein völlig neues Geschäft aufzubauen. Er war von der Idee überzeugt und legte gemeinsam mit einer Unternehmerfamilie aus Deutschland den Grundstein für Aquis. Aus anfänglich zwei Mitarbeitern ohne Umsatz entwickelten sich in der Schweiz zwei erfolgreiche «Aquis-Firmen» – die Aquis Wasser-Luft-Systeme und die Aquis Systems. Beide zählen heute in ihren Tätigkeitsbereichen zu führenden Unternehmen. Wasserfilter und -aufbereitung Aquis Wasser-Luft-Systeme, die ursprüngliche, 1995 gegründete Gesellschaft, entwickelt und produziert Wasserfilter für unterschiedliche Geräte und Wasserentnahmestellen. Mit cleveren und patentierten Lösungen werden störende Substanzen im Wasser entfernt oder gesundheitsfördernde gezielt zugeführt. Der grösste Anwendungsbereich sind Wasserfilter für Kaffee- und Teemaschinen. Diese Filter werden von führenden Geräteherstellern wie etwa Jura im Cobranding mit einer der eigenen Marken «Claris» oder «Claro Swiss» vermarktet. Ein weiterer Bereich ist die Wasseraufbereitung für normales Trinkwasser. Diese Lösungen kommen vor allem in Gegenden zum Einsatz, in denen kein wohlschmeckendes, gesundes Wasser am Wasserhahn zur Verfügung steht. Durch die Aufbereitung des Wassers vor Ort kann auf den Kauf von Flaschenwasser verzichtet werden. Damit entfallen Transport und Lagerung der Flaschen und vor allem der enorme umweltschädliche Plastikabfall. Die Produktion erfolgt hoch automatisiert am Standort in der Schweiz und aus logistischen Gründen teilweise an einem Standort in China. Sanitärtechnik und Multifunktionsarmaturen Im Jahre 2000 wurde die Aquis Systems als separates Unternehmen ausgegliedert, das sich ursprünglich vor allem auf die Entwicklung und Herstellung von innovativen elektronischen Lösungen im Bereich der Sanitärtechnik konzent-

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Profil

Andreas Wawrla:

Dankbar für 25 erfolgreiche Jahre. rierte. Viele berührungslose Wasserarmaturen in gewerblichöffentlichen Toiletten, die unter dem Namen von bekannten Unternehmen vermarktet werden, stammen aus dem Hause Aquis Systems. Als sogenannter OEM- (Original Equipment Manufacturer) Hersteller werden kundenspezifische Produkte mit und für diese Kunden an Standorten in der Schweiz, Österreich, Rumänien und China entwickelt und hergestellt. Das breite technologische Know-how wird inzwischen auch in anderen Anwendungsgebieten eingesetzt z. B. für Access Control, bei Heizungssystemen und neuerdings im Bereich «Conditioned Water»: Sogenannte Multifunktionsarmaturen ermöglichen, dass nicht nur normales Wasser fliesst, sondern auf Knopfdruck ausserdem kochend heisses, gekühltes oder bei Bedarf prickelndes Mineralwasser. Um diese Herausforderung zu bewältigen, bedarf es vielfältiger technischer Kompetenzen. Deshalb wurde kürzlich zur Verstärkung eine strategische Allianz mit einem holländischen Spezialisten im Bereich «kochendes Wasser» geschlossen: Aquis Systems übernimmt dessen bestehenden, erfolgreichen Geschäftsbereich und bindet diese Unternehmensgruppe in den Gesellschafterkreis mit ein. Gemeinsam will man im Bereich «Conditioned Water» ein führender Systemanbieter werden. Ein weiteres Unternehmen bietet moderne, ganzheitliche Ausrüstungen für sanitäre Einrichtungen im gewerblichen und öffentlichen Bereich. Dieses völlig eigen- und selbstständige Unternehmen mit Zentrale in Deutschland vermarktet seine Lösungen unter der Marke Conti+. Neben diesen Hauptunternehmen hält Andreas Wawrla mit seiner HoldingGesellschaft Fortuna Group in verschiedenen anderen Bereichen noch weitere Beteiligungen. Fokus auf Strategie und Start-ups Andreas Wawrlas hatte immer das Ziel, Werte zu schaffen. In der Vergangenheit erfolgte das mehrheitlich durch seinen intensiven persönlichen Einsatz in den operativen Bereichen der Unternehmen. Inzwischen werden diese Aufgaben Schritt für Schritt an das Management übergeben, auch bei Aquis Systems, wo er derzeit noch CEO ist. In Zukunft will sich Wawrla vorwiegend den Aufgaben als Verwaltungsrat und

strategischen Themen zur Weiterentwicklung der Unternehmensgruppe widmen. Parallel beschäftigt er sich mit Startups, um engagierte Jungunternehmer sowohl inhaltlich wie finanziell zu unterstützen.

Innovation, Wille und Einsatz gemeinsam mit einem starken Team waren und sind der Schlüssel zum Erfolg Alle Mitglieder der vierköpfigen Familie sind sehr aktiv. Seine Frau hat sich nicht nur der Kindererziehung gewidmet, sondern durch ihre Unterstützung im Finanz- und Personalbereich einen wesentlichen Beitrag zum Aufbau der Unternehmen geleistet. Beide Kinder haben inzwischen ihr ETHStudium erfolgreich abgeschlossen – die Tochter arbeitet als Architektin und der Sohn hat als Maschineningenieur mit Studienkollegen ein Start-up im Bereich Digitalisierung des Einkaufs gegründet. Arbeit als Geschenk Wenn man Andreas Wawrla fragt, warum er noch arbeitet, obwohl er doch gar nicht mehr müsste, so antwortet er lachend: «Arbeiten ist für mich keine Strafe – es hält den Geist aktiv und macht meistens Spass. Aber ich freue mich, wenn ich nach 25 Jahren die operativen Tätigkeiten noch stärker delegieren kann und neben strategischen Aufgaben etwas mehr Zeit habe, mit Familie und Freunden meine zahlreichen Hobbies, etwa unterschiedliche Sportarten und Reisen, auszuüben.» Als Resümee fasst Wawrla zusammen: «Ich bin sehr dankbar, dass sich die letzten 25 Jahre sowohl familiär als auch unternehmerisch so entwickelt haben. Ich hoffe, es gelingt mir auch zukünftig noch, wertvolle Beiträge in unterschiedlichen Bereichen zu leisten!» LEADER | Nov./Dez. 2020

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Der World-Wine-Web-Pionier Jan Martel übernahm mit 32 Jahren die Leitung von Martel AG in St.Gallen und führt seither das 144-jährige Familienunternehmen in fünfter Generation. Die Martel AG, mit aktuell drei Standorten und 45 Mitarbeitern, ist eine der ältesten Weinhandlungen der Schweiz. «Martel am Bahnhof» in der St.Galler Innenstadt zählt zu den schönsten Weinhandlungen der Ostschweiz; «Martel am Bellevue» in Zürich geht gar im Barguide 2020 als Top-Weinbar der Schweiz als Siegerin hervor. Doch wie geht es dem Weinhändler aktuell, mit Corona?

Jan Martel, anfangs Oktober haben die NZZ-BellevueLeser Ihren «Californio Syrah Hyde Vineyard 2013» zu ihrem Syrah-Favoriten gekürt. Wie hoch in der Gunst der Weinliebhaber liegen Syrah-Weine allgemein? Syrah ist eine der faszinierendsten Rotweinsorten der Welt. Winzer wie Jean-Louis Chave oder eben Hyde de Villaine erzeugen langlebige Spitzenweine mit Struktur und einmaliger Aromatik. Solche Weine sind bei Weinfreaks sehr beliebt. Obwohl sich Syrah in den letzten Jahren weltweit unter die fünf wichtigsten Sorten gemausert hat, erstaunt es, dass die Sorte von vielen Konsumenten immer noch nicht entdeckt wurde.

«Da die Onlineverkäufe fast explodierten, konnten wir den Verkaufsausfall in der Gastronomie nahezu kompensieren.» Und welche Rebsorte ist im Moment der absolute Renner? Pinot Noir aus dem Burgund und der Schweiz sowie Nebbiolo aus dem Piemont sind bestimmt die heissesten Anwärter, wenn es um Spezialitäten geht. Trotzdem bleiben Cabernet Sauvignon, Merlot, Tempranillo und Chardonnay die Spitzenreiter. Und davon welcher Wein? Das ist sehr unterschiedlich. Viele Konsumenten suchen eher die fülligen, mächtigen Weine aus heissen Regionen. Gleichzeitig stellen wir fest, dass auch immer mehr Personen auf der Suche nach Eleganz und eigenständigen Charakter sind. Und dann landet man zwangsläufig bei den grossen Burgundern. Sie waren Mitte der 1990er Jahre die erste Weinhandlung Europas, die einen Onlineshop implementiert hatte. Können Sie sich noch an die erste Bestellung erinnern? LEADER | Nov./Dez. 2020

Selbstverständlich! Das Internet war noch komplett unbekannt, als wir online gingen. Martel betrachtete das Projekt als Experiment. Wir hatten keine Erwartungen, und so waren wir sehr überrascht, als die ersten Bestellungen nicht aus der Schweiz, sondern von IT-Freaks aus Norwegen, Spanien und England eintrafen. Ihnen ging es nicht um das Produkt an sich, sondern viel mehr darum, zu erfahren, was da eigentlich passiert und ob auch ausgeliefert wird. Ein Jahr später, Google war noch nicht geboren, listete Yahoo als Marktleader für Internet-Recherchen erst 49 Wein-Webshops weltweit auf. Eine rührend winzige Anzahl aus heutiger Sicht. Wer nämlich heute bei Google «Wein Webshop» eintippt, erhält in 0.49 Sekunden ungefähr 760 000 Einträge. Was gab damals den Ausschlag, Ihre Weine auch online zu verkaufen? Von Verkaufen konnte noch keine Rede sein. Viel mehr handelte es sich um Neugier und Zufall. Mein Schwager war damals an der HSG tätig und suchte nach einem Produkt, das er in einem Online-Shop abbilden konnte. Seine Schwester und ich, heute sind wir verheiratet, vermittelten zur Weinhandlung. Onkel und Vater waren bereit für dieses Experiment, speziell da mein Onkel damals eine grosse ICT-Begeisterung hatte. Hat sich diese Strategie bewährt, sprich bestellen heute die Menschen ihre Weine vorzugsweise online? Mit Strategie hatte das damals wenig zu tun. Der Pioniergeist hat uns angesteckt und erst Jahre später entwickelten wir eine eigentliche Online-Strategie. Schrittweise wurde dieser Verkaufskanal professionalisiert und weiterentwickelt. Heute haben wir eine klare Strategie und arbeiten an der Zielerreichung. Und das hat sich sehr gelohnt, waren wir doch gerade in diesem Jahr mit Lockdown und anderen Einschränkungen bereit für das veränderte Einkaufsverhalten. Mittelfristig betrachten wir diesen Kanal als ausgezeichnet Ergänzung zu Ladenverkäufen, klassischen Papiermailings sowie Beratungen direkt beim Gastronomiekunden. Wir gehen davon


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Jan Martel:

Auf der Seite der Geniesser.

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Nachhaltige Kommunikation mit Haltung. Advery ist die Ostschweizer Kommunikationsagentur, die bewusst auf soziales Engagement und Nachhaltigkeit setzt. Als inklusiver Lehrbetrieb bilden wir rund 20 Lernende mit Handicaps als Grafiker, Mediamatiker und Fotofachleute aus. Werden auch Sie ein Leader, wenn es um gesellschaftliche Verantwortung geht. www.advery.ch

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Wirtschaft viele echte Weinliebhaber zu erreichen, verteilen wir die Weine in Kleinmengen und fokussieren uns auf Kunden, die die Weine für den eigenen Genuss kaufen möchten. Diese stellen Sie also nicht online? Online sind die Weine sichtbar, aber nicht bestellbar. Interessenten können uns ihre Wünsche angeben und wir versuchen, diese dann zu erfüllen. Die geschieht individuell und nicht nach dem Motto «first come first served».

aus, dass Weinliebhaber auch künftig an Degustationen und in unsere Ladengeschäfte kommen. Nur so können sie die Weine verkosten und das Einkaufserlebnis geniessen. Ich kann mir vorstellen, dass wegen Corona die Bestellungen aus der Gastronomie stark zurückgegangen sind. Haben private Käufe dieses Minus aufgewogen? Die Bestellungen aus der Gastronomie sind nicht nur stark zurückgegangen, sondern zeitweise gänzlich ausgeblieben. Da wir mehr als 50 Prozent unserer Weine schweizweit an Restaurants und Hotels liefern, war dies ein harter Schlag. Da half der plötzlich viel grössere Wunsch in der Bevölkerung nach Weinkonsum im Homeoffice natürlich sehr. Private Käufer haben dieses Jahr auch deutlich hochwertigere Weine eingekauft. Man wollte sich etwas gönnen. Und da zeitweise die Verkäufe über den Onlinekanal fast explodierten, konnten wir den Verkaufsausfall in der Gastronomie zu einem grossen Teil kompensieren.

«Weingenuss ist keine exakte Wissenschaft.» Wie sieht das Verhältnis Online-, Laden- und Prospektkauf bei Privaten heute aus – Sie setzen ja nach wie vor auch auf Postmailings? Wir sind überzeugt, dass es langfristig sehr wichtig ist, auf verschiedene Verkaufskanäle zu setzen. Damit können wir das Risiko besser verteilen. Der Fokus auf Online nimmt stetig zu und ist etwa für einen Viertel der Verkäufe an Privatkunden zuständig. Rund 70 Prozent verteilen sich auf Ladengeschäfte, klassische Papiermailings und direkte Kundenanfragen. Und im B-to-B-Bereich? Die Gastronomie, also die anderen 50 Prozent, bestellt über den Betreuer, per Email oder telefonisch. Immer mehr auch mit automatisierten Bestellformularen – abgestimmt auf die eigene Weinkarte. Bei vielen Weinen, etwa Bordeaux oder Burgunder, übersteigt die Nachfrage das Angebot deutlich. Wie teilen Sie Raritäten zu? Grundsätzlich möchten wir allen Interessenten solcher WeinPreziosen die Möglichkeit für einen Kauf bieten. Aufgrund der von Jahr zu Jahr steigenden Nachfrage nach diesen Raritäten ist das leider nicht immer möglich. Um möglichst

Mir wurde einst gesagt, dass ein guter Wein nicht mehr als 20 Franken kosten müsse. Stimmen Sie dieser Aussage zu? Es gibt viele gute Weine für weniger als 20 Franken. Diese bereiten uns allen viel Freude. Die Spitzenweine von den grossen Terroirs der Welt kosten aber zwangsläufig mehr, da nur schon die Bodenpreise Dimensionen angenommen haben wie an der Bahnhofstrasse in Zürich oder an der Fifth Avenue in New York. Gute Weine müssen somit nicht unter 20 Franken kosten, sie können aber. Hand aufs Herz: Kann ein Wein für 2000 Franken wirklich hundert Mal besser sein als einer für 20? Technisch betrachtet sicherlich nicht. Weingenuss ist aber auch keine exakte Wissenschaft. Nennen Sie mir die Masseinheit für Qualität? Hat ein Kunstwerk von Pablo Picasso für Sie zehn Millionen Franken mehr wert als ein Bild Ihrer fünfjährigen Tochter? Schlussendlich geht es um Angebot und Nachfrage. Weine in dieser Preisklasse bestechen mit grosser Eleganz, Tiefe, Spannung und Erhabenheit. Diese Weine können emotionale Momente kreieren. Magische Erlebnisse, die man ein Leben lang nicht mehr vergisst. Solche Schlüsselmomente im Leben haben ihren Preis. Wein wird zunehmend auch als Kapitalanlage genutzt. Das verknappt das Angebot für Geniesser zusätzlich, spielt Ihnen als Händler aber in die Hände. Auf welcher Seite stehen Sie? Wir sehen uns als Vermittler von Genuss und grosser Weinkultur. Wenn das Produkt von passionierter Arbeit eines Winzerjahres nicht seiner eigentlichen Bestimmung, sprich dem Trinken und Geniessen, zugeführt wird, dann bedauere ich das sehr. Somit stehen wir klar auf der Seite der Geniesser. Wir lieben unser Produkt zu sehr, um alles dem möglichen Gewinn unterzuordnen. Zum Schluss: Martel ist erstmals Sponsor des WTT Young Leader Awards, der am 8. Dezember über die Bühne gehen wird. Weshalb unterstützen Sie den Anlass? Ausserordentliche Leistungen von Studenten haben mich schon immer fasziniert und begeistert. Zudem haben auch wir solchen Projekten viel zu verdanken – Stichwort Online-Handel! Peter Müller hat es mit seinen Argumenten geschickt geschafft, uns von diesem Engagement zu überzeugen. Ich bin mit Freude dabei. Auch im Beirat. Und werden Sie ihn persönlich oder online verfolgen? Aufgrund der aktuellen Gesundheitskrise werde ich – wie alle anderen Gäste auch – den Anlass online verfolgen. Und dies selbstverständlich mit einem guten Glas Wein in der Hand. Text: Stephan Ziegler Bilder: Marlies Thurnheer

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Wirtschaft

Mitarbeiterbeteiligung 2.0 Insbesondere Start-ups tun sich manchmal schwer, Mitarbeiter am Unternehmenserfolg zu beteiligen – weil schlicht noch kein solcher erwirtschaftet werden konnte. Hier bieten sich «Phantom Stocks» an – anstelle echter Aktien wird eine virtuelle Beteiligung in Aussicht gestellt. Dieses Modell eignet sich auch für Unternehmen, die ihre Angestellten zwar am Erfolg beteiligen, ihnen aber (noch) keine Aktionärsstellung einräumen wollen. Rechtsanwalt Michael Kummer von der St.Galler Kanzlei Stach Rechtsanwälte kennt die Vorteile.

Michael Kummer: Verwässerung des Aktionariats ausschliessen.

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Wirtschaft Mit Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen können Unternehmen finanzielle Anreize schaffen, um Mitarbeiter zu motivieren, an das Unternehmen zu binden und zu unternehmerischem Denken anzuspornen. Insbesondere Start-ups stehen aufgrund ihrer in der Regel beschränkten Möglichkeit, marktkonforme Gehälter zu zahlen, vor der Herausforderung, qualifizierte Mitarbeiter zu rekrutieren. Gerade bei Start-ups können solche Programme als zusätzliche Entschädigung eingesetzt werden, um trotz geringen Gehältern und langen Arbeitszeiten qualifizierte Mitarbeiter zu finden. Solche Programme können einen wesentlichen Erfolgsfaktor nicht nur für mittel- und grosskapitalisierte Unternehmen, sondern insbesondere für Start-ups mit beschränkten finanziellen Mitteln darstellen. Was ist ein VSOP und was sind Phantom Stocks? Im Gegensatz zu klassischen Mitarbeiterbeteiligungen (Employee Stock Option Plan, «ESOP»), erhält der Mitarbeiter bei einem Virtual Stock Option Plan («VSOP») anstelle echter Aktien eine virtuelle Beteiligung am Aktienkapital, sog. Phantom Stocks. Dem Mitarbeiter wird vertraglich ein Anspruch auf eine Beteiligung am Unternehmenserfolg entsprechend einer fiktiven Eigenkapitalbeteiligung eingeräumt. Bei Phantom Stocks handelt es sich um eine rein schuldrechtliche Beteiligung, die wertmässig Aktien und damit eine anteilige Partizipation am Aktienkapital widerspiegelt. Sie stellen den Mitarbeiter vermögensrechtlich einem Aktionär gleich, ohne dass diesem eine Aktionärsstellung zukommt. Der Mitarbeiter erhält eine Anwartschaft auf eine Bargeldabfindung bei bestimmten Ereignissen, etwa einen anteiligen Anspruch auf den Jahresgewinn oder einen Exit-Erlös. Im VSOP werden Voraussetzungen, Umfang und Details der virtuellen Beteiligung wie Ausübungspreis, Ausübungs-, Halte- und Sperrfristen, Ansprüche auf Gewinnbeteiligung sowie der Fall eines Exits geregelt. Regelmässig erhält der Mitarbeiter nicht sämtliche Phantom Stocks auf einmal, sondern erst nach Ablauf einer bestimmten Zeitspanne (Cliff Period) und dann fortlaufend auf einen bestimmten Zeitraum verteilt (Vesting Period). Mit einer zeitlichen Staffelung kann sichergestellt werden, dass nur mittel- und langfristig für das Unternehmen tätige Mitarbeiter am Erfolg partizipieren. Zudem verpufft der Motivationseffekt nicht auf einmal, sondern es besteht eine fortwährende Motivation. Vor- und Nachteile von VSOPs und Phantom Stocks Mit VSOPs können Incentives geschaffen werden, da Mitarbeitern die Möglichkeit geboten wird, an der Wertschöpfung, an der sie mitgewirkt haben, zu partizipieren. Indem Mitarbeiter am Unternehmenserfolg teilhaben, werden sie motiviert, an das Unternehmen gebunden und zu unternehmerischem Denken ermutigt. VSOPs sind ein geeignetes Mittel, um den Gründern neben einem niedrigen Gehalt attraktive Konditionen zu bieten und um in einer frühen Entwicklungsphase des Unternehmens qualifizierte Mitarbeiter zu rekrutieren. Gerade bei Start-ups dienen VSOPs als attraktives Entschädigungsmodell bei einer risikobehafteten Unternehmensmentalität. Die Implementierung eines VSOP erfolgt – im Gegensatz zu ESOPs – schnell, unkompliziert und kostengünstig. Mit einem VSOP können die bei klassischen Programmen auftretenden Schwierigkeiten bei der Bereitstellung der Aktien vermieden werden. Verfügt ein Unternehmen nicht über eigene Aktien, müssen die im Rahmen eines ESOP auszugebenden

Aktien beschafft oder neu ausgegeben werden. Eine mit einem ESOP verbundene Kapitalerhöhung ist ein aufwendiges und kostspieliges Prozedere. Es entstehen Kosten für die Durchführung der Kapitalerhöhung, die notarielle Beurkundung, seitens der Bank sowie aufgrund der Eintragung im Handelsregister. Diese Kosten entfallen bei einem VSOP. Auf Erfolgsbeteiligung beschränkt Die Ausgabe echter Aktien an Mitarbeiter ist nicht selten für die Kapitalgeber uninteressant und mit Schwierigkeiten bei der Ausgestaltung der Konditionen verbunden. Denn der Mitarbeiter erhält sämtliche Aktionärsrechte und damit auch Einsicht in die Geschäftsbücher sowie ein Stimmrecht an der Generalversammlung. Gerade in überschaubaren Strukturen möchte man die Mitarbeiter auf die Beteiligung am Erfolg beschränken. Der grösste Vorteil von VSOPs liegt daher darin, dass die Mitarbeiter lediglich wirtschaftlich an der Entwicklung des Unternehmenswerts beteiligt werden, ohne dass ihnen Aktionärsrechte zukommen. Da bloss virtuelle Aktien ausgegeben werden, verändert sich auch die Aktionärsstruktur nicht und eine Verwässerung der Aktionäre ist ausgeschlossen.

Gerade in überschaubaren Strukturen möchte man die Mitarbeiter auf die Beteiligung am Erfolg beschränken. Phantom Stocks sind auch in steuerlicher Hinsicht vorteilhaft: Sie werden von der Eidg. Steuerverwaltung als «unechte Mitarbeiterbeteiligungen» qualifiziert, weil sie dem Mitarbeiter keine Rechte wie Stimm- und Dividendenrechte einräumen, weshalb sie bis zu ihrer Realisation als blosse Anwartschaften zu werten sind. Geldwerte Vorteile aus unechten Mitarbeiterbeteiligungen unterliegen der Einkommenssteuer und sind erst im Zeitpunkt ihres Zuflusses steuerbar (Art. 17c DBG). Im Falle eines Exit-Erlöses resultiert bei Phantom Stocks im Gegensatz zu echten Aktien kein steuerfreier privater Kapitalgewinn. Fazit Mitarbeiterbeteiligungsprogramme sind attraktiv sowohl für die Rekrutierung qualifizierter Mitarbeiter als auch deren langfristige Bindung an das Unternehmen. Phantom Stocks können über die Start-up-Phase hinaus eine interessante Möglichkeit der Incentivierung von Mitarbeitern sein. VSOP kommen in den unterschiedlichsten Ausgestaltungen vor und können an die Entwicklungsphase und die Bedürfnisse eines Unternehmens angepasst werden. Insgesamt profitieren der Arbeitgeber, indem er ein schnelles, unkompliziertes und kostengünstiges Mittel zur Mitarbeitermotivation und -bindung hat, der Mitarbeiter, indem er am Erfolg des Unternehmens beteiligt wird, und die Aktionäre, indem ihr Stimmrecht nicht verwässert wird.

Text: Michael Kummer Bild: Karin Tanner

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Wirtschaft

Tobias Wolf:

«Böse war uns niemand.»

Tobias «Tobi» Wolf ist im Rheintal aufgewachsen und stammt aus einer KMU-Unternehmerfamilie (WolfStoren). Seit seinem HSG-Studienabschluss 2013 arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am KMUHSG und forscht zu KMU-relevanten Themen. 2017 gründete er das mehrfach ausgezeichnete Start-up «OnlineDoctor». 2017 übergab Urs Fueglistaller, das «Gesicht» des Schweizer KMU-Tags, seine Funktion an Tobias Wolf. LEADER | Nov./Dez. 2020


Wirtschaft

KMU-Tag soll Live-Event bleiben Alles war vorbereitet für den 23. Oktober, die Rindsfilets «Stroganoff» bereits bestellt: Der Schweizer KMU-Tag ist seit Jahren das Flaggschiff des Instituts für Klein- und Mittelunternehmen der Universität St.Gallen und einer der grössten Anlässe seiner Art. Aufgrund der verschärften CovidMassnahmen des Bundesrates musste er jedoch kurzfristig abgesagt und um ein Jahr verschoben werden. Im Gespräch erklärt Gastgeber Tobias Wolf, was den Ausschlag für die Absage gab und was es aus seiner Sicht für die Zukunft des Prestige-Anlasses und grössere Veranstaltungen bedeutet.

Tobias Wolf, die verschärften Covid-Massnahmen erwischten das Organisationskomitees des KMU-Tages offensichtlich auf dem falschen Fuss ... Was waren die Hauptgründe, den Anlass kurzfristig abzusagen? Die Ansage aus Bern am Sonntagnachmittag vor dem KMUTag, dass wir die Besucher in Gruppen à je hundert Gäste hätten einteilen sollen. Die Vorgabe bis dahin war, dass es Gruppen à je dreihundert hätten sein sollen, und darauf waren wir vorbereitet, alles schön aufgeteilt in drei Gruppen, blau, gelb und rot; auch für das Mittagessen, die Pausen und den Apéro hatten wir ein Konzept. Die zwingende Einteilung in Hundertergruppen, die sich auf keinen Fall vermischen dürfen, war organisatorisch kurzfristig nicht zu stemmen. In unserem Konzept hätten wir jeden Gast mit einer RFID-Chip ausgerüstet, die das ortsgenaue Tracing gewährleistet hätte. Zudem hätten wir die Fläche im Veranstaltungssaal verdoppelt, um alle Abstände zwischen den Teilnehmern zu wahren. Aber es hat nicht sollen sein.

«Wir kamen zum Entschluss, dass wohl nur wenige KMU-ler Lust haben, einen Freitag lang in den Laptop zu schauen.» Hand aufs Herz: Wie lange haben Sie noch daran geglaubt, dass Sie den Grossanlass trotz Corona durchführen können? Die Organisatoren der «Fussballnacht», die traditionell am Samstag nach dem KMU-Tag stattfindet, haben schon im Mai entschieden, diese heuer abzusagen … Wir sind – nachdem wir im März schon drei Szenarios vorbereitet hatten – bewusst das unternehmerische Risiko eingegangen – wie das zur DNA von KMU-Organisationen gehört.

Und von Mitte September bis Mitte Oktober konnten Events wie der unsere stattfinden. Am Ende hatten wir terminlich einfach Pech bzw. waren eine Woche zu spät dran mit unserem traditionellen Termin: Wir haben tatsächlich bis zur bundesrätlichen Pressekonferenz am Sonntagnachmittag noch gebrannt dafür, dass wir’s «machen» können; die Tagungsdokumentationen waren vorbereitet und die knapp tausend Portionen Filet-Gulasch Stroganoff quasi schon in der Pfanne. Ein schöner Sonntag war das also wirklich nicht. Andere Veranstalter planten und planen ihre Veranstaltungen aufgrund der unsicheren Covid-Situation hybrid, also eine Mischform zwischen Teilnehmern vor Ort und via Livestream, so der WTT Young Leader Award, der im Dezember stattfindet. Hatten Sie sich das auch als Variante überlegt? Unseren Gästen haben wir auch für die Durchführung 2020 die Möglichkeit angeboten, lediglich digital am KMU-Tag teilzunehmen. Diese Option haben nur sehr wenige gebucht. Neben dem Inhalt auf der Bühne zählt bei Veranstaltungen wie dem Schweizer KMU-Tag am Ende halt doch das Sich-Treffen. Sich auszutauschen ist nach wie vor ein grosses Bedürfnis, und wir hätten es in den erwähnten HunderterGruppen nicht erfüllen können. Aber ja, wir hatten uns in einem Szenario tatsächlich überlegt, den KMU-Tag rein digital durchzuführen. Nach intensiver Diskussion kamen wir aber zum Entschluss, dass wohl nur wenige KMU-ler Lust haben, einen Freitag lang in den Laptop zu schauen. Mit über 800 Teilnehmern ist der KMU-Tag einer der grössten seiner Art. Wie gut lässt sich die Absage finanziell verschmerzen? Wir bleiben auf einem rechten Batzen Aufwand hocken. Einerseits haben wir die bereits geleisteten Aufwendungen unserer Lieferanten abgegolten, andererseits waren die von uns Organisatoren aufgewendeten Stunden nun leider auch LEADER | Nov./Dez. 2020

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Exklusiv in der Ostschweiz: Exklusiv der Tragen Ostschweiz: Uhren, dieinzum kommen. Uhren, die zum Tragen kommen.

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grossteils umsonst. Mit den Teilnehmern sind wir so verblieben, dass ihre Eintritte für die nächste Durchführung gültig bleiben. Wenn dann jemand nicht kann oder nicht will, dann sind wir selbstverständlich kulant, dafür sind wir bekannt. Gleiches gilt für die Sponsoren, ihr Engagement zieht sich nun über zwei Jahre. Unser Glück ist es, dass die allermeisten Beteiligten sehr langjährige Partner sind – wir alle haben das allergrösste Interesse daran, dass wir nächsten Jahr wieder in alter Frische vor Ort sind und uns mit einem Hammer-Anlass zurückmelden.

«Die Einteilung in Hundertergruppen, die sich auf keinen Fall vermischen dürfen, war kurzfristig nicht zu stemmen.» Und wie fielen die Reaktionen der Teilnehmer auf die Absage aus? Böse war uns niemand. Die meisten Reaktionen waren: «Schade, aber wir verstehen euren Entscheid.» Vielleicht war ja der eine oder die andere froh, wenn sie oder er durch die Absage unverhofft zu einem freien Freitag gekommen ist (lacht). Apropos nächstes Jahr: Was ist die grösste Herausforderung hinsichtlich der Planung des nächsten KMU-Tags – gibt es ein neues Konzept, vielleicht mit einem WorstCase-Szenario, falls uns Corona dann immer noch beschäftigen sollte? Soweit haben wir das noch nicht durchgedacht, ist vielleicht auch noch zu früh, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Und ehrlich gesagt haben wir im OK auch keine Lust, wieder über ein solches Worst-Case-Szenario nachzudenken – der Schock der Absage sitzt noch zu tief. Wir werden jedoch sicherlich bald den Mut und die Zuversicht wieder aufbauen, die wir bis am besagten Sonntagnachmittag hatten.

Werden dabei auch Hybrid-Varianten geprüft? Unser Hauptziel ist die Durchführung des KMU-Tags in seiner bisherigen grossen Form, mit Durchmischung der Gäste und Nähe zueinander. Irgendwann sollte das wieder gehen, und dann haben wir doppelt Freude daran. Mit anderen Worten: Nein, derzeit glauben wir nicht an hybride Formen.

Der Schweizer KMU-Tag vermittelt Impulse für KMU-Unternehmer, damit sie Trends und Themen der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklung kennen und nutzen, für Führungskräfte in KMU, damit sie den Wandel in ihrem Unternehmen aktiv mitgestalten, und für Mitarbeiter in verantwortungsvollen Funktionen, damit sie ihr mitunternehmerisches Denken und Handeln stärken. Dafür stehen neben den beiden Organisatoren, dem KMU-HSG (Schweizerisches Institut für Klein- und Mittelunternehmen an der Universität St.Gallen) und der alea iacta AG, auch die Mitglieder des Patronatskomitees: Urs Fueglistaller, Direktor KMU-HSG (Präsident), Christoph Mäder, Präsident Economiesuisse, Hans-Rudolf Früh, Ehrenpräsident des Schweizerischen Gewerbeverbandes, Jean-François Rime, Präsident Schweizerischer Gewerbeverband, Markus Bänziger, Direktor der IHK St.Gallen-Appenzell, Hans M. Richle, Ehrenpräsident des Kantonalen Gewerbeverbandes St.Gallen, und Andreas Hartmann, Präsident des Kantonalen Gewerbeverbandes St.Gallen. Der nächste Schweizer KMU-Tag findet am 22. Oktober 2021 statt.

Text: Tanja Millius Bilder: Marlies Thurnheer

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Wirtschaft

Auf dem Silbertablett serviert Seit 2016 vermittelt die Vermando AG Handwerker für Hauseigentümer. Im Oktober ist die WIR-Bank beim Herisauer PropTech-Start-up eingestiegen. Im LEADER sprechen die beiden Co-Founder und Co-CEO Claudius Habisreutinger und Paul Preiss über die digitale Transformation in der Immobilienbranche, die Ostschweiz und darüber, was die WIRPartnerschaft für Vermando bedeutet.

Claudius Habisreutinger, Paul Preiss, Ihr Unternehmen realisiert Angebote rund um die «digitale Transformation im Immobilienbereich». Was heisst das konkret? Habisreutinger: Wir schaffen und betreuen digitale Schnittstellen für Hauseigentümer und Handwerker. Zum einen vermitteln wir dafür über HausHeld.ch Handwerker für aktuelle Renovationsvorhaben. Dafür analysieren wir die Bedürfnisse der Anfrager mittels Bedarfsgeneratoren und stellen über unseren Matching-Algorithmus den Kontakt zu den richtigen Handwerkern her. Zum anderen geben wir digitale Hilfestellungen für die Gebäudeverwaltung für Einfamilienhausbesitzer über das Tool HausPilot.ch.

Mit «HausHeld.ch» wollen Sie Eigentümer und Handwerker zusammenbringen. Wie funktioniert das? Preiss: Unser Ziel ist es, unsere Angebote für den Nutzer so einfach wie möglich zu gestalten. Nach einer kurzen Eingabe der relevanten Eckdaten zum Renovationsvorhaben durch den Eigentümer auf unserem Portal meldet sich unser Serviceteam persönlich, um das Projekt im Detail zu besprechen. Auf dieser Grundlage findet unser «Matching-Algorithmus» bis zu drei genau zu diesem Projekt passende, geprüfte Handwerker aus unserem Netzwerk, und wir stellen den Kontakt her. Seit 2016 konnten wir so schweizweit über 60 000 Vermittlungen tätigen.

Wie weit ist denn die Transformation im Immobilienbereich fortgeschritten? Preiss: Üblicherweise nimmt man wahr, dass die Baubranche bei der Digitalisierung ein bis zwei Schritte hinterherhinkt. Es gibt aber auch Bereiche – z. B. in der digitalen Bauplanung und -überwachung –, in denen modernste Lösungen bereits Mehrwerte schaffen. Im privaten Renovations- und Gebäudemanagement werden im Gegensatz dazu häufig noch Ordner mit unzähligen Papierstücken gesammelt. Im Notfall oder bei plötzlichem Renovationsbedarf hat man nicht sofort den richtigen Handwerker zur Hand. Das sind klassische Bereiche, in denen wir mithilfe der Digitalisierung klare Mehrwerte schaffen.

Habisreutinger: Der Eigentümer kann dann unterschiedliche Offerten vergleichen, und der Handwerker bekommt einen potenziellen Kunden «auf dem Silbertablett» serviert.

Sie sind mit der Vermando AG seit 2016 in Herisau. Warum gerade hier und nicht in Zürich? Habisreutinger: Nach meinem Studium bin ich wegen der Promotion an der Universität St.Gallen in die Ostschweiz gezogen und dort nach dem Abschluss und verschiedenen Tätigkeiten in der Gründerszene «hängengeblieben». Als wir 2016 die Vermando AG beschlossen hatten, konnte das Gründerteam auf eine bestehende Büroinfrastruktur in Herisau zurückgreifen. In der Ostschweiz haben wir ein sehr positives Umfeld für unser Start-up vorgefunden! Dies besteht vor allem aus der Nähe zur HSG und zur OST für passende Arbeitskräfte, aus einer hervorragenden Gründerszene dank dem Startfeld und einer guten Unterstützung durch die Standortförderung. LEADER | Nov./Dez. 2020

Was sind die Kriterien, um als Handwerksbetrieb aufgenommen zu werden? Preiss: Als Schweizer Qualitätsportal nehmen wir nur in der Schweiz niedergelassene Betriebe in unser Netzwerk auf. Diese müssen einen adäquaten Marktauftritt und einen positiven Leumund haben. Zudem kooperieren wir bezüglich der Bonität der Betriebe mit einem etablierten Unternehmen aus der Kreditwürdigkeitsprüfung. Wir arbeiten aktuell mit über 700 geprüften Handwerkspartnern aus der ganzen Schweiz zusammen. Und wer prüft die Betriebe? Preiss: Wir prüfen alle Betriebe intern durch unsere Partnerbetreuung. Eine weitere wichtige Säule ist das kontinuierliche Feedback durch die Eigentümer, welche die vermittelten Betriebe bewerten. Diese Rückmeldungen fliessen ebenfalls in die Vermittlung mit ein, und wir achten streng darauf, «schwarze Schafe» auszusortieren. Welchen Mehrwert habe ich, wenn ich Hausheld nutze? Habisreutinger: Mit HausHeld.ch sparen Sie sich als Eigentümer unnötige Such- und Recherchearbeit nach passenden Handwerkern. Wir analysieren mit wenigen Klicks Ihr Renovationsprojekt. Anschliessend filtern wir mit unserer Techno-


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Claudius Habisreutinger, Paul Preiss: Schweizweit über 60 000 Vermittlungen.

logie passende Handwerker für Sie heraus. Diese kontaktieren Sie kostenlos und unverbindlich und offerieren Ihnen das Bauprojekt. Da die Betriebe in einem Wettbewerb zueinanderstehen, erhalten Sie Offerten mit einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis. So haben Sie nicht nur gratis Vergleichsofferten, sondern sparen auch Zeit und Geld. Preiss: Und als Handwerker bekomme ich Zugang zu Neukunden, genau zu dem Zeitpunkt, wenn eine Renovation ansteht. Die Art und den Umfang der Anfragen kann ich jederzeit detailliert und flexibel steuern. Man bezahlt nur für geprüfte, aktuelle Anfragen – es gibt weder sonstige Gebühren noch fixe Vertragslaufzeiten. Unser Anspruch ist es, mit Qualität zu überzeugen und als verlässlicher Partner dem Handwerker dann ein lukratives Neugeschäft zu ermöglichen, wenn er es benötigt. Im Oktober wurde bekannt, dass sich die WIR-Bank an der Vermando AG beteiligt. Wie sieht diese Beteiligung aus? Habisreutinger: Die WIR-Bank hat sich im Zuge einer Kapitalerhöhung an uns beteiligt. Dadurch haben wir weitere finanzielle Mittel für das Umsetzen von Innovationen erhalten. Was bedeutet diese Beteiligung für Sie und Ihre Plattform? Habisreutinger: Sehr viel! Die WIR-Bank sehen wir nicht nur als reinen Geldgeber zum Umsetzen der geplanten Innovationen, sondern auch als Smartinvestor: Die WIR-Bank ver-

fügt über sehr ähnliche Kunden wie wir: Hauseigentümer und Handwerker. Hier können wir Synergien bei der Kundenansprache, bei der Entwicklung von gemeinsamen Schnittstellen und weiteren Produkte nutzen.

«Die Baubranche hinkt bei der Digitalisierung ein bis zwei Schritte hinterher.» Also sind neben Hausheld noch weitere Projekte in Planung? Preiss: Der HausPilot wird der Dreh- und Angelpunkt sein, um sein Eigenheim spielerisch digital zu verwalten und zur richtigen Zeit passende Dienstleistungen und Produkte zu finden. Wir arbeiten stetig daran, unseren Kunden neue Mehrwerte zu erschliessen, und weitere Innovationen sind in der Pipeline.

Text: Patrick Stämpfli Bild: Marlies Thurnheer

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Aufstrebendes «Portal zur Ostschweiz» Das «WirtschaftsPortalOst» konnte 2020 gleich drei Erfolge feiern: Erstens seinen ersten Geburtstag, zweitens gewann es unter anderem die Credit Suisse, das Startnetzwerk Thurgau, die Micarna und die Clienia Littenheid als Partner, und drittens konnte es im September trotz Corona zum ersten Mal eine Wirtschaftskonferenz durchführen. Standortförderer Robert Stadler erklärt im Gespräch, warum WPO so Gas gibt.

Robert Stadler, als das «WirtschaftsPortalOst» Ende Mai 2019 ins Leben gerufen wurde: Haben Sie mit der Entwicklung gerechnet, die der Verein inzwischen gemacht hat? Der Gründung des WirtschaftsPortalOst ist ein mehrjähriger Prozess vorausgegangen – immer unter Einbezug der Wirtschaft. Es wurde analysiert, welche Stärken und Schwächen die Arbeits- und Lebensregion rund um Wil hat und was es braucht, um sie im Standortwettbewerb zu positionieren. Beim Aufbau von WPO orientierten wir uns an ZugWest, einer ähnlichen Organisation, die seit über zehn Jahren erfolgreich unterwegs ist und die Wirtschaftsentwicklung entscheidend gefördert hat. Aufgrund dieser Erfahrungen waren wir überzeugt, dass auch WPO ein Erfolg wird. Entscheidend war die Überzeugung, dass eine Standortorganisation dann am besten funktioniert, wenn sie sowohl von der Politik als auch von der Wirtschaft mitgetragen und -geprägt wird. Denn die Region rund um Wil hat grosses Potenzial, verfügt über viele hervorragende Unternehmen und zum Beispiel durch das Standortentwicklungsprojekt Wil West auch über beste Zukunftsperspektiven. Es gilt aber, diese Stärken sichtbarer zu machen und die Kräfte zu bündeln.

zwischen Politik und Wirtschaft. Dies ermöglichen wir an Veranstaltungen, aber auch über digitale Kanäle, gemeinsame Projekte oder Medien- und Marketingmassnahmen. Veranstaltungen wie WPO-Impuls, bei der die beste Innovation gekürt wird, bietet den Teilnehmern eine Plattform und positioniert gleichzeitig unsere Region als innovativen und für Fachkräfte attraktiven Wirtschaftsstandort. Und unsere jährliche Wirtschaftskonferenz bringt die Gewerbe- und Arbeitgebervereinigungen kantonsübergreifend zusammen.

«Wil West ist auch eine wirksame Massnahme gegen die Zersiedelung.»

Es bleibt die Frage, weshalb es WPO überhaupt braucht? Schliesslich decken Ihr «Einzugsgebiet» – die Grossregion Wil – auch die Handelskammern St.Gallen-Appenzell und Thurgau ab. Das ist eine berechtigte Frage, die ich mir als ehemaliges IHKGeschäftsleitungsmitglied natürlich auch stellte. Zum einen verbindet WPO etwas, das durch die beiden IHKs, aber auch die kantonalen Gewerbeverbände geografisch getrennt wird: Die Region des WirtschaftsPortalOst umfasst 13 Thurgauer Gemeinden, die von der IHK Thurgau abgedeckt werden, und neun St.Galler Gemeinden, die im Kammergebiet der IHK St.Gallen-Appenzell liegen. Zum anderen sind die IHKs als kantonale Organisationen für ein deutlich grösseres Gebiet zuständig und können daher gar nicht die Interessen einzelner Regionen verfolgen und diese im Standortwettbewerb positionieren.

Wo und wie hat sich der Verein WPO in diesen anderthalb Jahren hauptsächlich engagiert? Angesichts der Rückmeldungen ist es uns offenbar bereits in kurzer Zeit gelungen, das WirtschaftsPortalOst als Standortmarke zu etablieren und auf die Stärken der Region aufmerksam zu machen. Mit WPO möchten wir verschiedene Grenzen überwinden: Kantons- oder Gemeindegrenzen genauso wie Hürden zwischen unterschiedlichen Branchen oder

Sehen Sie sich eher als Ergänzung oder eher als Konkurrenz zu den IHK? Als Ergänzung! Nehmen wir die Zukunftsagenda der beiden IHKs, an deren Entwicklung ich 2018 noch mitarbeitete: Deren Ziel ist es, dass die ganze Ostschweiz in Schlüsselprojekten an einem Strang zieht. Auch für unsere Region gehören wichtige Anliegen wie das Standortentwicklungsprojekt Wil West, die Stärkung des Bahnknoten Wil oder die Entwicklung von kompetenzorientierten Berufsfachschulen dazu.

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Wirtschaft

Robert Stadler:

Grenzen überwinden.

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Wirtschaft Zusammen mit den IHKs als starke kantonale Wirtschaftsverbände können wir als regional verankerte Organisation Entscheidendes beitragen, diesen Projekten zum Erfolg zu verhelfen. Gleichzeitig sagt die IHK-Zukunftsagenda aber auch, dass die Ostschweiz kein homogenes Gebilde ist, sondern aus sechs Teilgebieten besteht, die über unterschiedliche Alleinstellungsmerkmale verfügen und auch eigene Ziele verfolgen. Die WPO-Region entspricht weitgehend einer dieser sechs Teilregionen. Zielen Sie als Standortförderer eher auf bereits ansässige Firmen oder sehen Sie sich eher als «Katalysator» für Neuansiedlungen? Sowohl als auch, wobei die ansässigen Firmen zurzeit klar im Fokus stehen. Wir sind Ansprechpartner für Firmen, um ihnen Kontakte zu anderen Unternehmen und den Gemeinden zu vermitteln oder sie beispielsweise bei der Suche nach Gewerbeimmobilien zu unterstützen. Durch unser stetig wachsendes Mitgliedernetzwerk und der Ausbau unserer Aktivitäten werden die Stärken unserer Region aber automatisch auch ausserhalb stärker wahrgenommen – und wir für Neuansiedlungen interessanter.

«Wir spüren, dass das Regionale aufgrund der Krise wieder an Bedeutung gewinnt.» Was hat die Region Wil zu bieten, was andere Regionen nicht haben? Wir sind das Portal zur Ostschweiz. Lage und Verkehrsanbindung sind ein wesentlicher Pluspunkt: Wir befinden uns zentral zwischen den Wirtschaftszentren Zürich respektive Winterthur und St.Gallen, sind nahe am Flughafen und verkehrstechnisch hervorragend erschlossen. Zusammen mit den Kostenvorteilen bietet das einen interessanten Mix für Firmen, denen der Grossraum Zürich zu teuer wird. Eine weitere Stärke unserer Region ist die Aus- und Weiterbildung und die Verfügbarkeit guter Berufsleute. Die «Swiss Skills» haben dies gerade wieder bewiesen: Unsere jungen Berufsleute schnitten überdurchschnittlich gut ab. Bei den Konstrukteuren absolvierten sogar alle drei Bestplatzierten ihre Lehre in unserer Region. Ein Jahrhundertprojekt für die Region Wil dürfte das Wirtschaftsgebiet Wil West mit dem neuen Autobahnanschluss, zusätzlichen Bahnhaltestellen und der Netzergänzung Nord werden. Wie realistisch sehen Sie deren Realisierung unter dem heute herrschenden rot-grünen Zeitgeist, der neue Strassen vehement bekämpft? Alle Projektbeteiligten, die beiden Kantone St.Gallen und Thurgau sowie die 22 Mitgliedergemeinden der Regio Wil, sind überzeugt, dass die Vorteile dieser Infrastrukturbauten überwiegen. Wir denken da an den direkten Anschluss des Wirtschaftsgebiets Wil West an die Autobahn, an die neuen Velo- und Fusswege oder an die dringend notwendige Entlastung der Stadt Wil vom Durchgangsverkehr. Selbst grüne Kreise bestätigen uns, dass die Konzentration der Wirtschaft auf dem Areal Wil West Sinn ergibt, wenn man – wie unter den Kantonen und Gemeinden vereinbart – auf entsprechLEADER | Nov./Dez. 2020

ende Neueinzonungen von Bauland in den Gemeinden verzichtet. Wil West ist also auch eine wirksame Massnahme gegen die Zersiedelung. Für viele Investoren ist Wil West nach wie vor eine Randregion, daran ändert wohl auch eine bessere Verkehrserschliessung nicht viel. Trümpfe gibt es genug: ein Autobahnvollanschluss, zwei Bahnhaltestellen und Busanbindung sowie separate Velowege. Zudem bestechen die erwähnten Vorteile, welche die Region den Investoren anbieten kann. Neben einem vertretbaren Lohnniveau, angemessenen Steuern und wirtschaftsinteressierten Behörden finden die Beschäftigten Ausgleich und Erholung in der Region. Nahe gelegene Wohnquartiere, ein quirliges Stadtleben, gute Schulen, eine idyllische Landschaft und unzählige Vereine und Institutionen machen Wil West rundum interessant. Müsste man in diesem Zusammenhang nicht auch die Stadt Wil als Zentrum besser positionieren? Sie fristet ja eher ein Schattendasein neben St.Gallen. Wil wird tatsächlich unter Wert geschlagen. Dabei hat sie als drittgrösste Stadt im Kanton mit einer wunderschönen Altstadt und einer grossen Vielfalt an Geschäften viel zu bieten. St.Gallen-Bodensee-Tourismus hat dies erkannt und stärkt Wil als Ausflugsziel, gerade in Kombination mit St.Gallen und den geschichtlichen Verbindungen der beiden Städte. Es liegt auch im Interesse von WPO, dass Wil als klares Regionalzentrum gut positioniert ist. Wir stehen deshalb mit der städtischen Wirtschafts- und Standortförderung und mit WIL Shopping, der IG Obere Bahnhofstrasse, im Kontakt. Wie wirkt sich eigentlich Corona auf den Verein WPO aus – haben Sie mehr oder weniger Anmeldungen für eine Mitgliedschaft gezählt? Der Verein zählt bereits 250 Mitglieder und wir verzeichnen einen steten Zuwachs. Selbstverständlich ist Corona auch für uns eine Herausforderung. Aber mehr, weil die aktuelle Lage uns daran hindert, noch mehr Gas zu geben. So mussten wir unsere Anlässe WPO-Impuls und WPO-Unternehmeranlass aufgrund der Restriktionen kurzfristig verschieben. Nichtsdestotrotz sind wir mit der Mitgliederentwicklung sehr zufrieden. Interessanterweise sind während der acht Wochen Lockdown mehr Unternehmen beigetreten als in den acht Wochen zuvor. Wir spüren, dass das Regionale aufgrund der Krise wieder an Bedeutung gewinnt. Zum Schluss: Mit Bundesrätin Karin Keller-Sutter und Fussballlegende Christian Gross haben Sie die Messlatte für die WPO-Unternehmeranlässe-Gäste sehr hoch gelegt. Wer wird 2021 Gastreferent sein? Da haben wir uns tatsächlich ziemlich unter Druck gesetzt (lacht). Aufgrund der zweiten Welle mussten wir den WPO-Unternehmeranlass mit Christian Gross leider auf das nächste Jahr verschieben. Selbstverständlich werden wir uns auch in Zukunft bemühen, für unsere Mitglieder spannende Persönlichkeiten in die Region zu holen. Lassen Sie sich überraschen.

Text: Stephan Ziegler Bild: Marlies Thurnheer


Profil

Tina Frei, dank Outsourcing befreit von IT-Sorgen Seit die FREI connect AG den Betrieb der Informatik ausgelagert hat, haben die Mitarbeitenden nicht nur mehr Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben. Das gesamte Team von Mitinhaberin Tina Frei arbeitet entspannter. Team voll auf seine Arbeit konzentrieren. «Das ist eine echte Erleichterung», konstatiert Frei. «Wir müssen uns nicht auch noch um die Informatik kümmern und die Kosten kontrollieren.»

Seit sie den Betrieb der IT mit Smart ICT an Swisscom in eine energieeffiziente Cloud ausgelagert und modernisiert haben, können sich Tina Frei und ihre Mitarbeiter verstärkt auf ihre Arbeit konzentrieren. Quelle Foto von T.Frei: Boris Baldinger

Heute arbeitet Tina Frei im Homeoffice. Die Coronazeit hat auch die Arbeitsweise der Mitinhaberin der FREI connect AG verändert. Dank der Remote-Verbindung auf die geschäftlichen Anwendungen funktioniert Homeoffice technisch zwar einwandfrei. Aber als ausgeprägte Kommunikatorin und Netzwerkerin geht es der Unternehmerin so wie vielen im Homeoffice: «Der persönliche Kontakt zu den Mitarbeitenden und den Verbandskunden fehlt mir schon», gesteht sie ein. IT läuft, die Arbeit auch Mit dem Herbst hat die strengste Zeit bei der Geschäftsstelle für verschiedene Verbände begonnen. Budgetplanungen für 2021, Jahresabschlüsse und Vorbereitungen für Generalversammlungen stehen an. Die Führungscrew um Tina Frei und Michael Widmer kann sich auf die Unterstützung der Mitarbeitenden verlassen: «Es ziehen alle mit und machen Überstunden», sagt Frei. Umso beruhigender, dass sich das KMU in dieser intensiven Zeit auf die Informatik verlassen kann. Seit das Unternehmen die IT mit Smart ICT an Swisscom in eine energieeffiziente Cloud ausgelagert und modernisiert hat, kann sich das

Zeit und Geld gespart Die früheren IT-Probleme gingen auch ins Geld, sagt Frei: «Ein Ausfall kostet doppelt: die Lohnkosten laufen weiter, aber wir können die Stunden nicht verrechnen.» Da ist die heutige Situation doch viel angenehmer, wie die Unternehmerin feststellt: «Wenn die IT läuft, sind auch die Mitarbeitenden zufriedener.» Den Ausschlag für die Auslagerung gegeben hat das Support-Angebot, das ohne zusätzliche Kosten im Paket inbegriffen ist. «Mir graute es vor Warteschlaufen und unpersönlicher Betreuung am Telefon», sagt Frei. Anlaufschwierigkeiten gab es nur in der ersten Woche. Und so zeigt sich Tina Frei heute zufrieden: «Bei Smart ICT haben wir einen schnellen und persönlichen Support.» Ein weiterer Grund, weshalb Tina Frei so zufrieden wirkt: «Früher habe ich Überstunden für die IT gemacht und mich auch am Wochenende darum gekümmert.» Heute kann sie diese Zeit in die Arbeit und in ihre drei Kinder investieren – und die gewonnenen Stunden summieren sich, wie sie sagt: «Ich spare sicher drei Stunden pro Woche, seit wir die IT ausgelagert haben.»

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Wirtschaft

«Die Zusammenarbeit war schlicht grossartig» Am 9. Oktober 2020 hielt Prof. Dr. Leo Staub seine Abschiedsvorlesung am Weiterbildungszentrum der HSG. Er hatte den Bereich Law & Management der Executive School of Management, Technology and Law der HSG seit 2008 geleitet und massgeblich geprägt. Im LEADER-Interview blickt Staub zurück und verrät, was er nun mit seiner neu gewonnenen Freizeit anfängt.

Leo Staub, nach zwölf Jahren an der HSG gaben Sie Anfang Oktober Ihrem Abschied. Mit welchen Gefühlen hielten Sie diese Vorlesung? Es war ein Mix an Gefühlen: Natürlich Stolz und Befriedigung über das zusammen mit meinem Team Erreichte. Dann aber auch etwas Wehmut, weil die Zusammenarbeit mit meinen Kollegen meines Direktionsbereichs über all die Jahre schlicht grossartig war. Eine Prise «Leere» kam hinzu, galt es doch, den geliebten Unterricht in meinen Kursen aufzugeben und meine Studentinnen und Studenten und Doktorandinnen und Doktoranden langsam loszulassen. Und zu guter Letzt: Ich spürte auch eine grosse Vorfreude auf etwas mehr Zeit für meine anderen Aufgaben in verschiedenen Unternehmen und – dies vor allem – über mehr Zeit mit meinen Kindern und Enkeln, mit meiner Frau und mit unseren Freunden.

«Leider merke ich noch nicht sehr viel von den viel beschworenen Freuden des Ruhestands.» Sie sind Absolvent der Uni Zürich. Wie kam es, dass Sie schlussendlich an der HSG gelandet sind? Als es für mich darum ging, den Studienort zu wählen, war es Zeit, Stadtluft zu schnuppern. Zürich bot sich da an. Ich bin ja in Gossau aufgewachsen, das damals doch noch recht dörflich war. Sie sehen, meine Wahl für Zürich erfolgte nicht aufgrund akademischer Kriterien (lacht). St.Gallen wurde aber aktuell, als ich mich entschied, eine Weiterbildung in Unternehmensführung zu absolvieren. Das Ausland kam nicht mehr in Frage – ich war damals bereits Familienvater. Die Entscheidung für St.Gallen und den hiesigen Executive MBA stellte sich dann als absoluter Glückstreffer heraus. Ich durfte bei Persönlichkeiten wie Rolf Dubs, Martin Hilb, Franz Jaeger oder Manfred Timmermann lernen. Als junger Anwalt habe ich da gemerkt, wie wichtig es ist, etwas von Unternehmensführung zu verstehen, wenn man im Wirtschaftsrecht beraten will. Und dann war diese Weiterbildung natürlich auch LEADER | Nov./Dez. 2020

wegweisend für meinen akademischen Weg: Die Schnittstelle zwischen Recht und Management war damals noch überhaupt nicht ausgeleuchtet. Da tat sich für mich ein fantastisches Betätigungsfeld für meine Forschung und Lehre auf. Das hat dann auch die HSG erkannt und mich früh in den Lehrbetrieb eingebunden. Wie hat sich das Lehren und Lernen an der HSG in den vergangenen zwölf Jahren verändert? Na ja, es geht heute natürlich nichts mehr ohne technische Unterstützung. Der Zugriff auf Daten und Literatur geschah früher über meterweise Papier zwischen Kartondeckeln in der Bibliothek. Heute sind diese Informationen über ein paar Klicks im Internet zugänglich. Online-Unterricht via Zoom ist Alltag geworden. Aber damals wie heute ist Lehren und Lernen ein Ergebnis des guten Zusammenspiels zwischen Professoren einerseits sowie Studentinnen und Studenten andererseits. Klar, strukturiert, verständlich und praxisnah vermitteltes Wissen, die Diskussion darüber mit den Studentinnen und Studenten, ein offenes Ohr für Fragen und Anliegen, gegenseitiger Respekt und auf beiden Seiten eine gewisse Leidenschaft fürs Fach sind die Ingredienzen guten Lehrens und Lernens. Da hat sich nichts geändert. Und welches sind die persönlichen Highlights Ihrer HSGKarriere? Sicher die Begegnungen mit spannenden Menschen. Dazu gehört mein Team, das mir sehr ans Herz gewachsen ist. Dann aber natürlich auch die jungen Menschen, die in meinen Kursen engagiert mitgearbeitet haben. Und natürlich die Kolleginnen und Kollegen an der HSG und die vielen Bekanntschaften und Freundschaften, die ich mit Professorinnen und Professoren an anderen Universitäten im In- und Ausland knüpfen und mit denen ich hervorragend zusammenarbeiten durfte. Und die schwierigsten Momente? Schwierig war sicher die Wahl des Zeitpunkts für meine Emeritierung (Pensionierung) an der HSG. Ich habe ja schon vor drei Jahren angekündigt, dass ich Ende März 2020 mit 63 Jahren ausscheiden möchte. Das war dann ausgerechnet


Wirtschaft der Beginn des Corona-Lockdowns. Ich musste also meinen Nachfolger Bruno Mascello genau dann bitten, das Steuer zu übernehmen, als es richtig schwierig wurde. Das ist bitter, für ihn, aber natürlich auch für mich. Sie haben massgeblich dazu beigetragen, dass die HSG zahlreiche Partnerschaften mit Unternehmen und Universitäten eingehen konnte. Ich hatte zu Beginn meiner akademischen Karriere einfach Glück, dass mein Forschungsinteresse einem Gebiet galt, das zunehmend mehr Bedeutung erhielt, und zwar vorerst vor allem in den USA, in Australien und in Grossbritannien. Wenn ich also ein Fachgespräch über betriebswirtschaftliche Aspekte des Rechts führen wollte, musste ich mich mit Kolleginnen und Kollegen ausserhalb Kontinentaleuropas zusammentun. Gemeinsam hat dann ein Kreis von Professorinnen und Professoren, die überall auf der Welt verstreut sind, unser immer noch junges Forschungsgebiet aufgebaut. Wir durften an der HSG von Anfang an eine respektierte Stimme in diesem Kreis sein. Für die international stark vernetzte HSG bedeutete dies natürlich, dass sie global sichtbar geworden ist … … in einem zwar kleinen, aber zunehmend stark beachteten Forschungsgebiet, ja. Das hat neue Zugänge eröffnet, etwa zur University of Miami, zur Harvard University oder zur Indiana University in den USA, zur Oxford University in England oder zur Griffith University in Australien. Was die Kontakte zu Unternehmen betrifft, so lag das natürlich auf der Hand. Ich war ja immer nur im Teilzeitpensum an der HSG tätig. Die übrige Zeit widmete ich meiner Tätigkeit in verschiedenen Unternehmen. Ich finde es wichtig, dass an der Uni generiertes Wissen auch dem Tauglichkeitstest in der Praxis unterzogen wird. Umgekehrt haben mir meine Aktivitäten in und mit Unternehmen sehr geholfen, praxisnah zu unterrichten. Gibt es auch etwas, das Sie heute anders machen würden? Klar! Da sind die vielen kleinen Entscheidungen, die man trifft und von denen man bereits spätestens am Abend des gleichen Tages merkt, dass es bessere Varianten gegeben hätte. Wenn Sie aber die grossen Weichenstellungen ansprechen, dann kann ich mit viel Demut feststellen, dass ich sie richtig gemacht habe: in der Familie und im Beruf. Hinzu kamen Glück sowie die Unterstützung meiner Familie und meiner Kolleginnen und Kollegen an der Uni! Was machen Sie mit der neu gewonnen Zeit, die Sie nun haben? Sie spielen ja Bass, bleibt nun wieder mehr Zeit dafür? Leider merke ich noch nicht sehr viel von den viel beschworenen Freuden des Ruhestands. Ich unterrichte nach wie vor kleine Pensen hier an der HSG in der Weiterbildung, an der Universität Zürich und an der University of Miami. Zudem halten mich meine Aufgaben in den Verwaltungsräten einiger Unternehmen ordentlich auf Trab. Corona hat hier dazu beigetragen, dass ich an vielen Fronten gefordert bin. Aber ich bleibe zuversichtlich: Irgendwann wird sich schon etwas mehr Musse einstellen. Spätestens dann, wenn meine noch kleinen Enkel ihren Anteil an Qualitätszeit mit dem Opa stärker einfordern! Text: Patrick Stämpfli Bild: Marlies Thurnheer

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Profil

City-Garage mit Hyundai-Hauptvertretung Per 1. Januar 2021 übernimmt die City-Garage St.Gallen die Hauptvertretung der Automarke Hyundai für die Ostschweiz. Hyundai steht für attraktives Design, ausgezeichnete Qualität und grossen Fahrspass sowie für zukunftsweisende Ideen im Bereich alternativer Antriebe. «Genau richtig für die Ostschweiz», ist Gregor Bucher, Vorsitzender der City-Garage-Geschäftsleitung, überzeugt.

Gregor Bucher, Vorsitzender der City-Garage-Geschäftsleitung: Alle Hyundai-SUV sind auch mit Allrad erhältlich.

Neu ist die Zusammenarbeit zwischen der City-Garage und Hyundai nicht: Bereits seit 2016 führt der City-GarageStandort Goldach die Automarke, die seit 1991 Fahrzeuge in Europa verkauft und zu den weltweit Top-Fünf-Automobileherstellern zählt. Neu ist, dass Hyundai-Modelle nun auch am City-Garage-Hauptsitz in St.Gallen erhältlich sind, dem neuen Hauptvertreter für die Ostschweiz. Innovation und Marktführerschaft «Einer der Vorteile von Hyundai ist, dass die Automobile aus einem grossen, breit aufgestellten und weltweit tätigen Konzern kommen, der in verschiedensten Branchen tätig ist», sagt Gregor Bucher, Vorsitzender der City-GarageGeschäftsleitung. Die Hyundai Motor Group baut PKW, LKW und Schienenfahrzeuge, produziert Autoteile und Stahl und LEADER | Nov./Dez. 2020

ist in Logistik, Informationstechnologie, Banken, Versicherungen sowie Konstruktionen aktiv. «Das garantiert, dass Hyundai bei allen technologischen Entwicklungen immer vorne mitspielt und seine Fühler nahe am Markt hat.» Die City-Garage-Werkstatt wurde auf sämtliche Hyundai-Modelle geschult, das Ersatzteillager entsprechend vergrössert. Bucher sieht die Aufnahme von Hyundai ins Portfolio der City-Garage St.Gallen als ideale komplementäre Ergänzung des bestehenden Angebots: «Nun bieten wir fünf Marken – Renault, Dacia, Alpine, Hyundai und Porsche – unter einem Dach an», freut er sich. «Damit können wir buchstäblich jedes Kundenbedürfnis befriedigen.» Weiterhin angeboten werden als «City-Competence» auch Reparaturen und Service von Fahrzeugen aus dem Volkswagenkonzern – VW, Audi, Seat, Skoda.


Profil

Hyundai bietet sämtliche Antriebsarten an – Benziner, Diesel, Hybrid, Elektro und Wasserstoff.

Für den europäischen Markt entwickelt Die Produktpalette der Koreaner umfasst heute vom Kleinwagen bis zum grossen SUV acht Baureihen (i10, i20, i30, Ioniq, Kona, Tucson, Santa Fe, Nexo), die sämtliche Mobilitätsbedürfnisse befriedigen – und den europäischen Autogeschmack bedienen: Das Hyundai Motor Europe Technical Center agiert seit 2003 in Rüsselsheim DE. Die Fahrzeuge werden dort für den europäischen Markt entwickelt und konzipiert.

Die Produktpalette umfasst vom Kleinwagen bis zum grossen SUV acht Baureihen. «Mit der breiten Fahrzeugpalette, dem europäischen Design, der koreanischen Qualität, der technologischen Innovationsführerschaft und fünf Jahre Werksgarantie sind alle Hyundai-Modelle wie gemacht für die Schweiz», ist Gregor Bucher überzeugt. Üppig ausgestattet, auch mit modernsten Sicherheits- und Assistenzsystemen, bieten die Koreaner ein hervorragendes Preis-Leistungs-Verhältnis. Ein weiteres dickes Plus, gerade für die Ostschweiz: Alle drei SUV (Kona, Tucson, Santa Fe) sind auch mit Allrad erhältlich. Hyundai ist darüber hinaus einer der wenigen Hersteller, der sämtliche Antriebsarten anbietet – Benziner, Diesel, Hybrid, Elektro und Wasserstoff.

seit 2020 die erste Wasserstofftankstelle der Ostschweiz; weitere sollen bald in Frauenfeld und Chur folgen. Der Full-Size-SUV Hyundai Nexo hat eine Reichweite von 666 km und wurde von Grund auf als Wasserstoffzellenfahrzeug konzipiert. «Heute hat Hyundai in Europa schon über 500 Wasserstoffautos zugelassen – das sind mehr, als alle anderen Marken zusammen verkauft haben», weiss Bucher. Fast 500 km rein elektrisch Doch auch bei den Elektroantrieben spielt Hyundai ganz vorne mit: «Mit der Limousine Ioniq und dem Kompakt-SUV Kona stehen zwei vollelektrisierte Varianten bereit, die bis zu 480 km Reichweite ermöglichen und in unter einer Stunde wieder zu 80 Prozent aufgeladen werden können», fasst Gregor Bucher zusammen. Den Ioniq und den Kona gibt’s auch als Hybride, den Ioniq zusätzlich als Plug-in-Hybrid, bei denen die Akkus einerseits an der Steckdose, andererseits über den Verbrennungsmotor aufgeladen werden können. Hier beträgt die rein elektrische Reichweite rund 60 km. 13 vollelektrische Kona sind übrigens seit Mai 2019 bei der Kantonspolizei St.Gallen im Einsatz.

Die City-Garage AG an der Zürcher Strasse 511 in St.Gallen führt jetzt neben Renault, Dacia, Alpine und Porsche auch Hyundai.

Wasserstofffahrzeuge nur von Hyundai «Letzterer verbindet die Vorteile eines Elektroantriebs – lokal emissionsfreies Fahren – mit denen eines Verbrenners – schnelles Auftanken», so Gregor Bucher. Wasserstoffbetriebene Fahrzeuge erzeugen ihren Strom on board, können aber in fünf Minuten wieder aufgetankt werden und stossen als Abgase nur Wasserdampf aus. Die City-Garage ist für Service und Reparaturen von Wasserstofffahrzeugen eingerichtet. Das – noch – dünne Wasserstofftankstellennetz in der Schweiz ist für die Region St.Gallen kein Problem, betreibt doch die Avia Osterwalder AG an der Oberstrasse LEADER | Nov./Dez. 2020

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Wirtschaft

«Die Zukunft ist nicht weiblich, sondern divers» Helen Fricker hat per 1. November 2020 die Leitung des Departements Raiffeisenbank Services übernommen. Sie folgt auf Philippe Lienhard, der sich aus persönlichen Gründen entschieden hat, die Raiffeisen Schweiz zu verlassen. Mit Fricker zieht eine erfahrene Ostschweizerin in die Geschäftsleitung der Raiffeisenbank.

Seit 2011 ist sie in verschiedenen Funktionen tätig und war davor als Marktmanagerin für die Ostschweiz zuständig. Mit der 53-Jährigen erhöht sich der Frauenanteil in der Raiffeisen-Geschäftsleitung auf einen Viertel. Die Mutter von zwei Kindern hat mit dem LEADER über Frauenquoten, Zukunftsvisionen und Krisenresistenz gesprochen. Helen Fricker, Sie hatten am 1. November Ihren ersten Tag in der Raiffeisen-Geschäftsleitung. Wie haben Sie diesen erlebt: Im Home Office oder im Büro? Im Büro. Aufgrund der Pandemie befinden sich zwar die meisten Mitarbeiter im Home Office, aber mir war es wichtig, am ersten Tag als neues Mitglied der Geschäftsleitung für die wenigen, die im Büro anwesend sein müssen, physisch präsent zu sein. Sie sind ja schon seit bald zehn Jahren bei der Raiffeisen. Ursprünglich haben Sie als Primarlehrerin in Abtwil gearbeitet. Wie kam es zu dieser Neuausrichtung? Dass ich zwei Jahre in Abtwil unterrichtet habe, ist schon fast dreissig Jahre her. Danach habe ich Betriebs- und Organisationspsychologie am Institut für Angewandte Psychologie in Zürich studiert und den Executive MBA an der Universität St.Gallen absolviert. Seit 2011 bin in verschiedenen Funktionen bei Raiffeisen Schweiz tätig. Zuletzt verantwortete ich als Leiterin Bankenbetreuung die Strategieberatung und Vertriebsunterstützung für die Raiffeisenbanken. Vorher, als Marktmanagerin für die Ostschweiz, war ich Ansprechpartnerin in allen operativen und strategischen Fragestellungen der Bankführung. Bevor ich zu Raiffeisen gekommen bin, war ich beim Bankenberatungszentrum St.Gallen AG und bei der Zürcher Kantonalbank in der Managementberatung sowie der Personal- und Organisationsentwicklung tätig. Ich war immer wieder auf der Suche nach neuen Herausforderungen und Entwicklungsmöglichkeiten. Ich arbeite gerne mit Menschen und will Verantwortung übernehmen. Ausserdem ist es mir sehr wichtig, dass ich Gestaltungsspielraum habe. LEADER | Nov./Dez. 2020

Hatten Sie die Nachfolge von Philippe Lienhard schon länger im Visier? Nein, überhaupt nicht. Ich freue mich aber sehr über diese Möglichkeit und die Herausforderung. Sie waren als Marktmanagerin für die Ostschweiz zuständig und später als Leiterin Bankenbetreuung Ansprechpartnerin in allen operativen und strategischen Fragestellungen der Bankführung. Inwiefern nützt Ihnen die Erfahrung nun in der Geschäftsleitung? Auch in meiner neuen Position als Mitglied der Geschäftsleitung gehören strategische Themen zum Alltagsgeschäft. Ausserdem war es immer Teil meiner Arbeit, Problemstellungen zu erkennen und tragfähige Lösungen zu suchen und umzusetzen. Ich denke auch, dass es von Vorteil ist, dass ich die Anliegen der Raiffeisenbanken durch die Bankenbetreuung aus erster Hand kenne. Und welche Inputs wollen Sie vor allem in die GL tragen? Ich möchte auf jeden Fall die Perspektive der Banken in die Geschäftsleitung bringen. Das ist unter anderem bei der Umsetzung der neuen Raiffeisen-Gruppenstrategie besonders wichtig. Können Sie uns die Aufgaben des Departements Raiffeisenbank Services erläutern? Unsere Kunden sind die selbstständigen Raiffeisenbanken und Niederlassungen von Raiffeisen Schweiz. Wir sind Ansprechpartner in allen operativen und strategischen Fragestellungen und erbringen Marketingleistungen für die ganze Gruppe. Die persönliche Kundenbeziehung ist dabei – wie zwischen den Raiffeisenbanken und ihren Kunden – das Wichtigste. Vertrauen spielt auch hier eine zentrale Rolle. Darum ist Raiffeisen Schweiz auch in Lausanne und Bellinzona vertreten. Wir betreiben zudem ein Kundenservicecenter, in dem wir Dienstleistungen für die Kunden der Banken erbringen.


Wirtschaft Helen Fricker:

Aus erster Hand.

Trotz Corona-Krise ist die Raiffeisengruppe auf Erfolgskurs. Worauf führen Sie das zurück? Ich glaube, dass es Raiffeisen gelungen ist, nicht nur ihre volkswirtschaftliche Verantwortung wahrzunehmen, sondern auch in schwierigen Zeiten wie der Corona-Krise ein verlässlicher Partner zu sein. Viele KMU-Kunden haben sich positiv über die aktive Begleitung durch die Raiffeisenbanken geäussert. Gerade in schwierigen Zeiten sind diese Nähe und das individuelle Engagement für die Kunden sehr wichtig. So gut geht es nicht allen. Viele KMU stehen vor wirtschaftlichen Herausforderungen und konnten nur durch Überbrückungskredite liquid bleiben. Priorität hat für uns, ein verlässlicher Partner für unsere KMU zu sein. Raiffeisen hat durch ihre regionale und lokale Verankerung den grossen Vorteil der Kundennähe, das erlaubt rasche und individuelle Lösungen. Dabei geht es auf individueller Basis darum, die einzelnen Betriebe zu stabilisieren und Massnahmen für die Zukunft zu diskutieren. Ausserdem haben wir unsere Crowdfunding-Plattform lokalhelden.ch für KMU geöffnet, damit sie zusätzliche Unterstützung erhalten können. Sie sind die zweite Frau in der Geschäftsleitung der Raiffeisen. Haben es Frauen tendenziell schwerer in der Bankenwelt als Männer? Ich habe in meiner Laufbahn unterschiedliche Erfahrungen gemacht. In meiner Beratungsfunktion hatte ich nie das Gefühl, dass ich es schwerer als meine männlichen Kollegen habe. Spitzenpositionen bei Banken sind historisch gesehen hingegen eher eine Männerdomäne.

Was raten Sie Frauen da? Es ist wichtig, einen klaren Wertekompass zu haben und sich daran zu orientieren. Dieser ist nicht verhandelbar. Zudem sollte man seine Meinung und seine Anliegen klar äussern, auch wenn man Gefahr läuft, sich einmal unbeliebt zu machen. Wie hoch ist der Frauenanteil bei Raiffeisen insgesamt? Gut 50 Prozent, im Kader bei über einem Viertel. Da gibt es sicher noch Luft nach oben, aber wir sind auf einem guten Weg. Raiffeisen hat in den vergangenen Jahren viel unternommen, um Frauen in Kaderpositionen zu fördern. «Die Zukunft ist weiblich», heisst es in vielen Businesszeitschriften für Frauen. Sehen Sie das auch so? Für mich ist die Zukunft nicht weiblich, sondern divers. Das Ziel sollte eine ausgeglichene Organisation sein. Und last, but not least: Sind Sie für oder gegen Frauenquoten in grösseren Unternehmen? Eher dagegen. Für mich wäre es nicht attraktiv, wenn ich aufgrund einer Quote für eine Aufgabe ausgewählt würde. Auf der anderen Seite sind die erzielten Fortschritte in Bezug auf diversifizierte Führungsgremien eher überschaubar. Es ist wichtig, dass sich Unternehmungen diesbezüglich klare Ambitionen setzen – und diese dann auch verfolgen.

Text: Miryam Koc Bild: Marlies Thurnheer

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Wirtschaft

Raoul Egeli:

Sicherung der Liquidität als zentralste Aufgabe.

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Wirtschaft

Gefährlicher Dominoeffekt Raoul Egeli ist seit 2008 Präsident der Creditreform und seit 2014 Präsident von Creditreform International. Ausserdem führt er die St.Galler Egeli-Gruppe mit acht selbstständigen Unternehmen und rund 180 Mitarbeitern aus den Bereichen Treuhand, Credit- und Debitorenmanagement, Immobilien sowie Informatik. Im «Blick» prognostizierte der Gläubigerschutzspezialist und Buchautor schon Anfang Oktober eine Konkurswelle für November. Wie schlimm wird sie sein?

Raoul Egeli, wie und in welchem Ausmass kommt die von Ihnen befürchtete Konkurswelle im November tatsächlich – jetzt, wo die «zweite Welle» da ist und der Bund seine Massnahmen verschärft hat? Leider kommt die zweite Welle früher und intensiver als von vielen erwartet. Nun gilt es, unser alltägliches und berufliches Leben so einzuschränken, dass ein weiterer Lockdown vermieden werden kann. Das hilft den Unternehmen – aber leider nicht allen. Die Zunahme der Konkurse hängt stark von den Gläubigern ab, im speziellen von der öffentlichen Hand und von den staatsnahen Institutionen. Zudem sind die Massnahmen aus dem Insolvenzrecht am 20. Oktober ausgelaufen. Diese hatten es ermöglicht, dass Verwaltungsräte auf die gesetzlich geforderte Überschuldungsanzeige verzichten, wenn sie bis zum Jahresende aus den roten Zahlen herauskommen. Es gab auch Erleichterungen im Nachlassverfahren oder die Covid-19-Stundung. Letztere wurde aber fast gar nicht beansprucht. Diese Erleichterungen fallen nun weg, was auch zu mehr Konkursen führen wird.

«Die Bereitstellung von Geldern verhindert manche Konkurse nicht – sie zögert sie nur hinaus.» Gleichzeitig hat der Bund aber neues Geld für die gebeutelte Wirtschaft in Aussicht gestellt. Wird dieses die Konkurswelle abflachen können? Die zusätzlichen Kurzarbeitsentschädigungen, die der Bundesrat beschlossen hat, wird helfen. Sie sind zielführend, da sie direkt denjenigen zukommen, die Einbussen haben. Härtefälle müssen in einem klar vorgegebenen Rahmen auch abgefedert werden. Für Unternehmen, die schon vor der Pandemie Zahlungsprobleme hatten, bedeutet dies nur den «Tod

auf Raten». Es darf auch nicht vergessen werden: Schulden zu machen ist einfacher, als sie zurückzuzahlen. Das gilt auch für die Staatsschulden, an denen wir und wahrscheinlich auch unsere Nachkommen noch lange nagen werden. Die Bereitstellung von Geldern verhindert manche Konkurse nicht – sie zögert sie nur hinaus. Heisst das dann einfach: Aufgeschoben, aber nicht aufgehoben? Schon beim Lockdown im Sommer wurden Firmen so am Leben gehalten, die eigentlich zahlungsunfähig waren. Geld erhielt, wer per 31. Dezember 2010 nicht überschuldet war oder sich nicht in einer Nachlassstundung befand. Wer aber dannzumal schon in Zahlungsschwierigkeiten steckte, erhielt ungeachtet dessen den Covid-Kredit. Doch die Rückzahlung bleibt fraglich. Denn es ist nicht zu erwarten, dass nach einer Normalisierung der Wirtschaft einfach zusätzliche Umsätze erzielt werden können, um die Kredite zurückzuzahlen. Wie wird die Welle verlaufen, wie dramatisch wird sie sein – und wann zu Ende? Die Konkursstatistik von Creditreform zeigt für die Monate März bis Oktober im Vergleich zum Durchschnitt der drei Vorjahre einen Rückgang von über 600 Konkursen. Dieser Rückgang lässt sich nur mit Covid-19-Krediten erklären, die an nicht mehr überlebensfähige Firmen gegangen sind. Konkurse sind aber nur die Spitze des Eisberges: Damit ein Unternehmen in Konkurs geht, müssen entweder die Organe handeln oder aber die Gläubiger. Für den Gläubiger bedeutet dies, dass er das Konkursbegehren stellen muss. Nur ist dies nicht kostenlos. Der Kostenvorschuss beläuft sich für den Gläubiger schnell auf 3 000 bis 5 000 Franken. Das macht leider in den meisten Fällen keinen Sinn. Denn die Chancen, eine angemessene Konkursdividende als Drittklassgläubiger zu erhalten, ist äusserst gering; erfahrungsgemäss liegt diese unter fünf Prozent. LEADER | Nov./Dez. 2020

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Mit dem Kostenvorschuss riskiert der Gläubiger also, auch diesen noch abschreiben zu müssen. Genau. Damit bleibt, so betrüblich das ist, nur die Option, gleich auf eine Durchsetzung der Forderung zu verzichten. Der Konkurs des Schuldners wird damit aber nur hinausgeschoben. Es ist deshalb schwierig, eine exakte Prognose zu wagen. Die Konkurse werden aber sicherlich ansteigen. Spätestens wenn die staatlich garantierten Überbrückungskredite aufgebraucht sind, wird es nochmals eine Zunahme geben. Und solange wir alle mit Covid-19 zu kämpfen haben, ist ein Ende leider nicht abzusehen. Welche Folgen wird diese Konkurswelle für unsere Volkswirtschaft mittel- und längerfristig haben? An und für sich keine, denn Unternehmen, die nicht überlebensfähig sind, müssen verschwinden – es folgen ihnen in aller Regel bessere nach. Dies ist der normale Zyklus. Aus jeder Krise kann auch Neues entstehen, und möglicherweise kommt es auch zu einem Innovationsschub. Viele Firmen werden aus ihrer Not eine Tugend machen, davon bin ich überzeugt. Namentlich die Digitalisierung bietet grosse Chancen. Sorge bereiten mir aber die Schulden, die wir künftigen Generationen übergeben.

«Unternehmen, die nicht überlebensfähig sind, müssen verschwinden – es folgen ihnen in aller Regel bessere nach.» Welche Branchen werden besonders betroffen sein? Kurzfristig am stärksten trifft es sicher die Reisebranche, aber auch das Gastgewerbe hat schwer zu kämpfen. Nur gibt es hier grössere Unterschiede. So konnten beispielsweise Unternehmen in den Tourismusregionen in den Alpen, die für die Schweizer interessant waren, im Sommer und Herbst einiges aufholen. Gerade in Städten, die von Geschäfts- und Städtereisenden frequentiert werden und deshalb besonders auf ausländische Gäste angewiesen sind, kommt es aber LEADER | Nov./Dez. 2020

bereits zu ersten Konkursen oder Hotelschliessungen. Auch Unternehmen, die im Eventbereich sind, werden Mühe haben; ihr Überleben ist nicht gesichert. Hier können wir alle unseren Beitrag dazu leisten, indem wir in Zukunft, wenn es vorbei sein sollte, nicht gleich wieder in die Flieger sitzen oder das Geld zum Einkaufen ins Ausland tragen. Wir müssen uns bewusster werden, dass – wenn wir heimische Arbeitsplätze haben wollen, die unser Einkommen sichern – wir auch hier konsumieren müssen, auch wenn etwas im Ausland günstiger sein sollte. Mit wie vielen Konkursen pro Monat müssen wir auf dem Höhepunkt rechnen? Ich denke nicht, dass es einfach einen kurzen, hohen Peak geben wird. Die Konkurse werden über eine längere Zeit erhöht sein. Dies hängt davon ab, wann wir die Covid-19-Fallzahlen runterbringen und wir wieder in den Normalbetrieb übergehen können. Es bleibt zu hoffen, dass die dritte Welle wie erwartet schwächer ausfallen wird. Ich rechne damit, dass es sicher zu mehreren Hundert zusätzlichen Konkursen kommen wird, als ohne die Pandemie zu erwarten gewesen wären. Es könnten aber, je nach Verlauf, auch deutlich mehr werden. Aber wie gesagt: Die Konkurse sind nur die Spitze des Eisberges! Darf man, ketzerisch, auch von einer Art Flurbereinigung sprechen – oder trifft es nicht nur Firmen, die bereits vor Corona angeschlagen waren? Ich denke, das muss man sogar, zumindest bei jenen Firmen, die schon vor der Pandemie nicht mehr überlebensfähig waren. Nur dürfte es leider auch andere treffen … Es gibt ja den Grundsatz «Spare in der Zeit, so hast du in der Not». Aber mit einer solch globalen Krise konnte niemand rechnen. Wurden aber in den letzen Jahren zuviele Mittel aus dem Unternehmen entnommen, so fehlen diese jetzt. Es kann nicht erwartet werden, dass der Staat – und somit wir alle gemeinsam – für alles einstehen müssen. Die über 135 000 Kredite, die an KMU gegangen sind, waren kurzfristig notwendig, um die Umsatzeinbrüche aus dem ersten, überraschenden Lockdown zu überbrücken. Aber jetzt ist das Prinzip der Giesskanne nicht mehr angebracht. Denn die meisten Schweizer KMU waren vor der Pandemie gut bis sehr gut aufgestellt.


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Tägliche Flexibilität und Agilität Haben Sie beim Gläubigerverband Creditreform schon eine Zunahme der Anfragen nach Bonitätsauskünften festgestellt? Es kommt ganz auf die Branche an. Im Onlinegeschäft haben die Anfragen zugenommen. In anderen Bereichen sind sie aufgrund des tieferen Absatzes aber zurückgegangen. Und nach Inkassodienstleistungen? Hier ist die Situation ganz anders. Während des Lockdowns konnten die Privaten Geld sparen: Ferien fielen weg, man konnte nicht in den Ausgang usw. Es wurde gespart, und einige haben es genutzt, um Schulden abzubauen. Sorge bereiten mir aber die kommenden Verluste der Arbeitsplätze. Dies wird weitere Privatpersonen in arge Bedrängnis bringen. Die Konkurswelle wird auch Firmen mitreissen, denen es eigentlich gut ging, die aber aufgrund von Kundenkonkursen Geld verlieren werden. Was empfehlen Sie als Fachmann Unternehmen in der jetzigen Situation zu tun, um solche Szenarien möglichst zu vermeiden, gerade vielleicht, wenn man Klumpenrisiken unter den Kunden hat? Ja, das ist leider so. Dieser Dominoeffekt hat auch Auswirkungen auf Zulieferer usw. Die Sicherung der Liquidität ist für jedes Unternehmen die zentralste Aufgabe. Liquidität ist der Sauerstoff, ohne den es nicht geht. Jedes Unternehmen muss seine Kreditlimiten überprüfen und an die sich verändernde Bonität des Kunden ausrichten. Es muss sichergestellt werden, dass man selbst bezahlt wird. Das heisst: zeitnahe Rechnungstellung, stringentes Mahnwesen und die Forderung zeitnah ins Inkasso zu übergeben. Damit sichert man die eigene Überlebensfähigkeit.

«Es wird zu mehreren Hundert zusätzlichen Konkursen kommen, als ohne die Pandemie zu erwarten gewesen wären.»

Konkurswelle verschont die Ostschweiz – noch Im Oktober gibt es in einigen Regionen der Schweiz tatsächlich höhere Zahlen. Ostschweizer Konkursämter verzeichnen aber eher Rückgänge: Im Kanton St.Gallen gab es bis Ende Oktober 612 Firmen- und Privatkonkurse (2019: 649), im Thurgau 295 Firmenund Privatkonkurse (2019: 321).

Text: Stephan Ziegler Bilder: Marlies Thurnheer

Wie schön war es doch vor ein paar Monaten, als noch alles in geregelten Bahnen verlief und die Welt noch in Ordnung war! Derzeit ist alles wieder anders. Anders als im Frühling, anders als im letzten Jahr, anders als in den vergangenen Jahren. Gefragt sind allseitige Flexibilität und unternehmerische Agilität. Was heute gilt, kann morgen schon wieder infrage gestellt sein. So gestaltet sich der Alltag für viele Unternehmer. Ein Alltag, der kein Alltag ist, sondern eine täglich neue Herausforderung.

Wirtschaftskrise Wir alle sehnen uns nach Gesundheit, Normalität und einer gewissen Planungssicherheit. Doch diese Normalität wird so schnell nicht zurückkehren. Die gesundheitlichen Risiken werden weiter bestehen. Auch die wirtschaftliche Krise wird uns noch längere Zeit begleiten. Die betrieblichen Reserven sind vielerorts ausgedünnt, vermehrte Kurzarbeit, Entlassungen und Konkurse drohen. Auch hierbei ist allseitige Flexibilität und Agilität gefragt. Mut fassen und hoffen Auch den Jungen wird sehr viel abverlangt. Sie sind in einer «heilen Welt» aufgewachsen, konnten ihre Konsumwünsche jeweils weitgehend erfüllen und erlebten bisher keine tiefgreifende politische oder wirtschaftliche Krise. Für alle heisst es, Verzicht zu üben, das Beste aus der Situation zu machen und die Zukunft − trotz depressiver Stimmung − optimistisch anzugehen. Nicht aufgeben, Mut fassen und weiter hoffen, lautet das Motto! Eine «Übung» ohne Ende Im Raum steht die zentrale Frage: Wie lange noch? Wann ist der Spuk vorüber? Wann läuft wieder alles in den gewohnten Bahnen? Ich mag mich an zahlreiche militärische Übungen und Manöver erinnern. Dabei war eines immer klar: das Ende der Übung. Die derzeitige «Übung» hat leider ein offenes Ende. Wir wissen nicht, wann sie vorbei ist. Möge sie bald vorbei sein!

Dr. rer. publ. HSG Sven Bradke Wirtschafts- und Kommunikationsberater, Geschäftsführer Mediapolis AG in St.Gallen LEADER | Nov.|Dez. 2020


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Wirtschaft

Weltmarktführer und Krisenmeister Die Berlinger & Co. AG aus dem Toggenburg gewinnt im Oktober den Export Award 2020 von Switzerland Global Enterprise und setzt sich gegen die Sensirion AG aus Stäfa sowie die Storz Medical AG aus Tägerwilen durch.

Mitten im idyllischen Ganterschwil steht die Berlinger & Co. AG. Das Familienunternehmen hat vor 150 Jahren als erste Weberei in der Region gestartet und führt heute HightechProdukte der Temperaturüberwachung von Pharma- undMedizinalprodukten sowie zum sicheren Transport und der Aufbewahrung von Dopingproben im Spitzensport. Berlinger hat es geschafft, sich in diesem schwierigen Umfeld zu beweisen und mit einer bemerkenswerten Internationalisierungsstrategie sowie hervorragendem Risikomanagement Weltmarktführer zu werden. Für diese Internationalisierungsstrategie wurde das Unternehmen mit dem Export Award 2020 von Switzerland Global Enterprise ausgezeichnet. Wir haben Andrea Berlinger Schwyter, die das Familienunternehmen gemeinsam mit ihrem Mann Daniel SchwyterBerlinger in der sechsten Generation leitet, zum Interview getroffen.

«Wäre damals die Weberei nicht abgebrannt, dann gäbe es uns heute nicht.» Andrea Berlinger, Sie haben den Export Award 2020 gewonnen. Hätten Sie damit gerechnet? Nein, ich war sehr überrascht. Die Konkurrenz war sehr stark, und wir waren die kleinsten Teilnehmer. Umso mehr haben wir uns dann darüber gefreut – der Preis ist sehr speziell für uns. Weshalb? Weil wir es als Team geschafft haben, aus einer Krisenzeit wieder aufzustehen und weiterzumachen. So ein Preis motiviert unheimlich, gibt Kraft, weiterzumachen und nicht aufzugeben, wenn es mal schwierig wird. Das zeigt uns, dass sich harte Arbeit lohnt und immer Licht am Ende des Tunnels ist. LEADER | Nov./Dez. 2020

Johann Georg Berlinger legte vor 155 Jahren den Grundstein der Firmengeschichte, damals als Weberei. Heute stehen sie für innovative Technologie- und Handelsprodukte. Können Sie uns durch die wichtigsten Etappen der Berlinger & Co. AG führen? 1865 hätte wahrscheinlich niemand gedacht, dass wir heute für innovative Technologie- und Handelsprodukte sowie für international standardisierte Dopingkontrollsysteme stehen. In diesem Jahr wurde die erste mechanische Baumwollweberei der Region gegründet. 1902 war wohl das prägendste Ereignis unserer Firmengeschichte: Ein Grossbrand zerstörte die Weberei bis auf die Grundmauern. Aber so tragisch das auch war, so wichtig war dieses Ereignis für die restliche Entwicklung von Berlinger. Durch clevere Diversifikation gelang es Karl Egli sowie Liselotte und Jürg Berlinger, die Textilkrise zu überstehen. 1998 und 1999 wurde die Berlinger Special AG und Q-tag AG gegründet. Zehn Jahre später übernahmen mein Mann und ich das Unternehmen. 2014 wurde unser Büro- und Produktionsgebäude fertiggestellt und wir haben das Sotftware-Unternehmen Antaris Solutions B.V. aus Holland übernommen. Schon 2008 haben wir uns entschieden, dass wir uns langfristig auf Anti-Doping-Produkte und Temperaturüberwachungssysteme fokussieren möchten. Sie arbeiten bereits in der sechsten Generation des Familienunternehmens. War Ihnen schon immer klar, dass Sie ins Business einsteigen wollen? Ich habe zuerst in der Hotellerie gearbeitet; die Arbeit hat mir viel Freude gemacht. Irgendwann kam aber der Punkt, wo ich mich entscheiden musste, und zwar, ob ich ins Familiengeschäft einsteigen will. Schon als Jugendliche habe ich immer wieder im Betrieb gejobbt und so wusste ich, was mich erwartet. Dann habe ich vor bald dreissig Jahren beschlossen, einzusteigen. Es ist ein Privileg, wenn man die Werte des Unternehmens prägen kann. Und in einen Familienbetrieb investiert man automatisch mehr Herzblut.


Andrea Berlinger Schwyter:

Licht am Ende des Tunnels.


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Wirtschaft Gibt es auch Nachteile? Ja, man ist in einem Familienunternehmen weniger anonym. Aber das kann ja auch ein Vorteil sein. Sie haben sich strategisch auf zwei Geschäftsfelder ausgerichtet. Weshalb diese zwei? Es sind die profitabelsten Unternehmensfelder. Wir waren an einem Punkt, wo wir uns gesagt haben: Jetzt müssen wir uns fokussieren und spezialisieren. Die Zahlen haben für sich gesprochen, und so haben wir in diese beiden Nischenmärkte investiert. Sie wiesen das grösste Wachstumspotenzial auf.

wenn man super Produkte hat, aber die Mannschaft dahinter nicht motiviert ist. Auch zu den Lieferanten muss man ein gutes Verhältnis und gute Kommunikation pflegen. Erfolg ist ein Zusammenspiel aus vielen Faktoren. Sie pflegen die Beziehungen zu Ihren Kunden im «Berlinger-Stil». Wie sieht dieser aus? Uns ist es wichtig, dass wir Partnerschaften langfristig und sorgsam pflegen. Wir bauen auf nachhaltige Geschäfte und haben immer im Hinterkopf, wofür wir unsere Arbeit eigentlich machen. Das sind nämlich zwei wertvolle ethische Tätigkeiten: fairer Sport und Patientensicherheit.

«Wir wollen Hilfe bieten können, wenn ein Corona-Impfstoff auf den Markt kommt.»

In Ihre Produkte wird weltweit grosses Vertrauen gesetzt. Fühlt man sich mit dieser Verantwortung manchmal nicht etwas überfordert? Nein, das Vertrauen ist Teil des Erfolgserlebnisses. Mir war es immer wichtig, dass ich etwas mache, das über mein eigenes Wohl hinausgeht und einen Mehrwert bietet.

2018 war Berlinger im Zusammenhang mit der Olympia und manipulierbaren Dopingtest-Flaschen in den Schlagzeilen. Wie haben Sie diese Krise gemeistert? Es war eine herausfordernde Zeit. Plötzlich war unser Name in so vielen Medien! Da ist man im ersten Moment überfordert und bangt um das Unternehmen. Aber ich habe gelernt, dass man Situationen immer aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten soll. Wäre damals die Weberei nicht abgebrannt, dann gäbe es uns heute nicht. Alles passiert aus einem bestimmten Grund, und so haben wir alles daran gesetzt, dass unsere Produkte noch besser und Sicherheitslücken geschlossen werden. Eine Krise ist immer eine Chance, etwas besser zu machen oder gar Neues entstehen zu lassen.

Nun steht die Welt gerade Kopf. Wie hat sich die CoronaKrise auf Berlinger ausgewirkt? Der professionelle Sport ist im Stillstand. Das hat sich stark auf das Anti-Doping Geschäft ausgewirkt. Bei den Temperaturüberwachunssystemen hingegen sieht es anders aus: Impfstoffe sind ja sehr temperatursensibel, und dort kommt unsere Technologie in den Einsatz. Wir sind stolz darauf, Lieferant für die etabliertesten nationalen und internationalen Gesundheitsorganisationen zu sein. Wir haben jahrzehntelange Erfahrung in der Unterstützung der Integrität von Impfstoffen. Wir leiten zurzeit alles in die Wege, dass wir Hilfe bieten können, wenn ein Corona-Impfstoff auf den Markt kommt. Dafür haben wir eigens ein Covid-19-Gremium gegründet.

Das ist Ihnen gelungen. Sie sind noch immer weltweit führender Produzent von Dopingkontroll- und Temperaturüberwachungssystemen. Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis? Natürlich ist die gute Beziehung zu den Kunden sehr wichtig, aber auch jene im Team muss stimmen. Es bringt nichts,

Text: Miryam Koc Bild: Marlies Thurnheer

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Fokus Marketing

Hans Meli:

Online First.

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Fokus Marketing

«Form Follows Function» Mit seinem zehnköpfigen Team realisiert Hans Meli seit 2003 Internet- und Software-Projekte für regional, national und international tätige Unternehmen aus unterschiedlichsten Branchen. Der CEO der St.Galler Next AG weiss, wie erfolgreiche Webauftritte aussehen müssen.

Hans Meli, dass ich als Firma einen Webauftritt brauche, ist keine Frage mehr. Aber wie sieht ein professioneller Webauftritt heute aus, gibt es hier «goldene Regeln»? Fragen Sie sich zuerst, an wen Sie sich wenden wollen: Wer ist Ihre Zielgruppe? Das steht am Anfang aller Überlegungen: Bei allen Elementen der Webseite muss der Fokus auf den Bedürfnissen Ihrer Zielgruppe liegen, dann klappts! Dazu gehören sicher die Gestaltung, aber auch die Struktur und die Anwendungen und Applikationen der Webseite. Unser Credo ist hier klar: Form Follows Function! Benutzbarkeit kommt zuerst, dann darf und soll es optisch etwas hermachen. Als Zweites kommt die Frage nach dem Mehrwert: Eine Website ist nur dann erfolgreich, wenn sie konkreten Mehrwert stiftet. Also: Schaffen Sie Mehrwert! Dieser wird dann generiert, wenn man die Erwartungen der Zielgruppe an die eigene Website erfüllt. Um diese zu bestimmen muss man aber wissen, wer überhaupt die Besucher sind – und hier schliesst sich der Kreis. Und welche Sicherheitsanforderungen müssen Webseiten heutzutage erfüllen? Ein guter (Schweizer) Host deckt hier den grössten Teil ab. Dann muss die benutzte Software auf neuem oder besser neuestem Release gehalten werden – regelmässig. Wenn die Pflege gewährleistet ist, können die IT-Schutzziele «Vertraulichkeit», «Verfügbarkeit» und «Integrität» auch bei einer Webseite erreicht werden. Unterliegt das Design von Webseiten eigentlich auch Trends? Oh ja, Webdesign-Trends unterliegen ständiger Veränderung. Design-Trends sind auch Experimente und Ausreizung der aktuellen technischen Möglichkeiten. Diese scheinen heute endlos. Gleichzeitig sind einige Stile sehr langlebig und beliebt, wie beispielsweise der allseits präsente Minimalismus

oder farbenfrohe Flat-Illustrationen, die wir nun schon seit geraumer Zeit sehen. Die zur Verfügung stehende Bandbreite spielt dabei eine ganz entscheidende Rolle – heute ist der Datendurchsatz und damit die Geschwindigkeit von Seitenaufbau kaum mehr ein Thema. Können Sie einige Trends für das Webdesign im Jahr 2020 benennen? Gerne: Bewegtbild in allen Kombinationen – Animationen, 3D-Elemente, Filme. Dann der «Dark Mode» – alles dunkel gehalten – sowie seine beiden Gegenstücke: strahlende, leuchtende Farben mit Gradient oder ganz viel Weissraum und Farbfläche. Und: Fotografien und Grafiken werden heute gerne kombiniert. Und wo sehen Sie die Bedeutung eines Onlineauftritts heute im Marketingmix? Aus unserer Sicht erleben wir gerade den Übergang zu «Web-First-Prinzip» oder wie wir sagen: «Online First». Zuerst die Verfügbarkeit der Information im Internet, dann die Publikation auf Papier. Corona hat diesen Trend nochmals befeuert – das digitale Medium kommt zuerst. Die Webseite ist somit ein strategisches und damit entscheidendes Instrument der Marketing-Strategie und der Kern und die Basis jeder Online-Strategie. Dazu kommen zusätzlich die sozialen Medien, meist ausgehend von den Inhalten der Webseite. Als Beispiel diene der gute alte Newsletter – neu aufgelegt als «digitales Marketing». Bleiben wir kurz bei Social Media: Welche Plattformen sind B-to-B wichtig, welche kann man vernachlässigen? Bei B-to-B sollte man zwischen Dienstleistung, Handel und Industrie unterscheiden. Während Dienstleistung und Handel praktisch auf allen Social-Media-Plattformen präsent LEADER | Nov./Dez. 2020

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Fokus Marketing

sind, steht das bei der Industrie eher im Hintergrund. Jeder ist ja als Mensch in verschiedenen Rollen – mal ist er Konsument (also B-to-C), mal ist er in seiner Funktion z. B. als Einkäufer ein B-to-B Kunde. Es bleibt aber immer die Kommunikation zu und mit Menschen. So ist diese Unterscheidung gar nicht so entscheidend; es kommt eher auf das konkrete Produkt oder Angebot an.

«Eine Website ist nur dann erfolgreich, wenn sie konkreten Mehrwert stiftet.» Einer Ihrer Kunden ist Martel aus St.Gallen, die als erste Weinhandlung Europas online ging. Eignen sich Onlineshops nur für Konsumgüter oder auch für Dienstleistungen? Unbestritten für Konsumgüter – ausser bei Bekleidung wegen der aufwendigen Logistik und dem Retourenmanagement. Der Erfolg von Martel im Internet ist absolut beeindruckend: Hier verstärkt sich die Online-Welt mit der realen, mit den wunderschönen Standorten in St.Gallen und Zürich. Auch bei Martel ist das Credo «Online First!» zu spüren – klar auch Corona-bedingt. Als Vereinfachung der Kommunikation – etwa um Termine abzumachen – sind Teilfunktionen von Shops durchaus auch für Dienstleistungen nützlich. Eignet sich das Internet generell auch für Dienstleistungen? Hier liegt die Antwort auf der Hand: Banken, Versicherungen etc. etc. sind mehr und mehr «elektronisch» vorhanden und immer weniger in Form von Gebäuden und Schaltern. Dies wird sich in Zukunft weiter akzentuieren. Eine Knacknuss bei Onlineshops ist die Inkompatibilität von ERP-Systemen und Marketingmaterialien, sodass sich Letztere nur schwer für Onlineshops nutzen lassen. Was empfehlen Sie hier? Den Einsatz eines Systems zwischen dem ERP und dem Shop zur Anreicherung der vermissten Marketinginformationen – ein sogenanntes PIM (Produkt Information Management). Diese neue Erweiterung ist genau das bisher vermisste Puzzleteil und hilft sehr bei der Automatisierung und Pflege der Stammdaten. Seit zwei Jahren setzen wir dies für unsere Shopkunden ein und verzeichnen damit eine wesentliche Steigerung der Datenqualität. Die Pflege wird einfacher und damit viel eher erledigt. Einen professionellen Webauftritt zu haben, ist das eine, das andere ist, ihn aktuell zu halten. Was empfehlen Sie hier in Bezug auf Zeitaufwand und Technologie? Es gibt zwei Wege: Intern – durch Schulung der Mitarbeiter oder extern durch entsprechende Serviceverträge. In der Regel machen unsere Kunden einen Mix aus beidem, je nach Bedarf. Die meisten Kunden buchen bei uns einen Tag im Monat als Basisservice. Je nachdem kann es auch ein Vielfaches davon sein. LEADER | Nov./Dez. 2020

Und welche Bedeutung messen Sie SEA und SEO sowie der Pflege von Social Media zu? Hier ist zwischen SEA/SEO und Social Media zu differenzieren. Insbesondere SEO – die Struktur und Pflege der Suchbegriffe auf der Website selber – ist bei einer guten Internetfirma bei Abgabe des Werks die Visitenkarte, sozusagen das Handwerk. Die SEA-Arbeiten – Kampagnen, um zielgenau bei bestimmten Begriffen vom gewünschten Publikum gefunden zu werden – sind wiederum zu einem eigenen Spezialgebiet geworden mit entsprechenden Akteuren am Markt. Die Pflege von Social-Media-Kanälen dagegen ist reine und klassische Kommunikation – das Gebiet der Kommunikationsagenturen. Jetzt reicht ein «statischer» Webauftritt ja in vielen Fällen nicht; wem empfehlen Sie zusätzlich mobile Anwendungen, also Apps – oder reicht eine responsive Seite? Ein Webauftritt ist nicht per Definition statisch und eine App nicht per se dynamisch. Vielmehr sind das zwei Arten von Technologien im Internet – und jede hat ihre Berechtigung: Während der Webauftritt sehr gut zum Transport von Information und Image dienen kann, ist die App eher für die Abwicklung von spezifischen Anwendungen geeignet. Die beiden Technologien sind ausserdem nicht ohne das zugehörige Device – das Gerät – denk- und nutzbar. Apps finden auf Smartphones statt, Webseiten eher und mit Vorteil auf grösseren Bildschirmen. Hier ist die Grenze natürlich fliessend. Die optimale Anwendung kann man sich so vorstellen: Auf dem Flugplatz wird mit dem Smartphone ein Barcode gescannt und ein Foto dazu gemacht. Diese Daten werden an einen Webauftritt gesendet, der zur Darstellung, Aggregation und Abrechnung der Daten dient. Beide Welten optimal eingesetzt.

«Benutzbarkeit kommt zuerst, dann darf und soll es optisch etwas hermachen.» Zum Schluss: Gibt es eine Faustregel, nach der ein «fairer» Preis für eine Webseite kalkuliert werden kann? Sagen Sie mir den fairen Preis für ein Haus … Eine professionelle Webseite hat ihren Preis, ganz klar. Es arbeiten Spezialisten und Profis aus den verschiedenen Wissensgebieten Hand in Hand – und das über einige Wochen oder Monate. So ein Werk sollte nicht nur und in erster Linie durch die Kostenbrille betrachtet werden: Eine Webseite ist auf einige Jahre hinaus angelegt, ist immer mehr der erste Berührungspunkt mit der Firma und transportiert somit den ersten Eindruck. Das darf auch etwas wert sein.

Text: Stephan Ziegler Bild: zVg


Profil

Ein virtueller Appenzeller solls richten Anfang November hat die Appenzeller Druckerei den neuen Mitarbeiter Zomi Wohl neu im Team begrüsst. Seine Aufgabe ist es, Interessierten die Appenzeller Druckerei näher zu bringen. Dabei speziell: Bei seiner Führung durch das Unternehmen stehen nicht die Produkte und Leistungen der Druckerei im Vordergrund.

Zomi Wohl steht für die Werte der Appenzeller Druckerei.

Die Appenzeller Druckerei überzeugt mit einer Vielzahl von Produkten, Spezialitäten, guter Qualität sowie kurzen Lieferzeiten. Damit ihre Mitarbeiter*innen diese Dienstleistungen wie bisher erbringen können, stehen unter anderem Arbeitsplatzsicherheit, Stabilität sowie Nachhaltigkeit innerhalb des Betriebs an vorderster Stelle. Als Tochterunternehmen der 145-jährigen Genossenschaft Druckerei Appenzeller Volksfreund ist es ihr wichtig, diese genossenschaftlichen Werte zu leben und zu zeigen. Die gesamte Unternehmung hat sich auf die Fahne geschrieben «zum Wohle» von allen da zu sein und nimmt damit ihre unternehmerische Verantwortung sehr ernst.

Dabei werden verschiedenste Aspekte beachtet. Vor der Gewinnmaximierung gehören beispielsweise das Wohl und die Förderung der Mitarbeiter*innen dazu. Eine umfassende Ausbildung des Nachwuchses nimmt bei der Appenzeller Druckerei einen hohen Stellenwert ein. Zurzeit bietet das Unternehmen Ausbildungen in vier verschiedenen Berufskategorien an. Aus- und Weiterbildungen werden aber auch bei langjährigem Personal gefördert und unterstützt. Und nicht zuletzt; durch gemeinsame Aktivitäten, wie Firmenausflüge oder -feste, wird der Teamgeist gestärkt und die Arbeitsmotivation gesteigert. Zu den wichtigen Aspekten gehört auch die Umwelt, welche durch das zertifizierte Umwelt- und Qualitätsmanagement-System aktiv geschützt wird. Dabei wird nicht nur geredet, sondern auch geliefert: Für den Umweltund Ressourcenschutz leistet die Appenzeller Druckerei ihren Beitrag unter anderem mittels eines durchgehenden Entsorgungs-konzepts mit Umweltcoach sowie Sonnenstrom ab dem eigenen Dach. Doch ganz dem genossenschaftlichen Gedanken verpflichtet, engagiert sich die Appenzeller Druckerei nicht nur betriebsintern, sondern für die ganze Region. So unterstützt sie Bereiche wie Kunst, Kultur, Sport und Jugend mit jährlich über 100 000 Franken. Zomi Wohl bringt Werte näher Doch wie bringt man diese Werte an die Bevölkerung? Mit dem neuen virtuellen Mitarbeiter Zomi Wohl hat die Appenzeller Druckerei die Antwort gefunden. Online zeigt der bärtige, tätowierte und trendige Appenzeller, für welche Werte das Unternehmen steht. Er erklärt kurz und knackig, wie der Betrieb tickt und führt dabei durch diverse Themengebiete. Dabei entspricht der neue Imageträger der Appenzeller Druckerei dem heutigen Zeitgeist und beweist gleichzeitig, dass die Werte einer Genossenschaft, welche vor über 145 Jahren gegründet wurde, nicht veraltet sind, sondern aktueller denn je. Sind Sie neugierig? Dann treffen Sie ihn persönlich auf zomiwohl.ch. LEADER | Nov./Dez. 2020

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Profil

Pionierprojekt der Micarna: Swiss Aquakulturen Schweizer Traditionsfische aus nachhaltiger Aquakulturanlage. Die Micarna hat im September Swiss Aquakulturen in Birsfelden eröffnet. Swiss Aquakulturen ist ein Pionierprojekt betreffend Nachhaltigkeit und Micarnas Antwort auf die geringere Produktivität der Schweizer Gewässer und das wachsende Bedürfnis der Konsumenten nach frischen Fischprodukten aus der Schweiz.

Die Nachfrage nach nachhaltig produzierten und frischen Schweizer Fischen wächst. Gleichzeitig schrumpft der Fischbestand in unseren Gewässern. Um für die Zukunft den steigenden Bedarf an Schweizer Fisch aus nachhaltiger Quelle zu sichern, müssen Wege zu künstlich geschaffenen Fischen eröffnet werden. Aus diesem Grund hat sich die Micarna über Jahre hinweg intensiv mit der Reproduktion und Mast von Fischen in Kreislaufanlagen befasst – mit dem Ziel, ganzjährig Fische aus nachhaltigen Quellen zu produzieren, ohne Spuren in der Natur zu hinterlassen. Und diese Pionierleistung ist LEADER | Nov./Dez. 2020

ihr nach fünf Jahren Projektarbeit gelungen: Mitte September konnte die Aquakulturanlage in Birsfelden (BL) eröffnet werden. «Heute ist ein ganz grosser Tag für die MicarnaGruppe und für die Migros-Gemeinschaft. Gemeinsam stehen wir vor einem Pionierprojekt, das wir nun zusammen einweihen dürfen», freute sich Micarna-CEO Albert Baumann sichtlich stolz während seiner Eröffnungsrede – die ambitionierte Idee, die Wertschöpfungskette Geflügel auf den Bereich Fisch zu übertragen, einheimischen Fisch wie Egli und Felchen, ist in die Tat umgesetzt worden.


Profil

Fabio Ammann, Projektleiter Swiss Aquakulturen, an einem der 36 Becken der neuen Aquakulturanlage.

Ein Schwarm junger Egli schwimmt in der künstlichen Strömung eines Beckens von Swiss Aquakulturen.

Frische Fische das ganze Jahr über Die grösste Herausforderung war laut Fabio Ammann, Projektleiter Swiss Aquakulturen, genügend und regelmässig verfügbare Jungfische zu bekommen, da Egli und Felchen natürlicherweise nur einmal pro Jahr laichen. «Gerade im Seafoodbereich sind die saisonal abhängige Beschaffung und die daraus resultierenden Schwankungen bei Preis und Qualität oft ein Ärgernis für die Konsumenten und für die an der Vermarktung beteiligten Institutionen», erklärt Albert Baumann. Und auch diese Hürde konnte die Micarna durch die Sicherstellung einer asaisonalen Reproduktion überwinden, was bedeutet, dass die Fische mehrmals pro Jahr laichen. Die Jungfische stammen von der KM Seafood, einem Unternehmen der Micarna-Gruppe. «Dadurch, dass die Fische aus unserer eigenen Zucht stammen, können wir entsprechend Gesundheit und Vitalität der Tiere sicherstellen und brauchen beispielsweise kein Antibiotika einzusetzen», unterstreicht Albert Baumann einige Vorteile der Aquakulturanlage in Birsfelden. Zudem liessen sich Produktqualität, Lebensmittelsicherheit und eine ausreichende Auslastung über das ganze Jahr sicherstellen. Und gleichzeitig könne der Wasserverbrauch, die Nährstoffbelastung der Umwelt und der Einsatz nicht erneuerbarer Ressourcen tief gehalten werden.

Zukunft wieder vermehrt aus einheimischer Mast anzubieten und die nationalen und internationalen Wildbestände zu schonen.

Bei Vollauslastung bis zu 300 000 Fische in der Aquakulturanlage Derzeit schwimmen insgesamt 140 000 Egli und 33 000 Felchen in den 36 Becken, die je 27,5 Kubikmeter Wasser fassen, der Swiss Aquakulturen. Wenn im nächsten Frühling alle Becken besetzt sind, werden es bis zu 300 000 Fische sein. Damit sollten die Swiss Aquakulturen in der Lage sein, den schweizweiten Bedarf der Migros-Filialen und -Gastronomie abzudecken. «Wir hoffen ab 2023 auf schwarze Zahlen», sagt Martin Stalder, Leiter Business Unit Fisch der Micarna. Verkauf ist sehr gut angerollt Der Verkauf der Egli und Felchen ist gemäss Martin Stalder sehr gut angerollt. «Die Qualität überzeugt», freut sich dieser ob des guten Starts. Rund 240 Tonnen Fische will die Micarna zukünftig jedes Jahr in Birsfelden produzieren. Immer mit dem Ziel, Schweizer Traditionsfische wie Felchen und Egli in

Direkt am Rhein gelegen befindet sich die Aquakulturanlage in Birsfelden (vorne rechts) im Industriegebäude der MigrosTochter Delica.

Kurzporträt Micarna-Gruppe Die Unternehmen der Micarna-Gruppe der MigrosIndustrie produzieren hochwertige Fleisch-, Geflügel-, Fisch- und Eiprodukte. Im Jahr 1958 im freiburgischen Courtepin als Fleischverarbeitungsbetrieb der Migros durch Gottlieb Duttweiler gegründet, umfasst die Unternehmensgruppe heute die in der Schweiz ansässigen Unternehmen Favorit Geflügel, Lüchinger + Schmid, Mérat & Cie., Micarna, Rudolf Schär und Tipesca. Weiter gehört das in Deutschland angesiedelte Unternehmen KM Seafood zur Unternehmensgruppe. Dank modernster Produktionsanlagen und höchster Standards in den Bereichen Hygiene sowie Produkte- und Arbeitssicherheit erzielen die Unternehmen der Micarna-Gruppe beste Qualität. Die Unternehmen setzen sich konsequent für eine artgerechte Haltung und einen stressarmen Transport der Tiere ein und stellen sicher, dass die Herkunft jedes einzelnen Produkts lückenlos rückverfolgbar ist. LEADER | Nov./Dez. 2020

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Fokus Marketing

Die Marke als roter Faden Wer in den letzten Monaten durch die St.Galler Innenstadt flanierte, konnte die Kommunikationsoffensive zur Belebung der Innenstadt kaum übersehen. Der LEADER hat die beiden Macher der Kampagne getroffen. Die St.Galler Markenspezialisten Oliver Forrer und Roman Burch, Inhaber der Brandingund Werbeagentur FORB, im Gespräch über die Identität der Ostschweiz und Marken in Zeiten von Veränderungen.

Die Kampagne von St.Gallen zeigt mit Bildern von städtischen Alltagssituationen die Vielfalt der Innenstadt und spielt mit dem Wort «Sankt». Warum? Oliver Forrer: Als waschechte Ostschweizer lag es uns am Herzen, die Eigenheiten von St.Gallen mit Selbstbewusstsein und einer Prise Humor in einer identitätsstiftenden Kampagne zu transportieren. Es geht um die Heiligsprechung des Alltags. Dabei bildet «Sankt» die Klammer um alle Kommunikationsmassnahmen und streicht mit entsprechenden Wortkombinationen die Einzigartigkeiten der Gallusstadt heraus. Was ist denn den St.Gallern heilig? Roman Burch: Das ist ganz unterschiedlich: Für die einen ist es beispielsweise das Ritual, jeden Samstag beim immer gleichen Gemüsehändler auf dem Wochenmarkt einzukaufen. Für andere mag es der morgendliche Cappuccino beim Barista, die Yoga-Stunde auf Drei Weiern oder das Gänsehaut-Feeling am OpenAir sein.

«Eine starke Marke schafft ein Erlebnis und steht im ständigen Dialog mit ihren Kunden.» Sie haben auch das Selbstbewusstsein angesprochen. Hat St.Gallen zu wenig davon? Forrer: Wir sind der Ansicht, dass das oft unterschätzte St.Gallen durchaus etwas mehr Selbstvertrauen entwickeln und dieses auch nach aussen zeigen darf. St.Gallen muss nicht anderen Städten nacheifern, im Gegenteil: St.Gallen ist St.Gallen. Das ist auch der Kern unserer Sankt-Kampagne. Als Botschafter unserer Stadt können wir alle mit etwas mehr LEADER | Nov.|Dez. 2020

Selbstbewusstsein dazu beitragen, dass unsere Region und die Stadt stärker positiv wahrgenommen werden. Welchen persönlichen Bezug haben Sie zu St.Gallen? Burch: Wir sind beide in der Region aufgewachsen, haben in verschiedenen Städten im In- und Ausland gelebt und sind schliesslich wieder zurück nach St.Gallen gekehrt. Was früher primär ein Treffpunkt für Freunde und das Zentrum unseres Nachtlebens war, ist heute zu einem ausbalancierten Arbeitsund Lebensraum geworden. Obwohl für uns beide urbane Grossstädte nach wie vor wichtige Inspirationsquellen geblieben sind, schätzen wir hier die kurzen Wege und den direkten Umgang. Auftraggeber der Kommunikationsoffensive ist das «City Management Board» in St.Gallen – also der Schulterschluss von Gewerbe, Gastro und Hotellerie, Tourismus sowie der städtischen Standortförderung. Was will man mit der Kampagne erreichen? Burch: Schon seit Langem beschäftigt man sich in St.Gallen damit, wie dem Strukturwandel und dem veränderten Einkaufsverhalten in der Innenstadt wirksam begegnet werden kann. Neben anderen Massnahmen wollte das City Management Board in einer ersten gemeinsam Kommunikationskampagne die Innenstadt als besonders lebendiges und attraktives Einkaufs- und Aufenthaltserlebnis der Ostschweiz präsentieren, damit wieder mehr Menschen in die Innenstadt kommen. Ein schwieriges Unterfangen, erst recht in Zeiten von Corona. Forrer: Ja, gerade nach dem Corona-Lockdown im Frühling waren die Herausforderungen für Detailhandel, Gastronomie und Hotellerie noch grösser als zuvor. Die Innenstadt war – und ist heute immer noch – auf Gäste, Besucher und Kunden


Fokus Marketing Fokus

angewiesen. Aus diesem Grund war die Kampagne, die ursprünglich noch vor der Corona-Zeit geplant wurde, noch dringlicher. Sie sind eine Agentur mit Fokus auf Branding. Gehören solche Kampagnen bei FORB zur Tagesordnung? Forrer: Wir beschäftigen uns als Markenagentur primär mit Identitäten von Unternehmen, Produkten und Dienstleistungen. Diese machen heute, in einem Wettbewerb, in dem Angebotenes immer austauschbarer wird, den wesentlichen Unterschied. Da es auch bei der Kampagne für die St.Galler Innenstadt primär um Identität ging, nahmen wir die Herausforderung gerne an. Können Sie uns ein Beispiel geben, warum Marken so wichtig sind? Forrer: Nehmen wir Red Bull, ein Unternehmen, das sehr viel in seine Marke investiert. Eine Dose kostet in der Migros 1.70 Franken. Das Substitut von M-Budget gibts für 45 Rappen. Trotz dem markanten Preisunterschied trinken viele Jugendliche lieber das Original.

«Das oft unterschätzte St.Gallen darf durchaus mehr Selbstvertrauen entwickeln und dieses auch zeigen.» Und wie baut man eine solche Marke auf? Burch: Eine starke Marke schafft heute ein Erlebnis und steht im ständigen Dialog mit ihren Kunden. Da heute vermehrt nicht nur das nackte Produkt, sondern viel mehr die Philosophie dahinter gekauft wird, sind eine durchs gesamte Unternehmen durchgängige Identität und eine klare Haltung zentral. Eine Haltung, die von innen heraus gelebt wird – vom Verkaufsmitarbeiter bis hin zur Führung. Nur so entstehen starke Marken, die ihr volles Potenzial entfalten. Viele Marketingleiter werden heute jedoch primär an originellen Einzelaktionen oder an den «Conversion Rates» ihrer Kampagnen gemessen. Mit guten Klick-Statistiken alleine baut man aber keinen langfristigen Markenwert auf. Sie sprechen die Digitalisierung an. Wie beeinflusst die digitale Transformation das Branding? Forrer: Zu Zeiten als der stationäre Handel dominierte, hatte ein Sportgeschäft eine überschaubare Anzahl Brands im Regal von Wanderschuhen. Bei Zalando finden Sie zu entsprechendem Suchbegriff über 5 000 Artikel. Nur smart geführte Marken schaffen es, in diesem Angebotsdschungel Aufmerksamkeit zu erzeugen und eine Bindung zwischen Kunden

Oliver Forrer, Roman Burch:

Identität schafft Gesamterlebnis. LEADER LEADER || Nov. Nov./|Dez. 2020

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Fokus Kolumne Marketing 67 67

Herausfordernde Unternehmenssituationen und Unternehmen aufzubauen. Gerade in der digitalen Transformation gewinnt deshalb das Branding noch stärker an Bedeutung. Und wie kommuniziert man in der digitalen Welt erfolgsversprechend? Burch: Wichtig ist nach wie vor, dass man seine Zielgruppe so gut wie möglich versteht, sie bei ihren konkreten Bedürfnissen und Problemen abholt und entlang ihres Entscheidungsund Kaufprozesses begleitet. Dabei leisten Daten und digitale Kanäle einen wesentlichen Beitrag an das exakte Targeting. Die erfolgreichste Kampagne macht langfristig aber nur Sinn, wenn sie als Teil des Gesamterlebnisses Marke mit der Identität, also dem Kern der Marke, übereinstimmt. Die Marke ist der rote Faden über alle klassischen und digitalen Kanäle hinweg.

«Mit guten Klick-Statistiken alleine baut man keinen langfristigen Markenwert auf.» Zum Schluss: Welche Marken werden als Gewinner aus der Corona-Krise hervorgehen? Forrer: Die gestiegenen Aktienkurse von Amazon oder Alphabet geben eine Indikation. Es werden aber nicht nur digitale Unternehmen gestärkt hervorgehen: Unternehmen, die eine klare Strategie verfolgen und Marken richtig führen, sind generell im Vorteil. Das gilt für grosse Konzerne genauso wie für regionale KMU.

Zu den Personen Oliver Forrer und Roman Burch leiteten das Marketing der ehemaligen Privatbank Wegelin & Co. Gemeinsam zeichneten sie 2012 für das Rebranding der Bank unter neuer Eigentümerin verantwortlich. Heute wirken die beiden Ökonomen als Inhaber der St.Galler Branding- und Werbeagentur FORB für internationale Topbrands und regional aufstrebende Marken. Ihr Wissen und ihre Erfahrung teilen die beiden regelmässig an Vorträgen und Schulen mit Marketing- und Brandinglehrgängen. Beide Inhaber sind Absolventen und Mitglieder der renommierten Berlin School of Creative Leadership.

Text: Tanja Millius Bild: Claudio Baeggli

Seit Jahren beobachten wir, welche Unternehmen herausfordernde Zeiten eher überstehen. Unsere Erkenntnisse: krisenresiliente Organisationen verhalten sich in fünf Dimensionen anders als die anderen.

Die innere Haltung Ob aus einer herausfordernden Situation eine Chance resultiert, hängt nicht nur davon ab, wie wir sie selbst wahrnehmen. Was hilft? Die Aufmerksamkeit auf Beeinflussbares fokussieren und die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit stärken. Was nicht hilft: Angst, Schockstarre oder Panik. Passivität entmutigt! Operatives Überleben Um Zahlungsmittel zu sichern, muss die Organisation auf Minimalbetrieb heruntergefahren werden. Was hilft? Kosten flexibilisieren: Können Mieten eingespart werden? Ist Kurzarbeit möglich? Strukturen optimieren: Lassen sich Prozesse verkürzen, Lagerhaltungskosten verringern? Können digitale Prozesse eingeführt werden? Was nicht hilft: Hektischer Aktionismus und endlose Analysen. Vision und Strategie Wenn konventionelle Strategien nicht mehr funktionieren, ist es besser, «auf Sicht» zu navigieren. Was hilft? Eine klare Vision: Woran orientieren wir uns? Was ist verhandelbar, was nicht? Fokus auf die Situation: Wo tauchen Chancen auf? Weitblick: Vorsorgen für die Zeit nach der Krise. Was nicht hilft: Den Kopf in den Sand stecken. Nur auf Experten vertrauen. Sich an der Konkurrenz orientieren. Unternehmenskultur In der Krise schlägt die Stunde der Wahrheit in Sachen Kultur: Ziehen alle an einem Strang? Was hilft? Ein guter Informationsfluss und effiziente Meeting- und Kommunikationsstrukturen. Enger Austausch. Neue Ideen fördern, Aufbruchstimmung schaffen. Was nicht hilft: Warnsignale übergehen. Unkoordinierte Entscheidungen und unklare Kommunikation. Die Situation schlecht reden. Menschliche Führung In Krisen sind Führungskräfte besonders gefordert. Was hilft? Präsenz und Sichtbarkeit leben. Sinn, Fokus und Zuversicht vermitteln. Schlüsselpersonen binden und neue Talente fördern und fordern. Was nicht hilft: Rückzug aus Unsicherheit. Alles alleine schaffen wollen. Verunsicherung durch Schweigen oder Angstszenarien verstärken.

Rolf Brunner, Partner und Präsident des Verwaltungsrates Continuum AG LEADER | Nov.|Dez. 2020


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Profil

Ob Unternehmenskommunikation, Markenarbeit oder raffinierte Werbekampagne: Wir von Farner St.Gallen sind die regionalen Ansprechpersonen, wenn es um integrierte Lösungen für Kommunikation und Werbung geht. Wir beraten Unternehmen aus den unterschiedlichsten Branchen (wie Finanzen und Versicherung, Bildung, Konsumgüter, Industrie, Immobilien, öffentliche Hand) und sind lokal verankert, um näher dran zu sein – an den Kunden, deren Märkte und Kommunikationsbedürfnissen. Als ExklusivPartner von Edelman unterstützt Farner auch Unternehmen im internationalen Umfeld oder beim Einstieg in den Schweizer Markt. Integrierter Ansatz für mehr Akzeptanz Wie wird Akzeptanz für ein komplexes Zukunftsprojekt erlangt? Wie und mit welchen Botschaften werden unterschiedliche Zielgruppen erreicht? Unsere Leistungen reichen von der strategischen Planung und Beratung über die Vernetzung mit Meinungsführern aus Wirtschaft und Politik bis zur kreativen Übersetzung der trockenen Botschaften in eine emotionale, fassbare Sprache. «Das Team von Farner St.Gallen versteht es, unseren Zielgruppen komplexe Themen adressatengerecht zu vermitteln», bekräftigt Peter Guler, Gesamtprojektleiter der Standortentwicklung WILWEST.

Swisstransplant: strategische Neuausrichtung Kommunikation Swisstransplant ist die nationale Stiftung für Spende und Transplantation von Organen und Geweben mit dem Ziel der schweizweiten Förderung, Entwicklung und Koordination, zum Teil in Zusammenarbeit auf internationaler Ebene. Darüber hinaus fördert sie mit Kommunikationsmassnahmen den Dialog mit der Bevölkerung, dem Gesundheitswesen und den Medien. Farner St.Gallen unterstützt die Stiftung bei einer wirkungsvollen Kommunikationsstrategie, um diese an den relevanten Stellen mit einem einheitlichen visuellen Auftritt und spezifischen Instrumenten umzusetzen. «Ich schätze die Zusammenarbeit mit Farner sowohl auf der fachlichen wie auf der persönlichen Ebene sehr», sagt Franz Immer, Direktor der Stiftung Swisstransplant.

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Marken sind Vertrauenssache In einer Zeit, in der sich die Welt – wie jetzt – stark verändert, nimmt die Rolle von Marken eine grundlegend neue Form an. Marken müssen über eine klare Haltung Wertgemeinschaften bilden können, um so mit ihren Kunden zusammen ein Wir-Gefühl zu entwickeln und unterscheidbar zu sein. Genau hier muss eine Marke durch ihre gelebten Werte den Unterschied machen und sich gegenüber Konkurrenten profilieren. Wir von Farner St.Gallen sind näher dran, um Vertrauen zu bilden.

Umsetzungsbeispiele aus der Marken-Welt von Innutri.


Profil

Zweiteiliges Visual für die Güntensperger Käse-Kampagne.

Güntensperger Käse: It’s Showtime Sie erhalten die Chance, Ihr Traumprodukt zu realisieren? So erging es Roman Egli von Güntensperger Käse in Bütschwil. Durch die Zusammenarbeit mit dem Fussballclub konnte er seinen Traum von einem FC St.Gallen 1879-Käse umsetzen. Dieser musste zur Einführung natürlich gebührend vermarktet werden. Unser Kunde, der FC St.Gallen 1879, hat Roman Egli an uns verwiesen. In nur 9 Arbeitstagen (vom Briefing bis zur Datenauslieferung) entstanden ein Kurzspot und zwei Visuals. Der Käse rollte als Teaser- und Hauptkampagne über Online Banner, Social Media, Plakate, Megascreen, LED-Bande und Passenger-TV durch die Ostschweiz. Farner St.Gallen ist näher dran, um zu bewegen und Wirkung zu erzielen.

Wenig Worte – viel Magie Wie wird etwas interessant, ohne es zu zeigen? Man erzählt mit wenigen Worten eine Geschichte und weckt bei der Zielgruppe die Vorstellungskraft und das Verlangen, sich selbst ein Bild davon zu machen. Das haben wir in einer Mini-Kampagne für die Appenzeller Bahnen realisiert. Wir brachten die Appenzeller Bergwelt in Verbindung mit bekannten Werken aus der Populärkultur. «Magische Orte erreicht ihr nicht nur ab Gleis 9 3/4» war eines der vier Sujets unserer Typo-Kampagne, die mit wenigen Worten positive Assoziationen weckt und von einem Hauch Magie umgeben ist. Wir sind näher dran, um Emotionen zu wecken.

Zwei von vier Sujets aus der Mini-Plakatkampagne für die Appenzeller Bahnen.

Farner St.Gallen AG | Postfach | Poststrasse 23 | 9001 St.Gallen | +41 71 231 10 31 | infosg@farner.ch | www.farner.ch

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Fokus Sicherheit

«Angriffe mit Verschlüsselungssoftware stehen an erster Stelle» Mit der Digitalisierung nehmen auch Cyberangriffe erheblich zu. Gemäss Schätzungen von Experten gibt es alle 39 Sekunden einen solchen Angriff. Die Corona-Pandemie hat dieses Problem noch verstärkt. Im LEADERInterview erklärt Aikaterini Mitrokotsa, Professorin für Cyber Security an der Universität St.Gallen, wie Cyberkriminelle vorgehen und wie sich Unternehmen schützen können.

Aikaterini Mitrokotsa, wie oft werden Unternehmen weltweit und in der Schweiz Opfer von Cyberangriffen? Genaue Zahlen sind schwierig zu erhalten, da Firmen aufgrund der Auswirkungen, die diese Angriffe auf ihr Image haben könnten, oft zögern, sie zu melden. Einige repräsentative Statistiken belegen, dass 2019 über 43 Prozent der Opfer von Datenschutzverletzungen kleine Unternehmen waren. Gemäss dem Nationalen Zentrum für Computer- und Netzsicherheit (NCSC) in der Schweiz wurden in der ersten Hälfte des Jahres 2020 bei der Schweizer Kontaktstelle für Computer- und Netzsicherheit 5 152 Berichte über Cyberattacken registriert. Die meisten dieser Berichte bezogen sich jedoch auf simple Betrugsversuche (z. B. E-Mails mit Vorauszahlungs- oder Paketabonnementsbetrug), die häufig zum Abfangen von Kreditkartendaten verwendet werden, und seltener auf komplexere Ansinnen.

In der Schweiz wurden in der ersten Jahreshälfte 5 152 Berichte über Cyberattacken registriert. Immer häufiger kommt auch Schadsoftware zum Einsatz, oder? Ja, es gab eine beträchtliche Anzahl von Schadensprogramm-Vorfällen (232), wobei einige davon Verschlüsselungssoftware (Ransomware) betrafen. Obwohl die Zahl der Verschlüsselungssoftware-Angriffe im Vergleich zur Zahl der Betrugsversuche gering ist, ist der potenzielle Schaden weitaus grösser. In der Liste der häufigsten Vorfälle im Bereich Cybersicherheit steht Verschlüsselungssoftware inzwischen an erster Stelle, im Vergleich zum Vorjahr haben sie sich weltweit vervierfacht. Mit ein Grund dafür ist, dass LEADER | Nov./Dez. 2020

Cyber-Angreifer dies zunehmend als die einfachste Möglichkeit betrachten, Geld zu verdienen. Sobald eine Verschlüsselungssoftware erstellt wurde, kann sie zur Infizierung sehr vieler Ziele verwendet werden. Welchen Schaden kann eine solche Verschlüsselungssoftware anrichten? Sie können eingesetzt werden, um das gesamte Netzwerk einer Organisation zu sperren und eine Zahlung im Austausch für den Entschlüsselungspass zu verlangen. Diese Verschlüsselungsangriffe fordern in der Regel sechsstellige Summen, und da die Überweisung in Bitcoin erfolgt, ist es für die Angreifer recht einfach, sie ohne Offenlegung zu waschen. Verschlüsselungsangriffe sind oft erfolgreich, weil Organisationen das geforderte Lösegeld zahlen, da sie der Ansicht sind, dass dies der einfachste Weg sei, die Funktionsfähigkeit ihres Netzwerks wiederherzustellen – obwohl die Behörden davor warnen, den Forderungen der Erpresser nachzugeben. In der Schweiz wurden dem NCSC für den Zeitraum Januar bis Juni 2020 42 Fälle von Verschlüsselungsangriffen gemeldet. Das bekannteste Opfer in der Ostschweiz ist der Rollmaterialhersteller Stadler Rail … … der Anfang Mai mit Verschlüsselungssoftware (Ransomware) angegriffen und mit der Drohung erpresst wurde, die während des Angriffs gestohlenen Daten zu veröffentlichen, wenn er nicht 5,8 Millionen Franken Lösegeld zahle, ja. Die bei solchen Lösegeld-Angriffen verlangten Beträge schwanken stark – zwischen Millionen von Franken und kleineren Beträgen, z. B. Tausende oder Hunderte von Franken. In Zeiten von Corona sind mehr Menschen online unterwegs. Haben sich in dieser Zeit auch die Cyberattacken erhöht? Auf jeden Fall; die Pandemie hat die Digitalisierung unseres Alltags stark vorangetrieben. Viele Unternehmen haben


Fokus Sicherheit

Aikaterini Mitrokotsa:

Finanziell lohnenswerte Ziele bevorzugt.

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das Homeoffice-Modell eingeführt, ohne jedoch angemessene Sicherheitsmassnahmen zu implementieren. So haben sie ihre Netzwerke anfällig für Cyber-Angriffe gemacht. Angreifer waren in der Lage, anfällige Fernzugriffslösungen zu identifizieren und vorhandene Schwachstellen oder unzureichend geschützte Implementierungen von RDP-Lösungen (Remote Desktop Protocol) und VPN-Servern zu finden, um in Unternehmensnetzwerke einzudringen. Viele Anwender benutzten zum ersten Mal Telekonferenzund Kollaborationssoftware und waren mit den von solchen Plattformen gesendeten Nachrichten nicht vertraut. Absolut. Darüber hinaus wurden fast alle gängigen Schadensprogramme unter dem Vorwand von Covid-19 verbreitet. So haben Angreifer beispielsweise versucht, heimlich Schadenssoftware auf Computern von Nutzern zu installieren indem sie versprachen, Informationen über das Virus zur Verfügung zu stellen. Oder sie haben versucht, so Nutzer zur Preisgabe persönlicher Informationen zu verleiten. Die häufigste Art sind E-Mails mit einem bösartigen Anhang oder einem Link zu einer infizierten Website.

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ISO 22301 ifi e d s y s te

Nach und in Krisen im Geschäft bleiben Am besten bereitet man sich in ruhigen Zeiten auf Notfälle und Störungen vor. Es ist jedoch nie zu spät, besser zu werden. Business Continuity betrifft alle. Methodisches Vorgehen bringt die Organisation systematisch weiter. – ISO 22301:2019 – Business Continuity Management zeigt, woran man denken muss. – Es ist gut zu wissen, wo man steht. – Wir haben dazu eine Checkliste erarbeitet, die Sie ohne Kosten benutzen können: www.safetycenter.ch/checklisten – Nutzen Sie die Checkliste für eine Standortbestimmung. – Ihr Gewinn: Sie entdecken Lücken, die Sie mit geeigneten Massnahmen schliessen können und sind damit besser für Störungsfälle gerüstet. Wer seine Glaubwürdigkeit stärken und Vertrauen gewinnen will, kann sich nach ISO 22301 – BCM zertifizieren lassen. www.safetycenter.ch/cs

Und bei solchen Angriffen werden auch immer wieder «prominente» Absende-Adressen verwendet, oder? Das ist richtig. So gab es beispielsweise im März 2020 viele Schadsoftware-E-Mails, die speziell auf die Schweiz abzielten, wobei die Abkürzung BAG als Absender verwendet wurde. Die E-Mails wurden über die kenianische Botschaft in Paris verschickt, die gehackt worden war, während die angehängte Excel-Datei einen Trojaner enthielt, der Tastatureingaben aufzeichnen und Screenshots erstellen kann. Ein weiteres Beispiel für Covid-19-Opportunismus ist die anfänglich begrenzte Verfügbarkeit von persönlicher Schutzausrüstung wie Gesichtsmasken und Desinfektionsmittel, was den Angreifern die Möglichkeit gab, mit entsprechenden Angeboten auf sich aufmerksam zu machen. Angesichts der zunehmenden Paketzustellung in diesen Zeiten wurden zudem E-Mails, die unter dem Namen von Zustellunternehmen wie DHL, Fed Ex und UPS verschickt wurden, als Mittel für Cyber-Angriffe genutzt. Es wurden sogar Kopien von offiziellen Tracing-Apps entdeckt, die mit Malware infiziert waren. In den meisten Fällen wurden diese Covid-19-Köder zur Verbreitung von Spionage-Software verwendet, die Informationen stehlen konnte. Gibt es Unternehmen und Branchen, die öfters angegriffen werden als andere? Angreifer bevorzugen in der Regel finanziell lohnenswerte Ziele. Es ist zudem bekannt, dass Spitäler bereits auf den Ziellisten von Cyberkriminellen standen und besonders von Verschlüsselungssoftware (Ransomware) betroffen waren. Die Pandemie hat zu einer erheblichen Zunahme von Cyberangriffen auf Einrichtungen des Gesundheitswesens und der medizinischen Forschung sowie auf medizinisches Personal und internationale öffentliche Gesundheitsorganisationen geführt. Was muss ein Unternehmen alles machen, um seine Daten zu schützen? Heimarbeit erhöht das Risiko von Cyberattacken, da häufig private IT-Infrastrukturen, z. B. private Computer, genutzt werden, die oft weniger gut geschützt sind als die Unternehmensinfrastrukturen. Eine der wichtigsten Aufgaben eines Unternehmens ist die Durchführung von Sicher-


Fokus Leaderinnen Sicherheit 73 73 heitskampagnen zur Information der Mitarbeiter sowie die Einrichtung von Berichtskanälen zu den IT-Sicherheitsbeauftragten des Unternehmens. Darüber hinaus müssen alle Fernzugriffe (z. B. RDP, VPN) durch Zwei-Faktor-Authentifizierung geschützt werden, während es die Verwendung von Nicht-Standard-Ports für die Verbindung den Angreifern erschwert, diese zu finden. Zudem ist es wichtig, eine Passwortpolitik einzuführen, welche die Auswahl einfacher Passwörter verhindert und nur bestimmte IP-Adressen zulässt. Darüber hinaus sollten Software-Updates installiert werden, sobald sie veröffentlicht werden, und die Sicherheitsrichtlinien sollten auf dem neuesten Stand sein. Ebenfalls ist es wichtig, die Log-Dateien auf fehlgeschlagene und erfolgreiche Anmeldungen zu überwachen. Gibt es einen hundertprozentigen Schutz? Fast kein Unternehmen ist in der Lage, jede Cyberattacke abzuwehren. Daher ist es wichtig, Reaktions- und Wiederherstellungsmechanismen aufzubauen, um die Auswirkungen eines Angriffs zu mildern. Unternehmen sollten über vollständige Datensicherungspraktiken verfügen und den Datenwiederherstellungsprozess testen. Es müssen konkrete Verfahren für das Risikomanagement, die Kommunikation und die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs sowie die Bestimmung der Wirksamkeit dieser Konzepte durch regelmässige Tests eingeführt werden.

«Die Pandemie hat zu einer erheblichen Zunahme von Cyberangriffen auf Einrichtungen des Gesundheitswesens geführt.» Es gibt Schweizer Unternehmen, die ihre Daten im Ausland sichern, weil es oft etwas günstiger ist als in der Schweiz. Ist das eine gute Idee? Im kürzlich veröffentlichten Bericht «Data Danger Zones» wurden über 170 Nationen nach ihren Fähigkeiten bewertet, digitale Informationen sicher, privat und geschützt aufzubewahren. Dieser internationale Benchmark untersucht ein breites Spektrum wichtiger Sicherheitsfaktoren, die von der Qualität der digitalen Infrastruktur über politische Instabilität bis hin zum potenziellen Risiko von Naturkatastrophen reichen. Sie hat die Schweiz als die am wenigsten risikobehaftete Nation für die Datenspeicherung mit einem potenziellen Risikowert von 1,6 % identifiziert, gefolgt von Singapur (mit einem Risikowert von 1,9 %) und Island (2,3 %). Die risikoreichste Nation für die Datenspeicherung ist Somalia mit einem Risikowert von 92,9 %. In jedem Fall müssen wir uns der Datenschutzbestimmungen bewusst sein, wenn sich jemand entscheidet, Daten in einem anderen Land zu speichern.

Text: Patrick Stämpfli Bild: Marlies Thurnheer

Entwicklungspotenziale für die Praxis Nach zwei Ausbildungen – Hotellerie und Banking – führte Gaby B. Müller (*1965) die beiden Komponenten zusammen und arbeitet seit 2003 als Eventmanagerin bei der St.Galler Kantonalbank. Seit 2015 führt Müller zudem zusammen mit ihrem Mann Martin die Ausbildungsstätte «Savvy Ranch Education» in Uttwil, die pferdegestütztes Coaching für Teams und Individuen anbietet. Gaby B. Müller, was reizt Sie an Ihrer unternehmerischen Tätigkeit? Mit und für Menschen zu arbeiten, ist unendlich vielfältig und jeden Tag absolut spannend. Die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Tier in der Erwachsenenbildung fördert ungeahnte Schätze zutage. Zusammen mit den Pferden arbeiten wir an Themen wie Führungs- und Sozialkompetenz, Kommunikation und Konfliktmanagement. Die Schwerpunkte vereinbare ich individuell mit den Firmen und begleite dann an den Seminartagen die Teilnehmer als Coach. In unseren Angeboten verbinden wir Theorie, Praxis, Coaching und Reflexion. Damit stellen wir sicher, dass sich Entwicklungspotenziale in die Praxis übertragen können. Auf welchen Meilenstein in Ihrer beruflichen Laufbahn sind Sie besonders stolz? «Pferdegestütztes Coaching» hat sich in der Ostschweiz leider noch nicht etabliert; die Gewinnung von Neukunden ist Knochenarbeit. Auch Covid-19 hat unserer Unternehmung stark zugesetzt – aber wir sind stolz, dass es die Savvy Ranch Education dank schlanker Strukturen immer noch gibt. Stolz bin ich auch auf meine innere Stärke, die ich dank dem pferdegestützten Coaching erlangt habe. Ich lebe ein selbstbestimmtes, erfülltes Leben als Eventmanagerin bei der SGKB sowie als Mitinhaberin der Savvy Ranch Education. Welchen Vorteil bietet für Sie das Netzwerk «Leaderinnen Ostschweiz»? Sich mit Frauen über Hürden, aber auch über Erfolge auszutauschen, ist für mich eine wichtige Ergänzung zu den gemischten Netzwerken. Mein eigenes Unternehmen bei den Leaderinnen Ostschweiz sichtbar zu machen, hat mir zudem schon Aufträge eingebracht. Ich geniesse die Treffen aber auch einfach für den privaten und persönlichen Austausch unter Frauen.

www.leaderinnenostschweiz.ch LEADER | Nov.|Dez. 2020


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Profil

Unternehmenssoftware: Make Or Buy Geht es um die Einführung neuer Unternehmenssoftware, wird oft reflexartig zu den bekannten Standardlösungen gegriffen. Dabei kann es durchaus sinnvoll sein, die Aufgabenstellung mit etwas lösungsoffenerem Blick zu untersuchen.

Standardsoftware versus Individualsoftware Zu Beginn sollen hier die beiden Begriffe «Standardsoftware» und «Individualsoftware» definiert werden. Wikipedia definiert Standardsoftware wie folgt: «Als Standardsoftware werden Softwaresysteme verstanden, die einen klar definierten Anwendungsbereich abdecken und als vorgefertigte Produkte erworben werden können. » Individualsoftware hingegen wird folgendermassen definiert: «Individualsoftware (auch Individuallösung) ist ein Begriff der Informationstechnik, welcher eine individuell, d. h. für einen bestimmten Anwender angefertigte Anwendungssoftware bezeichnet. » Auf den ersten Blick entsprechen die Vorteile der Standardsoftware genau den Nachteilen der Individualsoftware und umgekehrt. Standardsoftware Als Hauptvorteil von Standardsoftware gegenüber Individualsoftware werden oft die geringeren Anschaffungskosten für eine Standardsoftware angeführt. Standardsoftware steht im allgemeinen auch rascher betriebsbereit zur Verfügung als Individualsoftware. Weitere Vorteile von Standardsoftware können in den folgenden Bereichen liegen: • Ausführliche Dokumentation ist vorhanden • Programme sind vielfach erprobt Standardprogramme haben aber auch einige gewichtige Nachteile, die die Hauptvorteile oft stark relativieren. • Die jährlichen Lizenz- und Update-Kosten überschreiten die reinen Beschaffungskosten bereits nach kurzer Zeit • Die Kosten und Zeitaufwendungen für Anpassungen sind oft beträchtlich • Individuelle Anpassungen sind nicht updatefähig • Standardprogramme beinhalten meist mehr unnötige Funktionalität als benötigte. Oft würde für die eigenen Aufgaben ein Kleinwagen genügen. Von den Verkäufern der Standardsoftware bekommt man eine Limousine LEADER | Nov./Dez. 2020

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versprochen. In Wirklichkeit muss man dann aber täglich mit einem Reisebus mit Anhänger zum Einkaufen fahren. Die langfristigen Folgen (Kosten, Bearbeitungszeit) dieser Überkomplexität werden oft unterschätzt. Man muss den Updatezyklen des Herstellers folgen, auch wenn diese nicht zum eigenen Geschäftsgang passen. Grosse Standardprogramme verwenden oft veraltete Technologien. Oft müssen Daten eingepflegt werden, die die Programme zum Funktionieren benötigen, die in den eigenen Prozessen gar nicht benötigt würden. Eigene Prozesse müssen an die Programme angepasst werden.


Profil Individualsoftware Mitunter steht man vor der Situation, dass nur eine Individualsoftware eine bestimmte Aufgabenstellung lösen kann. Das ist immer dann der Fall, wenn keine Standardsoftware dafür existiert. Ein häufiger und typischer Fall ist Software, die ein bestimmtes Produkt bemisst, steuert, berechnet oder konfiguriert. In diesem Fall führt kein Weg an einer Individualentwicklung vorbei. Soll eine Software für eine Aufgabenstellung beschafft werden, die eigentlich eine Standardaufgabe in vielen Unternehmen ist, so kann eine Individualentwicklung durchaus ebenfalls Sinn ergeben. Hier sollen nicht die Projektrisiken einer Individualentwicklung betrachtet werden, da sich diese nicht wesentlich von den Risiken eines Projekts zur Einführung einer Standardsoftware unterscheiden. Das Ganze soll aus Sicht der Potentiale betrachtet werden, die Individualentwicklungen für Unternehmen bereithalten. Immer wenn eine Firma einen Wettbewerbsvorteil aus einer Differenzierung vom Standard erreichen will oder wenn dynamische Geschäftsbereiche mit Software unterstützt werden sollen, ist eine Individualentwicklung oft ein kluger Weg. Wenn auch noch das Wertschöpfungspotenzial mit berücksichtig wird, so kann eine Quadranten-Analyse helfen, die richtige Vorgehensweise zu finden: Geschäftsbereiche die einen Wettbewerbsvorteil durch eine Differenzierung vom Standard ermöglichen und dadurch gleichzeitig eine hohe Wertschöpfung oder Wertschöpfungsverbesserung erlauben, sind die klassischen Kandidaten für den Einsatz von Individualsoftware. Standardprogramme führen zu Standardunternehmen. Andererseits sind Geschäftsbereiche, die keine Differenzierung erlauben (z.B. wegen gesetzlicher Vorgaben) und auch keine grosse Wertschöpfung haben, gut mit Standardprogrammen bedient. Ein klassisches Beispiel hierfür ist eine Finanzbuchhaltung. Individualsoftware hat noch weitere Vorteile: • Der Kunde bestimmt den Funktionsumfang • Die Kosten im Betrieb sind meist niedriger als bei Standardpaketen, da die Lizenzgebühren wegfallen. Das kann die meist höheren Initialkosten rasch relativieren. • Der Zeitpunkt von Updates wird vom Kunden bestimmt. • Flexibles und rasches Reagieren auf sich ändernde Anforderungen des Geschäfts ist möglich. • Eigene Ideen sind geschützt und werden nicht an alle Mitbewerber weitergetragen • Modernste Technologien könne eingesetzt werden Best Of Breed Es hat sich heute der Begriff «Best of Breed» dafür eingebürgert, wenn für einzelne Unternehmensbereiche die jeweils am besten geeigneten Programme unterschiedlicher Hersteller sowie Individualentwicklungen eingesetzt werden. Dies steht im Kontrast zum Ansatz, das riesige und überkomplexe Gesamtpaket eines einzigen Herstellers einzusetzen. Als Herausforderungen dieses heterogenen Ansatzes sind insbesondere die Schnittstellen zwischen den verschiedenen Systemen zu sehen. Durch eine geschickte Wahl der Systemgrenzen kann das aber gut gesteuert und im Griff behalten werden.

Ein bewährter Ansatz ist hier, auf Standardprogramme nur eines oder weniger untereinander kompatibler Anbieter zu setzen und die Bereiche mit hohem Differenzierungsbedarf mit Individualsoftware abzudecken. Schlussfolgerung Bei jedem Projekt, das die Unterstützung eines Unternehmensbereichs mit Software vorsieht, ist es gute Praxis, sich die Frage «Make or Buy» zu stellen. Dies zu unterlassen, ist fahrlässig. Individualsoftware ist nicht nur mit Projektrisiken behaftet, sondern ist oft der richtige und einzige Weg um die Potenziale des eigenen Unternehmens voll zu nutzen und sich den entscheidenden Vorteil gegenüber dem Wettbewerb zu verschaffen. Die grosse Falle beim Einsatz Standardprogrammen besteht darin, das Schlechteste der beiden Welten zu bekommen: Eine stark an die eigenen Bedürfnisse angepasste Standardsoftware, die sowohl bei der Einführung als auch bei jedem Update enorme Kosten nach sich zieht.

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Fokus Sicherheit

«Hinschauen, entscheiden und führen» Bettina Zimmermann ist Expertin für Krisenmanagement. Die CEO der Wiler GU Sicherheit & Partner AG hat verschiedene Firmen durch die Corona-Krise begleitet und tut es noch. Sie weiss, womit Firmen zu kämpfen haben, welche Auswirkungen die Pandemie auf Unternehmen hat, welches die grössten Herausforderungen sind und wie mit gezieltem Krisenmanagement die richtigen Entscheide und Massnahmen getroffen werden.

Bettina Zimmermann, wie haben sich die Ostschweizer Unternehmen auf Corona vorbereitet? Als im Januar die ersten Meldungen über ein neuartiges Virus in den Medien kamen, haben wir mit einem regelmässigen Monitoring angefangen. Anfang Februar haben wir dann unsere Kunden darauf hingewiesen, ihre Pandemiepläne zu überprüfen – und wer keine hatte, umgehend Pandemiepläne zu erstellen. Uns war klar, dass da etwas auf uns zukommt, das wir noch nicht einzuschätzen konnten. Es gab Firmen, die fanden das übertrieben, andere nahmen es frühzeitig ernst, haben hingeschaut und Vorbereitungen getroffen. Das heisst, sie haben im Unternehmen u. a. Verzichtsplanungen durchgeführt, den Minimalbetrieb definiert, Teams gesplittet oder ins Homeoffice geschickt, der internen Kommunikation das nötige Gewicht verliehen, Schutzkonzepte angepasst oder Produktionsabläufe umgestellt. Als der Bundesrat am 13. März dann den Lockdown verkündete, hat das natürlich Unsicherheiten ausgelöst. Es hatte ja kaum jemand Erfahrung mit Schutzkonzepten.

«Eine Krise ist nicht mit Kommunikation alleine zu bewältigen.» Sie haben schon über hundert Firmen in Krisensituationen begleitet. Was war an Corona so besonders? Es ist eine Krise, die uns alle und in allen Bereichen trifft: jung, alt, angestellt und selbstständig, beruflich und privat. Und Corona funktioniert wie eine Lupe: Alles, was bis anhin in Geschäftsleitungen und Verwaltungsräten gut lief, läuft jetzt noch besser. Alles, was bis jetzt schlecht lief – unliebsame Themen, die man nicht angehen wollte, Konflikte und Grabenkämpfe oder ungeklärte Zuständigkeiten und Kompetenzgerangel –, das kam nun gnadenlos an die Oberfläche. Die Corona-Krise bringt Führungsdefizite genauso ans Licht wie Management-Glanzleistungen. Leuchttürme und Nieten LEADER | Nov./Dez. 2020

kristallisieren sich ziemlich rasch heraus. An und für sich ist das in Krisen nichts Neues. Dieses Phänomen begegnet mir als Krisenmanagerin immer wieder, aber so schonungslos wie jetzt habe ich das noch nicht erlebt. Haben die Unternehmen eigentlich aus der «ersten Welle» im Frühjahr gelernt? Viele haben unterdessen ihre Hausaufgaben gemacht. Das heisst, sie haben sich mit den Erkenntnissen auseinandergesetzt und ihre firmeninternen Abläufe entsprechen angepasst und optimiert. Eine der grossen Gefahren für die zweite Welle besteht aus einem «Massenausfall» von Mitarbeitern, weil alle in Quarantäne müssen. So kann es zu kritischen Betriebsunterbrüchen kommen. Was bedeutet das für mich als CEO, was sollte ich unternehmen, damit es meiner Firma nicht so geht? Hinschauen, entscheiden und führen. Die Pandemie hat vielen Betrieben in aller Deutlichkeit aufgezeigt, wo sie verletzlich sind. Gerade auch deshalb sollte man sich mit den Firmenrisiken auseinandersetzen und sich entsprechend auf Krisen vorbereiten. Diejenigen, die das getan haben, waren eindeutig besser dran. Und zu einem umsichtigen Krisenmanagement gehört auch, dass man sich mit dem Worst Case auseinandersetzt. Denn was uns in nächster Zeit erwartet, ist eine «Stop & Go»-Zeit: Je nach Verlauf der Covid-Neuansteckungen werden die Massnahmen verschärft oder gelockert. Das hat Auswirkungen auf die Unternehmensführung. Sich mit dem schlimmstmöglichen Ereignis auseinanderzusetzen, macht Sie bereit für jede Situation. Sie sind dann wirklich vorbereitet, haben Optionen durchdacht und die richtigen Vorarbeiten getroffen. Und was erwarten Sie von einem Verwaltungsrat? Es braucht vielerorts ein neues, erweitertes Bewusstsein in Verwaltungsräten. Betriebswirtschaftliches und rechtliches Wissen allein wird nicht mehr reichen. Die Welt und alles, was sich darin bewegt, wird komplexer – in sachlicher und


Fokus Sicherheit

Bettina Zimmermann:

Das Zepter in der Hand behalten.

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Kolumne Fokus 79 79

emotionaler Hinsicht. Es braucht Verwaltungsräte mit einer ernsthaften Affinität zu Risiken, einem ausgeprägten Krisensensorium, der Fähigkeit, sich mit möglichen Szenarien und den dazugehörigen Eventualplanungen auseinanderzusetzen und anspruchsvolle Themen kommunikativ adäquat umzusetzen. Es braucht Verwaltungsräte, die in der Lage sind, Ratio und Emotion zu verbinden. Nötig ist eine neue Diversität in Verwaltungsräten. Es braucht definitiv keine Mandatesammler und -jäger mehr, die sich in Krisen nicht voll und ganz für das Unternehmen einsetzen.

«Corona bringt Führungsdefizite genauso ans Licht wie Management-Glanzleistungen.» Was empfehlen Sie den Unternehmen bezüglich Krisenmanagement? Der erste Schritt ist die Auseinandersetzung mit möglichen Risiken und Szenarien, die auf das Unternehmen zukommen könnten. Hinschauen, nicht wegschauen, lautet die Devise. Die Kunst in Krisen ist, mögliche Probleme zu erkennen, richtig zu bewerten, Prioritäten zu setzen und nicht zuletzt den Mut aufzubringen, diese zu benennen und Entscheidungen zu treffen. Eine Krise muss stets aus verschiedenen Blickwinkeln und ganzheitlich betrachtet werden. Zu einem wirksamen Krisenmanagement gehören drei Hauptkomponenten: Organisation (Krisenstab), Infrastruktur (Führungsraum) und Kenntnisse der Führungsprozesse. Und es braucht eine interne und externe Krisenkommunikation, die auf das Krisenmanagement abgestützt ist. Mit dieser Vorbereitung ist man im Krisenfall kein Spielball der Ereignisse, sondern behält das Zepter in der Hand. Wann lohnt sich der Beizug eines externen Spezialisten? Wenn das Unternehmen vor einem Reputationsverlust steht oder einen finanziellen Schaden erleiden könnte, dann lohnt sich der Beizug eines einsatzerfahrenen Krisenmanagers. Dieser Profi weiss, wie vorgegangen werden muss, damit die Firma möglichst keine Einbusse erleidet. Der Profi ist auch in der Lage, die Krisenkommunikation auf das Krisenmanagement abzustimmen – und ein erfahrener Krisenmanager weiss auch, dass eine Krise nicht mit Kommunikation alleine zu bewältigen ist. Und wie können wir ein «persönliches» Krisenmanagement durchführen, sprich uns selbst gegen psychische Folgen von Corona wappnen? Den Blick für all das Gute, das wir immer noch haben, nicht verlieren! Sich auch an kleinen Dingen freuen und für Menschen da sein, die es jetzt besonders nötig haben.

Text: Stephan Ziegler Bild: Marlies Thurnheer

Das EichhörnchenPrinzip Sie waren wieder fleissig: Die Eichhörnchen haben ihren Wintervorrat gesammelt und die Nüsse und Samen an unterschiedlichen Orten im Wald verscharrt. In guten Zeiten sammeln und sich für magere Tage rüsten: Das gilt auch bei der Vorsorge. Was die kleinen Nager machen, ist nichts anderes als vorausschauendes Sparen und Risikostreuung. Auf diesem Prinzip gründet auch unser Vorsorgesystem mit den drei Säulen. So gilt es für die Berufstätigen frühzeitig zu sparen und vorzusorgen, um danach in der Pension ein finanziell gesichertes Leben zu geniessen. Oft reichen aber die AHV und das Pensionskassenobligatorium nicht aus, um den gewohnten Lebensstandard zu decken. Deshalb braucht es weitere «Vorratsorte». Optionen gibt es vor allem in der 2. und 3. Säule. Der Gestaltungsspielraum für Firmen und Versicherte ist in der 2. Säule weitaus am grössten. Finanzierung und Leistung lassen sich mittels Reglementen und Plänen gestalten. Nicht vorgängig regeln lassen sich hingegen die Renditen an den Kapitalmärkten. Die Pensionskasse hat bei der Wahl des Rendite-Risiko-Profils die Bedürfnisse ihrer Rentner und ihrer Versicherten – ob jung oder alt – zu berücksichtigen. Dieses Kollektivsparen basiert auf Solidarität und Sicherheit für die Gesamtheit und macht in einer Basislösung durchaus Sinn. Für innovative und dynamische Unternehmungen bieten jedoch überobligatorische Lösungen grosse Freiheiten bezüglich Beiträgen, Leistungen und Anlagestrategien. Der Versicherte kann beispielsweise die Anlagestrategie für sein Vorsorgevermögen mit seinen persönlichen Präferenzen und seinem Privatvermögen in Einklang bringen. Mit freiwilligen Einkäufen lässt sich das Altersguthaben erhöhen, die Pensionierung allenfalls vorziehen und die Steuerbelastung optimieren. Die auf dem Vermögen erzielte Rendite kommt vollumfänglich dem Versicherten zu. Erwiesenermassen findet das Eichhörnchen nicht alle versteckten Nüsse wieder. Das droht bei der Vorsorge zum Glück nicht. Ich empfehle lediglich, das Vorsorgevermögen in einen obligatorischen und einen überobligatorischen Teil zu splitten. Diese beiden Teile sollen an verschiedenen Orten «gelagert» werden. Die Bewirtschaftung des obligatorischen Vermögens hat in engen gesetzlichen Bandbreiten zu erfolgen. Hingegen bleibt für den überobligatorischen Teil viel Spielraum für den Versicherten und die Unternehmung wird zu einem attraktiven Arbeitgeber.

Werner Krüsi ist Partner und Leiter von Reichmuth & Co Privatbankiers St.Gallen. LEADER | Nov.|Dez. 2020


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Profil

Mit Sicherheit erfolgreich Die GU Sicherheit & Partner AG aus Wil ist ein neutrales Beratungsunternehmen für Krisen-, Risiko- und Bedrohungsmanagement, für Krisenkommunikation und -bewältigung, für BCM und Sicherheitskonzepte. Ihr «Kompetenzzentrum Krisenmanagement» in Ermatingen bietet zudem praxisbezogene Krisenmanagementseminare für oberste Führungskräfte und Entscheider an.

Bettina Zimmermann ist CEO und Mitinhaberin der GU Sicherheit & Partner AG. Sie berät seit über zwölf Jahren Firmen und Blaulichtorganisationen. Schäden vermeiden oder eindämmen Als praxiserfahrene Spezialisten unterstützen wir Unternehmen, Entscheider und Führungskräfte im Krisenfall – rund um die Uhr. Gemeinsam finden wir vor Ort konkrete Lösungen und nachhaltige Strategien und helfen dabei, Schäden zu vermeiden oder einzudämmen. Damit eine Krise erst gar nicht entsteht oder optimal aufgefangen werden kann, bauen wir bedarfsgerechte firmeninterne Krisenorganisationen auf. Mit einer individuellen Schulung trainieren wir Ihren Krisenstab und überprüfen mit einer Übung und reellen Krisenszenarien den Ausbildungsstand. Ausserdem begleiten und beraten wir Unternehmen, Organisationen und die öffentliche Hand bei Risikobeurteilung und in sämtlichen Sicherheitsfragen. Unterstützung in der Krise, wenn nötig rund um die Uhr In einer Krise sind Sie plötzlich an allen Ecken und Enden gefordert: Betriebsunterbrechung, Produktrückruf, Unfälle mit Todesfolge, Datenmissbrauch, Cyberangriff, Umweltschäden, Fehlleistungen von Führungskräften etc. verlangen nach einer raschen Beurteilung, nach Entscheidungen und Massnahmen. Auch Medien, Öffentlichkeit, Mitarbeiter und andere Ansprechpartner erwarten rasche Antworten. In solchen Situationen sind wir innert kürzester Zeit telefonisch oder vor Ort mit einem Profi oder wenn nötig mit einem Profi-Team – bei Bedarf auch rund um die Uhr – für Sie da und unterstützen Sie bei der Krisenbewältigung.

GU Sicherheit & Partner AG Florastrasse 1, CH-9500 Wil +41 71 913 27 66 info@gu-sicherheit.ch www.gu-sicherheit.ch

Krisenmanagementseminare für Führungskräfte Welche Massnahmen sollen getroffen werden, um ein Unternehmen möglichst unbeschadet aus einer Krise zu führen? Dafür braucht es Managemententscheide, die entsprechend kommuniziert werden – es braucht also Krisenmanagement und Krisenkommunikation. Unternehmen und ihre Kader sollten sich mit dem Thema Krisenmanagement frühzeitig auseinandersetzen – zum Beispiel mit den diesbezüglichen Seminaren des Kompetenzzentrums Krisenmanagement im Lilienberg-Unternehmerforum in Ermatingen. LEADER-Leser erhalten Rabatt Unsere Ausbildungen richten sich an Verwaltungsräte, CEO, Geschäftsleitungsmitglieder und Kader. Unser Führungsteam setzt sich aus ausgewiesenen Experten mit jahrzehntelanger Kriseneinsatzerfahrung zusammen. Das nächste Seminar «Führen und Entschieden in Krisen» findet am 8./9. April 2021 statt. Mehr Informationen finden Sie unter krisen-kompetenz.ch. LEADER-Leser erhalten bei Anmeldung bis zum 31.12. 2020 mit dem Stichwort «Leader» 15 Prozent Rabatt. Seit Beginn der Coronakrise bedienen wir KMU mit unserem «Covid-19-Lagebulletin für Unternehmen». Sie finden es auf gu-sicherheit.ch/covid-19 oder können es unter info@gu-sicherheit.ch abonnieren.

Kompetenzzentrum Krisenmanagement Arenenbergstrasse 15, CH-8272 Ermatingen +41 71 913 27 66 info@krisen-kompetenz.ch www.krisen-kompetenz.ch


Fokus Bau

Nicht die Billigsten, sondern die Besten überleben Eine Studie von PwC Schweiz zeigt, dass Veränderung und Innovation in der Bauindustrie für einen Paradigmenwechsel unabdingbar sind: Wer im Bau rentabel überleben will, muss umdenken, sich im Markt klar differenzieren und die Digitalisierung nutzen. Der LEADER stellt bis auf Seite 91 Auszüge aus der Studie vor.

Auch die Baubranche ist von der Pandemie betroffen und hat mit einem Rückgang der Bautätigkeiten zu rechnen. Doch: «Auch schon vor der Krise zeichnete sich ab, dass ein Paradigmenwechsel erforderlich ist, um im Bau Bestand zu haben – und dies, obwohl die Baubranche in zahlreichen Bereichen auch in Zukunft eine tragende Rolle spielt», so Roland Schegg aus St.Gallen, Director und Leiter Consulting von Familienunternehmen & KMU bei PwC Schweiz. Denn die Baubranche kämpft seit Jahren mit mangelnder Ertragskraft. Die Hauptgründe: Preiskampf aufgrund Überangebot an austauschbaren Leistungen, mangelnde Integration von Planung und Ausführung und teils wenig Innovation. Differenzierung und Pioniergeist als Erfolgstreiber Die Studie www.pwc.ch/baustudie von PwC Schweiz wurde seit März 2020 aufgrund der Ereignisse um Analysen zu den Auswirkungen von Covid-19 auf die Bauakteure ergänzt. Hierfür hat PwC rund 130 Entscheidungsträger befragt, die in Projektierung, Hochbau und/oder Tiefbau aktiv sind und für Privat-, Gewerbe- und Industriekunden, die öffentliche Hand und Institutionelle bauen. Aus den Rückmeldungen wurden die Einschätzungen «seit Covid-19» abgeleitet und denen «vor Covid-19» gegenübergestellt. Deutlich wird bei dieser Gegenüberstellung, dass die Bauakteure die Zukunftsperspektiven ihres Unternehmens im Kontext von Covid-19 deutlich negativer einschätzen als zuvor: Neu sind nur noch 58 Prozent der Studienteilnehmer positiv gestimmt (92 Prozent vor Covid-19) und die negativen Erwartungen haben sich verfünffacht. Mehr als je zuvor ist nun also ein Umdenken in der Bauindustrie erforderlich. Nicht nur mit Covid-19 bläst der Bauindustrie ein rauer Wind entgegen, denn gemäss 90 Prozent der Teilnehmer liegen die grössten Herausforderungen in der mangelnden Differenzierung (88 Prozent), Preiskampf (85 Prozent) und der «drohenden» Zinswende (88 Prozent). Unternehmen müssen den Mut haben, die Dinge anders zu machen als ihre Mitbewerber. Dies gilt insbesondere dann, wenn es darum geht, kompetitive Preise zu bieten. «Wer zum Beispiel einen durchdachten Ansatz für Arealentwicklungen vorlegen oder komplexe Überbauungen handhaben kann, grenzt sich klarer gegenüber Mitbewerbern ab und realisiert grössere Gewinnspannen», kommentiert Martin Engeler, Senior Manager im Consulting von Familienunternehmen, KMU & Public bei PwC Schweiz. Ferner seien Kreativität, Pioniergeist, eine

integrale Führung und Ausdauer unabdingbar für den Fortbestand in der Baubranche. Vorsprung durch Digitalisierung und Technologie Insbesondere die Digitalisierung birgt interessantes Potenzial, das meist noch nicht richtig ausgeschöpft wird. Der Einsatz digitaler Technologien hat schon vor Jahren begonnen, vor allem jedoch in Supportprozessen wie Administration, Marketing, Kommunikation oder beim Zeichnen der Pläne. Damit ist es aber nicht getan. Auch Kernprozesse wie Realisierung und Betrieb müssen nun zweckmässig digitalisiert werden, wie aus der Studie klar hervorgeht. Digitale Lösungen erlauben es grundsätzlich, alle am Bau Beteiligten frühzeitig einzubeziehen und Nachjustierungen auch in der Realisierungsphase vorzunehmen. Hier liegt also das grosse Digitalisierungspotenzial, denn so können sich entlang der Wertschöpfungskette neue Modelle mit integrierter Kooperation bilden. Insbesondere könnten die heute vielfach abgetrennten Plan- und Ausführungsprozesse intelligent verbunden werden. Gerade auch die teils enormen Fehlerkosten auf dem Bau könnten damit gezielt bekämpft werden.

Federführend für diese Studie waren Roland Schegg (Bild), Martin Engeler, Clirim Mehmedi und Daniel Bürki, alle im PwC-Consulting mit Schwerpunkt Familienunternehmen, KMU und Public tätig. Text: Stephan Ziegler Bild: Thomas Hary

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Fokus Bau

Zukunftsperspektiven: Von der Komfort- in die Krisenzone Der unerbittliche Preiskampf ist schon lange kennzeichnend für die Schweizer Baubranche. Trotz hoher Volumen kalkulieren viele Bauakteure mit bedrohlich tiefen Margen.

Ein Virus verbreitet Unsicherheit Die Schweizer Baubranche wurde aus einer komfortablen Situation mit vollen Auftragsbüchern in eine Krisenphase mit erheblichen Unsicherheiten katapultiert. Das widerspiegelt sich in der Beurteilung der Zukunftsperspektiven vor und mit Covid-19 (vgl. Abbildung 3). Der Optimismus vor Ausbruch der Covid-19-Epidemie lässt sich mit der Tatsache erklären, dass in der Schweiz fleissig gebaut wurde und die Branche bis im Frühjahr 2020 auf Hochtouren lief. Die Umsatz- und EBITErwartungen waren entsprechend positiv und die Hoffnungen in Digitalisierung, Nachhaltigkeit oder systemische Problemlösung gross. Covid-19 hat diesen Enthusiasmus ausgebremst: Neu sind nur noch 58 % der Studienteilnehmenden positiv gestimmt (92 % vor Covid-19) und die negativen Erwartungen haben sich verfünffacht. Diese Einschätzung dürfte einerseits der starken Unsicherheit geschuldet sein, denn niemand kann derzeit zuverlässige Prognosen über die mittelfristige (Bau-)Konjunktur aufstellen. Andererseits erwarten die Unternehmen, dass die Risiko- und Investitionsfreudigkeit vieler Marktakteure abflacht.

Abbildung 3: Die Bauakteure schätzen die Zukunftsperspektiven ihres Unternehmens im Kontext von Covid-19 deutlich negativer ein als zuvor.

Einschätzung vor Covid-19

LEADER | Nov./Dez. 2020

53%

73%

42%

8% eher positiv

eher negativ

Studienfrage: Wie schätzen Sie die Zukunftsperspektiven Ihres Unternehmens ein?

Abbildung 4: Preiskampf, Austauschbarkeit und Zinswende gelten bei den Studienteilnehmenden als grösste Herausforderungen.

Preiskampf Preiskampf statt Differenzierung Nicht nur mit Covid-19 bläst der Bauindustrie ein rauer Wind entgegen. Als weitere existenzielle Bedrohung nennen die Studienteilnehmenden Preiskampf, mangelnde Differenzierung und «eine drohende» Zinswende. Der unerbittliche Preiskampf ist schon lange kennzeichnend für die Schweizer Baubranche. Er bringt einen deutlichen Angebotsüberhang für vergleichbare und zugleich austauschbare Leistungen zum Ausdruck. Damit ist er die logische Konsequenz einer fehlenden Differenzierung der Unternehmen. Trotz hoher Volumen kalkulieren viele Bauakteure mit bedrohlich tiefen Margen.

5%

19%

sehr positiv

Die Schweizer Baubranche wurde mit vollen Auftragsbüchern in eine Krisenphase mit erheblichen Unsicherheiten katapultiert.

Einschätzung mit Covid-19

85% 50% eher Gefahr

35%

Gefahr

Mangelhafte Differenzierung

88% 53% eher Gefahr

35%

Gefahr

Zinswende

88% 48% eher Gefahr

40% Gefahr


Kolumne

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Beauftragte Fachleute statt mehr Gemeindepersonal

Das Dauertief der Zinsen schwebt wie ein Damoklesschwert über den Marktakteuren. Sie wissen: Über kurz oder lang wird es fallen. Eine Zinswende zu steigenden Zinsen würde die Nachfrage direkt tangieren. Sollte das Volumen – zum Beispiel als Folge von Covid-19 – leicht zurückgehen, dürfte sich der Preiskampf noch mal deutlich verschärfen; die Margen in der Baubranche gerieten so noch stärker unter Druck. Symptome bald deutlich spürbar Gefragt nach dem zeitlich grössten Effekt von Covid-19 auf die Baubranche als Ganzes nennen 58 % der Studienteilnehmenden einen mittelfristigen Zeithorizont von zwei bis fünf Jahren. Nur rund ein Viertel der Befragten sieht unmittelbar die grössten Auswirkungen. Covid-19 hat die Bauindustrie kurzfristig deutlich weniger getroffen als andere Branchen wie zum Beispiel die Gastronomie. Die Baustellen mussten während des Lockdowns nicht flächendeckend geschlossen werden und laufende Projekte wurden trotzdem vorangetrieben. Das könnte sich auf eine mittlere Zeitspanne ändern. Private, industrielle und gewerbliche Bauherren schieben ihre Projekte möglicherweise auf. Auch die öffentliche Hand dürfte sich aufgrund von befürchteten Steuermindereinnahmen und der allgemeinen Belastung der Haushalte bei Investitionsprojekten zurückhaltender zeigen. Abzuwarten bleibt, wie sich die Investitionslust der institutionellen Auftraggeber entwickelt.

Abbildung 5: Die Studienunternehmen sehen im mittelfristigen Horizont von 2 bis 5 Jahren die grössten Auswirkungen von Covid-19 auf die Baubranche.

58% mittelfristig (2–5 Jahre)

Studienfrage: In welchem Zeithorizont sehen Sie für die Baubranche als Ganzes die grössten Auswirkungen der Covid19-Krise?

26% kurzfristig (1 Jahr)

8%

8%

langfristig (>5 Jahre)

keine Auswirkung

Was tun, wenn autonome Gemeinden durch das kantonale und nationale Steuerrecht, das nationale Sozialrecht und das kantonale, aber harmonisierte Gesundheitsund Bildungswesen faktisch «gleichgeschaltet» sind und keinen eigenen Wirkungskreis mehr haben? Dann wird die Kommunalautonomie zum Relikt, das nur noch Politik-Folklore zugunsten einiger Lokalgrössen begünstigt, die dafür überbezahlt sind und ihr Amt als Sprungbrett in zentralere Posten nutzen. Gibt es einen «Weg zurück» zur echten Kommunalautonomie? Ja, aber er ist anspruchsvoll: Kleine Gemeinden könnten alles, was «von oben befohlen» ist, gemeinsam mit anderen Gemeinden an private Fachstellen abgeben, die im Auftragsverhältnis arbeiten. Das kommt billiger und ist effizienter als Mischformen von amtlich finanzierten Teilzeit- und Milizleuten. Viele «politische Milizler» sind heute de facto überbezahlt und unterqualifiziert und arbeiten zu wenig professionell. Ich befürworte die «echte Miliz» bzw. politische und soziale Freiwilligenarbeit auf kommunaler Ebene – aber nur, wenn sie kostengünstiger und qualifizierter ist als eine private Firma. Die Gefahr, dass man als kleine Gemeinde von dieser übervorteilt wird, kann durch Leistungsvergleiche und kurz angesetzte Kündigungsmöglichkeiten gebannt werden. Eiwn Auftragsverhältnis ist auch dosierbar und dauert nur so lange, als das entsprechende Problem akut ist. Sanierungen und Reorganisationen sind auch einmal abgeschlossen, und es ist an den verantwortlichen Auftraggebern, dass sie den Stecker ziehen, wenn der Strom nicht mehr gebraucht oder anderswo günstiger erhältlich ist. Diese Flexibilität wird auch zur Trumpfkarte gegenüber Grossgemeinden, die oft einfach ihre Bürokratie aufstocken und damit den «Spareffekt» einer Zusammenlegung zunichtemachen. Allerdings: Die politisch Verantwortlichen dürfen finanziell mit den privat Beauftragten nicht «verbandelt» sein.

Robert Nef, Publizist, St.Gallen


Profil Generationenwechsel auf allen Ebenen Beat Müller und Lynn Burkhard sind sich bewusst, dass sie unter Beobachtung stehen werden, wenn sie im Januar den Vorsitz der Geschäftsleitung übernehmen. Vieles ist im Umbruch, neue Herausforderungen wie die Digitalisierung stehen an. Alfred Müller ist überzeugt, dass der Zeitpunkt für den Wechsel genau der richtige ist:

STUTZ AG: Die nächste Generation ist bereit Beat Müller und Lynn Burkhard übernehmen gemeinsam per 1.1.21 den Vorsitz der Geschäftsleitung. Sie sind jung, top qualifiziert und sie haben sich diesen Schritt reiflich überlegt: Beat Müller und seine Frau Lynn Burkhard sind Bauingenieure aus Leidenschaft. Seit gut drei Jahren arbeiten die beiden in der STUTZ AG, ab 1. Januar 2021 übernehmen sie von Alfred Müller den Vorsitz der Geschäftsführung. Sie sind sich sicher, am richtigen Ort zu sein und nehmen die Verantwortung mit Respekt und Freude an. Beat Müller und Lynn Burkhard haben beide ihren Master an der ETH Zürich gemacht und danach in Ingenieurbüros wertvolle Erfahrungen gesammelt. Und sie wollten auch beruflich einen gemeinsamen Weg gehen, der sich mit dem Wunsch nach einer Familie vereinbaren lässt. Dass der ideale Weg nun im Familienunternehmen liegt, hat für Beat Müller auch eine emotionale Komponente. Beide wissen, dass Know-how und Erfahrung als Ingenieure ihnen auch in der Führung der STUTZ AG zugutekommen werden. Alfred Müller bestätigt: «Es ist ein echter Vorteil, wenn man als Bauingenieur mit Kunden, mit Planern und Unternehmern auf Augenhöhe kommunizieren kann.»

Beim Blick zurück auf die vergangenen drei Jahre resümiert Lynn Burkhard spontan: «Der Weg zur Organisation 2020 hat mich in dieser Zeit sehr beschäftigt und ich habe mich gefreut, die Werte Jobsharing auf hohem Niveau Beat Müller und Lynn Burkhard sind Eltern der STUTZ AG persönlich zu erfahren, die Kollegialität, die gelebte Wertschätzung, eines neun Monate alten Sohnes und arbeiten seit drei Jahren in der STUTZ AG. die hohe Akzeptanz im Unternehmen.» Per 1. Januar 2021 übernehmen die beiden gemeinsam den Vorsitz der Geschäftsfüh- Beat Müller bleibt vor allem ein Projekt besonders in Erinnerung: die Verschierung und teilen sich Aufgabe und Verantwortung im Jobsharing. Daneben leiten sie bung einer Brücke der SOB. «Die Brücke seit dem 1. Oktober 2020 den neu geschaf- wurde seitlich neben den Geleisen vorfabriziert und dann auf Schienen verfenen Geschäftsbereich Tiefbau, welcher schoben. So konnte der Unterbruch des die Sparten Spezialtiefbau, Strassenbau, Zugverkehrs auf ein Minimum beschränkt Rückbau und den allgemeinen Tiefbau werden. Eine ganz besondere Herausvereint. Im Moment steht neben der anforderung und ein spannendes Projekt, spruchsvollen Aufgabe im Unternehmen das insbesondere durch das kompetente die Familie im Vordergrund. Mittelfristig können sich beide aber Engagements über Baustellenteam erfolgreich gemeistert ihre unternehmerische Verantwortung hin- werden konnte.» aus vorstellen; sei es in Berufsverbänden, in Wirtschaftsverbänden oder in der Kultur.

«Die nächste Generation hält auf allen Ebenen Einzug. Sie haben andere Erfahrungen, andere Kompetenzen und Ansprüche und werden gemeinsam den Herausforderungen die besten Lösungen abringen. Es ist an der Zeit, die Führung der STUTZ AG jetzt in jüngere Hände zu legen.»

Lynn Burkhard (31), MSc ETH Bau-Ing. Sie ist Naturwissenschaftlerin durch und durch, analytisch und präzise. Und sie ist sportlich, bis zur Geburt ihres Sohnes war sie begeisterte Kitesurferin. Auch die Freude an der Musik pflegt sie, nicht zuletzt, wenn sie am Klavier selbst in die Tasten greift. Beat Müller (35), MSc ETH Bau-Ing. Er schätzt spannende Herausforderungen beim Bauen. Der Schritt von der Planung in die Bauführung war Teil der konsequenten Vorbereitung auf die zukünftige Aufgabe. In seiner Freizeit ist Beat Müller begeisterter Biker und Skifahrer. 32 Jahre Alfred Müller 32 Jahre hat Alfred Müller die STUTZ AG geleitet. Er freut sich, dass mit seinem Sohn Beat Müller und seiner Schwiegertochter Lynn Burkhard die nächste Generation die Führung übernimmt. Er hat sie intensiv eingearbeitet, weiss, dass sie das nötige Rüstzeug für diese anspruchsvolle Aufgabe mitbringen. Er kennt ihre starken, empathischen Persönlichkeiten, schätzt ihr Wissen und ihre Erfahrung und er teilt die Faszination, die sie antreibt: die Leidenschaft fürs Bauen. STUTZ AG Bauunternehmung Mit ihren 800 Mitarbeitenden, verteilt auf alle grossen Orte der Wirtschaftsregion, zählt die STUTZ AG qualitativ und quantitativ zu den leistungsfähigsten Bauunternehmungen der Ostschweiz. Ihre umfassenden Dienstleistungen, von der kleinsten Lohnarbeit bis zum grössten Gesamtauftrag, bietet sie in fünf Geschäftsbereichen an: Projekte und Baumanagement / Hochbau St. Gallen / Hochbau Frauenfeld / Tiefbau / Logistik.

stutzag.ch


Fokus Bau

Finanzen: Volumen ja, Margen jein Investitionsüberhang stärkt Umsatzerwartungen vor Covid-19 Die Studienteilnehmenden schätzen ihre finanzielle Entwicklung je nach Tätigkeitsschwerpunkt unterschiedlich ein. Unternehmen mit Haupttätigkeitsfeldern Projektierung und Hochbau gingen vor Covid-19 von stabilen Umsatzvolumen bis 2023 aus. Die Tiefbauer hingegen erwarteten ein Wachstum des Umsatzvolumens. Diese Einschätzung erscheint plausibel, da diverse Infrastrukturvorhaben bereits angekündigt wurden und zahlreiche Strassen in die Jahre und an ihre Kapazitätsgrenzen gekommen sind. Hinzu kommt, dass im Tiefbau wesentliche technische Innovationen erwartet werden. Weiter dürften autonome Fahrzeuge sowie die steigende Bedeutung des Langsamverkehrs in urbanen Gebieten Veränderungen bei der Verkehrsinfrastruktur erfordern. Hohe Erwartungen bei den Margen vor Covid-19 Die Planer und Projektierer wiesen bereits in der Vergangenheit einen tendenziell höheren Betriebsgewinn vor Zinsen und Steuern (EBIT) aus als ihre ausführenden Branchenkollegen aus dem Hoch- und Tiefbau. Das widerspiegelt sich auch in den Prognosen: In Zukunft wird mit positiven Gewinnspannen gerechnet. Die Verknappung von Bauflächen und die eingesetzte Erneuerung von Agglomerationen bieten für dieses Geschäftsfeld ein spannendes Potenzial, das gute Ideen und neue Ansätze für eine Differenzierung zulässt. Der Hochbau konnte in der Vergangenheit zwar die Umsätze steigern. Trotzdem sind die EBIT-Margen unter Druck geraten. Beim Ausblick drehte sich vor Covid-19 die Einschätzung: Die Hochbauer gingen bis 2023 von stagnierenden respek-

tive nur leicht wachsenden Volumen aus, erwarteten für die mittelfristige Zukunft aber eine deutliche Margenverbesserung. Das weist darauf hin, dass der Bereich an seiner Prozesseffizienz arbeitet und strukturell konsolidiert, etwa mit dem Abbau von übermässig vielen Standorten. Der Optimismus im Hochbau erstaunt, wird doch der Preiskampf hier bisweilen besonders hart ausgefochten und die Akteure haben kaum Spielraum für Differenzierung. Allerdings sind in diesem Geschäftsfeld auch in Zukunft Prozessoptimierungen möglich. Zudem dürfte die Digitalisierung die Projektierung und die Ausführung noch stärker zusammenrücken und Standardisierungen oder modulares Bauen fördern. Das wiederum wirkt sich vermutlich positiv auf die noch immer hohen Fehlerkosten im Bau und damit auf die Margen aus. Spannend in dieser Betrachtung ist zudem der aktuelle Trend zum vermehrten Einsatz von Holz, der sich unterdessen deutlich im Mehrfamilienhausbau abzeichnet – sei es für den Volloder Hybrideinsatz. Heute liegen erste Projekte für Hochhäuser in Holzbauweise vor. Dies hängt unter anderem mit grossen Fortschritten beim Brandschutz und bei der Schalldämmung zusammen. Allerdings ist noch unklar, ob diese Entwicklung eine weitere Integration der Bauprozesse und industriellen Fertigung im Bau ermöglicht. Im Tiefbau zeigte sich vor Covid-19 neben deutlich steigenden Umsatzvolumen ebenfalls eine verbesserte Margenerwartung. Das ist auf grössere technische Innovationen zurückzuführen, die die Effizienz im Tiefbau voraussichtlich erhöhen. Dabei ist zu beachten, dass die Entwicklung auch davon abhängt, wie stark die meist öffentlichen Auftraggeber das bei der Vergabepraxis berücksichtigen.

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Von der Wand zum Haus Rico Kaufmann ist Geschäftsführer der Kaufmann Oberholzer AG. Er äussert sich zu Alternativen zum ewigen Preiskampf, zu gelebter Kundennähe und zur Notwendigkeit, innerhalb der Wertschöpfung vorwärts und rückwärts zu integrieren. Die Zukunft des Holzbaus sieht er in der industriellen Fertigung.

Kundennähe eliminiert Mehrkosten Rico Kaufmann sieht im Preiskampf die grösste Herausforderung für die Baubranche. Obwohl das Bauvolumen in der Schweiz unvermindert hoch ist, schafft es die Branche nicht, über normale Preise davon zu profitieren. Zu viele Schnittstellen und umständliche Prozesse machen das Bauen teuer. Aus diesem Grund hat sich Kaufmann Oberholzer breit und nah beim Kunden aufgestellt. Die Bedürfnisse können so effizienter und leistungsfähiger umgesetzt werden. Für Projekte wie Schreinerarbeiten oder Umbauten bietet der Holzbauer von der Innenarchitektur über die Bauleitung bis zur eigentlichen Holzbau- und Schreinerarbeit alles aus einer Hand an. Im Bauhauptgewerbe erwirbt er sogar Grundstücke.

«Ein grosses Plus des Holzbaus liegt in den Bereichen Ersatzbau und Aufstockung.» Holz mit vielen Vorzügen Angesichts der Verknappung von Bauland und dem Trend zu verdichtetem Bauen stellen Ersatzbauten und Aufstockungen für den Holzbau ein interessantes Potenzial dar. Manche Ersatz- oder Aufbauten lassen sich schlicht nur mit Holz realisieren. Im Holzbau spielt zudem der Euro eine wichtige Rolle, da Holzelemente einfach transportierbar sind. Kaufmann Oberholzer wird häufig von Schweizer Unternehmen konkurriert, die im Ausland Fertigelemente einkaufen. Der Wechselkurs steuert die Intensität dieses grenzüberschreitenden Wettbewerbs. Integration in alle Richtungen Um den reinen Preiskampf zu umgehen, siedelt sich Kaufmann Oberholzer möglichst weit vorne in der Wertschöpfungskette an. Damit werden nicht nur höhere Margen möglich, sondern auch die Einflussnahme auf die Konstruktion. LEADER | Nov./Dez. 2020

So sucht der Holzbauer bereits früh den Kontakt zu den Architekten. Rico Kaufmann bemängelt die allgemein ungenügende Integration der Handwerker im Planungsprozess. Kaufmann Oberholzer ist bestrebt, die Konstruktion gemeinsam mit dem Architekten zu besprechen und erst dann zu offerieren. Denn vielen Architekten fehlt das Expertenwissen im Holzbau. Der Aufbau eigener Produktionswerke geschah bei Kaufmann Oberholzer sehr bewusst. Ursprünglich war das Unternehmen eine klassische Schreinerei und Zimmerei. Schon bald kamen Bauleitung und Innenarchitektur hinzu. So wurde das anfängliche Leistungsangebot mit margenträchtigen Bereichen erweitert. Schliesslich gliederte sich Kaufmann Oberholzer eine Sägerei und Brettschichtproduktion an. Man integrierte also zuerst vorwärts und danach rückwärts. Die hohe Kunst der Differenzierung Bei Kaufmann Oberholzer läuft vieles über den persönlichen Kontakt. Rico Kaufmann hält gute Projektleiter, fähige Innenarchitekten, die die Bedürfnisse der Kunden erkennen, sowie ein starkes Marketing für zentral. Denn Kunden schätzen es, wenn sie einen Ansprechpartner haben, der die Gesamtverantwortung trägt. Kaufmann Oberholzer treibt seine Kundennähe auch mit digitalen Hilfsmitteln voran. Das Unternehmen plant gemeinsam mit dem Kunden und kann sich so vom Dorfschreiner abheben. Produktinnovationen im Bau sind gemäss Rico Kaufmann schwierig. Hier wird einfach alles kopiert. Mit dem KaufmannKlimahaus hat der Holzspezialist eine Innovation geschaffen: Der Wandaufbau basiert auf natürlichen Materialien und ist wie Sportbekleidung atmungsaktiv. Die Bewohner leben gesünder, können sich besser konzentrieren und schlafen besser. Das Produkt war seiner Zeit voraus. Heute sind die Menschen auf Nachhaltigkeit und Gesundheit sensibilisiert. Erstklassiger Holzbau Schweiz Rico Kaufmann hält den Holzbau in der Schweiz für einen der besten weltweit. Die Kunden sind heute viel besser über Holzbau informiert als früher. Und BIM bringt das Thema


Fokus Bau

«Bereits in der Entwurfsphase ist eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Architekten und dem Holzbauer sehr wichtig.»

zusätzlich auf den Tisch. Trotzdem entfaltet sich der Markt nur schleppend. Lange Zeit waren die Brandschutznormen für den Holzbau zu starr. Früher durfte man nur zweigeschossig bauen, während man in Schweden schon lange fünf und mehr Geschosse hochzog. Seit die Brandschutznormen der heutigen Bautechnik angepasst wurden, hat das Volumen gerade im Mehrfamilienhausbereich mächtig zugelegt. Die schleppende Entwicklung des Holzbaus liegt gemäss Rico Kaufmann unter anderem daran, dass Ersteller und Betreiber nicht identisch sind; und dass Generalunternehmer aus Kostengründen noch immer Kompaktfassaden bevorzugen. Zukunft industrielle Fertigung Im Holzbau werden gemäss Rico Kaufmann analog zur Autoindustrie ganze Elemente im Werk produziert. Diese Industrialisierung hält an, nicht zuletzt durch die Digitalisierung. Nutzungssimulationen mit Hilfe von digitalen Anwendungen sind ebenfalls en vogue, vorwiegend im Verkauf. Rico Kaufmann sieht die Zukunft für den Holzbau in der industriellen Fertigung in Produktionshallen. Der 3-D-Druck hat sich im Holzbau bisher noch nicht durchgesetzt, wobei viele Forschungsprojekte in diese Richtung abzielen.

Leben, wohnen und bauen mit Holz Die Kaufmann Oberholzer AG deckt mit fünf Werken und 140 Mitarbeitenden das ganze Spektrum der Holzverarbeitung ab und bietet sämtliche Dienstleistungen aus einer Hand. Das KMU mit Hauptsitz im thurgauischen Schönenberg gilt als Pionier für Kaufmann-Klimahäuser und für Mehrfamilienhäuser aus Holz. Mehr auf: www.kaufmann-oberholzer.ch LEADER | Nov.|Dez. 2020

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Digitalisierung: Virtualität wird Realität Schon vor Covid-19 geben rund vier Fünftel der Studienunternehmen an, in den nächsten fünf Jahren mehr oder viel mehr in die Digitalisierung investieren zu wollen. Opportunität erkannt Fast neun von zehn Studienteilnehmenden sehen die Digitalisierung vor Covid-19 als Chance. Aber nur rund 60 % der Befragten stufen deren heutigen Stellenwert in ihrem Unternehmen als hoch oder sehr hoch ein (vgl. Abbildung 16). Das wirft die Frage auf, ob und warum sich 40 % eine Chance entgehen lassen. Eine genauere Betrachtung zeigt, dass die Schere zwischen Chance und Stellenwert vor allem bei kleinen Unternehmen auseinandergeht: Nur gerade 50 % der Kleinen messen der Digitalisierung heute einen hohen oder sehr hohen Stellenwert bei. Die Mittleren und Grossen scheinen die Chance ergreifen zu wollen – oder zu können. Die Digitalisierung fordert Fitness im Umgang mit Komplexität sowie entsprechende

Mittel. Dabei dürften grösseren Unternehmen im Hinblick auf einen Skaleneffekt mehr Mittel zur Verfügung stehen als kleinen Betrieben. Finanzielle Mittel alleine dürften allerdings nicht ausreichen, um zielsicher in der digitalen Zukunft anzukommen. Vielmehr gilt es, Tradition und Innovation gekonnt zu verknüpfen. Damit stellen die Unternehmen sicher, dass ihr digitaler «Turbo» in der Praxis nicht ins Leere läuft. Interessanterweise messen vor allem die Vertreter des Tiefbaus – nicht wie vielleicht erwartet der Projektierung – der Digitalisierung heute einen hohen Stellenwert bei. Das zeigt, dass hier grössere technische Innovationen erwartet werden. Im Bereich Projektierung und Planung ist die Digitalisierung vielleicht schon weiter fortgeschritten.

Abbildung 16: Die Digitalisierung gilt zwar als Chance, doch ihr heutiger Stellenwert in den Unternehmen ist noch ungleich tiefer.

Digitalisierung eine Chance?

87% 35%

Stellenwert Digitalisierung gering

Hoher und sehr hoher Stellenwert Grösse

37%

50%

klein 1–50 FTE

81%

mittel 51–250 FTE

hoch

stimme zu

80%

53%

gross >250 FTE

Tätigkeitsbereiche

52%

62%

57%

Projektierung

stimme voll zu

62%

Hochbau

sehr hoch

9%

69% Tiefbau

(v.l.n.r.) Studienfrage 1: Für die Baubranche ist die Digitalisierung eine Chance. Stimmen Sie zu? Studienfrage 2: Welchen Stellenwert hat die Digitalisierung in Ihrem Unternehmen? LEADER | Nov./Dez. 2020


Kolumne Fokus Bau 89 89

Missbrauch von Steuerprivilegien

Investitionsfreude herrscht Covid-19 hat in zahlreichen Branchen einen wahren Digitalisierungsschub ausgelöst. Schon vor Covid-19 geben rund 80% der Studienunternehmen aus der Bauindustrie an, in den nächsten fünf Jahren mehr oder viel mehr in die Digitalisierung investieren zu wollen (vgl. Abbildung 17). Bei den Grossen sind es alle, bei den kleineren Unternehmen über 70 %. 71 % der Befragten aus der Projektierung sehen die digitale Weiterentwicklung als Investitionsgrund. Über diesen Wert geht der Optimismus der ausführenden Tätigkeitsbereiche von Hoch- und Tiefbau sogar noch hinaus. Es ist zu vermuten, dass die Bauplanung in den letzten Jahren bereits in digitale Tools und Prozesse investiert und diese in ihren Alltag integriert hat, etwa mit Building Information Modeling. Der Einsatz von softwarebasierten Methoden zur vernetzten Planung, Ausführung und Bewirtschaftung von Bauwerken findet in den ausführenden Gewerken des Hoch- und Tiefbaus bisher noch zaghaft statt.

Abbildung 17: Im Thema Digitalisierung zeigen sich die Studienteilnehmenden höchst investitionsfreudig.

58% etwas mehr

21% gleich viel

19% viel mehr

Im Zusammenhang mit der Konzernverantwortungsinitiative und der massiven Kampagne der Befürworter stellt sich die Frage, mit welchen Mitteln die millionenschwere Kampagne für die Initiative eigentlich finanziert wird. Die Unterstützung durch die Kirchen, die von natürlichen und juristischen Personen zwangsweise Gelder erheben, ist das eine. Zunehmend in den Fokus geraten aber auch die Hilfswerke; sie haben diese Initiative lanciert und massgeblich finanziert, obwohl sie steuerrechtlich als «gemeinnützig» gelten und damit von der Steuerpflicht befreit sind. Dieses Privileg gehört abgeschafft. Ob es nun um die Gletscherinitiative, den Einsatz für oder gegen das Jagdgesetz oder neuerdings die Konzernverantwortungsinitiative geht: Wer politische Kampagnen finanziert, handelt nicht gemeinnützig. Es ist nicht im Allgemeininteresse, einzelne Abstimmungsvorlagen zu unterstützen oder abzulehnen. Politische Parteien sind gerade deshalb von der Steuerpflicht nicht befreit. Die Hilfswerke und Nichtregierungsorganisationen benehmen sich aber zunehmend wie politische Parteien. Sie schrecken zudem auch nicht vor gefälschten Bildern, Falschaussagen und irreführenden Bildmontagen zurück. Was sie bei anderen beanstanden, betrachten sie offenbar für sich selber als durchaus legitim. Amnesty International, Brot für alle, Fastenopfer, Greenpeace, Bird Life, Pro Natura, Public Eye, Swiss Aid, Terre des Hommes und weitere Organisationen sind Träger der Konzernverantwortungsinitiative. Die Hilfswerke müssen sich entscheiden: Wollen sie weiterhin gemeinnützig tätig sein, dann ist das Steuerprivileg gerechtfertigt. Mutieren sie aber zunehmend zu politischen Parteien, dann ist dieses Privileg abzuschaffen. Der Entzug der Steuerbefreiung ist damit gerechtfertigt. Die Beibehaltung wäre ein staatlich privilegierter Etikettenschwindel.

2% etwas weniger Studienfrage: Wie viel werden Sie in den nächsten 1 bis 5 Jahren in die Digitalisierung gegenüber heute investieren?

Dr. Walter Locher, FDP-Kantonsrat, Rechtsanwalt und VR-Präsident der DGS Druckguss Systeme AG St.Gallen LEADER | Nov.|Dez. 2020


Von der Wand zum Haus. St. Gallen: 5 zusätzliche Geschosse auf bestehende Liegenschaft aufgestockt. Architektur: Forrer Stieger Architekten AG St. Gallen

Ihre führende Kompetenz im Element- und Ingenieurholzbau. Leben, wohnen und bauen mit Holz. Kaufmann Oberholzer AG Schönenberg TG, Roggwil TG, St. Gallen Telefon +41 71 644 92 92 info@kaufmann-oberholzer.ch kaufmann-oberholzer.ch

Immobilienentwicklung ist unsere Kernkompetenz Nur wer sein Ziel kennt, findet den Weg. Hierfür ist der Blick für das Wesentliche entscheidend: Wer Tag für Tag nach Spitzenleistungen sucht, wird schliesslich Massstäbe setzen. Dabei schafft es die ZIMA mit Sitz in St. Gallen, jedem Projekt eine besondere Note zu geben. Der Beweis wurde schon in zahlreichen Projekten in der Ostschweiz erbracht. Die Niederlassung im St. Galler Museumsquartier ist Teil der seit 1971 tätigen und nach wie vor inhabergeführten ZIMA Unternehmensgruppe. An den Standorten in Dornbirn, Innsbruck, Wien, München, St. Gallen und Bozen entwickelt sie mit ihren Spezialisten vor Ort Immobilien zum Wohnen, Arbeiten und Einkaufen im deutschsprachigen Alpenraum. Die ZIMA Projektentwicklung AG in St. Gallen ist ein Unternehmen, das nicht nur durch seinen Niederlassungsleiter örtlich verwurzelt ist, sondern auch aufgrund der involvierten Partner aus der Ostschweiz über eine starke regionale Verankerung verfügt. Dabei kann bei Bedarf auf das umfassende Know-how der gesamten Gruppe mit ihren über 178 Mitarbeitenden und bereits mehr als 8.000 realisierten Wohnungen zurückgegriffen werden. Keine 08/15-Umsetzungen Das Unternehmen investiert in einen Standort mit der Überzeugung, dort etwas Besonderes zu gestalten – 08/15-Umsetzungen gibt es keine. Das Einzigartige wird angestrebt. Dies im Sinne einer ganzheitlichen Entwicklung im Einklang mit ortsplanerischen Anforderungen, den Bedürfnissen der Menschen sowie im nachhaltigen Umgang mit der Umwelt. Sicherheit für Eigentümer und Investoren Besondere Projekte zu akquirieren, Immobilien zu entwickeln, zu bauen und zu veräussern ist das Geschäftsmodell. Dabei wird die Komplexität der

Projektentwicklung auf das Wesentliche verdichtet und Lebensqualität sowie Sicherheit für die künftigen Eigentümer und Investoren geschaffen. Unternehmensphilosophie Als Immobilienentwickler sind wir daran interessiert, unsere Region lebenswert zu erhalten und als Wohn-, Geschäfts- und Industriestandort weiter zu entwickeln. Dazu sind Visionen nötig, die nicht nur auf einige wenige Jahre ausgelegt sind, sondern weiter reichen und nachhaltig wirken. Die ZIMA bietet eine sehr offene und moderne Arbeitswelt. Durch die Verwurzelung jedes einzelnen Mitarbeiters in der Region, kennen wir zumeist auch die Menschen hinter unseren Projekten. Das wollen wir natürlich, trotz Wachstum, beibehalten.

„Wir kennen den Markt, die Kultur, die Mentalität und sind regional vernetzt. Das ist auch wichtig im Umgang mit Behörden oder bei der individuellen Projektabwicklung. Regional gibt es Unterschiede im Immobilienmarkt, und genau deshalb sind wir ein lokales Expertenteam.“

Daniel Fässler, GF ZIMA Projektentwicklung AG

ZIMA Projektentwicklung AG CH-9000 St. Gallen, Scheffelstrasse 1 +41 71 250 05 50 | office@zima.ch | zima.ch


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Menschen machen den Unterschied Alfred Müller ist Verwaltungsratspräsident des Ostschweizer Bauunterneh-mens Stutz AG. Er erläutert, warum sein Betrieb auf den Menschen als Alleinstellungsmerkmal und Erfolgsfaktor setzt. Und warum es das analoge Handwerk auch in der Ära 4.0 brauchen wird.

Für die Stutz AG ist der Mensch ein Differenzierungsmerkmal und damit ein wichtiger Erfolgsfaktor. Darum bündelt das Ostschweizer Bauunternehmen Kompetenzen erfahrener, motivierter Mitarbeitender und kombiniert diese mit einem überlegten Inventareinsatz. Das Resultat: Qualität, die sich rechnet und die in Form von Referenzen von sich reden macht. Deshalb differenziert sich die Stutz AG über Produktivität, Leistungsbereitschaft und Erfahrung – also über die Leistung. Als Folge der überlegenen SIA-Ordnung hat gerade das Bauhauptgewerbe zu wenig Möglichkeiten, eine Alleinstellung über das Produkt zu erlangen, sodass der Preis immer eine zentrale Rolle spielt. Für qualitativ hochstehende Spitzenleistungen und höchste Effizienz braucht es Engagement, Können, eine reibungsfreie Organisation und Logistik. Mit anderen Worten: Top-Mitarbeitende und eine Top-Infrastruktur. Nicht umsonst investiert die Stutz AG seit Jahren in Fort- und Weiterbildung, faire Löhne, eine ehrliche Führung sowie in eine kontinuierliche Mitarbeiterförderung. Lehrverträge sind mit einer Garantie auf mindestens eine einjährige Weiterbeschäftigung ausgestattet, damit die jungen Berufsleute erste Erfahrungen sammeln können. In diesem Jahr wird über weitere Chancen und Wege gesprochen. Es erstaunt daher nicht, dass das Unternehmen kaum Fluktuation aufweist und eine sehr hohe Dienstleistungsqualität sicherstellen kann. Alfred Müller sieht die Digitalisierung als Chance, den Planungsprozess und die Baulösung besser zu verzahnen. Der Erfolg von Bauprojekten wird Tag für Tag direkt vor Ort beeinflusst. Hier ist zentral, inwieweit die am Bau beteiligten Parteien Hand in Hand arbeiten. Die Planung hinkt oft während des Baus hinterher. Sie sollte abgeschlossen sein, bevor man zu bauen anfängt. Ein Teil der Innovation in der Baubranche ist nicht technologischer Natur, sondern besteht in Neuerungen bei Abläufen und bei der Kommunikation. Vereinzelt arbeiten Architekten und Ingenieure schon heute gut zusammen. Für dieses Teamwork sind agile und integrale Prozesskompetenzen gefragt. Bis der gesamte Bauprozess in Realität digital läuft, wird es gemäss Müller noch einige Jahre dauern. Dabei zeigt sich der starre, lineare SIA-Prozess als anspruchsvoll, trennt er noch zu stark zwischen Planung und Ausführung. Modelle wie BIM dürften in der Phase der Preisfindung hilfreich sein. Solche Verfahren entlasten die Bauakteure, alles auf Detaile-

bene zu berechnen, um einen Preis festzulegen. Auf der Baustelle dürften die komplexen Zusammenhänge der Prozesse nur schwer simulierbar sein. Robotik kombiniert mit neuen Materialien wird gemäss Müller zusätzliche Möglichkeiten bieten, die digital integrierte industrielle Fertigung voranzutreiben. Da schwere Betonelemente nicht kostengünstig transportierbar sind, werden andere Werkstoffe wie Holz bevorzugt. Gelänge dem Bau dank der Digitalisierung eine Prototypisierung, liessen sich Unsicherheiten und Fehlerquellen vor Baubeginn eliminieren. Trotzdem wird es laut Alfred Müller Engineering und handwerklich geschickte Leute immer brauchen. Denn die künstliche Intelligenz hat ihre Grenzen.

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Erste Frau an der Spitze des «Buntwarenladens» Sie ist 33 Jahre jung und seit Januar 2020 Chefin der Gautschi-Gruppe mit Hauptsitz in St.Margrethen und einem Dutzend Niederlassungen in der ganzen Ostschweiz: Mit Tina Gautschi ist die sechste Generation ins 118-jährige Familienunternehmen eingestiegen. Mit über 300 Mitarbeitern deckt die Gruppe einen grossen Teil des Baugewerbes ab. Die begeisterte Seglerin weiss, wie man sich in Stürmen verhält.

Tina Gautschi, mit Ihnen steht erstmals in der Firmengeschichte eine Frau der Gautschi-Gruppe als CEO vor. War es für Sie von Anfang an klar, dass Sie die Familientradition weiterführen? Nein, das hat sich für mich erst nach und nach herausgestellt. Schön ist, wenn die Leidenschaft für den Bau von Generation zu Generation weitergegeben werden kann. Dies empfinde ich als grosses Glück. Was fasziniert Sie denn an der Baubranche? Die Baustelle und der gesamte Baubetrieb waren für mich und meine Schwester ein unbegrenztes Abenteuer. Eine meiner grössten Leidenschaften sind Baumaschinen. Diese haben mich schon seit der Kindheit sehr fasziniert. Dazu stehe ich gerne bis zu den Knien im Dreck und verbringe gerne Zeit draussen in der Natur. Mir gefallen auch die Zufriedenheit unseres Teams und der familiäre Umgang auf dem Bau. Die harte Arbeit, die Schönheit des Handwerkes – und natürlich, dass man sieht, was man am Ende des Tages erreicht hat.

«Ein unerbittlicher Preiskampf ist schon lange kennzeichnend für die Ostschweizer Bauindustrie.» Und was haben Sie vorher gemacht? Ich war Bauführerin im Ingenieurtiefbau und durfte viele interessante Projekte ausführen: Von Brücken über Rückbauten, Strassenbau- und Tiefbauarbeiten bis hin zu Böschungssicherungen war alles dabei, was ein Bauführerherz höherschlagen lässt. LEADER | Nov./Dez. 2020

Die Baubranche wird von Männern dominiert. Muss man sich hier als Frau nach wie vor beweisen? Ach, man muss sich als jüngeres Mitglied in einem gestandenen Team immer beweisen, ob Mann oder Frau. Eine Frau auf dem Bau ist schon lange nicht mehr exotisch. Oder vielleicht bin ich es einfach so gewohnt, dass es mir nicht mehr auffällt. Wie hoch ist der Frauenanteil in Ihren Unternehmungen? Etwa acht Prozent. Das ist normal in unserer Branche. Wir sind aber eine der wenigen Bauunternehmungen, in welcher eine weibliche Mehrheit im Verwaltungsrat vertreten ist. Dass unsere Branche wenig Frauenanteil hat, liegt wohl an unterschiedlichen Interessen und natürlichen Kraftverhältnissen der Geschlechter: Wir haben auf dem Bau praktisch keine Bewerberinnen und fast keine weiblichen Lernenden. Schade! Wie führen Sie als CEO und was ist Ihnen am wichtigsten? Der Mensch. Ich glaube, dass Wertschätzung und gegenseitiges Vertrauen am Wichtigsten sind. In unserem Familienbetrieb sind diese Werte seit Generationen verankert. Man kann Grenzen setzen und ein Leader sein, auch wenn man einen familiären Umgang pflegt. Vielfach geht es auch um Motivation und Sinnvermittlung. Auch sehr wichtig ist, dass man den Mitarbeitern Verantwortung überträgt und sie nicht nur als Befehlsempfänger ansieht. Es macht mir Freude, wenn sie Erfolg haben und man sie dabei unterstützen konnte. Sie haben Ihren Vater Christoph Gautschi als CEO abgelöst, er bleibt Verwaltungsratspräsident der GautschiGruppe. Wie ist die Zusammenarbeit zwischen Vater und Tochter? Sehr gut; wir sind ein tolles Team, obwohl wir nicht immer gleicher Meinung sind. Die Erfahrung meines Vaters


Wirtschaft

Tina Gautschi:

SpartenĂźbergreifend arbeiten. LEADER | Nov./Dez. 2020

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Fokus Bau und meine frischen Ideen lassen meistens einen gangbaren Kompromiss entstehen. Wir kennen uns sehr gut, wissen, wie das Gegenüber tickt – und wir teilen viele Leidenschaften. Vor allem segeln wir seit Jahren zusammen in der Starbootklasse. Das macht es für uns sicherlich sehr viel einfacher. Hilft Ihnen das Segeln auch beruflich in Ihrer Rolle als CEO? Das Segeln ist eine Lebensschule, in der jeder lernt, sich ins Team einzureihen. Wer miteinander segelt, kann sich nicht aus dem Weg gehen, sondern muss zusammenarbeiten. Was könnte eine Familie, ein Team also enger verbinden als ein gemeinsamer Tag auf dem Wasser? Segeln heisst für mich, die Welt zu erkunden, und ist immer auch eine Reise ins Blaue. Vollständig berechenbar ist ein Segeltörn nie: Allein das Wetter kann null Komma nichts umschlagen und dabei ist schnelles Denken gefragt. An diversen internationalen Regatten habe ich gelernt, mich unter ständig wechselnden Bedingungen zurechtzufinden und mit neuen Situationen klar zu kommen. Dazu gehören auch Stürme oder Niederlagen und nicht aufzugeben, auch wenn es mal bitterkalt, nass und anstrengend sein kann.

«Das Ziel ist klar: Corona mit einem blauen Auge zu meistern.» Die Gautschi-Gruppe ist sehr breit aufgestellt – wo sehen Sie hier die Vorteile gegenüber Ihren Mitbewerbern? Wir sind nicht von einem einzigen Bereich abhängig. Ich nenne die Gruppe auch liebevoll «Buntwarenladen». In vielen Projekten können wir spartenübergreifend arbeiten. Wir bieten alles rund um den Bau an. Angesichts der unzähligen Schnittstellen bei Bauprojekten ist dies ein grosser Vorteil! Gleichzeitig sind wir dank der laufenden Digitalisierung viel transparenter geworden; dies eliminiert zusätzlich potenzielle Fehlerquellen, Schnittstellen und Kosten. Das zweite Differenzierungsmerkmal ist der Mensch: Unsere erfahrenen, motivierten und kompetenten Mitarbeiter lösen alle anfallenden Schwierigkeiten zeitgerecht. Darauf bin ich sehr stolz. Sie sind mit der Aviatis ATO Flying School und Aviatis Aircraft Operation und Management auch in der Luftfahrt am Flugplatz Altenrhein vertreten. Die Sparte Luftfahrt ist durch die Leidenschaft zur Fliegerei meines Grossvaters entstanden. Heute wird diese Sparte durch meinen Onkel und meine Tante geführt. Da beide erfahrene Piloten sind, ist auch diese Sparte sehr gut betreut. Dann gehören Ihnen die Markenrechte der ehemals berühmten FFA Flug- und Fahrzeugwerke Altenrhein, die einst Schweizer Militärflugzeuge in Lizenz herstellte, den Jäger-Prototypen FFA P-16 entwarf und das Schulungsflugzeug AS-202 Bravo baute. Was macht die FFA heute? Die FFA ist ein Betriebsteil der Gautschi AG geworden. Leider ist das ehemalige Flug- und Fahrzeugwerk geschlossen; wir bewirtschaften heute die Liegenschaften rund um den Flugplatz und betreiben dazu die Abteilung Aviatis ATO. Diese schult und bildet Piloten aus, bietet Rundflüge und Auffrischungskurse sowie die gesamte Abwicklung in Sachen Flugzeugmanagement an. LEADER | Nov./Dez. 2020

Fliegen Sie selbst auch? Nein. Ich bin aber gerne Fluggast. Seit Mitte März hat die Corona-Pandemie auch die Schweiz fest im Griff. Wie hat sich das auf die Gautschi-Gruppe ausgewirkt? Ein unerbittlicher Preiskampf ist schon lange kennzeichnend für die Ostschweizer Bauindustrie. Er bringt einen deutlichen Angebotsüberhang für vergleichbare und damit austauschbare Bauleistungen. Um die normale Auslastung hochzuhalten, kalkulieren viele Bauakteure mit bedrohlich tiefen und oder sogar negativen Margen, was sich wiederum negativ auf dem Marktpreis auswirkt. Sollte das Volumen wegen Covid-19 noch mehr schrumpfen, wird sich der Preiskampf nochmals massiv verschärfen und wir geraten noch stärker unter Druck, da der Preis fast als alleiniges Entscheidungskriterium gilt. Oft werden wir Bauakteure auch absichtlich gegeneinander ausgespielt. Wie ist die Situation aktuell? Wir verspüren einen klaren Umsatzrückgang, vor allem im privaten Hochbau. Bereits kämpfen wir mit einem stark rückläufigen Auftragseingang, etwa weil sich Bauherren aufgrund ungewisser Konjunkturaussichten mit neuen Bauvorhaben zurückhalten oder sie die Liquidität für die eigene Notlage benötigen. Und: Das Einhalten der vorgegebenen Massnahmen zum Gesundheitsschutz und der Ausfall von Einzelnen wirkt sich negativ auf die Produktivität auf den Baustellen aus. Und wie begegnen Sie diesen Widrigkeiten? Das Ziel ist klar: Corona mit einem blauen Auge zu meistern sowie die Situation als Herausforderung und nicht nur als Krise anzusehen. Leider können wir das wenige Positive einer Krise oft nicht sehen. Wie zum Beispiel die beschleunigte Digitalisierung und die daraus entstehende Prozessoptimierung. Zum Schluss: Wo möchten Sie künftig Schwerpunkte in der Gruppe setzen? Unsere Schwerpunkte sind ganzheitliche Lösungen für den Bauherrn und möglichst regionale Wertschöpfung mittels einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft. Wir wollen uns – auch etwa mit unserer Gautschi-App – transparent und offen gegenüber dem Kunden zeigen und den Fokus auf das Kundenerlebnis legen. Anhand der Digitalisierung können wir uns wieder vermehrt auf unsere Kernkompetenzen konzentrieren – bekanntlich das Handwerk.

Tina Christina Gautschi, (*1987) ist dipl. Bauführerin SBA, Major der Genietruppen, Delegierte des Gautschi-Verwaltungsrats seit September 2019 und CEO der Gautschi-Gruppe seit Januar 2020. Sie liebt Segeln, Skifahren, Wandern und Yoga.

Text: Tanja Millius Bild: Marlies Thurnheer


Profil

Die korrekte Versicherungssumme zu bestimmen ist wichtiger denn je Die korrekte Versicherungssumme in den einzelnen Versicherungsbranchen zu bestimmen ist unabdingbar, jedoch in manchen Fällen eine Krux. So auch im Bereich der Betriebsunterbrechung.

Autorin Eva Holenstein ist bei Kessler Leiterin St.Gallen.

Als Betriebsunterbrechung (BU) wird eine Unterbrechung oder Störung bezeichnet, welche die Tätigkeit eines Betriebes beeinträchtigt und zur Abweichung von den Betriebszielen führt. Wird also wegen einer Störung die Leistungserbringung des Unternehmens behindert, entsteht ein Betriebsunterbruch. Je nach Art und Ausmass kann das existenzgefährdend für das Unternehmen sein. Die Folgen eines Betriebsunterbruchs lassen sich mit der BU-Versicherung abdecken. Deren Zweck ist alles andere als kompliziert: «Finanzielle Fortführung des Betriebes, als ob kein Störungsvorfall stattgefunden hätte.» Die BU-Versicherung ist der Sachversicherung zugeordnet. Gerade in diesem Bereich ist die Evaluation der versicherungswürdigen Summe und Haftzeit oftmals nicht einfach zu bestimmen. Die Haftzeit ist die maximale Zeitspanne, für die der Versicherer ab Schadeneintritt haftet. Bei der Definition der Haftzeit muss nach einem Schadenfall neben der Instandstellung der betroffenen Infrastruktur und der Wiederherstellung der Produktionsbereitschaft auch die kaufmännische Seite

berücksichtigt werden. Ausserdem ist die technische Betriebsbereitschaft massgebend. Denn der sich ständig ändernde Beschaffungsmarkt kann zu kniffligen Problemen bei den Lieferfristen für den Ersatz von speziellen Maschinen und Anlagen führen. Deshalb muss das Jahresbetriebsergebnis des Unternehmens prozentual im Verhältnis zur vorgängig berechneten Haftzeit betrachtet und der gewünschte Deckungsgrad ermittelt werden. Die korrekt ermittelten Summen aller Komponenten ermöglichen die Bestimmung der Versicherungssumme. Ausserdem gilt es zu klären, welche Risiken auf die BU-Versicherung überwälzt werden sollen. Neben den klassischen Risiken wie Feuer-, Wasser-, EDV- oder Maschinenschäden gibt es neuartige Störungsfaktoren, die wegen der fortschreitenden Digitalisierung, Globalisierung sowie Klimaveränderungen zu berücksichtigen sind. Letztere können die Lieferketten im zunehmend dynamischen Umfeld vermehrt anfällig für Betriebsunterbrüche machen. Dabei spielt die Lieferkette in der unternehmerischen Wertschöpfung eine sehr grosse Rolle. Sie muss deshalb kontinuierlich beobachtet werden. Dieses ungewöhnliche Jahr 2020 ist durch das Covid-19-Virus geprägt. Es zeigte eindrücklich, dass den unterschiedlichen Risiken, insbesondere dem Cyber- und Epidemie-Risiko, sowie auch generell der Ermittlung der BU-Versicherungssumme in der Vergangenheit zu wenig Beachtung geschenkt wurde. Seit dem neuen Homeoffice-Zeitalter haben die Cyber-Vorfälle um ein Vielfaches zugenommen. Sie verursachten Betriebsunterbrüche mit enormen Folgekosten für die betroffenen Unternehmen. Ein guter Zeitpunkt also, um sich mit diesem Thema zu befassen.

Kessler ist das führende Schweizer Unternehmen für ganzheitliche Risiko-, Versicherungs- und Vorsorgeberatung und betreut über 1 000 mittlere und grosse Unternehmen aus Dienstleistung, Handel und Industrie sowie der öffentlichen Hand. www.kessler.ch LEADER | Nov.|Dez. 2020

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Politik

Die Arbeit zurück an den Wohnort bringen Spätestens seit Beginn der Corona-Pandemie ist mobiles Arbeiten vermehrt Thema, so wurde Heimarbeit – oder neudeutsch: Homeoffice – salonfähig, und Co-Working-Spaces boomen. Hier liege noch viel mehr drin, finden Bundesparlamentarier aus sieben Parteien und reichten einen gemeinsamen Vorstoss ein. Das ambitionierte Ziel: 100 000 regionale Gemeinschaftsarbeitsplätze zu schaffen – mit Unterstützung der öffentlichen Hand. Koordinatorin des Vorstosses ist die Thurgauer SP-Nationalrätin Edith Graf-Litscher. Wie soll mobiles Arbeiten künftig aussehen? Und wie schätzt dies Hansjörg Brunner, Präsident des Thurgauer Gewerbeverbandes, aus Sicht der Unternehmen ein?

Rund 50 Prozent der Arbeitnehmer in der Schweiz könnten ortsunabhängig arbeiten, besagt eine Studie des Prüfungsund Beratungsunternehmens Deloitte aus dem Jahr 2016. Für die Thurgauer SP-Nationalrätin Edith Graf-Litscher, die den nationalen Vorstoss zur Förderung von regionalem CoWorking koordiniert, ist mobiles Arbeiten aktueller denn je. Für sie liegen die Vorteile auf der Hand: «Weil Co-Working zeitliche und räumliche Flexibilität bietet, verbessert sich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Es bleibt mehr Zeit für Familie, Freunde, Hobbies und ein Engagement in der Gemeinde.» Dass wir verstärkt mobil arbeiten könnten, beweise die aktuelle Corona-Situation. Zukunftsfähige Arbeitsform Nebst der Heimarbeit, die mit den jüngsten Corona-Massnahmen vom Bundesrat wieder stark empfohlen wird, sind Co-Working-Arbeitsplätze für Graf-Litscher eine weitere zukunftsfähige Arbeitsform in Ergänzung zum Büro des Arbeitgebers. «Ein Co-Working-Space bringt die Arbeit zurück an den Wohnort», so Graf-Litscher. Er biete ein professionelles Umfeld für konzentriertes Arbeiten. Und: Durch die Reduktion der Pendlermobilität reduziere sich der CO2-Ausstoss und die Verkehrsinfrastrukturen würden entlastet. Laut der Genossenschaft Villageoffice gibt es in der Schweiz rund 220 Co-Working-Arbeitsplätze. Villageoffice fördert vor allem ländliche Co-Working-Arbeitsplätze. Auch in der Ostschweiz gibt es verschiedene Co-Working-Spaces, etwa in St.Gallen, Frauenfeld, Wil, Aadorf und Bottighofen – «hier sehe ich noch ein grosses Potential für eine breite regionale Abdeckung», erklärt Edith Graf-Litscher. Staatliche Regelung sinnvoll? Der parteiübergreifende Vorstoss beauftragt den Bundesrat, marktwirtschaftliche Lösungen zur Förderung von regioLEADER | Nov./Dez. 2020

nalem Co-Working zu prüfen. Er soll aufzeigen, welche Massnahmen nötig sind, um bis 2030 mindestens 100 000 regionale Gemeinschaftsarbeitsplätze zu schaffen – und welche Voraussetzungen es dazu braucht. Dabei sollen die Plätze z.B. Selbständigerwerbenden, Start-ups, oder Mitarbeitenden von bundesnahen Betrieben zur Verfügung stehen, damit sie nicht täglich weit ins Büro fahren müssen. So soll laut Graf-Litscher auch die lokale Wertschöpfung gefördert werden. «Es ist nicht mein Ziel, dass die Unternehmen mehrere Arbeitsplätze für eine Person finanzieren müssen», hält GrafLitscher fest. Vor allem in ländlichen Regionen seien aber wohl finanzielle Mittel nötig, um das Coworking-Projekt umsetzen zu können.

«Gute Fachleute bleiben erhalten, wenn sie nicht jeden Tag zwei Stunden ins Büro pendeln müssen». Damit hat Hansjörg Brunner, Präsident des Thurgauer Gewerbeverbandes, so seine Mühe. «Ich halte zwar viel von CoWorking-Spaces, aber es soll hier nicht noch mehr staatlich geregelt und dafür auch noch Steuergeld beansprucht werden.» Für den Thurgauer Gewerbeverband und seine Mitglied-Unternehmen sei mobiles Arbeiten seit Längerem ein wichtiges Thema. Für Brunner ist aber die Fokussierung auf reines Co-Working falsch. Gerade etwa im Thurgau seien die Arbeitswege nicht weit, und ausserdem sei Co-Working in Zeiten der Pandemie auch nicht wirklich die beste Lösung. Zudem könnten gerade Produktionsbetriebe ihre Arbeitsplätze nicht einfach auslagern.


Politik

Hansjörg Brunner: Hybride Arbeitsmodelle sind zukunftsträchtig.

Edith Graf-Litscher: Mobiles Arbeiten bringt regionale Wertschöpfung.

Grosskonzerne im Visier Das ist auch Edith Graf-Litscher klar. «In erster Linie besteht die Zielgruppe aus den schweizweit tätigen Grossunternehmen und selbstständig erwerbenden Personen.» Lokale KMU könnten bei Bedarf ebenfalls davon profitieren. Die Bundesverwaltung, Post, Swisscom oder SBB könnten hier eine Vorbildfunktion einnehmen – die SBB beabsichtige bereits, bis 2025 in 60 bis 80 Regionalbahnhöfen ein Co-Working-Format umzusetzen. Wie sehen das aber die Arbeitgeber? Wollen sich das Grossunternehmen überhaupt leisten? Für Hansjörg Brunner kommt es hier insbesondere «auf die Mitarbeiterzahl, die Kundenbedürfnisse, die bestehende Infrastruktur und die Branche» an. «Tatsache ist, dass mobiles Arbeiten vor allem einem Bedürfnis der Angestellten entspricht», hält Edith GrafLitscher fest. «Die Arbeitgeber schätzen es jedoch auch, dass ihnen gute Fachleute erhalten bleiben, wenn sie nicht jeden Tag zwei Stunden pendeln müssen.» Es gebe verschiedenste Studien zum mobilen Arbeiten – z. B. von Fachhochschulen oder die «Work-Smart-Initiative». Zudem untersuchte das Bundesamt für Energie bereits 2014 die Auswirkungen von neuen Arbeitsformen auf die Mobilität und den Energieverbrauch.

Spaces förderten denn auch den Austausch von Wissen, Ideen und Netzwerken. Für Hansjörg Brunner ist klar: «Es wird in Zukunft herkömmliche Arbeitsplätze, Co-Working-Spaces und Homeoffice brauchen.» Befürchtungen, dass Co-Working-Spaces oder Heimarbeit negative Einflüsse auf den Detailhandel haben könnte, also dass etwa Onlineeinkäufe zulasten des Einkaufens vor Ort zunehmen, hat er nicht: Aber: «Das Gastgewerbe leidet jetzt schon extrem darunter, dass sich wegen verordnetem und empfohlenem Homeoffice immer weniger Menschen auswärts verpflegen.»

Hybride Lösungen Für Hansjörg Brunner werden sich künftig «hybride» Arbeitsmodelle durchsetzen. Also Arbeitsmodelle, die variieren zwischen Homeoffice, wo es um die konzentrierte Abarbeitung von Aufgaben geht, und Officeworking, bei dem der wichtige kreativen Austausch, die Leistungen im Team im Vordergrund stehen. «Wir brauchen persönliche Kontakte, die Gespräche von Angesicht zu Angesicht. Ohne diese befürchte ich eine zunehmende Vereinsamung der Gesellschaft», betont Brunner. Das sieht auch Edith Graf-Litscher so. Co-Working-

«Co-Working-Spaces sollen nicht staatlich geregelt werden, sondern man soll den Markt spielen lassen.» Edith Graf-Litscher sieht in Co-Working-Spaces eine Chance und zukunftsweisende Arbeitsform in der Gemeinde. Gerade in ländlichen Gegenden könne damit der Dorf- oder Stadtkern stärker belebt und das Dorfleben attraktiver werden – und die lokale Wertschöpfung werde gesteigert. Bleibt abzuwarten, welche Arbeitsformen sich künftig durchsetzen werden – mit oder ohne staatliche Unterstützung.

Text: Tanja Millius Bilder: Marlies Thurnheer

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Schlusspunkt

Rotlicht

Pierin Vincenz hat auch die «Eventgastronomie» grosszügig unterstützt – auf Raiffeisen-Kosten: Alleine eine Viertelmillion Franken habe der ehemalige Raiffeisen-CEO in Cabarets und Striplokalen als Spesen verpulvert. Total kommen die Strafverfolger bei Vincenz auf einen Betrag von 251 000 Franken, die der Ex-CEO seiner Arbeitgeberin, der Raiffeisen, für private Vergnügungen in Rechnung gestellt hatte, rechnet «inside paradeplatz» vor. In der 350 Seiten starken Anklage der Zürcher Staatsanwaltschaft gegen Pierin Vincenz und weitere dreht sich denn auch ein stolzer Teil um illegale Spesen. Vincenz hat über die Stränge geschlagen, Geld, das ihm nicht gehörte, mit vollen Händen ausgegeben und sich wohl auch sonst Vorteile aus seiner Position, aus seinem (Insider-)Wissen, aus seinen Beziehungen verschafft. Kurz: Er hat Fehler gemacht. Und wahrscheinlich haben diese auch strafrechtliche Folgen.

«Manche Hähne glauben, die Sonne gehe ihretwegen auf.» Friedrich Löchner, deutscher Dichter (1915-2013)

Aber: Pierin Vincenz hat auch aus der eher verschlafenen Raiffeisen-Bank die Nummer 3 in der Schweiz gemacht. Er baute die ländliche Genossenschaftsbank zu einem der führenden Schweizer Finanzinstitute aus, professionalisierte die Strukturen und machte die Bank fit fürs 21. Jahrhundert. Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Der Bündner ist ein Alpha-Tier, ein Macher, vielleicht sogar ein Egomane. Ohne diese Eigenschaften wäre es ihm nicht gelungen, das Raiffeisen-Schiff in neue Gewässer zu steuern. Und ohne diese Eigenschaften wäre er nicht von der vereinigten Finanz- und Politwelt hofiert und umschwärmt worden. Wie im Geschäftsleben auch, kannte Vincenz offenbar auch im Privaten wenig bis keine Grenzen. Er hielt sich für den Grössten – und er hielt sich für unfehlbar: Warum soll er sich nicht auf Raiffeisens Kosten amüsieren? Schliessllich hat er der Bank früher nie für möglich gehaltene Gewinne verschafft. Dass er dabei die Grenzen zwischen Privat und Business nicht (mehr) zu ziehen wusste, ist unschön, vielleicht sogar strafbar. Aber man darf davon ausgehen, dass das für Pierin Vincenz persönlich kein Betrugsversuch, sondern eine Selbstverständlichkeit war.

Stephan Ziegler LEADER-Chefredaktor LEADER | Nov./Dez. 2020

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